»Um zu sehen, wie wir zwei Kinder niedermachen?« Skar schüttelte den Kopf. »Wohl kaum.«

Cubic verschränkte die Hände hinter dem Rücken und lehnte sich an das Tor; eine Haltung, die nicht zu seiner Gestalt und seinem Gebaren paßte, aber mehr als alle Worte seine Verwirrung zeigte. »Sei es, wie es will«, seufzte er. »Ich bitte dich nur um eines - mach es nicht zu schnell.«

»Wie meinst du das?«

Cubic sah ärgerlich auf. »Wir sind allein, Skar«, sagte er unwillig. »Du weißt, wie ich es meine. Es ist nicht notwendig, daß du dich verstellst. Biete den Leuten etwas für ihr Geld. Sie kommen nicht wegen irgendeines Kampfes, Skar, sondern um euch zu sehen, Del und dich, zwei Satai. Sie wollen nicht sehen, wie ihr in die Arena geht und die beiden mit einem Hieb niederstreckt. Sie wollen einen Kampf, einen guten Kampf, nach all der Stümperei, die ich ihnen monatelang bieten mußte. Zeige ihnen etwas. Spiel ein bißchen mit den beiden.«

Skar grinste. »Ich hoffe, der Lastar der Kohoner ist damit einverstanden«, sagte er.

Cubic machte eine zornige Handbewegung. »Ich dachte, du wärst vernünftig genug, daß ich offen mit dir reden kann«, sagte er wütend. »Ich habe das Beste ausgesucht, was ich finden konnte. Geh durch die Stadt und frage wen du willst - diese beiden sind seit Monaten die erfolgreichsten Kämpfer, die ich veipflichten konnte. Es tut mir leid, wenn ich euch nichts Besseres bieten kann, es tut mir leid für euch und für mich. Ich bin mir darüber im klaren, daß es keine Ehre für zwei Satai wie euch bedeutet, einen solchen Kampf zu führen. Aber es ist auch keine Ehre für mich, einen solchen Kampf zu veranstalten. Ich kann euch nichts Besseres bieten, es sei denn, ihr hättet Lust, gegen die Bantas anzutreten.«

Skar setzte zu einer weiteren spöttischen Antwort an, ließ es dann aber bleiben. Irgend etwas sagte ihm, daß Cubics Worte ehrlich waren. Der Lastar kannte ihn lange genug, um wissen zu müssen, daß es nicht ratsam war, ihn zu belügen.

Nach einer Weile nickte er. »Gut«, sagte er. »Ich werde mit Del darüber reden.«

Cubic nickte erleichtert. »Ruh dich noch ein wenig aus, Skar«, murmelte er. »Die Menge erwartet einen guten Kampf für ihr Geld.«

Skar grinste. »Und wir gutes Geld für den Kampf«, gab er zurück.

»Es wird bereitliegen, wenn der Kampf vorüber ist«, antwortete Cubic. »Auch die beiden Pferde, die ihr gefordert habt. Ich habe zwei Tiere aus meinem eigenen Stall herausgesucht. Ihr werdet zufrieden sein.«

»Deine Großzügigkeit beschämt mich wirklich«, sagte Skar. »Ich werde mir Mühe geben, deine Erwartungen zu erfüllen.«

Cubic wandte sich achselzuckend ab und ging. Skar starrte ihm lange und finster nach. Bei dem Geschäft, das sie abgeschlossen hatten, war der Lastar eindeutig der, der mehr verdiente. Er würde Skars Worte vergessen, wenn er nach dem Kampf sein Geld zählte. Skar ging zurück in die Vorhalle, blieb einen Moment unschlüssig stehen und wandte sich dann nach rechts. Ihr Quartier lag tief unter der Halle, eine winzige, fensterlose Kammer am Ende eines niedrigen Ganges, der schon außerhalb der Arena und tief unter den Straßen der Stadt lag. Die Luft war schlecht hier unten, verbraucht und kalt, und Skar hatte ständig das Gefühl, sich in einer gewaltigen, seit langem leerstehenden Gruft aufzuhalten. Aber schließlich hatten Del und er froh sein müssen, daß Cubic ihnen diese Kammer zur Verfügung gestellt hatte, als sie vor sechs Monaten, am Ende ihrer Kräfte und ohne Geld, nach Ikne zurückgekehrt waren. Vielleicht, überlegte er, war sein Zorn auf den Lastaren nicht so berechtigt, wie er bisher geglaubt hatte. Sie waren dankbar gewesen, damals, aber die sechs Monate Beinahe-Gefangenschaft in der Stadt hatten sie ungeduldig werden lassen. Immerhin lebten sie seit einem halben Jahr auf Cubics Kosten, nicht gut, aber auch nicht so schlecht, daß sie hungern mußten.

Er betrat die Kammer, riß sich den Umhang von der Schulter und knüllte ihn ärgerlich zusammen. Die Gestalt auf dem Bett bemerkte er erst, als er sich herumdrehte.

»Du bist schon zurück?« fragte er beißend. »Welche Überraschung! Ich hatte kaum gehofft, dich vor dem nächsten Frühjahr noch einmal zu sehen.«

Del grunzte irgend etwas, das Skar nicht verstand, stemmte sich ächzend auf beide Ellbogen hoch und blinzelte Skar aus verquollenen Augen an. »Isseschonsoweit?« nuschelte er.

Skar mußte an sich halten, um nicht loszuschreien. »Wenn du den Kampf meinst«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme, »nein. Du hast noch genug Zeit, deinen Rausch auszuschlafen. Wenn du aber meinst, ob meine Geduld mit dir zu Ende ist, dann lautet die Antwort ja.«

Del grinste, schwang die Beine vom Lager und hielt sich im letzten Moment an der Tischkante fest, um nicht nach vorn zu kippen. Er schwankte, verbarg das Gesicht in den Händen und rieb sich mit beiden Zeigefingern über die Augen. »Oh, ihr Götter«, murmelte er zwischen den Fingern hervor, »war das eine Nacht! Und ich dachte bisher, Ikne wäre eine langweilige Stadt.« Er kicherte. »So kann man sich täuschen, Skar.«

Skar atmete hörbar ein. Del sah wirklich mitgenommen aus. Sein schwarzes Haar hing ihm wirr und zerzaust in die Stirn, und seine Augen wirkten glasig. Das Gesicht wirkte unnatürlich blaß und wächsern, und die Wein- und Fettflecken auf seinem Hemd sprachen ihre eigene Sprache.

»Bist du nüchtern genug, um mir zuzuhören, oder soll ich warten, bis du ausgeschlafen hast?« fragte Skar. Seine Stimme bebte. Del sah auf, blickte ihn einen Herzschlag lang fast erschrocken an und grinste dann wieder. »Rede ruhig«, sagte er. »Ich kann mir vorstellen, was du zu sagen hast. Aber wenn du fertig bist, muß ich dir von dem Mädchen erzählen, das ich kennengelernt habe. Eine Figur wie eine Göttin, sage ich dir. Und Augen -«

»Es reicht«, unterbrach ihn Skar. »Deine Weibergeschichten interessieren mich im Augenblick wirklich nicht.«

Del schüttelte mißbilligend den Kopf, versuchte sich an der Tischkante hochzuziehen, sank aber wieder zurück. »Das würdest du nicht sagen, wenn du sie kennen würdest«, behauptete er. »Ein Traumweib, sage ich dir. Ein -«

Skar brachte ihn mit einem wütenden Blick zum Verstummen. Das Lächeln auf Dels Gesicht gefror. »In Ordnung«, seufzte er. »Fang schon an. Ich weiß ohnehin, was kommt, aber wenn es dir Spaß macht...«

»Nein«, sagte Skar. »Es macht mir keinen Spaß. Und du weißt auch nicht, was kommt.« Er brach ab, atmete tief, sehr tief und gezwungen ruhig ein und versuchte sich zu beherrschen. Es ging nicht. Das Chaos in seinem Inneren legte sich nicht, im Gegenteil. Es war, als wäre in ihm plötzlich ein geheimnisvoller Mechanismus in Gang gesetzt worden, etwas, das seine Seele in Aufruhr versetzte und Gefühle in ihm weckte, die ihn selbst erschreckten. Bei allen Göttern! dachte er. Was geschieht mit mir? Aber der Gedanke nutzte nichts. Die Worte sprudelten einfach aus ihm heraus. »Es wäre wohl sinnlos, dir ins Gewissen reden zu wollen«, sagte er.

Del grinste. »Dann laß es.«

»Du bist kein Kind mehr, Del«, fuhr Skar, noch wütender durch Dels unerschütterliches Feixen, fort. »Und ich bin es endgültig leid, ständig wie eine Amme auf dich achtgeben zu müssen. Ich will dir nicht ins Gewissen reden, ich will dir nur etwas sagen. Und ich rate dir zuzuhören, denn ich werde es nicht wiederholen, Del.«

Das Lächeln auf Dels Gesicht wirkte nicht mehr ganz so echt wie noch vor wenigen Augenblicken.

»Ich gebe dir Zeit bis nach dem Kampf«, fuhr Skar fort. »Du kannst dich entscheiden, Del. Entweder du machst weiter wie bisher, oder du änderst dich. Ich habe weder etwas gegen Frauen noch gegen Wein, aber alles zu seiner Zeit. Ich zwinge dich zu nichts, Del. Es ist deine Entscheidung, ganz allein. Aber bedenke, daß Ikne zwei Tore hat. Es liegt allein an dir, ob du die Stadt durch das gleiche Tor wie ich verläßt.«

Zehn, fünfzehn endlose Sekunden kreuzten sich ihre Blicke, und was Skar in den Augen des jungen Satai las, war mehr als Schrecken. Dels Blick flackerte. Für einen Moment spiegelten sich alle nur denkbaren Empfindungen darin wider: Trotz, Arger - doch auch beinahe so etwas wie Einsicht und Reue.

Aber natürlich sagte er nichts.

Er wäre nicht Del gewesen, wenn er es getan hätte. Und auch Skar schwieg. Jetzt, erst jetzt, nachdem Skar die Worte ausgesprochen hatte, begriff er wirklich, was er gesagt hatte. Und sie taten ihm fast im gleichen Moment schon wieder leid. Er war verärgert, zu Recht verärgert, aber seine Worte hatten das Maß des Angemessenen bei weitem überschritten. Doch so wie Del wider besseres Wissen schwieg - aus Stolz oder Trotz oder vielleicht nur aus Verstocktheit -, so schwieg auch Skar, obwohl alles in ihm danach schrie, sich zu entschuldigen. Es wäre leicht gewesen. Ein Wort, ein Lächeln nur, doch wie so oft war auch hier der winzigste Schritt der schwerste.

Schließlich wandte sich Skar mit einem Ruck um und stapfte aus dem Zimmer. Del blieb allein zurück.

Das Toben der Menge war selbst durch die mannsdicken Mauern und die geschlossenen Tore deutlich zu hören.

Der steinerne Boden unter ihren Füßen schien im Rhythmus der Stimmen zu beben, und die Luft vibrierte unter dem anfeuernden Brüllen aus Hunderten und Aberhunderten von Kehlen. Der Auftritt der Bantas war vorüber, aber der Kampf der beiden geschuppten Giganten hatte den Blutdurst der Menge nicht gestillt, sondern im Gegenteil erst richtig geweckt.

Skar kontrollierte zum letzten Mal seine Ausrüstung. Er hatte es schon zweimal getan, seit sie aus ihrem Quartier hier heraufgekommen waren, aber seine Bewegungen waren jetzt kaum weniger sorgfältig.

Eine perfekt sitzende Kleidung war wichtig, vielleicht lebenswichtig. Eine lose Schnalle, ein schlecht sitzender Riemen oder ein loser Verschluß hatten schon so manchen Kampf vorzeitig beendet. »Fertig?« fragte Cubic.

Skar sah auf, schenkte dem Lastaren ein nichtssagendes Lächeln und blickte an ihm vorbei zum Tor. Der gußeiserne Riegel war bereits zurückgezogen, und beiderseits des bogenförmigen Durchgangs standen Männer in den dunkelroten Roben der Arenadiener bereit, die tonnenschweren Torflügel auf einen Wink Cubics nach innen zu ziehen.

Aber noch war es nicht soweit. Sie hatten noch ein bißchen Zeit bis zum Kampf.

Skar fuhr fort, die Schnallen und Verschlüsse seiner Ausrüstung zu kontrollieren. Er zog das Schwert ein paarmal rasch hintereinander halb aus der Scheide, stieß es zurück und tastete prüfend über die fünfzackigen Wurfsterne, die an seinem Gürtel aufgereiht waren. Sie hatten sich im letzten Augenblick dazu entschlossen, ihre schweren Kampfpanzer gegen leichte Lederharnische und Umhänge einzutauschen. Das Wetter hatte sich im Laufe des Nachmittages weiter verschlechtert; aus dem nieselnden Regen waren Sturzbäche von grauem, eiskaltem Wasser geworden, und der Wind hatte aufgefrischt und war fast zum Sturm geworden. Es würde kein elegantes Fechten geben. Nicht bei diesem Wetter und dem Boden. Die Kohoner würden sich einzig auf ihre Wurfmesser und ihre Kraft verlassen; beides Dinge, die Skar nicht abschätzen konnte. Aber eine schwere Rüstung würde nur hinderlich sein. In ihren leichten Harnischen konnten sie einem geschleuderten Messer vielleicht ausweichen, und die Umhänge dienten nur zum Schein der Verschönerung - in den Händen eines Mannes, der damit umzugehen verstand, war eine fünf Fuß lange Stoffbahn eine gefährliche Waffe.

Sein Blick begegnete dem Dels. Sie hatten, seit der häßlichen Szene am Vormittag, kein Wort mehr miteinander gewechselt. Dels Augen hatten schwere, dunkle Ringe, und seine Haut schimmerte im Licht der Fackeln wächsern. Skar sah, daß Dels Hände unmerklich zitterten. Aber das war nichts, was ihn beunruhigen mußte. Del mochte bei weitem nicht im Vollbesitz seiner Kräfte sein, aber schließlich kannte ein Satai mehr als einen Weg, eine momentane Schwäche zu überwinden. Nein - darum machte sich Skar keine Sorgen. Wenn Del durch das Tor trat, würde er der schnelle und verläßliche Partner sein, als den er ihn kannte. Aber der Streit zwischen ihnen war keineswegs beigelegt. Es mochte wie Zufall erscheinen, daß Del sich so postiert hatte, daß Cubic zwischen ihm und Skar stand, aber es war keiner. Natürlich würde sich Skar auf ihn verlassen können, draußen in der Arena - im Kampf waren sie wenig mehr als ein einzelner Mann mit zwei Körpern und vier Armen und Beinen -, aber seine Sorge galt dem Danach. Er hatte wohl an die zwanzigmal an diesem Tag beschlossen, zu Del zu gehen und sich für seine Worte zu entschuldigen, aber irgend etwas hatte ihn regelmäßig davon abgehalten. Und der Ausdruck in Dels Blick sagte ihm, daß es dem jungen Riesen ebenso erging.

Eigentlich, dachte er in einer sonderbaren Mischung aus Ironie und Resignation, benahmen sie sich wie zwei Kinder, die ihren Willen nicht bekamen und sich trotzig in zwei Ecken zurückgezogen hatten. Jeder wußte, daß der andere genauso im Recht oder Unrecht war wie er selbst, aber sie waren beide zu stolz, den ersten Schritt zu tun.

Ein schmetternder, mehrfach gebrochener Posaunenstoß riß ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf, starrte eine halbe Sekunde zum Tor hinüber und wandte sich dann mit einem Stirnrunzeln an Cubic.

»Unsere Ehrengäste«, beantwortete der Lastar Skars unausgesprochene Frage. Ein unglückliches Lächeln erschien auf seinen Zügen, wurde aber gleich darauf von einem Ausdruck ängstlicher Nervosität abgelöst. Seine Hände fuhren wie kleine lebende Wesen über seinen Gürtel, und Skar konnte trotz der schlechten Beleuchtung erkennen, daß er schwitzte.

Skar fuhr mit einem Ruck herum, legte die rechte Hand auf den Schwertgriff und starrte schweigend und mit unbewegtem Gesicht zum Tor hinüber. Das Kreischen der Menge war leiser geworden und wurde vom monotonen Prasseln des Regens fast übertönt. »Hat es Sinn, wenn ich euch ... Glück wünsche?« fragte Cubic. Skar mußte gegen seinen Willen lächeln. »Vielleicht nicht«, sagte er. »Aber es schadet auch nicht, und ich -«

Er brach ab, als sich dicht neben dem Tor eine schmale Holztür auftat und eine grauverhüllte Frauengestalt in die Halle hinaustrat. Seine Haltung straffte sich. Cubic blinzelte verwirrt, folgte seinem Blick und zauberte ein paar mißbilligende Falten auf die Stirn. »Das Betreten der Halle ist -«, begann er, brach aber sofort ab, als Skar ihm einen Wink gab.

»Laß gut sein, Cubic«, sagte Skar. »Ich kenne die Frau.«

»Aber sie hat hier nichts verloren«, protestierte Cubic. »Der Kampf beginnt in wenigen Augenblicken und ...«

Skar ging wortlos an ihm vorbei und blieb zwei Schritte vor Gowenna stehen.

»Ihr seid also gekommen«, stellte er fest.

Auf Gowennas Gesicht erschien so etwas wie ein Lächeln. »Habt Ihr daran gezweifelt?«

Skar schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er bedauernd. »Aber ich hatte gehofft, daß Ihr nicht kommt.«

Gowenna machte eine wegwerfende Handbewegung und sah an Skar vorbei zuerst zu Del, dann zu Cubic hinüber. Es fiel ihr schwer, ihre Verachtung zu verbergen, als sie den Lastaren ansah. »Ich sehe, daß Ihr Euch bereits entschieden habt«, sagte sie, ohne Skar anzublicken. »Aber ich muß Euch trotzdem fragen - werdet Ihr kommen?«

Skar schwieg eine ganze Weile. Er hatte Del nichts von seiner Begegnung mit der Errish erzählt, und er hatte - wider besseres Wissen - bis zum letzten Moment gehofft, es auch nicht tun zu müssen. »Nein«, sagte er schließlich. »Und das ist endgültig. Ihr könnt Eurer Herrin ausrichten, daß wir Ikne noch heute abend verlassen werden. Aber auf unserem Weg.«

Zu seiner Überraschung lächelte Gowenna. »Wir haben Eure Antwort vorausgeahnt«, sagte sie ruhig. »Wenn ich trotzdem gekommen bin, dann nur, um Euch eine letzte Chance zu geben. Ist Euer Kamerad mit Eurer Entscheidung einverstanden?«

Skar zögerte einen winzigen Augenblick, aber er zweifelte nicht daran, daß Gowenna es registrierte und wahrscheinlich auch richtig deutete. »Ja«, sagte er.

»Gut. Es ist Eure Entscheidung. Aber von jetzt an ist auch alles, was geschieht, Eure Schuld. Sucht bei Euch selbst, wenn Ihr jemandem die Verantwortung geben wollt.« Sie schenkte ihm einen letzten, beinahe verächtlichen Blick, fuhr mit einem zornigen Ruck herum und verschwand auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen war.

Skar wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war, ehe er sich herumdrehte und zu Del und Cubic zurückkehrte.

»Wer war das?« fragte Del.

»Jemand, den du nicht kennst«, antwortete Skar barsch. »Wie du siehst, bist du nicht der einzige, der Ärger mit Frauen hat.« Del starrte ihn kurz an und wandte sich dann beleidigt ab.

»Ich erkläre es dir, wenn der Kampf vorbei ist«, fügte Skar etwas leiser hinzu. »Es ist... nicht einfach.«

Del wandte den Kopf und runzelte die Stirn. Dann lächelte er. Skar atmete innerlich auf. Der Bann war gebrochen.

»Macht euch bereit«, sagte Cubic.

Skar nickte und schloß für die Dauer von vier, fünf Herzschlägen die Augen. Es dauerte nicht lange, bis er jenen Zustand völliger Entspannung erreicht hatte, in dem er normalerweise in den Kampf ging. Sein Herz schlug ruhiger, und er spürte den kalten Wind und die Feuchtigkeit, die von draußen hereindrangen, intensiver. Das Tor schwang mit leisem Knarren nach innen. Die Fackeln flackerten und zauberten für einen Moment tanzende Schatten an die Wände.

Cubic zog sich mit ein paar raschen Schritten zurück, und auch die Diener, die beiderseits des Tores gestanden waren, verschwanden rasch aus dem Sichtbereich der Menge.

Langsam, mit gemessenen Schritten, traten sie in die Arena hinaus.

Skar kam sich mit einem Mal unsagbar lächerlich vor. Er bewegte sich so, wie es die Menge erwartete, wie sie glaubte, daß sich ein Held bewegen mußte, spielte ein Spiel, das nicht seines war und ihn im Grunde anwiderte, trat neben Del vier, fünf Schritte in den aufgeweichten Sand hinaus und blieb stehen. Hinter ihnen schwang das Tor zu und rastete mit einem dumpfen Schlag ein.

Ihm fiel auf, wie still es geworden war. Die Ränge waren - wie erwartet - bis auf den letzten Platz gefüllt, aber wenn die Menge noch vor Augenblicken wie ein außer Rand und Band geratener Mob getobt hatte, so war sie jetzt wie auf ein geheimes Zeichen hin verstummt. Er begann langsam zu begreifen, was Cubic gemeint hatte.

Sein Blick glitt über die Bankreihen und blieb an der Loge der Tempelkönige haften. Das Bauwerk war größer geworden, als es am Vormittag den Anschein gehabt hatte. Ein dreifach gestaffelter Kordon von Wachen umgab das mannshohe, mit eilig herbeigeschafften Ranken und Wimpeln geschmückte Podest, und trotz der qualvollen Enge auf der hoffnungslos überfüllten Tribüne waren die Menschen in weitem Umkreis angstvoll von den Soldaten abgerückt. Die Tempelkönige selbst waren unsichtbar, wenig mehr als zwei schlanke, verschwommene Schatten hinter einem Vorhang aus dünnen Schleiern, der sie gleichermaßen vor dem Regen wie vor dem Erkanntwerden schützte. Niemand hatte die Tempelkönige Iknes je zu Gesicht bekommen, außer in Form mehrerer verhüllter Gestalten, die sich hinter einer Mauer aus Schweigen und Geheimnissen verbargen. Ein Umstand, der natürlich den besten nur denkbaren Nährboden für Gerüchte und Vermutungen abgab - die Versionen reichten von einem Paar Unsterblicher bis hin zu Dämonen, die von den Sternen herabgestiegen waren, um über die Menschen zu herrschen. Skar sah die Sache wesentlich nüchterner. Der Schleier von Geheimnissen und Vermutungen, hinter denen sich die Könige verbargen, stellte einen besseren Schutz dar, als ihn selbst die höchsten Mauern hätten bilden können. Auch der tapferste Wächter konnte besiegt oder überlistet werden, aber niemand konnte einen Gegner angreifen, den er nicht kannte.

Um so mehr erstaunte es ihn, daß die Tempelkönige hier anwesend waren.

Eine der schattenhaft erkennbaren Gestalten hob die Hand, und ein zweiter hallender Posaunenstoß unterbrach die Stille. Skar deutete eine Verbeugung in Richtung der Königsloge an und wandte sich dann wieder der Arena zu.

Am gegenüberliegenden Rand des Kampfplatzes hatte sich ein zweites Tor geöffnet, das genaue Gegenstück zu dem, aus dem sie hervorgekommen waren. Die Gestalten der beiden Kohoner wirkten seltsam klein und verloren vor dem Hintergrund der mächtigen grauen Mauer. Skar konnte sehen, wie ihnen der Wind ins Gesicht fuhr und mit ihrem Haar spielte. Die beiden Männer glichen sich wie Zwillinge; sie waren groß, sehr schlank und langgliedrig. Nicht der Typ des muskulösen Athleten, dachte er, sondern Männer, die mehr auf Schnelligkeit und Geschicklichkeit setzten als auf die Kraft ihrer Arme. Ihre Kleidung war einfach und zweckmäßig - knielange Hosen, die von einem breiten, metallbeschlagenen Gürtel zusammengehalten wurden, darüber ein langärmeliges Hemd, unter dem sich zweifellos ein Lederharnisch oder ein Kettenhemd verbarg. Sie trugen keine Helme, und ihr einziger Schutz bestand aus runden, kaum tellergroßen Schilden, die nicht so aussahen, als würden sie einem ernstgemeinten Hieb standhalten können.

Skar tauschte einen Blick mit Del und runzelte flüchtig die Stirn. Ihre beiden Gegner trugen das Haar lang bis auf die Schultern und offen; kein Stirnband. Ein beinahe unentschuldbarer Leichtsinn. Ein dritter Posaunenstoß erklang. Der Kampf begann.

»Nimm du den Linken«, sagte Del. »Und gib acht auf ihre Hände. Sie haben Messer.«

Skar nickte knapp. Es hätte Dels Warnung nicht bedurft. In den Metallgürteln der Kohoner steckte fast ein Dutzend schlanker, gefährlicher Wurfdolche. Skar bedauerte für einen Moment, keinen Schild mitgenommen zu haben. Aber dafür war es nun zu spät. Wenn es ein Fehler war, so würden sie es merken.

Ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge, als sie sich ihren Gegnern näherten. Skar machte einen Schritt in die Arena hinaus und sank fast sofort bis an die Knöchel ein. Er hatte erwartet, daß der Boden schlecht war, aber es war trotzdem noch schlimmer, als er befürchtet hatte. Der Sand war aufgeweicht und sumpfig, seine Schritte wurden von leisen, schmatzenden Geräuschen begleitet und hinterließen eine Spur kleiner Löcher, die sich rasch mit Wasser füllten. Er sah kurz zu Del hinüber und bemerkte, daß der junge Satai mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Und weiter im Zentrum der Arena würde es noch schlimmer werden. Der Boden war abschüssig und glich einem sehr flachen Krater. Vielleicht würden sie dort bis an die Waden einsinken.

»Bleib zurück«, sagte er so leise, daß die Worte nur von Del verstanden werden konnten. »Ich habe keine Lust, bis an die Hüften in diesem Dreck zu versinken. Laß sie kommen.«

Del nickte unmerklich, verlangsamte seine Schritte und begann nach rechts auszuweichen. Gleichzeitg bewegte sich Skar nach links. Ihm war nicht sehr wohl bei dem Gedanken, daß sie sich trennten. Aber ihre Gegner schienen den gleichen Einfall gehabt zu haben. Auch sie bewegten sich auseinander, statt direkt auf sie zu. Das Raunen auf den Bänken wurde lauter, und die ersten anfeuernden Rufe erklangen, verstummten aber ganz rasch wieder. Skar hob den Kopf, blickte in die Mauer gebannt gaffender Gesichter über sich und dann zur Königsloge. Eine der verschwommenen Gestalten hatte sich leicht vorgebeugt und sah offenbar mit großem Interesse zu ihnen herab.

Irgend etwas an der Szene störte Skar. Doch er wußte nicht, was. Aber vielleicht war er auch nur übernervös. Vela hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, die Amazone zu ihm zu schicken.

Er wandte sich wieder seinem Gegner zu und versuchte, alle anderen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Für einen Augenblick gab es nur noch ihn und die Arena, alles andere wurde unwichtig, verschwand. Für die Dauer eines Herzschlages bestand die Welt nur noch aus ihm und dem schwarzhaarigen Mann aus Kohon. Aber nur für einen Augenblick. Dann drang das erregte Murmeln der Menge wieder deutlicher an sein Ohr, und er spürte abermals die Kälte und den eisigen, schneidenden Wind.

