DAENERYS

Die Vorhänge hielten den Staub und die Hitze der Straße fern, doch gegen die Enttäuschung waren sie machtlos. Dany stieg erschöpft ein und war froh, vor den Blicken der Qartheen Zuflucht zu finden. »Macht Platz«, rief Jhogo der Menge aus dem Sattel zu und ließ die Peitsche knallen. »Macht den Weg frei für die Mutter der Drachen.«

Xaro Xhoan Daxos lehnte sich in die kühlen Satinkissen zurück und goss mit ruhiger Hand rubinroten Wein in zwei Kelche aus Gold und Jade, wobei er trotz des schwankenden Palankins keinen Tropfen verschüttete. »Ich sehe tiefe Traurigkeit auf Eurem Gesicht, mein Licht der Liebe.« Er reichte ihr einen Kelch. »Könnte es die Trauer um einen verlorenen Traum sein?«

»Um einen aufgeschobenen Traum.« Danys enges Silberhalsband scheuerte an ihrer Kehle. Sie öffnete es und warf es zur Seite. Das Halsband war mit einem verzauberten Amethysten besetzt, von dem Xaro behauptete, er würde sie gegen alle Arten von Giften schützen. Die Reingeborenen waren berüchtigt dafür, jenen, die sie für gefährlich hielten, vergifteten Wein anzubieten, doch Dany hatte nicht einmal einen Becher Wasser bekommen. Sie erkennen mich nicht als Königin an, dachte sie verbittert. Für sie war ich nur eine nachmittägliche Unterhaltung, ein Pferdemädchen mit einem Aufsehen erregenden Haustier.

Rhaegal zischte und grub die schwarzen Krallen tief in ihre nackte Schulter, als Dany die Hand nach dem Wein ausstreckte. Sie zuckte zusammen und schob ihn auf die andere Schulter, wo er sich in ihr Gewand statt in ihre Haut krallen konnte. Sie war nach Art der Qartheen gekleidet. Xaro hatte sie gewarnt, dass die Gekrönten eine Dothraki niemals anhören würden, deshalb hatte sie ein wallendes grünes Seidenkleid angelegt, welches eine Brust freiließ, silberne Sandalen angezogen und einen Gürtel aus schwarzen und weißen Perlen um ihre Taille geschlungen. So, wie sie mir geholfen haben, hätte ich auch nackt vor sie treten können. Vielleicht hätte ich das tun sollen. Sie nahm einen tiefen Schluck.

Die Reingeborenen waren Abkömmlinge der alten Könige und Königinnen von Qarth; sie befehligten die Bürgergarde und die Flotte der reich verzierten Galeeren, welche die Wasserstraßen zwischen den Meeren beherrschten. Daenerys Targaryen hatte diese Flotte gewollt, oder zumindest einen Teil davon, und außerdem einige Soldaten aus Qarth. Sie hatte das traditionelle Opfer im Tempel der Erinnerung dargebracht, hatte dem Hüter der Langen Liste das traditionelle Bestechungsgeld überreicht, hatte dem Öffner der Tür die traditionelle Persimone geschickt und hatte dafür am Ende die traditionellen blauen Seidenpantoffeln erhalten, die sie in die Halle der Tausend Throne riefen.

Die Reingeborenen hörten sich ihre Bitten an und saßen derweil in den großen Holzstühlen ihrer Vorfahren auf den riesigen Marmorstufen, die vom Boden bis zur mit Bildern von Qarths Ruhm vergangener Zeiten bemalten Kuppeldecke reichten. Die Stühle waren riesig und mit fantastischen Schnitzereien verziert, glänzten von Blattgold und waren mit Bernstein, Onyx, Lapislazuli und Jade besetzt. Ein jeder unterschied sich von den anderen, und einer war prächtiger als der vorherige. Dennoch wirkten die Männer darin so lustlos und der Welt müde, dass sie fast den Eindruck erweckten, als schliefen sie.

Sie haben zugehört, aber sie haben nichts aufgenommen, oder sie scheren sich nicht um mich, dachte sie. Sie sind wirklich Milchmenschen. Eigentlich wollten sie mir gar nicht helfen. Sie sind nur aus reiner Neugier gekommen. Weil sie sich langweilten und weil der Drache auf meiner Schulter sie mehr interessierte als ich.

