Erstes Buch Der Wüstenplanet

1

Die größte Sorgfalt zu Beginn eines jeden Unternehmens sollte man auf die gleichmäßige Verteilung der Kräfte legen. Dies ist einer jeden Schwester der Bene Gesserit bekannt. Achte deshalb zu Beginn Deines Studiums über das Leben des Muad'dib darauf, in welcher Zeit er lebte: Er wurde im 57. Herrschaftsjahr des Padischah-Imperators Shaddam IV. geboren. Aber Dein Hauptaugenmerk solltest Du der Umgebung entgegenbringen, in der er lebte: die des Planeten Arrakis. Daß Muad'dib auf Caladan geboren wurde und dort die ersten fünfzehn Lebensjahre verbrachte, sollte zu keiner Selbsttäuschung führen. Arrakis, die Welt, die unter der Bezeichnung ›Wüstenplanet‹ bekannt ist, wurde seine ewige Heimat.

Aus ›Leitfäden des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


In der letzten Woche vor ihrem Abflug nach Arrakis, als die allgemeine Aufregung nicht nur zu einem Höhepunkt, sondern beinahe zu einer Unerträglichkeit geworden war, empfing die Mutter des Knaben Paul den Besuch einer Greisin.

Eine warme Nacht lag über dem alten Gemäuer von Burg Caladan, das der Familie Atreides seit sechsundzwanzig Generationen eine Heimstatt gewesen war[1]. Draußen schwebte feuchter Dunst. Er kündigte einen bevorstehenden Wetterwechsel an.

Man ließ die alte Frau durch einen Seiteneingang ein und führte sie durch einen gruftähnlichen Korridor zu dem Zimmer, in dem der Knabe in seinem Bett lag. Sie warf einen kurzen Blick auf ihn. Im Halbdunkel der in der Nähe des Bodens schwebenden Suspensorenlampe erblickte der erwachende Junge den Umriß einer korpulenten Gestalt, die einen Schritt neben der seiner Mutter stand. Sie wirkte auf ihn wie ein hexenhafter Schatten mit verfilztem Haupthaar unter einer weiten Kapuze und juwelenartig glitzernden Augen.

»Ist er nicht ein wenig klein für sein Alter, Jessica?« fragte sie. Ihre Stimme klang wie das Klirren eines ungestimmten Balisets.

»Die Atreides sind bekannt dafür, daß sie erst spät zu wachsen anfangen, Euer Ehrwürden«, erwiderte seine Mutter mit ihrer sanften Altstimme.

»Ich habe davon gehört«, erwiderte die alte Frau. »Aber immerhin ist er schon fünfzehn.«

»Ja, Euer Ehrwürden.«

»Er ist wach und hört uns zu«, sagte die alte Frau. »Dieser kleine Schelm.« Sie kicherte. »Aber königliches Geblüt muß über eine gewisse Portion an Gerissenheit verfügen. Und wenn er wirklich der Kwisatz Haderach ist … nun …«

In der Dunkelheit seines Bettes öffnete Paul die Augen zu einem kleinen Schlitz. Zwei glänzende Ovale — die Augen der alten Frau — schienen, je länger sie in die seinen starrten, größer und größer zu werden.

»Schlafe gut, du gerissener kleiner Schelm«, sagte die alte Frau. »Wenn du morgen meinem Gom Jabbar begegnest, wirst du alle Register deines Könnens ziehen müssen.«

Dann ging sie hinaus, drückte Pauls Mutter beiseite und schloß die Tür mit einem festen Schlag.

Wach lag Paul da und dachte: Was ist ein Gom Jabbar?

Von allen einschneidenden Veränderungen der letzten Zeit war die Bekanntschaft mit der Alten die Merkwürdigste gewesen.

Euer Ehrwürden.

Und die Art, in der sie seine Mutter einfach Jessica genannt hatte. Als sei sie eine gewöhnliche Bedienstete. Und das, wo sie eine Dame der Bene Gesserit war und die Konkubine eines Herzogs und Mutter seines Erben.

Ist ein Gom Jabbar etwas von Arrakis? Etwas, von dem ich wissen muß, bevor wir von hier fortgehen? dachte er. Die seltsamen Worte lagen auf seiner Zunge: Gom Jabbar … Kwisatz Haderach.

Er hatte noch so viel zu lernen. Arrakis würde von Caladan so verschieden sein, daß dieses neue Wissen sein bisheriges Bewußtsein völlig verändern konnte. Arrakis. Der Wüstenplanet.

Der Befehlshaber der Assassinen seines Vaters, Thufir Hawat, hatte ihm erklärt, daß Arrakis während der letzten achtzig Jahre das Lehen der Harkonnens, der Todfeinde der Atreides', gewesen sei, weil sie mit der MAFEA[2] einen Vertrag abgeschlossen hatten, der ihnen die alleinigen Schürfrechte beim Abbau des altershemmenden Gewürzes Melange zusicherte. Jetzt, wo Herzog Leto Atreides das Lehen zugesprochen worden war, mußten die Harkonnens Arrakis verlassen. Aber das war für Herzog Leto nur ein scheinbarer Sieg. Sein Erscheinen auf dem Wüstenplaneten würde unzweifelhaft zu bösem Blut führen, auch wenn er unter den Hohen Häusern des Landsraad einige Beliebtheit genoß. »Ein beliebter Mann zieht die Eifersucht der Mächtigen auf sich«, hatte Hawat gesagt.

Arrakis. Der Wüstenplanet.

Paul schlief ein. Er träumte von arrakisischen Höhlen und schweigenden Menschen, die im Halbdunkel von glühenden Kugeln neben ihm gingen. Alles wirkte feierlich, wie im Inneren einer Kathedrale, und aus der Ferne lauschte er einem schwachen Geräusch — dem Plip plip plip tropfenden Wassers. Paul wußte genau, daß es ein Traum war und daß er sich nach dem Erwachen wieder an ihn erinnern würde. Er erinnerte sich immer an Träume, die seine Zukunft voraussagten.

Der Traum verblaßte.

Halbwach fand Paul sich in der Wärme seines Bettes wieder. Er dachte nach. Die Welt von Burg Caladan, in der es für ihn keine gleichaltrige Gesellschaft gab, verdiente seinen im Angesicht des Abschieds zutage tretenden Schwermut nicht. Zudem hatte Dr. Yueh, sein Lehrer, ihn darauf hingewiesen, daß das Klassensystem der Faufreluches auf Arrakis weniger strikt gehandhabt wurde. Der Planet war von Menschen bewohnt, die an den Rändern der Wüsten lebten, ohne daß sie von Caids oder Bashars herumkommandiert wurden: das Sandvolk der Fremen, das sich bisher jeder Volkszählung durch das Imperium entzogen hatte.

Arrakis. Der Wüstenplanet.

Die Verkrampfung seines Körpers fühlend, beschloß Paul, eine der Geist-Körper-Lektionen auszuführen, die ihn seine Mutter gelehrt hatte. Drei schnelle Atemzüge entspannten ihn: Er sank hinein in das treibende Wissen … fixiert auf sein Bewußtsein und die aortale Ausdehnung … den unscharfen Mechanismus des Geistes meidend … Bewußtsein erlangen aus eigenem Antrieb … den Blutfluß steigernd und schnellfließend überlasteten Regionen zuführend … unmöglich, allein durch Instinkte Nahrung/Sicherheit/Freiheit zu erhalten … animalisches Bewußtsein dehnt sich nicht über gegebene Grenzen hinweg aus, noch tötet die Idee ihre Opfer … Das Tier zerstört und produziert nichts … Tierische Freuden bleiben empfindungsmäßig eintönig und vermeiden jegliche echte Wahrnehmung … Das Menschsein verlangt nach einer Hintertür, durch die man das Universum sehen kann … Das Bewußtsein ist deine Hintertür … Körperliche Integration ist nach dem Nerven/Blutfluß die tiefste Gewißheit zellarer Bedürfnisse … Alles/Zellen/Geschöpfe sind unbeständig … Streben nach innerer Permanenz … Weiter und weiter floß das Wissen durch Pauls Bewußtsein. Als das Morgengrauen die Gardinen seines Fensters mit gelbem Licht berührte, fühlte er dies durch die geschlossenen Lider. Er öffnete die Augen. Das altbekannte Hämmern und Hasten im Inneren der Burg nahm er ebenso wahr, wie die reichverzierte Decke seines Schlafgemachs.

Die Tür öffnete sich und seine Mutter schaute herein. Ihr Haar war umschattete Bronze, mit einem schwarzen Band, das die Krone hielt. Ihr ovales Gesicht war ohne jegliche Emotion, während ihre grünen Augen ihn mit einem feierlichen Blick musterten.

»Du bist wach«, stellte sie fest. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja.«

Paul musterte ihre hochgewachsene Gestalt und bemerkte an ihr Anzeichen von Spannung, als sie seine Kleider von den Bügeln nahm. Jeder andere hätte diesen Ausdruck übersehen — aber sie selbst hatte ihn in der Art der Bene Gesserit erzogen. Sie wandte sich um und hielt ihm ein halboffizielles Jackett, das über der Brusttasche das Emblem der Atreides' trug: einen roten Habicht, hin.

»Beeil dich mit dem Anziehen«, sagte sie. »Die Ehrwürdige Mutter wartet.«

»Ich habe von ihr geträumt«, sagte Paul. »Wer ist sie?«

»Auf der Bene-Gesserit-Schule war sie meine Lehrerin. Momentan ist sie die Wahrsagerin des Imperators. Und — Paul …« Sie zögerte. »Du sollst ihr von deinen Träumen erzählen.«

»Ich werde es tun. Ist sie dafür verantwortlich, daß wir Arrakis bekamen?«

»Wir haben Arrakis nicht bekommen.« Jessica klopfte Staub aus seinen Hosen und legte sie zusammen mit dem Jackett auf den neben dem Bett stehenden Ankleidetisch. »Laß die Ehrwürdige Mutter nicht warten.«

Paul setzte sich auf und umschlang mit den Armen die Knie. »Was ist ein Gom Jabbar?«

Erneut war es ihre eigene Ausbildung, die Paul zeigte, daß sie verunsichert war. Sie war nervös und schien ängstlich.

Jessica ging zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und starrte über die am Flußufer liegenden Obstgärten zum Syubiberg hinüber. »Du wirst über das … Gom Jabbar noch früh genug etwas erfahren«, sagte sie.

Paul hörte verwundert die Angst in ihrer Stimme.

Ohne sich umzuwenden, sagte Jessica: »Die Ehrwürdige Mutter wartet in meinem Morgensalon. Beeil dich bitte.«


Die Ehrwürdige Mutter Gaius Helen Mohiam saß in einem Lehnstuhl und wartete auf das Erscheinen von Mutter und Sohn. Die an jeder Seite befindlichen Fenster erlaubten ihr einen Ausblick auf die südliche Flußbiegung und das grüne Farmland der Familie Atreides, aber sie ignorierte ihn. An diesem Morgen fühlte sie ihr Alter deutlicher als jemals zuvor. Verantwortlich dafür war nach ihrer Ansicht der Raumflug und die dadurch unvermeidliche Kontaktaufnahme mit der Raumgilde und deren Geheimniskrämerei. Aber sie hatte eine Mission zu erledigen, die ihre persönliche Anwesenheit verlangte. Nicht einmal die Wahrsagerin des Padischah-Imperators konnte sich ihrer Pflicht entziehen, wenn der Notruf an sie erging.

Verflucht sei Jessica! dachte die Ehrwürdige Mutter. Konnte sie uns nicht eine Tochter gebären, so wie es ihr befohlen war?

Drei Schritte vor dem Stuhl hielt Jessica an, deutete eine knappe Verbeugung an und legte sanft ihre linke Hand an die Naht ihres Kleides. Paul führte die knappe Bewegung aus, die ihn sein Tanzmeister gelehrt hatte, jene, die »die Begrüßung solcher Personen, deren Rang noch nicht feststeht« hieß.

Die Sorgfalt in Pauls Gruß war der Ehrwürdigen Mutter nicht entgangen. Sie sagte: »Er ist vorsichtig, Jessica.«

Jessicas Hand legte sich auf Pauls Schulter und drückte sie. Für die Länge eines Herzschlages floß Furcht durch ihre Handfläche, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Er wurde so erzogen, Euer Ehrwürden.«

Was fürchtet sie? fragte sich Paul.

Die alte Frau musterte Paul mit einem kurzen Blick. Er hatte das ovale Gesicht Jessicas, wenn auch knochiger … Sein Haar: tiefschwarz, aber die Augenbrauen wie der Großvater mütterlicherseits, der nicht genannt werden kann, und die gleiche dünne, hochmütig wirkende Nase des alten Herzogs, seines verstorbenen Großvaters väterlicherseits.

Ein Mann, der die Macht der Herausforderung schätzt — selbst im Angesicht des Todes, dachte die Ehrwürdige Mutter.

