ERSTER TEIL Die Erde und die Overlords

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Stormgren, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, stand regungslos vor dem großen Fenster und starrte auf den wimmelnden Verkehr in der Dreiundvierzigsten Straße hinunter. Er fragte sich bisweilen, ob es für irgend jemanden gut sein könne, in solcher Höhe über seinen Mitmenschen zu arbeiten. Isolierung war eine gute Sache, aber sie konnte sich leicht in Gleichgültigkeit verwandeln. Oder versuchte er nur, nach zwanzig Jahren, in New York eine vernünftige Erklärung für seine noch immer nicht besiegte Abneigung gegen Wolkenkratzer zu finden?

Er hörte die Tür hinter sich aufgehen, wandte aber nicht den Kopf, als Pieter van Ryberg den Raum betrat. Es entstand die unvermeidliche Pause, während Pieter mißbilligend den Wärmeregulator ansah; es war ein geflügeltes Wort, daß der Generalsekretär am liebsten im Eisschrank gelebt hätte. Stormgren wartete, bis sein Stellvertreter zu ihm ans Fenster trat, dann riß er den Blick von dem vertrauten, aber immer wieder faszinierenden Panorama zu seinen Füßen los.

„Die verspäten sich“, sagte er. „Wainwright hätte schon vor fünf Minuten hier sein müssen.“

„Ich habe eben Nachricht von der Polizei bekommen. Er hat eine ganze Prozession bei sich, und der Verkehr stockt. Die Leute müssen jetzt jeden Augenblick kommen.“ Van Ryberg hielt inne, dann fügte er unvermittelt hinzu: „Sind Sie noch immer überzeugt, daß es ein guter Gedanke ist, ihn zu empfangen?“

„Ich fürchte, es ist etwas zu spät, es jetzt rückgängig zu machen. Schließlich habe ich zugestimmt — obwohl es, wie Sie wissen, ursprünglich nicht mein Einfall war.“ Stormgren war an seinen Schreibtisch getreten und spielte mit seinem berühmten Uranbriefbeschwerer. Er war nicht nervös, nur unentschlossen. Er war sogar froh, daß Wainwright sich verspätete, denn das würde ihm selbst einen kleinen moralischen Vorteil geben, wenn die Unterhaltung eröffnet wurde; solche Nichtigkeiten spielten eine größere Rolle in menschlichen Angelegenheiten, als jemand, der Gewicht auf Logik und Vernunft legte, wünschen mochte.

„Da sind sie“, sagte van Ryberg plötzlich und drückte das Gesicht gegen die Fensterscheibe. „Sie kommen die Avenue entlang, etwa dreitausend Menschen, schätze ich.“

Stormgren nahm sein Notizbuch zur Hand und gesellte sich wieder zu seinem Stellvertreter. Etwa einen Kilometer entfernt, bewegte sich eine kleine, aber entschlossene Schar langsam auf das Gebäude des Generalsekretariats zu. Sie trug Transparente, die in dieser Entfernung nicht zu entziffern waren, aber Stormgren kannte die Aufschriften gut genug. Jetzt konnte er über dem Verkehrslärm den unheilkündenden Rhythmus singender Stimmen hören. Er fühlte, wie ihn plötzlich eine Woge der Abneigung durchströmte. Die Welt hatte doch wirklich genug von marschierenden Pöbelhaufen und erbitterten Schlagworten!

Die Menge war jetzt vor dem Gebäude angelangt. Sie mochte wissen, daß er sie beobachtete, denn hier und da wurden ziemlich selbstbewußt drohend erhobene Fäuste geschüttelt. Sie wollten damit nicht ihn herausfordern, obwohl sie zweifellos beabsichtigten, daß Stormgren diese Geste sehen solle. Wie Zwerge einem Riesen drohen mögen, so waren diese zornigen Fäuste gegen den fünfzig Kilometer über ihren Köpfen liegenden Himmel gerichtet, gegen die schimmernde Silberwolke, die das Flaggschiff der Overlord-Flotte war.

Und sehr wahrscheinlich, so dachte Stormgren, beobachtete Karellen den ganzen Vorgang und amüsierte sich großartig, denn diese Begegnung hätte ohne die Anregung des Oberkontrolleurs nie stattgefunden.

Es war das erstemal, daß Stormgren den Führer der Freiheitsliga traf. Er fragte sich nicht mehr, ob die Unternehmung weise sei, denn Karellens Pläne waren für menschliche Einsicht oft zu scharfsinnig und ausgeklügelt. Auf keinen Fall, meinte Stormgren, konnte ernsthafter Schaden angerichtet werden. Wenn er sich geweigert hätte, Wainwright zu empfangen, so hätte die Freiheitsliga das gegen ihn ausgespielt.

Alexander Wainwright war ein großer, stattlicher Mann Ende der Vierzig. Er war, wie Stormgren wußte, völlig ehrenhaft und daher doppelt gefährlich. Dennoch machte es seine unverkennbare Aufrichtigkeit schwer, Abneigung gegen ihn zu empfinden, wie man auch immer über die Sache, die er vertrat, und über einige der Anhänger, die er gewonnen hatte, denken mochte.

Stormgren verlor nach der kurzen und etwas steifen Vorstellung durch van Ryberg keine Zeit. „Ich vermute“, begann er, „daß der Hauptzweck Ihres Besuches darin besteht, einen formellen Protest gegen das Verhalten der Vereinten Nationen einzulegen. Habe ich recht?“

Wainwright nickte ernst. „Das ist hauptsächlich meine Absicht, Herr Generalsekretär. Wie Sie wissen, haben wir in den letzten fünf Jahren versucht, die menschliche Rasse auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die ihr droht. Die Aufgabe war schwierig, denn die Mehrheit der Bevölkerung scheint zufrieden damit zu sein, daß die Overlords die Welt nach ihrem Belieben regieren. Dennoch haben mehr als fünf Millionen Patrioten in allen Ländern unseren Antrag unterzeichnet.“

„Keine sehr eindrucksvolle Zahl bei zweieinhalb Milliarden.“

„Es ist eine Zahl, die nicht unbeachtet bleiben kann. Und auf jeden Unterzeichner kommen viele, die schwere Zweifel an der Klugheit, nicht zu reden von der Rechtmäßigkeit, dieses Plans der Vereinten Nationen haben. Selbst Oberkontrolleur Karellen kann trotz all seiner Macht nicht mit einem Federstrich tausend Jahre Geschichte austilgen.“

„Was weiß ein Mensch über Karellens Macht?“ gab Stormgren zurück. „In meiner Kindheit war das Vereinte Europa noch ein Traum, aber als ich zum Mann heranreifte, war es Wirklichkeit geworden. Das war vor der Ankunft der Overlords. Karellen fuhrt nur die Arbeit zu Ende, die wir begonnen haben.“

„Europa war eine kulturelle und geographische Einheit. Das ist die Welt nicht. Da liegt der Unterschied.“

„Für die Overlords“, erwiderte Stormgren sarkastisch, „ist die Erde wahrscheinlich sehr viel kleiner, als Europa unsern Vätern erschien, und das Urteil der Overlords ist, meine ich, reifer als unseres.“

„Ich wehre mich nicht unbedingt gegen einen Zusammenschluß als Endziel, obwohl viele meiner Anhänger mir darin nicht zustimmen dürften. Aber ein solcher Zusammenschluß muß von innen kommen, darf nicht von außen aufgezwungen werden. Wir müssen unser eigenes Schicksal erarbeiten. Es darf keine Einmischung in menschliche Angelegenheiten mehr geben.“

Stormgren seufzte. Das alles hatte er schon hundertmal gehört, und er wußte, daß er nur die alte Antwort geben konnte, die die Freiheitsliga nicht hatte anerkennen wollen. Er vertraute Karellen, und sie nicht. Das war der grundlegende Unterschied, und daran konnte er nichts ändern. Glücklicherweise konnte auch die Freiheitsliga nichts daran ändern.

„Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen“, sagte er. „Können Sie leugnen, daß die Overlords der Erde Sicherheit, Frieden und Wohlstand gebracht haben?“

„Das stimmt. Aber sie haben uns die Freiheit genommen. Der Mensch lebt nicht.“

„… vom Brot allein. Ja, ich weiß, aber jetzt haben wir das erste Zeitalter, in dem jeder Mensch die Sicherheit hat, dieses Brot zu bekommen.

Was für eine Freiheit haben wir denn verloren im Vergleich mit der, die die Overlords uns zum erstenmal in der menschlichen Geschichte gegeben haben?“

„Die Freiheit, unter Gottes Führung unser eigenes Leben zu regeln.“

Endlich, dachte Stormgren, sind wir beim Kern angekommen. Im Grunde ist der Konflikt religiöser Art, sosehr man ihn auch tarnen mag. Wainwright ließ einen nie vergessen, daß er Geistlicher war. Obwohl er keine Pastorenkrause mehr trug, hatte man doch immer den Eindruck, als wäre sie noch vorhanden.

„Im vorigen Monat“, bemerkte Stormgren, „haben hundert Bischöfe, Kardinale und Rabbiner eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sie der Politik des Oberkontrolleurs ihre Unterstützung versprachen. Die Kirchenleute der ganzen Welt sind gegen Sie.“

Wainwright schüttelte zornig den Kopf. „Viele der Führer sind blind. Sie sind durch die Overlords verdorben worden. Wenn sie die Gefahr erkennen, kann es zu spät sein. Die Menschheit wird ihre Initiative verloren haben und eine unterjochte Rasse werden.“

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann erwiderte Stormgren: „In drei Tagen werde ich den Oberkontrolleur wieder treffen. Ich werde ihm Ihre Einwände erklären, da es meine Pflicht ist, die Ansichten der Erde zu repräsentieren. Aber es wird sich dadurch nichts ändern, das kann ich Ihnen versichern.“

„Da ist noch ein anderer Punkt“, sagte Wainwright langsam. „Wir haben viele Einwände gegen die Overlords, aber vor allem verabscheuen wir ihre Heimlichtuerei. Sie sind das einzige menschliche Wesen, das je mit Karellen gesprochen hat, und selbst Sie haben ihn nie gesehen. Ist es da überraschend, daß wir seinen Beweggründen mißtrauen?“

„Trotz allem, was er für die Menschheit getan hat?“

„Ja, trotzdem. Ich weiß nicht, was uns unangenehmer ist: Karellens Allmacht oder seine Heimlichtuerei. Wenn er nichts zu verbergen hat, warum zeigt er sich dann niemals? Fragen Sie ihn danach, Herr Stormgren, wenn Sie das nächstemal mit dem Oberkontrolleur sprechen.“

Stormgren schwieg. Hierauf konnte er nichts sagen, jedenfalls nichts, was den andern überzeugen würde. Bisweilen fragte er sich, ob er selbst wirklich überzeugt war.

Es war natürlich vom Standpunkt der Overlords nur eine sehr kleine Unternehmung, aber für die Erde war es das gewaltigste, was je geschehen war. Ohne jede Ankündigung waren die riesigen Schiffe aus den unbekannten Tiefen des Weltraums hervorgekommen. Zahllose Male war dieser Tag in Romanen beschrieben worden, aber niemand hatte wirklich geglaubt, daß er je kommen würde. Jetzt war er doch angebrochen. Die schimmernden, schweigenden Körper, die über jedem Lande schwebten, waren Symbole einer Wissenschaft, die der Mensch in Jahrhunderten nicht einholen konnte. Sechs Tage lang hatten sie regungslos über seinen Städten geschwebt und mit keinem Zeichen angedeutet, daß sie um sein Vorhandensein wußten. Aber es war kein Zeichen nötig. Es konnte nicht nur Zufall sein, daß diese mächtigen Schiffe so genau über New York, London, Paris, Moskau, Rom, Kapstadt, Tokio, Canberra schwebten.

Noch vor dem Ende dieser lähmenden sechs Tage hatten einige Menschen die Wahrheit erraten. Dies war kein erster Versuch einer Rasse, die nichts vom Menschen wußte, eine Verbindung mit ihm aufzunehmen. In diesen schweigenden, regungslosen Schiffen studierten Meister der Psychologie das Verhalten der Menschheit. Wenn die Spannung ihren Höhepunkt erreichte, würden sie handeln.

Und am sechsten Tage stellte sich Karellen, der Oberkontrolleur für die Erde, der Welt in einer Rundfunkansprache vor, die jede Radiofrequenz übertönte. Er sprach so vollendet Englisch, daß die Polemik, die durch diese Rede ausgelöst wurde, eine Generation hindurch den Atlantik beherrschte. Aber der Inhalt der Rede war noch aufregender als ihr Vortrag. In jeder Hinsicht war sie das Werk eines überragenden Genies und zeigte eine vollständige und unbedingte Beherrschung menschlicher Angelegenheiten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß ihre Gelehrsamkeit und Virtuosität, ihre marternden Hinweise auf ein noch nicht offenbartes Wissen, absichtlich darauf abzielten, die Menschheit davon zu überzeugen, daß sie sich einer überwältigenden intellektuellen Macht gegenüberbefände. Als Karellen geendet hatte, wußten die Nationen der Erde, daß ihre Tage einer unsicheren Souveränität beendet waren, örtliche, interne Regierungen würden noch ihre Macht behalten, aber auf dem weiteren Gebiet der internationalen Angelegenheiten waren die höchsten Entscheidungen menschlichen Händen entglitten. Proteste, Einwendungen, alles war vergeblich.

Es war kaum zu erwarten, daß alle Nationen der Erde sich einer solchen Beschränkung ihrer Machtbefugnisse ohne weiteres unterwerfen würden. Jedoch ein aktiver Widerstand bot erstaunliche Schwierigkeiten, denn eine Zerstörung der Schiffe der Overlords würde, selbst wenn sie durchführbar wäre, die unter ihnen liegenden Städte vernichten. Dennoch hatte eine Großmacht den Versuch unternommen. Vielleicht hofften die Verantwortlichen dort, zwei Fliegen mit einem Atomgeschoß zu treffen, denn ihr Ziel schwebte über der Hauptstadt einer benachbarten und feindlich gesinnten Nation.

Als sich das Bild des großen Schiffes auf dem Fernsehschirm in dem geheimen Kontrollraum ausbreitete, mochte die kleine Gruppe von Offizieren und Ingenieuren von mancherlei Empfindungen zerrissen gewesen sein. Was würden die übrigen Schiffe unternehmen, wenn ein Erfolg erzielt wurde? Konnten sie auch zerstört werden, so daß die Menschheit wieder ihre eigenen Wege gehen durfte? Oder würde Karellen furchtbare Rache an denen nehmen, die ihn angegriffen hatten?

Der Bildschirm wurde plötzlich leer, als das Geschoß beim Aufprall sich selbst zerstörte, und das Bild schaltete sofort auf eine viele Kilometer entfernte, schwebende Kamera um. In dem Bruchteil einer Sekunde, der verstrichen war, mußte sich der Feuerball schon geformt haben und den Himmel mit seiner Flammensonne erfüllen.

Aber nichts dergleichen geschah. Das große Schiff schwebte unbeschädigt, vom hellen Sonnenlicht umflossen, am Rande des Weltraums. Die Rakete hatte es nicht nur nicht getroffen, sondern niemand konnte je entdecken, was mit dem Geschoß geschehen war. Überdies unternahm Karellen nichts gegen die Verantwortlichen und machte nicht einmal eine Andeutung, daß er etwas von diesem Angriff wisse. Er beachtete sie nicht weiter und überließ sie gleichmütig ihrer Angst vor einer Rache, die niemals kam. Dies war eine wirksamere und niederschmetterndere Behandlung, als irgendeine Bestrafung es hätte sein können. Die verantwortliche Regierung brach unter gegenseitigen Anschuldigungen wenige Wochen später zusammen.

Gegen die Politik der Overlords hatte es auch manchen passiven Widerstand gegeben. Gewöhnlich hatte Karellen damit fertig werden können, indem er die Beteiligten ihre eigenen Wege gehen ließ, bis sie entdeckten, daß sie sich durch ihre Weigerung, mitzuarbeiten, nur selber schadeten. Nur einmal hatte er unmittelbare Schritte gegen eine widerspenstige Regierung unternommen.

Seit mehr als hundert Jahren war die Republik Südafrika der Mittelpunkt von Rassenkämpfen gewesen. Männer guten Willens auf beiden Seiten hatten eine Brücke zu bauen versucht, aber vergeblich — Furcht und Vorurteile waren zu tief eingewurzelt, um irgendeine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wechselnde Regierungen hatten sich nur durch den Grad ihrer Unduldsamkeit unterschieden. Das Land war durch den Haß und die Saat der Bürgerkriege vergiftet.