Skar erschrak.

Eine der Erklärungen für die legendäre Unbesiegbarkeit der Satai bestand in ihrer Fähigkeit, sich mit jeder Faser ihres Seins auf den Kampf zu konzentrieren, jeden anderen Gedanken, jede Empfindung auszuschalten: Es war eine Trance oder jedenfalls etwas, das diesem Zustand so nahe kam, daß nicht einmal die Satai selbst den Unterschied zu definieren vermochten. Sie hatten ihn jahrelang und mit beinahe übermenschlicher Geduld geübt, bis es nur noch eines flüchtigen Gedankens bedurfte, ihn hervorzurufen.

Aber diesmal ging es nicht.

Irgend etwas war da, eine seltsame, körperlose Kraft, die es vor Augenblicken noch nicht gegeben hatte und die ihn daran hinderte, sich auf die gewohnte Art zu konzentrieren.

Er wandte rasch den Kopf und sah, daß es Del ebenso erging. Obwohl sie sich nach verschiedenen Seiten der Arena bewegt hatten und nun mehr als dreißig Schritte auseinanderstanden, konnte er das Erschrecken auf dem Gesicht des jungen Satai deutlich erkennen.

Skar blieb stehen, zog das Schwert aus der Scheide und wechselte die Waffe in die Linke, um mit der rechten Hand einen Wurfstern vom Gürtel zu lösen. Der Kohoner beobachtete seine Vorbereitungen ohne sichtliche Regung. Sein Gesicht - Skar war jetzt dicht genug heran, um zu erkennen, daß er jünger war, als er bisher angenommen hatte - blieb starr, aber Skar zweifelte nicht daran, daß den dunklen Augen auch nicht die winzigste seiner Bewegungen verborgen blieb.

Skar hatte niemals den Fehler begangen, einen Gegner zu unterschätzen, und er tat es - trotz allem, was er vorher gesagt und gedacht hatte - auch diesmal nicht. Cubic und die anderen mochten recht haben, wenn sie sagten, daß die beiden Kohoner nur zur zweiten Garde gehörten, aber sie hatten es immerhin geschafft, sich in ihrer Klasse bis zur Spitze hinaufzukämpfen; weit genug, um in der Arena von Ikne antreten zu dürfen.

Die Bewegung war fast zu schnell, als daß er sie noch erkennen konnte. Die Hand des Kohoners zuckte zum Gürtel, kam mit unglaublicher Schnelligkeit wieder hoch und beschrieb einen kurzen, abgehackten Viertelkreis. Ein silberner Schemen wirbelte durch die Luft, zischte in einer unmöglichen Kreisbewegung weit an ihm vorbei und jagte wie ein winziger silbriger Bumerang auf Del zu. Skar begriff im letzten Augenblick. Er duckte sich, machte einen halben Schritt nach rechts und ließ sich verzweifelt in den Morast fallen. Irgend etwas sauste mit einem häßlichen Geräusch an seiner Schläfe vorbei, schrammte über seine Schulter und prallte gegen die Wand. Die beiden Kohoner mußten die Art ihres Angriffs genau abgesprochen haben. Während Skars Gegner seinen Dolch auf Del geworfen hatte, hatte der andere seine eigene Waffe auf Skar geschleudert.

Skar wälzte sich auf den Rücken, sah eine zweite, mit unglaublicher Zielsicherheit geworfene Waffe auf sich zufliegen und riß instinktiv sein Schwert hoch. Die Waffe war aber zu schwer und zu unausgewogen, um wirklich gut zu sein. Hätte er sein Tschekal gehabt, wäre es ihm ein leichtes gewesen, den heranwirbelnden Dolch beiseite zu schlagen. So aber gelang es ihm gerade, die Waffe ein wenig abzulenken. Sie verfehlte sein Gesicht, auf das sie gezielt gewesen war, prallte jedoch mit unbarmherziger Wucht gegen seinen Brustharnisch und schleuderte ihn abermals in den Morast zurück. Skars Herz tat einen schmerzhaften Schlag, als er sah, wie das Wurfmesser von seinem Panzer abprallte und in der Mitte entzweibrach. Er hatte von diesen Waffen gehört, ohne jemals eine zu Gesicht bekommen zu haben - ein Chaloc, ein Dolch, dessen Klinge so angefeilt war, daß sie in den Körper des Gegners eindrang und dort abbrach. Selbst ein Treffer in Arm oder Bein würde ihn kampfunfähig machen. Nicht einmal ein Satai kämpft mit fünf Zentimeter beißendem Stahl im Leib weiter.

Aber sein Gegner ließ ihm nicht viel Zeit zum Nachdenken. Ein weiteres Messer zischte heran, verfehlte ihn um wenige Zentimeter und grub sich dicht neben seinem Gesicht in den Boden.

Skar sprang mit einem wütenden Knurren auf die Füße, schleuderte dem Kohoner seinen Wurfstern entgegen und riß gleichzeitig den Umhang von der Schulter. Der Shuriken fetzte dem Kohoner den nächsten Dolch aus den Fingern, schrammte über seinen Handrücken und riß seinen Arm von der Handwurzel bis fast zum Ellbogen auf. Der Mann schrie überrascht auf, taumelte zurück und umklammerte sein blutendes Gelenk. Zum ersten Mal las Skar in seinen Augen nicht mehr Sicherheit, sondern Erschrecken und Schmerz.

Die Menge schrie grölend auf. Skars Gegenangriff war vollkommen überraschend gekommen, und zum erstenmal, seit der Kampf begonnen hatte, war Blut geflossen. Skar mußte plötzlich an Cubics Worte denken. Die Menge würde ihr Schauspiel bekommen. Er wechselte Umhang und Schwert gegeneinander aus und bewegte sich leicht vorgebeugt auf den anderen zu. Der Kohoner zog die Hand, die schon wieder nach einem neuen Dolch hatte greifen wollen, zurück und zog ebenfalls sein Schwert. Er mußte erkannt haben, daß Skar jeden weiteren Wurf leicht mit dem Umhang abwehren konnte.

Skar sah rasch zur anderen Seite des Platzes hinüber. Auch Del war noch auf den Beinen, aber er kam nicht an seinen Gegner heran, sondern duckte sich verzweifelt unter den heranzischenden Wurfdolchen weg. Sein Umhang war zerrissen, und über dem rechten Arm rötete sich der Stoff von Blut. Aber er stand noch. Und irgendwann würden dem Kohoner die Messer ausgehen.

Skar fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken an die schmerzhafte Verletzung, die Del davongetragen hatte. Er kannte den jungen Satai zu gut, um nicht zu wissen, wie jähzornig er war. Im Kampf Mann gegen Mann hatte der Kohoner nicht die Spur einer Chance. Das Duell ging nicht bis zum Tod, aber Del war stark genug, einem Mann auch ohne Absicht das Genick zu brechen. Der Mob schrie begeistert auf, als Skars Gegner mit hoch erhobenem Schwert vorstürzte. Skar wartete den Angriff ruhig ab, parierte den Schlag und sprang dann mit einem blitzschnellen Satz zur Seite.

Wenigstens versuchte er es.

Seine Füße fanden aber auf dem morastigen Boden keinen Halt. Er sank bis weit über die Knöchel ein, kam mit einem zornigen Ruck frei und verlor das Gleichgewicht, als sein rechter Fuß in dem klebrigen Matsch steckenblieb. Verzweifelt drehte er sich noch im Fallen um seine Achse, parierte einen abwärts geführten Stich und landete zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit auf dem Rücken. Der Kohoner stieß einen triumphierenden Schrei aus, packte das Schwert mit beiden Händen und schlug mit aller Gewalt zu. Ihre Klingen trafen funkensprühend aufeinander. Skar schrie vor Schmerz auf. Die Wucht des Schlages schien ihm die Arme aus den Gelenken zu prellen. Er wälzte sich herum, hieb ungeschickt nach den Beinen des Angreifers und brachte sich mit einem verzweifelten Satz in Sicherheit, als sich die Schwertklinge des anderen dort in den Boden fraß, wo soeben noch sein Kopf gewesen war. Er krümmte sich, zog die Beine an den Leib und trat mit aller Gewalt ru. Seine Füße trafen den Kohoner an der Brust und ließen ihn meterweit zurücktaumeln.

Aber nicht weit genug.

Erneut hatte Skar das blitzartige Gefühl, daß irgend etwas nicht so war, wie es sein sollte. Er hatte mit aller Kraft zugetreten. Der Tritt hätte dem Kohoner - Brustpanzer oder nicht - den Brustkorb zerschmettern müssen. Aber der Mann war nur ein paar Schritte zurückgetaumelt und stand nun, zwar mit schmerzverzerrtem Gesicht und wankend, immer noch aufrecht.

Skar stemmte sich mühsam hoch, wich zwei, drei Schritte zurück und hob abwehrbereit die Waffe. Sein Atem ging schnell und hektisch. Der Matsch, in den Skar gestürzt war, hatte seine Augen verklebt und seine Kleider schwer werden lassen. In seinen Handgelenken pochte ein wütender Schmerz, und so sehr er sich auch bemühte, er fand auf dem glitschigen Boden keinen festen Stand. Ihm fiel auf, wie still es plötzlich geworden war. Vor Augenblicken hatte die Arena noch unter den begeisterten Schreien der Menge gebebt, aber plötzlich war es so leise, daß er die keuchenden Atemzüge seines Gegners hören konnte. Er sah auf. Die Menge auf den Zuschauerrängen schien in ungläubigem Schweigen erstarrt zu sein. Viele hatten sich von ihren Sitzen erhoben und gafften, starr vor Schrecken und Überraschung, zu ihnen herab.

Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kohoner. Der Mann hatte die winzige Kampfpause genützt, um sich zu erholen, und kam nun mit kleinen, tänzelnden Schritten näher.

Er bewegt sich zu leicht, dachte Skar. Zu elegant. Er dürfte sich nicht so leicht bewegen. Nicht auf diesem Boden! Sein Blick wanderte an der Gestalt des anderen herab und blieb eine halbe Sekunde an seinen Füßen hängen.

Er trug keine Schuhe.

Er bewegte sich auf diesem sumpfigen Boden so sicher, als stünde er auf Fels, und er trug keine Schuhe.

Und seine Füße waren nicht die Füße eines Menschen. Sie waren verdreckt und von großen Klumpen des braungrauen Morastes verklebt, aber Skar konnte trotzdem die weit ausemandergespreizten Zehen und die dünnen Schwimmhäute dazwischen erkennen. Und jetzt, endlich, begriff Skar. Die gelassene Ruhe, mit der der angebliche Kohoner in die Arena getreten war, der Chaloc, der Gleichmut, mit dem er den Shuriken und seinen Tritt hingenommen hatte ... Dieser Mann war kein Bewohner Kohons. Er war nicht einmal ein Mensch.

In den Augen des anderen blitzte es auf, als er erkannte, daß Skar seinem Geheimnis auf die Spur gekommen war. Er stieß einen wütenden, an einen schrillen Vogelruf erinnernden Schrei aus, schwang das Schwert hoch über den Kopf und stürmte mit weit ausgreifenden Schritten auf Skar zu. Seine Füße schienen den Boden nicht einmal zu berühren. Skar fing den Schwerthieb auf, taumelte ungeschickt zurück und parierte zwei, drei weitere, mit unmenschlicher Kraft geführte Schläge. Die Klinge schien in seiner Faust zu vibrieren. Sein Gegner war langsam, aber die Hiebe kamen mit der Kraft von Muskeln, die denen eines Bantas nicht viel nachstanden, und wo Skar gegen einen menschlichen Angreifer Zeit gefunden hätte, zwischen zwei Hieben zu kontern, mußte er jetzt alle Willenskraft aufbieten, um nicht vor Schmerz aufzuschreien und seine Waffe fallen zu lassen. Sein Körper bebte unter den unbarmherzig auf ihn niederprasselnden Schlägen, und er spürte mit jeder Parade, jedem Treffer, den seine Klinge und seine verkrampften Schultermuskeln auffingen, wie seine Kräfte mehr erlahmten.

Auf den Rängen über ihm klang jetzt ein unwilliges, vielstimmiges Murren auf. Aber Skar blieb keine Zeit, auf die Menge zu achten. Ein furchtbarer Hieb traf seine Waffe, ließ seinen rechten Arm gelähmt heruntersinken. Er keuchte, brach in die Knie und ließ sich zur Seite fallen. Das Schwert des anderen zischte über seinem Kopf ins Leere. Er fiel auf beide Hände, trat nach dem Knie des vermeintlichen Kohoners und spürte, wie dessen Knochen brach. Der Mann schrie auf, taumelte mit wild rudernden Armen zurück und fiel auf die Knie. Ein gellender, tausendfacher Aufschrei aus den Rängen verschluckte seinen Schmerzenslaut.

Skar bückte sich blitzschnell nach seinem Schwert, sprang auf und watete durch den Morast auf seinen hilflosen Gegner zu. Aber der Mann war noch keineswegs geschlagen. Er duckte sich unter Skars Hieb weg, packte Skars Waffe mit beiden Händen und warf sich nach hinten. Skar wurde nach vorne und in die Luft gerissen, flog mit einem ungeschickten Salto über den Kopf des anderen hinweg und fiel zu Boden. Der klebrige Sumpf dämpfte seinen Sturz ein wenig, aber der Aufprall war trotzdem fürchterlich. Ein grausamer Schmerz zuckte durch Skars Rückgrat, dann, für eine halbe, schreckliche Sekunde, hüllten ihn Dunkelheit und Schweigen ein.

Skar kämpfte die aufkommende Bewußtlosigkeit mit aller Kraft nieder, wälzte sich herum und kam schwankend auf die Beine. Die Arena begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Wie durch einen dichten, treibenden Vorhang aus Nebel und Dunkelheit sah er, wie auch sein Gegner wieder hochkam, auf beiden Beinen stand, als wäre das Knie nie gebrochen gewesen, und langsam, waffenlos und mit leicht geöffneten Händen, auf ihn zukam.

Er schüttelte den Kopf, versuchte den Schmerz wegzublinzeln und erreichte dadurch nur, daß ihm schwindelig wurde. Etwas geschah mit ihm, etwas, das er sich nicht erklären konnte und das ihn zutiefst ängstigte. Die Quelle unerschöpflicher Kraft, aus der ein Satai schöpfen konnte, schien in seinem Inneren versiegt zu sein. Es war, als hätte er nie gelernt, die Barrieren in seinem Inneren niederzureißen und jene Energien freizusetzen, die Männer zu Berserkern machen konnten und ihnen jene Taten ermöglichten, denen die Satai ihren Ruf zu verdanken hatten. Er spürte nichts als Leere und Schmerzen und eine unsichtbare Mauer dort, wo sonst die Stimme gewesen war, die ihn selbst in ausweglosen Situationen immer wieder zum Weitermachen angetrieben hatte.

Er stöhnte, rieb sich mit einer fahrigen Geste den schlimmsten Schmutz aus dem Gesicht und versuchte vor seinem Gegner zurückzuweichen. Seine Füße sanken immer wieder im Morast ein; er stolperte mehr, als er ging.

Und er floh! Die Menge über ihm tobte, aber es waren keine Schreie der Begeisterung mehr, die die Arena erschütterten. Was sie sahen, mußte ihnen ungeheuerlich, unglaublich vorkommen. Keiner von denen, die hergekommen waren, um den Kampf zu sehen, hatte wirklich an seinem Ausgang gezweifelt. Und nun mußten sie mitansehen, wie er - der unbesiegbare Satai - von seinem Gegner vor sich hergetrieben wurde.

Der Angriff kam zu schnell, als daß er noch reagieren konnte. Der Kohoner federte in den Knien ein, stieß sich mit ungeheurer Kraft ab und sprang fast waagerecht auf Skar zu. Ein großer, schwimmhäutiger Fuß durchbrach Skars Deckung und traf, der scheinbaren Weichheit seiner Knorpel und Hautlappen Hohn sprechend, Skars Gesicht mit der Wucht eines Hammerschlages. Skar stürzte hintenüber, sank fast vollständig in den zähen Morast ein und kämpfte sich, halb am Rande der Bewußtlosigkeit, hoch. Seine Arme knickten weg, als er versuchte, sich auf Hände und Knie zu erheben. Er konnte nichts mehr sehen. Sein Schädel dröhnte. Noch einmal versuchte er sich hochzustemmen, sank erneut zurück und stieß einen wimmernden Laut aus, als ihn unmenschlich starke Hände wie ein Spielzeug vom Boden hochrissen.

Eine verschwommene, leere Fläche tauchte in den kochenden Schleiern vor seinen Augen auf. Eine Hand, breit und knorpelig und von mörderischer Kraft, legte sich um seine Kehle und drückte zu.

Aber er wehrte sich noch immer. Seine Gedanken waren längst ein einziges Chaos aus Schmerzen und Angst und dumpfer Verzweiflung, aber sein Körper kämpfte weiter, denn er war eine perfekte, ein Leben lang trainierte Maschine, geschaffen zum Töten und Kämpfen. Er riß die Arme hoch, versuchte den mörderischen Würgegriff zu sprengen und hämmerte die Fäuste wieder und wieder in das verschwommene Gesicht über sich. Sein Knie kam hoch, krachte mit gnadenloser Gewalt zwischen die Beine des anderen. Er spürte, wie der Kohoner unter dem Hieb erbebte. Aber der tödliche Würgegriff seiner Hände lockerte sich nicht. Im Gegenteil. Skars Kräfte begannen zu erlahmen. Sein Herz schlug wild und unregelmäßig, und wo seine Lungen gewesen waren, brannten jetzt zwei gnadenlose, quälende Feuer. Er wollte schreien, aber es ging nicht. Noch einmal schlug er mit aller Kraft zu, hämmerte die verschränkten Fäuste mit einer Wucht, die einem Stier das Genick gebrochen hätte, unter das Kinn des Kohoners und spürte, wie er freikam.

Er wankte zurück, rang keuchend nach Luft und brach, kraftlos und ausgepumpt, in die Knie. Ein dumpfes, dröhnendes Rauschen erfüllte seinen Schädel: das Geräusch seines eigenen Blutes, vielleicht auch das Schreien der enttäuschten Menge; er wußte es nicht. Als die Faust des Kohoners niedersauste und sein Bewußtsein endgültig auslöschte, war er fast dankbar.

Die Temperaturen waren mit jedem Meter, den sie weiter nach Osten kamen, gestiegen. Es war heiß, so heiß, daß sie die Gesichter von der unbarmherzigen Glut abwenden mußten, und das Brüllen des Feuersturmes hatte weiter an Kraft zugenommen, so daß sie sich nur noch schreiend verständigen konnten und sich, wo immer möglich, auf Zeichen und Gestikulieren beschränkten. Die Sonne war aufgegangen, nachdem sie ihr letztes Nachtlager verlassen hatten und in Richtung Combat aufgebrochen waren, aber ihr Glanz schien in der Feuerflut am Himmel zu ertrinken. Der Wind, der sie die ganze Zeit über begleitet hatte, war zum Sturm, schließlich zum Orkan geworden, der an ihnen vorbeifauchte und dem kochenden Glutofen am Horizont immer neue Nahrung zuführte. Trotzdem wären sie wahrscheinlich längst vor Hitze umgekommen, wäre der Sturm nicht gewesen.

Skar ritt mit gesenktem Kopf und weit vorgebeugtem Oberkörper. Sein Gesicht brannte. Der Geruch nach verkohlter Erde und brennendem Stein wurde allmählich unerträglich, und jeder Atemzug schien mühsamer als der vorherige. Er hatte trotz der ungeheuren Hitze seinen Mantel wieder hervorgeholt und um die Schultern gelegt, um seine nackte Haut vor der heranflutenden Hitze zu schützen, und die anderen hatten es ihm nach kurzem Zögern gleichgetan. Sein Pferd stolperte mehr, als es ging, und es kostete Skar immer größere Mühe, es zum Weiterlaufen zu bewegen. Der Atem des Tieres ging rasselnd und schnell, und es stieß immer wieder kleine, schmerzhafte Laute aus. Die Sattelgurte hatten seine Haut wundgescheuert; es blinzelte und lahmte auf dem rechten Vorderhuf. Die Hitze mußte ihm ungeheure Qualen bereiten. Skar hob den Kopf, beschattete die Augen mit der Hand und blinzelte nach Osten. Die Welt schien vor ihnen hinter einer Mauer aus kochenden Flammen und unerträglich grellem Licht zu verschwinden. Seine Augen begannen sofort zu tränen, und die Flammen schienen kleine, schmerzhafte Löcher auf seinen Netzhäuten zu hinterlassen. Sie waren noch vier oder fünf Meilen von der äußeren Begrenzung der Stadt entfernt, aber die Hitze machte einen Aufenthalt auf Dauer bereits jetzt unmöglich. Sie würden umkehren müssen, wenn sie den Stollen nicht bald fanden.

Er senkte den Blick, fuhr sich mit der Hand über die Augen, um die Tränen fortzuwischen, und tastete nach dem Lederbeutel unter seinem Wams. Seine Hand war feucht und verschwitzt; das Leder fühlte sich klebrig an, und für einen Moment stieg die fürchterliche Vision eines Dutzends kleiner brauner Kugeln in Skar auf, die unter der mörderischen Hitze wie Wachs zerschmolzen und in dünnen, klebrigen Rinnsalen in seiner Kleidung versickerten.

Aber natürlich waren sie noch da. Vela hätte diese Möglichkeit nicht außer acht gelassen, hätte es sie gegeben.

Er brachte sein Pferd zum Stehen, drehte sich im Sattel um und gab den anderen einen Wink, an ihm vorbeizureiten. Sie bewegten sich im Gänsemarsch, dicht hintereinander, jeder in einer genauen, geraden Linie hinter seinem Vordermann, um auf diese Weise vielleicht dessen Körper als Schutzschild zu benutzen und dadurch der Hitze zu entgehen, und sei es nur für wenige Augenblicke.

Skar wartete, bis Gowenna neben ihm angelangt war, ließ das Pferd weitertraben und deutete nach Osten. »Wie weit ist es noch?« schrie er.

Gowenna sah ihn fragend an und machte eine Handbewegung zu ihrem Ohr, um anzudeuten, daß sie ihn nicht verstanden hatte. Der Sturm riß Skar die Worte von den Lippen und trug sie fort, und das Tosen und Grollen des Feuerorkans übertönte ihn zusätzlich. Er drängte sein Tier dichter an das Gowennas heran, beugte sich im Sattel zur Seite und rief noch einmal: »Wie weit noch?«

Diesmal verstand sie.

»Nich ...eit«, verstand Skar. »Viel ... ei... Ibe Mei ... nicht me ...«

Skar verstand nur Wortfetzen. Er nickte, ließ sein Pferd ein, zwei Schritte zur Seite ausweichen und ritt auf gleicher Höhe mit Gowenna weiter. Sie sagte noch etwas. Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, aber die Worte kamen nicht bei ihm an. Er hob die Schultern, ahmte Gowennas Geste des Nichtverstehens nach und kam wieder näher. Gowenna beugte sich vor, ergriff seine Hand und deutete damit nach Osten. Ihre Haut fühlte sich heiß und rissig wie trockenes Leder an, und als Skar genauer hinsah, konnte er auf ihrem Gesicht eine Anzahl hellrot schimmernder Brandblasen erkennen. Ihre Brauen und Wimpern waren angesengt.

Skar blickte widerstrebend in die Richtung, in die Gowenna gedeutet hatte. Seine Augen begannen sofort wieder zu tränen, aber er erkannte trotzdem, was Gowenna meinte. Vor ihnen, allerhöchstens noch eine halbe Meile entfernt, erhob sich ein massiger schwarzer Schatten gegen den brennenden Himmel. Seine Umrisse waren verschwommen und schienen unablässig zu flackern. »Ist es das?«

Gowenna konnte seine Worte unmöglich verstanden haben. Aber sie hatte seine Mundbewegung gesehen und ihren Sinn richtig erraten. Sie nickte.

»Wir sollten schneller reiten!« schrie er.

Gowenna runzelte die Stirn und zeigte einen fragenden Gesichtsausdruck. Skar hüpfte ein paarmal im Sattel auf und ab und vollführte eine Pantomime, als gebe er seinem Pferd die Sporen. Gowenna schüttelte hastig den Kopf und deutete auf den Boden. Skar verstand. Das Gelände war zu uneben. Schon jetzt kamen die Pferde kaum noch voran. Der Boden war von unzähligen Spalten und Rissen durchzogen, und es gab kaum einen Fußbreit, der nicht mit Trümmern und scharfkantigen Steinen übersät war. Ein Sturz in dieses steinerne Haifischmaul konnte das Todesurteil bedeuten. Außerdem bezweifelte er beinahe, daß die Tiere noch die Kraft besaßen, die Strecke im Galopp zurückzulegen.

Er atmete mühsam die heiße, stickige Luft ein, zog den Kopf zwischen die Schultern und wandte das Gesicht von der Glut ab. Er mußte wieder an die Brandblasen auf Gowennas Gesicht und Händen denken; absurderweise wurde das Bild von einem Gefühl der Schuld begleitet.

Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Das Gelände wurde immer unwegsamer, als hätte sich das Schicksal gegen sie verschworen und ihnen im wahrsten Sinne des Wortes noch auf den letzten Metern Steine in den Weg gelegt. Sie mußten immer öfter parallel zu ihrem eigentlichen Kurs oder sogar zurückreiten, um jäh aufklaffenden Spalten oder bizarren Barrieren aus scharfgratigem Gestein auszuweichen. Skars Pferd strauchelte, als der Boden unter seinen Hufen plötzlich wie eine dünne Eierschale einbrach und darunter lockerer, glühendheißer Sand zum Vorschein kam. Er riß das Tier im letzten Moment zurück und umritt die gefährliche Stelle in weitem Bogen.

Als sie näher kamen, konnte er erkennen, daß es sich bei dem vermeintlichen Felsen, auf den Gowenna gedeutet hatte, um ein Gebäude handelte, zumindest um die Reste eines Gebäudes; ein monolithischer Block aus schwarzem, verkohltem Granit, früher vielleicht einmal rechteckig, aber von Jahrtausenden des Sturmes und der Hitze rundgeschliffen, zernagt. Es gab keine Fenster, aber auf der Seite, auf die sie sich zubewegten, befand sich ein wuchtiges, halbrundes Tor aus glänzendem, blind gewordenem Metall. Gowenna setzte sich an die Spitze der Gruppe und ritt auf den schwarzen Granitklotz zu, so rasch es das Gelände zuließ. Die drei Sumpfmänner folgten ihr dichtauf wie immer, stumme, huschende Schatten, die die Bewegungen ihrer Herrin mit der Präzision von Maschinen nachvollzogen. Aber sie bewegten sich nicht mehr so elegant und mühelos wie zuvor. Skar war sicher, daß ihre Bewegungen langsamer geworden waren, kraftloser. Die Hitze und mehr noch die Trockenheit mußten für sie schlimmer sein als für Skar und die anderen. Sie waren Sumpfleute, Männer, die die feuchtwarme, schwüle Witterung der großen Küstensümpfe im Osten gewohnt waren. Sie gingen buchstäblich durch die Hölle. Aber sie taten es ohne den geringsten Laut der Klage.

Die Männer drängten sich im Schatten des Gebäudes zusammen. Die Hitze war hier nicht geringer als draußen auf der Ebene, aber es war allein schon eine Erleichterung, der gnadenlosen Helligkeit und dem Flammenschein zu entgehen. Skar drängte sein Tier dicht an die Wand, streckte zögernd die Hand aus und zog sie mit einem Schmerzenslaut wieder zurück. Der Stein war glühend heiß. Im Inneren des Gebäudes mußten Temperaturen wie in einem Backofen herrschen.