»Eine gute Ausbildung ist wichtig«, sagte sie, »aber noch wichtiger ist die charakterliche Veranlagung. Wir werden sehen.« Ihre alten Augen musterten Jessica mit einem harten Blick. »Laß uns allein. Ich weise dich an, die Meditation des Friedens auszuführen.«

Jessica nahm die Hand von Pauls Schulter. »Euer Ehrwürden, ich …«

»Jessica, du weißt, daß es nicht anders geht.«

Verwirrt sah Paul seine Mutter an.

Jessica straffte sich. »Ja … natürlich …«

Erneut sah Paul auf die Ehrwürdige Mutter. Es war nicht nur reine Höflichkeit: allein die Tatsache, daß seine Mutter sich offenbar vor ihr fürchtete, riet ihm zur Vorsicht. Außerdem ärgerte er sich darüber.

»Paul …«, sagte Jessica nach einem tiefen Atemzug, »… der Test, dem du jetzt unterzogen wirst … Er ist sehr wichtig für mich.«

»Der Test?« Paul sah sie an.

»Vergiß nicht, daß du der Sohn eines Herzogs bist«, sagte Jessica. Sie verließ den Raum mit wehendem Kleid. Die Tür schloß sich sanft hinter ihr.

Paul musterte die alte Frau mit kaum verhohlenem Ärger. »Behandelt man Lady Jessica wie ein ordinäres Dienstmädchen?«

Ein Lächeln huschte über die Mundwinkel der Ehrwürdigen Mutter. »Lady Jessica war mein Dienstmädchen, Bursche, und zwar vierzehn Jahre lang, während ihrer Schulzeit.« Sie nickte. »Und zwar ein sehr gutes. Und jetzt komm her!«

Die beiden letzten Worte trafen Paul wie ein Peitschenschlag. Bevor er in die Lage kam, weiter darüber nachzudenken, stellte er fest, daß er ihrer Anweisung gehorchte. Ihre Stimme hat Gewalt über mich, dachte er. Auf eine Geste der Ehrwürdigen Mutter hin blieb er stehen.

»Siehst du das?« fragte sie. Sie zog einen grünen Metallwürfel mit einer Kantenlänge von etwa fünfzehn Zentimetern aus den Falten ihres Gewandes. Vor seinen Augen drehte sie ihn hin und her, und Paul konnte erkennen, daß eine Seite des Würfels offen war. Das Innere war schwarz und furchterregend. Nicht der kleinste Lichtstrahl erhellte die Öffnung.

»Steck deine rechte Hand hinein«, sagte die alte Frau.

Paul fürchtete sich plötzlich. Als er den Versuch machte, zurückzuweichen, sagte sie: »Gehorchst du so deiner Mutter?«

Paul schaute in glitzernde Augen.

Langsam, wie unter einem spürbaren Zwang, dem man nicht entweichen kann, tat Paul, was sie ihn geheißen hatte. Zuerst spürte er einen kalten Schauer. Die Schwärze umfaßte seine Hand, und langsam fing sie an zu prickeln, als würde sie einschlafen.

Ein erwartungsvoller Blick der Ehrwürdigen Mutter. Sie löste die rechte Hand von dem Würfel und brachte sie in die Nähe von Pauls Nacken. Etwas metallisch Blitzendes kam kurz in sein Blickfeld. Paul versuchte sich umzudrehen.

»Halt!« zischte die Ehrwürdige Mutter.

Schon wieder diese Stimme! Paul lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht zurück.

»Was du jetzt an deinem Nacken fühlst«, sagte sie, »ist das Gom Jabbar. Eine vergiftete Nadel, verstehst du? Wenn du einen Fluchtversuch machst, wirst du sie zu spüren bekommen.«

Trotz seiner trockenen Kehle versuchte Paul zu schlucken. Es war ihm unmöglich, den Blick von dem verwelkten Gesicht mit den blitzenden Augen und ihren metallisch leuchtenden Zähnen zu lösen.

»Der Sohn eines Herzogs sollte alles über Gifte wissen«, sagte sie. »Es ist ein Zeichen unserer Zeit, nicht wahr? Musky, das in Getränken verwendet wird. Oder Aumas, das man vorzugsweise fester Nahrung beigibt. Die schnell- und langsamwirkenden Gifte sowie alle Abstufungen dazwischen. Das Gom Jabbar ist ein völlig neues. Es tötet nur Tiere.«

Plötzlicher Stolz überflutete Pauls Furcht. Aufbrausend sagte er: »Ihr vergleicht den Sohn eines Herzogs mit einem Tier?«

»Sagen wir lieber, du bist möglicherweise ein Mensch«, erwiderte die Ehrwürdige Mutter. »Vorsicht! Ich habe dich gewarnt. Kontrolliere deine Bewegungen. Ich bin alt, aber dennoch in der Lage, die Nadel in dich zu bohren, bevor du meiner Reichweite entwischst.«

»Wer seid Ihr?« flüsterte Paul. »Wie habt Ihr es fertiggebracht, daß meine Mutter mich mit Euch allein ließ? Haben die Harkonnens Euch geschickt?«

»Die Harkonnens? Himmel, nein! Sei jetzt still.« Ein dürrer Finger berührte seinen Nacken und erzeugte den plötzlichen Impuls, wegzulaufen.

»Gut«, sagte die Ehrwürdige Mutter. »Du hast den ersten Test überstanden. Über das Weitere gibt es folgendes zu sagen: Wenn du die Hand herausziehst, wirst du sterben. Dies ist die einzige Spielregel. Laß sie drinnen und du lebst. Ziehe sie heraus und stirb.«

Um das leise Zittern seiner Glieder zu überspielen nahm Paul einen tiefen Atemzug. »Wenn ich schreie, werden in einigen Sekunden genügend Bedienstete hier sein, um Euch sterben zu lassen.«

»Kein Bediensteter wird es wagen, eine Tür zu passieren, vor der deine Mutter steht, vergiß das nicht. Deine Mutter hat diesen Test bereits bestanden. Jetzt bist du an der Reihe. Du solltest dir dieser Ehre bewußt sein. Wir unterziehen männliche Kinder nur selten diesem Test.«

Die Neugier reduzierte Pauls Angst zu einem überschaubaren Grad. Aus der Stimme der alten Frau klang Wahrheit, unzweifelhafte Wahrheit. Wenn seine Mutter draußen Wache stand … wenn dies wirklich ein Test war … Aber er konnte sowieso nicht mehr zurück: Das Gom Jabbar in seinem Nacken verhinderte es. Er rief sich die Litanei gegen die Furcht ins Gedächtnis zurück. Seine Mutter hatte sie ihm beigebracht, und auch sie gehörte zum Ritus der Bene Gesserit.

Ich darf mich nicht fürchten. Die Furcht tötet das Bewußtsein. Die Furcht führt zu völliger Zerstörung. Ich werde ihr ins Gesicht sehen. Sie soll mich völlig durchdringen. Und wenn sie von mir gegangen ist, wird nichts zurückbleiben. Nichts außer mir.

Er fühlte die Ruhe zurückkehren und sagte: »Mach weiter, alte Frau.«

»Alte Frau!« zischte sie. »Du hast wirklich Mut, das muß ich sagen. Nun, wir werden sehen, Sirra.« Sie beugte sich vor, ihre Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Du wirst Schmerz in deiner Hand spüren. Aber wenn du sie trotzdem zurückziehst, genügt ein kleiner Stich mit dem Gom Jabbar — und dein Tod kommt so schnell wie die Axt eines Henkers. Wenn du die Hand zurückziehst, bringt das Gom Jabbar dich um. Verstanden?«

»Was ist in diesem Kasten?«

»Schmerz.«

Ein leichtes Kitzeln in der Hand ließ ihn die Lippen aufeinanderpressen. Wie kann das ein Test sein? dachte er. Das Kitzeln wurde zu einem Jucken.

Die alte Frau sagte: »Hast du davon gehört, daß es Tiere gibt, die sich ein Bein abbeißen, um einer Falle zu entrinnen? So etwas bringen nur Tiere fertig. Ein Mensch in dieser Situation würde ausharren, leidend in seinem Schmerz, seinen Tod vortäuschen und darauf hoffen, den Jäger töten zu können, wenn er erscheint, um seine Beute abzuholen.«

Das Jucken wurde zu einem leichten Brennen. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Paul.

»Es dient dazu, herauszufinden, ob du ein Mensch bist. Und nun sei still.«

Als das Brennen noch stärker wurde, ballte sich Pauls Linke zur Faust. Jede Faser seines Körpers drängte ihn, die Hand zurückzuziehen … aber … da war noch das Gom Jabbar. Er versuchte, ohne den Kopf zu bewegen, einen Blick auf die vergiftete Nadel zu werfen. Er registrierte seinen stoßweise gehenden Atem und versuchte, dagegen anzukämpfen. Ohne Erfolg.

Schmerz!

Das Universum war eine völlige Leere, in der nichts außer seiner schmerzenden, sich in Agonie windenden Hand existierte und das faltige Gesicht der alten Frau. Es war nur wenige Zentimeter von seinem entfernt und starrte ihn an.

Pauls Lippen waren so trocken, daß er sie kaum mehr auseinanderbekam.

Wie es brannte! Wie es brannte!

Er glaubte zu fühlen, wie langsam sein Fleisch verschmorte, wie es von seiner Hand fiel und nichts als versengte Knochen zurückließ.

Dann hörte es auf!

Der Schmerz verschwand, als hätte jemand ihn einfach abgeschaltet.

Pauls rechter Arm zitterte. Er war schweißgebadet.

»Genug«, murmelte die alte Frau. »Kull wahad! Kein weibliches Kind hätte das ausgehalten. Das hätte ich niemals erwartet.« Sie lehnte sich wieder zurück und nahm das Gom Jabbar von seinem Nacken. »Zieh die Hand nun aus dem Kasten, junger Mensch, und sieh sie dir an.«

Paul kämpfte mit einem Übelkeitsgefühl und starrte auf die lichtlose Leere, in der seine Hand immer noch steckte. Die Erinnerung an den Schmerz verhinderte die kleinste Bewegung. Irgendwie wurde er den Verdacht nicht los, daß aus seiner Hand ein verkohlter Stumpf geworden war.

»Zieh sie heraus!« zischte die Ehrwürdige Mutter.

Paul tat es. Er war verblüfft. Seine Hand war unverletzt. Sie zeigte nicht das geringste Anzeichen der Tortur. Er hob sie hoch, drehte sie und bewegte die Finger.

»Schmerzen durch Nerveninduktion«, erklärte die Ehrwürdige Mutter. »Schließlich können wir potentielle Menschen nicht einfach verstümmeln. Es gibt eine Menge Leute, die einiges für das Geheimnis dieses Kastens hergeben würden.« Sie ließ ihn wieder in den Falten ihres Gewandes verschwinden.

»Aber die Schmerzen …«, sagte Paul.

»Schmerzen«, erwiderte sie verächtlich. »Ein Mensch kann jeden körperlichen Schmerz bezwingen.«

Erst jetzt wurde Paul der Pein gewahr, die von seiner anderen Hand ausging. Als er sie öffnete, stellte er fest, daß seine Fingernägel vier blutende Wunden hineingerissen hatten. Er ließ den Arm an seinem Körper herunterbaumeln und sah die alte Frau an: »Und das gleiche habt Ihr auch mit meiner Mutter getan?«

»Hast du schon einmal Sand durch ein Sieb geschüttet?« fragte die Ehrwürdige Mutter.

Der oberflächliche Tonfall ihrer Worte verwirrte ihn. Ob er jemals Sand durch ein Sieb geschüttet hatte? Natürlich.

»Wir Bene Gesserit sieben Leute, um unter ihnen Menschen zu finden.«

Paul hob die rechte Hand. Er dachte an den Schmerz zurück. »Und das ist alles, um einen Menschen zu finden? Nichts als Schmerz?«

»Ich habe dich in deinem Schmerz beobachtet, mein Junge. Der Schmerz ist das Kriterium, in dem sich der Mensch beweist. Deine Mutter wird dir sicher davon erzählt haben, wie wir vorgehen. Ich erkenne es an deinem Benehmen. Unser Test besteht aus der menschlichen Krisis und deren Auswertung.« Die Bestimmtheit ihrer Worte sagte ihm: »Es ist die Wahrheit!«

Und die Ehrwürdige Mutter sah ihn an und dachte: Er spürt daß es die Wahrheit ist! Konnte er es sein? Könnte er es wirklich sein? Ihre Erregung unterdrückend erinnerte sie sich: Die Hoffnung beeinträchtigt die Beobachtung. Laut sagte sie: »Du weißt genau, wann die Leute auch glauben, was sie sagen, nicht wahr?«

»Ich weiß es.« Die Selbstsicherheit seiner Stimme zeigte, daß er dies nicht erst durch ihren Test herausgefunden hatte.