»Sagt mir die Worte der Reingeborenen«, sagte Xaro Xhoan Daxos wie aufs Stichwort. »Sagt mir, was sie sprachen, um die Königin meines Herzens so traurig zu stimmen.«

»Sie haben Nein gesagt.« Der Wein schmeckte nach Granatäpfeln und heißen Sommertagen. »Sie haben es voller Höflichkeit gesagt, aber trotz der vielen lieblichen Worte war es noch immer ein Nein.«

»Habt Ihr ihnen geschmeichelt?«

»Auf schamlose Weise.«

»Habt Ihr geweint?«

»Das Blut des Drachen weint nicht«, antwortete sie gereizt.

Xaro seufzte. »Ihr hättet weinen sollen.« Den Qartheen kamen die Tränen häufig und rasch; man betrachtete dies als Zeichen von Zivilisation. »Die Männer, die wir gekauft haben, was haben sie gesagt?«

»Mathos nichts, Wendello hat meine Rede gelobt. Der Auserlesene hat sich mir zusammen mit den anderen verweigert, hat jedoch anschließend geweint.«

»Ach, dass die Qartheen so treulos sein können.« Xaro selbst gehörte nicht zu den Reingeborenen, doch er hatte ihr erklärt, wem sie Bestechungsgeld zukommen lassen sollte, und in welcher Höhe. »Weint, weint, über die Untreue der Menschen.«

Dany hätte lieber um ihr Gold geweint. Mit den Geschenken für Mathos Mallarawan, Wendello Qar Deeth und Egon Emeros den Auserlesenen hätte sie ein Schiff kaufen oder eine große Zahl Söldner anheuern können. »Sollte ich nicht Ser Jorah schicken und die Geschenke zurückfordern?«, fragte sie.

»Ich fürchte, dann käme ein Betrübter Mann des Nachts in meinen Palast und würde Euch im Schlaf töten«, sagte Xaro. Die Betrübten Männer waren eine uralte, heilige Gilde von Assassinen, die ihren Namen trugen, weil sie stets flüsterten: »Es betrübt mich sehr«, während sie ihre Opfer töteten. Höflichkeit ging den Qartheen über alles. »Ein weises Sprichwort sagt: Es ist einfacher, die Steinkuh von Faros zu melken, als Gold aus einem Reingeborenen zu quetschen.«

Dany wusste nicht, wo Faros sich befand, Qarth dagegen schien voller Steinkühe zu sein. Die Handelsherren, die durch den Handel zwischen den Meeren unglaublich reich geworden waren, wurden in drei einander eifersüchtig beäugende Fraktionen eingeteilt: die Alte Gilde der Gewürzhändler, die Turmalinbruderschaft und die Dreizehn, zu denen auch Xaro gehörte. Jede wetteiferte mit den anderen um die Vorherrschaft, und alle drei lagen mit den Reingeborenen in nie enden wollendem Streit. Dazu kamen noch die Hexenmeister mit ihren blauen Lippen und entsetzlichen Kräften; die Hexenmeister zeigten sich zwar selten, wurden jedoch umso mehr gefürchtet.

Ohne Xaro wäre sie verloren gewesen. Das Gold, das sie für den Eintritt in die Halle der Tausend Throne verschwendet hatte, hatte sie größtenteils der Großzügigkeit und dem raschen Verstand des Handelsherrn zu verdanken. Während sich das Gerücht der lebenden Drachen im Osten verbreitete, kamen immer mehr Sucher, um zu erfahren, ob die Berichte der Wahrheit entsprachen – und Xaro Xhoan Daxos sorgte dafür, dass die Mächtigen und die Geringen gleichermaßen der Mutter der Drachen Geschenke entboten.

Das Rinnsal, das er ins Fließen gebracht hatte, schwoll bald zum Strom an. Handelskapitäne brachten ihr Spitze aus Myr, Truhen voller Safran aus Yi Ti, Bernstein und Drachenglas aus Asshai. Kaufleute schenkten ihr Beutel mit Gold, Silberschmiede Ringe und Ketten. Flötenspieler spielten für sie auf, Akrobaten vollführten Kunststücke, Jongleure jonglierten, während Färber sie in Farben hüllten, von deren Existenz sie nichts geahnt hatte. Ein Paar aus Jogos Nhai überbrachte ihr eines ihrer wilden, schwarzweiß gestreiften Pferde. Eine Witwe schenkte ihr den getrockneten Leib ihres verstorbenen Mannes, der mit einer Kruste aus Silberblättern überzogen war; solchen sterblichen Überresten wurde große Macht nachgesagt, vor allem wenn es sich bei dem Hingeschiedenen um einen Zauberer handelte, wie in diesem Fall. Und die Turmalinbruderschaft drängte ihr eine Krone auf, die wie ein dreiköpfiger Drache geformt war; der Körper war golden, die Flügel silbern und die Köpfe aus Jade, Elfenbein und Onyx geschnitzt.