Als sich zeigte, daß kein Versuch gemacht würde, die Rassenvorurteile zu beseitigen, erließ Karellen eine Warnung. Darin wurde nur Datum und Stunde genannt, nichts weiter. Besorgnis entstand, aber wenig Furcht oder Panik, denn niemand glaubte, daß die Overlords eine gewaltsame oder zerstörende Maßnahme ergreifen würden, die Unschuldige und Schuldige gleichermaßen träfe.

Das geschah auch nicht. Es ereignete sich nichts weiter, als daß die Sonne, als sie den Meridian von Kapstadt überschritt, er losch. Es blieb nur ein blaßvioletter Körper übrig, der weder Wärme noch Licht spendete. Irgendwie war vom Weltraum her das Sonnenlicht durch zwei gekreuzte Felder polarisiert worden, so daß keine Strahlungen hindurchgehen konnten. Das betroffene Gebiet war fünfhundert Kilometer breit und völlig kreisrund.

Diese Demonstration dauerte dreißig Minuten. Das genügte. Am nächsten Tag kündigte die Regierung von Südafrika an, daß der weißen Minderheit die vollen Bürgerrechte zurückgegeben würden.

Abgesehen von solchen vereinzelten Zwischenfällen, nahm die menschliche Rasse die Overlords als Teil der natürlichen Ordnung der Dinge hin. In überraschend kurzer Zeit hatte sich die anfängliche Bestürzung gelegt, und die Welt wandte sich wieder ihren Geschäften zu. Nur eine stumme Erwartung blieb zurück, gleichsam ein stillschweigendes Umherspähen: Die Menschheit hoffte darauf, daß die Overlords sich zeigen und aus ihren schimmernden Schiffen herniedersteigen würden.

Fünf Jahre später wartete man noch immer. Das, dachte Stormgren, war die Ursache aller Schwierigkeiten.

Der übliche Kreis von Schaulustigen mit gezückten Kameras war versammelt, als Stormgrens Auto auf den Flugplatz fuhr. Der Generalsekretär tauschte einige abschließende Worte mit seinem Stellvertreter, ergriff seine Aktentasche und ging durch die Reihen der Zuschauer.

Karellen ließ ihn nie lange warten. Man hörte ein plötzliches „Oh!“ in der Menge, und eine silberne Kugel vergrößerte sich mit atemberaubender Schnelligkeit am Himmel über ihnen. Der Luftzug zerrte an Stormgrens Kleidern, als das kleine Schiff in fünfzig Metern Entfernung anhielt, wenige Zentimeter über dem Boden schwebend, als fürchte es eine Besudelung durch die Erde. Während Stormgren sich langsam vorwärtsbewegte, sah er, wie die nahtlose Metallhülle sich faltete; gleich darauf erschien vor ihm die Öffnung, die die größten Gelehrten der Erde so sehr in Erstaunen versetzt hatte. Er ging durch sie hindurch in den einzigen, matt erleuchteten Raum des Schiffes. Der Eingang verschloß sich selbsttätig wieder, als wäre er nie gewesen, und sperrte alle Geräusche und jeden Blick ab.

Fünf Minuten später öffnete er sich von neuem. Stormgren hatte keine Bewegung gespürt, wußte aber, daß er sich jetzt fünfzig Kilometer über der Erde befand, tief im Herzen von Karellens Schiff. Er war in der Welt der Overlords; rings um ihn her gingen sie ihren geheimnisvollen Geschäften nach. Er war näher an sie herangekommen als je ein anderer Mensch; doch er wußte nicht mehr über ihre körperliche Beschaffenheit als irgendeiner von den Millionen Erdbewohnern.

Der kleine Konferenzraum am Ende des kurzen Verbindungsganges war unmöbliert, abgesehen von dem einzigen Stuhl und dem Tisch unter dem Bildschirm. Wie beabsichtigt, verriet er nicht das geringste über die Geschöpfe, die ihn gebaut hatten. Der Bildschirm war jetzt so leer, wie er immer gewesen war. Manchmal hatte sich Stormgren in seinen Träumen eingebildet, daß der Bildschirm plötzlich zum Leben erwache und das Geheimnis, das die ganze Erde marterte, enthülle. Aber der Traum war nie Wirklichkeit geworden; hinter jenem dunklen Rechteck lag tiefstes Geheimnis. Aber dort waren auch Macht und Weisheit und vielleicht vor allem eine große und wohlwollende Zuneigung zu den kleinen Geschöpfen, die unten auf dem Planeten umherkrabbelten.

Aus dem verborgenen Gitter ertönte jene ruhige, niemals überstürzte Stimme, die Stormgren so gut kannte, obwohl die Erde sie in ihrer Geschichte nur einmal gehört hatte. Ihre Tiefe und ihr Klang gaben den einzigen vorhandenen Fingerzeig auf Karellens körperliche Beschaffenheit, denn sie hinterließ einen überwältigenden Eindruck von absoluter Größe. Karellen war groß, vielleicht viel größer als ein Mensch. Allerdings hatten einige Gelehrte, nachdem sie die Bandaufnahme seiner einzigen Rede analysiert hatten, die Mutmaßung geäußert, daß es die Stimme einer Maschine sei. Aber das vermochte Stormgren nicht zu glauben.

„Also, Rikki, ich habe Ihr kleines Interview mit angehört. Was halten Sie von diesem Wainwright?“

„Er ist ein ehrenhafter Mann, wenn auch viele seiner Anhänger das nicht sind. Was sollen wir mit ihm machen? Die Freiheitsliga selbst ist nicht gefährlich, aber einige ihrer Radikalen treten offen für Gewalttätigkeit ein. Ich habe überlegt, ob ich einen Posten vor meinem Hause aufstellen soll. Aber ich hoffe, daß es nicht nötig ist.“

Karellen wich dieser Frage in der aufreizenden Art aus, die er bisweilen hatte. „Die Einzelheiten über den Weltbund sind jetzt seit vier Wochen bekannt. Haben sich die sieben Prozent, die nicht mit mir einverstanden sind, oder die zwölf Prozent, die sich nicht schlüssig werden können, wesentlich vermehrt?“

„Noch nicht. Doch das ist ohne Bedeutung. Aber was mich beunruhigt, ist das auch unter ihren Anhängern vorhandene allgemeine Gefühl, daß es Zeit sei, dieser Geheimhaltung ein Ende zu machen.“

Karellens Seufzer war technisch vollkommen, jedoch fehlte es ihm irgendwie an Überzeugung. „Das ist auch Ihr Gefühl, nicht wahr?“

Die Frage war so rhetorisch, daß Stormgren sie unbeantwortet ließ. „Ich frage mich, ob Sie wirklich einsehen“, fuhr er ernsthaft fort, „wie sehr diese Sachlage meine Arbeit erschwert?“

„Sie nützt der meinen auch nicht gerade“, erwiderte Karellen lebhaft „lch wünschte, daß die Menschen mich nicht mehr für einen Diktator hielten und sich daran erinnerten, daß ich nur als Zivilbeamter eine Kolonialpolitik durchzuführen versuche, an deren Gestaltung ich nicht mitgewirkt habe.“

Das sei eine recht annehmbare Erklärung, dachte Stormgren, fragte sich aber, wie weit sie der Wahrheit entsprach. „Können Sie uns nicht wenigstens irgendeinen Grund für die Geheimhaltung angeben? Da wir sie nicht begreifen, ärgert sie uns und gibt Anlaß zu endlosen Gerüchten.“

Karellen stieß sein dröhnendes, tiefes Lachen aus, das eigentlich zu klangvoll war, um ganz menschlich zu sein.

„Was sieht man jetzt in mir? Behauptet die Robotertheorie noch das Feld? Ich möchte lieber eine Gruppe von Elektronenröhren sein als so etwas wie ein Tausendfüßler — jawohl, diese Zeichnung habe ich in der gestrigen Chicago Tribüne‹ gesehen. Ich gedenke, das Original anzufordern.“

Stormgren schob die Lippen vor. Er fand, daß Karellen seine Pflichten zuweilen zu leicht nahm. „Ich spreche im Ernst“, sagte er vorwurfsvoll.

„Mein lieber Rikki“, gab Karellen zurück, „nur weil ich die menschliche Rasse nicht ernst nehme, habe ich mir einige Bruchstücke meiner einstmals erheblichen geistigen Gaben bewahren können.“

Wider Willen mußte Stormgren lächeln. „Das nützt mir nicht viel, nicht wahr? Ich muß hinunter zu meinen Mitmenschen und sie davon überzeugen, daß Sie, obwohl Sie nicht erscheinen wollen, nichts zu verbergen haben. Das ist keine leichte Aufgabe. Neugier ist eine der vorherrschendsten menschlichen Eigenschaften. Sie können sie nicht ewig unbeachtet lassen.“

„Von allen Problemen, denen wir uns gegenübersahen, als wir zur Erde kamen, war dieses das schwierigste“, gab Karellen zu. „Sie haben in andern Dingen unserer Weisheit vertraut — sicherlich können Sie uns auch hierin trauen.“

„Ich vertraue Ihnen“, sagte Stormgren, „aber Wainwright nicht und ebensowenig seine Anhänger. Können Sie diesen Menschen wirklich einen Vorwurf daraus machen, wenn sie Ihre Weigerung, sich ihnen zu zeigen, schlecht auslegen?“

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann hörte Stormgren jenes leise Geräusch, das dadurch hervorgerufen sein konnte, daß der Oberkontrolleur seinen Körper ein wenig bewegte.

„Sie wissen, warum Wainwright und seinesgleichen mich fürchten, nicht wahr?“ fragte Karellen. Seine Stimme war jetzt dunkel wie eine große Orgel, die ihre Töne durch ein hohes Kirchenschiff rollen läßt. „Sie werden Männer wie ihn in allen Religionen der Welt finden. Diese Männer wissen, daß wir Vernunft und Wissenschaft vertreten, und so zuversichtlich sie in ihrem Glauben sein mögen, fürchten sie doch, daß wir ihre Götter stürzen werden, nicht unbedingt durch irgendeine vorbedachte Handlung, sondern auf raffinierte Art. Wissenschaft kann Religion zerstören, indem sie sie unbeachtet läßt, aber auch indem sie ihre Lehren widerlegt. Niemand hat, soviel mir bekannt ist, jemals das Nichtvorhandensein von Zeus oder Thor bewiesen, aber beide haben jetzt wenige Anhänger. Die Wainwrights fürchten ebenfalls, daß wir die Wahrheit über die Ursprünge ihrer Glaubenslehren kennen. Wie lange mögen wir, denken sie, die Menschheit beobachtet haben? Haben wir Mohammed beobachtet, als er seine Flucht antrat, oder Moses, als er den Juden ihre Gesetze gab? Kennen wir alles, was in den Geschichten, an die sie glauben, falsch ist?“

„Und kennen Sie es?“ flüsterte Stormgren halb zu sich selbst.

„Das, Rikki, ist die Furcht, die sie martert, obwohl sie das öffentlich niemals zugeben. Glauben Sie mir: Es bereitet uns kein Vergnügen, den Glauben der Menschen zu zerstören, aber es können nicht alle Religionen der Welt richtig sein, und das wissen diese Menschen. Früher oder später muß der Mensch die Wahrheit erfahren, aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Was unsere Heimlichtuerei betrifft, die, wie Sie ganz richtig sagen, unsere Probleme erschwert, so entzieht sich das meiner Kontrolle. Ich bedaure ebensosehr wie Sie, daß diese Geheimhaltung nötig ist, aber die Gründe dafür sind ausreichend. Ich will jedoch versuchen, von meinen — Vorgesetzten — eine Erklärung zu bekommen, die Sie wohl befriedigen und vielleicht die Freiheitsliga besänftigen wird. Können wir jetzt zur Tagesordnung zurückkehren?“

„Nun“, fragte van Ryberg besorgt, „haben Sie Glück gehabt?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte Stormgren müde, während er die Aktenstücke auf seinen Schreibtisch warf und auf den Stuhl niedersank. „Karellen berät jetzt mit seinen Vorgesetzten, wer oder was das nun auch sein mag. Er will keine Versprechungen machen.“

„Hören Sie zu“, sagte Pieter unvermittelt, „mir ist ein Gedanke gekommen. Welchen Grund haben wir für unsere Annahme, daß irgend jemand hinter Karellen steht? Wenn nun alle Overlords, wie wir sie genannt haben, in diesen ihren Schiffen hier über der Erde sind? Sie können vielleicht sonst nirgendwo hin und verbergen uns diese Tatsache.“

„Es ist eine geistreiche Theorie“, sagte Stormgren lächelnd, „aber sie steht im Widerspruch zu dem wenigen, was ich über Karellens Hintergründe weiß oder zu wissen meine.“

„Und wieviel ist das?“

Nun, er bezeichnet seine Stellung hier oft als etwas Zeitweiliges, das ihn hindert, seine wirkliche Arbeit fortzusetzen, die, wie ich vermute, irgendeine Art Mathematik ist. Einmal habe ich Actons Ausspruch zitiert, daß Macht korrumpiert und daß unbeschränkte Macht unbeschränkt korrumpiert. Ich wollte sehen, wie er sich dazu verhielt. Da stieß er sein abgründiges Lachen aus und sagte: „Es besteht keine Gefahr, daß mir so etwas geschieht. Erstens einmal kann ich, je eher ich meine Arbeit hier beende, um so eher dorthin zurückkehren, wo ich hingehöre, eine ganze Menge Lichtjahre von hier. Und zweitens habe ich keine unumschränkte Macht, keineswegs. Ich bin einfach Oberkontrolleur.‹ Natürlich kann er mich irregeführt haben, dessen kann ich nie sicher sein.“

„Er ist unsterblich, nicht wahr?“

„Ja, nach unsern Maßstäben, obwohl es in der Zukunft irgend etwas gibt, was er zu fürchten scheint. Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein mag. Und dies ist wirklich alles, was ich über ihn weiß.“

„Es ist nicht sehr aufschlußreich. Meine Theorie ist, daß seine kleine Flotte sich im Weltraum verirrt hat und nach einer neuen Heimat sucht. Wir sollen nicht wissen, wie wenig zahlreich er und seine Gefährten sind. Vielleicht sind all diese andern Schiffe automatisch, und es ist niemand in ihnen. Sie sind nur eine imponierende Fassade!“

„Sie haben zu viele Zukunftsromane gelesen“, sagte Stormgren.

Van Ryberg lachte etwas verlegen. „Die Invasion aus dem Weltraum‹ ist nicht ganz so verlaufen wie erwartet, nicht wahr? Meine Theorie würde wenigstens erklären, warum Karellen sich nie zeigt. Wir sollen nicht erfahren, daß es sonst keine Overlords gibt.“

Stormgren schüttelte in belustigtem Widerspruch den Kopf. „Ihre Erklärung ist wie gewöhnlich zu genial, um wahr zu sein. Obwohl wir ihr Vorhandensein nur mutmaßen können, muß eine große Zivilisation hinter dem Oberkontrolleur stehen, und zwar eine, die schon seit sehr langer Zeit über den Menschen Bescheid weiß. Karellen selbst muß uns seit Jahrhunderten studiert haben. Denken Sie zum Beispiel an seine Kenntnis der englischen Sprache! Er hat mich gelehrt, wie man es mit dem richtigen Tonfall spricht.“

„Haben Sie jemals etwas entdeckt, was er nicht weiß?“

„O ja, ziemlich häufig, aber nur Nebensächliches. Ich glaube, er hat ein geradezu vollkommenes Gedächtnis. Einige Dinge jedoch hat er sich nicht bemüht zu lernen. Zum Beispiel ist Englisch die einzige Sprache, die er beherrscht, obwohl er sich in den letzten Jahren eine ganze Menge Finnisch angeeignet hat, nur um mich zu necken. Und Finnisch lernt man nicht so im Handumdrehen. Er kann große Absätze aus unserem Heldenepos Kalewala zitieren, während ich zu meiner Schande gestehen muß, daß ich nur ein paar Zeilen kann. Er kennt die Biographien aller lebenden Staatsmänner, und zuweilen sind mir die Quellen, die er benutzt hat, bekannt. Seine Kenntnisse der Geschichte und Wissenschaft scheinen vollständig zu sein; Sie wissen, wieviel wir schon von ihm gelernt haben. Jedes einzelne Gebiet für sich genommen, glaube ich nicht, daß seine geistigen Gaben außerhalb der Reichweite menschlicher Leistungen liegen. Aber kein einzelner Mensch könnte all die Dinge zugleich tun, die er tut.“

„Das ist mehr oder weniger das, was ich auch schon festgestellt habe“, stimmte van Ryberg zu. „Wir können ewig um Karellen herumreden, aber schließlich kommen wir immer zu der gleichen Frage zurück: Warum, zum Teufel, erscheint er nicht? Bis er es tut, werde ich weiterhin Theorien aufstellen, und die Freiheitsliga wird weiter Unruhe stiften.“ Er sah mit einem rebellischen Blick zur Decke hinauf. „Ich hoffe, Herr Oberkontrolleur, daß irgendein Reporter in einer dunklen Nacht mit einer Rakete zu Ihrem Schiff hinauffliegt und mit einer Kamera durch die Hintertür eindringt. Das wäre eine Sache!“

Wenn Karellen zuhörte, gab er doch kein Zeichen. Aber das tat er natürlich nie.