»Möglicherweise bist du der Kwisatz Haderach«, sagte die Ehrwürdige Mutter. »Setz dich zu meinen Füßen, kleiner Bruder.«

»Ich möchte lieber stehen bleiben.«

»Auch deine Mutter hat einst zu meinen Füßen gesessen.«

»Ich bin nicht meine Mutter.«

»Du liebst uns nicht gerade, wie?« Sie warf einen Blick auf die Tür und rief: »Jessica!«

Die Tür flog auf. Jessica stand in der Öffnung und warf einen entschlossenen Blick in den Raum. Die Härte ihres Blicks schmolz dahin, als sie Paul gewahrte. Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Züge.

»Hast du eigentlich je aufgehört mich zu hassen, Jessica?« fragte die alte Frau.

»Ich liebe und hasse Euch«, erwiderte Jessica. »Mein Haß ist eine Folge der Schmerzen, die ich niemals vergessen kann. Meine Liebe …«

»Das sind Grundvoraussetzungen«, warf die alte Frau ein, ohne dabei unfreundlich zu werden. »Du kannst nun hereinkommen. Aber mische dich nicht ein. Schließ die Tür und sorge dafür, daß wir von niemandem gestört werden.«

Jessica trat ein, schloß die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Mein Sohn lebt, dachte sie. Mein Sohn lebt und ist … ein Mensch. Ich wußte, daß er es ist … aber … er lebt. Nun kann auch ich anfangen zu leben. Die Türfüllung fühlte sich hart und existierend an. Alle Gegenstände dieses Raumes erschienen ihr von einer Kompaktheit, die sich gegen ihre Sinne drückte.

Mein Sohn lebt.

Paul schaute seine Mutter an. Sie hat die Wahrheit gesagt. Am liebsten wäre er fortgelaufen, um diese neue Erfahrung in völligem Alleinsein zu überdenken, aber es war ihm klar, daß er nicht gehen konnte, ehe man ihn entließ. Die alte Frau hatte eine geheimnisvolle Macht über ihn. Sie hatten die Wahrheit gesagt. Seine Mutter hatte sich diesem Test unterzogen. Er mußte einem schrecklichen Zweck dienen … denn auch der Schmerz und die Angst waren schrecklich gewesen. Sicher diente all das einem bestimmten Ziel, und obwohl er keine Ahnung hatte, um welches es sich handelte, hatte er das Gefühl, daß er bereits davon infiziert war.

»Eines Tages, Junge«, sagte die alte Frau, »wirst auch du vor solch einer Tür stehen. Und es wird dir eine Menge abverlangen.«

Paul sah auf seine Hand hinab und schließlich wieder zur Ehrwürdigen Mutter hinüber. Der Klang ihrer Stimme hatte sich diesmal radikal von der unterschieden, die sie während des Tests benutzt hatte. Ihre Worte klangen diesmal ausgefeilt. Er hatte das Gefühl, daß, wenn er ihr jetzt eine Frage stellte, sie ihm eine Antwort geben würde, die ihn hinausführte aus seinem fleischlichen Sein, hinaus in eine Welt unbekannter Größe.

»Weshalb sucht Ihr nach Menschen?« fragte er.

»Um sie zu befreien.«

»Um sie zu befreien?«

»Die Menschen haben einst das Denken Maschinen überlassen, in der Hoffnung, daß sie dies befreien würde. Aber es hat nur dazu geführt, daß jene, die die Maschinen bedienten, die übrigen versklavten.«

»Du sollst keine Maschine nach deinem geistigen Ebenbilde machen«, rezitierte Paul.

»So sagt es die Losung von Butlers Djihad und die Orange-Katholische Bibel«, erwiderte die Ehrwürdige Mutter. »Aber die wahre Bedeutung dieser Worte hätte lauten sollen: ›Du sollst keine Maschine nach dem menschlichen Bewußtsein machen.‹ Hast du die Worte des in euren Diensten stehenden Mentats studiert?«

»Ich habe zusammen mit Thufir Hawat studiert.«

»Die Große Revolte hat eine Krücke zerschlagen«, sagte die alte Frau. »Sie hat den menschlichen Geist zur Weiterentwicklung gezwungen. Nach ihr entstanden Schulen zur Förderung menschlicher Talente.«

»Die Schulen der Bene Gesserit?«

Sie nickte. »Es gibt zwei Überlebende dieser alten Schulen: die Bene Gesserit und die Raumgilde. Nach unserer Auffassung spezialisiert sich die Gilde hauptsächlich auf mathematische Begabungen. Die Bene Gesserit haben eine andere Funktion.«

»Politik«, sagte Paul.

»Kull wahad!« entfuhr es der Ehrwürdigen Mutter. Sie warf Jessica einen scharfen Blick zu.

»Ich habe ihm nichts davon erzählt, Euer Ehrwürden«, sagte sie schnell.



Die Ehrwürdige Mutter konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Paul. »Du hast eine ausgezeichnete Kombinationsgabe«, sagte sie. »Es handelt sich tatsächlich um Politik. Die erste Bene-Gesserit-Schule wurde gegründet, weil es ein Bedürfnis nach einer kontinuierlichen Weiterentwicklung menschlichen Zusammenlebens gab. Und man sah voraus, daß dies nur möglich war, wenn man die Menschen von den Tieren trennte. Aus Zuchtgründen.«

Die Worte der alten Frau verloren für Paul plötzlich jegliche Schärfe. Irgend etwas nagte an dem, was seine Mutter den Instinkt, die Wahrheit zu fühlen, nannte. Es war nicht so, daß er das Gefühl hatte, von der Ehrwürdigen Mutter angelogen zu werden. Sie glaubte offenbar wirklich, was sie sagte. Aber da war irgend etwas … etwas Tiefes, das ein ungutes Gefühl in ihm erzeugte.

Er sagte: »Meine Mutter hat mir erzählt, daß viele Bene Gesserit gar nicht wissen, von wem sie abstammen.«

»Die genetischen Kodes befinden sich immer in unseren Unterlagen«, erwiderte die alte Frau. »Deine Mutter weiß zumindest, daß sie entweder von einer Bene Gesserit abstammt oder von einer Familie, die aus anderen Gründen wertvoll genug war, um Aufnahme zu finden.«

»Und warum darf sie dann nicht erfahren, wer ihre Eltern waren?«

»Manche Bene Gesserit wissen es. Andere nicht. Es hätte zum Beispiel erforderlich sein können, sie mit einem nahen Verwandten zu verheiraten, um bestimmte Eigenschaften ihrer Nachkommen verstärkt hervortreten zu lassen. Es kann da vielerlei Gründe geben.«

Erneut wurde Paul von dem ungewissen Gefühl bedrängt. »Ihr nehmt damit eine große Last auf euch«, meinte er.

Während die Ehrwürdige Mutter ihn musterte, dachte sie: War da Kritik in seinen Worten? »Wir tragen wirklich eine schwere Last«, gab sie zu.

Paul fühlte, daß die schockähnlichen Nachwirkungen des Tests langsam von ihm wichen. Er warf der alten Frau einen nachdenklichen Blick zu und sagte: »Ihr sagt, ich sei möglicherweise der … Kwisatz Haderach. Was ist das? Ein menschliches Gom Jabbar?«

»Paul«, warf Jessica ein, »du solltest nicht in diesem Ton mit …«

»Ich schaffe das auch allein, Jessica«, sagte die alte Frau. Paul zugewandt fragte sie: »Hast du je von der Wahrheitsdroge gehört?«

»Ihr benutzt sie, um die Wahrheit besser von der Lüge unterscheiden zu können«, erwiderte Paul. »Meine Mutter hat mir davon erzählt.«

»Hast du schon eine Wahrheitstrance gesehen?«

Paul schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Die Droge ist gefährlich«, sagte die Ehrwürdige Mutter, »aber sie hat auch einen Nutzen. Wenn eine Wahrsagerin unter dem Einfluß der Droge steht, ist sie in der Lage, unendlich viele Geschehnisse der Vergangenheit in ihr Gedächtnis zurückzurufen. Wir sehen zurück auf die Straßen der Vergangenheit … allerdings nur auf jene, über die weibliche Wesen geschritten sind.« Ihre Stimme hatte nun einen fast traurigen Unterton. »Aber es gibt auch Vergangenheiten, in die wir nicht sehen können, Vergangenheiten, vor denen wir entsetzt zurückschrecken. Es heißt, daß eines Tages ein Mann kommen wird, der fähig ist, mit Hilfe dieser Droge auch dorthin zu sehen, wo es uns untersagt ist. Daß er sowohl in die männlichen wie auch in die weiblichen Vergangenheiten sehen kann.«

»Der Kwisatz Haderach?«

»Ja, derjenige, der an vielen Orten zugleich sein kann: der Kwisatz Haderach. Viele Männer haben die Droge versucht, aber nicht einer hat Erfolg gehabt.«

»Alle, die es versuchten, haben versagt?«

»O nein.« Die Ehrwürdige Mutter schüttelte den Kopf. »Alle, die es versuchten, sind gestorben.«

2

Der Versuch, den Muad'dib zu verstehen, ohne seine Todfeinde, die Harkonnens, zu kennen, bedeutet das gleiche, als würde man versuchen, die Wahrheit kennenzulernen, ohne je von der Lüge gehört zu haben. Oder das Licht zu suchen, ohne je in der Dunkelheit gelebt zu haben. Es ist unmöglich.

Aus ›Leitfaden des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Der teilweise im Schatten liegende Globus einer Welt drehte sich unter den Bewegungen einer fetten, mit glitzernden Ringen bestückten Hand. Man hatte ihn an eine Wand des fensterlosen Raumes montiert, dessen andere Wände von Regalen bedeckt waren, die ein wirres Durcheinander von verschiedenfarbigen Rollen, Filmbüchern, Tonbändern und Spulen enthielten. Sanft leuchtende Lampen, die dicht unter der Decke hingen, erhellten die Szenerie.

In der Mitte des Raumes stand ein ellipsenförmiger Tisch. Sich den Körperbewegungen anpassende Suspensorsessel vervollständigten die Einrichtung. Zwei von ihnen waren besetzt. Im ersten saß ein dunkelhaariger junger Mann von etwa sechzehn Jahren, mit rundem Gesicht und mürrischem Blick. In dem anderen: ein schlanker, kleiner Mann mit verweichlichten Zügen.

Beide starrten sie auf den Globus, der sich unter den Händen des im Halbschatten verborgenen dritten Mannes drehte. Der Mann kicherte plötzlich. »Da haben wir sie, Piter — die größte Menschenfalle aller Zeiten. Und der Herzog stürzt sich geradewegs in sie hinein. Ist es nicht genial, was ich, Baron Wladimir Harkonnen, mir ausgedacht habe?«

»Gewiß doch, Baron«, erwiderte der Angesprochene. Seine Stimme klang wie ein süßer, melodischer Tenor.

Die fleischige Hand fiel auf den Globus herab und stoppte dessen Rotation. Nun, wo er stillstand, konnte man erkennen, daß er ein kostbarer Gegenstand war, hergestellt für reiche Sammler oder die planetarischen Gouverneure des Imperiums. Und es trug in der Tat das imperiale Siegel. Die Längen- und Breitengrade bestanden aus hauchzarten Platindrähten. Die Polkappen waren feine Diamanten von milchiger Farbe.

Nun glitt die Hand über die Oberfläche. »Ich lade euch zu einem Ausblick ein«, rumpelte die Baßstimme. »Schau dir das an, Piter; und du auch, Feyd-Rautha, mein Liebling: von sechzig Grad nördlicher bis siebzig Grad südlicher Breite reichen diese herrlichen Wellen. Und ihre Farbe! Erinnert sie euch nicht auch an die Süße von Karamellen? Und nirgendwo sieht man das herrliche Blau eines Sees oder Ozeans. Und erst diese lieblichen Polkappen! Wie klein sie sind. Wer könnte diesen Planeten schon mit einem anderen verwechseln? Es ist Arrakis! Der Einzigartige! Ein wirklich begehrenswerter Preis für einen Sieg.«

Ein Lächeln huschte über Piters Lippen. »Und wenn man bedenkt, daß der Padischah-Imperator glaubt, er habe dem Herzog Euren Gewürzplaneten geschenkt … Es ist einfach … pfefferig!«

»Unterlasse diese nichtssagenden Bemerkungen«, brummte der Baron. »Das tust du sowieso nur, um Feyd-Rautha zu verwirren. Es gibt außerdem auch keinen Grund, meinen Neffen für einen Tölpel zu halten.«

Als hinter ihm an die Tür geklopft wurde, richtete sich der mürrisch dreinblickende junge Mann in seinem Sessel auf und strich eine Falte seines Hemdes glatt.

Piter erhob sich, öffnete die Tür aber nur so weit, daß es reichte, um einen Nachrichtenzylinder entgegenzunehmen. Dann schloß er sie wieder, öffnete den Zylinder und breitete ihn vor sich aus. Er kicherte in sich hinein.

»Nun?« wollte der Baron wissen.

