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Rumata fuhr zusammen und schlug die Augen auf. Es war schon heller Tag. Unter den Fenstern auf der Straße gab es Radau. Irgendwer, offenbar ein Soldat, brüllte: »Halunke, elendiger! Du wirst diesen Dreck mit deiner Zunge auflecken! (Guten Morgen, dachte Rumata) Rrrruhe!… Ich schwöre dir beim Buckel des heiligen Micky, du bringst mich noch ganz aus der Fassung!« Eine andere Stimme, grob und heiser, murrte, man müsse in dieser Gasse genau aufpassen, wo man hinsteige. »In der Früh hat es geregnet, aber gekehrt hat man, na, ihr wißt schon, wann …« – »Er wird mir schon zeigen, wohin man schauen muß …« – »Ihr laßt mich besser los, edler Don, haltet mich nicht am Hemd!« – »Er wird mir schon noch zeigen …« Man hörte ein lautes Klatschen. Offenbar war das schon die zweite Ohrfeige, die erste hatte Rumata geweckt. »Ihr schlagt mich besser nicht mehr, edler Don …«, murrte es unten.

Eine bekannte Stimme. Wer konnte das nur sein? Wahrscheinlich Don Tameo. Ich werde ihn heute dieses chamacharische Ungeziefer zurückgewinnen lassen. Es wäre interessant zu sehen, ob ich es wohl jemals lernen werde, ein gutes Pferd von einem schlechten zu unterscheiden. Allerdings hat sich unsere Familie nie mit Pferden ausgekannt. Dafür sind wir Experten für Kampfkamele. Gut, daß es in Arkanar fast keine Kamele gibt. Rumata streckte sich, daß die Glieder knackten, er tastete am Kopfende nach einer gedrehten seidenen Schnur und zog einige Male daran. Im Innern des Hauses klirrten kleine Glöckchen. Der Bursche gafft natürlich zum Fenster hinunter und bestaunt den Radau. Man könnte ja aufstehen und sich selber ankleiden, aber dann gibt es nur wieder Redereien. Er horchte wieder auf das Geschimpfe unter dem Fenster. Wozu doch die menschliche Zunge fähig ist! Eine ganze unwahrscheinliche Entropie. Wenn Don Tameo sie ihnen bloß nicht abschneidet … In letzter Zeit, dachte Rumata weiter, sind in der Garde ein paar Besserwisser aufgetaucht, die erklären, daß für den edlen Kampf nur ein Schwert existiert, das andere aber verwenden sie nur für Straßenraufereien – und ihren Sorgen schenkt Don Reba wohl etwas zu viel Aufmerksamkeit im schönen Arkanar. Übrigens, Don Tameo zählt nicht zu ihnen. Er ist ein wenig feige, der gute Don Tameo, und ein unverbesserlicher Biertischpolitiker …

Abscheulich, wenn der Tag mit Don Tameo beginnt … Rumata setzte sich auf und umfaßte seine Knie unter der prächtigen, aber geflickten Decke. Es ergreift einen das Gefühl bleierner Hoffnungslosigkeit, man möchte endlos sinnieren und darüber nachdenken, wie wir doch kraftlos sind und klein angesichts der Umstände … Auf der Erde würde uns das nicht im Traum einfallen. Dort sind wir gesunde und selbstsichere Kerle, die eine psychologische Spezialschulung durchgemacht haben und zu allem bereit sind. Und wir haben ja auch prächtige Nerven: Wir bringen es zum Beispiel fertig, uns nicht abzuwenden, wenn man jemanden schlägt oder hinrichtet. Wir verfügen über eine unerhörte Beherrschung: Wir sind fähig, die Ergüsse der hoffnungslosesten Kretins über uns ergehen zu lassen. Wir haben es auch verlernt, uns zu ekeln: Es macht uns nichts aus, wenn man uns eine Schüssel vorsetzt, aus der gewöhnlich die Hunde fressen, und die man anschließend mit einem dreckigen Lappen auswischt. Wir sind auch großartige Schauspieler, sogar in unseren Träumen sprechen wir nicht die Sprachen der Erde. Und wir haben auch eine unüberwindliche Waffe: Die Basistheorie des Feudalismus, ausgearbeitet in stillen Beamtenkammern und Laboratorien, anhand von eifrigen Ausgrabungen und mittels solider Diskussionen …

Nur schade, daß Don Reba keine Ahnung hat von dieser Theorie. Und schade auch, daß die psychologische Spezialschulung von uns abfällt wie sonnenverbrannte Haut, wir stürzen uns in Extreme, wir sind gezwungen, uns einem ständigen geistigen Konditionstraining zu unterwerfen: Beiß die Zähne zusammen und bedenk, daß du ein verkleideter Gott bist, daß sie nicht wissen, was sie tun, und daß fast keiner von ihnen schuldig ist. Und deshalb mußt du Geduld üben und nochmals Geduld … Es stellt sich heraus, daß die Quellen des Humanismus in uns, die uns auf der Erde geradezu unerschöpflich schienen, hier mit schreckenerregender Schnelligkeit austrocknen. Heiliger Micky! Wir waren doch echte Humanisten dort, auf der Erde, Menschenfreunde, und der Humanismus war das Skelett unserer Natur, in unserer Hochachtung vor den Menschen, in unserer Liebe zum Menschen steuerten wir sogar auf den Anthropozentrismus zu – und hier ertappen wir uns plötzlich mit Grauen bei dem Gedanken, daß wir ja nicht wirklich den Menschen liebten, sondern nur den Kommunarden, den Landsmann, der uns ähnlich war … Und immer öfter ertappen wir uns dabei, daß wir überlegen: Ja, sind denn das überhaupt Menschen? Sind sie denn überhaupt fähig, Menschen zu werden, wenigstens im Lauf der Zeit? – Und dann erinnern wir uns an Menschen wie Kyra, Budach, Arata, den Buckligen, oder den unübertrefflichen Baron Pampa, und wir schämen uns – aber das ist ja ebenso ungewohnt und unangenehm, und, was das Allerschlimmste ist, es hilft überhaupt nicht weiter …

Na also gut, dachte Rumata, nichts mehr von dem. Zumindest nicht am frühen Morgen. Und diesen Don Tameo soll der Teufel holen!… Da hat sich Verdruß um Verdruß in der Seele angesammelt, und nirgends kann man ihn loswerden in einer solchen Einsamkeit. Jawohl, die Einsamkeit, die Isolation, das ist es! Wir, so hieß es damals doch, gesunden und selbstsicheren Kerle … haben wir je bedacht, daß wir einmal hier in dieser Einsamkeit würden leben müssen? Aber es glaubt ja doch keiner. Anton, mein Freund, was ist mit dir los? Im Westen von dir befindet sich, nur drei Flugstunden entfernt, Alexander Wassilewitsch, ein guter Mensch und ein kluges Köpfchen; im Osten Paschka, sieben Jahre mit dir auf der Schulbank, ein lustiger und treuer Freund. Du hast bloß einen Augenblick lang den Mut verloren, Anton. Schade natürlich, wir dachten, daß du mehr aushältst, aber wem passiert das nicht? Eine höllische Schinderei das, wir verstehen. So fahr halt schön zur Erde zurück, erhol dich, befaß dich mit der Theorie, und dort wird man dann schon sehen …

Alexander Wassilewitsch ist übrigens ein Dogmatiker reinsten Wassers. Wenn also die Basistheorie die Grauen nicht vorsieht – »während meiner ganzen fünfzehn Jahre Arbeit, mein Teurer, habe ich solche Abweichungen von der Theorie nicht feststellen können …«–, so kann das nichts anders bedeuten, als daß mir von den Grauen träumt. Wenn mir also von ihnen träumt, so bedeutet das nichts anderes, als daß ich überspannt bin und daß man mich zur Erholung schicken muß. – »Nun gut, ich verspreche Ihnen, daß ich den Dingen selber nachgehe und meine Meinung darüber mitteilen werde. Aber inzwischen, Don Rumata, ich bitte Sie, keine Exzesse …« – Und dann ist da Pawel, den ich schon als kleiner Junge Paschka nannte, ein Gelehrter, ein Fachmann, ein Gehirn voll Information. Er stürzte sich Hals über Kopf in die Geschichte zweier Planeten und bewies mit Elan, daß die Bewegung der Grauen das allergewöhnlichste Auftreten des Bürgertums gegen die Barone darstellt. – »Übrigens, in ein paar Tagen werde ich dich kurz aufsuchen. Ehrlich gesagt ist mir nicht ganz wohl, wenn ich an die Geschichte mit Budach denke …« – Schönen Dank auch dafür! Und Schluß damit. Kümmere ich mich halt um Budach, wenn ich schon zu nichts anderem mehr nutz bin.

