TYRION

Das Mädchen vergoss keine einzige Träne. Mochte sie noch so jung sein, Myrcella Baratheon war als Prinzessin geboren. Und als Lennister, trotz ihres Namens, rief sich Tyrion in Erinnerung. In ihren Adern fließt nicht nur Cerseis sondern auch Jaimes Blut.

Zugegeben, ihr Lächeln war ein wenig zaghaft, als ihre Brüder sich an Bord der Seeschwalbe von ihr verabschiedeten, doch das Mädchen wusste die richtigen Worte zu sagen und brachte sie voller Zuversicht und Würde hervor. Als es ans Abschiednehmen ging, war es dann schließlich Prinz Tommen, der weinte, und Myrcella tröstete ihn.

Tyrion beobachtete die Szene vom Oberdeck der König Roberts Hammer, einer großen Kriegsgaleere mit vierhundert Rudern. Robs Hammer hieß das Schiff bei den Ruderern; es war das Größte der Eskorte. Die Löwenstern, die Wagewind und die Lady Lyanna würden es begleiten.

Es bereitete Tyrion durchaus Unbehagen, einen so großen Teil der ohnehin unzureichenden Flotte zu entbehren, die um all die Schiffe dezimiert war, welche mit Lord Stannis nach Drachenstein gesegelt und niemals wieder gesichtet worden waren, doch Cersei würde sowieso nicht auf ihn hören. Vielleicht hatte sie Recht. Falls das Mädchen auf der Fahrt nach Sonnspeer in Gefangenschaft geriete, würde das Bündnis mit Dorne sich in Wohlgefallen auflösen. Bisher hatte Doran Martell nicht mehr getan, als zu den Fahnen zu rufen. Nachdem Myrcella sicher in Braavos gelandet war, so hatte er gelobt, würde er seine Streitmacht in die hohen Pässe führen, wo diese Bedrohung einige der Lords aus den Marschen möglicherweise dazu bringen würde, genau darüber nachzudenken, wem sie die Treue schworen. So konnte man Stannis auf dem Marsch nach Norden vielleicht Einhalt gebieten. Allerdings war das Ganze lediglich eine Finte. Die Martells würden nicht in die Schlacht ziehen, solange Dorne selbst nicht angegriffen wurde, und ein solcher Narr war nicht einmal Stannis. Obwohl das auf einige seiner Gefolgsleute durchaus zutreffen könnte, dachte Tyrion. Das sollte ich mir durch den Kopf gehen lassen.

Er räusperte sich. »Ihr kennt Eure Befehle, Kapitän.«

»Ja, Mylord. Wir segeln an der Küste entlang und bleiben stets in Sichtweite des Landes, bis wir das Klauenhorn erreichen. Von dort aus geht es über die Meerenge nach Braavos. Auf keinen Fall dürfen wir uns in der Nähe von Drachenstein sehen lassen.«

»Und falls Ihr zufällig doch auf Feinde trefft?«

»Wenn es ein einzelnes Schiff ist, werden wir entweder zu fliehen versuchen oder es aufbringen und versenken. Sind es mehrere, wird die Wagewind bei der Seeschwalbe bleiben, während der Rest der Flotte die Schlacht austrägt.«

Tyrion nickte. Im allerschlimmsten Fall sollte es der Seeschwalbe möglich sein, ihre Verfolger abzuhängen. Sie war ein kleines Schiff mit großen Segeln und schneller als jedes andere Kriegsschiff, behauptete ihr Kapitän. War Myrcella erst einmal in Braavos eingetroffen, befand sie sich in Sicherheit. Tyrion schickte Ser Arys Eichenherz als Leibwache mit ihr, und er hatte Braavosi angeheuert, um sie weiter nach Sonnspeer zu geleiten. Sogar Lord Stannis würde es sich zwei Mal überlegen, den Zorn der größten und mächtigsten Freien Stadt auf sich zu lenken. Zwar konnte man die Route von Königsmund nach Dorne über Braavos nicht gerade die kürzeste nennen, doch sie war die sicherste … hoffte Tyrion jedenfalls.

Wenn Lord Stannis von dieser Reise wüsste, könnte er sich keinen besseren Augenblick aussuchen, um seine Flotte gegen uns zu schicken. Tyrion blickte hinüber zu der Stelle, wo sich der Schwarzwasser in die Bucht ergoss, und war erleichtert, als er keine Segel am weiten grünen Horizont entdeckte. Den letzten Berichten zufolge lag Baratheons Flotte noch immer vor Sturmkap, wo sich Ser Cortnay Fünfrosen im Namen des toten Renly weiterhin weigerte, die Festung zu übergeben. Inzwischen waren Tyrions Windentürme zu drei Vierteln fertig. Auch jetzt arbeiteten die Männer dort, hievten schwere Steinblöcke an Ort und Stelle und verfluchten ihn zweifelsohne, weil er sie während der Festtage schuften ließ. Mochten sie fluchen. Vierzehn Tage, Stannis, mehr brauche ich nicht. Vierzehn Tage noch, und sie sind fertig.

Tyrion beobachtete seine Nichte, die vor dem Hohen Septon kniete und den Segen für die Reise entgegennahm. Das Sonnenlicht leuchtete auf seiner Kristallkrone und warf Regenbögen auf Myrcellas nach oben gewandtes Gesicht. Wegen des Lärms am Ufer konnte er die Gebete nicht verstehen. Er hoffte, die Götter hatten schärfere Ohren. Der Hohe Septon war fett und aufgeblasen und hatte sogar noch mehr Ausdauer als Pycelle. Genug, alter Mann, nun komm schon zum Schluss, dachte Tyrion gereizt. Die Götter haben Besseres zu tun, als dir zuzuhören, und ich auch.