Im ersten Jahr nach ihrer Ankunft hatten die Overlords den Gang des menschlichen Lebens weniger beeinflußt, als man hätte erwarten können. Ihr Schatten war überall, aber es war ein unaufdringlicher Schatten. Obwohl es wenige Großstädte auf der Erde gab, wo man nicht eines der Silberschiffe am Zenit glänzen sah, nahm man sie nach einer kleinen Weile als ebenso selbstverständlich hin wie die Sonne, Mond oder Wolken. Die meisten Menschen waren sich wahrscheinlich nur dunkel bewußt, daß das ständige Steigen ihres Lebensstandards den Overlords zu verdanken war. Wenn sie einmal darüber nachdachten, was selten geschah, erkannten sie, daß diese schweigenden Schiffe — zum erstenmal in der Geschichte — der ganzen Welt Frieden gebracht hatten, und sie waren gebührend dankbar dafür.

Aber dies waren unauffällige Wohltaten, die hingenommen und bald vergessen wurden. Die Overlords blieben in der Ferne und verbargen ihre Gesichter vor der Menschheit. Karellen konnte Achtung und Bewunderung befehlen; aber er konnte nichts Tieferes erzielen, solange er seine jetzige Politik verfolgte. Es war schwer, keinen Groll gegen diese Olympier zu empfinden, die nur über die Radiofernschreiber im Hauptquartier der Vereinten Nationen zu den Menschen sprachen. Was zwischen Karellen und Stormgren vorging, wurde nie öffentlich bekanntgegeben, und bisweilen fragte sich Stormgren, warum der Oberkontrolleur diese Unterhaltungen notwendig fand. Vielleicht wollte er wenigstens zu einem menschlichen Wesen eine unmittelbare Beziehung haben; vielleicht erkannte er, daß Stormgren diese Form der persönlichen Unterstützung brauchte. Wenn dies die Erklärung war, so wußte der Generalsekretär sie zu schätzen. Es war ihm einerlei, ob die Freiheitsliga ihn verächtlich als „Karallens Laufjungen“ bezeichnete.

Die Overlords hatten nie mit einzelnen Staaten und Regierungen verhandelt. Sie hatten die Organisation der Vereinten Nationen so hingenommen, wie sie sie vorgefunden hatten; sie hatten Anweisung gegeben, die nötigen Radioausrüstungen zu beschaffen und hatten ihre Befehle durch den Generalsekretär aussprechen lassen. Der sowjetische Delegierte hatte in langen Ausführungen und bei unzähligen Gelegenheiten mit Recht darauf hingewiesen, daß dies nicht in Übereinstimmung mit der Charta sei. Karellen schien das nicht zu kümmern.

Es war erstaunlich, daß so viele Mißbräuche, Torheiten und Übel durch diese Botschaften vom Himmel beseitigt werden konnten. Als die Overlords gekommen waren, wußten die Nationen, daß sie einander nicht mehr zu furchten brauchten, und sie ahnten, noch ehe der Versuch unternommen wurde, daß die vorhandenen Waffen nutzlos sein würden gegen eine Zivilisation, die Brücken zwischen den Sternen bauen konnte. Damit war mit einem Schlage das größte Hindernis für das Glück der Menschheit beseitigt worden.

Die Overlords schienen den verschiedenen Regierungsformen gleichgültig gegenüberzustehen, vorausgesetzt, daß die Regierungen nicht Zwang ausübten oder korrupt waren. Auf der Erde gab es noch immer Demokratien, Monarchien, wohlwollende Diktaturen, Kommunismus und Kapitalismus. Dies war eine Quelle großer Überraschungen für viele einfache Gemüter, die überzeugt waren, daß ihre Lebensform die einzig mögliche sei. Andere glaubten, daß Karellen nur darauf warte, ein System einzuführen, das alle vorhandenen Gesellschaftsformen hinwegfegen würde; daher hatten sie sich nicht mit kleineren politischen Reformen abgegeben. Aber dies waren, wie alle andern Theorien über die Overlords, bloße Vermutungen. Niemand kannte ihre Motive, und niemand wußte, welcher Zukunft sie die Menschheit entgegenführen wollten.

2

Stormgren schlief schlecht in dieser Nacht, was sonderbar war, da er bald die Bürde des Amtes für immer ablegen würde. Er hatte der Menschheit vierzig Jahre und den Overlords fünf Jahre lang gedient, und wenige Männer konnten auf ein Leben zurückblicken, das ihnen die Erfüllung so vieler Wünsche beschert hatte. Vielleicht erfüllte ihn das mit Besorgnis, daß er in den Ruhejahren, die vor ihm lagen, keine Ziele mehr haben würde, die seinem Leben einen Reiz gäben. Nachdem seine Frau gestorben war und die Kinder selbst eine Familie gegründet hatten, schienen sich seine Bindungen an die Welt gelockert zu haben. Es mochte auch sein, daß er sich allmählich mit den Overlords identifizierte und sich auf diese Weise von der Menschheit zu lösen begann.

Dies war wieder eine jener ruhelosen Nächte, in denen seine Gedanken wie eine Maschine zu kreisen begannen, deren Regulator versagt. Statt noch länger um Schlaf zu kämpfen, erhob er sich widerstrebend vorn Bett. Er zog seinen Schlafrock an und begab sich auf den Dachgarten seiner bescheidenen Wohnung. Unter seinen unmittelbaren Untergebenen war nicht einer, der nicht eine viel luxuriösere Wohnung besessen hätte, aber diese war für Stormgrens Bedürfnisse geräumig genug. Er hatte eine Stellung erreicht, wo weder persönliche Besitztümer noch amtliche Zeremonien seinem Ansehen irgend etwas hinzufügen konnten.

Die Nacht war warm, fast drückend, aber der Himmel war klar, und ein heller Mond hing tief im Südwesten. Zehn Kilometer entfernt glühten die Lichter von New York am Horizont wie eine Morgenröte, die gerade im Hervorbrechen gefroren war.

Stormgren hob den Blick von der schlafenden Stadt und ließ ihn wieder zu den Höhen emporschweifen, die er als einziger von allen lebenden Menschen durchmessen hatte. Obwohl die Entfernung so groß war, konnte er den Rumpf von Karellens Schiff im Mondlicht blinken sehen. Er fragte sich, was der Oberkontrolleur jetzt wohl tun mochte, denn er glaubte nicht, daß die Overlords jemals schliefen.

Hoch oben warf ein Meteor seinen schimmernden Speer über den Himmelsdom. Der leuchtende Schweif glühte eine Weile schwach. Dann verging er und ließ nur die Sterne zurück.

Alles war höchst einfach: In hundert Jahren würde Karellen noch immer die Menschheit dem Ziel zuführen, das er allein sehen konnte, aber in vier Monaten würde ein anderer Mann Generalsekretär sein. Darüber war Stormgren an sich nicht traurig, aber es bedeutete, daß ihm wenig Zeit übrigblieb, wenn er je zu erfahren hoffte, was hinter dem verdunkelten Bildschirm war.

Erst in den allerletzten Tagen hatte er sich einzugestehen gewagt, daß die Heimlichtuerei der Overlords auch ihn quälte. Bis vor kurzem hatte ihn sein Glaube an Karellen vor Zweifeln bewahrt, jetzt aber begannen, wie er etwas verärgert dachte, die Proteste der Freiheitsliga ihre Wirkung auf ihn auszuüben. Gewiß war das Gerede über die Versklavung des Menschen nichts als Propaganda. Wenige Menschen glaubten ernsthaft daran oder ersehnten wirklich eine Rücckehr zu den alten Tagen. Die Menschen hatten sich an Karellens unmerkliche Herrschaft gewöhnt, wollten aber voll Ungeduld wissen, wer sie regierte. Wie konnte man ihnen das zum Vorwurf machen?

Obwohl die größte, war die Freiheitsliga nur eine der Organisationen, die sich gegen Karellen und folglich auch gegen die Menschen auflehnten, die mit den Overlords zusammenarbeiteten. Die Einwände und die Politik dieser Gruppen waren überaus verschieden: einige vertraten den religiösen Standpunkt, während andere nur einem Gefühl der Unterlegenheit Ausdruck gaben. Sie empfanden mit gutem Grund etwa das gleiche, was ein kultivierter Inder im neunzehnten Jahrhundert empfunden haben mochte, wenn er über den britischen Radscha nachdachte. Die Eindringlinge hatten der Erde Frieden und Wohlstand gebracht, aber wer konnte wissen, womit sie das bezahlen mußte? Der Verlauf der Geschichte war nicht ermutigend; selbst die friedlichsten Beziehungen zwischen Rassen sehr verschiedenen kulturellen Niveaus hatten oft zur Auslöschung der rückständigeren Gemeinschaft geführt. Nationen wie auch Einzelpersonen verloren leicht ihre Widerstandskraft, wenn Anforderungen an sie gestellt wurden, denen sie nicht gewachsen waren. Und die Zivilisation der Overlords, sosehr sie in Geheimnisse gehüllt sein mochte, war die größte Herausforderung, die der Mensch je erlebt hatte.

Ein leises Knacken ertönte in dem Apparat im Nebenzimmer, als der von der Zentralen Nachrichtenstelle herausgegebene stündliche Bericht eintraf. Stormgren ging hinein und sah zerstreut die Blätter durch. Auf der andern Erdhälfte hatte die Freiheitsliga Veranlassung zu einer nicht sehr originellen Schlagzeile gegeben. „Wird der Mensch von Ungeheuern regiert?“ fragte die Zeitung und zitierte dann: „Auf einer Versammlung in Madras sagte heute Dr. C. V. Krishnan, der Präsident der Ostabteilung der Freiheitsliga: ›Die Erklärung für das Verhalten der Overlords ist ganz einfach. Ihre körperliche Erscheinung ist so fremd und so abstoßend, daß sie sich der Menschheit nicht zu zeigen wagen. Ich fordere den Oberkontrolleur auf, dies abzustreiten, wenn er es kann.“

Stormgren warf das Blatt verächtlich auf den Boden. Selbst wenn diese Behauptung zuträfe, würde das wirklich etwas ausmachen? Dieser Gedanke war alt, hatte ihn aber nie beunruhigt. Er glaubte nicht, daß es irgendeine biologische Form gäbe, an die er, so fremdartig sie auch sein mochte, sich nicht mit der Zeit gewöhnen und die er vielleicht sogar schön finden könnte. Auf den Geist, nicht auf den Körper kam es an. Wenn er Karellen nur hiervon überzeugen könnte, würden die Overlords vielleicht ihre Politik ändern. Sicherlich konnten sie nicht halb so häßlich sein wie die phantasievollen Zeichnungen, die bald nach ihrem Auftauchen über der Erde die Zeitungen gefüllt hatten.

Aber es war, das wußte Stormgren, nicht nur die Rücksicht auf seinen Nachfolger, die in ihm das Verlangen weckte, diese Lage der Dinge beendet zu sehen. Er war ehrlich genug, zuzugeben, daß letztlich sein Hauptbeweggrund einfach menschliche Neugier war. Er hatte Karellen als Persönlichkeit kennengelernt, aber er würde sich nie zufriedengeben, bis er nicht auch entdeckt hatte, was für eine Art Geschöpf er war.

Als Stormgren am nächsten Morgen nicht zu gewohnter Stunde erschien, war Pieter van Ryberg überrascht und etwas ärgerlich. Obwohl der General-Sekretär oft verschiedene Besuche machte, bevor er in sein Büro kam, gab er doch immer Nachricht, wenn dies der Fall war. An diesem Morgen nun waren, um die Sache noch schlimmer zu machen, mehrere dringende Nachrichten für Stormgren eingelaufen. Van Ryberg rief ein halbes Dutzend Abteilungen an, um ihn zu finden, gab es dann aber auf.

Gegen Mittag wurde er unruhig und schickte ein Auto zu Stormgrens Haus. Zehn Minuten später wurde er durch das Heulen einer Sirene erschreckt, und eine Polizeipatrouille kam die Roosevelt-Allee entlanggerast. Die Nachrichtenagenturen mußten in diesem Wagen Freunde gehabt haben, denn während van Ryberg das herankommende Auto betrachtete, meldete schon der Rundfunk der Welt, daß van Ryberg nicht mehr Stellvertreter, sondern amtierender Generalsekretär der Vereinten Nationen sei.

Hätte van Ryberg weniger zu tun gehabt, so hätte er es interessant gefunden, das Verhalten der Presse bei Stormgrens Verschwinden zu studieren. Während des vergangenen Monats hatten sich die Zeitungen der Welt in zwei scharf abgegrenzte Gruppen geteilt. Die westliche Presse billigte im ganzen Karellens Plan, alle Menschen zu Weltbürgern zu machen. Die östlichen Länder andererseits machten heftige, aber meist künstliche Anfälle von Nationalstolz durch. Einige von ihnen waren kaum länger als eine Generation unabhängig gewesen und glaubten, um ihre Errungenschaften betrogen worden zu sein. Die Kritik an den Overlords war weit verbreitet und sehr heftig: Nach einer Anfangszeit äußerster Vorsicht hatte die Presse schnell herausgefunden, daß sie gegen Karellen so grob auftreten konnte, wie sie wollte, ohne daß irgend etwas geschah. Jetzt übertraf sie sich selbst darin.

Die meisten Angriffe waren, obwohl sehr lautstark, nicht repräsentativ für die große Masse des Volkes. An den Grenzen, die bald für immer verschwunden sein würden, waren die Posten verdoppelt worden, aber die Soldaten betrachteten einander mit einer noch wortlosen Freundlichkeit. Die Politiker und Generäle mochten rasen und toben, aber die schweigend wartenden Millionen fühlten, daß nun endlich ein langes und blutiges Kapitel der Geschichte zum Abschluß kommen würde.

Und nun war Stormgren verschwunden, niemand wußte, wohin. Der Aufruhr legte sich plötzlich, als die Welt erkannte, daß sie den einzigen Mann verloren hatte, durch den die Overlords, aus ihren eigenen sonderbaren Beweggründen, zur Erde zu sprechen pflegten. Eine Lähmung schien Presse- und Radiokommentatoren zu befallen, aber in diesem Schweigen konnte man die Stimme der Freiheitsliga hören, die angstvoll ihre Unschuld beteuerte.

Es war völlig dunkel, als Stormgren erwachte. Einen Augenblick war er zu schläfrig, um sich bewußt zu werden, wie ungewöhnlich das war. Dann, seine Benommenheit abschüttelnd, setzte er sich mit einem Ruck auf und tastete unsicher nach dem Schalter neben seinem Bett.

In der Dunkelheit stieß seine Hand gegen eine kahle Steinwand, die sich kalt anfühlte. Er begann sofort zu frösteln, da Geist und Körper durch die Berührung mit dem Unerwarteten gelähmt wurden. Er konnte seinen Sinnen kaum trauen, kniete sich im Bett hin und begann mit seinen Fingerspitzen die erschreckend unbekannte Wand abzutasten.

Er hatte das nur einen Augenblick lang getan, als plötzlich ein Knacken ertönte und ein Stück der Dunkelheit erhellt wurde. Er sah die Umrisse eines Mannes vor dem mattbeleuchteten Hintergrund. Dann schloß sich die Tür wieder, und die Dunkelheit kehrte zurück. Alles geschah so schnell, daß er keine Möglichkeit hatte, etwas von dem Raum zu sehen, in dem er lag.

Einen Augenblick später wurde er von dem Licht einer starken Taschenlampe geblendet. Der Strahl glitt über sein Gesicht und hielt ihn einen Augenblick fest, dann beleuchtete er das ganze Bett, das, wie er jetzt sah, nur eine auf rohen Brettern liegende Matratze war.

Aus der Dunkelheit sprach ihn eine leise Stimme in ausgezeichnetem Englisch an, aber mit einem Akzent, den Stormgren zunächst nicht erkannte.

,Ah, Herr Generalsekretär, ich freue mich, daß Sie erwacht sind. Hoffentlich fühlen Sie sich völlig wohl.“

In diesem letzten Satz lag etwas, was Stormgrens Aufmerksamkeit erregte, so daß die ärgerlichen Fragen, die er hatte stellen wollen, auf seinen Lippen erstarben. Er starrte in die Dunkelheit und sagte dann ruhig: „Wie lange bin ich bewußtlos gewesen?“

Der andere lachte. „Mehrere Tage. Man hatte uns versichert, es würde keine Nachwirkungen haben. Ich freue mich, zu sehen, daß es zutrifft.“

Teils um Zeit zu gewinnen, teils um seine eigenen Reaktionen zu prüfen, schwang Stormgren die Beine über den Bettrand. Er hatte noch seinen Schlafanzug an, der aber zerknüllt war und ziemlich schmutzig geworden zu sein schien. Als er sich bewegte, spürte er einen leichten Schwindel, nicht stark genug, um unan genehm zu sein, aber genügend, um ihn zu überzeugen, daß er wirklich betäubt worden war.