Der hochgelehrte Doktor Budach. Ein großer Mediziner, mit Leib und Seele Irukaner, der Herzog hätte ihn beinahe geadelt, hat es sich dann aber anders überlegt und ihn einsperren lassen. Der größte Spezialist für Heilung durch Giftdrogen im ganzen Imperium. Der Autor des weithin berühmten Traktats Von denen Graesern und anderen Gewaechsen, selbige auf geheymnisvolle Weyse zu Anlaß und Ursach der Traurygkeit, Freude oder Beruhigung dienen koennen, item ueber Speychel und Saefte derer Kriechthiere, Spinnen und der nacketen Wildsau Y, welche selbige ueber besagte und so mannige andere Eygenschaften verfueget. Ein bemerkenswerter Mensch, zweifelsohne, und eine wahre Geistesgröße, dabei ein überzeugter Humanist und Sonderling, der nie Geld in der Tasche hatte. Sein ganzes Vermögen bestand aus einem Sack voll Bücher. Wer konnte dich also brauchen, Doktor Budach, in einem Land finsterster Unwissenheit, das sich in einem blutigen Sumpf von Verschwörung und Habsucht suhlt?

Nehmen wir an, du lebst und du bist in Arkanar. Es ist natürlich auch nicht ausgeschlossen, daß dich die Barbaren erwischt haben, die in Abständen vom Gebirge her Überfälle unternehmen. In diesem Fall beabsichtigt Don Kondor, sich mit unserem Freund Schumtuletidowodus in Verbindung zu setzen, einem Spezialisten für die Geschichte altertümlicher Kulturen, der zur Zeit als epileptischer Schamane bei dem Häuptling mit dem fünfundvierzigsilbigen Vornamen arbeitet. Wenn du aber trotzdem in Arkanar bist, dann könnten dich zuallererst die Nachtarmeen des Räuberhauptmanns Waga Koleso fangen. Und nicht einmal fangen, sondern einfach nur mitnehmen, denn für sie wäre die größere Beute dein Begleiter, der edle Don, der sein ganzes Vermögen verspielt hat. Aber so oder anders, sie werden dich nicht töten: Waga Koleso ist viel zu geizig dazu.

Genausogut könnte dich auch irgendein Dummkopf von einem Baron ergreifen. Ohne böse Absicht, bloß aus Langeweile und übertriebener Gastfreundschaft. Er will einfach einmal mit einem edlen Gesprächspartner zechen, schickt seine Rotten aus und läßt dich auf das Schloß deines Begleiters schleppen. Und du wirst in der stinkenden Stube sitzen, bis die Dons sich stumpfsinnig getrunken haben und endlich auseinandergehen. In diesem Fall droht dir gar nichts Übles.

Aber da gibt es noch die Überreste der kürzlich zerschlagenen Bauernarmee des Don Ksi und des Pert Poswonotschnik, die sich in der Ortschaft »Faulnest« festgesetzt haben und die jetzt unser lichter Adler, Don Reba selbst, im geheimen ernährt – für den Fall einer allenfalls möglichen Komplikation der Beziehungen zu den Baronen. Diese aber kennen keine Gnade, an sie sollte man lieber gar nicht denken. Dann ist da noch Don Satarina, ein verbissener kaiserlicher Aristokrat, hundertzwei Jahre alt und bereits völlig senil. Er lebt in Familienfehde mit den Herzögen von Irukan und schnappt sich, wenn er gerade wieder einmal lebendig ist, alles, was die irukanische Grenze überquert. Er ist sehr gefährlich, denn unter dem Einfluß der Wirkung von Cholezistit ist er dazu fähig, Befehle auszugeben, daß die Kirchen nicht nachkommen, die Leichen aus seinen Kerkern abzuholen.

Und, schließlich und endlich, die Hauptsache. Nicht weil es das Gefährlichste, sondern weil es das Allerwahrscheinlichste ist. Die graue Patrouille Don Rebas. Die Sturmowiki auf den Hauptwegen. Du konntest ganz zufällig in ihre Hände gefallen sein, Budach, dann aber kannst du nur mehr auf die Schlagfertigkeit und Kaltblütigkeit deines Begleiters hoffen. Was aber, wenn Don Reba höchstpersönlich an dir interessiert ist? Denn Don Reba zeigt manchmal solch unerwartetes Interesse … Seine Spione könnten melden, daß du durch Akanar reist, es wird dir eine Abteilung unter dem Kommando eines dienstbeflissenen Grauen Offiziers entgegengesandt, eines Hofkretins von niederem Rang, und dann sitzt du im steinernen Sack unter dem Turm der Fröhlichkeit … Rumata zog noch einmal ungeduldig an der Schnur. Die Tür des Schlafzimmers öffnete sich mit einem widerlichen Knarren, und herein kam ein magerer, düster blickender Knabe. Sein Name war Uno, und sein Schicksal hätte als Thema für eine Ballade dienen können. Er verneigte sich an der Schwelle und scharrte dabei mit seinen zerfetzten Schuhen, trat an das Bett und setzte auf das Tischchen ein Tablett mit Briefen, Kaffee und einem Stück Rinde zum Kauen, zur Kräftigung der Zähne und zur Reinigung. Rumata warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.

»Sag mir bitte, wirst du vielleicht irgendwann mal die Tür schmieren?«

Der Knabe blickte schweigend zu Boden. Rumata warf die Decke von sich, ließ seine nackten Füße auf den Boden gleiten und langte nach dem Tablett. »Gewaschen heute?« fragte er.

Der Knabe trat von einem Fuß auf den andern und ging dann, ohne zu antworten, durchs Zimmer, um die verstreuten Kleidungsstücke aufzuheben.

»Mir scheint, ich hab dich gefragt, hast du dich heute gewaschen oder nicht?« sagte Rumata, während er den ersten Brief öffnete. »Mit Wasser wäscht man seine Sünden nicht weg«, brummte der Knabe verhalten. »Wozu also, edler Don, wozu soll ich mich waschen?«

»Und was habe ich dir über die Mikroben erzählt?« sagte Rumata. Der Knabe legte die grüne Hose seines Herrn sorgfältig über die Sessellehne und fuhr mit dem Daumen durch die Luft, um die bösen Geister zu verjagen.