Nachdem das Leiern und Murmeln endlich ein Ende hatte, verabschiedete sich Tyrion vom Kapitän der Robs Hammer. »Geleitet meine Nichte sicher nach Braavos, und bei Eurer Rückkehr wartet die Ritterwürde auf Euch«, versprach er.

Während er über die steile Planke zum Kai hinunterging, spürte er unfreundliche Blicke auf sich gerichtet. Die Galeere schaukelte sanft, und wegen dieser Bewegung watschelte er noch mehr als sonst. Ich wette, am liebsten würden sie alle laut über mich lachen. Doch getraute sich das niemand offen, wenngleich er zwischen dem Ächzen von Tauen und Holz und dem Rauschen des Flusses leises Murmeln hörte. Nun, sie lieben mich nicht, dachte er. Wen wundert’s? Ich bin satt und hässlich, während sie hungern.

Bronn eskortierte ihn durch die Menge zu seiner Schwester und ihren Söhnen. Cersei ignorierte ihn und bedachte lieber ihren Vetter mit einem Lächeln. Tyrion sah zu, wie sie Lancel bezauberte, ihre Augen waren so grün wie die Smaragde an ihrem schlanken, weißen Hals. Er grinste verschlagen vor sich hin. Ich kenne dein Geheimnis, Cersei, dachte er. Seine Schwester hatte in letzter Zeit ein wenig zu oft den Hohen Septon aufgesucht, um den Segen der Götter im bevorstehenden Kampf mit Lord Stannis zu erbitten … das sollte er jedenfalls glauben. In Wirklichkeit legte Cersei nach einem kurzen Besuch in der Großen Septe von Baelor einen schlichten braunen Reisemantel an und stahl sich davon zu einem Treffen mit einem gewissen Heckenritter mit dem unwahrscheinlichen Namen Ser Osmund Schwarzkessel und seinen ähnlich zwielichtigen Brüdern Osney und Osfryd. Lancel hatte ihm alles darüber erzählt. Cersei wollte mit Hilfe der Schwarzkessels ihre eigene Söldnertruppe aufstellen.

Nun, mochte sie sich daran erfreuen, ihre Komplotte zu schmieden. Sie war viel umgänglicher, wenn sie überzeugt war, ihn überlistet zu haben. Die Schwarzkessels schmeichelten ihr, nahmen ihre Münzen und versprachen ihr alles, worum sie bat, und warum auch nicht, denn Bronn zahlte ihnen für jede Kupfermünze noch eine weitere drauf. Liebenswerte Schufte waren die drei, und in Wirklichkeit waren sie im Betrügen viel begabter als im Blutvergießen. Cersei hatte es geschafft, sich drei leere Trommeln zu kaufen; sie würden einen fürchterlichen Lärm machen, doch innen waren sie hohl. Tyrion hätte sich totlachen mögen.

Hörner erklangen, als die Löwenstern und die Lady Lyanna ablegten und sich flussabwärts bewegten, um den Weg für die Seeschwalbe frei zu machen. Aus der Menge, die sich an den Ufern drängte, lösten sich einige wenige Jubelrufe, die so rasch vergingen wie die dünnen, zerfetzten Wolken, die über ihre Köpfe hinwegzogen. Myrcella lächelte und winkte vom Deck aus. Hinter ihr stand Arys Eichenherz in seinem wehenden weißen Mantel. Der Kapitän ließ die Leinen losmachen, und die Ruderer schoben die Seeschwalbe in die kräftige Strömung des Schwarzwassers, wo sich die Segel im Wind blähten – Tyrion hatte auf gewöhnlichen weißen Segeln statt des Purpurrots der Lennisters bestanden. Prinz Tommen schluchzte. »Du jammerst wie ein Säugling«, zischte sein Bruder. »Prinzen dürfen nicht weinen.«

»Prinz Aemon der Drachenritter hat auch geweint an dem Tag, an dem Prinzessin Naerys seinen Bruder Aegon heiratete«, sagte Sansa Stark, »und die Zwillinge Ser Arryk und Ser Erryk sind mit Tränen auf den Wangen gestorben, nachdem sie sich gegenseitig tödliche Wunden zugefügt hatten.«

»Seid still, oder ich lasse Euch von Ser Meryn eine tödliche Wunde zufügen«, wies Joffrey seine Verlobte zurecht. Tyrion warf seiner Schwester einen Blick zu, doch Cersei lauschte gerade Ser Balon Swann, der ihr etwas erzählte. Sieht sie wirklich nicht, was er ist?, fragte er sich.

Draußen auf dem Fluss holte man an Bord der Wagewind die Ruder ein und glitt im Kielwasser der Seeschwalbe dahin. Als Letztes folgte König Roberts Hammer, der ganze Stolz der königlichen Flotte … zumindest des Teils der Flotte, der nicht im letzten Jahr mit Stannis nach Drachenstein geflohen war. Tyrion hatte die Schiffe sorgfältig ausgesucht und jene Kapitäne vermieden, deren Treue zweifelhaft sein könnte, wobei er sich auf Varys’ Angaben verlassen hatte … doch da Varys selbst ein Verbündeter von fragwürdiger Treue war, den man besser nicht aus den Augen ließ, blieben gewisse Zweifel. Ich verlasse mich zu sehr auf Varys, überlegte er sich. Ich brauche meine eigenen Ohrenbläser. Nicht, dass ich denen trauen würde. Vertrauen konnte tödlich sein.