Die Krone war das einzige Geschenk, das sie behielt. Den Rest verkaufte sie, um das Geld zu bekommen, das sie dann an die Reingeborenen verschwendet hatte. Xaro hätte auch die Krone verkauft – die Dreizehn würden ihr eine schönere schenken, schwor er, doch Dany verbot es. »Viserys hat die Krone meiner Mutter verkauft, und die Menschen nannten ihn einen Bettler. Ich werde diese behalten, damit die Menschen mich eine Königin nennen.« Und so trug sie die Krone, obwohl ihr von dem Gewicht der Nacken schmerzte.

Wenn auch gekrönt, eine Bettlerin bin ich noch immer, dachte Dany. Ich bin die prächtigste Bettlerin der Welt, und trotzdem nur eine Bettlerin. Sie hasste es genauso, wie ihr Bruder es einst gehasst haben musste. All diese Jahre, in denen wir von Stadt zu Stadt hasteten, um den Meuchlern des Thronräubers stets einen Schritt voraus zu sein, und Archonten und Fürsten und Magister um Hilfe baten und uns das Essen mit Schmeicheleien erkauften. Er muss gewusst haben, wie sehr sie ihn verachteten. Kein Wunder, dass er so wütend und verbittert wurde. Am Ende hatte es ihn in den Wahnsinn getrieben. Mir wird das Gleiche widerfahren, wenn ich es zulasse. Ein Teil von ihr hätte ihr Volk am liebsten zurück nach Vaes Tolorro geführt, um die tote Stadt aufblühen zu lassen. Nein, das würde die Niederlage bedeuten. Ich habe etwas, das Viserys nie besessen hat. Ich habe die Drachen. Die Drachen machen den Unterschied.

Sie streichelte Rhaegal. Der grüne Drache legte die Zähne um das Fleisch ihrer Hand und biss heftig zu. Draußen murmelte und summte die große Stadt, und die Myriaden von Stimmen verschmolzen zu einem tiefen Laut, der an das Donnern der Brandung erinnerte. »Macht Platz, ihr Milchmenschen, macht Platz für die Mutter der Drachen«, rief Jhogo, und die Qartheen wichen zur Seite, wenn auch vielleicht eher wegen der Ochsen als wegen Jhogos Stimme. Durch die schwankenden Vorhänge konnte Dany ihn gelegentlich auf seinem grauen Hengst sehen. Von Zeit zu Zeit versetzte er dem vorderen Ochsen einen Hieb mit der Peitsche, die einen Silbergriff hatte und die sie ihm geschenkt hatte. Aggo bewachte die andere Seite, während Rakharo hinter ihnen ritt und in den Gesichtern der Menge nach Anzeichen von Gefahr suchte. Ser Jorah war heute zu Hause geblieben, um die anderen Drachen zu bewachen; der verbannte Ritter hatte sich diesem närrischen Unternehmen von Anfang an widersetzt. Er misstraut jedem, ging es ihr durch den Kopf, und vermutlich aus gutem Grund.

Als Dany den Kelch hob und Wein trinken wollte, schnüffelte Rhaegal daran, zischte und zog den Kopf zurück. »Euer Drache hat eine feine Nase.« Xaro wischte sich den Mund. »Der Wein ist sehr gewöhnlich. Es heißt, jenseits der Jadesee würde ein goldener Trunk gekeltert, von dem man nur einen Schluck zu trinken braucht, und alle anderen Weine schmecken wie Essig. Lasst uns meine Lustbarke nehmen und nach ihm suchen, Ihr und ich.«

»Der beste Wein der ganzen Welt stammt vom Arbor«, verkündete Dany. Lord Rothweyn hatte für ihren Vater gegen den Thronräuber gekämpft, erinnerte sie sich, einer der wenigen, die bis zuletzt treu geblieben waren. Würde er heute auch für mich kämpfen? Dessen konnte man sich nach all den Jahren nicht sicher sein. »Kommt mit mir zum Arbor, Xaro, und Ihr werdet die feinsten Weine kosten, die Ihr je probiert habt. Aber wir werden ein Kriegsschiff brauchen und keine Lustbarke.«