Besorgt sah er sich nach den anderen um. Gowenna und ihre drei Schatten waren aus den Sätteln gestiegen und machten sich am Tor zu schaffen. Skar bemerkte, daß einer der Sumpfmänner schwankte. Sein Chamäleonmantel flackerte, wechselte unablässig die Farbe von Schwarz zu Grau und Braun, flammendem Rot und Weiß und wieder Schwarz. Das Gesicht hinter der spitzen Kapuze wirkte eingefallen und grau; erloschen. Beral hing schlaff über dem Hals seines Pferdes. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und an seinem Hals pochte eine Ader, schnell, hektisch und arhythmisch. Seine Hände zuckten unablässig. Er war bei Bewußtsein, wie seine weit offenstehenden Augen verrieten, aber er schien kaum mehr zu bemerken, was um ihn herum vorging. Arsan, Nol und Gerrion hockten, zusammengesunken und eng in ihre Umhänge gewickelt, in den Sätteln. Der einzige, dem die Hitze nichts auszumachen schien, war Tantor.

Gowenna stieß einen erleichterten Schrei aus und trat hastig drei, vier Schritte zurück. Das Tor zitterte, schwang, wie von Geisterhand bewegt, nach außen auf und kam mit einem hörbaren Ächzen zum Stillstand. Skar sah, daß die Flügel aus massivem Metall bestanden. Trotzdem hatten sie sich in der Hitze verzogen, so daß wahrscheinlich nicht einmal die Kraft eines Drachen ausgereicht hätte, sie weiter zu öffnen. Aber der entstandene Spalt reichte, ein Pferd hindurchzulassen.

Gowenna taumelte mit einem erlösenden Aufschrei durch die Öffnung. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als sie das heiße Metall mit der Schulter berührte. Sie wankte, stolperte weiter und war im nächsten Augenblick im Inneren des Gebäudes verschwunden. Hinter ihr drängten die drei Sumpfmänner hinein.

Skar wartete geduldig, bis alle außer ihm und dem Zwerg im Schutz des Gebäudes waren. Er drängte sein Tier neben das des Zwerges, riß brutal an den Zügeln und schüttelte den Kopf, als Tantor an ihm vorbeireiten wollte.

»Dir scheint das alles ja am wenigsten auszumachen!« schrie er über das Brüllen des Sturmes hinweg. »Also kümmere dich um die Packpferde! Treib sie zusammen und schick sie rein!«

Tantor begann mit seiner hohen Fistelstimme zu protestieren, aber Skar beachtete ihn nicht weiter. Er haßte den Zwerg, haßte ihn mit jedem Tag, an dem er mit ihm zusammen sein mußte, mehr, und er machte kein Hehl daraus. Irgendwo, in einer boshaften Ecke seines Bewußtseins, schlummerte die Hoffnung, den Zwerg eines Tages zu einem Angriff reizen zu können. Es würde ihm ein Vergnügen sein, ihm den Hals umzudrehen.

Er sprang aus dem Sattel, streifte seinen Umhang ab und führte sein Pferd am Zügel durch das Tor.

Im ersten Moment sah er nichts. Es gab Licht im Inneren des Hauses, graues, fahles Licht, das aus keiner bestimmbaren Quelle kam und wie körperloser Nebel überall war. Seine Augen waren aber an die unerträgliche Helligkeit draußen gewöhnt und brauchten eine Weile, um sich umzustellen, so daß er die Gestalten der anderen im ersten Moment nur als vage Schatten erkennen konnte. Und es war kühl, viel kühler, als er erwartet hatte.

Er wankte bis in die Mitte des Raumes, ließ sich mit einem erleichterten Seufzer in die Knie sinken und atmete fünfzehn-, zwanzigmal hintereinander tief ein und aus. Sein Herz begann plötzlich zu rasen. Übelkeit stieg in ihm auf, und mit einem Mal, unvermittelt, fror er. Sein Körper revoltierte endgültig gegen die Belastung. Er krümmte sich zusammen, verkrampfte die Hände über dem Magen und kämpfte vergeblich gegen den immer stärker werdenden Brechreiz an.

Die Übelkeit wurde schlimmer. In seiner Brust saß plötzlich ein böser, bohrender Schmerz, eine schneidende Wunde, aus der dünne, brennende Schmerzlinien durch seinen Körper schössen. Er erkannte die Symptome beinahe zu spät. Er fiel vornüber, krümmte sich noch mehr zusammen und versuchte verzweifelt, an seinen Brustbeutel zu gelangen. Seine Hände verkrampften sich, wurden zu nutzlosen, hornigen Strünken und verkrümmten Krallen, die nicht mehr fähig waren, den Knoten zu lösen.

Nein, dachte er. Nicht jetzt! Nicht vor den anderen! Nicht so früh!

Aber es wurde noch schlimmer. Der Krampf breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Skar wälzte sich auf den Rücken, schrie, griff mit starren, bewegungsunfähigen Händen an seinen Hals, zerrte den Beutel unter dem Wams hervor und versuchte vergeblich, ihn zu zerreißen, zwischen die Zähne zu bekommen, um das Leder zu zerfetzen, eine der kostbaren Kugeln schlucken zu können ... Eine unmenschliche starke Hand packte ihn an der Schulter und riß ihn herum, preßte ihn mit unwiderstehlicher Kraft gegen den Boden. Der Beutel wurde ihm entrissen. Dürre, knochige Finger zwängten seine Zähne auseinander, schoben etwas Kleines, Glattes in seinen Mund und drückten auf seine Kehle, bohrten sich mit schmerzhaftem Druck unter seine Zunge, damit er schluckte. Er wußte nicht, wie lange es dauerte. Er blieb bei Bewußtsein, aber die Welt um ihn herum wurde unwirklich, transparent, die anderen waren nicht mehr als halbdurchsichtige Schatten, die mit hohlen, grausig verzerrten Stimmen redeten. Sein Zeitgefühl erlosch, dann verschwand der Schmerz, und irgendwann wurde die Well wieder normal. Farben und Formen nahmen ihr gewohntes Aussehen an, und die Stimmen der anderen waren wieder Stimmen, kein grausames Hohngelächter mehr.

Er richtete sich auf die Ellenbogen auf, schüttelte den Kopf, um die Benommenheit hinter seiner Stirn zu vertreiben, stöhnte. Seine eigene Stimme klang fremd in seinen Ohren.

Er sah auf, als er Schritte hörte.

»Geht es dir besser?« fragte Gowenna.

Skar nickte und versuchte zu lächeln. Es mißlang. Irrsinnigerweise spürte er aber ein Gefühl ungeheurer Kraft in sich aufsteigen, als wäre tief in seinem Inneren ein Tor aufgestoßen worden, durch das nun frische Energie wie eine Flutwelle in seinen Körper strömte. »Ich ... ich fühle mich gut«, antwortete er. »Aber es war so früh. Ich ...«

»Die Anstrengung«, sagte Gowenna. »Dein Körper hat mehr als doppelt soviel gebraucht wie normal. Doppelt soviel Kraft, doppelt soviel Wasser... und wohl auch doppelt soviel van dem da.« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf den Lederbeutel, der jetzt offen und für alle sichtbar auf Skars Brust lag. Skar fuhr erschrocken hoch und legte die Hand darüber. Er hatte plötzlich das Gefühl, von allen angestarrt zu werden.

»Wer hat mir ... geholfen ?« fragte er.

»El-tra«, antwortete Gowenna. »Er war der einzige, der die Kraft hatte, deine Kiefer auseinanderzubringen. Du solltest noch eine Ration nehmen, ehe wir in die Stadt vordringen. Wenn dir das gleiche noch einmal passiert, und es ist keiner von ihnen in deiner Nähe, bist du verloren.«

Skar erschrak. Seine Finger glitten in einer unbewußten Bewegung über den Beutel, und für einen Moment kam es ihm vor, als wäre er bereits merklich dünner geworden.

»Wie viele ... hat er mir gegeben?« fragte er stockend.

»Zwei.«

Zwei! Das bedeutete vier Tage. Vier Tage weniger leben, vier Tage weniger Zeit, um zurückzukommen. Und Gowenna hatte recht - er würde eine zusätzliche Ration nehmen müssen, ehe sie Combat betraten. Er wußte nicht, was sie erwartete, und sie mochten in Situationen geraten, in denen ihm auch die Sumpfmänner nicht mehr helfen konnten. Also sechs Tage. Selbst wenn von diesem Moment an alles glatt verlief, hatte er kaum mehr eine Chance. Für einen winzigen Moment verspürte er Haß, Haß, geboren aus dem Gefühl der Verzweiflung und Hilflosigkeit, Haß auf den Menschen, der schuld an seiner Lage war. Aber nur für einen Moment. Wie zuvor fühlte er sich unfähig, Vela wirklich zu hassen. Er versuchte es, aber es ging nicht.

Er schüttelte den Gedanken mit sichtlicher Anstrengung ab, verbarg den Beutel wieder unter seinem Wams und stand umständlich auf. Erneut durchströmte ihn ein Gefühl unbezwingbarer Kraft, aber jetzt wußte er, woher es kam. Und er wußte auch, welchen Preis er dafür zu zahlen hatte.

Gemeinsam mit Gowenna ging er zu den anderen hinüber. Auch Beral schien sich mittlerweile erholt zu haben. Er hockte noch immer zusammengesunken und mit grauem Gesicht auf dem Boden, aber sein Blick war wieder klar, und als er Skar sah, rang er sich sogar ein flüchtiges Lächeln ab.

»Nun«, sagte Tantor, »jetzt, wo wir alle ausgeschlafen haben, können wir vielleicht beginnen.«

Skar schenkte dem Zwerg einen wütenden Blick und hockte sich zwischen die anderen. Sie hatten einen weiten, an einer Seite offenen Kreis gebildet, in dessen Zentrum ein Feuer, genährt von zerrissenen Decken und Abfällen, brannte; eine dünne, flackernde gelbe Flamme, über der ein gußeiserner Topf auf einem Dreibein hing. »Die Salbe ist fertig«, erklärte Tantor mit einer Geste auf den Kessel. »Ihr müßt sie heiß auftragen, wenn sie gut auf der Haut haften soll.«

»Was für eine Salbe?« fragte Skar scharf.

Tantor lächelte schief. »Zum einen kühlt sie eure Verbrennungen, Satai«, sagte er. »Und zum anderen schützt sie euch gegen die Hitze, wenn ihr in der Stadt seid. Aber nur für eine Weile. Zehn Stunden vielleicht, kaum länger. Danach müßt ihr sie abwaschen, sonst erstickt ihr.«

Skar starrte zuerst den Kessel, dann Tantor böse an. »Deshalb hat dir die Hitze bisher so wenig ausgemacht?«

Tantor grinste.

»Vielleicht sollte ich dich hinauswerfen und zusehen, wie du langsam verschmorst«, fuhr Skar wütend fort. »Warum hast du sie nicht schon am Morgen verteilt?«

»Weil ich nicht genug davon hatte«, antwortete Tantor ungerührt. »Und du kannst sie nur einmal nehmen. Wäschst du sie ab, benötigt dein Körper Tage, um sich ganz zu reinigen. Sie ein zweitesmal in kurzer Zeit anzuwenden, wäre zu gefährlich.«

»Und du?«

»Ich brauche sie nicht«, sagte Tantor. »Ich werde euch nicht nach Combat begleiten.«

»Was heißt das?«

»Das heißt, daß ich hier auf euch warte«, erwiderte Tantor geduldig. »Jemand muß bei den Pferden bleiben, und ich wäre euch bei dem, was ihr vorhabt, ohnehin nur lästig. Außerdem kann es sein, daß ihr jemanden braucht, der eure Wunden versorgt, wenn ihr zurückkommt.« Er stand auf, ging zum Feuer hinüber und nahm den Kessel ächzend vom Dreibein herunter. »Zieht euch aus«, sagte er. »Ganz. Wenn auch nur ein Zentimeter eures Körpers ungeschützt bleibt, holt ihr euch Verbrennungen.«

Skar stand mit einer wütenden Bewegung auf. Um ihn herum begannen sich die anderen zu entkleiden. Er löste die kupferne Spange, die seinen Umhang zusammenhielt, streifte Hemd und Hose ab, schlüpfte aus seinen Stiefeln und ging zu seinem Pferd hinüber. Die Tiere standen dicht zusammengedrängt in einer Ecke des Raumes. Skar sah mit plötzlichem Erschrecken, in welch schlechtem Zustand sich die Tiere befanden. Sie waren erschöpft, erschöpfter noch als ihre Reiter. Die meisten hatten zahlreiche Wunden und Brandblasen. Eines der Packpferde zitterte ununterbrochen. Sein Atem ging rasselnd und mühsam, und es schien sich nur noch mit äußerster Kraft auf den Beinen halten zu können. Er löste den Harnisch von seinem Sattel, wog ihn einen Moment unschlüssig in der Hand und ging dann zu den anderen zurück. Gowenna sah den ledernen Brustpanzer stirnrunzelnd an.

»Das Ding wird dich nur behindern«, sagte sie.

Skar zuckte mit den Achseln. »Solange es auch Pfeile und Schwertspitzen behindert, die auf mich gezielt sind, nehme ich es in Kauf«, sagte er. »Außerdem fühle ich mich einfach wohler damit.« Gowenna schürzte in offenkundiger Mißbilligung die Lippen, sagte aber nichts mehr. Sie drehte sich herum, streifte mit einer entschlossenen Bewegung ihr Kleid ab, schlüpfte aus Unterzeug und Sandalen und trat nackt neben das Feuer.

Skar betrachtete ihren Körper mit unverhohlener Neugier. Sie wirkte fraulicher, als er angenommen hatte, war schlank, aber von der Schlankheit eines Raubtieres, mit glatter, geschmeidiger Haut, unter der sich stahlharte Muskeln verbargen. Ihre Hüften waren für seinen Geschmack ein wenig zu breit, um noch wirklich perfekt proportioniert zu sein. Brust und Leib hätten die einer Götterstatue sein können, wären nicht die Muskeln und Sehnen gewesen, die sich bei jedem Schritt unter der Haut bewegten.

Sie trat dicht an den Kessel heran, schöpfte eine Handvoll der farblosen, zähen Flüssigkeit heraus und begann sie sorgfältig auf der Haut zu verreiben. Skar betrachtete sie für einen Moment mit neuen Augen. Gowenna hatte mehr als Rüstung und Schwert abgelegt. Für wenige Augenblicke hatte sie sich mehr entblößt, als sie selbst ahnte. Sie war von dem Neutrum, als das sie sich ausgab, wieder zu einer Frau geworden, obwohl und vielleicht gerade weil sie es nicht wollte. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich vor den Augen der Männer entkleidet hatte, gehörte ebenso zu der Rolle, die sie spielte, wie alles andere. Es diente keinem anderen Zweck, als zu demonstrieren, wie egal ihr selbst ihr Geschlecht war. Ihre Schamlosigkeit war von einer Art, die nichts Unmoralisches oder Verwerfliches an sich hatte, sondern einfach die Schamlosigkeit eines Menschen war, der sich seines Körpers bewußt war und wußte, wie dumm und überflüssig Gefühle wie Scham und Prüderie im Grunde waren. Aber sie erreichte damit eher das Gegenteil.

Einer der drei Sumpfmänner half ihr, die Salbe gleichmäßig am ganzen Körper zu verreiben. Sie war gründlich, ließ keinen Quadratzentimeter aus und fettete selbst das Haar Strähne für Strähne mit der öligen Substanz ein. Als sie fertig war, zog sie sich ohne sonderliche Hast wieder an, ließ aber den metallenen Brustpanzer liegen und streifte statt dessen ein dünnes Hemd aus geschmeidigem Leder über.

Skar betrachtete sie noch eine Weile, auch, als sie wieder angezogen und zwischen die anderen zurückgetreten war. Ihre Schönheit hatte ihn mehr überrascht und verwirrt als erregt, aber er empfand auch noch etwas anderes, ein Gefühl, über dessen Ursachen er sich selbst nicht im klaren war, etwas, das er beobachtet hatte, das ihm aufgefallen war, ohne daß er den Gedanken fassen konnte. Irgend etwas war am Anblick Gowennas nicht so gewesen, wie es hätte sein müssen. Aber er vermochte nicht zu sagen, was.

Gowenna schien seinen Blick zu spüren. Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen, sah auf, runzelte die Stirn und wandte sich mit einem wütenden Ruck um.

Skar war als nächster an der Reihe. Er warf seinen Lendenschurz ab, bückte sich nach dem Kessel und rieb sich rasch mit der Salbe ein. Sie war angenehm kühl auf der Haut, und er spürte erst jetzt, als die Schmerzen nach und nach erloschen, wie zerschunden sein Körper war.

Tantor half ihm, die Stelle zwischen seinen Schulterblättern zu versiegeln, verrieb etwas von dem öligen Sirup unter seinen Fußsohlen und zwischen seinen Zehen und überzeugte sich pedantisch davon, daß seine Haut bis auf den letzten Millimeter von der Salbe bedeckt war.

Skar trat zurück, scheuchte den Zwerg mit einer ärgerlichen Geste zur Seite und bewegte prüfend Arme und Hände. Die Salbe fühlte sich klebrig und kühl an, und er spürte, wie sie rasch zu einem dünnen, elastischen Panzer trocknete, als wäre sein Körper plötzlich von einer zweiten, unsichtbaren Haut umgeben. Vielleicht hätte er jetzt Dankbarkeit empfinden sollen, aber er spürte noch immer nichts anderes als Abneigung und Haß gegen den Zwerg. Er wartete, bis die Salbe vollständig getrocknet war, zog sich wieder an und ging zu seinem Pferd zurück, um die Waffen, die er mitnehmen würde, auszuwählen. Keiner von ihnen - mit Ausnahme Gowennas vielleicht - wußte, was sie erwartete. Vielleicht gab es in Combat keine anderen Feinde als Hitze und Feuer, vielleicht würden sie gegen Feinde kämpfen müssen, die nicht aus Fleisch und Blut waren, aber wenn es etwas gab, auf das er sich vorbereiten konnte, so würde er es tun. Er nahm Schwert, Schild und Wurfmesser aus seinem Gepäck, legte aber den metallenen Schild, Gowennas Beispiel folgend, nach kurzem Überlegen wieder zur Seite. Schon das Eisen der Waffen konnte ihre Haut verbrennen, und Schild und Harnisch würden zu glühenden Todesfallen werden, die vielleicht nicht schnell genug abgestreift werden konnten. Er schob zusätzlich ein halbes Dutzend der kleinen, nadelspitz geschliffenen Shuriken in den Gürtel und band sich ein dünnes Seil aus Kijon-H&ni um die Taille, eine mehrfach in sich verdrehte Schnur, wenig dicker als ein Kinderfinger, doch nahezu unzerreißbar. Nach kurzem Zögern löste er seinen Umhang, verstaute ihn sorgfältig in der Satteltasche und nahm statt dessen Handschuhe und Helm hervor. Sein Haar war zwar dick mit Tantors Hexengebräu eingeschmiert und starr wie eine Kappe geworden, aber er stülpte den Helm trotzdem darüber. Sicher war es besser, zuviel zu tun, als plötzlich mit brennendem Haar dazustehen.

Mit Ausnahme Arsans waren alle bereits fertig und wieder angekleidet, als er zum Feuer zurückkam. Gerrion hatte den Kaftan, den er bisher getragen hatte, gegen einen schwarzen, hauteng anliegenden Anzug aus geschmeidigem Leder getauscht, der ihn um Jahre jünger erscheinen ließ. Die drei Sumpfmänner wirkten jetzt grau und irgendwie durchscheinend, als bestünden sie nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern aus Nebel, der durch einen bizarren Zauber in einer menschenähnlichen Form gehalten wurde. Die Salbe mußte auf ihrer Chamäleonhaut einen besonderen Effekt hervorrufen. Skar empfand ein flüchtiges Gefühl des Bedauerns. Für einen kurzen Moment hätte er vielleicht die Chance gehabt, sie so zu sehen, wie sie wirklich waren. Aber vielleicht wäre das gar nicht gut gewesen. Der Anblick dreier Wesen, die sich glichen wie drei Abdrücke aus ein und derselben Gießform, die nicht nur auf den gleichen Namen hörten, sondern sich auch wie ein Mann bewegten und vermutlich auch die gleichen Gedanken dachten, war unheimlich genug.

Sie warteten geduldig, bis auch Arsan fertig eingesalbt und wieder angezogen war. Arsan verzichtete darauf, sich wie die anderen zu rüsten, sondern schlüpfte in die gleichen Kleider, die er die ganze Zeit getragen hatte: Hemd, Hose und wadenlange, eng anliegende Stiefel. Als einziges zusätzliches Stück nahm er ein schmuckloses Tuch aus seinem Gepäck, das er sich in der Art eines Turbans um Gesicht und Kopf wickelte, bis nur noch ein schmaler Streifen über Augen und Nasenwurzel frei blieb. Seine Pupillen wirkten größer als normale, und Skar war nicht sicher, ob die glitzernden Perlen auf Arsans Stirn Schweiß oder Tropfen der Salbe waren. Er versuchte, ihm aufmunternd zuzulächeln, aber Arsans Blick schien geradewegs durch ihn hindurchzugehen.

»Gehen wir«, sagte Gowenna. »Der Weg ist noch weit.«

Skar wandte sich an den Zwerg, als hätte er Gowennas Worte gar nicht gehört. »Ich kann nur hoffen, daß deine Salbe so gut ist, wie du versprochen hast«, sagte er drohend. »Wenn nicht, schichte ich höchstpersönlich einen Scheiterhaufen für dich auf.«

»Dazu hättest du schwerlich Gelegenheit, wenn mein Zauber nicht wirken würde«, antwortete Tantor grinsend. Er trippelte zum Feuer, streifte den Ärmel hoch und hielt die Linke in die knisternden Flammen. Zwei, drei Sekunden lang stand er reglos da, sah Skar spöttisch an und zog dann die Hand ohne sichtliche Eile wieder zurück. Sein Umhang schwelte, wo ihn das Feuer gestreift hatte, aber seine Haut war unversehrt und rosig wie die eines neugeborenen Kindes.

»Reicht dir das als Beweis?« fragte er. »Allerdings würde ich dir trotzdem raten, nicht direkt durch die Flammen zu marschieren. Die Salbe verliert ihre Wirkung, wenn sie trocknet, und sie trocknet rascher, je größer die Hitze ist, der du sie aussetzt. Sieh dich also vor.«

Skar setzte zu einer wütenden Entgegnung an, aber Gowenna fuhr mit einer ärgerlichen Handbewegung dazwischen.

»Hört auf!« sagte sie scharf. »Combat ist noch weit, und wir müssen bis ins Zentrum der Stadt.«

»Wie weit genau?«

Gowenna überlegte einen Moment. »Vier, vielleicht fünf Meilen.«

»Zu Fuß?« ächzte Beral.

»Natürlich zu Fuß. Der Stollen ist für Pferde nicht passierbar Außerdem wäre die Hitze zu groß.«

»Du meinst«, wiederholte Beral ungläubig, »dieser Stollen führt fünf Meilen unter der Erde bis in die Stadt hinein?«

Gowenna verzog ungeduldig die Lippen. »Wir sind längst in Combat«, sagte sie. »Schon seit gestern abend. Dies alles hier hat einmal zur Stadt gehört, das ganze Gebiet vom Fuß der Berge bis zur anderen Seite weit in die Ebenen von Tuan hinein. Es gibt unzählige Stollen und Katakomben unter der Stadt. Ein ganzes Labyrinth. Wir benutzen es, um unter der Stadtmauer hindurchzukommen. Einen anderen Weg gibt es nicht.«

Skar war von Gowennas Eröffnung nicht überrascht. Er hatte etwas Ähnliches erwartet. Die zerborstenen Felsen, die Trümmer und Krater, die bizarren Gebilde aus geschmolzenem und zu Glas erstarrtem Gestein, an denen sie vorbeigezogen waren, waren nicht natürlich gewachsen, sondern Überreste der Stadt, Ruinen, die geblieben waren, wo der Atem der Götter das ungeschützte Land gestreift hatte, stumme Zeugen, die von der unvorstellbaren Gewalt kündeten, mit der Combat vom Antlitz der Erde getilgt worden war. Er versuchte sich vorzustellen, wie groß Combat vor der Vernichtung gewesen sein mußte, wie viele Menschen hier gelebt hatten und wie mächtig sie gewesen sein mußten, um so etwas zu erschaffen, aber seine Phantasie reichte nicht aus. Und er empfand nicht einmal mehr Erstaunen oder jene Ehrfurcht, die beim ersten Anblick der Stadt von ihm Besitz ergriffen hatte. Sein Vorrat an Staunen schien aufgebraucht, es gab nichts mehr, was ihn noch erschüttern konnte. Die Dinge hatten die Dimensionen, die zu erfassen er noch imstande war, längst überschritten, und er konnte nichts anderes mehr tun, als alles, was jetzt noch kam, einfach hinzunehmen, ohne wirklich darüber nachzudenken.

»Wo beginnt dieser Stollen?« fragte er. »Hier?«

Gowenna erwiderte: »Dicht hinter dem Gebäude. Nicht weit. Aber der Eingang ist verborgen.«

»Dann übernimmst du die Führung«, bestimmte Skar. »Bis wir am Ziel sind, hast du das Kommando.«

»Eine andere Möglichkeit gibt es ja auch kaum«, antwortete Gowenna lakonisch. »Und nun laßt uns gehen.«

»Du hast es verdammt eilig, getötet zu werden«, murmelte Beral. Gowenna ging an ihm vorüber, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, stemmte das Tor auf und trat mit gesenktem Kopf in den heulenden, glühend heißen Wind hinaus.

Er konnte nicht lange bewußtlos gewesen sein. Als er erwachte, hing er mit ausgestreckten Armen und Beinen zwischen zwei Arenadienern, die ihn die ausgetretenen Stufen zu seinem Quartier hinuntertrugen. Sein Schädel dröhnte, und seine Schultergelenke schmerzten entsetzlich. Er bewegte den Kopf, gab einen halblauten, unartikulierten Laut von sich und lehnte sich einen Moment erschöpft gegen die Wand, als die Männer ihn absetzten. Der Gang begann sich vor seinen Augen zu drehen, und in seinem Mund war plötzlich der bittere Geschmack von Erbrochenem und Niederlage. Er stemmte sich hoch, wankte und schüttelte den Kopf, als einer der Männer ihn stützen wollte. »Es ist... gut«, sagte er mit schwerer Zunge. »Ich kann ... allein gehen.«

Der Mann trat hastig zurück. In seinem Gesicht stand Unsicherheit geschrieben, vielleicht sogar so etwas wie Furcht. Er wechselte einen verstohlenen, schnellen Blick mit seinem Kameraden und zog sich zwei, drei Schritte in Richtung der Treppe zurück.

»Wenn Ihr... sonst keine Wünsche habt, Herr, dann ...«

»Geht ruhig«, murmelte Skar. Der Schmerz in seinen Armen wurde schlimmer. »Ich schaffe die paar Schritte schon allein. Wo ist Del?«

»Euer Kamerad befindet sich schon in seinem Quartier, Herr«, antwortete der Mann rasch. Skar fiel auf, daß er seinem Blick auswich und nervöser war, als es seiner Situation angemessen schien. Skar nickte dankbar, drehte sich um und ging schwankend den abschüssigen Gang hinunter. Die Luft schien durchdringender nach Moder und Fäulnis zu riechen als vorher, und der Boden war unter dem unablässig nachsickerndem Wasser aufgeweicht und klebrig geworden.