Abermals fragte er sich, was mit Kleinfinger geschehen sein konnte. Von Petyr Baelish gab es keine Nachrichten, seit er nach Bitterbrück aufgebrochen war. Das bedeutete möglicherweise gar nichts – oder auch sehr viel. Selbst Varys wusste es nicht zu sagen. Der Eunuch meinte, Kleinfinger habe unterwegs womöglich ein Unglück ereilt, er sei vielleicht schon tot. Tyrion hatte nur spöttisch geschnaubt. »Wenn Kleinfinger tot ist, bin ich ein Riese.« Wahrscheinlicher war, dass sich die Tyrells gegen die vorgeschlagene Heirat sträubten. Wenn ich Maes Tyrell wäre, würde ich lieber Joffreys Kopf auf einer Lanze als seinen Schwanz in meiner Tochter sehen.

Die kleine Flotte war bereits weit in die Bucht hinausgefahren, als Cersei fand, es sei Zeit zum Gehen. Bronn brachte Tyrions Pferd herbei und half ihm beim Aufsteigen. Das war eigentlich Podrick Payns Aufgabe, doch sie hatten Pod im Roten Bergfried zurückgelassen. Der hagere Söldner war eine wesentlich abschreckendere Erscheinung als der Junge.

Die schmalen Straßen waren von Männern der Stadtwache gesäumt, die die Menge mit ihren Speerschäften auf Abstand hielten. Ser Jaslyn Amwasser ritt an der Spitze einer Gruppe von Lanzenreitern in schwarzen Kettenhemden und goldenen Umhängen vornweg. Hinter ihm folgten Ser Aron Santagar und Ser Balon Swann, welche die Banner des Königs trugen, den Löwen der Lennisters und den gekrönten Hirsch der Baratheons.

König Joffrey saß auf einem hohen grauen Zelter. Auf seinen goldenen Locken ruhte eine goldene Krone. Sansa Stark ritt eine Fuchsstute, blickte weder nach links noch rechts, und ihr Haar wallte unter einem mit Mondsteinen verzierten Netz auf ihre Schultern. Zwei Männer der Königsgarde flankierten das Paar, der Bluthund zur Rechten des Königs und Ser Mandon Moor zur Linken des Starkmädchens.

Als Nächster folgte der schniefende Tommen zusammen mit Ser Preston Grünfeld in weißer Rüstung und Umhang, daraufhin Cersei, die von Ser Lancel begleitet und von Meryn Trant und Boros Blount beschützt wurde. Tyrion gesellte sich zu seiner Schwester. Dann kam der Hohe Septon in seiner Sänfte und ein langes Gefolge von Höflingen – Ser Horas Rothweyn, Lady Tanda und ihre Tochter, Jalabhar Xho, Lord Gil Rosby und der Rest. Eine doppelte Kolonne Wachen bildete die Nachhut.

Die unrasierte und ungewaschene Menge hinter der Reihe aus Speeren starrte die Reiter mit dumpfem Groll an. Mir gefällt das ganz und gar nicht, dachte Tyrion. Bronn hatte ungefähr zwanzig Söldner in der Menge verteilt, die jeden Ärger verhindern sollten, bevor er überhaupt losging. Vielleicht hatte Cersei etwas Ähnliches mit den Schwarzkessels verabredet. Irgendwie hatte Tyrion das Gefühl, es würde nicht viel helfen. Wenn das Feuer zu heiß wurde, konnte man den Pudding nicht dadurch vor dem Anbrennen retten, dass man eine Handvoll Rosinen in den Topf warf.

Sie überquerten den Fischmarkt und ritten den Schlammweg entlang, ehe es in die scharfe Haarnadelkurve Aegons Hohen Hügel hinaufging. Ein paar Zuschauer stimmten ein »Joffrey! Heil! Heil!« an, während der König vorbeiritt, doch für jeden, der mit in den Ruf einfiel, hüllten sich hundert andere in Schweigen. Die Lennisters zogen durch ein Meer von zerlumpten Männern und hungrigen Frauen, durch eine Woge verdrießlicher Blicke. Vor ihm lachte Cersei über etwas, das Lancel gesagt hatte, obwohl die Fröhlichkeit offensichtlich aufgesetzt war. Seine Schwester konnte die Unruhe um sie herum nicht übersehen haben, wenngleich sie stets glaubte, Tapferkeit zur Schau tragen zu müssen.

Ungefähr auf der halben Strecke drängte sich eine jammernde Frau zwischen zwei Wachen hindurch, rannte vor dem König auf die Straße und hielt ihm den Leichnam ihres toten Kindes entgegen. Der Säugling war blau und aufgedunsen und sah grotesk aus, doch wirklich erschreckend waren die Augen der Mutter. Joffrey schien sie einen Augenblick lang niederreiten zu wollen, doch Sansa Stark beugte sich zu ihm hinüber und sagte etwas zu ihm. Der König kramte in seinem Geldbeutel und warf der Frau einen Silberhirschen zu. Die Münze prallte von dem Kind ab und rollte zwischen den Füßen der Goldröcke hindurch zwischen ein Dutzend Männer, die sofort über das Geld in Streit ausbrachen. Die Mutter blinzelte nicht einmal. Ihre mageren Arme zitterten vom Gewicht ihres toten Sohnes.