»Ich besitze keine Kriegsschiffe. Krieg ist schlecht für den Handel. Wie oft habe ich es Euch nun schon gesagt? Xaro Xhoan Daxos ist ein Mann des Friedens.«

Xaro Xhoan Daxos ist ein Mann des Goldes, dachte sie, und mit Gold kann ich alle Schiffe und Schwerter kaufen, die ich brauche. »Ich meinte nicht, dass Ihr selbst das Schwert ergreifen sollt. Wenn Ihr mir nur Eure Schiffe leiht.«

Er lächelte bescheiden. »Handelsschiffe habe ich einige, gewiss. Aber wer kann sagen, wie viele? Eines sinkt vielleicht gerade in diesem Augenblick in einem stürmischen Winkel des Sommermeeres. Und morgen fällt möglicherweise ein anderes Korsaren in die Hände. Am nächsten Tag betrachtet vielleicht einer meiner Kapitäne die Reichtümer im Frachtraum und denkt: Das alles sollte mir gehören. Solcherart sind die Gefahren des Handels. Je länger wir reden, desto weniger Schiffe habe ich wahrscheinlich am Ende. Ich werde von Moment zu Moment ärmer.«

»Gebt mir Schiffe, und ich werde Euch wieder reich machen. «

»Heiratet mich, helles Licht, und bemannt das Schiff meines Herzens. Ich kann keine Nacht mehr schlafen, weil ich stets an Eure Schönheit denken muss.«

Dany lächelte. Xaros blumige Beteuerungen seiner Leidenschaft amüsierten sie, doch sein Verhalten stand im Gegensatz zu seinen Worten. Während Ser Jorah kaum in der Lage gewesen war, den Blick von ihrer nackten Brust abzuwenden, als er ihr in den Palankin half, nahm Xaro kaum Notiz von ihrem Busen, obwohl sie hier sehr nah beieinander saßen. Und sie hatte die hübschen Knaben gesehen, die den Handelsherrn umschwirrten und in hauchdünner Seide durch die Säle seines Palastes wandelten. »Ihr sprecht so süß, Xaro, und dennoch höre ich nur ein weiteres Nein heraus.«

»Dieser Eiserne Thron, von dem Ihr erzählt, erscheint mir fürchterlich kalt und hart. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass die rauen Kanten Eure holde Haut zerschneiden. « Mit den Juwelen in der Nase erinnerte Xago Dany an einen aufgeplusterten bunten Vogel. Mit den langen eleganten Fingern machte er eine wegwerfende Geste. »Lasst dies Euer Königreich sein, auserlesenste aller Königinnen, und lasst mich Euer König sein. Ich werde Euch einen Thron aus Gold schenken, wenn Ihr mögt. Wenn es Euch in Qarth langweilig wird, können wir durch Yi Ti reisen und nach der Träumenden Stadt der Poeten suchen, wo wir aus dem Schädel eines toten Mannes vom Wein der Weisheit trinken.«

»Ich beabsichtige, nach Westeros zu segeln und den Wein der Rache aus dem Schädel des Usurpators zu trinken.« Sie kratzte Rhaegal unter einem Auge, und der kleine Drache entfaltete kurz die jadegrünen Flügel und brachte die bewegungslose Luft im Palankin in Bewegung.

Eine einzelne vollkommene Träne rann Xaro Xhoan Daxos über die Wange. »Kann ich Euch denn mit gar nichts von diesem Wahnsinn abbringen?«

»Nein«, sagte sie und wünschte sich, sie wäre sich dessen so sicher, wie ihre Stimme klang. »Wenn mir jeder der Dreizehn zehn Schiffe leihen würde …«

»Dann hättet Ihr einhundertdreißig Schiffe ohne Mannschaft. Mag Euer Anspruch noch so gerechtfertigt sein, den einfachen Männern von Qarth bedeutet er nichts. Was scheren sich meine Seeleute darum, wer auf dem Thron irgendeines Königreiches am Ende der Welt sitzt?«