Skar lehnte sich erschöpft gegen die Wand, nahm einige tiefe Atemzüge und versuchte, den Schmerz in seinen Schultern zu verdrängen. Diesmal ging es. Seine Arme waren noch immer taub, und in seinen Muskeln lauerte ein böses, wühlendes Ding, bereit, bei der kleinsten Unachtsamkeit über ihn herzufallen, aber er konnte sich wenigstens bewegen, ohne ständig vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen zu müssen.

Er stieß sich von der Wand ab und ging gebückt durch den niedrigen Eingang seiner Kammer.

Del lag ausgestreckt auf dem Bett, war aber wach. Ein breiter, blutiger Verband zierte seine Stirn, und der rechte Arm hing in einer Schlinge.

Er rang sich ein halbherziges Lächeln ab, stemmte sich auf den linken, unverletzten Arm hoch und maß Skar mit einem langen Blick. »Gut siehst du aus«, sagte er. Seine Stimme klang rauh. »Hast du eine Liebschaft mit einem Banta?«

Skar grinste, ging um den Tisch herum und griff nach dem halbgefüllten Weinkrug auf dem Wandregal. Aber auch der süße Wein vermochte den bitteren Geschmack nicht von seinem Gaumen zu vertreiben.

»Du hast auch schon besser ausgesehen«, gab er zurück. Er leerte den Becher, füllte ihn erneut und wurde dann übergangslos ernst. »Bist du ernsthaft verwundet?«

Del schüttelte den Kopf. »Ein paar Kratzer, mehr nicht. Aber ich fühle mich, als hätte eine Feuerechse ihren Hochzeitstanz auf mir gehalten.« Seine Miene verfinsterte sich. »Warte, bis ich Cubic in die Finger bekomme. Ich werde ihm den Unterschied zwischen Sumpfleuten und Kohonern so nachdrücklich erklären, daß er ihn nie wieder vergißt.«

Skar runzelte die Stirn, nippte an seinem Wein und ließ sich mit einem Seufzer auf den dreibeinigen Hocker vor dem Bett sinken. »Ich glaube nicht, daß er es gewußt hat«, sagte er plötzlich. Zwischen Dels Brauen entstand eine steile Falte. »Wie meinst du das?«

Skar schwieg einen Moment. »So, wie ich es sage«, erwiderte er dann. »Ich bin mir nicht sicher, daß Cubic gewußt hat, gegen wen wir wirklich antreten.«

Del ächzte. »Du machst Witze, wie? Selbst ein Blinder ...«

»Wir haben es auch nicht gemerkt, nicht?« unterbrach ihn Skar. »Nicht, bevor es zu spät war. Die Tarnung der beiden war perfekt.« Del wischte seine Worte mit einer unwilligen Geste zur Seite. »Für den Augenblick, sicher«, knurrte er. »Wir haben sie ein- oder zweimal gesehen, und auch da nur von weitem. Aber sie haben sich wochenlang in Ikne aufgehalten. Cubic hat mehr als einmal mit ihnen und ihrem Lastaren verhandelt. Er muß es doch gemerkt haben!«

Skar schüttelte stur den Kopf. »Das glaube ich nicht«, sagte er. »Ich kenne Cubic. Er hätte es uns gesagt.«

»Gesagt?« Del lachte schrill und vollkommen humorlos auf. »Wenn man dir zuhört, könnte man glauben, Cubic wäre einer der Drei Heiligen Könige. Dieses Schlitzohr hatte doch nur seinen Kampf im Sinn, vom ersten Tag an. Den Kampf und seine Geldbörse.«

»Eben«, nickte Skar. »Glaubst du wirklich, er hätte sich einen Kampf wie diesen entgehen lassen, wenn er es gewußt hätte? Welcher Lastar kann schon so etwas bieten - Satai gegen Sumpfleute?« Del schüttelte trotzig den Kopf und starrte einen Moment an Skar vorbei ins Leere. »Wir hätten den Kampf nicht angenommen«, erklärte er. »Und Cubic wußte das.«

»Bist du sicher?« fragte Skar. »Du weißt genau, daß wir sogar gegen einen tollwütigen Banta gekämpft hätten. Wir hatten gar keine andere Wahl. Und wenn du ehrlich bist, wirst du zugeben, daß dich der Kampf sogar gereizt hätte. Und wir hätten vielleicht eine Chance gehabt, mit der entsprechenden Bewaffnung und nach ausreichendem Training. Nein -« Er schüttelte noch einmal den Kopf, stand auf und ging zum Regal, um seinen Becher neu zu füllen und für Del ebenfalls einen Wein einzuschenken. »Ich bin sicher, daß er ebenso überrascht war wie du und ich.«

Del schwieg einen Moment. Er machte keine Anstalten, nach dem Becher in Skars Händen zu greifen, setzte sich aber auf. Der Blutfleck auf seinem bandagierten Arm schimmerte feucht. »Ist die Klinge abgebrochen?« fragte Skar mit einer entsprechenden Kopfbewegung.

Del folgte seinem Blick, runzelte einen Moment die Stirn, als entdecke er die Wunde erst jetzt, und schürzte abfällig die Lippen. »Nein«, sagte er. »Aber lenk nicht ab. Wie hast du das gemeint, daß Cubic genauso überrascht war wie wir? Wenn er nicht davon profitiert, wer dann? Die beiden Sumpf leute bestimmt nicht - sie können von Glück sagen, wenn die Tempelkönige ihnen nicht die Hälse abschneiden lassen.«

Skar mußte plötzlich wieder an das denken, was der Söldner gesagt hatte. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Die Wetten würden nicht ausbezahlt werden. Der Kampf hatte unter falschen Voraussetzungen stattgefunden, sein Ausgang war, obgleich eindeutig, nichts wert, für keine Seite.

»Diese Frau«, sagte Del mit einem Mal. »Hat sie etwas damit zu tun?«

»Welche Frau?«

»Frag nicht so blöd! Die Amazone, die dich kurz vor dem Kampf aufgesucht hat! Wer war sie?«

Skar antwortete nicht gleich. Dels Worte hatten einen phantastischen Verdacht in ihm geweckt, der ebenso naheliegend wie aberwitzig war. Aber dann schüttelte er den Kopf und wandte sich mit einem Ruck ab, ohne zu antworten. Die Macht einer Errish reichte sicherlich weit genug, auch so etwas zu inszenieren. Aber es hätte Vela keinen Vorteil gebracht. Die Stadtgarde würde jetzt bereits im Quartier der angeblichen Kohoner sein, um sie und ihren Lastaren dingfest zu machen, falls sie sie nicht gleich aus der Arena heraus verhaftet hatte. Nein - selbst wenn die beiden Sumpfmänner in Velas Diensten standen, hätten sie sich mit ihrem Täuschungsmanöver allenfalls selbst geschadet.

Er schüttelte noch einmal - diesmal überzeugter - den Kopf und setzte zu einer Antwort an, brach aber ab, als er Schritte auf dem Gang draußen hörte.

Es war Cubic. Der Lastar wirkte aufgelöst und nervös. Sein Gesicht war bleich vor Schrecken, und seine Hände zitterten merklich, obwohl er sie hinter dem Gürtel verhakt hatte. Er trat gebückt in den Raum, blieb am Fußende des Bettes stehen und sah erst Skar, dann Del mit einem vorwurfsvollen Blick an.

»Warum?« fragte er leise.

»Warum was?« murmelte Del.

»Warum habt ihr verloren?« Cubics Stimme zitterte. Aber es war kein Gefühl darin - weder Angst noch Vorwurf, sondern gar nichts. Die Stimme eines Mannes, der zutiefst getroffen war und einfach nicht verstand, was geschehen war. »Warum?«

Skar tauschte einen raschen Blick mit Del. Der junge Satai schien von Cubics Worten ebenso überrascht zu sein wie er.

»Wie... meinst du das?« fragte er vorsichtig. »Du hast den Kampf doch gesehen, oder?«

Cubic nickte. »Eben darum frage ich, Skar. Die Wache wird gleich hier sein, um euch abzuholen. Die Treppe ist bereits gesperrt. Wir haben also nur noch wenig Zeit. Aber bitte beantworte mir eine Frage - und du kannst ehrlich sein, denn mein Schicksal wird sich nicht wesentlich von dem euren unterscheiden. Warum? Geld? Haben sie euch Geld geboten? Oder was war es?«

»Ich verstehe dich nicht, Cubic«, antwortete Skar absichtlich langsam. »Wenn du den Kampf mitangesehen hast, dann ...«

»Ich habe ihn gesehen, Skar, in allen Einzelheiten«, fiel ihm Cubic ins Wort. »Und deshalb frage ich. Warum habt ihr euch besiegen lassen? Habt ihr wirklich geglaubt, daß auch nur ein Mensch in Ikne darauf hereinfallen würde?«

»Worauf?« fragte Del.

Cubic fuhr mit einer blitzartigen Bewegung herum. Seine Hände zuckten, als kämpfe er mit aller Macht gegen den Impuls, sich auf den jungen Satai zu stürzen. Seine Ruhe war schlagartig vorbei. »Auf die miserable Vorstellung, die ihr geliefert habt!!« brüllte er. »Darauf, daß ihr uns allen Ernstes vormachen wollt, daß zwei kampferprobte Satai wie ihr von diesen Kindern aus Kohon geschlagen werden! Begreift ihr eigentlich immer noch nicht, was ihr getan habt? Ihr habt euch umgebracht, euch und mich!! Sie werden uns alle drei hinrichten lassen!!«

Skar atmete hörbar ein, sah den Lastaren verständnislos an und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand. »Ich fürchte, ich verstehe dich nicht so ganz, Cubic«, sagte er. »Du weißt so gut wie wir, daß die beiden weder Kinder noch Kohoner waren. Hättest du uns vorher gesagt, gegen wen wir wirklich kämpfen, dann ...«

»Hör auf«, unterbrach ihn Cubic, nun wieder ruhig. »Ich bitte dich, hör auf, Skar. Ich will deine Geschichten nicht hören. Erzähl sie den Richtern oder den Tempelkönigen oder wem du willst. Ich möchte die Wahrheit wissen.«

»Einer von uns ist verrückt«, sagte Del ruhig. »Du oder wir. Was redest du da für einen Unsinn von Hinrichten? Wir -«

»Del!« unterbrach ihn Cubic. »Bitte! Wir haben keine Zeit für Spielchen. Die Garde wird in wenigen Augenblicken hier sein, und ich möchte wenigstens wissen, warum ich geköpft werde. War es Geld? Ich weiß, daß ich euch schlecht bezahlt habe, aber ...« Er brach ab, schluckte und fuhr sich mit der Linken über den Mund. »Warum?« sagte er noch einmal, und diesmal klang es fast flehend. »Wenn ich dich richtig verstanden habe«, sagte Skar, »dann ist die Garde zu uns unterwegs, um uns festzunehmen.«

Cubic fuhr auf. »Sie werden euch kaum einen Orden verleihen, weil ihr versucht habt, die ganze Stadt zum Narren zu halten.«

»Haben wir das?« fragte Skar. Er wußte selbst nicht, woher er die Ruhe nahm, so zu reden. Langsam, ganz langsam, begann er zu begreifen. Aber sein Verstand weigerte sich noch, den Gedanken zu akzeptieren. »Du willst sagen«, fuhr er fort, »daß keiner von all denen, die dort draußen auf den Rängen gesessen sind, gemerkt hat, wer unsere Gegner wirklich waren?«

Cubic starrte ihn fassungslos an, aber Skar sprach bereits weiter. »Du willst allen Ernstes behaupten, daß nicht einmal du, der angeblich alle Schliche und Tricks kennt, gemerkt hat, daß wir in Wahrheit gegen zwei Sumpfleute angetreten sind?«

»Sumpf...« Cubic schluckte, rang für einen Moment sichtlich um seine Fassung und gab einen laut von sich, der sowohl ein Krächzen als auch ein völlig verunglücktes Lachen sein konnte. »Sumpf leute?« keuchte er. »Die beiden und Sumpf leute? Du mußt den Verstand verloren haben, Skar, wenn du glaubst, damit durchzukommen. Die beiden waren ebensowenig Sumpfleute wie du oder ich. Wenn es diese Geschichte ist, die du zu deiner Verteidigung vortragen willst, dann stürz dich lieber gleich in dein Schwert.«

»Ich sehe nicht ein, weswegen wir uns verteidigen sollten«, sagte Del. »Wir -«

Auf dem Gang wurden die stampfenden Schritte von einem halben Dutzend Männer laut. Del brach ab, sah verwundert zur Tür und griff automatisch nach seinem TschekaJ, dessen Griff aus dem Bündel mit den wenigen Habseligkeiten, die ihnen geblieben waren, herausragte. Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, den Del ignorierte. Del packte das Schwert an Griff und Spitze und wich mit einer raschen Bewegung zur Wand zurück.

Die Schritte machten dicht vor der Tür halt. Metall klirrte, dann betrat ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann in der Uniform eines Hauptmannes der Stadtgarde die Kammer.

Er drängte sich an Cubic vorbei, bedachte Del und die Waffe in dessen Händen mit einem mißbilligenden Blick und wandte sich an Skar.

»Es wäre besser, wenn Ihr Eurem jungen Freund sagen würdet, daß Widerstand sinnlos ist«, sagte er. »Auf dem Gang steht ein Dutzend meiner besten Soldaten, und selbst wenn Ihr sie überwindet, erwarten Euch meine Bogenschützen an der Treppe.«

»Ich wüßte nicht, warum wir sie oder Euch überwinden sollten«, gab Skar mit erzwungener Ruhe zurück. »Ebensowenig, wie ich weiß, was Euer Auftritt zu bedeuten hat, Hauptmann. Ist es neuerdings in Ikne Brauch, Gäste mit der Waffe in der Hand zu empfangen ?«

Der Hauptmann wirkte für einen Moment ernsthaft verwirrt. Skar konnte auf seinem Gesicht deutlich erkennen, daß dies wohl die Reaktion war, auf die er am wenigsten gefaßt gewesen war. Eher hatte er wohl mit Widerstand, vielleicht auch Kampf gerechnet. In einer anderen Situation hätte Skar seinen Mut, trotzdem allein und unbewaffnet hier hereinzukommen, bewundert.

»Ich - bin nicht gekommen, um mit Euch zu diskutieren«, sagte er schließlich. »Ihr werdet mir widerstandslos folgen?« Die Worte klangen wie eine Frage, aber Skar zweifelte nicht daran, daß sie als Befehl gemeint waren.

Er nickte. »Sicher. Vielleicht ist das der einzige Weg, endlich herauszubekommen, was hier eigentlich gespielt wird.«

Er wandte sich um, zog gleich Del sein Tschekal aus dem Kleiderbündel und rammte es mit einer übertrieben heftigen Bewegung in die leere Schwertscheide an seinem Gürtel. Hinter seinem Rücken sog der Hauptmann scharf die Luft ein. Aber der erwartete Protest blieb aus.

Betont langsam drehte er sich wieder um, warf dem Hauptmann ein aufmunterndes Lächeln zu und deutete auf die Tür. »Gehen wir.«

Der Gardist atmete auf. Er trat beiseite und wartete, bis erst Cubic, dann Del und schließlich Skar an ihm vorbeigegangen waren. Aber er folgte ihnen nicht. Skar warf im Hinausgehen einen Blick über die Schulter zurück und bemerkte, wie er sich aufmerksam in der Kammer umzusehen begann: wie ein Mann, der etwas Bestimmtes suchte.

»Was zum Teufel geht hier vor?« murmelte Del verstört. »Sind denn jetzt alle verrückt geworden?«

Skar zuckte die Achseln und verzichtete auf die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Allmählich begann sich alles zu einem logischen Bild zusammenzufügen. Im Grunde war er nicht einmal erstaunt. Auf dem Gang erwartete sie ein Dutzend finster dreinblickender Soldaten. Der Hauptmann hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, seine besten Männer mitgenommen zu haben - kaum einer der zwölf war wesentlich kleiner als Del, und Skar erkannte auf den ersten Blick, daß sie es hier mit harten, kampferprobten Männern zu tun hatten. Hätten Del und er es in der Enge des Ganges auf einen Kampf mit diesen Männern ankommen lassen, hätten sie verloren.

Einer der Soldaten trat ihnen entgegen und sagte mit einer Mischung aus Herausforderung und vorsichtigem Respekt: »Ihr folgt uns freiwillig?«

Skar zuckte mit den Achseln. »Ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun. Wo bringt Ihr uns hin?«

»Zum Kommandanten. Er erwartet Euch in der Halle. Ich ... muß Euch um Eure Waffe bitten.« Der Mann streckte die Hand aus, trat einen halben Schritt vor und verhielt abrupt, als er Skars Blick begegnete. Ein nervöses Zucken lief über sein Gesicht. Die Hand, noch immer in halber Höhe und scheinbar mitten in der Bewegung erstarrt, begann zu zittern und senkte sich.

Zwei, drei Herzschläge lang kreuzten sich ihre Blicke, dann senkte der Gardist betreten den Kopf und wich rasch in die Reihe seiner Kameraden zurück.

»Gut«, sagte er unsicher. »Ich denke, es wird nicht unbedingt notwendig sein, Euch zu entwaffnen.«

»Nein«, sagte Skar ruhig. »Das wird nicht unbedingt notwendig sein. Vielleicht ist es notwendiger, jetzt zu gehen. Wir wollen Euren Kommandanten nicht warten lassen.«

Der Soldat wandte sich um und ging rasch den Gang hinauf. Skar, Del und Cubic folgten ihm, flankiert von einem Dutzend nervöser Soldaten. Sie haben selbst jetzt noch Angst vor uns, dachte Skar. Aber irgendwie erfüllte ihn der Gedanke nicht mit Stolz und Zufriedenheit.

Sie gingen rasch die Treppe hinauf. Der Hauptmann hatte nicht übertrieben - auf jedem Absatz standen Bogenschützen, und ihre Pfeile waren mit fingerlangen, dreifach geschmiedeten Stahlspitzen versehen, die auf kurze Entfernung selbst den steinharten Lederharnisch eines Satai zu durchschlagen vermochten. Skars Beunruhigung wuchs.

Die Soldaten geleiteten sie rasch eine weitere Treppe hinauf in den breiten, von Fackeln und Kohlebecken erhellten Rundgang, der die Arena umgab. Auch hier waren überall Soldaten, Hunderte, wie es schien, die in kleinen Gruppen oder einzeln vor Türen und Treppenaufgängen standen und ihnen neugierig nachstarrten. Ein Ruf wie der unsere, dachte Skar sarkastisch, hat auch gewisse Nachteile. Wer als unbesiegbar gilt, erhält erst gar keine Gelegenheit, diese Tatsache unter Beweis zu stellen.

»Meine Geduld ist bald erschöpft«, murrte Del neben ihm.

»Wenn mich nicht gleich jemand aufklärt, schnappe ich mir einen von diesen Spielzeugsoldaten und prügle die Wahrheit aus ihm heraus.«

Skar bedachte ihn mit einem spöttischen Seitenblick. Ihre Eskorte blieb stehen, und einer der Soldaten deutete stumm in die Halle, in der sie erst vor kurzem darauf gewartet hatten, in die Arena hinauszugehen. Skar und Del traten gehorsam durch die niedrige Tür.

Die großen Tore waren jetzt geschlossen. Der Raum war von unzähligen Fackeln taghell erleuchtet, und ein Geruch nach Feuchtigkeit und brennendem Teer hing in der Luft. Längs der Wände waren an die hundert Soldaten postiert, und ein zweiter, kaum weniger starker Trupp hatte hinter dem Mann Aufstellung genommen, der ihnen finster entgegenblickte. Skar näherte sich ihm bis auf vier, fünf Schritte, blieb stehen und legte herausfordernd die Hand auf den Schwertgriff; eine Geste, die angesichts der hoffnungslosen Übermacht, der sie gegenüberstanden, allenfalls symbolische Bedeutung hatte. Trotzdem schien sie die beabsichtigte Wirkung nicht zu verfehlen.

»Es freut mich, daß Ihr vernünftig wart und meinen Soldaten keinen Widerstand entgegengesetzt habt«, sagte der Kommandant. Er war ein kleiner, zerknittert wirkender alter Mann mit strähnigem Haar und entzündeten Augen. Seine Gestalt schien in der wallenden roten Toga, in die er sich gehüllt hatte, schier zu ertrinken, und der barbarische Helm auf seinem Haupt wirkte schlichtweg lächerlich. Aber seine Stimme war fest, und irgend etwas an seiner Art sagte Skar, daß er sich den Rang des Stadtkommandanten erkämpft und nicht erschlichen hatte. Ein Mann, vor dem er auf der Hut sein mußte.

»Wir konnten der freundlichen Einladung nicht widerstehen«, sagte Skar spöttisch. »Um so mehr, als wir immer noch nicht wissen, welchem Umstand wir diese Ehre zu verdanken haben.«

Zwischen den Brauen des Kommandanten entstand eine steile Falte. »Es ist Euer gutes Recht, Euch zu verteidigen, Satai«, sagte er scharf, »aber versucht nicht, mich für dümmer zu halten, als ich bin.«

Del wollte auffahren, aber Skar brachte ihn mit einem zwingenden Blick zum Schweigen.

»Verzeiht«, sagte er betont freundlich, »wenn dieser Eindruck entstand. Wir wollten Euch nicht beleidigen. Aber wir wären Euch dankbar für eine Erklärung.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Soldaten, die hinter und neben ihnen Aufstellung genommen hatten. »Ich nehme an, daß wir uns als festgenommen betrachten können.«

»Das könnt Ihr, Satai.«

»Und warum?« fragte Skar. »Ich meine - welches Verbrechen werft Ihr uns vor?«

Der Kommandant antwortete nicht gleich. Die letzte Spur von Freundlichkeit wich aus seinem Gesicht, und seine Stimme klang schärfer als vorher, als er antwortete. »Wenn es Euch beliebt, den Narren zu spielen - bitte«, sagte er. »Wir werfen Euch vor, das Volk von Ikne betrogen zu haben.«

Skar lächelte sanft. »Mehr nicht?«

»Euer Plan war nicht einmal sonderlich intelligent«, fuhr der Kommandant fort. »Aber es ist nicht meine Aufgabe, über Eure Motive nachzudenken. Ich stelle nur die Tatsachen fest und übergebe Euch den Gerichten. Obgleich es mir, offengestanden, ein Rätsel ist, daß zwei Männer wie Ihr sich auf ein so dummes Unterfangen eingelassen haben.«

Skar seufzte. »Ich weiß zwar immer noch nicht, wovon Ihr redet, aber -«

»Stellt Euch nicht dumm!« zischte der Kommandant. Für einen Moment huschte ein Schatten von Wut über seine Züge, aber er hatte sich sofort wieder in der Gewalt. »Ihr hättet diesen Kampf gewinnen müssen, Satai. Selbst mit verbundenen Augen und nur einem Arm. Sogar mein zehnjähriger Enkel hätte gegen diese Kohoner eine bessere Figur abgegeben als Ihr und Euer Kamerad!«

»Wenn es Kohoner gewesen wären!« fiel ihm Del hitzig ins Wort. »Ihr wißt so gut wie wir, daß wir getäuscht wurden!«

Ein dünnes, beinahe nachsichtiges Lächeln huschte über das Gesicht des Kommandanten. »Es tut mir leid, wenn ich Euch nicht folgen kann, Satai«, sagte er ruhig. »Das einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, daß wir getäuscht wurden - das Volk von Ikne und seine Könige. Ihr werdet Euch dafür zu verantworten haben.«

»Aber das ist Wahnsinn!« schrie Del.

Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, doch Dels Vorrat an Geduld schien endgültig erschöpft zu sein. Er trat mit einem wütenden Schritt auf den Kommandanten zu und blieb erst stehen, als die Soldaten vor ihm drohend nach ihren Waffen griffen.

»Ich verstehe nicht, was für ein Spiel Ihr spielt«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Und ich will es auch gar nicht verstehen. Aber diese angeblichen Anfänger aus Kohon waren nicht das, was zu sein sie vorgaben. Holt sie her, wenn Ihr es wirklich nicht wißt. Bringt sie her, und ich werde Euch zeigen, was sie wirklich sind.«

»Laß es, Del«, murmelte Skar. Aber der junge Satai schien seine Worte gar nicht zu hören.

Der Kommandant seufzte. »Ich dachte mir, daß Ihr etwas in dieser Art verlangen würdet«, sagte er kopfschüttelnd. »Schade. Ich habe gehofft, auf diese unwürdige Komödie verzichten zu können. Aber wie Ihr wollt.« Er trat einen halben Schritt zurück, klatschte in die Hände und wandte sich halb um. In der Seitenwand der Halle wurde eine schmale Schlupftür geöffnet, und eine Abteilung Soldaten führte die beiden Kohoner und ihren Lastaren in die Halle. Erneut fiel Skar auf, wie sehr sich die beiden Männer ähnelten; und nicht nur sie - auch ihr Lastar unterschied sich nur geringfügig von seinen beiden Kämpfern. Die gleiche Größe und Statur, dasselbe schmale, scharfgeschnittene Gesicht, die gleichen Hände, eher sehnig und geschickt als stark ... aber es waren menschliche Gesichter, menschliche Hände. Skar hörte, wie Del neben ihm scharf die Luft einsog, und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Nicht«, flüsterte er. »Reiß dich zusammen.«

Del knurrte irgend etwas, das er nicht verstand, streifte seine Hand ab und trat mit einem raschen Schritt auf die drei Männer zu. »Ich weiß nicht, wie Ihr es gemacht habt«, sagte er wütend, »aber ich beglückwünsche Euch dazu. Das ist die beste Maske, die ich je gesehen habe.«

Skar sah rasch zum Kommandanten hinüber. Auf dem Gesicht des kleinwüchsigen Mannes war ein fragender Ausdruck erschienen, aber er zog es vor zu schweigen und den Dingen ihren Lauf zu lassen.

»Trotzdem nutzt es Euch nichts«, fuhr Del etwas lauter und mit einem triumphierenden Seitenblick auf den Stadtkommandanten fort. »Nehmt Ihr die Masken selbst ab, oder muß ich es tun?« Er trat vor und streckte die Hand aus, als wolle er dem Mann vor sich an den Haaren reißen. Der Kohoner drehte rasch den Kopf zur Seite und wich zurück.

»Seid Ihr verrückt, oder könnt Ihr nicht verlieren?« fragte er. Es war das erste Mal, daß Skar ihn oder seinen Kameraden überhaupt reden hörte. Seine Stimme paßte nicht zu ihm, fand er.

»Ich werde dir zeigen, wie verrückt ich bin!« schrie Del. Bevor es einer der umstehenden Soldaten verhindern konnte, stürzte er sich auf den Kohoner, rang ihn zu Boden und krallte die Finger in sein Gesicht. Der Mann schrie vor Schmerz und Überraschung auf, strampelte mit den Beinen und versuchte, Dels Hand zur Seite zu schlagen. Genausogut hätte er versuchen können, die Arena mit bloßen Händen niederzureißen. Del preßte ihn mit spielerischer Leichtigkeit zu Boden, drückte mit der Linken seine Handgelenke zusammen und riß und zerrte mit aller Gewalt an seiner Wange. Die Haut riß. Blut lief in dünnen roten Rinnsalen über sein Gesicht und Dels Finger, und seine Schreie wurden plötzlich schriller. »Del! Hör auf!« Skar fegte zwei Soldaten, die vergeblich versuchten, Del von seinem Opfer herunterzuzerren, mit einer wütenden Bewegung zur Seite, riß den jungen Satai herum und schlug ihm drei-, viermal hintereinander mit der flachen Hand ins Gesicht. Dels Griff erschlaffte. Fassungslos starrte er auf das blutende Gesicht des Kohoners hinunter, erhob sich langsam auf die Füße und warf Skar einen ratlosen Blick zu. Der Kohoner kroch rasch rückwärts davon, stemmte sich auf Händen und Knien hoch und preßte dann die Hand gegen die Wange. Zwischen seinen Fingern sickerte Blut hervor.