»Lasst sie, Euer Gnaden«, rief Cersei dem König zu, »wir können nichts für das arme Ding tun.«

Die Mutter hörte es. Irgendwie drang die Stimme der Königin in ihren benebelten Verstand vor. Ihr schlaffes Gesicht verzerrte sich vor Hass. »Hure!«, kreischte sie. »Hure des Königsmörders! Bruderfickerin!« Das tote Kind fiel ihr wie ein Mehlsack aus den Händen, als sie auf Cersei zeigte. »Bruderfickerin Bruderfickerin Bruderfickerin.«

Tyrion sah nicht, wer den Kot warf. Er hörte nur Sansas entsetztes Aufkeuchen und Joffreys Fluch, und als er den Kopf wandte, wischte sich der König bereits den braunen Dreck von der Wange. Auch sein goldenes Haar und Sansas Beine hatten etwas abbekommen.

»Wer war das?«, kreischte Joffrey. Er zog ein wütendes Gesicht und entfernte eine weitere Hand voll Kot aus seinen Haaren. »Ich will den Mann haben, der das war!«, rief er. »Hundert Golddrachen für denjenigen, der ihn verrät.«

»Er war dort oben!«, rief jemand aus der Menge. Der König riss sein Pferd herum und suchte die Dächer und offenen Balkone ab. Einige der Zuschauer zeigten nach oben, drängten sich nach vorn und verfluchten sich gegenseitig und den König dazu.

»Bitte, Euer Gnaden, lasst ihn«, flehte Sansa.

Der König beachtete sie nicht. »Bringt mir den Mann, der diesen Unflat geworfen hat«, befahl Joffrey. »Er wird ihn von mir ablecken, oder ich werde ihm den Kopf abschlagen lassen. Hund, holt ihn mir.«

Gehorsam schwang sich Sandor Clegane aus dem Sattel, fand jedoch keine Möglichkeit, durch die Mauer aus Menschen zu gelangen, geschweige denn das Dach zu erreichen. Die in der vordersten Reihe schoben sich nach hinten, um ihm aus dem Weg zu gehen, während andere sich nach vorn drängten, um besser sehen zu können. Für Tyrion roch das Ganze nach einer bevorstehenden Katastrophe. »Clegane, lasst es sein, der Kerl ist längst geflohen.«

»Ich will ihn haben!« Joffrey zeigte auf das Dach. »Dort oben war er. Hund, haut Euch den Weg frei und holt …«

Ein Tumult übertönte seine letzten Worte, ein rollender Donner der Wut, der Furcht und des Hasses, der von allen Seiten aufbrandete. »Bastard!«, brüllte jemand Joffrey zu, »Bastardungeheuer!« Andere nannten die Königin lautstark eine »Hure« und eine »Bruderfickerin«, während man Tyrion mit »Missgeburt« und »Halbmann« titulierte. Inmitten dieser Beleidigungen hörte er ein paar Rufe wie »Gerechtigkeit« und »Robb, König Robb, der Junge Wolf«, »Stannis!« und sogar »Renly!« Von beiden Seiten der Straße drängten die Menschen gegen die Reihen der Speere, während die Goldröcke sich bemühten, ihre Stellung zu halten. Steine und Mist und noch üblere Dinge wurden über ihre Köpfe hinweggeworfen. »Gebt uns zu essen!«, kreischte eine Frau. »Brot!«, verlangte der Mann hinter ihr. »Wir wollen Brot, Bastard!« Augenblicke später hatten tausend Stimmen den Ruf aufgenommen. König Joffrey und König Robb und König Stannis waren vergessen, nur König Brot herrschte noch. »Brot«, brüllten die Menschen, »Brot, Brot!«

Tyrion trieb sein Pferd an die Seite seiner Schwester und rief ihr zu: »Zurück zur Burg. Sofort!« Cersei nickte nur knapp, und Ser Lancel zog sofort sein Schwert aus der Scheide. Vor der Kolonne erteilte Jaslyn Amwasser Befehle. Die Reiter senkten die Lanzen und ritten in Keilformation voran. Der König drehte seinen Zelter im Kreis, während die Menschen zwischen den Goldröcken hindurch die Hände nach ihm ausstreckten. Einem gelang es kurz, sein Bein zu ergreifen, doch nur für einen Moment. Ser Mandon schlug mit dem Schwert zu und trennte die Hand vom Arm. »Reitet!«, schrie Tyrion seinem Neffen zu und versetzte dem Pferd einen harten Schlag auf die Kruppe. Das Tier bäumte sich wiehernd auf und stürmte los, während die Menschen vor ihm aus dem Weg sprangen.

Tyrion nutzte die Lücke hinter dem König aus. Bronn folgte und hielt sein Schwert in der Hand. Ein scharfkantiger Stein flog an seinem Kopf vorbei, und ein verfaulter Kohlkopf zerplatzte an Ser Mandons Schild. Zur Linken konnten sich drei Goldröcke nicht mehr gegen den Druck behaupten, gingen zu Boden und wurden von dem Mob niedergetrampelt. Der Bluthund war irgendwo hinter ihnen verschwunden, sein reiterloses Pferd galoppierte neben ihnen her. Tyrion sah, wie Aron Santagar aus dem Sattel gezerrt wurde und der golden-schwarze Baratheonhirsch ihm entrissen wurde. Ser Balon Swann ließ den Lennisterlöwen fallen und zog das Langschwert. Er schlug rechts und links zu, derweil das Banner zerrissen wurde und tausend Fetzen wie purpurrote Blätter im Sturmwind trieben. Augenblicke später waren sie verschwunden. Jemand stolperte vor Joffreys Pferd und schrie, als der König ihn niederritt. Ob Mann, Frau oder Kind, konnte Tyrion nicht sagen. Joffrey galoppierte mit bleichem Gesicht neben ihm her, und Ser Mandon Moor war ein weißer Schatten zur Linken.