Er kehrte sich dem Licht zu. „Wo bin ich?“ fragte er scharf. „Weiß Wainwright hierüber Bescheid?“

„Regen Sie sich nicht auf“, erwiderte die schattenhafte Gestalt. „Wir wollen noch nicht über solche Dinge sprechen. Ich nehme an, daß Sie sehr hungrig sind. Ziehen Sie sich an, und kommen Sie mit zum Essen.“

Das Oval des Lichts glitt durch den Raum, und zum erstenmal bekam Stormgren eine Vorstellung von seinen Ausmaßen. Es war kaum ein Zimmer, denn die Wände schienen aus kahlen, grob behauenen Felsen zu bestehen. Er begriff, daß er sich unter der Erde befand, vielleicht in großer Tiefe.

Der Schein der Taschenlampe beleuchtete einen Stapel Kleider, die auf einer Kiste lagen. „Dies dürfte für Sie genügen“, sagte die Stimme aus der Dunkelheit. „Wäsche ist hier ein ziemliches Problem, wir haben also einige von Ihren Anzügen und ein halbes Dutzend Hemden hergebracht.“

„Das“, sagte Stormgren trocken, „war sehr rücksichtsvoll von Ihnen.“

„Wir bedauern, daß hier keine Möbel und kein elektrisches Licht vorhanden sind. Dieser Ort ist in gewisser Weise sehr geeignet, aber ihm fehlen die Annehmlichkeiten.“

„Geeignet wofür?“ fragte Stormgren, während er ein Hemd anzog. Es war ein seltsam beruhigendes Gefühl, den bekannten Stoff zu berühren.

„Nun, eben geeignet“, sagte die Stimme. „Übrigens, da wir ziemlich viel Zeit zusammen verbringen werden, können Sie mich Joe nennen.“

„Trotz ihrer Nationalität“, gab Stormgren zurück „— Sie sind doch Pole, nicht wahr? — glaube ich, daß ich Ihren wirklichen Namen aussprechen könnte. Er wird nicht schwieriger sein als viele finnische Namen.“

Es entstand eine kleine Pause, und der Lichtschein flackerte einen Augenblick. „Das hätte ich erwarten müssen“, sagte Joe resigniert. „Sie müssen viel Übung in diesen Dingen haben.“

„Es ist ein nützliches Steckenpferd für einen Mann in meiner Stellung. Ich vermute, Sie sind in den Vereinigten Staaten aufgewachsen, verließen Polen aber nicht vor — “

„Das genügt“, sagte Joe energisch. „Da Sie mit dem Anziehen fertig sind.“

Die Tür öffnete sich, während Stormgren, der sich durch seinen kleinen Sieg ein wenig ermuntert fühlte, darauf zuschritt. Als er an Joe vorbeiging, fragte er sich, ob sein Wächter bewaffnet sei. Es war fast mit Sicherheit anzunehmen, und auf jeden Fall würde er Freunde in der Nähe haben.

Der Gang war von Öllampen matt beleuchtet, und zum erstenmal konnte Stormgren Joe deutlich sehen. Es war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, der sicherlich mehr als zwei Zentner wog. Alles an ihm war übergroß, von dem fleckigen Kampfanzug, der von irgendeiner bewaffneten Truppe herrühren mochte, bis zu dem auffallend großen Siegelring an der linken Hand. Ein Mann mit diesen Körpermaßen würde sich auch nicht scheuen, einen Revolver zu benutzen. Es würde, dachte Stormgren, nicht schwierig sein, ihn aufzuspüren, wenn er je wieder von hier fortkäme. Die Erkenntnis, daß auch Joe sich dieses Umstandes durchaus bewußt sein mußte, war etwas bedrückend.

Die Wände ringsum bestanden, obwohl sie hier und da mit Beton verkleidet waren, hauptsächlich aus kahlem Felsen. Stormgren begriff, daß er sich in einer verlassenen Mine befand, und er konnte sich wenige Gefängnisse vorstellen, die zweckmäßiger gewesen wären. Bisher hatte ihn die Tatsache seiner Entführung noch nicht sehr beunruhigt. Er hatte das Empfinden gehabt, daß es den Overlords mit ihren starken Hilfsmitteln bald gelingen würde, ihn, was auch immer geschehen mochte, aufzuspüren und zu retten. Jetzt war er dessen nicht mehr so sicher. Es waren schon mehrere Tage verstrichen, und nichts hatte sich ereignet. Es mußte selbst für Karellens Macht eine Grenze geben, und wenn Stormgren tatsächlich auf irgendeinem fernen Kontinent versteckt wäre, vermochte alle Wissenschaft der Overlords ihn nicht aufzuspüren.

Zwei andere Männer saßen an dem Tisch in dem kahlen, trübe beleuchteten Raum. Sie blickten interessiert und mit einem gewissen Respekt auf, als Stormgren eintrat. Einer von ihnen schob ihm einige Butterbrote zu, die Stormgren begierig ergriff. Obwohl er großen Hunger verspürte, hätte er gern etwas Appetitlicheres gegessen, aber ohne Zweifel hatten seine Wächter auch nichts Besseres bekommen.

Während er aß, warf er einen raschen Blick auf die drei Män ner am Tisch. Joe war bei weitem der Hervorragendste, und nicht nur in der Körpergröße. Die andern waren offenbar seine Gehilfen, nichtssagende Leute, deren Herkunft Stormgren feststellen würde, sobald er sie sprechen gehört hätte.

Etwas Wein war in nicht allzu sauberen Gläsern aufgetischt worden, und Stormgren spülte die letzten Brotbissen hinunter. Da er sich jetzt der Lage besser gewachsen fühlte, wandte er sich zu dem riesigen Polen. „Nun“, sagte er ruhig, „vielleicht erzählen Sie mir jetzt, was dies alles bedeutet und was Sie damit zu erreichen hoffen.“

Joe räusperte sich. „Ich möchte eine Sache klarstellen“, sagte er. „Dies hat nichts mit Wainwright zu tun. Er wird ebenso überrascht sein wie alle andern.“

Stormgren hatte dies halbwegs erwartet, obwohl er sich fragte, warum Joe seine Vermutungen bestätigte. Er hatte seit langer Zeit das Bestehen einer extremistischen Bewegung innerhalb der Freiheitsliga oder an ihren Flügeln geargwöhnt. „Es würde mich interessieren“, sagte er, „wie Sie es angestellt haben, mich zu entführen?“

Er hatte hierauf kaum eine Antwort erwartet und war etwas verwundert über die Bereitwilligkeit, ja, den Eifer des andern, zu antworten.

„Es war wie ein Hollywoodfilm“, sagte Joe munter. „Wir wußten nicht, ob Karellen Sie etwa bewachen ließe; deshalb trafen wir ziemlich weitgehende Vorsichtsmaßnahmen. Sie wurden mit Hilfe der Klimaanlage durch das Gas betäubt, dann trugen wir Sie hinaus zum Auto — das war keine Schwierigkeit. Ich möchte erwähnen, daß dies alles nicht von einem unserer Leute ausgeführt wurde. Wir engagierten — hm — Fachleute für diese Aufgabe. Vielleicht wird Karellen sie erwischen — das nehmen wir an — aber dadurch wird er nicht klüger werden. Als das Auto Ihr Haus verlassen hatte, fuhr es in einen langen Straßentunnel hinein, keine tausend Kilometer von New York. Es kam planmäßig am entgegengesetzten Ende wieder heraus, noch immer mit einem betäubten Mann besetzt, der dem Generalsekretär außerordentlich ähnlich war. Eine ganze Weile später fuhr ein großer Lastwagen voller Metallkisten nach der andern Richtung bis zu einem bestimmten Flugplatz, wo die Kisten als legale Fracht auf ein Transportflugzeug verladen wurden. Ich bin überzeugt, daß die Besitzer dieser Kisten entsetzt wären, wenn sie wüßten, wie wir uns ihrer bedient haben.

Unterdessen fuhr das Auto, das tatsächlich die Entführung unternommen hatte, weiter bis zur kanadischen Grenze. Vielleicht hat Karellen es jetzt schon geschnappt, das weiß ich nicht, es kümmert mich auch nicht. Wie Sie sehen werden — und ich hoffe, daß Sie meine Offenheit zu schätzen wissen — baute sich unser ganzer Plan auf einer bestimmten Tatsache auf. Wir sind überzeugt, daß Karellen alles sehen und hören kann, was auf der Oberfläche der Erde geschieht, aber nur wenn er Magie — nicht Wissenschaft — zu Hilfe nimmt, kann er in die Erde hineinsehen. Er wußte also nichts über die Fahrt durch den Tunnel, wenigstens nicht, bis es zu spät war. Natürlich war es für uns ein Wagnis, aber wir hatten noch ein paar andere Sicherheitsmaßnahmen getroffen, auf die ich jetzt nicht eingehen will. Vielleicht müssen wir sie später einmal anwenden, und es wäre schade, sie zu verraten.“

Joe hatte die ganze Geschichte mit so offenkundigem Behagen erzählt, daß Stormgren ein Lächeln kaum unterdrücken konnte. Und doch fühlte er sich sehr beunruhigt. Der Plan war genial, und es war durchaus möglich, daß Karellen getäuscht worden war. Stormgren wußte nicht einmal mit Sicherheit, daß der Overlord irgendeine Schutzaufsicht für ihn eingerichtet hatte. Auch Joe wußte das nicht. Vielleicht war er deshalb so offen gewesen — er wollte sehen, wie Stormgren reagierte. Nun, er würde versuchen, zuversichtlich zu erscheinen, einerlei, wie seine wirklichen Gefühle waren.

„Ihr müßt eine Gruppe von Narren sein“, sagte Stormgren verächtlich, „wenn ihr annehmt, daß ihr die Overlords so leicht überlisten könnt! Und was soll es überhaupt nützen?“

Joe bot ihm eine Zigarette an, die Stormgren ablehnte. Da zündete Joe sich selbst eine an und setzte sich auf den Tischrand. Sofort ertönte ein bedrohliches Knacken, und er sprang hastig herunter.

„Unsere Beweggründe“, begann er, „dürften sehr einleuchtend sein. Wir haben festgestellt, daß Verhandlungen zwecklos sind, deshalb müssen wir andere Maßnahmen ergreifen. Es hat schon früher Untergrundbewegungen gegeben, und selbst Karellen wird es bei all seiner Macht nicht leichtfallen, mit uns fertig zu werden. Wir gedenken für unsere Unabhängigkeit zu kämpfen. Mißverstehen Sie mich nicht. Es wird nichts Gewaltsames geschehen, zunächst wenigstens nicht, aber die Overlords müssen sich menschli cher Vermittler bedienen, und wir können diesen das Leben sehr ungemütlich machen.“

Angefangen bei mir vermutlich, dachte Stormgren. Er fragte sich, ob der andere ihm mehr als einen Bruchteil der ganzen Geschichte erzählt hätte. Glaubten sie wirklich, daß diese Gangstermethoden Karellen im geringsten beeinflussen würden? Andererseits stimmte es, daß eine gut organisierte Widerstandsbewegung das Leben sehr schwierig machen könnte. Denn Joe hatte die eine schwache Stelle in der Regierung der Overlords berührt: All ihre Befehle wurden von menschlichen Vermittlern durchgeführt. Wenn diese zu Ungehorsam gezwungen wurden, konnte das ganze System zusammenbrechen. Dies war jedoch nur eine schwache Möglichkeit, denn Stormgren nahm zuversichtlich an, daß Karellen bald irgendeine Lösung finden würde.

„Was beabsichtigen Sie mit mir zu tun?“ fragte Stormgren endlich, „bin ich eine Geisel, oder was?“

„Beunruhigen Sie sich nicht — wir kümmern uns um Sie. In wenigen Tagen erwarten wir einige Besucher, und bis dahin werden wir Sie unterhalten, so gut wir können.“ Er fügte ein paar Worte in seiner eigenen Sprache hinzu, und einer der andern zog ein funkelnagelneues Spiel Karten aus der Tasche.

„Wir haben die Karten eigens für Sie gekauft“, erklärte Joe. „Ich habe neulich in der ›Time‹ gelesen, daß Sie ein guter Pokerspieler sind.“ Seine Stimme wurde plötzlich ernst. „Ich hoffe, Sie haben genügend Geld in Ihrer Brieftasche“, sagte er besorgt. „Wir haben gar nicht daran gedacht, nachzusehen. Schließlich können wir ja nicht gut Schecks annehmen.“

Völlig überwältigt starrte Stormgren seine Wächter an. Plötzlich kam ihm die Komik der Situation zu Bewußtsein, und er hatte auf einmal das Gefühl, als wären ihm alle Sorgen und Mühen seines Amtes von den Schultern genommen. Von jetzt an mußte van Ryberg sich bewähren. Stormgren selbst konnte absolut nichts dabei tun, was auch geschehen mochte, und nun warteten diese phantastischen Verbrecher unruhig darauf, mit ihm Poker zu spielen.

Plötzlich warf er den Kopf zurück und lachte, wie er es seit Jahren nicht getan hatte.

Ohne Zweifel, dachte van Ryberg verdrießlich, sagte Wainwright die Wahrheit. Er mochte seine Vermutungen haben, aber er wußte nicht, wer Stormgren entführt hatte. Auch billigte er diese Entführung nicht. Van Ryberg vermutete, daß seit einiger Zeit Extremisten in der Freiheitsliga einen Druck auf Wainwright ausgeübt hatten, um ihn zu einer aktiveren Politik zu veranlassen. Jetzt hatten sie die Sache in ihre eigene Hand genommen.


Die Entführung war großartig organisiert gewesen, daran bestand kein Zweifel. Stormgren konnte sich überall auf der Erde befinden, und die Hoffnung, ihn aufzuspüren, schien gering. Aber irgend etwas mußte getan werden, sagte sich van Ryberg, und zwar schnell. Ungeachtet der Witze, die er so oft gemacht hatte, war sein wirkliches Gefühl Karellen gegenüber eine tiefe Ehrfurcht. Der Gedanke, dem Oberkontrolleur zu begegnen, erfüllte ihn mit Bestürzung, aber es gab offenbar keinen Ausweg.

Die Nachrichtenabteilung nahm den ganzen obersten Stock des großen Gebäudes ein. Reihen von Fernschreibern, von denen einige stillstanden, andere eifrig tickten, zogen sich durch die Räume. Durch sie glitten endlose Ströme von Statistiken: Produktionszahlen, Steuereinnahmen, und die ganze Buchführung eines weltwirtschaftlichen Systems. Irgendwo oben in Karellens Schiff mußte sich das Gegenstück zu diesem großen Raum befinden, und van Ryberg fragte sich mit einem leisen Schauder, was für Gestalten sich dort hin und her bewegen mochten, um die Botschaften aufzunehmen, die von der Erde an die Overlords geschickt wurden.

Aber heute hatte er kein Interesse für diese Maschinen und ihre gewohnheitsmäßige Arbeit. Er ging in das kleine Privatzimmer, das nur Stormgren zu betreten pflegte. Auf Rybergs Anweisung hatte man das Schloß geöffnet, und der Leiter der Nachrichtenabteilung wartete dort auf ihn.

„Es ist ein gewöhnlicher Fernschreiber mit der üblichen Tastatur“, wurde ihm erklärt. „Dort ist auch ein Apparat, mit dem Sie Bilder oder Tabellen übermitteln können. Aber Sie sagten, Sie würden das nicht brauchen.“

Van Ryberg nickte zerstreut. „Das ist alles. Danke“, bemerkte er. „Ich glaube nicht, daß ich sehr lange hier bleiben werde. Schließen Sie dann den Raum wieder ab, und geben Sie mir alle Schlüssel.“

Er wartete, bis der Nachrichtenmann gegangen war, und setzte sich dann an den Apparat. Er wurde, wie er wußte, sehr selten benutzt, da fast alle geschäftlichen Angelegenheiten von Karellen und Stormgren bei ihren wöchentlichen Zusammenkünften besprochen worden waren. Da hier jedoch eine dringende Sache vorlag, erwartete er rasche Antwort.

Nach kurzem Zögern begann er mit ungeübten Fingern seine Botschaft zu tippen. Der Apparat schnurrte leise, und die Worte leuchteten einige Sekunden auf dem verdunkelten Bildschirm. Dann lehnte van Ryberg sich zurück und wartete auf die Antwort.

Kaum eine Minute später begann der Apparat wieder zu schnurren. Nicht zum erstenmal fragte sich van Ryberg, ob der Oberkontrolleur jemals schlafe.