»Aber ...«, keuchte Del, »was ... das ist...«

»Das ist genug«, sagte der Kommandant scharf. »Ihr seid keine dahergelaufenen Söldner, sondern Satai, und deshalb habe ich Euch Eure Chance gegeben. Aber diese lächerlichen Mätzchen sind weder eines Satai noch eines Mannes in meiner Position würdig. Ich weiß nicht, was Ihr damit bezweckt habt, aber wenn Ihr glaubt, daß ich darüber lache, so muß ich Euch enttäuschen. Ihr werdet jetzt in die Zwingfeste gebracht. Vielleicht fällt Euch im Kerker eine bessere Ausrede ein.«

»Aber das sind nicht die Männer, gegen die wir gekämpft haben !« protestierte Del. »Die zwei, die uns in der Arena gegenüberstanden, waren Sumpfleute!«

Dem Gesicht des Kommandanten war nicht die geringste Regung abzulesen. »Ihr enttäuscht mich immer mehr, Satai«, sagte er ruhig. »Eure beiden Komplicen wurden festgenommen, bevor sie die Arena verlassen konnten.«

»Aber sie sind nicht das, was sie zu sein scheinen!« keuchte Del verzweifelt. »Zieht ihnen die Kleider aus! Seht... seht Euch ihre Füße an! Ihr werdet sehen, daß ich die Wahrheit spreche!« Er fuhr herum, wandte sich hilfesuchend an Skar und packte ihn grob an der Schulter. »Sag etwas, Skar«, flehte er. »Du ... du hast es doch auch gesehen.«

Statt einer direkten Antwort deutete Skar auf die gezackte Rißwunde am Arm des Kohoners, gegen den er gekämpft hatte. Die typische unterbrochene Schnittlinie seines Shuriken war unverkennbar.

»Euer Kamerad scheint etwas vernünftiger zu sein als Ihr, Satai Del«, sagte der Kommandant spöttisch. »Zumindest weiß er, wann er verloren hat. Aber ich werde Euch den Gefallen tun, wenn Ihr darauf besteht. Und danach werden wir diese unwürdige Komödie endgültig beenden. Der Kerkermeister wartet schon auf Euch. Er hat nicht oft so prominente Gäste.« Das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch schlagartig. »Zieht Euch aus!« befahl er grob, an die Kohoner gewandt. »Hemden und Stiefel werden genügen. Und beeilt Euch. Meine Geduld ist fast erschöpft.«

Die beiden Kohoner begannen gehorsam, sich ihrer Hemden und Schuhe zu entledigen. Skar sah nicht einmal hin. Er wußte auch so, was sie sehen würden.

»Aber das ist doch unmöglich!« keuchte Del. »Ich bin doch nicht verrückt! Ich weiß doch, was ich gesehen habe! Das ... das sind nicht die Männer, gegen die wir gekämpft haben! Man muß sie ausgetauscht haben! Das ist eine Intrige, wir ...« Er brach ab, sog hörbar die Luft ein und schüttelte ein paarmal hintereinander hilflos den Kopf.

»Seid Ihr zufrieden?« fragte der Kommandant kalt.

»Aber ich ...«

»Genug, Satai. Ihr habt Euren Spaß gehabt, und ich habe mehr Geduld mit Euch bewiesen, als es Euch zukommt. Ihr werdet in den Kerker überstellt und morgen bei Sonnenaufgang dem Richter vorgeführt. Und«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »begeht keinen Fluchtversuch. Selbst wenn es Euch gelänge, Eure Bewacher zu überwinden, würdet Ihr nicht aus Ikne herauskommen.« Er gab den Wachen hinter Skar und Del einen Wink und deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Waffen. »Eure Schwerter, Satai!«

Del wich einen halben Schritt zurück und legte trotzig die Hand auf den Griff des Tschekal. »Nehmt es Euch«, sagte er herausfordernd. »Wenn Ihr den Mut dazu habt.«

Der Kommandant lächelte geringschätzig. Die Reihe der Bewacher hinter ihm teilte sich, und ein Dutzend Bogenschützen trat mit gespannten Waffen hervor.

Für einen Moment sah es fast so aus, als wolle sich Del trotzdem der erdrückenden Übermacht nicht beugen. Dann stieß er einen halblauten, abgehackten Fluch aus, riß seine Waffe aus dem Gürtel und warf sie dem Kommandanten vor die Füße. Skar lächelte, zog sein Tschekal und legte es behutsam neben Dels Waffe.

»Gebt gut darauf acht, Kommandant«, sagte er halblaut. »Ich werde es eines Tages von Euch zurückfordern. Sollte es beschädigt sein, werde ich nicht mehr so ruhig mit Euch reden wie jetzt.« Für die Dauer eines Lidzuckens huschte ein Ausdruck von Schrecken über die faltigen Züge des Kommandanten. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Ein toter Mann braucht keine Waffe, Satai«, sagte er abfällig. »Aber ich werde sie Euch mit ins Grab legen, wenn Ihr es wünscht.« Er bückte sich, hob die beiden Schwerter auf und fuhr mit einer wütenden Bewegung herum. »Bringt sie weg!«

Der Kreis der Soldaten schloß sich enger um Skar und Del. Sie wurden von Cubic und den Kohonern getrennt und durch einen Seitenausgang aus der Halle geführt.

Es wurde kälter, als sie sich dem Nordausgang näherten. Skar hatte unbewußt damit gerechnet, auf dem kürzesten Weg zur Feste geführt zu werden; durch den Nordausgang der Arena die breite gepflasterte Hauptstraße direkt zum Verbotenen Bezirk hinauf, in dessen Zentrum sich der schwarze Riesenfinger der Zwingfeste erhob. Aber offensichtlich hatte ihre Eskorte andere Befehle. Sie verließen die Arena durch eine niedrige, halb von wucherndem Efeu und Unkraut überwachsene Seitentür, die in eine schmale Gasse zwischen zwei Hausreihen hinausführte.

»Man scheint keinen Wert darauf zu legen, daß unsere Verhaftung bekannt wird«, knurrte Del, als sie - umringt von jeweils einem Dutzend schwerbewaffneter Soldaten - durch die schmale Schlucht aus feuchten Ziegelsteinmauern in nördliche Richtung gingen. »Selbst den Tempelkönigen von Ikne dürfte es schwerfallen, einen logischen Grund für die Verhaftung zweier Satai zu finden.« Skar runzelte die Stirn. Del schien den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen zu haben.


»Vielleicht geschieht es auch nur zu unserem Schutz«, sagte er halblaut.

»Schutz?« echote Del.

Skar nickte. »Ich glaube nicht, daß die Bürger dieser Stadt im Augenblick sonderlich gut auf uns zu sprechen sind«, sagte er. »Dem Kommandanten ist nicht damit gedient, wenn sie uns lynchen.« Del schwieg verwirrt.

»Jeder, der auch nur einen Dim auf uns gewettet hat, fühlt sich von uns getäuscht und betrogen«, fuhr Skar fort. »Und es gibt eine Menge Leute, die nicht viele Fragen stellen, wenn sie sich übers Ohr gehauen fühlen. Auch in Ikne.«

»Aber das ...« Del brach erneut ab, schüttelte den Kopf und richtete den Blick starr auf den Rücken des vor ihnen gehenden Gardisten. »Ich verstehe das nicht«, murmelte er. »Sie müssen doch gesehen haben, was passiert ist. All diese Leute. Man kann doch nicht all diese Leute täuschen.«

»Offensichtlich doch«, antwortete Skar. »Sie - oder uns.«

Del wandte mit einem Ruck den Kopf und blieb stehen, stolperte aber sofort weiter, als ihm einer der Soldaten einen unsanften Stoß versetzte.

»Wie meinst du das?« fragte er.

Skar hob kaum merklich die Schultern. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte er nachdenklich. »Die eine ist, daß es wirklich Sumpfleute waren und dreißigtausend Augenpaare es nicht gemerkt haben. Die andere«, setzte er nach einer winzigen Pause hinzu, »ist, daß wir uns geirrt haben.«

Del gab einen Laut der Überraschung von sich. »Ich spüre jetzt noch jeden einzelnen Knochen im Leibe«, sagte er. »Der Kerl hatte mehr Kraft als ein Dutzend Stiere. Und du willst mir erzählen, es wäre ein ganz normaler Gladiator gewesen?«

»Ich will überhaupt nichts erzählen«, sagte Skar ruhig. »Ich denke nur laut. Oder weißt du eine andere Erklärung?«

Del schwieg einen Moment und schüttelte dann widerwillig den Kopf. Sie hatten die Gasse mittlerweile verlassen und gingen über eine schmale, steinerne Brücke, die über einen der unzähligen Kanäle der Stadt hinwegführte. Der Wasserspiegel war in den letzten Tagen so hoch gestiegen, daß die brackigen grauen Fluten bereits ihre Füße umspülten. Hinter der Brücke wartete eine zweite, womöglich noch engere Gasse auf sie. Sie näherten sich jetzt dem Stadtzentrum. Die Rückseiten der Häuser, zwischen denen sie hindurchgingen, waren hier ebenso schmutzig und ungepflegt wie die in den ärmeren Vierteln, aber die Gebäude waren höher, und es gab von Zeit zu Zeit sogar schmale, vergitterte Fenster, wohl dazu bestimmt, Abfälle oder die Inhalte von Nachtschüsseln auf die Straße zu werfen.

»Magie«, murmelte Del schließlich. »Es muß Zauberei im Spiel gewesen sein.«

Skar lächelte. »Ich glaube nicht an Zauberei.«

»Ich kannte einmal ein Reh«, antwortete Del, der sich offenbar für seine eigene Idee zu begeistern begann, »das glaubte nicht an Pfeil und Bogen. Es hat hervorragend geschmeckt.«

Skar antwortete nicht. Vielleicht hatte Del mit seiner Vermutung nicht einmal unrecht. Wenn auch in anderer Art, als er annehmen mochte.

Der Regen wurde stärker. Skar bedauerte schon, nur den dünnen Kampfharnisch und den Lederrock angelegt zu haben. Vorhin, in der Arena, war diese Kleidung Schutz genug gewesen, aber hier draußen in der Kälte begann er schmerzhaft zu spüren, wie wenig Widerstand der Harnisch dem Wind und der Feuchtigkeit entgegenbrachte. Sein Blick wanderte an der glitzernden Steinmauer zu seiner Linken empor. Die Wände waren so hoch, daß sie sich über ihnen gegeneinander zu neigen schienen und nur ein schmaler, grau marmorierter Streifen des Himmels sichtbar blieb, und obwohl dort oben noch Dämmerung herrschte, bewegten sie sich hier, am Grund dieser künstlichen Klamm, schon durch wattige Finsternis, in der die Silhouetten ihrer Bewacher zu tiefenlosen schwarzen Schatten zu werden schienen. Irgendwo weit, weit entfernt grollte Donner. »Wonach suchst du?« drang Dels Stimme in seine Gedanken. »Nach einem Engel, der vom Himmel herabsteigt und uns rettet?« Skar lächelte dünn. »Vielleicht«, sagte er. »Aber vielleicht auch nach einem Dämon.«

Del zog die Brauen zusammen und schien einen Moment über den Sinn der Bemerkung nachzudenken. »Du machst dir doch nicht etwa wirklich Sorgen wegen dieses Angebers von Kommandanten, oder?« fragte er nach einer Weile. Er lächelte, aber es wirkte ein wenig gekünstelt, so, als gelte es eher seiner eigenen Beruhigung. »Nicht einmal die Priesterkönige von Ikne würden es wagen, Hand an zwei Satai zu legen.«

»Der Berg der Götter ist weit«, antwortete Skar.

Del schwieg. Diesmal schien seine Ruhe sichtlich erschüttert. Skar sah wieder nach rechts und links. Die Häuser standen hier dichter als zuvor, und von Zeit zu Zeit passierten sie schmale Seitenwege, die auf die Hauptstraße hinausführen mochten. Doch er verwarf den Gedanken an Flucht wieder. Sie hatten keine Waffen, aber selbst, wenn es anders gewesen wäre, hätten sie einen Kampf in der schmalen Gasse nicht gewinnen können. Außerdem hatte er die Worte des Kommandanten nicht vergessen - Ikne war trotz allem eine Festung, und so unmöglich, wie es gegen den Willen ihrer Herren war, hineinzugelangen, so unmöglich war es auch, herauszukommen. Es gab nur zwei Tore, und es hätte einer kleinen Armee bedurft, die Wachen zu überwältigen.

Eine Hand berührte ihn an der Schulter. Skar drehte sich im Gehen herum und sah in das bärtige Gesicht eines Soldaten. »Ihr solltet nicht versuchen, zu fliehen, Herr«, sagte er.

Skar runzelte die Stirn, sah den Mann einen Herzschlag lang durchdringend an und lächelte. »Liest du meine Gedanken?« Der Mann erwiderte das Lächeln, wenn es auch entschieden unsicher und verlegen wirkte. »Das war... nicht schwer, Herr«, sagte er. »Aber es wäre ein Fehler. Vielleicht könntet Ihr uns entkommen, aber Ihr wärt in Ikne nicht sicher. Eure Verhaftung geschah auch zu Eurem Schutz. Das Volk fordert Euren Kopf, und es ist ihm gleich, ob Ihr Satai seid oder nicht.«

Obwohl Skar sich dagegen zu wehren versuchte, glaubte er dem Mann. Irgend etwas in seiner Art zu reden, überzeugte ihn davon, daß er die Wahrheit sprach.

»Ihr erwartet von uns, daß wir uns widerstandslos zum Scheiterhäufen führen lassen?« mischte sich Del ein. »Würdest du das tun, Soldat?«

Der Gardist kam nicht mehr dazu zu antworten. Ein häßliches Zischen überlagerte das plätschernde Geräusch des Regens, und dann war da, wo ein Lidzucken zuvor noch der Kopf des Soldaten gewesen war, nur noch ein blutendes Etwas, aus dem der zitternde Griff einer Wurfaxt ragte.

Skar reagierte, ohne zu denken. Er ließ sich nach hinten fallen, umklammerte die Beine eines Gardisten und riß den Mann mit sich zu Boden. Neben ihm wich Del mit einem verzweifelten Satz einer zweiten Axt aus und schlug gleichzeitig zwei seiner Bewacher nieder.

Die schmale Gasse verwandelte sich in einen Hexenkessel. Wieder zischte eine Axt durch die Luft, tötete einen Soldaten und blieb zitternd in der Schulter eines zweiten stecken.

»Zurück!« schrie Skar. Er sprang auf, schlug eine heranwirbelnde Axt mit dem Unterarm beiseite und wich, einen vor Schreck starren Soldaten mit sich zerrend, zurück. Er stieß den Mann derb in einen schmalen Seitenweg, sprang geduckt in die Gasse zurück und zerrte einen zweiten Soldaten in Sicherheit. Wieder zischte eine Axt heran, flog, sich drehend und einem wirbelnden Silberrad gleich, auf ihn zu und bog im letzten Augenblick wie von einer geheimnisvollen Kraft gelenkt zur Seite, um einen Soldaten zu fällen. Skar sah sich gehetzt um. Sieben oder acht ihrer Bewacher lagen bereits tot oder verwundet am Boden, und der Rest versuchte sich in heller Panik vor einem Feind in Sicherheit zu bringen, den sie nicht sehen konnten, weil er aus dem Dunkel heraus zuschlug.

Sie hatten keine Chance. Die Äxte zischten, mit perfekter Präzision gezielt, weiter aus der Dunkelheit heran und fanden unbarmherzig ihre Opfer. In den Chor aus Angst- und Schreckensschreien mischte sich immer wieder das dumpfe Klatschen der tödlichen Beile, ein Geräusch, das jeder Krieger kannte und fürchtete. Skar zerrte zwei weitere Soldaten in die Sicherheit des Seitenweges, bückte sich, um einem der Toten das Schwert aus dem Gürtel zu ziehen, und rannte hakenschlagend in seine Deckung zurück. Del hatte, wie Skar mit einem blitzschnellen Blick festgestellt hatte, in einer Nische zwischen zwei Häusern Zuflucht gefunden.

Skar lehnte sich keuchend gegen die Wand und rang einen Moment nach Luft. Sein Herz hämmerte, und er fühlte sich erschöpfter, als es hätte sein dürfen.

»Wir müssen ... weg«, sagte er atemlos. »Hier sitzen wir in der Falle.« Hinter ihm erklang wieder das dumpfe Krachen einer aufprallenden Axt, gefolgt von einem schrillen Aufschrei. Dann war Ruhe.

Skar stieß sich von der Wand ab und half einem Soldaten, der auf die Knie gefallen war, beim Aufstehen. Das Gesicht des Mannes war bleich vor Schrecken. Er stand auf, hielt sich einen Moment an Skars Arm fest und griff dann mit zitternden Fingern nach seinem Schwert. »Warum ... helft Ihr uns, Herr?« fragte er verwirrt. Skar deutete mit einem humorlosen Grinsen über die Schulter. »Weil die Männer dort hinten ebensowenig meine Freunde sind wie eure«, antwortete er. »Und jetzt kommt. Wir müssen aus diesem Rattenloch heraus, ehe sie auftauchen.«

»Und Euer Kamerad?«

»Del kann selbst auf sich aufpassen«, sagte Skar kurz. Er riß den Mann am Arm herum, versetzte ihm einen Stoß in den Rücken und stürmte los.

Die Gasse schien kein Ende zu nehmen. Sie war so eng, daß er sich an dem rauhen Stein rechts und links die Schultern aufriß, und es schien mit jedem Schritt noch dunkler zu werden. Sein Blut rauschte ihm in den Ohren, und die kahlen Wände warfen das Trampeln seiner Schritte und das der vier Soldaten vielfach gebrochen zurück. Skar sah sich ein paarmal im Laufen um, jederzeit darauf gefaßt, eine dunkle Gestalt am Ende der Gasse auftauchen zu sehen oder das helle Zischen einer heranwirbelnden Axt zu hören. Aber sie wurden nicht mehr angegriffen. Der Weg endete auf einem rechteckigen, vielleicht dreißig Schritte messenden Innenhof, der an allen vier Seiten von grauen, fensterlosen Wänden eingeschlossen war. Skar blieb mitten im Schritt stehen, sah sich gehetzt um und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine verschlossene Tür in der gegenüberliegenden Wand. »Die Tür dort! Schlagt sie ein!« Zwei der Soldaten machten sich sofort daran, Skars Befehl Folge zu leisten. Aber das massive Türblatt hielt selbst ihren vereinten Kräften stand.

»Sinnlos«, sagte der Krieger neben Skar. »Wir kommen hier nicht mehr raus.« Seine Stimme zitterte, wenn auch vor Erschöpfung und nicht mehr vor Furcht.

»Dann werden wir kämpfen«, sagte Skar bestimmt. Er packte das Schwert fester, wandte sich mit einem entschlossenen Ruck um und deutete auf die Gasse. »Zwei Mann rechts und links, die beiden anderen zu mir! Und beeilt euch!«

Die Soldaten gehorchten widerspruchslos. Es schien für sie das Selbstverständlichste der Welt zu sein, daß der Mann, der noch vor Augenblicken ihr Gefangener gewesen war, jetzt das Kommando übernahm. Zwei der Soldaten postierten sich beiderseits der Gasse, die zwei anderen wichen zusammen mit Skar weiter in den Hof zurück, wobei sie sich bemühten, einen Winkel einzuhalten, in dem ihre Verfolger ihre Wurfbeile nicht zum Einsatz bringen konnten. »Vielleicht kommen sie auch gar nicht«, murmelte einer der Soldaten neben Skar. Er wirkte nervös. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, trotz der Kälte und des eisigen Windes, der auch hier, im Schutz des Innenhofes, noch schmerzhaft zu spüren war. »Vielleicht hat Euer Freund ...« Er brach ab, als ihn Skars Blick traf. Der Mann hatte den Gedanken laut ausgesprochen, gegen den sich Skar bisher mit aller Macht gewehrt hatte. Denn wenn ihre Verfolger - wer immer sie waren - hier auftauchten, konnte das kaum etwas anderes bedeuten, als daß sie Del überwunden und höchstwahrscheinlich getötet hatten. »Verzeiht«, murmelte er.

Skar machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schon gut. Aber still jetzt! Vielleicht wissen sie nicht, daß wir auf sie warten.« Er spürte selbst, wie wenig überzeugend seine Worte klangen. Wer immer diesen Hinterhalt gelegt hatte, würde sich die Gegend vorher gründlich angesehen haben. Vielleicht, dachte er dumpf, hat man sogar gewollt, daß wir hierher flohen.

Trotzdem schien der Soldat erleichtert, und Skar spürte erneut, wie sehr sich ihr Verhältnis in wenigen Augenblicken gewandelt hatte. Sie waren nicht mehr Bewacher und er ihr Gefangener, sondern nur mehr Soldaten, die wie Rudeltiere sich ihm unterordneten. Und er wußte, daß sie gut waren. Vorhin, in der Gasse, waren sie überrascht und hilflos gewesen; nicht einmal eine Abteilung Satai hätte sich gegen die unsichtbaren Angreifer verteidigen können. Wenn sich ihr Gegner aber hier hereinwagte und sich zum offenen Kampf stellte, würde die Sache anders ausgehen.

Doch irgend etwas sagte Skar, daß es nicht soweit kommen würde. Ihr Feind hatte gezeigt, daß er es nicht nötig hatte, offen zu kämpfen.

»Jemand kommt«, sagte einer der Soldaten. Skar sah sich nach einer Deckung um und dirigierte die Gardisten mit einer wortlosen Geste in eine flache Nische an der Wand hinter sich. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Eine so enge Gasse wie die, durch die sie hierhergekommen waren, wäre normalerweise selbst gegen eine dutzendfache Übermacht zu verteidigen gewesen. Aber sie hatten keinerlei Schußwaffen, weder Bögen noch Armbrüste, während ihre Gegner jeden, der leichtsinnig genug war, sich zu zeigen, mit ihren Beilen erledigen konnten.

Skar ging lautlos über den Hof, bedeutete einem der Soldaten wortlos, den Platz mit ihm zu tauschen, und preßte sich dicht neben der Hausecke an die Wand, das Schwert halb zum Schlag erhoben. Er hörte Schritte. Die Schritte zahlreicher schwerer, metallbeschlagener Stiefel, aber auch die Schritte kleinerer, leichter Füße, wie die von Kindern - oder Frauen. Es mußte ein gutes Dutzend sein. Vielleicht mehr.

Er tauschte einen raschen Blick mit dem Mann auf der gegenüberliegenden Seite, überzeugte sich rasch davon, daß sein Schatten nicht etwa so auf den Boden fiel, daß er ihn verriet und packte sein Schwert fester.

Die Schritte stockten. Metall klirrte leise, dann hörte man ein schabendes Kratzen, als dränge sich ein schwerer Körper an der Wand entlang. Der erste Angreifer konnte jetzt höchstens noch zwei, drei Schritte von ihnen entfernt sein.

»Gut«, sagte Skar laut. »Ihr wißt, daß wir hier sind, und wir wissen, daß ihr dort draußen seid. Was schlagt ihr vor?«

Seine Worte schienen nicht nur die vier Soldaten zu überraschen. Sekundenlang herrschte draußen im Gang verwirrtes Schweigen, dann antwortete eine Stimme: »Satai?«

Skar unterdrückte ein Lächeln. »Spielt das eine Rolle?« gab er zurück.

»Es spielt eine Rolle. Wenn du nicht der Satai bist, dann ruf ihn. Wir haben mit ihm zu reden.«

»Und warum?«

»Weil wir nicht an den anderen interessiert sind. Wir wollen nur den Satai.«

»Dann holt mich.«

Wieder kehrte für einige Augenblicke Stille ein. Skar konnte leise, flüsternde Stimmen hören, ohne jedoch die Worte zu verstehen. Offensichtlich berieten sich die Männer.

Skar warf dem ihm gegenüberstehenden Soldaten einen aufmunternden Blick zu. Sie waren noch lange nicht außer Gefahr, aber ihre Lage schien nicht mehr so ausweglos wie noch vor wenigen Augenblicken zu sein. Ein zu allem entschlossener Gegner hätte den Hof gestürmt, ohne sich auf Reden einzulassen.

»Sei vernünftig, Satai«, war die Stimme nach einer Weile wieder zu vernehmen. »Ihr sitzt in der Falle. Wir können euch auch mit Gewalt herausholen.«

»Das mag sein«, antwortete Skar, wobei er sich Mühe gab, soviel Überheblichkeit wie nur möglich in seine Stimme zu legen. »Aber im Moment sieht es eher nach einem Unentschieden aus. Wir haben Zeit, wißt ihr. Es wird nicht lange dauern, bis unser Verschwinden auffällt. Man wird uns suchen.«

»Bis dahin seid ihr längst tot. Wir geben euch zwei Minuten Zeit, euch zu ergeben. Danach stürmen wir den Hof.«

»Nur zu«, sagte Skar herausfordernd. »Ich freue mich schon auf den ersten, der herauskommt. Und mein Schwert auch.«

Wieder verging Zeit, in der sich die Angreifer zu beraten schienen. In wenig mehr als einer Viertelstunde würde die Nacht vollends hereingebrochen sein. Aber so lange, das spürte Skar, würden sich die Männer dort draußen nicht mehr hinhalten lassen.

»Wir schicken einen Mann zu euch hinein«, drang die schon bekannte Stimme aus der Gasse hervor. »Wir wollen kein unnötiges Blutvergießen, Satai. Wenn du ohne Widerstand mitkommst, lassen wir die Soldaten ziehen.«

Skar sah, wie ein hoffnungsvoller Ausdruck über das Gesicht des Soldaten neben ihm huschte. Aber der Mann wurde sofort wieder ernst, als er seinem Blick begegnete. Das brutale Vorgehen der Angreifer hatte gezeigt, daß sie keinen Wert darauf legten, Zeugen zu hinterlassen.

»Das ist eine Falle, Herr«, zischte eine Stimme an Skars Ohr. »Sie können es sich nicht leisten, auch nur einen von uns am Leben zu lassen.«

Skar nickte. »Ich weiß«, gab er ebenso leise zurück. »Aber wir müssen es wenigstens versuchen. Tretet zurück.« Er räusperte sich, senkte seine Waffe um eine Winzigkeit und trat einen Schritt auf den Hof hinaus. »In Ordnung«, sagte er laut. »Schickt euren Mann herein. Aber nur einen. Und ohne Waffen. Wenn ihr irgendwelche Tricks versucht, stirbt er als erster.«

Eine dunkle Gestalt löste sich aus den Schatten und trat auf den Hof hinaus.

Skar sog überrascht die Luft zwischen den Zähnen ein, als er den Unterhändler sah.

Der Mann war ein Zwerg. Seine Größe mochte kaum mehr als einen Meter betragen, und Skar konnte trotz des lose fallenden Umhangs, der bis auf die Knöchel hinabfiel und seine Gestalt verbarg, erkennen, daß er spindeldürr sein mußte. Das Gesicht lag unter einer dreieckigen Kapuze, die so tief in die Stirn gezogen war, daß nur das Kinn und ein Teil des Mundes unter dem messerscharf gezogenen Schatten sichtbar blieben. Er ging mit raschen, trippelnden Schritten bis in die Mitte des Hofes, drehte sich einmal um seine Achse und wandte sich dann an Skar. Seine Bewegungen wirkten übertrieben schnell und kraftvoll, wie man es oft bei Menschen sah, die körperliche Kleinheit durch entschlossenes Auftreten zu kompensieren suchten und dabei weit genug über das Maß des Nötigen hinausschössen und dadurch das Gegenteil erreichten.