Plötzlich hatten sie den Aufruhr hinter sich gelassen, und ihre Hufschläge hallten über den gepflasterten Platz vor dem Vorwerk der Burg. Eine Reihe Speerträger hielt das Tor frei. Ser Jaslyn ließ seine Lanzenreiter kehrtmachen. Die Speere teilten sich, um die Gefolgschaft des Königs durch das Fallgitter zu lassen. Hellrote Mauern ragten über ihnen auf, und ihre Höhe und die Armbrustschützen auf den Wehrgängen boten einen äußerst tröstlichen Anblick.

Tyrion erinnerte sich später nicht mehr daran, dass er abgestiegen war. Ser Mandon half soeben dem König vom Pferd, als Cersei, Tommen und Lancel gefolgt von Ser Meryn und Ser Boros durch das Tor ritten. Boros’ Klinge war mit Blut verschmiert, während man Meryn den weißen Umhang vom Rücken gerissen hatte. Ser Balon Swann kehrte ohne Helm zurück, sein Pferd war schaumbedeckt und blutete aus dem Maul. Horas Rothweyn brachte Lady Tanda herein, die vor Angst um ihre Tochter Lollys fast von Sinnen war; das Mädchen war unterwegs aus dem Sattel geworfen worden und zurückgeblieben. Lord Gil war im Gesicht grauer als je zuvor und erzählte, dass er gesehen habe, wie der Hohe Septon aus seiner Sänfte gestürzt sei und laut Gebete sprach, während der Pöbel über ihn herfiel. Jalabhar Xho sagte, er glaube beobachtet zu haben, dass Ser Preston Grünfeld von der Königsgarde zu der umgekippten Sänfte zurückgeritten sei, doch ganz sicher war er nicht.

Die Frage eines Maesters, ob er verletzt sei, nahm Tyrion kaum wahr. Er drängte sich über den Hof zu seinem Neffen, dessen mistverkrustete Krone schief auf seinem Kopf saß. »Verräter«, stammelte Joffrey aufgeregt, »ich werde sie alle enthaupten lassen, ich …«

Der Zwerg schlug ihm so hart ins Gesicht, dass Joffrey die Krone vom Kopf fiel. Dann stieß er ihn mit beiden Händen vor die Brust und warf ihn zu Boden. »Du verdammter blinder Narr!«

»Sie waren Verräter«, kreischte Joffrey am Boden. »Sie haben mich beschimpft und mich angegriffen.«

»Du hast deinen Hund auf sie gehetzt! Was hast du denn erwartet? Dass sie widerstandslos das Knie beugen, während der Bluthund ein paar Köpfe abschlägt? Du verzogener hirnloser kleiner Bengel, du hast Clegane auf dem Gewissen, und mögen die Götter wissen, wie viele noch, und trotzdem bist du ohne einen Kratzer davongekommen. Verflucht sollst du sein!« Und damit trat er ihn. Es fühlte sich so gut an, am liebsten hätte er noch einmal zugetreten, doch Ser Mandon Moor zerrte ihn fort, als Joffrey aufheulte, und dann war Bronn da und hielt ihn zurück. Cersei kniete bei ihrem Sohn, während Ser Balon Swann Ser Lancel bändigte. Tyrion riss sich aus Bronns Griff los. »Wie viele sind noch draußen?«, rief er laut, an niemanden im Besonderen gerichtet.

»Meine Tochter«, schrie Lady Tanda. »Bitte, jemand muss hinaus und Lollys holen …«

»Ser Preston ist noch nicht zurückgekehrt«, berichtete Ser Boros Blount, »und Aron Santagar auch nicht.«

»Und Tyrek Lannister fehlt ebenfalls«, sagte Ser Horas Rothweyn.

Tyrion blickte sich im Hof um. »Wo ist das Starkmädchen? «

Einen Augenblick lang antwortete niemand. Schließlich sagte Joffrey: »Sie ist neben mir geritten. Ich weiß nicht, wo sie geblieben ist.«

Der Zwerg drückte die Finger auf die pochenden Schläfen. Falls Sansa Stark zu Schaden gekommen war, war Jaime ein toter Mann. »Ser Mandon, Ihr wart ihr Schild.«

Ser Mandon Moor zeigte sich unbekümmert. »Als sie über den Bluthund herfielen, habe ich zuerst an den König gedacht. «

»Das war auch richtig so«, warf Cersei ein. »Boros, Meryn, geht zurück und sucht das Mädchen.«

»Und meine Tochter«, schluchzte Lady Tanda. »Bitte, Sers …«

Ser Boros wirkte nicht gerade erfreut angesichts der Aussicht, die Sicherheit der Burg gleich wieder zu verlassen. »Euer Gnaden«, sagte er zur Königin, »der Anblick der weißen Umhänge könnte die Wut des Pöbels weiter anstacheln. «

Tyrion hatte mehr als genug ertragen. »Die Anderen mögen Eure verdammten Umhänge holen! Legt sie ab, wenn Ihr Euch so davor fürchtet, sie zu tragen, Ihr verfluchter Dummkopf … aber findet Sansa Stark, oder ich schwöre Euch, ich lasse Shagga Euren hässlichen Kopf spalten und schaue mir an, ob sich außer schwarzem Pudding noch etwas darin befindet. «

Ser Boros wurde purpurrot vor Zorn. »Ihr nennt mich hässlich, Ihr?« Er wollte bereits das blutige Schwert heben, das er noch immer in der Hand hielt. Bronn stieß Tyrion hinter sich.

»Hört auf!«, fauchte Cersei. »Boros, Ihr tut, was man Euch aufgetragen hat, oder wir werden uns jemand anderen für Euren Umhang suchen. Euer Eid …«

»Da ist sie!«, rief Joffrey und zeigte mit dem Finger zum Tor.