Die Nachricht war ebenso kurz wie nutzlos.

„Keine Information. Überlasse Angelegenheiten ganz Ihrer Umsicht. K.“ Ziemlich erbittert und ohne jede Befriedigung wurde sich van Ryberg darüber klar, wieviel Macht man ihm übertragen hatte.

In den vergangenen drei Tagen hatte Stormgren seine Wächter sehr sorgfältig analysiert. Joe war der einzige von einiger Bedeutung, die andern waren Nullen, jener Ausschuß, den jede illegale Bewegung an sich zu ziehen pflegt. Die Ideale der Freiheitsliga bedeuteten ihnen nichts: Ihre einzige Sorge war, sich mit möglichst wenig Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen.

Joe war eine viel kompliziertere Persönlichkeit, obwohl er Stormgren bisweilen an ein zu groß geratenes Kind erinnerte. Ihre unendlichen Pokerspiele waren mit heftigen politischen Streitigkeiten durchsetzt, und Stormgren erkannte bald, daß der riesige Pole niemals ernsthaft über die Sache nachgedacht hatte, für die er kämpfte. Gefühle und extremer Konservativismus verschleierten all seine Urteile. Der lange Kampf seines Landes um die Unabhängigkeit hatte sein Wesen so völlig bestimmt, daß er noch immer in der Vergangenheit lebte. Er war ein malerisches Überbleibsel, einer von denen, die mit einer geordneten Lebensweise nichts anzufangen wußten. Wenn sein Typ verschwände, falls das jemals der Fall sein sollte, so würde die Erde sicherer, aber weniger interessant sein.

Es gab für Stormgren jetzt kaum einen Zweifel, daß es Karellen nicht gelungen war, ihn aufzuspüren. Stormgren hatte versucht, seine Wächter zu bluffen. Er glaubte aber mit Sicherheit, daß sie ihn hier festhielten, um zu sehen, ob Karellen eingreifen würde, und da nichts geschehen war, konnten sie jetzt ihre Pläne weiterführen.

Stormgren war nicht überrascht, als Joe ihm wenige Tage später mitteilte, daß Besucher zu erwarten seien. Eine Zeitlang hatte die kleine Gruppe eine wachsende Nervosität an den Tag gelegt, und der Gefangene vermutete, daß die Führer der Bewegung, nachdem sie gesehen hatten, daß die Luft rein war, ihn endlich aufsuchen würden.

Sie warteten bereits, um den wackeligen Tisch versammelt, als Joe Stormgren höflich in den Wohnraum führte. Dieser stellte belustigt fest, daß sein Wächter sehr auffallend eine riesige Pistole trug, die vorher nie in Erscheinung getreten war. Die beiden Banditen waren verschwunden, und auch Joe erschien etwas gemäßigter. Stormgren konnte sofort sehen, daß er jetzt Männern viel höherer Beschaffenheit gegenüberstand, und die versammelte Gruppe erinnerte ihn stark an ein Bild, das er einmal von Lenin und seinen Genossen in den ersten Tagen der russischen Revolution gesehen hatte. In diesen sechs Männern hier steckte die gleiche intellektuelle Kraft, Rücksichtslosigkeit und eiserne Entschlossenheit. Joe und seinesgleichen waren harmlos; hier waren die wirklichen Gehirne der Organisation.

Mit einem kurzen Kopfnicken ging Stormgren zu dem einzigen freien Stuhl und versuchte, selbstbeherrscht auszusehen. Als er sich näherte, beugte sich der ältere, dickliche Mann an der andern Seite des Tisches vor und sah ihn mit durchbohrenden grauen Augen an. Sie waren Stormgren so unbehaglich, daß er zu sprechen begann, was er nicht beabsichtigt hatte.

„Vermutlich sind Sie hergekommen, um über die Bedingungen zu verhandeln. Wieviel Lösegeld verlangen Sie?“

Er bemerkte, daß im Hintergrunde jemand diese Worte auf einem Stenogrammblock mitschrieb. Alles war sehr geschäftsmäßig.

Der Führer antwortete in einem wohlklingenden Waliser Tonfall: „Sie können es so ausdrücken, Herr Generalsekretär. Aber wir interessieren uns für Auskünfte, nicht für Bargeld.“

Also das war es, dachte Stormgren. Er war ein Kriegsgefangener, und dies war das Verhör.

„Sie kennen unsere Ziele“, fuhr der andere mit seiner etwas sin genden Stimme fort. „Nennen Sie uns eine Widerstandsbewegung, wenn Sie wollen. Wir glauben, daß früher oder später die Erde um ihre Unabhängigkeit kämpfen muß, aber wir sind uns darüber klar, daß der Kampf nur durch indirekte Mittel, wie zum Beispiel Sabotage und Ungehorsam, erfolgen kann. Wir haben Sie entfuhrt, einesteils um Karellen zu zeigen, daß es uns ernst ist und daß wir gut organisiert sind, hauptsächlich aber, weil Sie der einzige Mann sind, der uns irgend etwas über die Overlords sagen kann. Sie sind ein vernünftiger Mann, Herr Stormgren. Arbeiten Sie mit uns zusammen, und Sie können Ihre Freiheit haben.“

„Was genau wünschen Sie zu wissen?“ fragte Stormgren vorsichtig.

Die ungewöhnlichen Augen schienen sein Inneres bis in die Tiefen zu durchforschen. Sie waren anders als alle andern Augen, die Stormgren in seinem Leben gesehen hatte. Dann erwiderte die singende Stimme: „Wissen Sie, wer oder was die Overlords wirklich sind?“

Stormgren lächelte fast. „Glauben Sie mir“, sagte er, „ich bin genauso erpicht darauf, das zu entdecken, wie Sie.“

„Dann werden Sie unsere Fragen beantworten?“

„Ich verspreche nichts. Aber ich werde vielleicht antworten.“

Joe stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus, und ein erwartungsvolles Rascheln ging durch den Raum.

„Wir haben“, fuhr der andere fort, „eine allgemeine Vorstellung von den Umständen, unter denen Sie mit Karellen zusammentreffen. Aber vielleicht können Sie uns das alles sorgfältig schildern, ohne irgend etwas von Bedeutung auszulassen.“

Das ist harmlos genug, dachte Stormgren. Dies hatte er schon oft getan, und es würde den Anschein von Zusammenarbeit erwecken. Hier waren scharfsinnige Köpfe, und vielleicht konnten sie etwas Neues herausfinden. Sie sollten gern jede neue Auskunft haben, die sie aus ihm herausfragen konnten. Daß es Karellen irgendwie schaden würde, glaubte er nicht einen Augenblick.

Stormgren suchte in seinen Taschen und zog einen Bleistift und einen alten Briefumschlag heraus. Während er sprach, begann er rasch eine Zeichnung zu machen. „Sie wissen natürlich“, sagte er, „daß ein kleines Flugzeug ohne sichtbare Antriebsmittel mich in regelmäßigen Zwischenräumen abholt und zu Karellens Schiff bringt. Es fliegt durch die Öffnung, und Sie haben zweifellos die teleskopischen Filme gesehen, die von diesem Vorgang gemacht worden sind. Die Tür öffnet sich wieder — wenn man es eine Tür nennen kann — und ich betrete einen Meinen Raum mit einem Tisch, einem Stuhl und einem Bildschirm. Die Anordnung ist ungefähr so.“

Er schob seinen Plan dem alten Waliser zu, aber die seltsamen Augen warfen keinen Blick darauf. Sie waren noch immer auf Stormgrens Gesicht geheftet, und während dieser sie betrachtete, schien sich in ihren Tiefen irgend etwas zu verändern. Im Raum war es völlig still geworden, aber hinter sich hörte er Joe plötzlich einen tiefen Atemzug tun.

Verwundert und ärgerlich sah Stormgren den andern an, und während er das tat, dämmerte ihm langsam die Erkenntnis. In seiner Verwirrung knüllte er den Briefumschlag zu einem Ball zusammen und zertrat ihn mit dem Fuß.

Er wußte jetzt, warum diese grauen Augen ihn so seltsam berührt hatten. Der Mann ihm gegenüber war blind.

Van Ryberg machte keine weiteren Versuche, sich mit Karellen in Verbindung zu setzen. Ein großer Teil der Arbeiten seiner Abteilung, zum Beispiel die Weiterleitung statistischer Auskünfte, die Auswertung der Weltpresse und dergleichen, war automatisch weitergeführt worden. In Paris stritten die Juristen noch immer über die vorgeschlagene Weltverfassung, aber das war im Augenblick nicht seine Angelegenheit. Erst in vierzehn Tagen sollte der Oberkontrolleur den endgültigen Entwurf bekommen. Wenn er bis dahin nicht fertig war, würde Karellen zweifellos geeignete Maßnahmen ergreifen.

Und von Stormgren war noch immer keine Nachricht eingetroffen.

Van Ryberg war gerade beim Diktieren, als das „Dringlichkeits“-Telefon zu läuten begann. Er hob den Hörer ab und lauschte mit wachsender Verwunderung, dann warf er ihn auf die Gabel und stürzte an das offene Fenster. In der Ferne stiegen Rufe des Erstaunens von den Straßen auf, und der Verkehr stockte.

Es war Tatsache: Karellens Schiff, dieses unverrückbare Symbol der Overlords, stand nicht mehr am Himmel. Er suchte den Himmel ab, so weit er sehen konnte, und fand keine Spur davon. Dann plötzlich schien es, als ob es auf einmal Nacht geworden wäre. Von Norden kommend, raste das große Schiff, dessen im Schatten liegender Bauch schwäre war wie eine Gewitterwolke, in geringer Höhe über die Türme von New York hinweg. Unwillkürlich schreckte van Ryberg vor dem heranstürmenden Ungetüm zurück. Er hatte immer gewußt, wie riesig die Schiffe der Overlords in Wirklichkeit waren, aber es war etwas ganz anderes, ob man sie weit entfernt im Raum sah, oder ob sie wie von Dämonen getriebene Wolken über einem hinwegrasten.

In der Dunkelheit dieser halben Sonnenfinsternis blieb er auf seinem Beobachterposten, bis das Schiff und sein ungeheurer Schatten im Süden verschwunden waren. Man hörte kein Geräusch, nicht einmal einen Lufthauch, und van Ryberg machte sich klar, daß das Schiff, obwohl es dem Anschein nach so nahe gewesen war, doch mindestens einen Kilometer über seinem Kopf hinweggebraust sein mußte. Dann erzitterte das Gebäude, als die Schallwelle es traf, und von irgendwoher ertönte das Klirren zerbrochenen Glases, als ein Fenster eingedrückt wurde.

In den Büroräumen hinter ihm hatten alle Telefone zu klingeln begonnen, aber van Ryberg regte sich nicht. Er lehnte noch immer am Fensterbrett und starrte nach Süden, gelähmt durch die Gegenwart grenzenloser Macht.

Während Stormgren sprach, schien es ihm, als ob sein Geist auf zwei Ebenen gleichzeitig arbeite. Einerseits versuchte er, den Männern zu trotzen, die ihn gefangengenommen hatten, anderseits hoffte er, sie würden ihm helfen, Karellens Geheimnis zu entdecken. Es war ein gefährliches Spiel, aber zu seiner Überraschung genoß er es.

Der blinde Waliser hatte größtenteils das Verhör geleitet. Es war faszinierend, zu beobachten, wie dieser wendige Geist eine Möglichkeit nach der andern untersuchte und alle Theorien, die Stormgren selbst längst abgetan hatte, prüfte und verwarf. Jetzt lehnte er sich mit einem Seufzer zurück. „Wir kommen nicht weiter“, sagte er entmutigt. „Wir müssen weitere Tatsachen haben, und das bedeutet Handeln, nicht Reden.“ Die blinden Augen schienen Stormgren nachdenklich anzusehen. Einen Augenblick trommelte er nervös auf dem Tisch; es war das erste Zeichen von Unsicherheit, das Stormgren an ihm bemerkte. Dann fuhr er fort: „Ich bin etwas überrascht, Herr Generalsekretär, daß Sie nie eine Anstrengung gemacht haben, mehr über die Overlords zu erfahren.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte Stormgren kühl und versuchte sein Interesse zu verbergen. „Ich habe Ihnen gesagt, daß es nur einen Ausgang aus dem Raum gibt, in dem ich meine Gespräche mit Karellen hatte, und daß dieser Ausgang unmittelbar zur Erde zurückführt.“

„Es könnte möglich sein“, überlegte der andere, „Apparate zu bauen, die uns Aufschlüsse geben. Ich bin kein Wissenschaftler, aber wir müssen die Sache erwägen. Würden Sie, wenn wir Ihnen Ihre Freiheit geben, bereit sein, an einem solchen Plan mitzuwirken?“

„Ich möchte ein für allemal meinen Standpunkt völlig klarstellen“, sagte Stormgren ärgerlich. „Karellen arbeitet für eine Vereinigte Welt, und ich werde nichts tun, seinen Feinden zu helfen. Ich weiß nicht, welches seine Ziele sind, aber ich glaube, daß sie gut sind.“

„Welchen tatsächlichen Beweis haben wir dafür?“

„Alle seine Handlungen, seit seine Schiffe an unserm Himmel erschienen sind. Ich behaupte, daß Sie nicht eine einzige Tat nennen können, die in ihrer letzten Auswirkung nicht segensreich gewesen ist.“

Stormgren hielt einen Augenblick inne und ließ seine Gedanken durch die vergangenen Jahre zurückwandern. Dann lächelte er.

„Wenn Sie einen einzigen Beweis für das wirkliche — wie soll ich es nennen? — Wohlwollen der Overlords wünschen, so denken Sie an das Gesetz gegen Tierquälerei, das sie im ersten Monat nach ihrer Ankunft erließen. Wenn ich vorher an Karellen gezweifelt hätte, so wären diese Zweifel dadurch beseitigt worden, obwohl doch gerade dieses Gesetz mir mehr zu schaffen machte, als irgend etwas, was er sonst unternommen hat.“

Das war kaum eine Übertreibung, dachte Stormgren. Der ganze Zwischenfall war sehr ungewöhnlich gewesen, und zum erstenmal hatte sich die Feindschaft der Overlords gegen jede Grausamkeit offenbart. Dieser Haß und ihre Leidenschaft für Gerechtigkeit und Ordnung schienen die bestimmenden Gefühle in ihrem Leben zu sein, soweit man sie nach ihren Handlungen beurteilen konnte.

Und dies war das einzige Mal, daß Karellen zornig geworden war oder wenigstens zornig gewirkt hatte. „Sie können einander töten, wenn Sie wollen“, hatte die Botschaft gelautet, „das ist eine Sache zwischen Ihnen und Ihren eigenen Gesetzen. Aber wenn Sie, außer für Nahrung oder in Selbstverteidigung, die Tiere töten, die Ihre Welt mit Ihnen teilen, dann sind Sie mir verantwortlich.“

Niemand wußte genau, wie umfassend dieses Verbot war oder was Karellen tun würde, um es durchzusetzen. Sie brauchten nicht lange zu warten.

Die Stierkampfarena war vollbesetzt, als die Matadore und ihre Begleiter in festlichem Zuge hereinkamen. Alles schien wie gewöhnlich zu sein. Das helle Sonnenlicht glänzte auf den traditionellen Trachten, die große Zuschauermenge begrüßte ihre Lieblinge, wie sie es Hunderte von Malen getan hatte. Aber hier und dort blickten besorgte Gesichter zum Himmel auf, zu dem fernen Silberschiff, das fünfzig Kilometer über Madrid schwebte.

Dann hatten die berittenen Stierkämpfer, die Picadores, ihre Plätze eingenommen, und der Stier war schnaubend in die Arena gestürmt. Die mageren Pferde, deren Nüstern sich vor Schrecken blähten, drehten sich im Sonnenlicht, als ihre Reiter sie zwangen, auf ihren Feind loszugehen. Die erste Lanze blinkte auf und traf, und in diesem Augenblick erscholl ein Ton, wie man ihn noch nie auf der Erde gehört hatte.

Es war ein Ton, als ob zehntausend Menschen vor Schmerz über die gleiche Verwundung aufschrien, zehntausend Menschen, die, als sie sich von dem Schreck erholt hatten, merkten, daß sie selbst völlig unverletzt waren. Aber dies war das Ende jenes Stierkampfes und aller Stierkämpfe überhaupt, denn die Nachricht verbreitete sich schnell. Es ist erwähnenswert, daß die Zuschauer so erschüttert waren, daß nur einer von zehn sein Geld zurückverlangte, erwähnenswert auch, daß der Londoner „Daily Mirror“ die Sache noch schlimmer machte, indem er vorschlug, daß die Spanier Kricket zum Nationalsport wählen sollten.