»Dreimal des Nachts habe ich gebetet«, sagte er. »Was soll ich denn noch tun?«

»Dummkopf«, sagte Rumata und begann den Brief zu lesen. Es schrieb Dona Okana, ein Hoffräulein, die neue Favoritin Don Rebas. Sie lud ihn ein, noch am selben Abend zu ihr, der »zärtlich Schmachtenden«, zu kommen. Im Postskriptum stand mit einfachen, aber deutlichen Worten geschrieben, was sie sich wirklich von dieser Begegnung erwartete. Rumata konnte sich nicht beherrschen, er lief rot an. Mit einem raschen Seitenblick auf den Knaben murmelte er: »Also, wirklich, das …« Das sollte man sich überlegen. Hinzugehen war widerlich; nicht hinzugehen aber dumm – Dona Okana wußte viel. Mit einem Zug trank er den Kaffee aus und steckte sich die Kaurinde in den Mund.

Das nächste Kuvert war aus festem Papier, das Siegel beschädigt. Es war offensichtlich, daß man den Brief geöffnet hatte. Er stammte von Don Ripat, einem skrupellosen Karrieristen, einem Leutnant der Grauen Rotte, der nach dem werten Wohlergehen fragte, seine Überzeugung vom Sieg der Grauen Sache zum Ausdruck brachte und bat, die Zahlung seiner Schuld aufzuschieben, indem er auf die widrigen Umstände hinwies. »Gut, schon gut …«, brummte Rumata vor sich hin und legte den Brief weg, faßte dann noch einmal das Kuvert und betrachtete es mit Interesse. Ja, sorgfältiger arbeiten sie jetzt. Merklich sorgfältiger.

Der dritte Brief enthielt eine Aufforderung zum Duell wegen einer Dona Pifa, man erklärte sich aber bereit, die Forderung zurückzuziehen, falls Don Rumata geneigt sei, Zeugnis abzulegen, daß er, der edle Don Rumata, auf Dona Pifa keine Ansprüche erhebe und niemals erhoben habe. Der Brief war von der üblichen Sorte: Den Grundtext hatte ein Kalligraph geschrieben, und in die freigelassenen Stellen waren – ungelenk und mit grammatischen Fehlern – die Namen und Fristen eingesetzt worden.

Rumata ließ den Brief fallen und kratzte seine linke Hand, die von den Mücken ganz zerbissen war. »Na, bring mir das Waschzeug!« befahl er.

Der Knabe verschwand hinter der Tür und kehrte gleich darauf mit einem hölzernen Waschgefäß zurück. Er schleifte den Zuber hinter sich her und wackelte dabei mit dem Hintern. Dann lief er noch einmal durch die Tür und zog einen leeren Kübel mit einer Schöpfkelle herein.

Rumata sprang schließlich auf den Boden, zog sich das kunstvoll bestickte alte Nachthemd über den Kopf und riß mit Klirren die Schwerter aus ihrer Scheide über dem Kopfende des Betts. Der Knabe duckte sich vorsichtshalber hinter einen Stuhl. Nachdem er zehn Minuten Attacke und Verteidigung geübt hatte, lehnte er die Schwerter gegen die Wand, beugte sich über den leeren Holzzuber und befahl: »Das Wasser!« Ohne Seife war es zwar recht elend, aber Rumata hatte sich schon daran gewöhnt. Der Knabe goß Kelle für Kelle über seinen Rücken, den Hals und den Kopf und murmelte dabei in einem fort: »Überall halten sie’s wie bei Menschen sonst, nur bei uns gibt es solche Spitzfindigkeiten. Wo hat man so etwas schon gesehen, sich mit zwei Eimern zu waschen? Jeden Tag ein frisches Handtuch … Und er selbst springt in aller Früh, nackt und ohne vorher gebetet zu haben, mit zwei Schwertern herum …« Während er sich kräftig frottierte, sagte Rumata mit erzieherischem Ton in der Stimme:

»Ich bin ein Mitglied des Hofes und nicht irgendein lausiger Baron. Ein Höfling muß immer sauber sein und wohlriechend.«

»Seine Königliche Hoheit wird aber kaum an Ihnen riechen«, entgegnete der Knabe. »Und jeder weiß, daß seine Hoheit Tag und Nacht beten, für uns Sünder. Und dann Don Reba, der wäscht sich doch überhaupt nie. Das habe ich selbst gehört, aus erster Hand, sein Lakai hat es mir selber gesagt.«

»Schon gut, brumm nicht«, sagte Rumata und zog sein Nylonunterleibchen über. Der Knabe blickte mit Unbehagen auf dieses Unterhemd. Seit langem schon kursierten darüber gewisse Gerüchte in der Dienerschaft von Arkanar. Aber Rumata konnte nichts dagegen tun, einfach aus allzu natürlichen Gründen der männlichen Mentalität. Als er seine Unterhose anzog, drehte der Knabe ruckartig den Kopf weg und machte mit den Lippen eine Bewegung. als wolle er den Unreinen verscheuchen.

Es wäre aber trotzdem ganz gut, hier Unterwäsche in Mode zu bringen, dachte Rumata. Doch solche Neuerungen waren naturgemäß nur mit Hilfe der Frauen durchzuführen, und er zeichnete sich unglückseligerweise auch auf diesem Gebiet durch – für einen Spion eigentlich unstatthaft hohe – Ansprüche aus. Für einen Kavalier und Mann von Welt, wie er es war, für einen große Kenner der Hofetikette und für jemanden, den man in die Provinz schickte, um dort Duelle in Sachen Liebe auszufechten, gehörte es sich einfach, mindestens zwanzig Geliebte zu haben. Rumata unternahm heroische Anstrengungen, sein Renommee aufrechtzuerhalten. Die halbe Belegschaft seiner Agentur verbreitete, anstatt sich mit ernsteren Dingen zu befassen, die abscheulichsten Gerüchte, welche dazu angetan waren, den Neid und das Entzücken der Jünglinge aus der arkanarischen Garde zu erwecken. Dutzende entzückt-enttäuschter Damen, bei denen sich Rumata – absichtlich Gedichte rezitierend – bis in die späte Nacht hinein aufhielt (dritte Nachtwache: brüderlicher Kuß auf die Wange der Damen und Sprung über den Balkon – in die Arme des Kommandeurs der Wache, eines ihm gut bekannten Offiziers), übertrumpften einander in Erzählungen über den wahrhaften Stil eines echten Kavaliers aus der Hauptstadt. Auf dieser Linie arbeitete Rumata nur mit der Eitelkeit jener bis zur Widerlichkeit ausschweifenden Weiber … Doch das Problem der Unterwäsche wurde dabei nicht berührt …

Wieviel einfacher war es da doch mit den Taschentüchern! Gleich beim ersten Ball zog er mit Schwung aus seiner Westentasche ein elegantes Seidentüchlein und trocknete sich damit die Lippen. Und schon beim nächsten Ball trockneten sich die mannhaften Jünglinge aus der Garde ihre schweißtriefenden Gesichter mit großen und kleinen Stücken Stoff verschiedener Farbe, bunt bestickt und mit Monogrammen. Und innerhalb eines Monats tauchten die Salonlöwen auf und trugen über der abgewinkelten Hand ganze Leintücher, deren Enden sie elegant am Boden nachschleiften … Rumata zog seine grüne Hose und ein weißes Batisthemd mit zurückgebügeltem Kragen an. »Hat sich jemand melden lassen?« fragte er.