»Der Narr hat uns geantwortet, Baron!«

»Wann hätte sich auch je ein Atreides geweigert, die Gelegenheit einer Geste nicht beim Schopf zu ergreifen?« fragte der Baron. »Was schreibt er denn?«

»Er benimmt sich reichlich unhöflich, Baron. Redet Sie einfach mit ›Harkonnen‹ an. ›Sire und werter Cousin‹, kein Titel, nichts.«

»Harkonnen ist ein ebenso guter Name«, brummte der Baron, aber seine Stimme strafte ihre Aussage Lügen. »Was schreibt Leto genau?«

»Er schreibt: Das von Ihnen vorgeschlagene Treffen ist abgelehnt. Ich weiß, daß Sie ein Verräter sind, und das wissen alle Menschen.«

»Sonst noch was?« fragte der Baron.

»Er schreibt weiter: Auch heute noch besitzt die Kunst des Kanly Anhänger im Imperium. Unterzeichnet hat er mit Herzog Leto von Arrakis …« Piter fing an zu lachen. »Von Arrakis! O je! Das ist einfach zuviel!«

»Sei still, Piter«, sagte der Baron. Das Gelächter erstarb abrupt. »Kanly, wie?« fragte der Baron. »Eine Vendetta, heh? Und er benutzt extra dieses traditionelle Wort, damit ich weiß, daß er es auch ernst meint.«

»Sie waren es, der einen Friedensvorschlag gemacht hat«, sagte Piter. »Damit ist die Form gewahrt.«

»Für einen Mentaten redest du zuviel, Piter«, sagte der Baron. Und dachte: Ich muß ihn mir bald vom Halse schaffen. Er ist jetzt zu nichts mehr nütze. Er starrte ruhig seinen Mentat-Assassinen an, dessen Augen, weiße Schlitze, umgeben von wenigem Blau, seinen Blick ebenso erwiderten.

Ein Grinsen flog über Piters Gesicht. Im Zusammenhang mit seinen höhlenhaften, fast kein Weiß enthaltenden Augen wirkte es wie eine maskenhafte Grimasse. »Aber Baron! Niemals zuvor hat es eine herrlichere Rache gegeben! Es ist das ultimative Hintergehen, Leto zu veranlassen, Caladan für Arrakis herzugeben. Und er hat keine andere Wahl, als diesem kaiserlichen Befehl zu gehorchen. Wie gerissen von Ihnen!«

»Du schwatzt wie ein altes Weib, Piter«, erwiderte der Baron mit eiskalter Stimme.

»Weil ich glücklich bin, mein Baron. Während Sie … eifersüchtig sind.«

»Piter!«

»Aber Baron! Ist es nicht schade, daß Sie diesen Plan nur mit fremder Hilfe ausarbeiten konnten?«

»Irgendwann werde ich dich erwürgen lassen, Piter.«

»Aber selbstverständlich, Baron. Enfin!«

»Stehst du unter Verite oder Semuta, Piter?«

»Wer die Wahrheit ohne Furcht ausspricht, verunsichert den Baron«, sagte Piter. Sein Gesicht wurde zur Karikatur einer erstarrten Maske. »Oho, Baron! Sie sollten wissen, daß es ein Mentat stets vorher weiß, wann der Henker zu ihm kommt. Sie werden sich meiner Dienste bedienen, solange ich Ihnen von Nutzen bin. Mich früher umbringen zu lassen, bedeutet Vergeudung, und ich bin immer noch für viele Dinge gut. Ich weiß, was Sie von diesem lieblichen Wüstenplaneten gelernt haben: Vergeude nichts! Stimmts, Baron?«

Der Baron starrte ihn schweigend an.

Feyd-Rautha bewegte sich in seinem Sessel. Diese elenden Narren, dachte er. Es ist meinem Onkel einfach nicht möglich, mit diesem Mentaten zu reden, ohne gleich Streit anzufangen. Glauben die beiden etwa, ich hätte nichts Besseres zu tun, als ihrem Gewäsch zuzuhören?

»Feyd«, sagte der Baron, »ich habe dir gesagt, daß du zuhören und lernen sollst, als ich dich hierherbrachte. Lernst du?«

»Ja, Onkel.« Feyds Stimme klang betont unterwürfig.

»Manchmal«, fuhr der Baron fort, »wundere ich mich über Piter. Wenn ich jemandem Schmerzen zufüge, tue ich das, weil es keinen anderen Weg gibt. Aber er … ich glaube, er hat wirklich Spaß daran. Mir selbst tut der arme Leto fast leid. Bald wird Dr. Yueh gegen ihn losschlagen, und das wird dann das Ende seiner Familie sein. Und dann wird Leto erfahren, wer sich dieses gefügigen Mediziners bediente. Dieses Wissen muß schrecklich sein.«

»Warum, wenn Sie schon Mitleid mit ihm haben, wiesen Sie den Doktor nicht an, ihm ein Kindjal zwischen die Rippen zu stoßen?« fragte Piter. »Das wäre doch ein schnellerer Tod gewesen.«

»Der Herzog muß wissen, daß ich es war, der sein Haus zum Einsturz brachte«, erwiderte der Baron. »Und die anderen Hohen Häuser sollen daraus eine Lehre ziehen. Dieses Wissen wird sie zögern lassen. Um so mehr Zeit habe ich für die Durchführung meiner weiteren Pläne. Die Notwendigkeit meines Handelns dürfte offensichtlich sein, auch wenn ich es verabscheue.«

»Zeit für die Durchführung Ihrer Pläne«, schnarrte Piter in spöttischem Ton. »Merken Sie nicht, daß der Imperator bereits auf Sie aufmerksam geworden ist, Baron? Sie gehen zu schnell vor. Eines Tages wird er eine oder zwei Legionen seiner Sardaukar hierher nach Giedi Primus senden. Und das wird dann das Ende des Barons Wladimir Harkonnen darstellen.«

»Das würde dir gefallen, nicht wahr, Piter?« fragte der Baron. »Es würde dich mit unbändiger Freude erfüllen, zuzusehen, wie die Horden der Sardaukar durch meine Städte toben und meine Burg niederreißen. Natürlich würde es dir gefallen.«

»Ist das nicht verständlich, Baron?« flüsterte Piter.

»Du hättest einen guten Bashar abgegeben«, erwiderte der Baron. »Es käme deiner Freude an Blut und Schmerz sehr entgegen. Vielleicht habe ich dir deinen Anteil an der Arrakis-Beute ein wenig zu schnell zugesichert.«

Piter machte fünf eilige Schritte und blieb direkt hinter Feyd-Rautha stehen. Der junge Mann sah den Mentaten mit einem unguten Gefühl an. Die leichte Spannung, die in der Luft lag, war nicht zu ignorieren.

»Treiben Sie keine Spielchen mit Piter, Baron«, sagte Piter. »Sie haben mir Lady Jessica versprochen. Sie haben sie mir versprochen!«

»Und was stellst du mit ihr an, Piter?« fragte der Baron. »Sie foltern?«

Piter starrte ihn an. Er sagte nichts.

Feyd-Rautha drehte seinen Suspensorensessel und sagte: »Soll ich noch hierbleiben, Onkel? Du sagtest …«

»Mein Liebling Feyd-Rautha wird unruhig«, sagte der Baron. Er bewegte sich innerhalb des Globusschattens. »Immer ruhig bleiben, Feyd.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Mentaten zu. »Und was soll mit Paul geschehen, lieber Piter?«

»Er wird Ihnen gehören, Baron«, murmelte Piter.

»Danach habe ich nicht gefragt«, sagte der Baron. »Du wirst dich doch noch daran erinnern, daß du voraussagtest, diese Bene-Gesserit-Hexe wurde eine Tochter gebären? Hast du dich dabei geirrt, Mentat?«

»Ich irre mich nicht oft, Baron«, entgegnete Piter, zum erstenmal mit Furcht in der Stimme. »Gestehen Sie mir zu, daß ich mich nicht oft geirrt habe. Und daß die Bene Gesserit größtenteils Töchter gebären, ist sogar Ihnen bekannt. Selbst die Gemahlin des Imperators hat nur Mädchen das Leben geschenkt.«

Feyd-Rautha sagte: »Onkel, du sagtest, hier würde etwas von Wichtigkeit beredet …«

»Hör dir meinen Neffen an«, unterbrach der Baron Piter zugewandt. »Er will einst über meine Ländereien herrschen und ist nicht einmal in der Lage, seine eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten.« Er verhielt neben dem Globus seinen Schritt, wurde zu einem Schatten unter Schatten. »Nun denn, Feyd-Rautha Harkonnen: Ich habe dich hierher gebeten weil ich hoffte, dir etwas Weisheit vermitteln zu können. Hast du die Zeit genutzt, um unseren lieben Mentaten eingehend zu beobachten? Hast du aus seinem Verhalten einige Lehren ziehen können?«

»Aber Onkel …«

»Es ist ein reichlich frecher Mentat, würdest du das abstreiten, Feyd?«

»Das stimmt, aber …«

»Aha! Es stimmt, aber! Er nimmt zuviel von diesem Gewürz er frißt es wie Zucker! Schau dir seine Augen an! Er sieht so aus, als käme er geradewegs aus der arrakisischen Arbeiterklasse. Er leistet etwas, aber er neigt trotzdem zu emotionellen und unkontrollierten Ausbrüchen. Leistungsfähig ist er, aber dennoch kann er irren.«

Piter sagte mürrisch: »Haben Sie mich gerufen, um meine Fähigkeiten herabzusetzen, Baron?«

»Deine Fähigkeiten herabsetzen? Du solltest mich besser kennen, Piter. Ich wollte meinem Neffen lediglich die Grenzen eines Mentaten veranschaulichen.«

»Bereiten Sie bereits meine Ablösung vor?« verlangte Piter zu wissen.

»Deine Ablösung? Wo sollte ich schon einen Mentaten mit deiner Geschicklichkeit und Durchtriebenheit hernehmen?«

»Dort, wo Sie mich fanden, Baron.«

»Vielleicht sollte ich das wirklich tun«, grübelte der Baron. »Du wirkst in letzter Zeit ein wenig labil. Und dann die Gewürze, die du verschlingst!«

»Bin ich in meinen Genüssen zu maßlos, Baron? Ärgern Sie sich darüber?«

»Deine Genüsse, mein lieber Piter, sind es, die uns trennen. Wie konnte ich darauf wütend sein? Ich wünsche mir lediglich, daß mein Neffe sie an dir kennenlernt.«

»Dann werde ich also hier zur Schau gestellt«, meinte Piter sarkastisch. »Soll ich tanzen? Soll ich eine Vorstellung meiner verschiedenen Fähigkeiten für den ehrenwerten Feyd-Rau…«

»Genau«, sagte der Baron. »Du wirst hier zur Schau gestellt. Und jetzt sei still.«

Er warf Feyd-Rautha einen kurzen Blick zu und stellte fest, daß dessen Lippen, die genau dem Markenzeichen der Harkonnens entsprachen, sich spöttisch verzogen hatten.

»Dies, Feyd, ist ein Mentat. Er wurde dazu ausgewählt und erzogen, die unterschiedlichsten Funktionen zu erfüllen. Daß er sich in einem menschlichen Körper befindet, darf man keinesfalls vergessen. Es ist ein ernsthafter Nachteil. Manchmal glaube ich fast, daß unsere Vorfahren mit ihren Denkmaschinen gar nicht ganz so falsch gelegen haben.«

»Das waren Spielzeuge im Vergleich zu mir«, warf Piter ein. »Selbst Sie, Baron, wären diesen Maschinen weit überlegen gewesen.«

»Vielleicht«, gab der Baron zu. »Ah, jedenfalls …« Er zog tief die Luft ein und rülpste. »Erkläre meinem Neffen die wichtigsten Punkte unseres Feldzuges gegen das Haus Atreides. Agiere als Mentat für uns, wenn du willst.«

»Ich habe Sie darauf hingewiesen, Baron, daß es gefährlich sein kann, diese Informationen vor einem so jungen Mann auszubreiten. Meine Beobachtungen …«

»Hier treffe ich die Entscheidungen«, warf der Baron ein. »Dies ist ein Befehl, Mentat! Erfülle eine deiner Pflichten!«

»So sei es«, erwiderte Piter resigniert. Seine Gestalt straffte sich und nahm den Ausdruck von Würde an. Es war natürlich nur eine andere seiner Masken, aber diesmal verhüllte sie seinen ganzen Körper. »In einigen Standardtagen wird der gesamte Hof Herzog Letos ein Schiff der Raumgilde besteigen, das nach Arrakis fliegt. Sie werden nicht in unserer Stadt Carthag, sondern in Arrakeen landen, weil der Mentat des Herzogs, Thufir Hawat, herausgefunden hat, daß Arrakeen leichter zu verteidigen ist.«

»Hör ihm gut zu, Feyd«, sagte der Baron. »Und achte auf die Pläne, die Pläne und wiederum Pläne enthalten.«

Nickend dachte Feyd-Rautha: Dies ist schon eher etwas, das das Zuhören lohnt. Endlich wird mich der alte Schurke in seine Geheimnisse einweihen. Er hat sich also wohl wirklich entschlossen, mich zu seinem Erben zu machen.