»Ich werde sie bezahlen.«

»Mit welchem Geld, süßester Stern an meinem Himmel?«

»Mit dem Gold, das die Sucher bringen.«

»Das könnt Ihr natürlich tun«, bemerkte Xaro, »aber solcher Einsatz wird viel kosten. Ihr müsstet ihnen weitaus mehr bezahlen als ich, und ganz Qarth lacht bereits über meine verschwenderische Großzügigkeit.«

»Wenn die Dreizehn mir nicht helfen, sollte ich mich vielleicht an die Gilde der Gewürzhändler oder die Turmalinbruderschaft wenden?«

Xaro zuckte träge die Schultern. »Von ihnen habt Ihr nichts zu erwarten außer Schmeicheleien und Lügen. Die Gewürzhändler sind Heuchler und Prahler, in der Bruderschaft gibt es sogar Piraten.«

»Dann muss ich auf Pyat Pree hören und zu den Hexenmeistern gehen.«

Abrupt richtete sich der reiche Handelsherr auf. »Pyat Pree hat blaue Lippen, und es heißt, blaue Lippen sprächen nur die Unwahrheit. Beherzigt die Weisheit eines Mannes, der Euch liebt. Hexenmeister sind Wesen, die Staub fressen und Schatten trinken. Sie werden Euch nichts geben. Sie haben nichts zu geben.«

»Ich wäre nicht in der Zwangslage, die Hexenmeister um Hilfe anzugehen, wenn mein Freund Xaro Xhoan Daxos mir gäbe, um was ich ihn bitte.«

»Ich habe Euch mein Heim und mein Herz geschenkt, bedeutet Euch das gar nichts? Ich habe Euch Parfüm und Granatäpfel, verspielte Äffchen und speiende Schlangen, Schriftrollen aus dem untergegangenen Valyria, den Kopf eines Idols und einen Schlangenfuß geschenkt. Ich habe Euch diesen Palankin aus Gold und Ebenholz geschenkt und dazu ein Paar Ochsen, die ihn tragen, einer weiß wie Elfenbein, der andere schwarz wie Jett, und ihre Hörner sind mit Edelsteinen verziert.«

»Ja«, erwiderte Dany. »Und dennoch waren es Schiffe und Soldaten, die ich wollte.«

»Habe ich Euch keine Armee geschenkt, holdeste aller Frauen? Eintausend Ritter in glänzender Rüstung.«

Die Rüstung war aus Silber und Gold, die Ritter aus Jade und Beryll und Onyx und Turmalin, aus Bernstein und Opal und Amethyst, und jeder war so groß wie ihr kleiner Finger. »Eintausend hübsche Ritter«, sagte sie, »die keiner meiner Feinde fürchtet. Und meine Ochsen können mich nicht über das Meer tragen, ich … Warum halten wir an?« Die Ochsen waren deutlich langsamer geworden.

»Khaleesi«, rief Aggo durch die Vorhänge, als der Palankin ruckartig zum Stehen kam. Dany stützte sich auf den Ellbogen und lehnte sich hinaus. Sie befanden sich am Rand des Basars, und der Weg wurde ihnen von einer Mauer aus Menschen versperrt. »Was gibt es da zu sehen?«

Jhogo ritt zu ihr zurück. »Einen Feuermagier, Khaleesi.«

»Ich will ihn mir anschauen.«

»Dann kommt.« Der Dothraki bot ihr die Hand. Als sie diese ergriff, zog er sie auf sein Pferd und setzte sie vor sich, von wo sie über die Köpfe der Menge hinwegblicken konnte. Der Feuermagier hatte eine orangefarbene Leiter aus tanzenden Flammen heraufbeschworen, die sich ohne Stützen lodernd vom Boden bis hinauf zum Gitterwerk des hohen Daches erstreckte.

Die meisten Zuschauer, so fiel ihr auf, waren nicht aus der Stadt; sie sah Seeleute von Handelsschiffen, Händler, die mit Karawanen eingetroffen waren, staubige Kerle aus der Roten Wüste, umherziehende Soldaten, Handwerker, Sklavenjäger. Jhogo legte eine Hand um ihre Taille und beugte sich vor. »Die Milchmenschen meiden ihn. Khaleesi, siehst du das Mädchen mit dem Filzhut? Dort hinter dem fetten Priester. Sie ist eine …«

»Beutelschneiderin«, beendete Dany den Satz. Sie war keine verhätschelte Lady, die von solchen Dingen nichts wusste. In den Straßen der Freien Städte hatte sie während der Jahre, die sie dort mit ihrem Bruder verbracht hatte, während sie vor den Mördern des Usurpators flohen, Beutelschneider zuhauf gesehen.