»Der Barbier wartet«, sagte der Knabe. »Und außerdem sitzen zwei Dons im Salon, Don Tameo mit Don Sera. Sie ließen sich Wein bringen und streiten bis aufs Messer. Sie erwarten Euch zum Frühstück.«

»Geh und ruf den Barbier. Den edlen Dons sag, daß ich gleich komme. Aber rede nicht grob zu ihnen, verstehst du, immer schön höflich …«

Das Frühstück war nicht sehr opulent und ließ Platz für ein baldiges Mittagessen. Man servierte einen stark gewürzten Braten und in Essig eingelegte Hundeohren. Man trank irukanischen Schaumwein, den dickflüssigen braunen estorischen und weißen soanischen. Während er mit großer Geschicklichkeit unter Benutzung von zwei Dolchen eine Hammelkeule zerlegte, beschwerte sich Don Tameo über die anmaßende Frechheit der niederen Schichten. »Ich werde an allerhöchster Stelle Beschwerde einbringen«, erklärte er. »Der Adel fordert, daß es dem Bauern- und Handwerkergesindel untersagt wird, sich auf öffentlichen Plätzen und auf der Straße blicken zu lassen. Sollen sie über die Höfe und Hintereingänge gehen. In solchen Fällen aber, wo das Erscheinen eines Bauern auf der Straße unausweichlich erscheint, wenn sie zum Beispiel Brot, Fleisch oder Wein liefern, so sollen sie sich eine besondere Bewilligung vom >Ministerium zum Schutz der Krone< holen.« – »Ein gescheiter Kopf!« sagte Don Sera ganz entzückt und versprühte dabei Speichel und Fleischsaft. »Aber gestern abend bei Hof …« Und er erzählte die letzten Neuigkeiten. Die neue Leidenschaft Don Rebas, das Hoffräulein Okana, tappte unvorsichtigerweise dem König auf seinen kranken Fuß. Seine Hoheit gerieten in Zorn, und, zu Don Reba gewandt, befahlen sie, die Verbrecherin beispielhaft zu bestrafen. Worauf Don Reba, ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete: »Wird ausgeführt, Eure Hoheit. Noch heute nacht!« – »Ich hab so lachen müssen«, sagte Don Sera und verdrehte dabei den Kopf, »daß mir zwei Knöpfe von meiner Weste gesprungen sind …« Protoplasma, dachte Rumata. Einfach fressendes und sich vermehrendes Protoplasma.

»Ja, edle Dons«, sagte er. »Don Reba ist wirklich ein sehr, sehr kluger Mensch …«

»Oho, oho!« sagte Don Sera. »Was denn! Er ist eine geistige Leuchte …!«

»Ein hervorragender Staatsmann«, sagte Don Tameo wissend und mit Gefühl.

»Jetzt scheint es sogar seltsam, wenn man sich erinnert«, fuhr Rumata freundlich lächelnd fort, »was man noch vor einem Jahr alles über ihn erzählt hat. Erinnern Sie sich, Don Tameo, wie witzig Sie sich über seine krummen Beine auszudrücken beliebten?« Don Tameo verschluckte sich beinahe und stürzte mit einem Zug ein Glas Irukanischen hinunter.

»Ich kann mich nicht erinnern«, brummte er. »Und überhaupt, was bin ich denn für ein Witzbold …«

»Aber ja, erinnern Sie sich doch«, sagte Don Sera und wiegte vorwurfsvoll den Kopf.

»Wahrhaftig!« rief Don Rumata. »Sie waren doch dabei bei diesem Gespräch, Don Sera! Ich erinnere mich noch ganz genau, Sie haben noch so gelacht über die witzigen Einfälle Don Tameos, daß Ihnen irgendwas von Ihrer Toilette weggeflogen ist.«

Don Sera lief rot und blau an und begann sich langwierig und schiefzüngig zu rechtfertigen: natürlich log er die ganze Zeit. Don Tameos Gesicht hatte sich verdüstert. Er ließ völlig die Nase hängen. Er widmete sich nun ganz dem starken Estorischen, und weil er, wie er sich ausdrückte, »am vorgestrigen Morgen begonnen, sich also bis zu dieser Stunde nicht Einhalt gebieten konnte«, so mußte man ihn, als sie aufbrachen, von beiden Seiten stützen. Der Tag war sonnig und freundlich. Das einfache Volk stand auf den Straßen herum und gaffte, ob es etwas zu gaffen gäbe, kleine Buben pfiffen und kreischten und bewarfen sich gegenseitig mit Dreck, in den Fenstern hingen hübsch zurechtgemachte Bürgerinnen mit Häubchen auf dem Kopf, kecke Dienstmädchen warfen schüchtern blitzende Blicke aus feuchten Augen, und die allgemeine Stimmung begann sich etwas zu heben. Don Sera hob mit viel Geschick einen Bauern aus dem Stand, und vor lauter Lachen traf ihn beinahe der Schlag, als er zusah, wie sich der Bauer in einer Pfütze wälzte. Don Tameo bemerkte plötzlich, daß er seinen Fes mit den Schwertern verkehrt aufgesetzt hatte, brüllte: »Halt, stehenbleiben!«, und begann sich auf der Stelle zu drehen, indem er versuchte, sich unter dem Fes umzudrehen. Don Sera sprang wieder irgend etwas von der Weste weg. Rumata faßte ein vorübereilendes Dienstmädchen an ihrem rosaroten Ohr und bat sie, Don Tameos Kopfschmuck wieder in Ordnung zu bringen. Rings um die edlen Dons sammelte sich sofort eine Menge Gaffer, die dem Mädchen eifrig gute Ratschläge erteilten, worauf sie gleich hochrot wurde, und von der Weste Don Seras sprangen nacheinander Schnallen, Knöpfe und Verschlüsse weg. Als sie endlich weitergingen, nahm sich Don Tameo ein Herz und verfaßte in aller Öffentlichkeit eine Ergänzung zu seiner Beschwerde, worin er auf die Notwendigkeit der »Fernhaltung hübscher Personen weiblichen Geschlechts von den Bauern und dem einfachen Volk« hinwies.

Und dann verstellte ihnen eine Fuhre mit Töpfen den Weg. Don Sera entblößte beide Schwerter und erklärte, daß es edlen Dons nicht gezieme, um irgendwelche Töpfe einen Umweg zu machen, und er werde sich schon einen Weg bahnen, geradewegs durch die Fuhre hindurch. Aber während er noch mit dem Zielen beschäftigt war und zu unterscheiden suchte, wo die Hauswand aufhörte und die Töpfe begannen, griff Rumata in die Speichen und drehte die Fuhre zur Seite, so daß der Weg frei wurde. Die Gaffer, die dem Geschehen mit Entzücken gefolgt waren, riefen Rumata ein dreimaliges »Hurra!« zu. Die edlen Dons wollten schon weitergehen, als sich im zweiten Stockwerk ein graublauer, dicker Kaufmannskopf herausreckte und über die Rüpelhaftigkeit der Höflinge loszulegen begann, gegen welche »unser lichter Adler, Don Reba, schon bald ein Kräutlein finden« werde. So mußte man eben noch einmal stehenbleiben und diese ganze Fuhre Töpfe in jenes Fenster transferieren. In den letzten Topf warf Rumata zwei Goldstücke mit dem Profil Pitz VI. und gab ihn dem wie versteinerten Besitzer der Fuhre.

»Wieviel haben Sie ihm gegeben?« fragte Don Tameo, als sie weitergingen.

»Nicht der Rede wert«, antwortete Rumata achselzuckend. »Zwei Goldstücke.«

»Beim Buckel des heiligen Micky!« entrang es sich Don Tameo. »Sie haben Geld! Wollen Sie, dann verkauf ich Ihnen meinen Chamacharischen Hengst!«

»Ich werde Ihnen den Hengst lieber beim Knochenspiel abgewinnen«, sagte Rumata.

»Einverstanden!« rief Don Sera und blieb stehen. »Warum spielen wir nicht Knochen?«

»Gleich hier?« fragte Rumata.

»Warum nicht?« fragte Don Sera. »Ich sehe nicht ein, warum drei edle Dons nicht Knochen spielen können, wo es ihnen gerade einfällt!«

Dann fiel Don Tameo plötzlich der Länge nach hin. Don Sera stolperte über seine Füße und kam auch zu Fall.