„Sie mögen recht haben“, erwiderte der alte Waliser. „Vielleicht sind die Beweggründe der Overlords gut, je nach ihrer Lebensweise, die in mancher Hinsicht der unseren entsprechen mag. Aber sie sind Eindringlinge. Wir haben sie nie gebeten, herzukommen, unsere Welt auf den Kopf zu stellen und Ideale zu zerstören, ja Nationen, für deren Schutz Millionen von Menschen gekämpft haben.“

„Ich gehöre einer kleinen Nation an, die für ihre Rechte kämpfen mußte“, gab Stormgren zurück. „Dennoch bin ich für Karellen. Sie können ihn ärgern, Sie können sogar die Verwirklichung seiner Ziele hinauszögern, aber das wird auf die Dauer keinen Unterschied machen. Zweifellos sind Sie aufrichtig in Ihrem Glauben. Ich verstehe Ihre Befürchtung, daß die Traditionen und Kulturen kleiner Länder über den Haufen geworfen werden, wenn der Weltstaat kommt. Aber Sie haben unrecht: Es ist nutzlos, sich an die Vergangenheit zu klammern. Schon bevor die Overlords zur Erde kamen, war der souveräne Staat im Untergehen; sie haben sein Ende nur beschleunigt. Niemand kann ihn jetzt retten, und niemand sollte es versuchen.“

Es kam keine Antwort. Der Mann ihm gegenüber regte sich nicht und sprach auch nicht. Er saß mit halbgeöffneten Lippen da, und seine Augen waren jetzt blind und leblos. Die andern um ihn her waren ebenfalls regungslos, in gezwungenen, unnatürlichen Haltungen erstarrt. Mit einem Laut des Entsetzens sprang Stormgren auf und ging rücklings zur Tür.

Die Stille wurde plötzlich unterbrochen. „Das war eine gute Rede, Rikki. Ich danke Ihnen. Jetzt können wir, glaube ich, gehen.“

Stormgren drehte sich auf den Fersen herum und starrte in den dunklen Gang. In Augenhöhe schwebte dort eine kleine unscheinbare Kugel, ohne Zweifel die Quelle der geheimnisvollen Kraft, die die Overlords eingesetzt hatten. Man konnte es kaum mit Sicherheit sagen, aber Stormgren bildete sich ein, ein leises Summen wie von einem Bienenkorb an einem schläfrigen Sommertag zu hören.

„Karellen! Gott sei Dank! Aber was haben Sie getan?“

„Beunruhigen Sie sich nicht; den Leuten ist nichts passiert. Sie können es eine Lähmung nennen, aber es ist viel einfacher. Sie leben nur etwa tausendmal langsamer als gewöhnlich. Wenn wir fort sind, werden sie nicht wissen, was geschehen ist.“

„Sie werden sie hier lassen, bis die Polizei kommt?“

„Nein, ich habe einen viel besseren Plan. Ich lasse sie gehen.“

Stormgren empfand eine überraschende Erleichterung. Er warf einen letzten Abschiedsblick auf den kleinen Raum und seine erstarrten Insassen. Joe stand auf einem Bein und starrte töricht ins Nichts. Plötzlich lachte Stormgren und griff in die Tasche.

„Schönen Dank für die Gastfreundschaft, Joe“, sagte er. „Ich glaube, ich lasse ein Andenken hier.“ Er sah die verschiedenen Zettel durch, bis er die gesuchten Zahlen gefunden hatte. Dann schrieb er auf ein verhältnismäßig sauberes Blatt:

Die Bank von Manhattan soll an Joe einhundertfünfunddreißig Dollar und fünfzig Cent (135,50 Dollar) zahlen.

R. Stormgren.

Als er den Zettel neben den Polen legte, fragte Karellens Stimme: „Was machen Sie da eigentlich?“

„Wir Stormgrens bezahlen unsere Schulden immer. Die andern beiden haben betrogen, aber Joe hat ehrlich gespielt. Wenigstens habe ich ihn nie beim Mogeln ertappt.“

Er fühlte sich sehr munter und beschwingt und um ganze vierzig Jahre jünger, als er zur Tür ging. Die Metallkugel glitt zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Er nahm an, daß es eine Art Roboter wäre; dadurch erklärte sich, wie Karellen ihn durch die Felsschichten zu erreichen vermocht hatte.

„Gehen Sie etwa hundert Meter geradeaus“, sagte die Kugel mit Karellens Stimme. „Dann nach links, bis ich Ihnen weitere Weisungen gebe.“

Stormgren schritt rasch vorwärts, obwohl er sich sagte, daß er sich nicht zu beeilen brauche. Die Kugel blieb im Gang schweben, wahrscheinlich, um seinen Rückzug zu decken.

Eine Minute später kam er an eine zweite Kugel, die an einer Abzweigung des Ganges auf ihn wartete.

„Sie haben einen halben Kilometer zu gehen“, sagte sie. „Halten Sie sich links, bis wir uns wieder treffen.“

Sechsmal begegnete er solchen Kugeln auf seinem Weg ins Freie. Zuerst überlegte er, ob der Roboter es irgendwie fertigbrächte, ihm immer vorauszueilen; dann vermutete er, daß eine Kette von solchen Apparaten vorhanden sein müsse, die eine regelrechte Leitung zu den Tiefen der Mine bildete. Am Eingang formte eine Gruppe von Wächtern ein unwahrscheinliches Denkmal, das wieder von einer der allgegenwärtigen Kugeln bewacht wurde. In wenigen Metern Entfernung lag am Berghang das kleine Flugschiff, in dem Stormgren stets seine Reisen zu Karellen unternommen hatte.

Einen Augenblick blinzelte er im Sonnenlicht. Dann sah er die zerstörten Bergwerksmaschinen um sich her und dahinter ein verlassenes Eisenbahngleis, das sich den Berghang hinunterzog. In mehreren Kilometern Entfernung erstreckte sich am Fuß des Berges ein dichter Wald, und ganz in der Ferne konnte Stormgren das Wasser eines großen Sees blinken sehen. Er nahm an, daß er irgendwo in Südamerika wäre, obwohl er kaum hätte sagen können, wie er zu dieser Vermutung kam.

Als er das kleine Flugschiff bestieg, warf Stormgren einen letzten Blick auf den Grubeneingang und die erstarrten Männer. Dann schloß sich die Tür hinter ihm, und mit einem Seufzer der Erleichterung sank er auf den vertrauten Sessel.

Eine Weile wartete er, bis er wieder zu Atem gekommen war; dann stieß er eine einzige, von Herzen kommende Silbe aus: „Nun?“

„Es tut mir leid, daß ich Sie nicht früher befreien konnte. Aber Sie sehen, wie wichtig es war, zu warten, bis alle Führer sich dort versammelt hatten.“

„Wollen Sie damit sagen“, sprudelte Stormgren heraus, „daß Sie die ganze Zeit gewußt haben, wo ich war? Wenn ich dächte.“

„Seien Sie nicht zu hastig“, erwiderte Karellen, „wenigstens lassen Sie mich erst alles erklären.“

„Gut“, sagte Stormgren düster, „ich höre.“ Er begann zu argwöhnen, daß er nur ein Köder in einer klug aufgestellten Falle gewesen war.

„Ich hatte Ihnen einige Zeit einen ›Spürer‹ nachgeschickt“, begann Karellen. „Obwohl Ihre neuen Freunde mit Recht annahmen, daß ich Ihnen nicht unter die Erde folgen könne, vermochte ich doch auf Ihrer Spur zu bleiben, bis man Sie in die Mine brachte. Dieser Transport durch den Tunnel war genial, aber als der erste Wagen auf die Signale nicht mehr ansprach, verriet er den Plan, und es gelang mir seht bald, Sie wiederzufinden. Dann hieß es nur abwarten. Ich wußte, daß die Führer herkommen würden, sobald sie überzeugt waren, daß ich Sie aus den Augen verloren hätte, und daß ich sie dann alle abfangen konnte.“

„Aber Sie wollen sie gehen lassen?“

„Bisher“, erwiderte Karellen, „konnte ich nicht sagen, wer unter den zweieinhalb Milliarden Menschen auf diesem Planeten die wirklichen Führer der Organisation wären. Jetzt, da sie festgestellt sind, kann ich ihre Bewegungen überall auf der Erde verfolgen und kann, wenn ich will, alle ihre Handlungen beobachten. Das ist weit besser, als sie einzusperren. Wenn sie irgendwelche Schritte unternehmen, werden sie ihre übrigen Gefährten verraten. Sie sind wirksam neutralisiert, und das wissen sie; Ihre Rettung muß ihnen völlig unerklärlich sein, denn Sie sind vor ihren Augen verschwunden.“

Sein volltönendes Lachen hallte in dem kleinen Raum wider.

„In gewisser Weise war die ganze Sache eine Komödie, aber sie hatte einen ernsten Zweck. Es geht mir nicht nur um die paar hundert Männer in dieser Organisation — ich muß auch an die moralische Wirkung auf andere Gruppen denken.“

Stormgren blieb eine Weile stumm. Er war nicht ganz befriedigt, aber er konnte Karellens Standpunkt verstehen, und etwas von seinem Zorn hatte sich verflüchtigt. „Es ist bedauerlich, daß es in meinen letzten Amtswochen geschehen mußte“, sagte er endlich. „Aber von jetzt an werde ich eine Wache vor meinem Hause aufstellen. Das nächste Mal kann Pieter entführt werden. Wie hat er sich übrigens verhalten?“

„Ich habe ihn in dieser letzten Woche sorgfältig beobachtet und vermied es absichtlich, ihm zu helfen. Im großen und ganzen hat er seine Sache sehr gut gemacht, aber er ist nicht der Mann, der an Ihre Stelle treten kann.“

„Das ist ein Glück für ihn“, sagte Stormgren, noch immer etwas gekränkt. „Haben Sie übrigens von Ihren Vorgesetzten irgend etwas darüber gehört, daß Sie sich uns zeigen sollen? Ich bin jetzt überzeugt, daß dies der stärkste Einwand ist, den Ihre Feinde gegen Sie haben. Wieder und immer wieder haben sie mir gesagt: ›Wir werden den Overlords nie trauen, solange wir sie nicht sehen können.™

Karellen seufzte: „Nein, ich habe nichts gehört. Aber ich weiß, wie die Antwort sein muß.“

Stormgren drang nicht weiter in ihn. Früher einmal hätte er es vielleicht getan, aber jetzt zum erstenmal begann der schwache Schatten eines Plans in seinem Geist Gestalt anzunehmen. Die Worte des Mannes, der ihn ausgefragt hatte, gingen wieder durch sein Gedächtnis. Ja, vielleicht könnte man Apparate bauen.

Was er unter Zwang zu tun abgelehnt hatte, konnte er aus eigenem freiem Willen versuchen.

3

Noch vor wenigen Tagen hätte sich Stormgren nicht vorstellen können, daß er im Ernst die Unternehmung erwägen würde, die er jetzt plante. Diese lächerliche operettenhafte Entführung, die in der Erinnerung wie ein drittrangiges Fernsehspiel wirkte, hatte wahrscheinlich mit seiner neuen Einstellung viel zu tun. Zum erstenmal in seinem Leben war Stormgren einer Gewaltmaßnahme ausgesetzt gewesen, im Gegensatz zu den Wortkämpfen im Konferenzzimmer. Der Virus mußte in seinen Blutstrom eingedrungen sein; oder aber er näherte sich seiner zweiten Kindheit nur schneller, als er vermutet hatte.

Reine Neugier war ebenfalls ein mächtiger Antrieb und ebenso die Entschlossenheit, den Streich, den man ihm gespielt hatte, zurückzuzahlen. Ihm war jetzt völlig klar, daß Karellen ihn als Köder benutzt hatte, und wenn dies auch aus den besten Gründen geschehen war, fühlte sich Stormgren doch nicht geneigt, dem Oberkontrolleur sogleich zu verzeihen.

Pierre Duval zeigte keine Überraschung, als Stormgren unangemeldet sein Büro betrat. Sie waren alte Freunde, und es war nichts Ungewöhnliches, daß der Generalsekretär dem Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung einen persönlichen Besuch machte. Sicherlich würde auch Karellen es nicht sonderbar finden, wenn er oder einer seiner Untergebenen zufällig ihre Beobachtungsinstrumente auf diesen Ort richten sollten.

Eine Weile sprachen die beiden Männer über geschäftliche Angelegenheiten und tauschten politische Ansichten aus. Dann kam Stormgren etwas zögernd zur Sache. Während sein Besucher redete, lehnte sich der alte Franzose in seinem Stuhl zurück, und seine Brauen zogen sich, Millimeter für Millimeter, immer mehr in die Höhe, bis sie fast unter seiner Stirntolle verschwanden. Ein- oder zweimal schien er etwas sagen zu wollen, aber immer überlegte er es sich anders.

Als Stormgren geendet hatte, sah sich der Gelehrte nervös im Zimmer um. „Glauben Sie, daß er zuhört?“ fragte er.

„Ich glaube nicht, daß er es kann. Er läßt mich zu meinem Schutz beschatten, wie er es nennt, aber das ist unterirdisch nicht möglich. Das ist der eine Grund, warum ich hier in Ihr Verlies gekommen bin. Es soll gegen alle Arten von Strahlungen geschützt sein, nicht wahr? Karellen ist kein Zauberer. Er weiß, wo ich bin, aber das ist alles.“

„Hoffentlich haben Sie recht. Wird es aber, abgesehen davon, nicht Schwierigkeiten geben, wenn er entdeckt, was Sie vorhaben? Denn das wird er, wie Sie wissen.“

„Ich nehme diese Gefahr auf mich. Außerdem verstehen wir uns recht gut.“

Der Physiker spielte mit seinem Bleistift und starrte eine Weile vor sich hin. „Es ist ein sehr reizvolles Problem. Es gefällt mir“, sagte er ruhig. Dann tauchte er in ein Schubfach und zog einen ungeheuren Schreibblock heraus, den größten, den Stormgren je gesehen hatte. „Also gut“, begann er und beschrieb das Blatt mit so etwas wie einer privaten Kurzschrift. „Ich möchte sicher sein, daß ich alle Punkte habe. Erzählen Sie mir soviel Sie können über den Raum, in dem Sie Ihre Besprechungen haben. Lassen Sie keine Einzelheit aus, so belanglos sie erscheinen mag.“

„Da ist nicht viel zu beschreiben. Der Raum besteht aus Metall und ist etwa acht Quadratmeter groß und vier Meter hoch. Der Bildschirm ist etwa einen Meter breit, und unmittelbar darunter befindet sich ein Schreibtisch. Hier, es wird schneller gehen, wenn ich es Ihnen aufzeichne.“

Rasch skizzierte Stormgren den kleinen Raum, den er so gut kannte, und schob Duval die Zeichnung zu. Während er das tat, erinnerte er sich mit einem leisen Schauder an das letzte Mal, als er das gleiche getan hatte. Er fragte sich, was wohl mit dem blinden Waliser und seinen Gefährten geschehen sei und wie sie auf seinen plötzlichen Aufbruch reagiert hatten.

Der Franzose studierte die Zeichnung mit gerunzelten Brauen. „Und das ist alles, was Sie mir sagen können?“

„Ja.“

Duval schnaufte verächtlich. „Wie ist es mit der Beleuchtung? Sitzen Sie in völliger Dunkelheit? Und wie ist es mit der Belüftung und Heizung?“

Stormgren lächelte über diese bezeichnenden Fragen. „Die ganze Decke leuchtet, und soviel ich sagen kann, kommt die Luft durch das Sprechgitter herein. Ich weiß nicht, wie sie wieder hinauskommt, vielleicht läuft der Strom zeitweilig in umgekehrter Richtung, aber das habe ich nicht bemerkt. Einen Heizkörper sieht man nicht, aber in dem Raum ist immer eine normale Temperatur. Ich glaube, jetzt habe ich Ihnen alles gesagt“, schloß er. „Und was das Flugzeug betrifft, das mich zu Karellens Schiff hinaufbringt, so ist der Raum, in dem ich sitze, so ausdruckslos wie eine Fahrstuhlkabine. Abgesehen von dem Stuhl und dem Tisch könnte es gut eine solche Kabine sein.“

Mehrere Minuten herrschte Schweigen, wobei der Physiker seinen Schreibblock mit sorgfältigen mikroskopischen Schnörkeleien verzierte. Während Stormgren ihn beobachtete, fragte er sich, wie es wohl kam, daß ein Mann wie Duval, der einen gescheiteren Kopf hatte als er selbst, in der Welt der Wissenschaft nie besonders hervorgetreten war. Er erinnerte sich an eine unfreundliche und wahrscheinlich oberflächliche Bemerkung eines Freundes im Ministerium der Vereinigten Staaten: „Die Franzosen bringen die besten Zweitrangigen der Welt hervor.“ Auf Duval traf diese Behauptung zu.