»Ihr seid dieser Satai?« fragte er.

Skar schluckte die bissige Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hinunter und beließ es bei einem stummen Kopfnicken.

»Ich habe Euch mir größer vorgestellt«, fuhr der Zwerg fort. »Ihr seht gar nicht aus wie ein mächtiger Krieger.«

»Was willst du?« erwiderte Skar unwillig. »Bist du zum Verhandeln gekommen, oder möchtest du mich nur beleidigen?«

Der Zwerg lachte leise. Seine Stimme klang im Verhältnis zu seiner Größe ungewöhnlich voll und tief. »Es gibt nichts zu verhandeln«, sagte er bestimmt. »Es bleibt nur die Frage, ob du uns freiwillig folgst oder nicht.«

»Und wohin soll ich dir folgen?«

»Es gibt jemanden, der dich zu sprechen wünscht«, antwortete der Zwerg. »Du kennst ihn.«

Skar nickte. »Vela.«

»Du kannst dich wehren«, fuhr der Zwerg fort, »und wir bringen dich mit Gewalt weg. Aber du kannst auch freiwillig mitkommen. Das Ergebnis bleibt sich in jedem Fall gleich.«

»Für dich nicht«, sagte Skar ruhig.

»Du würdest Hand an einen Zwerg legen?« ächzte der kleinwüchsige Mann.

Skar vermochte nicht zu sagen, ob seine Worte spöttisch oder ernst gemeint waren.

»Ich vergreife mich mit Vorliebe an Zwergen«, antwortete er im gleichen Tonfall. »Deinen Begleitern scheint es ja auch nichts auszumachen, wehrlose Männer abzuschlachten. Warum also sollte ich Rücksicht auf dich nehmen? Nur weil du kleiner bist als ich?« Der Zwerg machte eine wegwerfende Handbewegung. »Soldaten«, sagte er abfällig. »Wozu sind sie gut, wenn nicht zum Sterben? Du kommst mit?«

Skar überlegte fieberhaft. Das Leben der vier Männer lag allein in seiner Hand, aber er hatte praktisch keine Chance mehr, sie zu retten. Der Zwerg hatte seine Lage genau richtig beschrieben. Er konnte sich wehren und ein paar von ihnen umbringen, aber das Ergebnis blieb sich gleich.

»Gib mir dein Wort, daß du die Männer am Leben läßt, und ich komme mit«, sagte er.

Wieder lachte der Zwerg, und diesmal war sich Skar sicher, daß er sich den boshaften Unterton in seiner Stimme nicht nur einbildete. »Du kannst mein Wort so oft haben, wie du willst«, sagte er. »Allerdings hast du keine Garantie, daß ich es auch halte.«

Skar nickte betrübt. »Das stimmt«, meinte er. Dann ließ er sein Schwert fallen, war mit einem Satz bei dem Zwerg und riß ihn wie ein Spielzeug vom Boden hoch. Sein Arm schlang sich um den dürren Hals des Gnoms, verdrehte ihn, daß er die Knochen knacken hörte, und lockerte den Griff um eine Winzigkeit, gerade weit genug, ihn atmen zu lassen und den Schmerz dicht an der Grenze des Erträglichen zu halten.

»Du bist zu vertrauensselig, Winzling«, sagte er freundlich. »Ich werde dich begleiten. Aber erst, wenn diese vier Männer in Sicherheit sind.«

Der Zwerg strampelte hilflos mit den Beinen und versuchte, Skar mit seinen dürren Krallenfingern die Augen auszukratzen. Skar verstärkte den Druck auf sein Genick. Der Zwerg keuchte, und der dürre Körper erschlaffte.

»Das wirst du noch bereuen«, würgte er.

Skar zuckte gleichmütig die Achseln. »Mag sein. Aber darüber unterhalten wir uns, wenn diese Männer weg sind, einverstanden? Du wirst deinen Leuten sagen, daß sie die Gasse räumen. Und keine Tricks! So schnell, daß ich dir nicht noch den Hals umdrehen könnte, können sie mich gar nicht umbringen.«

Der Zwerg schwieg eine Weile. »Gut«, sagte er dann. »Im Moment bist du in der besseren Position, Satai.« Er hob, langsam und äußerst vorsichtig, um Skar nicht zu reizen, die Linke und gab den Männern in der Gasse einen Wink.

»Laßt sie laufen!« befahl er mit erhobener Stimme. »Der Satai wird uns folgen. Die Soldaten sind unwichtig. Zieht euch zurück.« Skar konnte nicht erkennen, was geschah, aber aus der Dunkelheit vor ihnen drangen scharrende Geräusche und Schritte, die sich - langsamer, als sie gekommen waren - entfernten.

»Zufrieden ?«

Skar schüttelte den Kopf. »Wir werden zuerst gehen«, sagte er. »Die Soldaten folgen uns. Wenn deine Leute irgendwo auf uns lauern, stirbst du.«

»Jaja«, knurrte der Zwerg. »Ist ja schon gut. Ich hab's begriffen.« Skar wartete, bis sich die Männer vollends aus der Gasse zurückgezogen hatten, ehe er langsam, den Körper des Zwerges wie einen lebenden Schutzschild vor sich haltend, losging. Die vier Soldaten folgten ihm unmittelbar. Keiner der Männer sprach, aber ihre abgehackten Bewegungen und die nervösen Blicke, mit denen sie sich umsahen, sprachen ihre eigene Sprache.

»Du wirst es noch bereuen, Satai«, grollte der Zwerg. »Niemand behandelt Tantor ungestraft so wie du.«

»Tantor? Ist das dein Name?«

Der Zwerg versuchte zu nicken. »Das ist er.«

Skar grinste. »Macht sich bestimmt gut auf einer Grabplatte«, sagte er. »Du solltest zu allen Göttern beten, die du kennst, daß sich deine Kameraden an unsere Abmachung halten.«

Tantor murmelte etwas, das Skar nicht verstand, zerrte einen Moment vergeblich an seinem Arm und strampelte wieder mit den Beinen.

Die Bewegung war zu schnell, als daß Skar noch etwas dagegen hätte tun können. Tantors Hand fuhr unter den Halsausschnitt seines Mantels und kam mit einem feuchtglitzernden weißen Pulver wieder zum Vorschein.

Skar schloß schmerzgepeinigt die Augen, als das weiße Pulver seine Haut berührte. Ein Licht blitzte auf, schien zu flackern, erlosch und wurde von einem kalten, bläulichen Leuchten abgelöst. Hinter ihm schrien die vier Soldaten gequält auf, aber ihre Stimmen wurden von einem dumpfen, brausenden Geräusch verschluckt, das wie eine unsichtbare Sturmböe über die schmale Gasse hereinbrach. Skar taumelte zurück, ließ den Zwerg fallen und brüllte vor Schmerz, als sein nackter Rücken die Wand berührte. Im ersten Moment hatte er das Gefühl, sich verbrüht zu haben. Die Wand schien zu glühen. Aber dann sah er das kalte, blaue Licht, die Schicht glitzernder Eiskristalle, die sich über Boden und Wände ausbreiteten, die Körper der vier Soldaten mit einem schimmernden Panzer überzogen, sie in groteske, mitten in der Bewegung erstarrende Skulpturen verwandelten, und er begriff, daß es Kälte war, die wie mit tausend winzigen glühenden Messern in seinen Rücken biß, Kälte, die gegen jede Logik und mit grausamer Gewalt plötzlich da war und Licht und Wärme und jedes andere Gefühl auslöschte. Er wollte schreien, aber es ging nicht. Seine Kehle war erstarrt. Sein Körper gefror. Er sah, wie sich das Gesicht des Soldaten neben ihm in eine glitzernde Grimasse verwandelte, als hätte er ein bizarres Visier über seine Züge geschoben, wie seine Augen gelierten, wie die Haut unter dem Druck des gefrierenden Blutes platzte, wie der Körper, erstarrt zu einem schimmernden Eisblock, nach vorne und zur Seite sank, einen Moment in einer unmöglichen Schräglage verharrte und dann mit einem hellen, splitternden Laut auf dem erstarrten Boden aufschlug, zerbrach. Zerbrach wie eine riesige gläserne Skulptur und - Skar dachte den Gedanken nicht mehr zu Ende. Sein Körper erstarrte zu Eis und Stein und Schmerz.

Schon der Abstieg war eine Qual gewesen. Skar hatte erwartet, daß es unter der Erde kühler sein würde, aber das stimmte nicht. Der Schacht, der senkrecht und wie ein gigantisches, von einer Götterfaust geschlagenes Loch tief, tief in die Erde hineingeführt hatte, hatte sie mit einer Welle stickiger, kochender Luft empfangen. Es war eine Hitze, die sich wie ein erstickender, schmieriger Film über ihre Gesichter, über ihre Münder und Nasen und Lungen gelegt, jeden Atemzug in breiige Hitze und jeden Schritt in ein mühsames Vorwärtskämpfen verwandelt hatte.

Er wußte nicht mehr, wie lange es her war. Stunden, sicher. Sie waren gelaufen, gerannt trotz der übermenschlichen Anstrengung, die jeder einzelne Schritt bedeutet hatte, durch Gänge, Stollen, über Rampen und Treppen, durch hohe, von brütender Hitze erfüllte Hallen. Sie waren über zerborstene Steine geklettert, hatten sich durch Tunnel gezwängt, deren Decken und Wände von ungeheuren Gewalten eingedrückt worden waren, hatten sich die Haut an glühendem, knisterndem Stein verbrannt und waren vor brennenden Sturmböen geflohen, blind, ohne zu wissen, wohin sie liefen oder woher sie kamen. Es war ein Reich der Vernichtung, durch das sie sich bewegten, Katakomben, in denen ein chthonischer Gott des Chaos herrschte, zertrümmerte Gänge und geborstene Treppenschächte, Säulenhallen, höher als die höchsten Türme Iknes, von Urgewalten zermalmt, Flure, von den Krämpfen der Erde, die sich unter den Hammerschlägen der Götter in Agonie gewunden hatte, verdreht, Hallen, an deren Wänden schrecklich, verbrannte Dinge hingen, ein steinerner Himmel, von dem selbst jetzt noch Tod und Hitze regneten, Brücken, die sich in aberwitzigen Bögen über bodenlosen Abgründen oder brennenden Feuerseen spannten, eine Welt tief unter der Erde, in die noch nie ein Sonnenstrahl gedrungen war und die doch von flackerndem, tödlichem Licht erfüllt war. Skar hatte schon nach wenigen Augenblicken die Orientierung verloren, aber er war einfach weiter gerannt, den Blick starr auf den Rücken Gowennas und ihrer drei Begleiter gerichtet, die ihren Weg mit traumwandlerischer Sicherheit zu finden schienen. Es war heißer geworden, je weiter sie sich der Stadt näherten, und für eine Weile liefen sie unter einer Decke entlang, deren Stein wie ein flammender Himmel dunkelrot glühte. Irgendwann hatte die Hitze nachgelassen, aber Skar hatte es kaum mehr bemerkt. Und irgendwann war die Zahl der Stufen, die sie emporstiegen, größer geworden als die Anzahl derjenigen, die sie hinuntergingen. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte, und das Zischen und Prasseln der Flammen wurde allmählich von einem mächtigen dumpfen Grollen überlagert. Es wurde heller und heller, als liefen sie geradewegs in die Sonne hinein.

Und irgendwann, Jahrhunderte, nachdem sie in diesen unterirdischen Kosmos aus Hitze und Schmerzen eingedrungen waren, blieb Gowenna stehen und deutete nach oben.

»Wir sind da.«

Ihre Stimme war über dem Brüllen des Höllenfeuers über ihren Köpfen kaum zu vernehmen, und Skar erriet die Worte mehr an ihren Lippenbewegungen, als er sie verstand. Er blieb schweratmend stehen, beugte sich vor und stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln auf. Sein Herz hämmerte, und vor seinen Augen tobten noch immer Flammen. Er hatte Durst, mörderischen, quälenden Durst, aber der Wasserschlauch an seiner Seite war längst leer, ausgetrunken auf den ersten, qualvollen Metern ihres Weges, der Rest verdunstet.

»Diese Treppe dort vorne führt direkt hinauf«, fuhr Gowenna mit erhobener Stimme fort.

Skar richtete sich mühsam auf, schwankte und widerstand im letzten Moment der Versuchung, sich erschöpft gegen die Wand sinken zu lassen. Der Stein glühte. Skar hob den Kopf, blickte in die Richtung, in die Gowenna deutete und schloß gepeinigt die Augen. Die Treppe führte steil in die Höhe, es waren hundert oder mehr Stufen aus weißem, millionenfach gesprungenem Marmor, und an ihrem Ende glühte ein unbarmherziges, strahlend weißes Licht, greller als die Sonne.

»Wenn wir oben sind, wird jeder auf sich selbst angewiesen sein«, sagte Gowenna. »Es ist möglich, daß wir getrennt werden, deshalb prägt euch genau ein, was ich euch jetzt sage.«

Skar schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der behandschuhten Rechten über das Gesicht und zuckte zusammen, als die Brandblasen auf seiner Haut unter der Berührung aufplatzten. Die Narbe auf seiner linken Wange begann zu pulsieren.

»Der Stein befindet sich im Altarraum des Tempels«, sagte Gowenna. »Wenn wir es bis dahin schaffen, sind wir in Sicherheit, wenigstens, was das Feuer angeht. Aber wir werden durch die Stadt müssen. Ganz egal, was ihr seht - lauft einfach weiter, bis ihr den Tempel erreicht habt. Und schaut nicht nach oben. Das Licht würde euch blenden.«

Nol sank mit einem wimmernden Geräusch in die Knie, blieb einen Moment reglos hocken und stemmte sich wieder hoch. Er schwankte.

Seine Kleider und sein Haupthaar waren angesengt, und sein Gesicht war so von Brandblasen entstellt, daß es kaum mehr menschlich zu nennen war.

»Ich ... kann nicht mehr«, keuchte er. »Laßt mich ... zurück. Ich wäre nur eine Last für euch.«

Gowenna schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn du zurückbleibst, stirbst du, Nol«, sagte sie überraschend sanft. »Wir haben das Schlimmste hinter uns. Diese Treppe hinauf und bis zum Tempel. Dort kannst du ausruhen.«

Nol nickte, aber Skar bezweifelte, daß er die Worte überhaupt verstanden hatte.

»Was ist, wenn wir uns ... verlieren?« fragte Skar. Es bereitete ihm Mühe, die Worte zu formulieren. Seine Kehle bestrafte jeden Laut mit stechenden, krampfartigen Schmerzen.

»Ihr könnt den Tempel von jedem Punkt der Stadt aus sehen«, antwortete Gowenna. »Das große Gebäude im Zentrum. Sein Dach sieht wie ein Edelstein aus.« Sie atmete hörbar ein, sah sich mit einem nervösen Blick um und deutete auf die Treppe. »Kommt jetzt. Wir sind schon viel zu lange hier unten geblieben.«

Skar war zu erschöpft, um sich Gedanken über den Sinn dieser Bemerkung zu machen. Für einen kurzen Moment blitzte der Zipfel einer Erinnerung in ihm auf, aber er verschwand wieder, bevor er ihn fassen konnte. Hinter Gowenna und den Sumpfmännern taumelte er die Treppe hinauf.

Der Stein war heiß, und er wurde mit jeder Stufe, die sie höher kamen, noch heißer. Skars Stiefelsohlen schienen zu glühen, und er spürte, wie der Marmor unter dem Gewicht seiner Schritte zu zerbröckeln begann; Staub, ausgeglüht von Jahrtausenden unbarmherziger Hitze, in der er gebadet worden war. Skar strauchelte, spürte, wie sich unter seinem Gewicht ein ganzes Stück der Stufe löste, und brachte sich mit einem verzweifelten Satz in Sicherheit. Hinter ihm erscholl ein gellender, spitzer Schrei. Er fuhr herum, griff haltsuchend nach dem Arm El-tras und fiel gegen die Wand, als sich der Sumpfmann mit einem wütenden Ruck freimachte. Der Schrei wiederholte sich.

Skar sah, wie ein keilförmiges Stück der Treppe ins Rutschen kam, sich mit einem dumpfen, knirschenden Geräusch löste, unter Berals Füßen zu Staub und scharfkantigen Brocken zerfiel und wie eine Lawine den Treppenschacht hinunterpolterte, den Malabesen erbarmungslos mit sich reißend. Berals Schrei verstummte abrupt. »Weiter!« befahl Gowenna.

Skar drehte sich wie in Trance herum, stieß sich von der Wand ab und lief weiter. Er spürte nichts - weder Trauer noch Schrecken oder Wut oder sonst irgendein Gefühl, das über Erschöpfung und allenfalls noch Resignation hinausging. Das erste Mitglied ihrer Gruppe war tot, gestorben, ehe sie ihr Ziel erreicht hatten, aber es berührte ihn nicht. Es war, als hätte Combats feuriger Atem nicht nur seine Haut, sondern auch seine Seele verbrannt, ihn zu einem ausgeglühten Etwas gemacht, zu einer leeren Hülle, die zu nichts anderem mehr fähig war, als einfach stur weiterzulaufen, bis in den Tod. Vielleicht, dachte er, ist dies der einzige Grund, warum ich hier bin, weil ich Satai bin, ein Mann, der auch dann noch weiterkämpft, wenn alle anderen aufgaben, der sich nicht geschlagen geben kann, auch wenn ich es wollte.

Die Treppe endete in einem niedrigen, runden Raum, der von nichts als Licht erfüllt war. Eine kompakte Mauer aus Hitze schlug ihnen entgegen, aber Gowenna und ihre drei Begleiter stürmten ohne innezuhalten weiter, rannten auf den Ausgang zu. Skar überwand die drei letzten Stufen mit einem Satz, strauchelte, fand im letzten Moment sein Gleichgewicht wieder und rannte weiter. Die Hitze traf ihn wie ein Hammerschlag, als er das Gebäude verließ. Er schrie auf, stürzte zu Boden und schrie wieder, als seine Haut in Fetzen an den glühenden Marmorplatten hängenblieb. Unten, auf der Treppe, hatte er geglaubt, das Maß des Erträglichen voll ausgeschöpft zu haben, aber er spürte erst jetzt, wie falsch dieser Gedanke gewesen war.

Er war eingehüllt von Flammen, sengender, tödlicher Hitze, Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. Er schrie, brüllte vor Qual und schlug die Hände vor die Augen, verbarg das Gesicht zwischen den Armen, aber es nutzte nichts. Das Licht fraß sich durch seine Hände, ließ seine Augäpfel aufflammen und verwandelte seine Sehnerven in gleißende Bahnen aus Schmerz und Feuer. Seine Kleider begannen zu schwelen, einer seiner Stiefel flammte auf, brannte eine halbe Sekunde mit heller, flackernder Flamme und erlosch wieder. Sein Blut kochte. Blind, wahnsinnig vor Schmerzen kam er auf die Füße, drehte sich ziellos im Kreis und taumelte los, ganz egal wohin, nur fort, fort aus dieser Hölle, weg von diesem erbarmungslosen, qualvollen Licht. Er spürte, wie das Schwert an seiner Seite zu glühen begann, sein Bein verbrannte und die lederne Schwertscheide zu brüchiger Asche werden ließ.

Er rannte weiter, taumelte über einen Boden aus Magma, hinein in den Leib eines glühenden Feuerdämons, stürzte wieder und sprang noch einmal auf, stützte sich mit Händen, die blutige Abdrücke auf dem Boden hinterließen, ab. Er wollte schreien, aber die Hitze verwandelte die Laute in Flammen, die seine Kehle versengten. Er hätte längst tot sein müssen, aber er lief weiter, floh vor einem Himmel, aus dem unerträgliche weiße Glut auf ihn herabsengte, taumelte, stieß gegen ein Hindernis und wankte weiter. Trotz seiner geschlossenen Augen konnte er sehen, dunkle, brennende Umrisse in einem Meer gleißender Helligkeit. Er nahm die Hände herunter, wandte sich in Richtung der Schatten und stolperte weiter, nur weiter, immer weiter. Irgendwann ließ die Hitze nach, verbrannte nur mehr seinen Rücken. Er wankte weiter, mobilisierte Kraftreserven, von denen er selbst nicht gewußt hatte, daß er sie besaß, und ließ sich mit einem krächzenden Schrei in den rettenden Schatten fallen.

Minutenlang lag er reglos da, die Hände über den Augen zu Fäusten verkrampft, die heiße Luft durch verbrannte, aufgesprungene, blutende Lippen gierig einsaugend, nicht mehr länger Mensch, sondern nur noch ein Bündel zuckenden Schmerzes, ein verbranntes Etwas, in dem wie durch ein Wunder noch Leben war. Es dauerte lange, bis er wieder fähig war, zu denken, etwas anderes zu fühlen als Qual und Schmerzen. Der Wind, der über sein Gesicht strich, war noch immer heiß, brütend heiß, aber er kam ihm trotzdem wie ein köstlicher kühler Hauch vor. Langsam nahm er die Hände herunter, öffnete zögernd, beinahe ängstlich, die Augen und sah sich um. Obwohl er im Schatten lag, schien die Welt um ihn herum nur aus blendendem Weiß zu bestehen.

Er rang mühsam nach Atem, stemmte sich in eine halb sitzende, halb liegende Position hoch und sah an sich hinab. Seine Kleider waren versengt und schwarz, die Haut dort, wo sie nicht von Stoff oder Leder geschützt gewesen war, verbrannt, an manchen Stellen blutig und aufgeplatzt, so daß das rohe Fleisch zutage trat. Er versuchte vorsichtig, sich zu bewegen. Es schmerzte, wenn auch längst nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte.

Er stand auf, blinzelte aus tränenden Augen in die gleißende Helligkeit hinter sich und hielt nach den anderen Ausschau. Das Gebäude, aus dem sie herausgekommen waren, lag am gegenüberliegenden Rand eines weiten, halbmondförmigen Platzes, war verborgen hinter einem brodelnden Wasserfall aus Licht, der geradewegs aus dem Boden zu wachsen schien und irgendwo über ihm mit der grellweißen Glut des Himmels verschmolz. Die weißen Marmorplatten des Platzes waren vielerorts gesprungen, und da und dort entdeckte Skar einen Fleck rotglühender Hitze, als wandere die Feuerwolke.

Überhaupt brannte längst nicht die ganze Stadt. Die Flammen, die an unzähligen Stellen emporschlugen - hier nur kleine, mühsam flackernde Brände, dort gewaltige, brüllende Feuersäulen -, vereinigten sich über den Dächern Combats zu einem ungeheuren wabernden Pilz aus Glut und mochten von außen den Eindruck erzeugen, als wäre die ganze Stadt ein einziger kochender Krater. Wäre es aber wirklich so gewesen, hätte keiner von ihnen auch nur die erste Minute überlebt. Das Gebäude, in dessen Schatten Skar lag, schien fast unversehrt, zumindest die unteren drei Etagen. Der Marmor war glatt und weiß, als wäre der Bau erst vor wenigen Tagen errichtet worden, und an den Brüstungen der Fenster konnte Skar sogar noch Reste der Stuckarbeiten erkennen, mit denen es verziert gewesen war. Weiter oben aber wirkte der Stein zerfressen, pockennarbig, als beginne er unter einer gewaltigen inneren Spannung zu zerbröckeln. Dunkle, gerissene Adern durchzogen den weißen Stein, wuchsen zu einem Spinnennetz haarfeiner Verästelungen und Risse zusammen, bildeten große, schwärzliche Nester, aus deren Zentren Rauch und dünne, gelbe Flammenlinien wuchsen. Es war der Stein selbst, der brannte, ein Feuer, das von einem unbegreiflichen Zauber entfacht worden war und ihn langsam, in einem Prozeß, der Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende andauern mochte, verzehrte. Skar glaubte für einen winzigen Moment zu ahnen, welche Gewalten hier aufeinandertrafen, welche ungeheure Macht die Herren Combats gegen den Zorn der Götter aufgeboten hatten.

Und er war hier, um den Schlüssel zu dieser Macht zu holen ... Er riß sich gewaltsam von dem Anblick los, beschattete die Augen mit der Hand und sah sich weiter um. Es war, wie Gowenna gesagt hatte - der Tempel war auch von hier aus deutlich sichtbar, eine gewaltige Kuppel, die die Dächer der Häuser weit überragte und irgendwo hoch über ihm in den brennenden Himmel eintauchte. Das Licht brach sich in den unzähligen Facetten des Kristallgebildes, bildete tanzende Feuerlinien und grelle, unablässig wechselnde Formen und Umrisse, Kaskaden und lautlose Wirbelstürme aus Helligkeit, in denen die Stadt zu ertrinken schien.

Skar zuckte zusammen, als ein kochender Luftstrom seine Beine streifte. Er fuhr herum und erkannte mit plötzlichem Schrecken, daß die Feuerwand, der er mit Mühe entkommen war, nun auf ihn zuwanderte, als wolle sie sich das entgangene Opfer noch im nachhinein holen. Er wich zwei, drei Schritte zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Wand und wandte sich eilig zur Flucht. Er war keineswegs in Sicherheit. Die Stärke, die er zu spüren glaubte, trog. Sein Körper hatte einen Grad der Erschöpfung erreicht, mit dem er eine zweite Tortur wie die gerade überstandene nicht mehr verkraften konnte.

Die Straße vor ihm war von Flammen übersät; kleine, wie geschäftige Insekten hin und her eilende Feuernester, dünne Linien greller Weißglut, wie das Netz einer Feuerspinne quer über den zerborstenen Marmor gespannt, aber auch gewaltige, brüllende Säulen unerträglicher Lohe, die wie feurige Geysire aus dem Boden brachen. Er lief im Zickzack, sprang, den Kopf schützend zwischen den Armen verborgen, durch dünne Feuervorhänge und duckte sich unter den Glutstrahlen, die aus den geschwärzten Fensteröffnungen eines brennenden Hauses auf die Straße fauchten. Der Boden unter seinen Füßen zitterte, und mehr als einmal konnte Skar im letzten Moment zurückspringen, wenn ihm dort, wo ein scheinbar sicherer Weg war, siedendheiße Luft entgegenschlug.

Er sah sich immer wieder im Laufen um. Die Feuerwand hatte den Platz überquert und den Anfang der Straße erreicht, in die er sich geflüchtet hatte, war jedoch dort zur Ruhe gekommen. Aber so, als hätte der glühende Geist dieser Stadt alles in seiner Macht Stehende aufgeboten, um ihn zu verfolgen, tanzten nun kleine, flammende Wirbel über die Straße, flinke Wesen aus Hitze und Licht, wie winzge Windhosen in beständiger Bewegung, hierhin und dorthin eilend und nur manchmal und fast widerwillig den Boden berührend. Obwohl ihm der Gedanke selbst absurd erschien, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Flammenwesen wirklich lebten, keine Launen des Sturmes und der Hitze waren, sondern denkende, bewußt handelnde Wesen, feurige Wächter, die aufgestanden waren, ihr Reich zu beschützen.

Er lief schneller, überquerte einen weiteren, von Feuer und Glut übersäten Platz und bog in eine breite, von Marmorsäulen gesäumte Allee ein. An ihrem Ende, unerträglich schön und unerträglich schrecklich zugleich, lag der Tempel.