»Ich habe ganz vergessen«, sagte er, »wir müssen doch jetzt zum Wachdienst.«

Rumata zerrte die beiden wieder hoch und stützte beim Weitergehen jeden mit einem Arm. Vor dem riesigen düsteren Haus Don Satarinas hielt er an.

»Sollten wir nicht den alten Don aufsuchen?« sagte er. »Ich sehe überhaupt nicht ein, warum drei edle Dons nicht Don Satarina besuchen sollten …«, sagte Don Sera.

Don Tameo öffnete die Augen.

»In den Diensten des Königs«, brachte er irgendwie hervor, »müssen wir allezeit in die Zukunft blicken. D-d-d-on Satarina – das ist eine überholte Etappe. Vorwärts, edle Dons! Ich muß auf meinen Posten …«

»Vorwärts!« stimmte Rumata ein.

Don Tameo ließ seinen Kopf wieder auf die Brust fallen und wachte kein zweitesmal mehr auf. Don Sera knackte mit seinen Fingergelenken und erzählte von seinen stets erfolgreichen Liebesabenteuern. So kamen sie zum Palast. In der Wachabteilung legte Rumata Don Tameo erleichtert auf eine Bank, Don Sera aber setzte sich an den Tisch, schob mit einer nachlässigen Handbewegung ein Paket vom König unterzeichneter Ordern weg und erklärte, daß es nun endlich Zeit sei, ein Glas kalten Irukanischen zu trinken. Der Hausherr soll nur ein Fäßchen hereinrollen, schaffte er an, und diese alten Weiber (er wies in Richtung auf die wachhabenden Gardeoffiziere, die an einem anderen Tisch Karten spielten) sollen herkommen. Der Befehlshaber der Wache, ein Leutnant der Garderotte, kam. Er betrachtete Don Tameo lange Zeit und danach Don Sera. Und als sich Don Sera bei ihm erkundigte: »Warum verwelken alle Blumen in meines Horts geheimer Einsamkeit …«, da entschied er, es würde zu nichts führen, wenn er sie gleich auf ihren Posten schickte. Sollten sie inzwischen da liegenbleiben. Rumata gewann dem Leutnant einen Taler ab und unterhielt sich mit ihm über die neuen Uniformschleifen und über die Verfahren, ein Schwert zu schärfen. Er sagte dann auch, daß er Don Satarina aufsuchen wolle, der noch über die alten Schleifgeräte verfüge. Er war aber sehr bekümmert, als er erfuhr, daß der ehrenwerte Magnat nun anscheinend endgültig den Verstand verloren hatte: Vor einem Monat habe er seine Gefangenen freigelassen, seine Leibwache aufgelöst und sein reichhaltiges Arsenal an Folterwerkzeugen dem Staat übergeben. Der hundertzweijährige Greis erklärte, er beabsichtige nun, den Rest seines Lebens guten Taten zu widmen. Er werde es wahrscheinlich jetzt nicht mehr lange machen. Nachdem er sich von dem Leutnant verabschiedet hatte, verließ Rumata den Palast und schlenderte in Richtung Hafen. Er mußte den Pfützen ausweichen und über tiefe, mit grünbraunem Wasser gefüllte Radfurchen springen, er stieß ohne viele Umstände die herumstehenden Gaffer auseinander, zwinkerte den Mädchen zu, auf die sein Äußeres offenbar unerhörten Eindruck machte, verneigte sich vor den Damen, die man in Sänften vorbeitrug, grüßte mit freundlicher Miene seine Bekannten vom Hof und übersah absichtlich die Grauen Sturmowiki.

Rumata machte einen kleinen Umweg, um einen Blick in die Patriotische Schule zu werfen. Diese Schule war zwei Jahre zuvor durch die persönliche Unterstützung Don Rebas gegründet worden, und zwar zur Ausbildung von Halbwüchsigen aus dem Kleinbürger- und Kaufmannsstand für militärische und administrative Kader. Der Bau war aus Stein, ohne Säulen und Verzierungen, er hatte dicke Mauern mit engen, schießschartenähnlichen Fenstern, und links und rechts vom Haupteingang waren zwei halbrunde Türme. Wenn es notwendig war, konnte man sich dort schon eine Zeitlang verteidigen.

Über eine enge Wendeltreppe stieg Rumata in den ersten Stock, seine Sporen klirrten auf dem Steinboden. An den Klassenzimmern vorbei führte ihn sein Weg zur Kanzlei des Schulprokurators. Aus den Zimmern drang ein einheitliches Gebrumm von Stimmen, Antworten im Chor. »Was ist der König? – Eine erhabene Größe. Was sind die Minister? – Treu und ohne Widerspruch …« – »… und Gott, unser Schöpfer, sagte: Ich verfluche. – Und er verfluchte …« – »… und wenn zwei Hornstöße ertönen, in Zweiergruppen kettenförmig auseinanderlaufen, die Lanzen stoßbereit halten …« – »… wenn aber der Gefolterte das Bewußtsein verliert, ist die Folterung unverzüglich abzubrechen …«

Die Schule, dachte Rumata. Die Brutstätte der Weisheit. Die Stütze der Kultur …

Ohne zu klopfen, stieß er die niedere Tür ins Gewölbe auf und trat in die Kanzlei: sie war finster und eisig wie eine Gruft. Hinter einem ungeheuren massiven Schreibtisch, der mit Papieren und Prügelstöcken übersät war, sprang ein langer, eckiger Mann auf. In seinem kahlen Kopf saßen ein paar tiefliegende Augen, an seiner enggeschnürten grauen Uniform prangten die Epauletten des Sicherheitsministeriums. Das war der Prokurator der Patriotischen Schule, der hochgelehrte Vater Kin, ein Sadist und Mörder, gleichzeitig Mönch, der Autor des Tractates über Denuntiationen, womit er das persönliche Interesse Don Rebas erweckt hatte.

»Nun, wie steht Seine Sache?« fragte Rumata mit einem wohlgefälligen Lächeln. »Ja, diese Schriftkundigen … Die einen schlachten wir, und die andern unterrichten wir, wie?« Vater Kin lachte schiefmäulig.

»Nicht jeder Schriftkundige ist ein Feind der Krone«, sagte er. »Des Königs Feinde sind vielmehr die schriftkundigen Träumer, Zweifler und illoyalen Dissidenten! Wir aber haben uns hier zur Aufgabe gesetzt …«

»Gut, schon gut«, sagte Rumata. »Ich glaube Ihm schon. Was schreibt Er Neues? Seinen Traktat habe ich gelesen – ein nützliches Buch, aber dumm. Wie kommt Er auf solche Ideen? Das ist nicht gut, mein Lieber … Prokurator, wie …?«

»Nicht der Klugheit oder des Verstandes will ich mich rühmen«, antwortete Vater Kin mit Würde. »Das einzige, wonach ich strebe, ist der staatliche Nutzen. Wir brauchen keine Gescheiten. Treue brauchen wir. Und wir …«

»Gut, schon gut«, sagte Rumata. »Einverstanden. Also schreibt Er etwas Neues, oder nicht?«

»Demnächst werde ich dem Minister einen Entwurf des Neuen Staates zur Durchsicht übergeben. Als Vorbild nehme ich dafür das >Reich des Heiligen Ordens<.«

»Was fällt Ihm ein!« wunderte sich Rumata. »Will Er uns alle in die Kutte stecken?«

Vater Kin preßte die Handflächen gegeneinander und neigte sich stark nach vorn.