»Es existieren mehrere verschiedene Möglichkeiten«, führte Piter aus. »Nehmen wir uns die vor, nach der das Haus Atreides nach Arrakis zieht. Wir dürfen allerdings nicht außer acht lassen, daß der Herzog möglicherweise mit der Gilde einen Vertrag abgeschlossen hat, der ihm das Recht gibt, außerhalb des Systems einen sicheren Ort aufzusuchen. Andere Familien sind unter ähnlichen Umständen zu Renegaten geworden und flohen über die Grenzen des Imperiums hinaus.«

»Der Herzog ist zu stolz, um dergleichen zu tun«, gab der Baron zu bedenken.

»Es ist aber eine Möglichkeit«, sagte Piter. »Der Effekt würde für uns jedenfalls der gleiche sein.«

»Nein, das würde er nicht!« grollte der Baron. »Ich will, daß er stirbt — und mit ihm seine Familie.«

»Was natürlich die beste Möglichkeit wäre«, gab Piter zu. »Es gibt meist sichere Anzeichen dafür, wenn ein Hohes Haus einen Renegatenstandpunkt vorbereitet. Der Herzog jedenfalls scheint keine derartigen Pläne zu haben.«

»Eben«, sagte der Baron, »mach nun weiter, Piter!«

»Der Herzog und seine Familie«, fuhr Piter fort, »wird in Arrakeen seine Residenz aufschlagen. Und zwar dort, wo früher Graf und Lady Fenring lebten.«

»Der Gesandte bei den Schmugglern«, kicherte der Baron.

»Welcher Gesandte?« fragte Feyd-Rautha.

»Ihr Onkel beliebte zu scherzen«, sagte Piter. »Er bezeichnet Graf Fenring als Gesandter bei den Schmugglern, weil er damit andeuten will, daß der Imperator ein gewisses Interesse am Schmuggel auf Arrakis hat.«

Verblüfft starrte Feyd-Rautha seinen Onkel an.

»Und warum?«

»Stell dich nicht dümmer an als du bist, Feyd«, knurrte der Baron. »Wie sollte es anders gehen, solange die Raumgilde außerhalb der imperialen Kontrolle steht? Wie sollten sich Spione und Assassinen sonst bewegen können?«

Feyd-Rautha äußerte ein lautloses »Oooohhh.«

»In der Residenz selbst haben wir für einige interessante Abwechslungen gesorgt«, erklärte Piter. »Unter anderem wird es ein Attentat auf den herzoglichen Erben geben, das uns sehr erfolgversprechend scheint.«

»Piter«, grollte der Baron, »du hast gesagt …«

»Ich habe gesagt, daß Unfälle nicht ausgeschlossen werden können. Und das Attentat muß unbedingt echt wirken.«

»Ah«, stöhnte der Baron, »und das, obwohl das Bürschlein einen solch hübschen Körper hat! Aber natürlich ist er potentiell viel gefährlicher als sein Vater … nachdem diese Hexe von einer Mutter ihn ausgebildet hat. Der Teufel soll sie holen. Aber … erzähle ruhig weiter, Piter.«

»Hawat ist wahrscheinlich darauf vorbereitet, daß wir in der Umgebung des Hauses Atreides einen Agenten sitzen haben. Sein Verdacht wird auf Dr. Yueh fallen, der tatsächlich unser Mann ist. Aber Hawat hat bei seinen Nachforschungen herausgefunden, daß Yueh ein Absolvent der Suk-Schule ist und eine kaiserliche Konditionierung besitzt. Und das ist Yuehs Pluspunkt, denn mit dieser Konditionierung könnte er sogar Leibarzt des Imperators werden. Es ist zudem eine altbekannte Tatsache, daß man diese Konditionierung nicht aufheben kann, ohne ihren Träger zu töten. Angeblich findet man eher eine Methode, einen Planeten in eine andere Umlaufbahn zu zwingen, als die kaiserliche Konditionierung zu durchbrechen. Wir haben diese Methode allerdings gefunden.«

»Und wie?« fragte Feyd-Rautha. Diese Geschichte faszinierte ihn. Jedermann wußte, daß eine kaiserliche Konditionierung nicht zu zerstören war!

»Das erfährst du ein anderesmal«, sagte der Baron. »Erzähle weiter, Piter.«

»Um von Yueh abzulenken«, sagte Piter, »richten wir Hawats Aufmerksamkeit auf eine andere Person. Allein die Kühnheit dieser Verdächtigen genügt, Hawats Sinne voll auf sie zu lenken.«

»Ihre?« fragte Feyd-Rautha.

»Es handelt sich um Lady Jessica«, erklärte der Baron.

»Clever, nicht wahr?« fragte Piter. »Hawat wird mit ihr so beschäftigt sein, daß er unfähig sein wird, seine anderen Mentat-Funktionen auszuüben. Möglicherweise versucht er sogar, sie umzubringen.« Piter zuckte die Achseln. »Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß er dazu in der Lage ist.«

»Das würde mit deinen eigenen Plänen kollidieren, wie?« fragte der Baron.

»Lenken Sie nicht vom Thema ab«, sagte Piter. »Während Hawat damit beschäftigt ist, Lady Jessica zu beobachten, verschaffen wir ihm zusätzlich einige Meutereien in den Garnisonsstädten und ähnliches, die natürlich niedergeschlagen werden. Der Herzog muß in den Glauben verfallen, allmählich bekomme er alles unter Kontrolle. Dann, wenn der richtige Moment gekommen ist, geben wir Yueh das Zeichen zum Zuschlagen. Gleichzeitig marschieren wir mit unserer Hauptstreitmacht ein und … äh …«

»Mach weiter, erzähl ihm alles«, verlangte der Baron.

»Unsere Truppen werden bei diesem Unternehmen durch zwei Legionen der Sardaukar unterstützt, die die Uniform der Harkonnens tragen.«

»Sardaukar!« Feyd-Rautha schnappte nach Luft. Vor seinem geistigen Auge marschierten sie auf, die hartgesichtigen, gnadenlosen Mörder, die militaristischen Fanatiker des Padischah-Imperators.

»Du siehst also, daß ich dir vertraue, Feyd«, sagte der Baron. »Nicht die geringste Kleinigkeit von dem, was wir hier besprochen haben, darf je an die Ohren der anderen Hohen Häuser dringen. Wenn etwas davon an die Öffentlichkeit kommt, werden sich die Häuser des Landsraad gegen das Haus des Imperators vereinigen und das Chaos bräche los.«

»Ein wichtiger Gesichtspunkt«, warf Piter ein, »ist dieser: Da das Haus Harkonnen dem Imperator die Schmutzarbeit abnimmt, erringt es einen echten Vorteil. Dieser Vorteil ist nicht ungefährlich, das wissen wir, aber er bringt dem Haus Harkonnen eine größere Machtfülle als jedes andere Hohe Haus besitzt.«



»Du kannst dir gar nicht vorstellen, welches Vermögen uns damit zufällt, Feyd«, sagte der Baron. »Nicht einmal in deinen kühnsten Träumen. Um nur einen Vorteil zu nennen: Wir erhalten unwiderruflich die Leitung der MAFEA-Gesellschaft.«

Feyd-Rautha nickte. Reichtum war die eine Seite. Und daß die MAFEA der Schlüssel zum Reichtum war, bewies die Tatsache, daß jedes Hohe Haus, das zeitweilig die Leitung innehatte, sein Vermögen beinah ins Unermeßliche steigern konnte. Wer die Leitung der Gesellschaft übernahm, war von der politischen Macht des Imperiums nicht mehr ausgeschlossen. Damit bekam man eine Machtfülle in die Hand, die im Landsraad eine gewichtige Stimme gegen den Imperator und dessen Getreue darstellte.

»Möglicherweise«, fuhr Piter fort, »wird Herzog Leto den Versuch unternehmen, sich zu den am Rande der Wüste lebenden Fremen durchzuschlagen. Oder er versucht zumindest, seine Familie in die Obhut dieser fragwürdigen Sicherheit zu bringen. Aber auch dieser Weg wird ihm versperrt sein, nämlich durch einen Agenten seiner Majestät, den planetaren Ökologen. Vielleicht kennen Sie ihn. Er heißt Kynes.«

»Feyd kennt seinen Namen«, warf der Baron ein. »Weiter!«

»Sie benehmen sich nicht gerade höflich, Baron«, beschwerte sich Piter.

»Weiter, habe ich gesagt!« brüllte der Baron.

Piter zuckte die Achseln. »Wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben«, meinte er, »erhält das Haus Harkonnen Arrakis innerhalb eines Standardjahres als weiteres Lehen. Und Ihr Onkel kann darüber frei verfügen. Sein persönlicher Beauftragter wird über Arrakis herrschen.«

»Was den Profit erhöht«, sagte Feyd-Rautha gierig.

»Eben«, stimmte der Baron zu. Und dachte: Es ist nur recht und billig. Wir waren es, die Arrakis zähmten … bis auf die paar Fremen, die sich in der Wüste verstecken. Und die gezähmten Schmuggler, die genau wie die anderen Eingeborenen mit diesem Planeten verbunden sind.

»Und die Hohen Häuser werden erfahren, daß es der Baron war, der die Familie Atreides zerstört hat«, bemerkte Piter. »Sie sollen es auch wissen.«

»Sie sollen es wissen«, wiederholte der Baron.

»Und das Schönste von allem ist«, fügte Piter hinzu, »daß der Herzog es ebenfalls erfahren wird. Er wird es jetzt schon erfahren haben. Er wird die Falle schon riechen können.«

»Natürlich weiß er, was ihm blüht«, sagte der Baron mit einem traurigen Unterton. »Er muß sie einfach spüren. Und er kann nichts dagegen tun. Das macht es nur noch schlimmer für ihn.«

Der Baron löste sich von dem Globus des Planeten Arrakis. Als er aus dem Schatten heraustrat, gewann seine Figur an Masse. Er war unglaublich fett. Unter seinem Gewand konnte man mehrere Ausbuchtungen erkennen, die anzeigten, daß sein Gewicht durch Suspensoren gemindert wurde. Obwohl er mehr als zweihundert Standardkilo wog, hatten seine Beine auf diese Weise nicht mehr als vielleicht fünfzig zu tragen.

»Ich habe Hunger«, brummte er und fuhr sich mit der beringten Hand über die fleischigen Lippen. Durch die beinahe seine Augen verdeckenden Fettwülste sah er auf Feyd-Rautha hinab. »Laß das Essen auftragen, mein Liebling. Wir wollen tafeln, bevor wir uns für die Nacht zurückziehen.«

3

Und also sprach St. Alia-von-den-Messern: »Die Ehrwürdige Mutter war gezwungen, die verführerische Tücke einer Kurtisane mit der unantastbaren Würde einer jungfräulichen Göttin in Einklang zu bringen, und diese Attribute zum Einsatz bringen, solange sie in ihrer Jugend war. Später, als sie alterte und ihre Schönheit verblühte, würde sie genügend Zeit haben, herauszufinden, daß nichts anderes als diese unter dem Druck der Spannung entstandene Synthese der Ausgangspunkt sowohl ihrer Gewitztheit wie auch ihres Hilfreichtums gewesen war.«

Aus ›Bemerkungen zur Familie des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


»Nun, Jessica«, fragte die Ehrwürdige Mutter, »was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?«

Pauls Prüfung lag hinter ihnen, und die Sonne schickte sich an, unterzugehen. Während Paul in seinem schalldichten Meditationsraum verschwunden war, saßen die beiden Frauen allein in Jessicas Salon.

Das heißt, die Ehrwürdige Mutter saß. Jessica stand an einem der Fenster, und schaute, jedoch ohne das geringste draußen wahrzunehmen, über die Wiesen und den daran angrenzenden Fluß. Obwohl sie die Worte der alten Frau deutlich vernommen hatte, drangen sie nicht bis zu ihrem Bewußtsein durch.

Ihre Gedanken waren bei einer anderen Prüfung, die lange zurücklag, und die einem dünnen Mädchen mit bronzenem Haar gegolten hatte, das der Pubertät kaum entwachsen gewesen war. Diese Prüfung hatte ebenfalls unter der Aufsicht der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen Mohiam stattgefunden, und zwar in der Bene-Gesserit-Schule von Wallach IX. Jessica warf einen Blick auf ihre rechte Hand, öffnete sie und erinnerte sich an den Schmerz, an die Erniedrigung und ihre Wut.

»Der arme Paul«, flüsterte sie.

»Ich habe dir eine Frage gestellt, Jessica«, ertönte ärgerlich und verlangend die Stimme der alten Frau in ihrem Rücken.