Eine brüllende Feuerwolke explodierte aus einem der Häuser heraus und hüllte ihn ein, fauchte weiter, zu schnell, um ihn wirklich zu verbrennen, aber wütend genug, um ihn von den Füßen zu reißen und mit grausamer Wucht zu Boden zu schleudern. Er fiel, rollte meterweit mit hilflos rudernden Armen über den Stein und schnappte verzweifelt nach Luft. Zwischen den Säulen zu seiner Linken tauchte ein Feuerwirbel auf, klein, flackernd und leichtfüßig, hüpfte auf die Straße hinaus und sprang mit einem erschrockenen Satz wieder zurück, kehrte um. Ein zweiter gesellte sich dazu, dann ein dritter, vierter. Skar stemmte sich hoch, griff mit einer ebenso sinnlosen wie verzweifelten Bewegung nach seinem Schwert und rannte weiter auf den Tempel zu. Die Luft vor ihm begann zu flimmern. Der Tempel schien plötzlich hinter einer senkrechten Wasserwand zu liegen, verzerrte, verbog sich auf gräßliche Weise, schleuderte Licht und Hitze auf ihn herab. Ein hoher, singender Ton mischte sich in das Brüllen der Flammen, ein Geräusch, als wisperten Tausende heller böser Kinderstimmen durcheinander. Er rannte schneller, versuchte den Eingang des Tempels zu entdecken und schloß gepeinigt die Augen. Es war unmöglich, den Tempel direkt anzusehen; die gewaltige Kristallkuppel reflektierte das Licht, verstärkte es zu dünnen, brennenden Pfeilen, die sich wie mit glühenden Spitzen in seine Augen gruben. Darunter war nur ein schmaler schwarzer Streifen aus behauenem Granit, nicht mehr als ein fadendünner Schatten unter der lohenden Kuppel. Er taumelte blind weiter, übersprang eine der Steinsäulen, die wie ein bizarrer, geborstener Marmorbaum quer über der Straße lag, tauchte unter Flammenbögen und zwischen Feuergeysiren hindurch und wankte die breite Treppe zum Eingang des Tempels hinauf. Erst jetzt, als er dem Gebäude ganz nahe war, erkannte er, wie gewaltig die Kuppel wirklich war. Ihr Durchmesser mochte mehr als eine halbe Meile betragen, und ihre schimmernden Flanken schwangen sich weit in den Himmel. Er quälte sich die Stufen hinauf, Stufen, die zu hoch und zu breit für menschliche Füße zu sein schienen, wankte auf den mächtigen schwarzen Bogen des Eingangs zu, strauchelte, raffte noch einmal alle Kräfte zusammen und taumelte weiter, blind, halb am Rande der Besinnungslosigkeit und ohne überhaupt noch zu wissen, weshalb er lief, nur noch beseelt von dem Gedanken, weiterzugehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Eine Gestalt tauchte in den brodelnden Schatten vor seinen Augen auf, grau und seltsam verzerrt und mit flackerndem Gesicht, streckte ihm die Hände entgegen. Er taumelte an ihr vorüber, brach in die Knie und rang verzweifelt nach Atem. Die Luft im Inneren des Tempels war kalt, so kalt, daß sie in seiner verbrannten Kehle schmerzte, aber er sog sie gierig und in tiefen, hektischen Zügen ein, preßte sein geschundenes Gesicht gegen den Boden und genoß die kühle Glätte des Steines.

»Schön, daß du auch noch kommst«, sagte eine Stimme in seiner Nähe. Er vermochte nicht genau zu sagen, woher sie kam. Die Welt begann sich um ihn herum zu drehen, einen irrsinnigen, wilden Tanz aufzuführen, so daß er für einen Moment nicht mehr wußte, wo oben, unten, rechts und links war.

»Wir hatten die Hoffnung schon beinahe aufgegeben.«

Skar hob mühsam den Kopf und blickte zu Gowenna auf. Ihr Gesicht war verbrannt wie das seine, aber in ihrer Stimme schwang nichts als böser Spott, allenfalls noch eine Spur unverhohlener Befriedigung, daß sie ihn hier verletzt und am Ende seiner Kräfte am Boden liegen sah.

Einer der Sumpfmänner ging neben ihm in die Hocke, stützte seinen Kopf mit der Hand und hielt eine Schale mit eiskaltem Wasser an seine Lippen. Skar trank mit schnellen, gierigen Schlucken, hustete, brach einen Teil des Wassers wieder aus und trank weiter, bis die Schale geleert war.

»Danke«, murmelte er.

»Ich hatte dir gesagt, du sollst hinter mir bleiben«, fuhr Gowenna vorwurfsvoll fort.

»Das habe ich ...«

»Nicht getan«, fiel sie ihm ins Wort. »Du bist geradewegs in die Flammenwand hineingelaufen, nach links, statt nach rechts, wie es richtig gewesen wäre. Es ist ein Wunder, daß du noch lebst. Willst du noch mehr Wasser?«

Skar nickte, überrascht von dieser plötzlichen Fürsorge. Er setzte sich auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, um die Tränen fortzuwischen, und sah sich blinzelnd um. Er befand sich in einem hohen, rechteckigen Raum, dessen Wände aus dem gleichen schwarzen Stein wie das Fundament der Kuppel bestanden. Die Mauern waren schmucklos und kahl, und es gab zahlreiche Türen, die tiefer in das Gebäude hineinführten. Die Luft war trotz des weit offenstehenden Eingangs kühl, als gäbe es die Hitze draußen nicht. El-tra brachte ihm eine zweite Schale mit Wasser. Er leerte sie langsamer und bedächtiger als die erste, drehte das Gefäß einen Moment unschlüssig in den Händen und reichte es mit einem dankbaren Lächeln an den Sumpfmann zurück.

»Woher kommt das?«

»Das Wasser?« Gowenna deutete mit einer Kopfbewegung auf eine der Türen. »Es gibt einen Brunnen, dort im Nebenraum, und er funktioniert noch. Wir werden unsere Wasserschläuche dort auffüllen, ehe wir uns auf den Rückweg machen. Fühlst du dich kräftig genug, weiterzugehen?«

»Jetzt?« Skar machte instinktiv eine Bewegung, als wolle er aufstehen, führte sie aber nicht zu Ende. »Warten wir nicht auf die anderen?«

»Du warst der letzte, Skar. El-tras Brüder, Gerrion und Arsan sind bereits auf dem Wege zum Treppenschacht. Wir sind zurückgeblieben, um auf dich zu warten.«

»Und ... Nol?« fragte Skar stockend, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Gowenna schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Er verbrannte vor unseren Augen. Wir... konnten nichts für ihn tun.« Sie atmete hörbar ein, und für einen winzigen Moment glaubte Skar beinahe so etwas wie Trauer in ihren Augen zu sehen.

»Komm jetzt«, fuhr sie fort. »Wir haben keine Zeit zum Ausruhen.«

Skar wollte noch mehr Fragen stellen, aber sie wandte sich rasch um und ging mit schnellen Schritten auf eine der Türen zu, so daß er sich beeilen mußte, sie einzuholen. Seine Haut begann zu brennen, als er sich bewegte. Der Luftzug, der ihnen aus dem Inneren des Tempels entgegenschlug, schien mit einem Male nicht mehr kühl und wohltuend, sondern eisig zu sein, und als er an sich herabsah, bemerkte er, daß sich von seiner Haut große Fetzen zu lösen begannen. Die Salbe. Plötzlich erinnerte er sich wieder Tantors Worte: ›Sie verliert ihre Wirkung um so schneller, je größerer Hitze du sie aussetzte‹. Und er hatte in Flammen gebadet. Auf dem Rückweg würde ihn Tantors Zauber nicht mehr schützen.

Sie betraten einen niedrigen, von sanfter grauer Helligkeit erfüllten Gang. Das Licht war von der gleichen Art wie das, welches das Gebäude draußen in den verwüsteten Bezirken Combats erhellt hatte; unwirklich, mild und doch hell genug, jede noch so winzige Kleinigkeit zu erkennen.

Er beschleunigte seine Schritte, um neben Gowenna zu kommen, und deutete fragend nach vorne. »Wohin führt dieser Gang?«

»Dorthin, wo alle Gänge in diesem Tempel enden«, antwortete Gowenna unwillig. »Es gibt eine Treppe in seiner Mitte. Sie führt nach oben.«

»Und dort befindet sich der Stein?«

Gowennas Gesicht zuckte. Skar konnte nicht erkennen, ob es ein Ausdruck des Unmuts oder einfach Schmerz war. Ihre Haut war versengt und verbrannt wie seine eigene. Große, pockennarbige Brandblasen verunzierten ihre Wangen. Die Lippen waren aufgesprungen und bedeckt von verkrustetem Blut, und ihr Haar war von verbrannten Strähnen durchzogen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie schließlich. »Ich kenne den Plan dieses Gebäudes nicht, aber der Legende nach soll die Altarkammer am oberen Ende der Treppe liegen, direkt unter dem Zenit der Kuppel.«

»Und wenn es nicht so ist?«

»Suchen wir weiter«, antwortete Gowenna so schnell, als hätte sie auf die Frage gewartet. »Wir haben noch Zeit. Die Hitze kann uns hier drinnen nichts anhaben.«

Anstelle einer direkten Antwort hob Skar die Hand, griff nach ihrer Wange und riß ein winziges Stück der dünnen Salbenhaut herunter. Gowenna zuckte schmerzhaft zusammen. Ein einzelner Blutstropfen lief über ihr Gesicht. Skar verrieb den pergamenttrockenen Fetzen zwischen Daumen und Zeigefinger. Es knisterte, als hätte er einen von der Sonne ausgedörrten Insektenflügel in Händen.

Gowennas Augen blitzten wütend auf. »Ich weiß, was du sagen willst«, zischte sie. »Spar es dir. Wir brauchen die Salbe nicht mehr, wenn wir den Stein finden. Er selbst wird uns schützen.«

»Du setzt großes Vertrauen in ein Ding, von dem du nicht einmal weißt, ob es existiert«, gab Skar ruhig zurück. »Und wo.«

»Ich weiß es«, behauptete Gowenna wütend, ohne sich um den offenkundigen Widerspruch in ihren Worten zu scheren. »Er muß hier sein, oder ...«

»Oder?«

»Nichts«, sagte sie. »Er ist hier. Und wir werden ihn finden.«

»Oder wir kommen alle nicht mehr hier heraus«, vollendete Skar den Satz. »Das war es doch, was du sagen wolltest? Du wußtest von Anfang an, daß uns Tantors Zauber nur auf dem Weg hierher schützt. Du wußtest es die ganze Zeit. Wir werden entweder mit dem Stein zurückkehren, oder gar nicht.«

Gowenna blieb stehen. An ihrem Hals begann ein Nerv zu zucken. »Selbst wenn du recht hättest«, sagte sie mühsam, »was würde es ändern?«

»Nichts«, erwiderte Skar ruhig. »Ich weiß nur gerne, warum ich sterbe, das ist alles.« Seine Worte entsprangen der Wahrheit. Die Vorstellung, zu sterben, hatte nichts Erschreckendes mehr für ihn, im Gegenteil. Er hatte in den letzten Stunden einfach zuviel durchgemacht, um noch vor irgend etwas Angst zu haben.

Sie gingen weiter. Der Gang mündete in eine große, vollkommen leere Halle, von der aus weitere Türen in verschiedene Richtungen führten. Skar begann sich zu fragen, wie Gowenna ihren Weg fand. Er selbst hätte sich schon auf den ersten Metern hoffnungslos verirrt, und es gab an den glatten, schmucklosen schwarzen Wänden nichts, was als Wegzeichen hätte dienen können. Trotzdem bewegte sich Gowenna so sicher, als wäre sie in dieser Umgebung zu Hause.

Es folgte ein weiterer Gang; Treppen, die in neue Säle und Kammern mündeten und wieder Gänge - ein monotones Labyrinth voller Dunkelheit und Kälte. Skar begann mit jedem Schritt intensiver zu spüren, wie tot dieses gewaltige Gebäude war, eine Ruine trotz seiner äußerlichen Unversehrtheit, nichts als ein gewaltiges Grab, in dem die Träume eines ganzen Volkes beigesetzt worden waren. Sie hatten ein gewaltiges Ziel verfolgt, die Herren Combats, aber alles, was geblieben war, war Odnis und Leere, ein ungeheures Monument gescheiterter Macht, so gewaltig, daß es sich in seiner Größe ad absurdum führte. Sie hatten nach Vollkommenheit gestrebt, Macht nicht nur über diese Welt, sondern vielleicht über die ganze Schöpfung zu gewinnen, und die Strafe, die sie getroffen hatte, entsprach der Größe ihres Vorhabens. Mit einem Mal war Skar sicher, daß es nicht der Magie ihrer Erbauer zu verdanken war, daß Combat dem Feuer der Götter all die Zeit widerstanden hatte, sondern daß es Absicht war, ein Sterben, das nicht in Augenblicken, sondern in Jahrtausenden ablief, eine stumme, flammende Mahnung an alle, die gleich diesem Volk die Macht der Schöpfung herausfordern wollten.

»Wir sind da.« Gowennas Stimme schien in dem niedrigen Gang ein seltsames, verzerrtes Echo hervorzurufen, ein Echo, als klängen im Hintergrund dünne, böse Kinderstimmen.

Der Gang endete in einem runden, hohen Raum. Die Wände waren vom gleichen matten Schwarz wie der Rest des Gebäudes, aber sie waren hier nicht mehr kahl, sondern mit verschlungenen, scheinbar sinnlosen Mustern und Zeichen übersät. Das Licht war anders hier, auch grau und flackernd, aber von raschen, dünnen Blitzen orangeroter und weißer Helligkeit durchzogen, als brenne irgendwo über ihren Köpfen ein Feuer. Aus dem Zentrum der Halle wuchs eine gewaltige runde Säule aus poliertem schwarzem Stein. Gowenna deutete mit einer Kopfbewegung darauf. »Die Treppe.« Skar blieb stehen, sah sich rasch nach beiden Seiten um und legte den Kopf in den Nacken. Die Decke verlor sich in grauem Dunst, durch den ab und zu greller Feuerschein blitzte.

»Was ist dort oben?« fragte er.

Gowenna zögerte merklich mit der Antwort. »Ich ... weiß es nicht.« gestand sie. »Ich bin niemals weiter als bis hierher gekommen. Aber der Altarraum muß dort sein. Es ist der einzige logische Ort.«

»Logisch?« Skar lachte ungläubig. »Was ist an dieser Stadt schon logisch, Gowenna?« Er schüttelte den Kopf, ging weiter und umrundete die Säule; langsam, angespannt, mit der Rechten auf dem Schwertgriff, jederzeit auf einen Angriff gefaßt. Dieser Raum war nicht so leer, wie er schien, das spürte er. Irgend etwas war hier oder vielmehr dort drinnen, im Inneren der Säule, etwas, das auf sie wartete, ein geduldiges, stummes Ding, lauernd und böse.

»Du hast recht«, murmelte er. »Er ist hier.«

Gowenna zuckte zusammen. Für einen Moment spiegelte ihr Gesicht Schrecken, Schrecken und noch etwas anderes wider, das er unter der Maske aus Blut und Ruß auf ihren Zügen nicht genau erkennen konnte. Haß?

Der Eingang befand sich auf der anderen Seite der Säule, ein niedriger, runder Spalt, kaum breit genug für einen erwachsenen Menschen.

»Wo sind die anderen?« fragte er.

»Dort drinnen.« Gowenna trat zögernd an ihm vorbei, legte die Hand auf den schwarzen Stein der Säule und verharrte einen Moment. Skar sah, daß ihre Finger zitterten. Ihre Augen waren angstvoll geweitet, als sähe sie in den wogenden Schatten dort drinnen etwas unbeschreiblich Schreckliches.

»Gehen wir.« Diesmal war ihre Stimme verzerrt, und es waren nicht die Echos, die sie von Angst durchwoben erscheinen ließen. Aber Skar verzichtete auf die Frage, die ihm auf der Zunge lag. Hinter Gowenna betrat er den Treppenschacht. Gerrion, Arsan und die beiden anderen Sumpfmänner hockten auf den untersten Stufen der breiten, ausgetretenen Treppe und unterhielten sich leise. Sie wirkten frischer und kräftiger, als er erwartet hatte. Auch ihre Kleider und Gesichter waren versengt und geschwärzt von Ruß und Asche, aber sie schienen ohne ernsthaftere Verletzungen davongekommen zu sein.

Gowennas Verhalten änderte sich schlagartig, als sie den anderen gegenübertrat. Innerhalb von wenigen Sekunden verschwand auch das letzte Anzeichen von Schwäche oder Furcht, und sie war wieder die kühle, selbstbewußte Führerin, als die Skar sie kannte.

»Habt ihr irgend etwas bemerkt?«

Arsan hob den Kopf, starrte sie eine Sekunde schweigend an und machte eine verneinende Geste. »Nichts. Was geschieht jetzt?«

»Was schon?« erwiderte Gowenna achselzuckend. »Wir gehen hinauf. Dazu sind wir schließlich hier.«

Arsan blickte besorgt zum Ausgang. »Jemand sollte hierbleiben«, sagte er. »Als Wache.«

»Wozu?« sagte Gowenna. »Hast du Angst, jemand könnte die Tür zumauern, während du oben bist?« Sie lachte spöttisch, zog das Schwert aus dem Gürtel und schlug ein paarmal mit der flachen Klinge in ihre geöffnete Linke, eine Geste, die Stärke und Gelassenheit demonstrieren sollte, aber in dieser unwirklichen Umgebung deplaziert und falsch wirkte.

»Wir gehen alle gemeinsam«, fügte sie hinzu. »Ich -«

Ein dunkelroter, flackernder Blitz erhellte den Treppenschacht über ihren Köpfen und erlosch wieder. Gowenna brach erschrocken ab. Das Feuer spiegelte sich in ihren Augen und schien selbst dann noch nachzuglühen, als der Lichtschein über ihnen schon längst erloschen war.

»Was war das?« fragte Gerrion leise.

»Ich weiß es nicht«, murmelte Gowenna. »Sehen wir nach.« Sie schob Arsan mit einer ungeduldigen Bewegung zur Seite, setzte den Fuß auf die unterste Stufe und lief nach einem letzten, kaum merklichen Zögern los. Die drei Sumpfmänner folgten ihr, ebenso Arsan, Gerrion und als letzter Skar.

Die Treppe führte in endlosen Windungen in die Höhe. Skar gab es bald auf, die Stufen zu zählen, und konzentrierte sich darauf, weiterzugehen und nicht den Anschluß zu verlieren. Gowennas Tempo erschien ihm zu scharf. Sie liefen zu schnell und verbrauchten zuviel Kraft, bedachte man die Höhe des Treppenturmes, und seine Muskeln begannen schon nach wenigen Augenblicken zu schmerzen. Aber er protestierte nicht. Er spürte, daß es besser war, so rasch wie möglich aus dem Schacht herauszukommen, sich nicht länger als unbedingt notwendig im Inneren dieser gigantischen schwarzen Säule aufzuhalten. Er konnte Gowennas Furcht verstehen, mit jeder Sekunde, die er weiter emporkam, mehr. Es gab keine körperliche Bedrohung hier, keinen Feind, der hinter der nächsten Biegung auf sie lauerte. Der Schacht selbst war die Bedrohung. Die schwarzen Wände schienen Angst auszuatmen, Furcht, die sich wie ein dünner Nebel über ihre Körper legte, unaufhaltsam und schleichend in ihre Gedanken kroch und an ihren Kräften zehrte. Sein Herz begann zu hämmern, und plötzlich verspürte er eine irrsinnige Angst davor, sich umzudrehen. Irgend etwas schien hinter ihm zu sein, etwas Gewaltiges und Böses, und er kam sich mit einem Mal vor wie ein kleines Kind, das, gepackt von Grauen, lief, immer nur lief, das wußte, daß irgend etwas hinter ihm war, ihn verfolgte, immer ein wenig schneller lief als er selbst, etwas, das ihn im gleichen Augenblick packen würde, in dem er sich umsah.

Erneut durchbrach ein grelles, rotes Leuchten den grauen Dunst über ihren Köpfen und versah die Körper der Männer für einen Moment mit einer flammenden Glorie. Und wieder hatte Skar das Gefühl, das helle, böse Lachen von Kinderstimmen zu vernehmen. Ein dumpfer Schlag erschütterte die Treppe. Skar strauchelte, fiel gegen die Wand und prallte schmerzhaft mit dem Knie gegen eine messerscharfe Kante. Er rutschte zwei, drei Stufen zurück und warf sich mit einer wütenden Drehung herum. Der Schacht unter ihnen glühte in grellweißem Feuer. Skars Schreckensschrei ging im Brüllen der Flammen unter, die sich mit der Geschwindigkeit einer Springflut die Treppe emporwälzten. Er sprang auf, fuhr herum und rannte, immer zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, los. »Lauft!« brüllte er. »Lauft um euer Leben!« Er packte Arsan, der sich ebenfalls umgedreht hatte und wie erstarrt stehengeblieben war, grob bei den Schultern, schleifte ihn ein paar Schritte weit mit und gab ihm einen Stoß, der ihn mit wild rudernden Armen die Treppe emportaumeln ließ. Ein hohes, gläsernes Kichern ließ den Schacht erbeben. Das graue Licht verblaßte unter dem grellen Schein der Flammen, die hinter ihnen herjagten, auf winzigen, behenden Füßen Stufe um Stufe hinaufsprangen, schneller, viel schneller, als ein Mensch laufen konnte, ihrer Natur gehorchend aufwärts strebten, nicht wie ein Mensch mühsam Stufe um Stufe hinaufwankten, sondern aufwärts gesogen wurden. Eine Welle intensiver Hitze eilte ihnen voraus, hämmerte wie eine unsichtbare Faust gegen Skars Rücken und ließ ihn vor Schmerz aufschreien. »Zur Seite!«

Skar gehorchte, ohne zu denken. Eine hochgewachsene, graue, flackernde Gestalt eilte an ihm vorbei, rannte die Treppen herunter auf die Flammen zu und blieb zehn, fünfzehn Stufen unter ihm mit weit ausgebreiteten Armen stehen.

»El-tra!« keuchte Skar. »Was...«

Eine Hand packte ihn an der Schulter, riß ihn mit brutaler Kraft auf die Füße und stieß ihn weiter. Der Feuerschein unter ihm verstärkte sich, wechselte von brennendem Orange zu grellem, blindmachendem Weiß, zu Blau, zur Farbe reiner Hitze, in der nicht einmal mehr Raum für Flammen war. Er schrie, als ein weißglühender Hammer seinen Rücken traf und ihn in Flammen aufgehen ließ, taumelte, mehr von El-tras unmenschlicher Kraft vorwärts gerissen als aus eigener Kraft, weiter und versuchte einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen.

Unter ihm tobte ein weißglühender Vulkan. Die Hitze versengte seine Augenbrauen und Wimpern und ließ sie zu grauer Asche zerfallen, aber er spürte den Schmerz kaum.

Die Flammenwand war zum Stillstand gekommen. Wie ein brodelnder Feuersee erfüllte sie den Gang unterhalb des Sumpfmannes, leckte mit kleinen, gierigen Augen nach seiner Gestalt und zuckte immer Tvieder zurück. Skar glaubte Bewegung in der Glut zu erkennen, ein rasches, hektisches Hin- und Herspringen. Das Brüllen des Feuers klang plötzlich anders, immer noch böse und hell, aber jetzt auch ungeduldig, wütend. El-tras Gestalt wankte. Seine Kleider schwelten, dünne, gelbe Flammen züngelten am Saum seines Rockes, erloschen, brannten an anderer Stelle neu. Seine Kapuze flammte auf, zerfiel zu Asche, gestreift von einem dünnen, feurigen Arm, der aus dem kochenden Hitzemeer emporgriff, und gab den Blick auf einen flachen, grüngeschuppten Reptilschädel frei, auf dem das aufgesetzte menschliche Gesicht wie eine boshafte Karikatur wirkte.

El-tra schrie; ein Laut wie das Röcheln eines sterbenden Drachens. Er taumelte, wankte rückwärts zwei, drei Stufen empor und blieb wieder stehen. Das Feuermeer folgte ihm, schwappte wie eine zähe, brodelnde Flüssigkeit über den Stein und verhielt kurz vor seinen Füßen.

»Komm weiter«, keuchte Gowenna über Skar. »Er kann sie nicht mehr lange aufhalten.«

Skar bewegte sich widerwillig rückwärts die Treppe hinauf, aber er war unfähig, den Blick von der gleichermaßen grauenhaften wie phantastischen Szene unter sich zu wenden. El-tras Haut schwelte. Die hornigen, grünen Reptilienschuppen platzten auseinander, sprangen mit leisen, knackenden Geräuschen wie brechendes Chitin von der blutigen Haut. Der Sumpf mann wankte, hob die Arme und suchte in der leeren Luft nach Halt. Gelbes, knisterndes Feuer schlug nach seinem Umhang, setzte seine Beine in Brand und rannte mit kleinen finken Bewegungen an seinem Körper empor. Er verwandelte sich von einem Augenblick zum anderen in eine lebende, lodernde Fackel. Aber er stand noch, und seine Kräfte hielten die Flammen noch immer zurück, obwohl in seinem Leib längst kein Leben mehr sein konnte.

Dann, von einem Lidzucken zum anderen, war es vorbei. El-tras Gestalt flammte ein letztes Mal grell auf, schleuderte weißes Feuer gegen Wände und Decke und zerfiel zu Asche. Der Sumpfmann, der Skar gepackt hielt, stürzte zu Boden, schrie, wand sich wie in Krämpfen und schlug mit Armen und Beinen um sich. Sein Gesicht zuckte, wurde grau, dann schwarz und fiel ein, zerfloß wie Wachs, das zu lange in der Sonne gelegen hatte. Ein hoher, dünner, gequälter Laut drang aus seiner Brust. Seine Hände verkrampften sich, wurden zu hornigen, sechsfingrigen Klauen, die mit scharrendem Geräusch über den Stein fuhren.

Skars Blick suchte den zweiten Sumpfmann. Auch er war zu Boden gestürzt und wand sich, geschüttelt von Krämpfen. Eine dunkle, zähe Flüssigkeit sickerte aus seinem Umhang.

»Schnell!« keuchte Gowenna. »Helft mir!« Sie bückte sich, packte den Sumpfmann unter den Achseln und begann ihn ächzend die steinernen Stufen emporzuzerren. Gerrion eilte mit einem raschen Schritt zu ihr und ergriff El-tras Beine.

Skar erwachte endlich aus seiner Erstarrung. Er winkte Arsan zu sich, und sie hoben den reglosen Sumpfmann hoch. El-tras Körper erschien ihnen verhältnismäßig leicht, weich und schwammig unter dem groben Gewand.

Sie rannten weiter die Treppe hinauf, so rasch es die leblose Last zwischen ihnen zuließ. Der Schacht unter ihnen war noch immer von weißer Glut erfüllt, aber die Flammen verfolgten sie nicht weiter, als würden sie sich mit diesem ersten Opfer begnügen. Trotzdem stieg die Hitze weiter an. Jeder Atemzug brannte in Skars Kehle, und die Luft schien sich in zähen, brennenden Sirup zu verwandeln, durch den er sich mühsam vorwärtsquälte.

»Beeilt euch!« drang Gowennas Stimme von oben herab. »Es ist nicht mehr weit, aber wir müssen aus dem Schacht heraus, ehe sie wiederkommen!«

Wie um ihre Worte zu unterstreichen, zuckte ein greller roter Blitz zu ihnen herauf, und das Kichern und Lachen der Flammen wurde lauter. Ein winziges, kaum eine Handspanne messendes Feuerbündel sprang die Treppenstufen herauf, lief, eine brennende Schmerzlinie hinterlassend, über Skars Fuß und zerbarst dicht vor Gerrion an der Wand. Der Stein glühte dort, wo er von der Flamme getroffen worden war, noch einen Herzschlag lang nach.