»Gestattet mir, einmal klarzustellen, edler Don«, sagte er hitzig und leckte seine Lippen, »der Kern der Sache liegt ganz woanders. Der Kern der Sache liegt in den Grundpfeilern des Neuen Staates. Die Grundpfeiler sind ganz einfach, es gibt ihrer nur drei: Blinder Glaube an die Unfehlbarkeit der Gesetze; widerspruchslose Unterwerfung unter selbige; und schließlich die nimmermüde Beobachtung eines jeden durch jeden.«

»Hm«, sagte Rumata. »Und wozu?«

»Was wozu?«

»Dumm ist Er ja trotzdem«, sagte Rumata. »Schon gut, ich glaube Ihm. Also, was wollte ich eigentlich …? Ach ja. Morgen nimmt Er zwei neue Lehrer auf. Vater Tarra, ein ehrwürdiger Greis, befaßt sich mit dieser … Kosmographie, und Bruder Nanin, auch ein ehrenwerter Mensch, Hauptfach Geschichte. Das sind meine Leute, und behandle Er sie mir ordentlich! Da, mein Unterpfand.« Er warf einen klirrenden Lederbeutel auf den Tisch. »Das ist für Ihn, fünf Goldstücke … Alles verstanden?«

»Ja, edler Don«, sagte Vater Kin demütig. Rumata gähnte und blickte um sich.

»Na also gut, daß Er wenigstens das verstanden hat«, sagte er. »Mein Vater liebte aus irgendeinem Grund diese Menschen sehr und trug mir auf, ihr Leben angenehm zu gestalten. Erklär Er mir doch, Er gelehrter Mann, woher kommt bei einem solch hochedlen Don eine derartige Neigung für die Wissenschaft?«

»Irgendwelche besonderen Verdienste vielleicht?« vermutete Vater Kin.

»Was quakt Er da?« fragte Rumata argwöhnisch. »Aber warum nicht? Ja, vielleicht … Da ist eine schöne Tochter, oder eine Schwester … Wein hat Er natürlich keinen hier, was?« Vater Kin machte eine schuldbewußte Handbewegung. Rumata nahm eines der herumliegenden Papiere vom Schreibtisch und hielt es eine Zeitlang ans Licht.

»Verteidigungsgürtel Ausbruch …«, las er. »Ach, Ihr Schlauköpfchen!«

Er ließ das Blatt Papier zu Boden fallen und erhob sich. »Seh Er zu, daß Seine gelehrte Brut die beiden nicht beleidigt. Ich werde sie irgendwann einmal hier besuchen, und wenn ich erfahre …« Er hielt Vater Kin die Faust unter die Nase. »Na schön, ist schon gut. Keine Angst, ich werde schon nicht …«

Vater Kin kicherte ehrfürchtig. Rumata nickte ihm zu und ging zur Tür hinaus, wobei er mit seinen Sporen den Fußboden zerkratzte. Auf der Straße der Übergroßen Dankbarkeit ging er in eine Waffenhandlung und kaufte neue Ringe für seine Schwertscheide. Er probierte einige Dolche, schleuderte sie gegen die Wand und maß sie in der Hand, fand aber an keinem Gefallen. Dann setzte er sich aufs Ladenpult und plauderte mit dem Inhaber, einem gewissen Vater Hauk. Vater Hauk hatte gutmütige, traurige Augen und kleine, blutleere Hände, die mit Tintenklecksen übersät waren. Rumata unterhielt sich ein wenig mit ihm über die Vorzüge der Gedichte Zurens, lauschte einem interessanten Kommentar zu dem Vers Wie Blattgewelk drückt es die Seele … und bat um etwas Neues zum Lesen. Bevor er ging, seufzte er zusammen mit dem Autor über die unaussprechlich traurigen Strophen und deklamierte Sein oder Nichtsein in seiner irukanischen Übersetzung. »Heiliger Micky!« rief Vater Hauk hellauf begeistert. »Wer schreibt solche Verse?«

»Ich«, sagte Rumata und verließ den Laden.

Er ging in die Schenke Zur grauen Freude, trank ein Glas irukanischen Säuerling, tätschelte der Wirtin die Wange, warf mit einem geschickten Schwertstoß den Tisch eines staatlichen Spitzels um, der ihn aus leeren Augen anstarrte, ging dann weiter in einen entlegenen Winkel und machte dort einen zerlumpten bärtigen Mann ausfindig, der ein Tintenfaß um den Hals hängen hatte. »Guten Tag, Bruder Nanin«, sagte er. »Wie viele Petitionen hast du denn heute geschrieben?«

Bruder Nanin lächelte verlegen und zeigte seine kleinen, schlechten Zähne.

»Heutzutage schreibt man wenig Petitionen, edler Don«, antwortete er. »Die einen glauben, daß das Bitten keinen Sinn hat. Und die andern rechnen damit, daß sie in allernächster Zeit auch ohne Bitten zugreifen können.«

Rumata neigte sich zu seinem Ohr und berichtete ihm, daß die Sache mit der Patriotischen Schule in Ordnung gehe. »Da hast du zwei Goldstücke«, sagte er zum Schluß. »Zieh dich anständig an und bring dich in Ordnung. Und wäge deine Worte … Zumindest die ersten Tage. Vater Kin, der Prokurator, ist ein gefährlicher Mensch.«

»Ich werde ihm meinen Traktat über Gerüchte vorlesen«, sagte Bruder Nanin heiter. »Ich danke Euch, edler Don.«

»Was tut man nicht alles zum Angedenken seines Vaters«, sagte Rumata. »Jetzt aber sag mir, wo ich Vater Tarra finde.« Bruder Nanins Lächeln verschwand plötzlich, und er begann nervös zu zwinkern. »Gestern war hier eine Rauferei«, sagte er. »Und Vater Tarra hat beim Trinken ein wenig über die Schnur gehauen. Und dann, er hat doch rote Haare … Sie haben ihm eine Rippe gebrochen.« Rumata gurgelte vor Ärger.

»Da habt ihr’s!« sagte er. »Und warum trinkt ihr so viel?«

»Manchmal ist es schwer, sich zu beherrschen«, sagte Bruder Nanin traurig.

»Das ist wahr«, sagte Rumata. »Na, da hast du noch zwei Goldstücke, und nimm dich seiner an!«

Bruder Nanin verbeugte sich tief und wollte seine Hand küssen. Rumata trat einen Schritt zurück.

»Na, na«, sagte er, »du hast schon bessere Späße gemacht, Bruder Nanin. Leb wohl!«

Im Hafen roch es wie sonst nirgends in Arkanar. Es roch nach Salzwasser und faulem Algenschlamm, nach Gewürzen, Teer, Rauch und verdorbenem Pökelfleisch, und aus den Tavernen drang ein ekelhafter Qualm von gekochtem Fisch und sauergewordenem Hausbier. In der schwülen Luft hing ein dichtes vielsprachiges Gefluche. An den Piers, in den engen Gängen zwischen den Lagerhäusern und um die Tavernen drängten sich Tausende Menschen, die alle irgendwie merkwürdig aussahen: heruntergekommene Matrosen, aufgeblasene Kaufleute, Fischer mit düsteren Mienen, Sklavenhändler, Mädchenhändler, fettgeschminkte Huren, betrunkene Soldaten, undefinierbare Gestalten, von Kopf bis Fuß mit Waffen behängt, und phantastische Vagabunden in zerlumpten Kleidern mit goldenen Reifen um die schmutzigen Handgelenke. Und alle waren erregt und übellaunig. Nach einem Erlaß Don Rebas konnte nun schon den dritten Tag kein Schiff, ja nicht einmal ein Kahn den Hafen verlassen.