Der Magier vollführte eine Geste und schob die Flammen mit weiten Bewegungen der Arme höher und höher. Während die Zuschauer den Kopf weit in den Nacken legten, schlichen die Taschendiebe durch die Menge und hielten kleine Messer in den Händen verborgen. Sie erleichterten die Wohlhabenden mit der einen Hand um ihre Münzen, derweil sie mit der anderen nach oben zeigten.

Als die feurige Leiter fast fünfzehn Meter in die Höhe ragte, sprang der Magier hinauf und kletterte flink wie ein Affe daran hoch. Jede Sprosse, die er berührte, löste sich hinter ihm auf und hinterließ nicht mehr als einen zarten silbernen Rauchschleier. Oben angelangt, war die Leiter verschwunden, und ebenso der Magier.

»Ein hübscher Trick«, verkündete Jhogo voller Bewunderung.

»Das war kein Trick«, sagte eine Frau in der Gemeinen Zunge.

Dany hatte Quaithe bislang nicht bemerkt, doch da stand sie, und hinter der rot lackierten Maske glänzten ihre Augen feucht. »Was meint Ihr, Mylady?«

»Vor einem halben Jahr konnte dieser Mann kaum Feuer in Drachenglas erwecken. Er besaß ein wenig Geschick mit Pülverchen und Seefeuer, und es reichte gerade, um die Menge abzulenken, während seine Beutelschneider hindurchschlichen. Er konnte über heiße Kohlen laufen und brennende Rosen in der Luft erblühen lassen, aber eine flammende Leiter hinaufklettern konnte er ebenso wenig, wie ein Fischer mit seinem Netz einen Kraken fangen kann.«

Unbehaglich betrachtete Dany die Stelle, an der die Leiter in die Höhe geragt hatte. Sogar der Rauch war nun verflogen, und die Menge löste sich auf, ein jeder ging wieder seinen Geschäften nach. In einigen Augenblicken würde so mancher entdecken, dass sein Geldbeutel flach und leer war. »Und jetzt?«

»Und jetzt wachsen seine Kräfte, Khaleesi. Und zwar Euretwegen. «

»Meinetwegen?« Sie lachte. »Wie kann das sein?«

Die Frau trat an sie heran und legte zwei Finger auf ihr Handgelenk. »Ihr seid die Mutter der Drachen, stimmt das nicht?«

»Das ist sie, und keine Brut der Schatten darf sie berühren. « Jhogo stieß Quaithes Finger mit dem Griff seiner Peitsche fort.

Die Frau wich einen Schritt zurück. »Ihr müsst diese Stadt bald verlassen, Daenerys Targaryen, oder man wird Euch überhaupt nicht mehr gestatten fortzugehen.«

An der Stelle, die Quaithe berührt hatte, kribbelte Danys Haut. »Wohin soll ich denn gehen?«, fragte sie.

»Um nach Norden zu gelangen, müsst Ihr nach Süden ziehen. Um nach Westen zu kommen, geht nach Osten. Um vorwärts zu gelangen, geht rückwärts, und um das Licht zu berühren, müsst Ihr unter dem Schatten hindurchziehen.«

Asshai, dachte Dany. Sie schickt mich nach Asshai. »Werden mir die Asshai’i eine Armee geben?«, wollte sie wissen. »Finde ich Gold in Asshai? Oder Schiffe? Was gibt es in Asshai, das ich in Qarth nicht bekomme?«

»Die Wahrheit«, sagte die Frau in der Maske, verneigte sich und wich in die Menge zurück.

Rakharo schnaubte verächtlich durch seinen langen Schnurrbart. »Khaleesi, eher sollte ein Mann Skorpione schlucken, als der Brut der Schatten zu trauen, die es nicht wagen, ihr Antlitz im Licht der Sonne zu zeigen. Das ist bekannt. «

»Das ist bekannt«, stimmte Aggo zu.

Xaro Xhoan Daxos hatte die Unterhaltung von seinen Kissen aus mitverfolgt. Nachdem Dany wieder in den Palankin gestiegen war, sagte er: »Eure Wilden sind weiser, als sie es selbst wissen. Die Wahrheiten, welche die Asshai’i anhäufen, werden Euch nicht zum Lächeln bringen.« Daraufhin drückte er ihr noch einen Kelch Wein in die Hand und sprach über Liebe und Lust und andere Nebensächlichkeiten, bis sie in seinem Haus angelangt waren.