»Bitte? Oh …« Jessicas Gedanken lösten sich von den Schrecken der Vergangenheit und fanden zur Ehrwürdigen Mutter zurück, die zwischen den beiden westlichen Fenstern mit dem Rücken gegen die Steinwand gelehnt saß, »was wolltet Ihr von mir hören?«

»Was ich von dir hören will? Was ich von dir hören will?« äffte die alte Frau ihr nach.

»Mir wurde soeben ein Sohn geschenkt«, erklärte Jessica mit fester Entschlossenheit und stellte gleichzeitig fest, daß der in ihr aufwallende Ärger provoziert zu werden schien.

»Man hat dir aufgetragen, den Atreides' Töchter zu gebären!«

»Aber es war so wichtig für ihn …«, verteidigte sich Jessica.

»Und in deinem überheblichen Stolz hast du natürlich sofort angenommen, du würdest dem Kwisatz Haderach das Leben schenken!«

Mit vorgerecktem Kinn erwiderte Jessica: »Ich habe die Möglichkeit zumindest nicht ausgeschlossen.«

»Du hast an nichts anderes als an die Befriedigung gedacht, die der Herzog bei der Geburt eines Sohnes haben würde«, stellte die Ehrwürdige Mutter fest. »Aber die Wünsche, die der Herzog hat, zählen in diesem Falle nichts! Eine Tochter hätte mit einem Harkonnen verheiratet werden können, was das Ende einer Feindschaft nach sich gezogen hätte. Mit dem, was du angerichtet hast, wird die Sache nur noch mehr kompliziert. Es besteht die Möglichkeit, daß wir jetzt beide Blutlinien verlieren!«

»Auch Ihr seid nicht unfehlbar«, sagte Jessica und erwiderte den Blick der Alten ohne Furcht.

Ernüchtert murmelte die Ehrwürdige Mutter: »Was geschehen ist, ist nicht mehr rückgängig zu machen.«

»Ich habe mir geschworen, meinen Entschluß niemals zu bereuen«, fügte Jessica hinzu.

»Wie edel!« knirschte die Ehrwürdige Mutter. »Laß uns noch einmal darüber sprechen, wenn man dich für vogelfrei erklärt hat und eine Belohnung auf deinem Kopf steht! Wenn jedermann danach giert, dein Leben wie auch das deines Sohnes auszulöschen!«

Jessica erblaßte. »Gibt es denn keinen Ausweg?«

»Einen Ausweg? Wie kann eine Bene Gesserit nur eine solch törichte Frage stellen!«

»Ich möchte nur wissen, was Ihr mit Euren Fähigkeiten aus der Zukunft herauslest.«

»Die Zukunft, die ich sehe, ist identisch mit der der Vergangenheit. Du weißt sehr gut, wie ich das meine, Jessica. Die Rasse ist sich ihrer Sterblichkeit bewußt und fürchtet nichts mehr als die Auswirkungen der Stagnation. Das Imperium, die MAFEA, die Hohen Häuser — sie alle fürchten sich davor, das Treibholz zu sein das die Flut hinwegspült.«

»Die MAFEA«, murmelte Jessica. »Ich nehme an, es ist bereits eine beschlossene Sache, wie sie unser Leben auf Arrakis sabotieren wird.«

»Diese Gesellschaft ist das Barometer unserer Zeit«, erwiderte die Ehrwürdige Mutter. »An dem, was sie tut, kann man die Ströme der Zukunft erkennen. Zur Zeit werden 59,65 Prozent ihrer Aktien vom Imperator und seinen Getreuen kontrolliert. Natürlich riechen sie die dicken Profite. Und ebenso wie die anderen sie riechen, wird dies einen großen Einfluß auf manche Stimmabgabe ausüben. Das ist nun einmal der Lauf der Welt, Mädchen.«

»Und das ist, was ich jetzt am nötigsten brauche«, sagte Jessica. »Eine Lektion in Geschichte.«

»Mach keine Scherze, Mädchen. Du weißt ebensogut wie ich, welche Mächte uns bedrohen. Unsere Zivilisation basiert auf drei Eckpfeilern: auf dem kaiserlichen Hof, gegen den die Hohen Häuser des Landsraad stehen, und der Gilde, die das verderbliche Monopol des interstellaren Transportwesens besitzt. Und was die Politik angeht, so hat sich in ihr ein auf drei Beinen stehendes Kontrollsystem schon immer als das instabilste erwiesen. Und es wäre auch schlimm genug ohne die Komplikationen einer feudalistischen Handelsgesellschaft, die den meisten Wissenschaften ignorantenhaft den Rücken zukehrt.«

Jessica sagte bitter: »Sägespäne, die auf einem Fluß dahintreiben. Und der hiesige Span ist Herzog Leto, mitsamt seinem Sohn und …«

»Ah, sei doch still, Mädchen! Dir war doch von Anfang an klar, welche Last du dir aufbürden würdest.«

»Ich bin eine Bene Gesserit — und ich lebe, um zu dienen«, rezitierte Jessica.

»Richtig«, erwiderte die Ehrwürdige Mutter. »Und alles, was wir uns erhoffen können, ist, daß es möglich ist, eine offene Auseinandersetzung zu vermeiden. Daß wir zumindest die wichtigsten Blutlinien retten können.«

Als Jessica spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten, preßte sie die Lider zusammen. Beherzt kämpfte sie gegen das innere und äußere Zittern ihres Körpers, gegen ihren stoßweise gehenden Atem und die schweißfeuchten Handflächen an. Schließlich meinte sie: »Ich werde für meine eigenen Fehler zu bezahlen haben.«

»Und mit dir dein Sohn.«

»Ich beschütze ihn, so gut ich das kann.«

»Beschützen!« stieß die alte Frau hervor. »Aber das klingt nach Schwäche! Wenn du ihn zu sehr beschützt, Jessica, wird er niemals in der Lage sein, über sich hinauszuwachsen und irgendein Schicksal zu erfüllen!«

Jessica wandte sich um, warf einen Blick aus dem Fenster und die heraufziehende Dunkelheit. »Ist es wirklich so schrecklich auf Arrakis?«

»Schlimm genug — aber so schlimm nun auch wieder nicht. Die Missionaria Protectiva ist bereits dort gewesen und hat einiges ein wenig aufgeweicht.« Die Ehrwürdige Mutter stand auf und glättete die Falten ihres Gewandes. »Und nun ruf den Jungen. Ich werde euch bald wieder verlassen müssen.«

»So bald?«

Die Stimme der alten Frau verlor an Schärfe. »Jessica — Mädchen, ich wünschte wirklich an deiner Stelle zu sein und dein Leid mitzutragen. Aber jede von uns muß ihren eigenen Weg gehen.«

»Ich weiß.«

»Du bist mir ebenso lieb wie meine eigenen Töchter, Jessica; aber auch das darf mich nicht an der Ausübung meiner Pflicht hindern.«

»Ich sehe die … Notwendigkeit ein.«

»Was und warum du es getan hast, Jessica — wir beide wissen es. Aber dennoch: im Angesicht unserer Freundschaft muß ich dir sagen, daß es noch keinen hieb- und stichfesten Beweis dafür gibt, daß dein Sohn der Kwisatz Haderach ist. Du solltest dich nicht zu sehr in diesen Glauben versteifen.«

Jessica wischte Tränen aus ihren Augen, und die Bewegung, die sie dabei machte, wirkte ein wenig verärgert. »Ihr behandelt mich wie ein kleines Mädchen, dem man die erste Lektion einbläut.« Und etwas heftiger: »Menschen dürfen sich niemals Tieren unterwerfen.« Ein trockenes Schluchzen schüttelte sie. Leise fügte sie hinzu: »Ich war so einsam.«

»Vielleicht war das auch eine Art Test«, erwiderte die alte Frau. »Menschen sind immer einsam. Aber hole jetzt den Jungen herein. Er hat einen langen, furchterfüllten Tag hinter sich. Aber er hatte genügend Zeit, über das, was ihm heute widerfahren ist, nachzudenken und daraus seine Schlüsse zu ziehen. Du weißt, daß ich ihm noch die Fragen über seine Träume stellen muß.«

Jessica nickte, ging zur Tür des Meditationsraums und öffnete sie. »Paul, komm bitte herein.«

Paul erschien mit einer störrischen Langsamkeit und sah dabei seine Mutter an, als sei sie eine Fremde. Bedächtigkeit lag in seinem Blick, als er der Ehrwürdigen Mutter zunickte. Er tat dies in einer Art, wie es unter Gleichrangigen üblich ist. Jessica schloß die Tür hinter ihm.

»Laß uns noch einmal auf deine Träume zurückkommen, junger Mann«, begann die alte Frau.

»Was wollt Ihr wissen?« fragte Paul.

»Träumst du in jeder Nacht?«

»Die meisten Träume sind es nicht wert, daß man sich ihrer erinnert. Natürlich kann ich mich an jeden Traum erinnern, aber manche sind es eben wert und manche nicht.«

»Und woran erkennst du den Unterschied?«

»Ich weiß es eben.«

Die alte Frau warf Jessica einen raschen Blick zu und sah dann wieder auf Paul. »Und der Traum, den du letzte Nacht hattest? Ist er es wert, daß man sich an ihn erinnert?«

»Ja.« Paul schloß die Augen. »Ich träumte von einer Grotte … und von Wasser … und einem Mädchen, das sich dort befand. Es war sehr mager und hatte große Augen. Ihre Augen waren völlig blau, nichts Weißes war in ihnen. Ich sprach mit ihr und erzählte ihr, daß ich auf Caladan die Ehrwürdige Mutter traf.« Er öffnete die Augen wieder.

»Und du hast diesem Mädchen all das erzählt, was erst heute hier geschehen ist?«

Paul dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ja. Ich erzählte ihr, daß die Ehrwürdige Mutter da war und auf irgendeine seltsame Weise einen Einfluß auf mich ausübte.«

»Einen Einfluß«, keuchte die alte Frau. Erneut warf sie Jessica einen Blick zu und konzentrierte sich wieder auf Paul.

»Sag mir die Wahrheit, Paul: Hast du öfter solche Träume, in denen du Dinge siehst, die sich erst später ereignen?«

»Ja. Und von diesem Mädchen habe ich schon vorher geträumt.«

»Wirklich? Du kanntest sie schon?«

»Ich werde sie kennenlernen.«

»Erzähle mir von ihr.«

Wieder schloß Paul die Augen. »Wir sitzen irgendwo in der Geborgenheit einiger Felsen. Obwohl es Nacht ist, ist es sehr heiß, und irgendwo in einer Felsenöffnung erkenne ich Sand. Wir … warten auf etwas … offenbar auf einige andere Leute. Das Mädchen hat Angst, versucht aber, die Furcht vor mir zu verbergen. In mir herrscht Spannung. Sie sagt zu mir: ›Erzähle mir von den Wassern deines Heimatplaneten, Usul‹.« Paul öffnete die Augen und meinte: »Ist das nicht komisch? Mein Heimatplanet ist doch Caladan. Und von einer Welt namens Usul habe ich noch niemals gehört.«

»Geht der Traum noch weiter?« stieß Jessica hervor.

»Ja. Vielleicht hat sie mit dem Wort ›Usul‹ auch mich gemeint. Jedenfalls kann ich es mir vorstellen.« Erneut schloß er die Augen. »Sie fragt mich, ob ich ihr nicht von den Wassern erzählen kann. Ich nehme ihre Hand und trage ihr ein Gedicht vor. Ich sage es auf und muß ihr dabei einige Ausdrücke erklären, die sie nicht kennt. Wie ›Strand‹ und ›Brandung‹ und ›Tang‹ und ›Möwen‹.«

»Was ist das für ein Gedicht?« fragte die Ehrwürdige Mutter.

Mit geöffneten Augen erwiderte Paul: »Es ist nur eines der Gedichte, die Gurney Halleck für traurige Zeiten gemacht hat.«

Hinter Pauls Rücken begann Jessica zu rezitieren:

»Ich erinnere mich an salzigen Rauch

von Feuern,

die brennen am Strand.

Und Schatten unter den Pinien.

Möwen schweben

über die Landzunge dahin,

weiß über dem Grün …

Ein Wind geht durch die Bäume,

die Schatten vertreibend.

Die Möwen breiten die Schwingen aus

und steigen auf.

Sie füllen den Himmel

mit schrillem Geschrei.

Und ich höre den Wind,

wie er bläst über das Land,

und die Brandung.

Und ich sehe das Feuer,

das den Seetang verbrennt.«

»Das ist es«, nickte Paul.

Die alte Frau sah ihn an und sagte dann: »Junger Mann, als Sachwalter der Bene Gesserit, suche ich nach dem Kwisatz Haderach, jenem Mann, der einer der unsrigen ist. Deine Mutter ist der Ansicht, daß du dieser Mann sein könntest. Aber sie sieht dies durch die Augen einer Mutter. Die Möglichkeit sehe ich sehr wohl auch — aber nicht mehr.«

Sie schwieg, und Paul sah ihr an, daß sie ihn mit ihrem Schweigen aufforderte, dazu etwas zu sagen. Aber er sagte nichts.