Skar sah sich gehetzt um. Ein zweites Flammenkind schoß zu ihnen empor, raste, von einem Schwall glühender Luft begleitet, vorbei und verschwand am oberen Ende der Treppe, dann ein drittes, viertes, bis die Treppe unter ihnen von einem gleißenden Meer winziger heller Flammen übersät zu sein schien. Nur die wenigsten schafften es zuerst, mehr als zwei oder drei Stufen zu überspringen, ehe sie an den Wänden oder einer Kante zerbarsten, aber dann wurden es mehr und mehr, erst Dutzende, dann Hunderte, Tausende. Der Schacht hallte wider vom glockenhellen Klang unzähliger heller kichernder Stimmen.

»Beeilt euch!« drängte Gowenna erneut. »Es sind nur noch ein paar Stufen!«

Skar sah nach oben. Die Treppe endete vor einer glatten, aus gehämmertem schwarzem Metall bestehenden Wand, in deren Mitte sich ein kreisförmiger Durchgang befand. Gowenna mußte sich bücken, um hindurchzukommen.

Skar mobilisierte noch einmal alle Kraftreserven, um die letzten Stufen zu überwinden. El-tras Körper schien mit einem Mal immer schwerer zu werden. Wieder zuckte ein rascher, knochenbrechender Krampf durch den Leib des Sumpfmannes. Skar verlor das Gleichgewicht, fiel mehr durch die Öffnung, als er ging, und zerrte El-tra und Arsan gleichermaßen hinter sich her. Das Licht unter ihnen wurde unerträglich, aber die Hitze folgte ihnen nicht, sondern blieb, wie von einer unsichtbaren Mauer aufgehalten, draußen im Schacht. Skar sah, wie die Stufen, über die sie vor wenigen Augenblicken gegangen waren, dunkelrot zu glühen begannen. Der Stein riß, sprang mit hohem, peitschenden Klang auseinander und verschwand unter einer Flutwelle winziger heller Feuerfüße.

Arsan brach mit einem wimmernden Laut in die Knie. Unter dem Tuch, das sein Gesicht bedeckte, sickerte Blut und helle Wundflüssigkeit hervor. Seine Augen tränten; winzige Tropfen, die vom grellen Widerschein des Feuers rot gefärbt wurden, so daß es aussah, als weine er Blut. Er fiel, versuchte ungeschickt den Sturz mit den Händen abzufangen und schlug schwer aufs Gesicht, als seine Arme unter dem Gewicht des Körpers wegknickten. Der Rückenteil seines Hemdes war verbrannt. Darunter kam nacktes, blutiges Fleisch zum Vorschein.

Er wälzte sich mühsam auf den Rücken. Der Raum war kahl wie alle Räume, durch die sie gekommen waren, schwarz, aber ganz aus gehämmertem, welligem Stahl gefertigt. Das graue Licht, das sie seit Betreten des Gebäudes begleitet hatte, war erloschen. Die einzige Helligkeit kam vom grellen Flackern des Feuers draußen im Schacht. Gowenna hockte zusammengekrümmt vor der Wand. Ihre Brust hob und senkte sich in schnellen, unregelmäßigen Stößen. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte nur ein mühsames, würgendes Geräusch hervor, einen Laut unerträglicher Erschöpfung, der mehr noch als die verbrannten Kleider und ihr zerstörtes Gesicht deutlich machte, daß sie das Ende ihrer Leistungsfähigkeit längst erreicht und überschritten hatte. Ihr Körper war ausgelaugt, leer. Was sie allein noch auf den Beinen hielt, war ihr Wille.

Sie hob den Kopf, sah erst Skar, dann Arsan an und kroch stöhnend auf den reglos daliegenden Sumpfmann zu. Ihre Hände tasteten kraftlos über den versengten Umhang, berührten das formlose Etwas, das einmal ein Gesicht gewesen war, verharrten. Sie wimmerte. Ihre Augen schlössen sich, als hätte sie nicht mehr die Kraft, sie offen zu halten, aber Skar sah, daß sich die Augäpfel weiter hektisch bewegten.

»Was ... hast du vor?« fragte er.

Gowenna schnitt ihm mit einer hastigen Bewegung das Wort ab. Ihr Körper begann zu zittern, bebte, als würde sie plötzlich von Fieberschauern geschüttelt.

»Hilf ... mir«, flehte sie.

Skar stemmte sich hoch und sah Gowenna fragend an. »Was soll ich tun?«

»Deine ... Hand«, stieß Gowenna hervor. »Bitte.«

Skar streckte gehorsam die Hand aus. Gowenna griff nach seinen Fingern, drückte sie zusammen, fest, so fest, daß es schmerzte. Unwillkürlich wollte er die Hand zurückziehen, aber Gowenna war stärker, als er erwartet hatte.

Irgend etwas geschah. Skar fühlte sich plötzlich gelähmt, starr, wie eine hilflose Fliege, die nicht einmal mehr die Kraft hat, im Netz der Spinne zu zappeln. Etwas Unsichtbares, Eisiges griff nach seiner Seele, tastete mit dünnen Kristallfingern bis in ihre tiefsten Abgründe, erforschte ihn. Dann hatte er das Gefühl, daß irgend etwas aus ihm herausfloß, ein unsichtbarer, lautloser Strom, der sich über Gowennas Hand in El-tras Körper ergoß, keine Kraft, sondern irgend etwas anderes, etwas, das er kannte und für das er doch keinen passenden Namen hatte.

»Was ... tust du?« flüsterte er. Die drei Worte zu formen, kostete ihn ungeheure Anstrengung. Mit einem Mal hatte er Angst, unbeschreibliche Angst, daß Gowenna ihm auch noch das letzte bißchen Energie stehlen würde, ihn als leere, ausgebrannte Hülle zurücklassen würde. Aber er war nicht in der Lage, seine Hand zurückzuziehen, den Strom, der von ihm auf den Sumpfmann überfloß, zu unterbrechen.

»Keine Angst«, erwiderte Gowenna. »Dir geschieht nichts. Aber er stirbt, wenn er keine neue Matrix bekommt.«

Skar dachte vergeblich über den Sinn von Gowennas Worten nach. Er wußte nicht, was sie meinte oder was sie tat, aber was immer es war, es half. Der Sumpfmann begann sich zu bewegen, nicht mehr von Krämpfen und Schmerzen geschüttelt jetzt, sondern in der Art eines Menschen, der nach tiefer Bewußtlosigkeit erwacht. Er stöhnte wieder, aber es war kein Laut der Todesangst mehr. Gowenna richtete sich mit einem erleichterten Seufzer auf und ließ Skars Hand los. Auf ihrer Stirn perlte Schweiß. El-tra bewegte sich weiter. Seine Hände, jetzt wieder normale, fünffingrige, menschliche Hände und nicht länger tödliche Drachenklauen, glitten haltsuchend über den Boden, stemmten den Körper in einer langsamen Bewegung hoch. Er setzte sich auf, hob die Hände und führte sie, zu Fäusten geballt, vor die Augen. Seine Kapuze verrutschte, und für die Dauer eines Lidzuckens konnte Skar sein Gesicht sehen.

Es war sein Gesicht. Die dunklen, von einem Netzwerk winziger Fältchen umgebenen Augen, der schmallippige Mund, die gezackte Narbe, wie ein vielfach verästelter, erstarrter Blitz vom linken Augenwinkel bis hinunter zum Kinn und wieder hinauf zum Mund führend, die schmalen Brauen, die nie so ganz zum übrigen Schnitt seines Gesichtes hatten passen wollen - alles war da, ein getreues Abbild von ihm selbst.

Aber nur für einen Moment. Dann verschwammen El-tras Züge, wurden wieder zu dem gewohnten, nicht faßbaren Etwas, einem grauen Nebel ständig wechselnder Eindrücke, in dem alles und nichts vorhanden war.

»Was ...«, murmelte Skar erschrocken. »Was ist...«

»Nichts«, sagte Gowenna rasch. Etwas am Klang ihrer Stimme irritierte Skar. Er wandte den Kopf, begegnete ihrem Blick und dem unausgesprochenen, lautlosen Flehen darin und verstand.

Er nickte, stand langsam auf und entfernte sich ein paar Schritte von El-tra. Gowenna wechselte ein paar Worte in einer guttural klingenden Sprache mit dem Sumpfmann, ehe sie sich ebenfalls erhob und Skar nachkam.

»Frag jetzt nicht«, bat sie im Flüsterton. »Ich werde dir später alles erklären, aber du mußt mir jetzt einfach glauben, daß für dich keine Gefahr besteht. Ich hatte keine Wahl. Sie wären gestorben, als ihr Geistbruder aus der Einheit ausschied. Ich mußte ihnen eine neue Matrix geben.«

»Ihnen?« Skar hatte Mühe, Gowennas Worte zu verstehen. Sein Blick fiel an ihr vorbei auf den zweiten Sumpfmann. Auch er hatte sich erhoben und stand reglos und grau wie immer neben seinem Kameraden. »Soll das heißen«, fragte er stockend, »daß ich jetzt zwei Doppelgänger habe?«

Gowenna schüttelte rasch den Kopf. »Natürlich nicht«, sagte sie. »Aber sie können nicht leben, wenn ein Teil von ihnen vergeht und kein neues Muster zur Hand ist.«

»Und da bist du ausgerechnet auf mich gekommen?« fragte Skar in einer Mischung aus Spott und langsam erwachender Wut. »Mich hätten sie nicht akzeptiert. Ich bin eine Frau. Und du warst von allen der Stärkste.«

Sie brach ab, starrte an Skar vorbei zu Boden und fuhr mit einer abgehackten Bewegung herum. »Und jetzt komm! Wir müssen weiter. Ich weiß nicht, ob wir hier sicher sind, und ich möchte es auch nicht ausprobieren.«

»Moment.« Skar wollte nach ihrer Schulter greifen, aber Gowenna entwand sich ihm mit einer raschen Bewegung.

»Ich erkläre dir alles«, sagte sie bestimmt. »Doch nicht jetzt. Ich verstehe deine Besorgnis, aber glaube mir, du hast eher etwas gewonnen als verloren.«

Skar starrte sie wütend an, verzichtete jedoch auf die scharfen Worte, die ihm auf der Zunge lagen. »Muster«, knurrte er.

Gowenna deutete auf die Rückwand der Kammer. Auch dort befand sich, wie auf der gegenüberliegenden Seite, ein runder, vielleicht anderthalb Meter breiter Durchgang. Dahinter schimmerte Licht; der schwache, gelbliche Glanz von Kerzen, der erst bei genauem Hinsehen zu erkennen war.

»Wir können nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt sein«, sagte sie. »Kommt jetzt.«

Arsan und Gerrion setzten sich gehorsam in Bewegung, aber die beiden El-tras blieben, anders als sonst, reglos stehen, als hätten sie Gowennas Worte überhaupt nicht vernommen.

»Sie bleiben zurück«, erklärte Gowenna auf Skars fragenden Blick. »Sie sind noch zu geschwächt, um uns zu begleiten.« Skar folgte ihr ohne ein weiteres Wort. Er hatte immer den Wunsch verspürt, mehr über Sumpfmänner zu wissen, aber er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob er nicht schon zuviel erfahren hatte. Es gab Geheimnisse, die an Schrecken gewannen, wenn man sie lüftete.

Hinter dem Durchgang wartete ein weiterer, finsterer Stollen auf sie. Der schwache Glanz an seinem Ende gewann aber allmählich an Leuchtkraft.

»Dort vorne ist es«, sagte Gowenna. Ihre Stimme zitterte hörbar. Skar bemühte sich, Einzelheiten zu erkennen, aber er sah nichts außer formlosen Umrissen und gelbem, flackerndem Licht. Gowenna schien wesentlich schärfere Augen zu haben als er.

Sie gingen schneller. Der Gang endete vor einer kurzen, nur aus drei Stufen bestehenden Treppe, an deren oberen Ende eine weitere runde Tür lag. Gowenna zögerte einen Moment, atmete hörbar ein und trat mit einem entschlossenen Schritt hindurch. Skar wartete, bis auch Arsan und Gerrion unter dem Türbogen verschwanden. Er drehte sich noch einmal um, starrte in die schattenerfüllte Schwärze hinter sich und zog mit einer bedächtigen Bewegung das Schwert aus der Scheide, ehe er ebenfalls die Treppe hinaufging. Nicht, daß er damit rechnete, ernsthaft kämpfen zu müssen; die Waffe diente nur dem Zweck, ihn selbst zu beruhigen, ihm ein - wenn auch trügerisches - Gefühl der Stärke zu geben. Er war nervös, als er in den Altarraum trat, nervöser, als er selbst zuzugeben bereit war.

Im ersten Moment war er beinahe enttäuscht. Er wußte nicht, was er erwartet hatte, aber es war auf jeden Fall irgend etwas Großartiges, Gewaltiges gewesen.

Als erstes fiel ihm auf, wie klein der Raum war, nicht mehr als zwölf, fünfzehn Schritte im Quadrat, die Decke kaum drei Meter hoch, so daß er sie mit der Schwertspitze hätte berühren können, wenn er den Arm ausgestreckt hätte. Es gab keine Fenster oder andere Öffnungen als die, durch die sie gekommen waren. An den Wänden brannten Fackeln mit ruhiger, rußloser Flamme. Und vor ihnen, kaum eine Armlänge von Gowenna entfernt, stand der Altar. Skar ließ verblüfft die Waffe sinken, trat mit einem raschen Schritt neben Gowenna und blieb stehen, als sie hastig die Hand hob. Nach all der Größe und Gewaltigkeit, die sie auf ihrem Weg hier herauf gesehen hatten, wirkte der Altar bescheiden, nicht wie ein Monument der Macht wie die Stadt, die ihn umgab, sondern wie ein funkelndes Juwel, verborgen und in sich gekehrt ähnlich einer Orchidee, die inmitten eines Unkrautfeldes blüht. Er bestand aus einem schwarzen, kaum fußhohen Sockel, aus dessen Zentrum zwei übergroße, aus glitzerndem Kristall geschnitzte Arme emporwuchsen. Ihre Hände, die sich an den Ballen berührten, als müßten sie sich gegenseitig stützen, trugen eine flache, vielleicht einen Meter durchmessende Schale, die bis dicht unter den Rand mit Wasser gefüllt war. Dahinter hockte ein mächtiger, aus schwarzem Stein gemeißelter Wolf.

Skar starrte die Skulptur an. Er hatte nie zuvor eine so genau und liebevoll ausgeführte Arbeit gesehen. Das Tier war perfekt nachgebildet, bis hinab zum winzigsten Härchen, zur kleinsten Unregelmäßigkeit auf seinen hochgezogenen Lefzen und zu den fingerlangen entblößten Reißzähnen. Es kostete ihn Mühe, den Blick wieder der Schale zuzuwenden.

Der Stein lag auf dem Boden der Schale, bedeckt von einer kaum zwanzig Zentimeter hohen Schicht glasklaren, unbewegten Wassers. Er war klein, viel kleiner, als Skar erwartet hatte, aber von unbeschreiblicher Schönheit, ein winziger weißer Ball aus gefrorenem Licht, der in sanftem, blauem Feuer erstrahlte. Seine Oberfläche war zu Millionen unendlich feiner Facetten geschliffen; eine perfekte Kopie der Kuppel, die den Tempel überdachte.

Gowenna trat zögernd vor, streckte die Hand aus und berührte die Wasseroberfläche. Ihre Finger tauchten in die Flüssigkeit ein und verursachten eine Folge winziger runder Wellen, die das Licht brachen. Es sah aus, als zerspränge der Stein am Grunde des Beckens zu unzähligen Bruchstücken.

Skar ergriff rasch ihr Handgelenk, riß sie herum und vertrat ihr den Weg. Gowenna wehrte sich und versuchte, ihre Hand zu befreien, aber diesmal war er auf ihre Stärke vorbereitet.

»Auf ein Wort noch, Gowenna«, sagte er ruhig.

Gowennas Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. Sie wehrte sich mit aller Kraft, aber Skar drückte erbarmungslos zu, preßte ihr Gelenk so fest zusammen, daß sie sich vor Schmerz krümmte und jeden Widerstand aufgab.

»Was... willst du?« keuchte sie.

»Antworten«, sagte Skar. »Ich will wissen, warum wir hier sind. Welche Macht hat dieser Stein? Warum ist er so wichtig für deine Herrin ?«

»Wer ihn hat, beherrscht Combat«, stieß Gowenna hervor.

»Er -«

Skar verstärkte den Druck seiner Hand noch mehr, so daß sie aufstöhnte und sich unter seinem Griff wand.

»Das ist nicht die Antwort, die ich will«, sagte er. »Drei Menschen sind gestorben, und noch mehr werden wahrscheinlich sterben, bis wir hier wieder heraus sind. Welches Geheimnis umgibt dieses Stück Glas? Was ist wichtiger als die Leben von drei Menschen?«

»Ich ... weiß es nicht«, keuchte Gowenna. »Dieser Stein ist der Schlüssel zur Macht der Alten, aber nur wer sein Geheimnis kennt, kann ihn benutzen. Ich weiß nicht, welche Macht er seinem Besitzer verleiht, und ich weiß auch nicht, wie man sie anwendet. Nur Vela allein weiß es.«

»Und sie hat es dir nicht gesagt?« fragte Skar zweifelnd.

Gowenna schüttelte den Kopf. »Nein. Sie gab mir alles, was nötig war, hierher und wieder zurückzukommen, aber nicht mehr. Und nun laß meine Hand los. Du tust mir weh.«

Skar ließ ihr Handgelenk fahren, drehte sich nach der Schale um und wollte nach dem Stein greifen, aber Gerrion war um eine Winzigkeit schneller. Er beugte sich vor, tauchte beide Arme bis über die Ellbogen ins Wasser und nahm den Stein heraus. Reglos, die Hände zu einer Schale geformt, blieb er über dem Becken stehen und wartete, bis das Wasser zwischen seinen Fingern hindurchgetropft war.

»Gib ihn her!« zischte Gowenna. Sie trat an Skar vorbei und streckte herrisch die Hand aus, aber Gerrion wich mit einem erschrockenen Schritt zurück, schloß die Linke um den Stein zur Faust und zog mit der anderen Hand sein Schwert.

»Nein!« keuchte er. »Du bekommst ihn nicht!«

Gowenna verhielt mitten im Schritt. Ihre Haltung wirkte mit einem Mal sonderbar steif und unnatürlich, und auf ihrem Gesicht machte sich ein Ausdruck ungläubigen Staunens breit.

»Was soll das heißen?« fragte sie lauernd.

»Ich ... gebe ihn nicht her«, flüsterte Gerrion. Seine Stimme bebte. Seine Augen waren unnatürlich geweitet, und das Schwert in seiner Faust zitterte sichtlich. »Du bekommst ihn nicht! Keiner von euch bekommt ihn!« Er hob drohend das Schwert und fuchtelte wild damit in der Luft herum. »Keiner bekommt ihn!« wiederholte er. »Keiner!«

Gowennas Hand zuckte zum Gürtel, aber Skar hielt sie mit einer raschen Bewegung zurück.

»Du bist schlecht beraten, wenn du glaubst, den Stein mit Gewalt an dich bringen zu können«, sagte Skar ruhig zu Gerrion. »Wir sind drei, und du bist nur einer.«

»Zwei«, verbesserte Gerrion. »Arsan zählt nicht. Und ihr seid nichts als eine größenwahnsinnige Frau und ein halbtoter Satai.«

»Sei vernünftig, Gerrion«, sagte Skar. »Ich verstehe dich. Was du da in der Hand hast, bedeutet vielleicht mehr Macht, als jemals ein einzelner Mensch besessen hat, aber dir wird es den Tod bringen. Laß das Schwert fallen und gib mir den Stein, und wir vergessen, was geschehen ist. Ich gebe dir mein Wort.«

»Dein Wort!« lachte Gerrion. »Was ist das schon wert? Ich -« Er brach ab. Sein Gesicht erstarrte, wurde zu einer verzerrten Grimasse. Das Schwert entglitt seiner Hand und fiel klappernd zu Boden.

Skar machte einen Schritt auf ihn zu und blieb entsetzt stehen, als er sah, was geschah. Zwischen den Fingern von Gerrions linker Hand träufelte nicht länger Wasser, sondern blaues, brennendes Licht hervor. Gerrion wankte zurück, schrie und bewegte den Arm, als wolle er den Stein fortwerfen. Er konnte es nicht mehr. Seine Faust ließ sich nicht mehr öffnen, zusammengebacken von der unbarmherzigen Glut, die der Stein ausstrahlte. Das Licht wurde heller, gleißender, ließ seine Hand durchscheinend wie Glas werden. Die Knochen darin, dünne, schwarze Linien, splitterten unter der unglaublichen Hitze. Gerrions Arm flammte auf. Weißes Feuer lief über seine Schulter, hüllte seinen Kopf ein und verwandelte ihn in eine brüllende, tanzende Fackel.

Skar hob schützend die Hand vors Gesicht und wich zwei, drei Schritte zurück. Gerrion stürzte zu Boden, wälzte sich schreiend herum und schlug mit der Rechten auf seinen Körper ein, um die Flammen zu ersticken. Er war jetzt vollkommen von Feuer eingehüllt, ein wabernder, weißglühender Mantel, dessen Gluthauch Skar und die anderen Schritt für Schritt zurückweichen ließ. Aber er lebte noch immer. Und er schrie, hoch, ausdauernd und mit Tönen, wie Skar sie noch nie aus einer menschlichen Kehle vernommen hatte. Sein linker Arm ragte verkrümmt und schwarz aus dem Flammenmeer empor, aber er lebte.

»Skar!« schrie Arsan. »Töte ihn!«

Skars Hand fuhr zum Gürtel. Er wechselte das Schwert von der Rechten in die Linke, zog einen der kleinen Shuriken hervor und schleuderte ihn mit aller Macht. Der fünfzackige Metallstern verwandelte sich in ein wirbelndes Rad, zischte auf das brennende Bündel am anderen Ende der Kammer und bohrte sich mit dumpfem Geräusch in Gerrions Stirn. Gerrion bäumte sich ein letztes Mal auf, fiel zurück und blieb reglos liegen. Seine verbrannte Hand öffnete sich. Der Stein rollte heraus, kollerte über den Boden und kam zwei, drei Schritte neben der Leiche zum Stillstand. Der blaue Glanz war erloschen, als hätte er seine gesamte Energie in diesem einen, kurzen Augenblick verbraucht.

»Ihr Götter!« keuchte Arsan. »Was ... was war das?«

Weder Skar noch Gowenna antworteten. Das leise Knistern der Flammen, mit denen Gerrions verstümmelter Körper verbrannte, war für lange Zeit der einzige Laut in der Kammer.

Schließlich, nach Minuten, die ihm wie Ewigkeiten vorgekommen waren, löste sich Skar aus seiner Erstarrung und ging zögernd auf den Stein zu. Er ließ sich auf ein Knie herabsinken, berührte den Kristall mit der Schwertspitze und rollte ihn vor sich über den Boden.

Nichts geschah. Er wartete, legte das Schwert behutsam neben sich nieder und streckte die Hand aus. Seine Finger zitterten. Vorsichtig berührte er den Stein, zog die Hand sofort wieder zurück und sah auf. Sein Blick begegnete dem Gowennas. Ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen, selbst unter der starren Maske aus Blut und Schmutz, die es bedeckte, und in ihren Augen spiegelte sich die ganze Palette menschlicher Gefühle - Furcht, Haß, Verzweiflung, aber auch Hoffnung und bange Erwartung.

Skar nahm all seinen Mut zusammen, ergriff den Stein mit den Fingerspitzen und ließ ihn auf seine Handfläche rollen, jederzeit bereit, ihn fortzuschleudern, sobald er auch nur die geringste Veränderung spürte.

Der Stein war nicht einmal warm. Seine geschliffene Oberfläche fühlte sich kühl und rein an, und Skar spürte, wie die Schmerzen in seiner Hand nach und nach erloschen, als ginge ein geheimnisvoller heilender Zauber von dem kleinen Stein aus.

Skar blieb zwei, drei, fünf endlose Minuten reglos hocken und wartete, daß irgend etwas geschah. Aber der Stein erwachte nicht noch einmal zum Leben. Gerrion war sein erstes und einziges Opfer gewesen, Opfer vielleicht einer letzten Sicherung, die die Herren Combats dem Stein mitgegeben hatten, um sich selbst zu schützen. Er stand auf, schloß die Faust um den Stein und schob sein Schwert in die Scheide zurück.

»Gehen wir«, sagte er.

Gowenna reagierte nicht. Ihre Züge waren erstarrt, aber es war jetzt nicht mehr Furcht, die Skar in ihnen las. Es war Haß. Haß von einer Tiefe, die ihn erschauern ließ. Haß auf ihn, auf das, was er vor ihren Augen getan hatte. Skar mußte auf einmal wieder an Arsans Worte denken: Sie ist nicht hier, um zu siegen, Skar. Sie will deine Niederlage sehen. Und er begriff erst jetzt, wie recht der Kohoner mit seiner Behauptung gehabt hatte. Sie war vor ihm hier gewesen und war gescheitert, und jetzt war er gekommen, ein Mann, der all das symbolisierte, was sie verachtete und bekämpfte, und er hatte getan, wozu sie nicht fähig gewesen war.

Es kostete ihn Mühe, seinen Blick von dem Gowennas zu lösen. Er preßte die Faust mit dem Stein an sich, ging rasch an ihr vorbei und trat mit gesenktem Kopf durch den Ausgang.

Schweigend gingen sie durch den kurzen Stollen bis in den Vorraum, in dem El-tra auf sie warteten. Die beiden Sumpfmänner hockten nebeneinander auf dem Boden, und ihre Gesichter kamen Skar grauer als sonst vor, obgleich sie unter den tief in die Stirn gezogenen Kapuzen fast unsichtbar waren. Gowenna sagte ein paar Worte in ihrer schnellen, dumpfen Sprache zu ihnen, und eine der beiden Gestalten erhob sich und trat hinaus auf die Treppe. »Wo hast du ihn hingeschickt?« fragte Skar.

»Er sieht nach, ob der Weg sicher ist«, antwortete Gowenna. »Normalerweise geben sie sich mit einem Opfer zufrieden, aber ich will sichergehen.«

Es dauerte eine Zeit, bis Skar den Sinn ihrer Worte begriff. »Du ... du willst damit sagen, daß du gewußt hast, daß einer von uns auf dem Weg hier herauf sterben wird?« fragte er stockend. Gowenna drehte sich halb herum und sah ihn an, sagte aber nichts.

»Aber es sollte nicht El-tra sein, nicht?« fuhr Skar fort. »Du hast uns nur mitgenommen, um ...«

»Nicht euch, Satai«, unterbrach ihn Gowenna ruhig. »Dich brauche ich für den Rückweg.«

»Dann eben Beral, Gerrion oder Nol oder Arsan«, sagte Skar mit mühsam beherrschter Stimme. »Daß El-tra das Opfer war, war nicht beabsichtigt, wie? Das war ein dummer Unfall!«

Er hatte erwartet, daß Gowenna betroffen oder wenigstens verunsichert reagieren würde, aber ihr Gesicht blieb unbewegt wie immer. »Natürlich«, antwortete sie ruhig. »Ihr alle habt doch gewußt, wie gefährlich es ist? Oder hast du dir wirklich eingebildet, daß wir alle lebend zurückkommen?«

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