In der Stille ihres Zimmers zog Dany die prächtigen Kleider aus und legte eine weite Robe aus purpurfarbener Seide an. Ihre Drachen waren hungrig, daher schnitt sie eine Schlange klein und röstete die Stücke über der Kohlenpfanne. Sie wachsen, bemerkte sie, während sie ihnen zusah, wie sie nach dem knusprigen Fleisch schnappten und sich darum stritten. Inzwischen wiegen sie mindestens doppelt so viel wie in Vaes Tolorro. Trotzdem würde es noch Jahre dauern, bis sie groß genug waren, um in den Krieg zu ziehen. Und ausgebildet werden müssen sie auch, sonst legen sie mein ganzes Königreich in Schutt und Asche. Und obwohl das Blut der Targaryen in ihren Adern floss, hatte Dany nicht die geringste Ahnung, wie man einen Drachen ausbildete.

Ser Jorah Mormont kam gegen Sonnenuntergang zu ihr. »Die Reingeborenen haben Euch abgewiesen?«

»Wie Ihr es vorausgesagt habt. Kommt, setzt Euch und gebt mir Euren Rat.« Dany zog ihn auf das Kissen neben sich, und Jhiqui brachte ein Schälchen mit purpurnen Oliven und in Wein eingelegten Zwiebeln.

»In dieser Stadt werdet Ihr keine Hilfe finden, Khaleesi.« Ser Jorah nahm eine Zwiebel zwischen Daumen und Zeigefinger. »Jeden Tag bin ich davon mehr überzeugt als am Tag zuvor. Die Reingeborenen blicken nur bis zu den Mauern von Qarth, und Xaro …«

»Heute hat er mich abermals gebeten, ihn zu heiraten.«

»Ja, und ich weiß auch, warum.« Wenn der Ritter die Stirn runzelte, berührten sich die Augenbrauen über den tief liegenden Augen.

»Weil er Tag und Nacht von mir träumt.« Sie lachte.

»Vergebt mir, meine Königin, doch er träumt von Euren Drachen.«

»Xaro hat mir versichert, in Qarth würden Mann und Frau nach der Heirat ihr Eigentum behalten. Die Drachen gehören mir.« Sie lächelte, als Drogon flatternd über den Marmorboden hüpfte und auf das Kissen neben ihr kroch.

»Er sagt die Wahrheit, allerdings hat er eines nicht erwähnt. Die Qartheen haben eine eigentümliche Hochzeitszeremonie, meine Königin. Am Tag ihrer Vereinigung darf die Frau ein Pfand der Liebe von ihrem Gemahl einfordern. Was immer sie von seinen weltlichen Schätzen verlangt, muss er ihr geben. Und er darf sie um das Gleiche bitten. Um einen einzigen Gegenstand, aber was auch immer gefordert wird, darf nicht versagt werden.«

»Einen Gegenstand, der nicht versagt werden darf«, wiederholte sie.

»Mit einem Drachen würde Xaro Xhoan Daxos diese Stadt beherrschen, aber Eurem Zweck würde ein einziges Schiff wenig dienen.«

Dany knabberte an einer Zwiebel und dachte betrübt über die Treulosigkeit der Männer nach. »Auf dem Rückweg von der Halle der Tausend Throne sind wir an einem Basar vorbeigekommen«, erzählte sie. »Dort habe ich Quaithe getroffen. « Sie berichtete von dem Feuermagier und der flammenden Leiter und davon, was die Frau mit der roten Maske ihr darüber erklärt hatte.

»Um die Wahrheit zu sagen, wäre ich froh, diese Stadt zu verlassen«, erwiderte der Ritter, nachdem sie ihre Schilderung beendet hatte. »Doch nicht, um nach Asshai zu ziehen.«

»Wohin dann?«

»Nach Osten«, sagte er.