Durch das Tor galoppierte Sandor Clegane auf Sansas Fuchs. Das Mädchen saß hinter ihm und hatte beide Arme um seine Brust geschlungen.

Tyrion rief ihr zu: »Seid Ihr verletzt, Lady Sansa?«

Blut rann aus einer tiefen Wunde an ihrem Kopf. »Sie haben … sie haben Sachen geworfen … Steine und Dreck und Eier …. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass ich ihnen kein Brot geben kann. Ein Mann wollte mich aus dem Sattel ziehen. Der Bluthund hat ihn getötet, glaube ich … sein Arm …« Sie riss die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund. »Er hat ihm den Arm abgehackt!«

Clegane ließ das Mädchen zu Boden gleiten. Sein weißer Umhang war zerrissen und schmutzig, und Blut quoll aus einer Wunde am linken Arm. »Der kleine Vogel blutet. Jemand soll ihn in seinen Käfig bringen und nach der Wunde schauen. « Maester Frenken eilte sofort herbei. »Santagar haben sie erledigt«, fuhr der Bluthund fort. »Vier haben ihn auf die Erde gedrückt und abwechselnd mit einem Pflasterstein auf seinen Kopf eingeschlagen. Einen konnte ich aufschlitzen, doch hat das Ser Aron nicht mehr viel geholfen.«

Lady Tanda trat näher. »Meine Tochter …?«

»Habe sie nicht gesehen.« Der Bluthund blickte sich mit finsterer Miene im Hof um. »Wo ist mein Pferd? Falls dem Tier etwas passiert ist, wird irgendjemand dafür bezahlen.«

»Es ist eine Weile mit uns mitgelaufen«, sagte Tyrion, »aber ich weiß nicht, was dann mit ihm passiert ist.«

»Feuer!«, rief eine Wache vom Turm herunter. »Mylords, in der Stadt ist Rauch zu erkennen. Flohloch brennt.«

Tyrion war unaussprechlich müde, doch er hatte einfach keine Zeit, seiner Verzweiflung nachzugeben. »Bronn, nimm so viele Männer, wie du brauchst, und kümmere dich darum, dass die Wagen mit dem Wasser nicht überfallen werden. « Bei den guten Göttern, das Seefeuer, falls es in Brand gerät … »Wir können ganz Flohloch verlieren, wenn es sein muss, aber auf keinen Fall darf das Feuer die Gildenhalle der Alchimisten erreichen, verstanden? Clegane, Ihr begleitet ihn.«

Für die Dauer eines halben Herzschlags glaubte Tyrion, er habe Furcht in den dunklen Augen des Bluthunds gesehen. Feuer, wurde ihm klar. Die Anderen sollen mich holen, natürlich, er hasst Feuer, er hat es bereits zu gut kennengelernt. Der ängstliche Ausdruck war sofort wieder verschwunden und wurde durch die gewohnte mürrische Miene ersetzt. »Ich gehe«, sagte er, »wenn auch nicht wegen Eures Befehls. Ich muss mein Pferd finden.«

Tyrion wandte sich an die übrigen drei Ritter der Königsgarde. »Jeder von Euch wird einen Herold eskortieren. Befehlt den Menschen, in ihre Häuser zu gehen. Jeder, den man nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen antrifft, wird mit dem Tod bestraft.«

»Unser Platz ist an der Seite des Königs«, erwiderte Ser Meryn selbstgefällig.

Cersei fuhr auf wie eine Viper. »Euer Platz ist dort, wo mein Bruder Euch hinschickt«, fauchte sie. »Die Hand spricht mit der Stimme des Königs, und Ungehorsam ist Verrat.«

Boros und Meryn wechselten einen Blick. »Sollen wir unsere weißen Mäntel tragen, Euer Gnaden?«, fragte Ser Boros.

»Meinetwegen könnt Ihr nackt losziehen. Dadurch würdet Ihr den Pöbel vielleicht daran erinnern, dass Ihr eigentlich Männer seid. Nachdem der Mob beobachtet hat, wie Ihr Euch da draußen auf der Straße benommen habt, wird er das vergessen haben.«

Tyrion ließ seine Schwester toben. Sein Kopf dröhnte. Er glaubte Rauch zu riechen, doch vermutlich war das eine Sinnestäuschung. Zwei Felsenkrähen begleiteten ihn zum Turm der Hand. »Sucht Timett, Sohn des Timett.«

»Felsenkrähen laufen Brandmännern nicht hinterher«, entgegnete einer der Wildlinge hochmütig.

Einen Augenblick lang hatte Tyrion vergessen, mit wem er es zu tun hatte. »Dann sucht Shagga.«

»Shagga schläft.«

Es kostete ihn große Mühe, nicht loszubrüllen. »Weckt Ihn.«

»Shagga, Sohn des Dolf, zu wecken, ist nicht leicht«, beschwerte sich der Mann. »Sein Zorn ist entsetzlich.« Knurrend ging er davon.

Gähnend und sich kratzend traf der Stammesmann schließlich ein. »Die halbe Stadt probt den Aufstand, die andere Hälfte brennt, und Shagga schnarcht«, sagte Tyrion.