An den Anlegestellen spielten die grauen Sturmowiki mit ihren rostigen Metzgerbeilen. Sie spuckten ins Wasser und bedachten die Menge mit frechen und schadenfreudigen Blicken. Auf den festgehaltenen Schiffen hockten in Gruppen zu fünft und zu sechst breitknochige kupferhäutige Männer in umgestülpten Pelzen und Kupferkappen: es waren angeheuerte Barbarensöldner. Sie taugten zwar im Nahkampf nichts, auf Entfernung aber, ebenso wie jetzt, waren sie mit ihren Blasrohren und den vergifteten Pfeilen sehr gefährlich. Aus der Ferne aber ragten die schwarzen Masten der Kriegsgaleeren der königlichen Flotte drohend zum Himmel. Von Zeit zu Zeit stießen sie feurigrote Rauchschwaden aus, die immer einen Fleck des Meeres in Brand setzten: man entzündete Öl zur Einschüchterung der wartenden Menge.

Rumata ging an der Zollkanzlei vorbei, wo vor verschlossenen Türen die Kapitäne vergeblich auf ihre Ausfahrtgenehmigung warteten, er schlug sich durch eine plärrende Menge, welche mit allem handelte, was ihnen gerade in die Hände fiel – von Sklavinnen und schwarzen Perlen bis zu Narkotika und dressierten Spinnen –, ging dann zu den Piers hinaus, warf einen raschen Seitenblick auf die öffentlich zur Schau gestellten Leichen in Matrosenuniform, die in der prallen Sonne schon völlig aufgedunsen waren, beschrieb einen Bogen entlang eines mit Gerümpel und Unrat übersäten Platzes und tauchte endlich in einer der übelriechenden Hafengassen unter. Hier wurde es ruhiger. In den Türen ärmlicher Spelunken dösten halbnackte Huren, an einer Straßenkreuzung lag ein volltrunkener Soldat mit eingeschlagener Nase und nach außen gestülpten Taschen, und die Wände entlang schlichen verdächtige Figuren mit bleichen Nachtgesichtern.

Rumata war hier zum erstenmal bei Tag, und anfangs wunderte er sich, daß er kein Aufsehen erregte. Die Leute, denen er begegnete, sahen mit ihren wäßrigen Augen entweder an ihm vorbei oder auch durch ihn hindurch, obwohl sie beiseite traten und ihm aus dem Weg gingen. Als er aber um eine Ecke bog und sich unvermittelt umwandte, konnte er gerade noch sehen, wie an die zwanzig verschiedenartige Köpfe, männliche und weibliche, zerzauste und kahle, augenblicklich in Türen, Fenstern und Verschlagen verschwanden. Da übertrug sich auf ihn die seltsame Atmosphäre dieser ekelerregenden Gegend, eine Atmosphäre nicht so sehr von Feindseligkeit oder Gefahr, sondern von einem unguten, habsüchtigen Interesse.

Er stieß mit der Schulter die Tür auf und betrat eine der Spelunken. Im halbdunklen Gastzimmer schlummerte hinter dem Schanktisch ein alter Mann mit einer unerhört langen Nase und dem Gesicht einer Mumie. Es waren keine Gäste da. Rumata trat unhörbar an den Schanktisch und zielte schon einen Knipser auf die lange Nase des Alten, als er plötzlich bemerkte, daß der schlafende Alte überhaupt nicht schlief, sondern ihn durch seine nackten, zusammengekniffenen Lider aufmerksam beobachtete. Rumata warf ein Silberstück auf das Pult, und die Augen des Alten öffneten sich gleich wie auf Knopfdruck.

»Womit darf ich dem edlen Don dienen?« erkundigte er sich geschäftig. »Etwas zum Beißen? Zum Riechen? Oder ein Mädchen?«

»Stell dich nicht dumm«, sagte Rumata, »du weißt genau, wozu ich hierher komme.«

»Eh-ehe! Das wird doch nicht der edle Don Rumata sein!« rief mit ungewöhnlicher Verwunderung der alte Mann. »Ich schau so vor mich hin … Da plötzlich, irgendwie ein bekanntes Gesicht …« Nach dieser langen Rede ließ der alte Mann wieder seine Lider sinken. Alles war klar. Rumata ging um den Schanktisch herum und kroch durch eine enge Tür in das Nachbarzimmer. In dem dunklen Raum war wenig Platz, und es roch penetrant nach saurem Bier. In der Mitte des Raumes stand hinter einem hohen Pult ein älterer Mann. Sein von Falten durchfurchtes Gesicht war über einen Stoß Papiere gebeugt, auf dem Kopf saß eine schwarze flache Kappe. Auf dem Pult flackerte eine schwache Ölfunzel, und in ihrem Dämmerlicht sah man nur die Gesichter der Männer, die unbeweglich an der Wand saßen. Auf seine Schwerter gestützt, ertastete sich Rumata einen Schemel an der Wand und setzte sich. Hier herrschten eigene Gesetze und eine eigene Etikette. Keiner der Anwesenden schenkte dem Hereingekommenen die geringste Aufmerksamkeit: Kommt ein Mensch herein, dann gehört es sich eben so, wenn es sich aber nicht so gehört, so zwinkert man nur einmal mit dem Auge, und der Mensch ist verschwunden. Man wird ihn dann auf der ganzen Welt vergeblich suchen … Der runzelige Alte kratzte eifrig mit seiner Feder, die Leute an der Wand verharrten unbeweglich. Von Zeit zu Zeit ließ der eine oder der andere von ihnen ein langgezogenes Seufzen hören. An den Wänden liefen, leichtbeinig und leise tappend, unsichtbare Molche hin und her, die nach Fliegen schnappten.

Die unbeweglichen Männer an der Wand waren die Anführer von Banden. Einige von ihnen kannte Rumata schon seit langem vom Sehen. An und für sich waren diese stumpfen Tiere nicht viel wert.

Ihre Psyche war nicht komplizierter als die eines mittleren Krämers. Sie waren dumm, brutal und konnten gut mit Messern und kurzen Knüppeln umgehen. Aber da war auch noch der Mann am Pult … Sie nannten ihn Waga Koleso, und er war allmächtig, kannte keinen Konkurrenten, der ihm seine Stelle als Oberhaupt aller verbrecherischen Kräfte des ganzen Landes streitig gemacht hätte – von den pitanischen Sümpfen im Westen Irukans bis hin zur Seegrenze der Handelsrepublik Soan. Von allen drei offiziellen Kirchen des Imperiums war er verflucht wegen ungebührlicher Hochmütigkeit, denn er behauptete, der jüngere Bruder des regierenden Fürsten zu sein. Er verfügte über eine ständige nächtliche Armee, deren durchschnittliche Stärke an die zehntausend Mann waren, hatte einige hunderttausend Goldstücke in seinen Truhen, und seine Agenten drangen bis in das Allerheiligste des Staatsapparates ein. In den letzten zwanzig Jahren hatte man ihn viermal hingerichtet, jedesmal im Beisein einer großen Volksmenge. Nach einer offiziellen Version schmachtete er jetzt gleichzeitig in drei der düstersten Verliese des Reiches, Don Reba aber hatte nicht zum erstenmal Befehle erlassen, »betreffend die aufrührerische Verbreitung von Legenden durch Staatsverbrecher und andere böswillige Personen über einen sogenannten Waga Koleso, der in Wirklichkeit gar nicht existiert und daher in den Bereich der Legende gehört«.