»Ich bin eine halbe Welt von meinem Königreich entfernt. Wenn ich noch weiter nach Osten gehe, finde ich den Heimweg nach Westeros vielleicht nie mehr.«

»Wenn Ihr nach Westen zieht, riskiert Ihr Euer Leben.«

»Das Haus Targaryen hat Freunde in den Freien Städten«, erinnerte sie ihn. »Treuere Freunde als Xaro oder die Reingeborenen. «

»Falls Ihr auf Illyrio Mopatis anspielt, bin ich mir da nicht so sicher. Für genug Gold würde Illyrio Euch verkaufen wie einen Sklaven.«

»Mein Bruder und ich waren ein halbes Jahr lang zu Gast bei Illyrio. Wenn er uns hätte verkaufen wollen, hätte er es damals schon tun können.«

»Er hat Euch verkauft«, sagte Ser Jorah. »An Khal Drogo.«

Dany errötete. Der Ritter hatte die Wahrheit gesprochen, doch ihr gefiel die Schärfe seines Tonfalls nicht. »Illyrio hat uns vor den Messern des Thronräubers geschützt, und er hat an die Ziele meines Bruders geglaubt.«

»Illyrio glaubt an gar nichts, außer an sich selbst. Vielfraße sind gierige Männer, und Magister sind hinterhältig. Illyrio Mopatis ist beides. Was wisst Ihr wirklich über ihn?«

»Er hat mir die Dracheneier geschenkt.«

Ser Jorah schnaubte. »Hätte er gewusst, wie man sie ausbrütet, hätte er sich selbst daraufgesetzt.«

Daraufhin musste sie lächeln. »Oh, daran zweifle ich nicht, Ser. Ich kenne Illyrio besser, als Ihr denkt. Als ich sein Anwesen in Pentos verließ, um meine Sonne, meine Sterne zu heiraten, war ich noch ein Kind, doch ich war weder taub noch blind. Und heute bin ich kein Kind mehr.«

»Selbst wenn Illyrio der Freund wäre, für den Ihr ihn haltet«, beharrte der Ritter, »ist er nicht mächtig genug, um Euch aus eigener Kraft auf den Thron zu hieven, denn das ist ihm schon bei Eurem Bruder nicht gelungen.«

»Er ist reich«, erwiderte sie. »Vielleicht nicht so reich wie Xaro, doch reich genug, um Schiffe für mich zu mieten und Männer anzuheuern.«

»Söldner haben ihren Nutzen«, räumte Ser Jorah ein. »Dennoch werdet Ihr den Thron Eures Vaters nicht zurückerobern, indem Ihr mit dem Abschaum der Freien Städte zuschlagt. Nichts schmiedet ein zerbrochenes Reich so rasch wieder zusammen wie eine Armee von Eindringlingen auf seinem Boden.«

»Ich bin ihre rechtmäßige Königin«, protestierte Dany.

»Ihr seid eine Fremde, die mit einer ausländischen Armee, deren Söldner nicht einmal der Gemeinen Zunge mächtig sind, an ihrer Küste anlanden will. Die Lords von Westeros kennen Euch nicht und haben allen Grund, Euch zu fürchten und Euch zu misstrauen. Sie müsst Ihr gewinnen, ehe Ihr in See stecht. Zumindest einige von ihnen.«

»Und wie soll mir das gelingen, wenn ich auf Euren Rat hin nach Osten ziehe?«

Er aß eine Olive und spuckte den Kern in seine Handfläche. »Ich weiß es nicht, Euer Gnaden«, gestand er ein, »doch ich weiß, dass es für Eure Feinde umso leichter wird, Euch zu finden, je länger Ihr an einem Ort verweilt. Der Name Targaryen flößt ihnen noch immer Angst ein, und deshalb haben sie jemanden geschickt, um Euch zu ermorden, als sie von Eurer Schwangerschaft erfuhren. Was werden sie tun, wenn sie von den Drachen hören?«

Drogon hatte sich neben ihrem Arm zusammengerollt, er war so heiß wie ein Stein, der den ganzen Tag in der prallen Sonne gelegen hatte. Rhaegal und Viserion balgten sich um ein Stück Fleisch und stießen sich mit den Flügeln gegenseitig zur Seite, während aus ihren Nüstern Rauch aufstieg. Meine zornigen Kinder, dachte sie. Niemand darf ihnen etwas antun. »Der Komet hat mich nicht ohne Grund nach Qarth geführt. Ich hatte gehofft, hier meine Armee zu finden, doch anscheinend soll es nicht sein. Was bleibt mir anderes übrig, frage ich mich?« Ich fürchte mich, dämmerte es ihr, doch ich muss tapfer sein. »Morgen müsst ihr zu Pyat Pree gehen.«

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