»Shagga mag Euer brackiges Wasser hier nicht, deshalb muss er Euer schwaches Bier und Euren sauren Wein trinken, und danach tut ihm der Kopf weh.«

»Shae befindet sich in einem Anwesen am Eisentor. Du wirst dorthin gehen und sie beschützen, was immer auch geschieht.«

Der riesige Mann lächelte, und seine Zähne leuchteten wie eine gelbe Gletscherspalte inmitten des Bartes. »Shagga wird sie hierherholen.«

»Du passt nur auf, dass ihr nichts zustößt. Sag ihr, ich würde kommen, sobald ich kann. Heute Nacht noch, falls möglich, aber bestimmt morgen.«

Doch am Abend herrschte immer noch Aufruhr in der Stadt, obwohl Bronn berichtete, die Brände seien gelöscht, und den größten Teil des Pöbels habe man auseinandergetrieben. So sehr sich Tyrion auch nach dem Trost von Shaes Umarmung sehnte, musste er trotzdem einsehen, dass er heute Nacht nirgendwohin gehen würde.

Ser Jaslyn Amwasser berichtete über den Aufruhr und die Verluste, während Tyrion im dämmerigen Solar einen kalten Kapaun mit braunem Brot zum Abendessen verspeiste. Das Zwielicht ging allmählich in Dunkelheit über, doch als die Diener eintraten und Kerzen sowie ein Feuer im Kamin anzünden wollten, brüllte Tyrion sie an und schickte sie hinaus. Seine Stimmung war ebenso düster wie das Zimmer, und Amwasser hatte nichts zu sagen, was ihn hätte aufheitern können.

Auf der Liste der Opfer stand der Hohe Septon ganz oben; man hatte ihn in Stücke gerissen, während er seine Götter um Hilfe anrief. Hungernde mögen keine Priester, die zu fett zum Gehen sind, dachte Tyrion.

Ser Prestons Leiche hatte man zunächst übersehen; die Goldröcke hatten nach einem Ritter in weißer Rüstung gesucht, und er war so grausam zerstückelt und verstümmelt worden, dass er von Kopf bis Fuß rotbraun war.

Ser Aron Santagar hatte man in der Gosse gefunden, und sein Kopf war nur noch roter Brei im zerbrochenen Helm gewesen.

Lady Tandas Tochter hatte ihre Unbeflecktheit einer halben Hundertschaft brüllender Kerle hinter einer Gerberwerkstatt opfern müssen. Die Goldröcke entdeckten sie, als sie nackt durch die Sauenbauchsgasse taumelte.

Tyrek wurde noch immer vermisst, ebenso die Kristallkrone des Hohen Septons. Neun Goldröcke hatten ihr Leben lassen müssen, drei Dutzend waren verwundet. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Opfer unter dem Pöbel zu zählen.

»Ich will, dass man Tyrek findet, tot oder lebendig«, sagte Tyrion kurzangebunden, nachdem Amwasser geendet hatte. »Er ist noch ein halber Junge, der Sohn meines verstorbenen Onkels Tygett. Sein Vater war immer gut zu mir.«

»Wir werden ihn schon finden. Und die Krone des Septons auch.«

»Von mir aus können sich die Anderen mit der Krone des Septons vergnügen!«

»Als Ihr mich zum Hauptmann der Wache ernannt habt, habt Ihr verlangt, ich solle Euch stets offen die Wahrheit sagen. «

»Irgendwie beschleicht mich so ein Gefühl, dass mir das, was Ihr mir mitteilen wollt, nicht gefallen wird«, erwiderte Tyrion düster.

»Heute haben wir die Stadt gehalten, Mylord, aber für morgen kann ich Euch nichts versprechen. Der Kessel ist kurz vorm Überkochen. So viele Diebe und Mörder sind auf den Straßen unterwegs, dass kein Haus vor ihnen sicher ist, die blutige Ruhr breitet sich in den Suppenküchen am Pisswassergraben aus, und man bekommt weder für Kupfer noch für Silber etwas zu essen. Hörte man vorher nur leise Flüche in dunklen Gassen, so wird inzwischen in den Gildenhallen und auf den Märkten offen über Verrat gesprochen. «

»Braucht Ihr mehr Männer?«

»Ich vertraue schon der halben Truppe nicht, die ich jetzt habe. Slynt hat die Größe der Wache verdreifacht, aber es ist mehr nötig als ein goldener Rock, um einen Mann zum Soldaten zu machen. Gewiss gibt es gute und treue Kerle unter den neuen Rekruten, aber viele sind einfach nur Schläger, Säufer, Feiglinge und Verräter. Sie sind nur halb ausgebildet, kennen kaum Disziplin, und am loyalsten sind sie ihrer eigenen Haut gegenüber. Falls es zum Kampf kommt, werden sie Fersengeld geben, fürchte ich.«

»Etwas anderes habe ich auch nie von ihnen erwartet«, sagte Tyrion. »Sobald irgendwo eine Bresche in die Mauern geschlagen wird, sind wir verloren, das habe ich von Anfang an gewusst.«

»Meine Männer wurden vor allem aus dem einfachen Volk rekrutiert. Und sie gehen durch die gleichen Straßen, trinken in den gleichen Weinschenken, löffeln ihr Braunes in den gleichen Suppenküchen wie der Pöbel. Euer Eunuch muss Euch längst erzählt haben, dass die Lennisters in Königsmund nicht besonders beliebt sind. Viele erinnern sich noch daran, wie Euer Vater die Stadt geplündert hat, als Aerys ihm die Tore öffnete. Sie tuscheln, die Götter würden uns für die Sünden Eures Hauses bestrafen – für den Mord Eures Bruders an König Aerys, für das Gemetzel an Rhaegars Kindern, für die Hinrichtung von Eddard Stark und Joffreys himmelschreiende Rechtsprechung. Manche sprechen darüber, wie viel besser es unter Robert war, und das nicht etwa hinter vorgehaltener Hand, und man denkt darüber nach, ob es unter Stannis auf dem Thron nicht abermals besser werden würde. In den Suppenküchen, Weinschänken und Bordellen hört man solche Reden – und in den Kasernen und Wachräumen ebenfalls, fürchte ich.«