Der Physiker nickte befriedigt vor sich hin, beugte sich vor und deutete mit seinem Bleistift auf Stormgren. „Wie kommen Sie auf den Gedanken, Rikki“, fragte er, „daß Karellens Bildschirm, wie Sie ihn nennen, wirklich das ist, was er zu sein vorgibt?“

„Ich habe ihn immer für echt gehalten; er sieht genau aus wie jeder andere Bildschirm. Was sollte er auch sonst sein?“

„Wenn Sie sagen, daß er wie ein Bildschirm aussieht, so meinen Sie, daß er wie einer von unseren aussieht, nicht wahr?“

„Natürlich.“

„Ich finde das an sich verdächtig. Ich bin überzeugt, daß die Apparate der Overlords nicht etwas so Primitives benutzen wie einen gewöhnlichen Bildschirm — sie werden wahrscheinlich die Bilder unmittelbar im Raum materialisieren. Aber warum sollte Karellen überhaupt ein Fernsehsystem benutzen? Die einfachste Lösung ist immer die beste. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, daß Ihr ›Bildschirm‹ in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine nur nach einer Seite durchsichtige Glasscheibe?“

Stormgren war so ärgerlich über sich selbst, daß er einen Augenblick schweigend dasaß und die Vergangenheit an sich vorbeiziehen ließ. Von Anfang an hatte er Karellens Aussprüche nie angezweifelt, aber wenn er jetzt zurückblickte: Wann hatte der Oberkontrolleur ihm je gesagt, daß er eine Fernsehanlage benutze? Stormgren hatte es einfach für selbstverständlich gehalten. Dabei war das Ganze eine Art psychologischer Taschen spielerei gewesen, und er hatte sich vollständig täuschen lassen. Natürlich vorausgesetzt, daß Duvals Theorie stimmte. Aber Stormgren zog wieder übereilte Schlußfolgerungen; bisher hatte noch niemand etwas bewiesen.

„Wenn Sie recht haben“, sagte er, „so brauche ich nur die Glasscheibe zu zerschlagen.“

Duval seufzte. „Diese unwissenschaftlichen Laien! Meinen Sie, daß die Scheibe aus irgendeinem Material besteht, das Sie ohne Sprengstoff zerschmettern könnten? Und meinen Sie, wenn es Ihnen glücken sollte, daß Karellen die gleiche Luft atmet wie wir? Wäre es nicht prächtig für Sie beide, wenn er etwa in einer Chloratmosphäre gediehe?“

Stormgren kam sich etwas töricht vor. Hieran hätte er denken müssen. „Ja, was schlagen Sie denn vor?“ fragte er etwas gereizt.

„Ich möchte darüber nachdenken. Zunächst müssen wir feststellen, ob meine Theorie richtig ist; wenn sie stimmt, müssen wir etwas über das Material, aus dem die Scheibe besteht, in Erfahrung bringen. Ich werde einige meiner Leute mit der Aufgabe betrauen. Übrigens vermute ich, daß Sie eine Aktentasche bei sich haben, wenn Sie den Oberkontrolleur besuchen. Ist das diese Tasche, die hier liegt?“ „Ja.“

„Sie dürfte groß genug sein. Wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen, indem wir sie gegen eine andere austauschen, besonders da Karellen an diese Tasche gewöhnt ist.“

„Was soll ich tun?“ fragte Stormgren. „Heimlich einen Röntgenapparat mitnehmen?“

Der Physiker lächelte. „Ich weiß es noch nicht, aber wir werden uns irgend etwas ausdenken. In vierzehn Tagen werde ich Ihnen mitteilen, was es sein wird.“ Er stieß ein leises Lachen aus. „Wissen Sie, woran mich diese ganze Sache erinnert?“

„Ja“, erwiderte Stormgren sogleich, „an die Zeit, als Sie während der deutschen Besetzung illegal Radioapparate bauten.“

Duval sah enttäuscht aus. „Ja, ich habe das wohl schon einoder zweimal erwähnt. Aber nun noch etwas anderes.“

„Und?“

„Wenn Sie gefangengenommen werden, weiß ich nicht, wozu Sie das Gerät benutzen wollten.“

„Wie? Nachdem Sie früher einmal so heftig dafür eingetreten sind, daß der Wissenschaftler für seine Erfindungen die Verantwortung tragen muß? Wirklich, Pierre, ich schäme mich für Sie.“

Stormgren legte das dicke Aktenstück mit einem Seufzer der Erleichterung beiseite. „Dem Himmel sei Dank, das ist endlich erledigt“, sagte er. „Es ist ein seltsamer Gedanke, daß diese wenigen hundert Seiten die Zukunft der Menschheit enthalten. Der Weltstaat! Ich habe nie gedacht, daß ich ihn zu meinen Lebzeiten sehen würde!“

Er steckte die Akte in seine Mappe, deren Rücken nicht mehr als zehn Zentimeter von dem dunklen Rechteck des Bildschirms entfernt war. Von Zeit zu Zeit glitten seine Finger in einer halb unbewußten, nervösen Bewegung über die Schalthebel, aber er hatte nicht die Absicht, auf den verborgenen Knopf zu drücken, ehe die Besprechung beendet war. Es bestand die Möglichkeit, daß irgend etwas schiefging. Obwohl Duval geschworen hatte, daß Karellen nichts entdecken würde, konnte man sich nie sicher fühlen.

„Sie sagten, Sie hätten Nachrichten für mich“, fuhr Stormgren mit kaum verhohlenem Eifer fort. „Handelt es sich um.“

„Ja“, sagte Karellen, „ich habe vor wenigen Stunden eine Entscheidung bekommen.“

Was meinte er damit? überlegte Stormgren. Sicherlich war es nicht möglich, daß der Oberkontrolleur sich mit seiner fernen Heimat in Verbindung gesetzt hatte, über die unbekannte Zahl von Lichtjahren hinweg, die ihn von seinem Stützpunkt trennte. Oder vielleicht — und das war van Rybergs Theorie — hatte er nur irgendeine riesige Rechenmaschine befragt, die den Ausgang jeder politischen Unternehmung voraussagen konnte.

„Ich glaube nicht, daß die Freiheitsliga und ihre Anhänger sehr befriedigt sein werden, aber es dürfte dazu beitragen, die Spannung zu vermindern.

Sie haben mir oft gesagt, Rikki, daß die menschliche Rasse sich bald an uns gewöhnen würde, so anders wir körperlich auch sein mochten. Das beweist einen Mangel an Einbildungskraft Ihrerseits. Es würde wahrscheinlich für Sie selbst zutreffen, aber Sie müssen bedenken, daß der größte Teil der Erde noch nicht durch eine vernünftige Lebensweise erzogen ist und von abergläubischen Vorstellungen verwirrt wird, die erst in Jahrzehnten beseitigt werden können.

Sie werden zugeben, daß wir einiges über die menschliche Psychologie wissen. Wir wissen ziemlich genau, was geschehen würde, wenn wir uns der Erde auf ihrer jetzigen Entwicklungsstufe zeigten. Ich kann nicht auf Einzelheiten eingehen, selbst Ihnen gegenüber nicht. Sie müssen meine Erklärung also auf Treu und Glauben hinnehmen. Wir können jedoch ein endgültiges Versprechen geben, das Sie einigermaßen befriedigen dürfte. In fünfzig Jahren, also von jetzt an in zwei Generationen, werden wir aus unseren Schiffen herunterkommen, und die Menschheit wird uns endlich sehen, wie wir sind.“

Stormgren schwieg eine Weile und dachte über die Worte des Oberkontrolleurs nach. Er empfand wenig von der Befriedigung, die Karellens Erklärung in früherer Zeit in ihm hervorgerufen hätte. Er war irgendwie verwirrt über diesen Teilerfolg, und für einen Augenblick wurde er in seinem Entschluß wankend. Die Wahrheit würde sich im Lauf der Zeit offenbaren: sein ganzes Vorhaben war unnötig und vielleicht unklug. Wenn er dennoch handelte, geschähe es nur aus dem selbstsüchtigen Grunde, daß er in fünfzig Jahren nicht mehr am Leben sein würde.

Karellen mußte sein Zögern bemerkt haben, denn er fuhr fort: „Es tut mir leid, wenn Sie enttäuscht sind. Aber wenigstens unterstehen die politischen Probleme der nahen Zukunft nicht mehr Ihrer Verantwortung. Vielleicht denken Sie noch immer, daß unsere Befürchtungen unbegründet sind; aber glauben Sie mir, wir haben überzeugende Beweise für die Gefahr eines andern Verhaltens gehabt.“

Stormgren beugte sich schwer atmend vor. „Also sind Sie von Menschen gesehen worden?“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Karellen rasch. „Ihre Welt ist nicht die einzige, die wir überwachen.“

Stormgren war nicht so leicht abzuschütteln. „In vielen Legenden wird berichtet, daß die Erde in der Vergangenheit von andern Rassen besucht worden ist.“

„Ich weiß. Ich habe die Berichte der Historischen Forschungsstelle gelesen. Danach sieht die Erde wie eine Straßenkreuzung des Universums aus.“

„Es kann Besuche gegeben haben, von denen Sie nichts wissen“, sagte Stormgren, noch hoffnungsvoll bemüht. „Obwohl ich das für ziemlich unwahrscheinlich halte, da Sie uns seit Jahrtausenden beobachtet haben müssen.“

„Allerdings“, erwiderte Karellen in seiner ablehnendsten Art. Und in diesem Augenblick faßte Stormgren seinen Entschluß.

„Karellen“, sagte er kurz, „ich werde die Erklärung aufsetzen und sie Ihnen zur Billigung vorlegen. Aber ich behalte mir das Recht vor, Sie weiterhin mit Fragen zu belästigen, und wenn ich irgendeine Gelegenheit sehe, werde ich mein Bestes tun, Ihr Geheimnis zu erfahren.“

„Das ist mir völlig klar“, erwiderte der Oberkontrolleur mit einem leisen Lachen.

„Und es stört Sie nicht?“

„Nicht im geringsten — obwohl ich bei Kernwaffen, Giftgasen oder ähnlichen Dingen, die unsere Freundschaft gefährden könnten, die Grenze ziehe.“

Stormgren fragte sich, wieviel Karellen erraten haben mochte, wenn er überhaupt etwas argwöhnte. Hinter dem Scherz des Oberkontrolleurs hatte er einen Ton des Verständnisses gehört, vielleicht sogar — wer konnte das sagen — von Ermutigung. „Ich freue mich, das zu hören“, erwiderte Stormgren, so ruhig er konnte. Er stand auf und öffnete die Klappe seiner Aktenmappe. Sein Daumen glitt an dem Griff entlang. „Ich werde die Erklärung sofort entwerfen“, wiederholte er, „und sie Ihnen heute noch durch Fernschreiber übermitteln.“

Während er sprach, drückte er auf den Knopf und wußte, daß all seine Befürchtungen grundlos gewesen waren. Karellens Sinne waren nicht empfindlicher als die der Menschen. Der Oberkontrolleur konnte nichts gespürt haben, denn in seiner Stimme war keine Veränderung, als er sich jetzt verabschiedete und die vertrauten Codeworte sprach, die die Tür des Raumes öffneten.

Dennoch kam sich Stormgren wie ein Warenhausdieb vor, der einen Laden unter den Augen des Hausdetektivs verläßt, und er atmete erleichtert auf, als die glatte Wand sich hinter ihm geschlossen hatte.

„Ich gebe zu“, sagte van Ryberg, „daß einige meiner Theorien nicht sehr erfolgreich gewesen sind. Aber sagen Sie mir, was Sie über diese neue denken.“

„Muß ich das?“ seufzte Stormgren.

Pieter schien den Seufzer nicht zu bemerken. „Es ist eigentlich nicht meine Idee“, sagte er bescheiden. „Ich habe sie in einer Erzählung von Chesterton gefunden. Wenn wir nun annehmen, daß die Overlords nur die Tatsache verbergen, daß sie nichts zu verbergen haben?“

„Das klingt für mich etwas zu kompliziert“, sagte Stormgren, der sich langsam für die Sache zu interessieren begann.

„Was ich meine, ist folgendes“, fuhr van Ryberg eifrig fort. „Ich meine, daß sie körperlich menschliche Wesen sind wie wir, aber sie stellen sich vor, daß wir uns nur von Geschöpfen beherrschen lassen, die. nun, die eben fremd und überintelligent sind. So wie die menschliche Rasse beschaffen ist, will sie sich nicht von Geschöpfen der gleichen Art herumkommandieren lassen.“

„Sehr geistreich wie alle Ihre Theorien“, sagte Stormgren. „Sie sollten sie numerieren, um sie auseinanderhalten zu können. Die Einwände gegen diese neue.“

Aber in diesem Augenblick wurde Alexander Wainwright ins Zimmer geführt.

Stormgren überlegte, was Wainwright denken mochte. Er fragte sich auch, ob dieser mit den Entführern irgendeine Verbindung gehabt hätte. Er bezweifelte es, denn er hielt Wainwrights Mißbilligung jeder Gewalt für völlig echt. Die Extremisten in seiner Bewegung hatten sich gründlich in Mißkredit gebracht, und es würde lange dauern, bis die Welt wieder von ihnen hörte.

Der Führer der Freiheitsliga lauschte aufmerksam, als ihm die Erklärung vorgelesen wurde. Stormgren hoffte, er würde sich durch diese Hinzuziehung geehrt fühlen, die Karellens Gedanke gewesen war. Erst in weiteren zwölf Stunden würde die übrige Welt von dem Versprechen erfahren, das ihren Enkeln gemacht worden war.

„In fünfzig Jahren“, sagte Wainwright nachdenklich, „das ist eine lange Wartezeit.“

„Für die Menschheit vielleicht, aber nicht für Karellen“, erwiderte Stormgren. Erst jetzt begann er die Klugheit dieser Lösung zu erkennen, die die Overlords gefunden hatten. Sie hatte ihnen den Atemraum verschafft, dessen sie zu bedürfen meinten, und hatte der Freiheitsliga den Boden unter den Füßen weggezogen. Er bildete sich nicht ein, daß die Liga kapitulierte, aber ihre Stellung würde ernstlich geschwächt sein. Sicherlich erkannte Wainwright dies ebenfalls.

„In fünfzig Jahren“, sagte er bitter, „wird der Schaden geschehen sein. Diejenigen, die sich an unsere Unabhängigkeit erinnert haben, werden tot sein. Die Menschheit wird ihr Erbe vergessen haben.“

Worte, leere Worte, dachte Stormgren. Die Worte, für die einstmals die Menschen gekämpft hatten und für die sie gestorben waren, und für die sie niemals wieder kämpfen oder sterben würden. Und die Welt würde dadurch besser sein.

Als er Wainwright weggehen sah, fragte sich Stormgren, wieviel Schwierigkeiten die Freiheitsliga in den kommenden Jahren noch verursachen würde. Das aber war ein Problem für seinen Nachfolger.

Es gab Wunden, die nur die Zeit heilte. Böse Menschen konnten vernichtet werden, aber nichts konnte für gute Menschen getan werden, die betrogen worden waren.

„Hier ist Ihre Mappe“, sagte Duval. „Sie ist so gut wie neu.“

„Danke“, erwiderte Stormgren, untersuchte sie aber doch sorgfältig. „Jetzt sagen Sie mir aber vielleicht, was dies alles bedeutet und was wir nun zunächst tun werden.“

Der Physiker schien sich mehr für seine eigenen Gedankengänge zu interessieren. „Was ich nicht verstehen kann, ist“, sagte er, „daß wir so leicht davongekommen sind. Wäre ich Kar.“

„Aber Sie sind es nicht. Kommen Sie zur Sache, Mann. Was haben wir herausgefunden?“

,Oh, diese erregbaren, nervösen nordischen Rassen!“ seufzte Duval. „Wir hatten eine Art Schwachstrom-Radargerät konstruiert. Neben Radiowellen von sehr hoher Frequenz benutzte es Infrarot — alles Wellen, die unmöglich von irgendeinem Geschöpf wahrgenommen werden konnten, und wenn es noch so scharfe Augen hätte.“

„Wie konnten Sie das mit Sicherheit wissen?“ fragte Stormgren, wider Willen von dem technischen Problem neugierig gemacht.

„Ganz sicher konnten wir unserer Sache natürlich nicht sein“, gab Duval widerstrebend zu. „Aber Karellen spricht mit Ihnen bei normaler Beleuchtung, nicht wahr? Seine Augen müssen also in ihrer spektralen Reichweite ungefähr den unsern entsprechen.