Schließlich sagte die alte Frau: »Nun gut, wie du willst. Es ist Tiefe in dir; das ist mir klar.«

»Kann ich jetzt gehen?« fragte Paul.

»Willst du nicht hören, was dir die Ehrwürdige Mutter über den Kwisatz Haderach erzählen will?« fragte Jessica.

»Sie sagte mir bereits, daß diejenigen, die es versuchten, der Kwisatz Haderach zu sein, versagten und starben.«

»Aber ich kann dir einige Hinweise über den Grund ihres Versagens geben«, warf die Ehrwürdige Mutter ein.

Sie redet von Hinweisen, dachte Paul. Und im Grunde weiß sie gar nichts. Laut sagte er: »Dann gebt sie mir.«

Ein dünnes Lächeln huschte über die Züge der alten Frau. »Na gut: Es gilt, sich den Regeln zu unterwerfen.«

Paul fühlte Verblüffung in sich aufsteigen. Sie redete in banalen Begriffen. Nahm sie etwa an, daß seine Mutter ihn überhaupt nichts gelehrt hatte?

»Und das soll ein Hinweis gewesen sein?« fragte er.

»Wir sind nicht hier, um Haare zu spalten oder über die Bedeutung von Worten zu debattieren«, erwiderte die Ehrwürdige Mutter. »Die Weiden unterwerfen sich dem Wind so lange, bis sie so zahlreich und kräftig geworden sind, bis sie sich ihm entgegenstellen wie eine Mauer. Das ist ihr Daseinszweck.«

Paul starrte sie an. Sie hatte einen Zweck erwähnt, und das erinnerte ihn daran, daß all dies einem anderen dienen sollte. Er fühlte, wie der Ärger in ihm hochstieg, wie er sich auf die alte Frau konzentrierte, die in seiner Anwesenheit nichts als Binsenweisheiten von sich gab und Platitüden drosch.

»Ihr schließt die Möglichkeit, ich könnte der Kwisatz Haderach sein, nicht aus«, versetzte er. »Ihr redet über mich, aber verschwendet keinen Gedanken daran, wie wir meinem Vater beistehen könnten. Ich habe Euch mit meiner Mutter reden gehört. Und Eure Worte klangen so, als sei mein Vater bereits tot. Aber das ist er nicht!«

»Gäbe es eine Möglichkeit, ihm zu helfen, hätten wir das längst getan«, knurrte die alte Frau. »Aber vielleicht können wir dich retten! Es wird schwierig sein, aber nicht unmöglich. Für deinen Vater gibt es keinen Ausweg. Wenn du das begreifen würdest, hättest du bereits eine Bene-Gesserit-Lektion verstanden.«

Es war für Paul nicht unübersehbar, daß diese Worte seine Mutter hart trafen. Er musterte die alte Frau. Wie konnte sie sich erdreisten, in dieser Weise über seinen Vater zu sprechen? Was machte sie überhaupt so sicher? Er zitterte vor Wut.

Die Ehrwürdige Mutter wandte sich an Jessica. »Du hast ihn nach Art der Bene Gesserit erzogen, die Anzeichen sind unverkennbar. Ich hätte an deiner Stelle mich nicht anders verhalten und ebenfalls auf die Regeln gepfiffen.« Jessica nickte.

»Aber trotzdem warne ich dich«, fuhr die alte Frau fort, »den regulären Anweisungen des Ausbildungsprogramms nicht Folge zu leisten. Er muß ebenfalls lernen, seine innere Stimme unter Kontrolle zu halten. Er zeigt bereits gute Ansätze, aber es dürfte uns beiden klar sein, wieviel mehr an Training er noch benötigt. Und das ist das Wichtigste.« Sie ging einige Schritte auf Paul zu und sah zu ihm hinunter. »Auf Wiedersehen, junger Mensch. Ich hoffe für dich, daß du es schaffst. Und wenn es dir nicht gelingen sollte — eines Tages werden wir bestimmt erfolgreich sein.«

Sie sah noch einmal zu Jessica hinüber. Es schien, als verstünden sie sich auch ohne Worte. Dann verließ sie das Zimmer, ihre Gewänder raffend und ohne sich noch einmal umzusehen. Sie hinterließ in den beiden Zurückbleibenden den Eindruck, als seien ihre Gedanken bereits mit anderen Problemen beschäftigt.

Aber Jessica war keinesfalls verborgen geblieben, daß sich die verwelkten Wangen der Ehrwürdigen Mutter mit Tränen bedeckt hatten. Und dies erschien ihr wichtiger als alle Worte, die sie mit ihr gewechselt hatte.

4

Du hast gelesen, daß Muad'dib auf Caladan über keine gleichaltrigen Spielgefährten verfügte. Die Gefahren, denen er ausgesetzt gewesen wäre, konnte niemand tolerieren. Aber es gab wunderbare und kameradschaftliche Lehrer: Einmal Gurney Halleck, den troubadurenhaften Kämpfer, von dem Du einige Lieder in diesem Buch lesen wirst. Und Thufir Hawat, den alten Mentaten und Befehlshaber der Assassinen, der selbst den Imperator das Fürchten lehrte. Und schließlich Duncan Idaho, den Schwertmeister der Ginaz. Dr. Wellington Yuehs Name haftet die verräterische Finsternis ebenso an wie der Glanz seines Wissens. Sie waren neben Lady Jessica, die ihn in der Art der Bene Gesserit erzog, und natürlich Herzog Leto — dessen väterliche Qualitäten lange Zeit unterschätzt wurden -, wichtige Charaktere seiner Umwelt.

Aus ›Die Kindheitsgeschichte des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Thufir Hawat schlüpfte in den Trainingsraum von Burg Caladan und zog leise die Tür hinter sich ins Schloß. Er verharrte eine Weile und fühlte sich in diesem Moment alt und ausgelaugt. Das linke Bein, noch immer an der Verletzung leidend, die er sich während einer Schlacht für den Großvater Pauls zugezogen hatte, begann wieder zu schmerzen.

Jetzt sind es drei Generationen, dachte er.

Er warf einen Blick quer durch den Raum. Unter den hellen Strahlen der Mittagssonne saß der Junge an einem Tisch. Mit dem Rücken zur Tür. Der gesamte Tisch war mit Büchern und auseinandergefalteten Karten bedeckt.

Wie oft werde ich dem Bürschlein noch sagen müssen, daß er sich nicht mit dem Rücken zur Tür zu setzen hat?

Hawat räusperte sich.

Paul las weiter.

Eine Wolke verdunkelte die Oberlichter. Hawat räusperte sich ein zweitesmal.

Paul reckte sich und sagte, ohne sich dabei umzudrehen: »Ich weiß schon. Ich sitze mal wieder mit dem Rücken zur Tür.«

Seine Amüsiertheit unterdrückend kam Hawat näher.

Paul sah den alten Graukopf an, der an der Tischkante verharrte. In Hawats Gesicht schienen nur die Augen zu leben.

»Ich habe dich schon durch die Halle kommen hören«, erklärte Paul. »Und die Tür öffnen hören.«

»Trotzdem könnte jemand meine charakteristischen Geräusche imitieren.«

»Ich würde den Unterschied schon früh genug herausfinden.«

Vielleicht würde er das wirklich, dachte Hawat. Schließlich hat diese Hexe von einer Mutter ihm allerlei beigebracht. Aber ich würde gerne wissen, was ihre ehemalige Schule darüber denkt. Vielleicht hat man die alte Sachwalterin deshalb hergeschickt — um unsere liebe Lady Jessica wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Hawat zog einen Stuhl zu sich heran und setzte sich so, daß er Paul gegenüber saß und gleichzeitig die Tür im Auge behalten konnte. Irgendwie kam ihm der Raum plötzlich unsagbar fremd vor, was zweifellos daran lag, daß der größte Teil der Einrichtung sich bereits auf dem Weg nach Arrakis befand. Zurückgeblieben war außer einem Trainingstisch lediglich ein kristallener Fechtspiegel und die Kampfpuppe, die wie ein mittelalterlicher Infanterist in den Seilen baumelte.

Und ich, dachte Hawat.

»Thufir«, fragte Paul, »über was denkst du nach?«

Hawat sah ihn an. »Ich dachte, daß wir bald alle nicht mehr hier sind. Und daß wir diesen Ort möglicherweise niemals wiedersehen werden.«

»Stimmt dich das traurig?«

»Traurig? Aber geh! Es ist traurig, wenn man Freunde verliert. Und dieser Ort hier ist genauso gut oder schlecht wie jeder andere.« Er warf einen Blick über die auf der Tischplatte liegenden Karten. »Und Arrakis oder Caladan, was macht das schon für einen Unterschied?«

»Hat dich mein Vater geschickt, um meine Stimmung zu analysieren?«

Hawat runzelte die Stirn. Es war kaum zu fassen, welche Beobachtungsgabe der Junge besaß. Dann nickte er. »Du glaubst vielleicht, daß es netter von ihm gewesen wäre, hätte er versucht, das selbst herauszufinden. Aber du weißt, wie beschäftigt er im Moment ist. Er wird später kommen.«

»Ich habe einige Informationen über die arrakisischen Stürme gesammelt.«

»Die Stürme? Ich verstehe.«

»Sie scheinen ziemlich übel zu sein.«

»Ich glaube, das ist eine Untertreibung: übel. Sie rasen mit sechs- bis siebentausend Kilometern Geschwindigkeit über das flache Land hinweg und nehmen alles mit, was ihnen auch nur den geringsten Aufwind gibt, seien es nun Gravitationskräfte oder kleinere Winde, die sich in ihren Weg stellen. Und dabei reißen sie alles aus dem Boden, was in ihrer Richtung liegt: Sand, Staub, einfach alles. Sie sind fähig, einem das Fleisch von den Knochen zu reißen und die zurückbleibenden Gebeine zu Staub zu zermahlen.«

»Wieso gibt es auf Arrakis keine Wetterkontrolle?«

»Weil der Planet mit ganz speziellen Problemen zu kämpfen hat. Es würde schon allein aus dem Grunde Unsummen verschlingen, weil die Raumgilde ungeheure Beträge für die Vermietung ihrer Wettersatelliten verlangt. Und wie du weißt, zählt das Haus deines Vaters nicht eben zu den begütertsten des Imperiums, Junge. Aber das brauche ich dir wohl nicht zu erzählen.«

»Hast du je die Fremen gesehen?«

Und so geht es von einem Thema zum anderen, dachte Hawat. »Ich glaube schon«, erwiderte er, »aber es ist nicht viel, was man über sie erzählen kann. Sie sind gewöhnlich mit diesen wallenden weißen Roben bekleidet. Und in einem geschlossenen Raum stinken sie zum Himmel. Das liegt an den Anzügen, die sie tragen, die ›Destillanzüge‹ genannt werden, weil sie dafür entwickelt wurden, die eigenen Körperflüssigkeiten wiederzuverwenden.«

Paul schluckte. Er erinnerte sich an den Traum, in dem er einen schrecklichen Durst verspürt hatte. Daß ein Volk existierte, das zu Zeiten gezwungen war, die eigenen Körperflüssigkeiten immer wieder zu verwenden, erweckte in ihm ein Gefühl der Trostlosigkeit. »Wasser muß dort sehr kostbar sein«, meinte er.

Hawat nickte. Und dachte: Vielleicht schaffe ich es, ihm klarzumachen, daß dieser Planet einen Gegner für ihn darstellt. Es wäre Wahnsinn, nach Arrakis zu gehen, ohne sich der Probleme und Gefahren bewußt zu sein.

Ein Blick auf die Oberlichter zeigte Paul, daß es zu regnen begonnen hatte. Er sah das auseinanderspritzende Naß auf der geraden Fläche des Metaglases. »Wasser«, murmelte er.

»Du wirst die Wichtigkeit des Wassers noch kennenlernen«, fuhr Hawat fort. »Auch wenn du als Sohn des Herzogs nicht direkt davon betroffen sein wirst: Die Auswirkungen des Durstes auf deine Umwelt werden dir nicht entgehen.«

Paul befeuchtete mit der Zunge die Lippen und dachte an jenen Tag zurück, an dem die Ehrwürdige Mutter dagewesen war und ihm diesen Test abgenommen hatte. Auch sie hatte etwas über das Verdursten gesagt.

»Auf Arrakis wirst du etwas über die Grabebenen erfahren«, hatte sie erklärt, »und über die Leere der Wildnis und die Wüste, in der nichts lebt und nur die Sandwürmer und das Gewürz existieren können. Du wirst deine Augenhöhlen verdunkeln müssen, um den Sonnenglanz zu reduzieren. Wenn du dem Wind und den Blicken anderer entgangen bist, kannst du das als Unterkunft ansehen. Du bewegst dich auf den eigenen Beinen voran — ohne Thopter, Fahrzeug oder Reittier.«

Es war mehr ihr Tonfall — dieser vibrierende Singsang — gewesen, der Paul gefesselt hatte, weniger ihre Worte.