»Sie hassen meine Familie, wollt Ihr das sagen?«

»Ja … Und sie werden sich gegen sie wenden, sollten sie die Möglichkeit bekommen.«

»Auch gegen mich?«

»Fragt Euren Eunuchen.«

»Ich frage Euch.«

Amwassers tief liegende Augen begegneten dem Blick der ungleichen Augen des Zwergs und blinzelten nicht. »Euch hassen sie am meisten, Mylord.«

»Am meisten?« Diese Ungerechtigkeit drückte ihm fast die Kehle zu. »Joffrey hat ihnen gesagt, sie sollten ihre Toten fressen, nachdem er den Hund auf sie gehetzt hat. Wie können sie mir die Schuld dafür geben?«

»Seine Gnaden sind noch ein Knabe. Auf den Straßen heißt es, er habe böse Berater. Die Königin war nie als Freund des einfachen Volkes bekannt, und Lord Varys wird auch nicht aus Liebe die Spinne genannt … aber vor allem Euch beschuldigen sie. Eure Schwester und der Eunuch waren schon zu der Zeit da, als es unter König Robert noch besser war, Ihr hingegen nicht. Sie sagen, Ihr habt die Stadt mit arroganten Söldnern und ungewaschenen Wilden gefüllt, mit brutalen Kerlen, die sich nehmen, was sie wollen, und nur ihren eigenen Gesetzen folgen. Dazu wird behauptet, Ihr hättet Janos Slynt nur deshalb verbannt, weil er zu schlau und ehrlich für Euren Geschmack war. Und den weisen und sanftmütigen Pycelle hättet Ihr in den Kerker geworfen, weil er es wagte, die Stimme gegen Euch zu erheben. Manche sagen sogar, Ihr wolltet den Eisernen Thron für Euch selbst beanspruchen.«

»Ja, und außerdem bin ich ein Ungeheuer, scheußlich und missgebildet, vergesst das nicht.« Er ballte die Hand zur Faust. »Ich habe genug gehört. Wir haben beide jede Menge Arbeit vor uns. Lasst mich jetzt allein.«

Vielleicht hatte mein Hoher Vater Recht, mich all die Jahre lang zu verschmähen, wenn ich nicht mehr zustande bringe, dachte Tyrion, nachdem Amwasser gegangen war. Er starrte die Überreste seines Abendessens an, und sein Bauch rumorte angesichts des kalten, fettigen Kapauns. Angeekelt schob er ihn von sich, rief Pod und schickte den Jungen los, um Varys und Bronn zu holen. Die Berater, denen ich am meisten vertraue, sind ein Eunuch und ein Söldner, und meine Dame ist eine Hure. Was sagt das über mich aus?

Bronn beschwerte sich über die Dunkelheit, als er eintraf, und bestand darauf, dass im Kamin ein Feuer angezündet würde. Als Varys seine Aufwartung machte, flackerte es bereits lustig. »Wo seid Ihr gewesen?«, wollte Tyrion wissen.

»Ich habe mich um eine Angelegenheit des Königs gekümmert, mein süßer Lord.«

»Ach ja, der König«, murmelte Tyrion. »Mein Neffe kann kaum auf einem Donnerbalken sitzen, wie soll er sich da auf dem Eisernen Thron halten?«

Varys zuckte mit den Schultern. »Einem Lehrling muss man sein Handwerk beibringen.«

»Die Hälfte der Lehrlinge am Stinkenden Weg könnte besser regieren als Euer König.« Bronn setzte sich an den Tisch und riss einen Flügel von dem Kapaun ab.

Tyrion hatte sich angewöhnt, die Unverschämtheiten des Söldners zu übergehen, doch heute Abend konnte er sich nicht beherrschen. »Ich erinnere mich nicht, dir erlaubt zu haben, mein Abendessen zu verzehren.«

»Ich hatte den Eindruck, Ihr würdet es nicht mehr aufessen«, erwiderte Bronn mit vollem Mund. »Die Stadt verhungert, es wäre ein Verbrechen, Speisen zu verschwenden. Habt Ihr vielleicht etwas Wein?«

Nächstens soll ich ihm auch noch einschenken, dachte Tyrion finster. »Du gehst zu weit«, warnte er.

»Und Ihr geht niemals weit genug.« Bronn warf den Knochen in die Binsen. »Denkt nur, wie leicht das Leben wäre, wenn der andere als Erster geboren worden wäre.« Er stach mit dem Finger in den Kapaun und riss sich ein Stück Brust ab. »Der weinerliche, dieser Tommen. Der würde vermutlich tun, was man ihm sagt, wie es sich für einen guten König gehört.«

Ein Schauder kroch Tyrion den Rücken hinunter, während ihm dämmerte, was der Söldner gerade vorgeschlagen hatte. Wenn Tommen König wäre …

Es gab nur eine einzige Möglichkeit, wie Tommen König werden könnte. Nein, das konnte er nicht einmal denken. Joffrey war von seinem eigenen Blut und außerdem der Sohn von Jaime und Cersei. »Für solche Worte könnte ich dir den Kopf abschlagen lassen«, wies er Bronn zurecht, doch der Söldner lachte nur.

»Freunde«, mischte sich Varys ein, »ein Streit bringt uns auch nicht weiter. Ich bitte Euch beide, fasst Euch ein Herz.«

»Und wessen?«, fragte Tyrion säuerlich. Ihm fielen mehrere ein, die er ausgesprochen verführerisch fand.

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