Auf jeden Fall hat das Gerät funktioniert. Wir haben den Beweis, daß ein großer Raum hinter dem sogenannten Bildschirm ist. Der Bildschirm ist etwa drei Zentimeter dick und der Raum dahinter mindestens zehn Meter tief. Wir konnten keinen Widerhall von der hinteren Wand auffangen, aber das war bei der geringen Stromstärke, die wir zu benutzen wagten, auch kaum zu erwarten. Doch das hier haben wir immerhin bekommen.“

Er schob Stormgren eine Aufnahme zu, auf der eine einzige Wellenlinie zu sehen war. An einer Stelle war eine Verdickung, wie die Aufzeichnung eines schwachen Erdbebens. „Sehen Sie diese kleine Verdickung?“

„Ja. Was kann das sein?“

„Nur Karellen.“

„Großer Gott! Wissen Sie das bestimmt?“

„Es ist eine ziemlich sichere Vermutung. Er sitzt oder steht — oder was er sonst tut — etwa zwei Meter hinter der Scheibe. Wenn die Aufnahme etwas besser gewesen wäre, hätten wir sogar seine Größe berechnen können.“

Stormgren betrachtete die kaum sichtbare Verdickung der Welle mit gemischten Gefühlen. Bisher hatte es noch keinen Beweis gegeben, daß Karellen überhaupt einen wirklichen Körper besaß. Der Beweis war noch indirekt, aber Stormgren nahm ihn ohne Bedenken hin.

„Das zweite, was wir zu tun hatten“, sagte Duval, „war, die Durchlässigkeit der Scheibe für gewöhnliches Licht zu berechnen. Wir glauben, einen annehmbaren Begriff davon bekommen zu haben, selbst wenn die Rechnung vielleicht um zehn Prozent falsch ist. Sie werden natürlich einsehen, daß es so etwas wie wirklich nur einseitig durchsichtiges Glas nicht gibt. Es ist einfach eine Frage der Anordnung der Beleuchtung. Karellen sitzt in einem verdunkelten Raum. Sie sind beleuchtet, das ist alles.“ Duval kicherte. „Nun, das werden wir ändern.“

Mit der Miene eines Zauberers, der einen ganzen Wurf weißer Kaninchen hervorholt, griff er in seinen Schreibtisch und nahm eine große Taschenlampe heraus. Das Ende ging in einen breiten Griff über, so daß der ganze Apparat ähnlich wie eine Donnerbüchse aussah.

Duval lachte. „Es ist nicht so gefährlich, wie es aussieht. Sie brauchen nichts weiter zu tun, als den Griff gegen die Scheibe zu pressen und auf den Schalter zu drücken. Der Apparat sendet für zehn Sekunden einen sehr kräftigen Strahl aus, und in dieser Zeit werden Sie imstande sein, den Raum zu beleuchten und ein gutes Bild zu bekommen. Alles Licht wird durch die Scheibe dringen und Ihren Freund wunderschön anleuchten.“

„Es wird Karellen nicht schaden?“

„Nicht, wenn Sie die Lampe tief halten und dann den Schein nach oben gleiten lassen. Das wird seinen Augen Zeit geben, sich anzupassen. Ich vermute, daß er die gleichen Reflexe hat wie wir, und wir wollen ihn nicht blenden.“

Stormgren blickte zweifelnd auf das Gerät und nahm es in die Hand. In den letzten Wochen hatte sein Gewissen ihn gequält. Karellen hatte ihn immer mit unverkennbarer Zuneigung behandelt, trotz seiner gelegentlich vernichtenden Offenheit, und jetzt, da sich ihre gemeinsame Zeit dem Ende näherte, wollte Stormgren nichts tun, um diese Beziehung zu verderben. Aber der Oberkontrolleur war gewarnt worden, und Stormgren war überzeugt, daß Karellen sich längst gezeigt hätte, wenn die Entscheidung bei ihm läge. Nun würde ihm der Entschluß abgenommen werden: Wenn ihre letzte Zusammenkunft zu Ende ging, würde Stormgren Karellens Gesicht sehen.

Vorausgesetzt, daß Karellen ein Gesicht hatte.

Die Nervosität, die Stormgren zuerst empfunden hatte, war längst verflogen. Karellen bestritt fast die ganze Unterhaltung, wobei er die verwickelten Sätze baute, deren er sich so gern bediente. Früher war dies Stormgren als die wunderbarste und sicherlich die unerwartetste aller Gaben Karellens erschienen. Jetzt kam es ihm nicht mehr ganz so wunderbar vor, denn er wußte, daß es wie die meisten Fähigkeiten des Oberkontrolleurs das Ergebnis einer rein intellektuellen Kraft und nicht einer besonderen Begabung war.

Karellen hatte Zeit für literarische Komposition, wenn er seine Gedanken zum Tempo der menschlichen Rede verlangsamte.

„Sie oder Ihr Nachfolger brauchen sich keine übermäßigen Sorgen wegen der Freiheitsliga zu machen, selbst wenn sie sich von ihrer jetzigen Mutlosigkeit erholt hat. Sie hat sich im vergangenen Monat sehr ruhig verhalten, und obwohl sie wieder aufleben dürfte, wird sie in den nächsten Jahren keine Gefahr sein. In Wirk lichkeit ist die Liga, da es immer wertvoll ist, zu wissen, was die Gegner tun, eine sehr nützliche Einrichtung. Sollte sie je in finanzielle Schwierigkeiten kommen, würde ich sie vielleicht sogar unterstützen.“

Stormgren hatte oft schwer unterscheiden können, ob Karellen scherzte oder nicht. Sein Gesicht blieb gleichmütig, und er hörte weiter zu.

„Sehr bald wird die Liga wieder einen ihrer Einwände verlieren. Es ist sehr viel, meist etwas kindische Kritik an der besonderen Stellung geübt worden, die Sie in den letzten Jahren eingenommen haben. Ich fand diese Zusammenarbeit in den Anfangszeiten meiner Verwaltung sehr wertvoll, aber jetzt, da sich die Erde in den von mir geplanten Linien bewegt, kann dies aufhören. In Zukunft werden alle meine Verhandlungen mit der Erde indirekt sein, und das Amt des Generalsekretärs kann einen Teil seiner ursprünglichen Bedeutung zurückgewinnen.

In den nächsten fünfzig Jahren wird es viele Krisen geben, aber sie werden vorübergehen. Der Zukunftsplan ist deutlich genug, und eines Tages werden all diese Schwierigkeiten vergessen sein, selbst bei einer Rasse, die ein so langes Gedächtnis hat wie die Ihre.“

Die letzten Worte wurden mit so seltsamem Nachdruck gesprochen, daß Stormgren wie zu Eis gefror. Er war überzeugt, daß Karellen niemals zufällige Bemerkungen machte; selbst seine Indiskretionen waren bis in die äußersten Dezimalstellen berechnet. Aber jetzt war keine Zeit, Fragen zu stellen, die bestimmt nicht beantwortet werden würden, denn schon hatte der Oberkontrolleur das Thema wieder gewechselt.

„Sie haben mich oft nach unsern langfristigen Plänen gefragt“, fuhr er fort. „Die Gründung des Weltstaates ist natürlich nur der erste Schritt. Sie werden seine Errichtung noch erleben, aber die Veränderung wird so unmerklich sein, daß wenige es wahrnehmen werden, wenn er kommt. Danach wird es eine Periode langsamer Festigung geben, bis Ihre Rasse auf uns eingestellt ist. Und dann wird der Tag kommen, den wir versprochen haben. Es tut mir leid, daß Sie dann nicht dabei sein werden.“

Stormgrens Augen waren geöffnet, aber sein Blick ging weit über die dunkle Wand des Bildschirms hinaus. Er blickte in die Zukunft und stellte sich den Tag vor, den er nie erleben würde:

Wenn die großen Schiffe der Overlords endlich auf die Erde herunterkämen und sich der wartenden Welt öffneten.

„An jenem Tage“, fuhr Karellen fort, „wird die menschliche Rasse etwas erleben, was man nur eine psychologische Unterbrechung nennen kann.

Aber es wird kein dauernder Schaden angerichtet werden: Die Menschen jener Zeit werden stabiler sein als ihre Großväter. Wir werden immer ein Teil ihres Lebens gewesen sein, und wenn sie uns begegnen, werden wir ihnen nicht so. sonderbar, erscheinen, wie wir Ihnen erscheinen würden.“

Stormgren hatte Karellen nie in so nachdenklicher Stimmung getroffen, aber es überraschte ihn nicht. Er glaubte nicht, jemals mehr als einige Facetten der Persönlichkeit des Oberkontrolleurs gesehen zu haben: Der wirkliche Karellen war unbekannt, und vielleicht konnten menschliche Wesen ihn nicht kennen. Und wieder einmal hatte Stormgren das Gefühl, daß das wirkliche Interesse des Oberkontrolleurs anderswo lag, und daß er die Erde nur mit einem Bruchteil seines Geistes regierte, so mühelos, wie ein Meister des dreidimensionalen Schachs eine einfache Schachpartie spielte.

„Und dann?“ fragte Stormgren leise.

„Dann können wir unsere wirkliche Arbeit beginnen.“

„Ich habe mich oft gefragt, worin diese Arbeit bestehen könnte. Unsere Welt in Ordnung zu bringen und die menschliche Rasse zu zivilisieren, ist nur ein Mittel. Sie müssen aber ein Ziel haben. Werden wir jemals imstande sein, in den Weltraum hinauszukommen und Ihr Universum zu sehen — vielleicht sogar Ihnen bei Ihren Aufgaben zu helfen?“

„Sie können es so ausdrücken“, sagte Karellen, und jetzt hatte seine Stimme einen deutlichen, jedoch unerklärlichen Ton von Traurigkeit, der Stormgren seltsam verwirrte.

„Aber wenn Ihr Experiment mit dem Menschen nun doch fehlschlägt? Wir haben solche Dinge in unsern eigenen Bemühungen um primitive menschliche Rassen erlebt. Sicherlich haben Sie auch Fehlschläge gehabt.“

„Ja“, sagte Karellen so leise, daß Stormgren ihn kaum hören konnte. „Wir haben unsere Fehlschläge erlebt!“

„Und was tun Sie dann?“

„Wir warten — und versuchen es wieder.“

Eine Pause entstand, die etwa fünf Sekunden währte. Als Karellen wieder sprach, waren seine Worte so unerwartet, daß Stormgren einen Augenblick nicht reagierte.

„Leben Sie wohl, Rikki!“

Karellen hatte ihn überlistet. Wahrscheinlich war es schon zu spät. Stormgrens Bestürzung währte nur einen Augenblick. Dann zog er mit einer einzigen schnellen, gut geübten Bewegung die Taschenlampe heraus und preßte sie gegen die Glasscheibe.

Die Tannen reichten fast bis an den Rand des Sees und ließen an seinem Ufer nur einen schmalen, wenige Meter breiten Grasstreifen frei. Jeden Abend ging Stormgren, wenn es warm genug war, trotz seiner neunzig Jahre auf diesem Streifen bis zum Landungssteg, um die Sonne jenseits des Sees untergehen zu sehen, und kehrte dann zum Haus zurück, bevor der kühle Nachtwind vom Wald herüberwehte. Diese einfache Gewohnheit befriedigte ihn sehr, und er würde sie fortsetzen, so lange er die Kraft dazu hatte.

Fern über dem See näherte sich irgend etwas in niedrigem und schnellem Flug von Westen her. Flugzeuge waren in dieser Gegend ungewöhnlich, wenn man die transpolaren Linien nicht rechnete, deren Maschinen bei Tag und Nacht stündlich in der Höhe vorbeikamen. Aber man bemerkte sie nie, abgesehen von einem gelegentlichen Dunststreifen im Blau der Stratosphäre. Dieses Flugzeug war ein kleiner Hubschrauber, der mit unverkennbarer Zielsicherheit auf ihn zukam. Stormgren blickte den Strand entlang und sah, daß es dort keine Fluchtmöglichkeit gab. Dann zuckte er die Schultern und setzte sich auf die hölzerne Bank am Kopf des Landungsstegs.

Der Reporter war so ehrerbietig, daß es Stormgren überraschte. Er hatte fast vergessen, daß er nicht nur ein älterer Staatsmann war, sondern außerhalb seines eigenen Landes fast eine sagenhafte Gestalt.

„Herr Stormgren“, begann der ungebetene Gast, „es tut mir sehr leid, Sie belästigen zu müssen, aber ich möchte fragen, ob Sie irgend etwas über die Dinge äußern könnten, die wir über die Overlords gehört haben.“

Stormgren runzelte die Stirn ein wenig. Nach all diesen Jahren teilte er noch immer Karellens Abneigung gegen dieses Wort. „Ich glaube nicht“, sagte er, „daß ich dem, was anderswo geschrieben wurde, viel hinzufügen kann.“

Der Reporter beobachtete ihn mit seltsamer Eindringlichkeit. „Ich dachte, Sie könnten es. Eine ziemlich merkwürdige Geschichte ist uns soeben bekanntgeworden. Es scheint, daß vor fast dreißig Jahren einer der Ingenieure der Wissenschaftlichen Abteilung ein bemerkenswertes Gerät für Sie herstellte. Wir fragten uns, ob Sie uns etwas darüber sagen könnten.“

Einen Augenblick schwieg Stormgren, während sein Geist in die Vergangenheit zurückwanderte. Er war nicht überrascht, daß das Geheimnis entdeckt worden war. Überraschend war nur, daß es so lange bewahrt werden konnte.

Er erhob sich und begann den Steg zum Ufer zurückzugehen. Der Reporter folgte ihm im Abstand von einigen Schritten.

„Die Geschichte“, sagte Stormgren, „enthält etwas Wahres. Bei meinem letzten Besuch in Karellens Schiff nahm ich ein Gerät mit, in der Hoffnung, den Oberkontrolleur zu sehen. Es war eine ziemlich törichte Unternehmung, aber — nun ja, ich war damals erst sechzig.“

Er kicherte leise und fuhr dann fort: „Die Geschichte lohnt den weiten Weg für Sie nicht. Die Sache funktionierte nicht, müssen Sie wissen.“

„Sie haben nichts gesehen?“

„Nein, überhaupt nichts! Ich fürchte, Sie werden warten müssen, aber schließlich dauert es jetzt ja nur noch zwanzig Jahre.“

Noch zwanzig Jahre! Ja, Karellen hatte recht gehabt. Bis dahin würde die Erde bereit sein, was sie nicht gewesen war, als er vor dreißig Jahren Duval die gleiche Lüge erzählt hatte.

Karellen hatte ihm vertraut, und Stormgren hatte sein Vertrauen nicht enttäuscht. Er war felsenfest überzeugt, daß der Oberkontrolleur von Anfang an seinen Plan gekannt und sein Tun bis auf die geringste Geste vorausgesehen hatte.

Warum sonst wäre der ungeheure Stuhl schon leer gewesen, als der Lichtkreis darauf fiel? Im selben Augenblick, als Stormgren, in der Befürchtung, zu spät zu kommen, den Scheinwerfer in Bewegung setzte, hatte sich die metallene Tür im Hintergrunde, die zweimal so hoch war wie ein Mensch, schnell geschlossen, als er sie in den Blick bekam — aber doch nicht schnell genug.

Ja, Karellen hatte ihm vertraut, hatte nicht gewollt, daß er in den langen Abend seines Lebens hineingehen sollte, von einem Geheimnis beunruhigt, das er niemals lösen konnte. Karellen wagte den unbekannten Mächten über ihm nicht zu trotzen — ob sie auch von der gleichen Rasse waren? — aber er hatte alles getan, was er konnte. Wenn er ihnen ungehorsam gewesen war, hätten sie es nie beweisen können. Stormgren wußte, daß es der endgültige Beweis für Karellens Zuneigung zu ihm gewesen war. Obwohl es die Zuneigung eines Menschen zu einem ergebenen und klugen Hund sein mochte, war sie deswegen nicht weniger aufrichtig, und das Leben hatte Stormgren wenige größere Befriedigungen als diese geschenkt.

„Wir haben unsere Fehlschläge gehabt!“ Ja, Karellen, das war die Wahrheit; und warst du derjenige, der vor dem Anbruch der menschlichen Geschichte versagt hat? Es muß wirklich ein Versagen gewesen sein, dachte Stormgren, denn das Echo ging durch alle Zeitalter und spukte in der Kindheit jeder Menschenrasse. Konnte man selbst in fünfzig Jahren die Macht all der Mythen und Legenden der Erde überwinden?

Aber Stormgren wußte, daß es keinen zweiten Fehlschlag geben würde.

Wenn die beiden Rassen wieder zusammentrafen, würden die Overlords das Vertrauen und die Freundschaft der Menschheit gewonnen haben, und nicht einmal der Schock der Begegnung konnte diese Arbeit zunichte machen. Sie würden zusammen in die Zukunft hineingehen, und die unbekannte Tragödie, die die Vergangenheit verdunkelt haben mußte, würde für immer in den verschlungenen Wegen der vorgeschichtlichen Zeit verloren sein.

Und Stormgren hoffte, daß Karellen, wenn er sich erst frei auf der Erde bewegen konnte, eines Tages zu diesen nördlichen Wäldern kommen und am Grabe des ersten Mannes stehen würde, der je sein Freund gewesen war.

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