Gewissen Gerüchten zufolge berief eben dieser Don Reba einige Barone, welche über eine starke Rotte verfügten, zu sich und setzte ihnen eine Belohnung in Aussicht: fünfhundert Goldstücke für den toten Waga und siebentausend für den lebenden. Rumata selbst mußte seinerzeit nicht wenig Kraft und Geld aufwenden, um mit diesem Mann in Kontakt zu kommen. Waga rief in ihm eine heftige Abneigung hervor, war aber manchesmal äußerst nützlich, ja buchstäblich unentbehrlich. Außerdem erregte Waga Rumatas wissenschaftliches Interesse. Er war nämlich ein äußerst interessantes Exemplar in Rumatas Kollektion mittelalterlicher Monster, eine Person, der offenbar jegliche Vergangenheit fehlte. Waga legte schließlich die Feder weg, straffte seinen Rücken und sagte krächzend:

»Nun also, meine Kinderchen. Zweieinhalbtausend Goldstücke in drei Tagen. Und an Ausgaben bloß eintausendneunhundertsechsundneunzig. Fünfhundertvier kleine runde Goldstücke in drei Tagen. Nicht übel, meine Kinderchen, nicht übel …« Keiner rührte sich. Waga verließ seinen Platz hinter dem Pult, setzte sich in eine Ecke und rieb seine trockenen Handflächen kräftig gegeneinander.

»Das ist doch etwas, um euch zu erfreuen, meine Kinderchen«, sagte er. »Die Zeiten sind günstig, fruchtbare Jahre … Aber man muß hart arbeiten um sein täglich Brot. Ach, und wie hart! Mein älterer Bruder, der König von Arkanar, hat es sich in den Kopf gesetzt, alle gelehrten Menschen in seinem und meinem Königreich zu vertilgen. Na schön, Seine Weisheit muß es ja besser wissen. Und wer sind wir denn schon? Sollen wir seine Allerhöchsten Beschlüsse kritisieren? Indessen können, ja müssen wir einen Nutzen ziehen aus diesen seinen Beschlüssen. Und da wir seine treuen Untertanen sind, müssen wir ihm dienstbar sein. Da wir aber seine nächtlichen Untertanen sind, werden wir ihm unseren bescheidenen Anteil nicht ohne weiteres abtreten. Ihm fällt das natürlich nicht auf, und er wird uns daher auch nicht zürnen. Was gibt es?« Keiner muckste sich.

»Mir kam es so vor, als hätte Piga geseufzt. Habe ich recht, Piga, mein Sohn?«

Man hörte in der Dunkelheit ein unruhiges Hin- und Herrutschen, und jemand hustete leise.

»Ich habe nicht geseufzt, Waga«, sagte eine grobe Stimme. »Wie könnte ich …«

»Nichts da, Piga, schön ruhig! Ausgezeichnet! Ihr alle müßt mich jetzt hören und den Atem anhalten. Ihr alle sputet euch jetzt und macht euch an die schwierige Arbeit, und niemand wird euch dreinreden. Mein älterer Bruder, Seine Königliche Hoheit, hat durch den Mund seines Ministers, des edlen Don Reba, verlauten lassen, daß er auf den Kopf einiger Gelehrter, die sich versteckt halten oder fliehen wollen, eine nicht unbedeutende Geldsumme ausgesetzt hat. Wir müssen ihm diese Köpfe liefern und ihm eine kleine Freude bereiten, dem Alten. Andererseits aber wollen sich einige Gelehrte vor dem Zorn meines älteren Bruders verbergen und sind bereit, für diesen Zweck keine Auslagen zu scheuen. Im Namen der Barmherzigkeit und um die Seele meines Bruders vor der Last überflüssiger Missetaten zu bewahren, werden wir diesen Leuten helfen. Und sollte übrigens Seine Königliche Hoheit später diese Köpfe doch noch benötigen, wird er sie natürlich bekommen. Billig, ganz billig …« Waga verstummte und senkte seinen Kopf. Über seine Wangen flossen plötzlich einige langsame Greisentränen. »Aber ich werde alt«, seufzte er und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. »Meine Hände zittern schon, meine Füße geben unter mir nach, und mein Gedächtnis beginnt auch schon nachzulassen. Habe ich doch vergessen, ganz vergessen, daß mitten unter uns, in diesem engen, schwülen Käfig ein edler Don schmachtet, der sich überhaupt nicht um unsere Groschenrechnungen kümmert. Ich werde abtreten. Ich gehe zur Ruhe. Aber inzwischen, meine Kinder, wollen wir den edlen Don um seine gütige Verzeihung bitten …« Er erhob sich ächzend und krümmte sich zu einer Verbeugung. Die andern standen auch auf und verbeugten sich ebenfalls, aber in ihren Gesichtern war deutlich Unentschlossenheit und sogar Angst zu lesen. Rumata konnte buchstäblich hören, wie ihre abgestumpften, primitiven Gehirne krachten bei dem vergeblichen Versuch, den Sinn der Worte und der Gesten dieses gebückten alten Mannes richtig auszulegen.

Die Sache war natürlich klar. Der schlaue Alte ergriff die günstige Gelegenheit, Don Reba von seiner Absicht in Kenntnis zu setzen, daß seine nächtliche Armee in dem gerade angelaufenen Pogrom mit den Grauen gemeinsame Sache machen werde. Nun aber, als der Zeitpunkt für konkrete Befehle gekommen war, Namen genannt und die Frist der Durchführung bestimmt werden sollten, wurde die Anwesenheit des edlen Dons, milde gesagt, als hemmend empfunden, und ihm, dem edlen Don, wurde stillschweigend nahegelegt, seine Angelegenheit rasch vorzubringen und sich dann alsbald aus dem Staub zu machen. Ein mürrischer Alter. Ein schrecklicher Mensch. Und warum ist er in der Stadt? Waga kann doch die Stadt nicht ausstehen.

»Du hast recht, bester Waga«, sagte Rumata. »Meine Zeit ist bemessen. Aber entschuldigen muß eigentlich ich mich, weil ich dich wegen einer ganz und gar nichtigen Angelegenheit belästige.« Rumata blieb auf seinem Platz sitzen, während alle andern im Stehen zuhörten.

»Es hat sich so ergeben, daß ich deinen Rat brauche … Du kannst dich setzen.«

Waga verbeugte sich wieder und setzte sich.

»Die Sache ist also die«, fuhr Rumata fort. »Vor drei Tagen sollte ich mich mit meinem Freund, einem edlen Don aus Irukan, am Platz der Schweren Schwerter treffen. Aber wir trafen nicht zusammen. Er ist verschwunden. Und ich weiß genau, daß er die irukanische Grenze wohlbehalten überquert hat. Vielleicht weißt du etwas über sein weiteres Schicksal?«

Waga antwortete lange nicht. Die Banditen räusperten sich und seufzten. Dann räusperte sich auch Waga.

»Nein, edler Don«, sagte er. »Uns ist nichts bekannt über eine solche Sache.«

Rumata stand sofort auf.

»Ich danke dir, mein Bester«, sagte er. Er schritt in die Mitte des Zimmers und ließ einen Sack mit zehn Goldstücken auf das Pult fallen. »Ich lasse das hier mit der Bitte: Wenn dir irgend etwas zu Ohren kommt, laß mich davon wissen.« Er berührte seine Kappe. »Leb wohl!«

Knapp vor der Tür blieb er stehen und sagte nachlässig über die Schulter:

»Du sagtest da etwas von gelehrten Leuten. Mir ist eben etwas eingefallen. Ich habe so das Gefühl, daß man durch die Bemühungen des Königs von Arkanar selbst innerhalb eines ganzen Monats nicht einmal einen einzigen anständigen Bücherwurm fassen wird. Und ich muß in der Hauptstadt eine Universität gründen, weil ich ein Gelübde abgelegt habe, als ich dort von der Pest geheilt wurde. Wenn du also Bücherwürmer fängst, dann sei so gut und verständige vorher mich und dann erst Don Reba. Es könnte sein, daß ich den einen oder andern für meine Universität nehme.«

»Das wird nicht billig sein«, warnte Waga mit süßlicher Stimme, »die Ware ist rar, und man kann sie nicht abliegen lassen.«

»Die Ehre ist teurer«, sagte Rumata hochtrabend und ging hinaus.

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