»Wenn du auf Arrakis lebst«, hatte die alte Frau hinzugefügt, »wirst du sehen, daß das Land — Khala! — völlig leer ist. Deine Freunde werden nur die Monde sein. Die Sonne ist dein Feind.«

Paul hatte gefühlt, wie seine Mutter neben ihn trat, ihren Wachtposten an der Tür mithin aufgab und fragte: »Und Ihr seht keine Hoffnung, Euer Ehrwürden?«

»Nicht für den Vater.« Und während die alte Frau Jessica mit einer Geste zum Schweigen verurteilte, wandte sie sich wieder Paul zu: »Verankere dies in deinem Bewußtsein, mein Junge: Eine Welt ruht auf vier Säulen …« Sie hatte vier gichtkranke Finger erhoben. »… der Gelehrsamkeit der Weisen, der Gerechtigkeit der Mächtigen, den Gebeten der Rechtschaffenen und dem Wagemut der Tapferen. Aber alle zusammen sind sie nichts wert …« Ihre Finger ballten sich zur Faust. »… ohne einen Herrscher, der die Kunst des Herrschens versteht! Erhebe dies zur Wissenschaft künftiger Traditionen!«

Aber mittlerweile war eine Woche ins Land gegangen. Seltsam, daß ihre Worte erst jetzt eine Wirkung zeigten. Jetzt, wo er zusammen mit Thufir Hawat im Trainingsraum saß, kroch leise Angst in Paul hoch. Als er Hawat ansah, stellte er fest, daß dieser ein wenig verblüfft die Stirn runzelte.

»Wo hat dein Bewußtsein die letzten Minuten gesteckt?« fragte Hawat.

»Bist du der Ehrwürdigen Mutter begegnet?«

»Dieser wahrsagenden Hexe des Imperators?« Hawat ließ interessiert seine Augendeckel klappen. »Ja.«

»Sie …« Paul zögerte. Er fragte sich, ob es richtig war, Hawat von diesem Test zu erzählen. Aber auch wenn er sich dafür entschieden hätte — er konnte es nicht. Irgend etwas hinderte ihn daran.

»Ja? Was war mit ihr?«

Paul atmete zweimal tief ein. »Sie sagte etwas.« Er schloß die Augen, rief sich die Worte ins Gedächtnis zurück, und als er sie aussprach, übernahm er unbewußt einen beinahe identischen Tonfall: »›Du, Paul Atreides, Abkömmling der Könige, Sohn eines Herzogs, mußt lernen zu herrschen. Das ist etwas, was keiner deiner Vorfahren verstand.‹« Er öffnete die Augen und sagte: »Ich wurde wütend und sagte ihr, daß mein Vater einen ganzen Planeten beherrscht. Und darauf erwiderte sie: ›Er ist dabei, ihn zu verlieren.‹ Als ich losrennen wollte, um meinen Vater zu warnen, meinte sie, er sei bereits gewarnt worden. Von dir, von meiner Mutter und vielen anderen Leuten.«

»Das stimmt«, murmelte Hawat.

»Aber warum gehen wir dann von hier fort?« verlangte Paul zu wissen.

»Weil der Imperator es so befohlen hat. Und weil die alte Hexe auch nicht unfehlbar ist in ihren Voraussagen. Was hat sie noch aus ihrem Schatzkästlein der Weisheit hervorgekramt?«

Paul sah auf seine zur Faust geballte Hand und zwang seine Muskeln, sich langsam zu entspannen. Sie hatte irgendwie Gewalt über mich, dachte er. Aber wie?

»Sie bat mich, ihr zu erzählen, was es bedeutet, zu herrschen«, sagte Paul. »Ich sagte ihr: jemand gibt die Befehle. Und sie erwiderte darauf, ich hätte noch sehr viel zu lernen.«

Und da hatte sie nicht einmal unrecht, dachte Hawat. Er nickte Paul zu, um ihn zum Weitererzählen zu ermuntern.

»Sie sagte, ein Herrscher müsse überzeugen können. Die anderen unter seinen Willen zu zwingen, sei keine Schwierigkeit. Nur überzeugte Männer stünden treu zu ihrem Herrscher.«

»Und wie hat ihrer Meinung nach dein Vater Männer wie Duncan und Gurney auf seine Seite gebracht?« fragte Hawat.

Paul zuckte die Achseln. »Außerdem sagte sie, ein guter Herrscher müsse unbedingt die Sprache seiner Welt erlernen, die auf jedem Planeten anders ist. Ich dachte, sie meinte damit, daß auf Arrakis kein Galach gesprochen wird und daß wir die Sprache der dort Lebenden studieren sollten. Aber sie meinte die Sprache der Felsen und Pflanzen, die Sprache, die man nicht mit den Ohren hört. Ich sagte darauf, daß sie das meint, was Dr. Yueh als Rätsel des Lebens bezeichnet.«

Hawat kicherte. »Und das hat sie geschluckt?«

»Sie drehte beinahe durch. Sie war der Meinung, das Rätsel des Lebens sei kein Problem, das von Menschen zu lösen sei, sondern eine Wirklichkeit, die man erfahren müsse. Woraufhin ich den ersten Lehrsatz des Mentats zitierte: ›Prozesse können nicht erfahren werden, indem man sie anhält. Das Verständnis muß ihrem Ablauf folgen, sich ihm anpassen und mit ihm fließen, um ihn zu erfahren.‹ Was sie aber zu befriedigen schien.«

Es scheint, als käme er allmählich darüber hinweg, dachte Hawat. Aber die alte Hexe hat ihn irgendwie erschreckt. Was hat sie damit bezweckt?

»Thufir«, sagte Paul, »wird Arrakis wirklich so schlimm sein, wie sie sagte?«

»Es gibt überhaupt nichts, was so schlecht ist, wie sie es sich vorstellte«, erwiderte er mit einem freundlichen Lächeln. »Nimm zum Beispiel diese Fremen, die Renegaten aus der Wüste. Ich schätze, daß es von ihnen viel, viel mehr gibt, als das Imperium vermutet. Auf Arrakis leben Menschen, Junge, eine große Menge von Leuten, und …«, Hawat hob den Zeigefinger bis zur Höhe seiner Augen, »… sie hassen die Harkonnens mit tiefster Inbrunst. Aber du solltest das für dich behalten, Junge. Ich sage dir das lediglich als Stellvertreter deines Vaters.«

»Mein Vater hat mir von Salusa Secundus erzählt«, sagte Paul. »Weißt du, Thufir, mir scheint, diese Welt muß Arrakis irgendwie gleichen. Sie ist vielleicht nicht ganz so schlimm, aber immerhin …«

»Man erfährt heutzutage nicht mehr viel über Salusa Secundus«, gab Hawat zu. »Unser Wissen ist alt und neue Informationen kommen kaum herein. Aber was man weiß, deckt sich ungefähr mit deinen Vermutungen.«

»Werden die Fremen auf unserer Seite sein?«

»Es wäre möglich.« Hawat stand auf. »Ich werde noch heute nach Arrakis abreisen. Und in der Zwischenzeit wirst du einem alten Mann einen Gefallen erweisen und dich bitte stets mit dem Gesicht zur Tür setzen, nicht wahr. Nicht daß ich denke, hier würde dir eine Gefahr drohen, aber was du hier nicht vergißt, wirst du an anderen Orten auch beherzigen.«

Paul stand ebenfalls auf und umrundete den Tisch. »Du reist heute schon ab?«

»Ja, heute. Und du folgst mir morgen. Wenn wir uns das nächstemal treffen, wird es auf dem Boden einer anderen Welt sein.« Er kniff Paul in die Oberarmmuskeln. »Und den Messerarm immer frei halten, klar? Und den Schild auf volle Leistung.« Er ließ den Arm fallen, klopfte Paul auf die Schulter, wirbelte herum und ging schnell hinaus.

»Thufir!« rief Paul ihm nach.

Hawat kehrte zurück, blieb auf der Schwelle stehen.

»Und niemals mit dem Rücken zur Tür«, sagte Paul.

Ein Grinsen zog über Hawats faltenreiche Züge. »Das werde ich schon nicht, Junge. Da kannst du Gift drauf nehmen.« Dann war er verschwunden und zog sanft die Tür hinter sich zu.

Paul nahm Hawats Sitzplatz ein und ordnete seine Papiere. Noch einen Tag auf Caladan, dachte er. Er sah sich im Trainingsraum um. Dann gehen wir. Irgendwie wurde ihm erst jetzt richtig bewußt, daß der Abschied von dieser Welt kurz bevorstand. Und ihm fiel noch etwas ein, was die alte Frau über die Summe dessen, was eine Welt ausmachte, gesagt hatte: die Leute, der Schmutz, die Gewächse, die Monde, die Gezeiten, die Sonnen. All das machte die Summe jener Unbekannten aus, die man Natur nannte; eine vage Aufzählung ohne irgendeinen Sinn des Jetzt. Und er fragte sich: Was ist das Jetzt?

Die Paul nun gegenüberliegende Tür sprang auf, und ein untersetzter, ziemlich häßlicher Mann, bepackt mit einem Arm voller Waffen, trat ein. »Nanu, Gurney Halleck«, rief Paul, »bist du der neue Waffenmeister?«

Halleck trat die Tür mit der Ferse zu. »Du denkst sicher, daß ich gekommen bin, um mit dir ein Spielchen zu machen«, sagte er und schaute um sich, als wolle er sich davon überzeugen, daß Hawats Männer auch alles richtig hinausgetragen und alles Nötige für die Sicherheit des herzoglichen Erben getan hätten.

Paul beobachtete, wie sich der häßliche Mann in Bewegung setzte und die eingesammelten Waffen auf dem Trainingstisch aufstapelte. An einem Band über Hallecks Schulter baumelte ein neunsaitiges Baliset.

Halleck wuchtete die Waffen auf einen Haufen und begann sie zu sortieren: die Rapiere, die Bodkins, die Kindjals, die leichten Lähmer, die Bolzen verschossen, und die Schildgurte. Die rosafarbene Narbe auf seiner Wange glühte, als er lächelte.

»Hast du nicht einmal einen guten Morgen für mich übrig?« grinste er. »Und was hast du mit dem alten Hawat angestellt? Er rannte so schnell an mir vorbei, als sei er drauf und dran, in die Haupthöhle seines Erzfeindes vorzustoßen.«

Paul lachte. Von allen Männern seines Vaters mochte er Gurney Halleck am liebsten, und schätzte seine Eigenarten und seinen Humor. Halleck war für ihn mehr ein Freund, denn ein bezahlter Kämpfer.

Halleck nahm das Baliset von der Schulter und begann es zu stimmen. »Wenn du keine Lust zum Reden hast, dann laß es eben«, meinte er.

Paul blieb mitten im Raum stehen und rief aus: »Sag, Gurney, ist es der richtige Moment, sich mit Musik auseinanderzusetzen, wenn ein Kampf bevorsteht?«

»Das sind wir unseren Vorfahren einfach schuldig«, gab Halleck zurück. Er entlockte dem Instrument einen Ton und nickte befriedigt.

»Wo ist Duncan Idaho?« fragte Paul. »Sollte er jetzt nicht hier sein und mich in Kampftechnik unterrichten?«

»Duncan leitet die zweite Welle bei der Landung auf Arrakis«, erwiderte Halleck. »Alles, was man zurückgelassen hat, ist der arme Gurney, der eigentlich viel lieber auf seinem Baliset spielen möchte.« Er klimperte auf dem Instrument und grinste. »Außerdem hat die Vollversammlung beschlossen, daß es sowieso vertane Zeit ist, dich in der Kunst des Fechtens zu unterrichten. Statt dessen sollst du Musik studieren, damit wenigstens nicht dein ganzes Leben sinnlos vergeudet ist.«

»Vielleicht«, sagte Paul listig, »solltest du mir dann zuerst eine Zote vorsingen, damit ich wenigstens erfahre, wie man es nicht machen soll.«

»Ahaha!« lachte Gurney und wechselte über zu dem Lied der Mädchen von Galacia:

»Die Mädchen von Galacia

Die tun es für ein Goldstück, ja …

Auf Arrakis, das ist kein Stuß,

Da treiben sie's für'n feuchten Kuß.

Doch zieht dich wahres Feuer an,

Dann nimm ein Weib von Caladan.«

»Nicht übel das Riff, für einen, der zwei linke Hände hat«, meinte Paul, »aber wenn meine Mutter wüßte, was du in diesem heiligen Gemäuer für Schwänke komponierst, würde sie zu Dekorationszwecken deine Ohren an die Außenmauern nageln lassen.«

Gurney zog an seinem linken Ohrläppchen. »Fraglos eine armselige Art der Verschönerung von Burgmauern«, meinte er bedauernd. »Sie sind ziemlich groß geworden, während all der Versuche, durch ein gewisses Schlüsselloch die Kompositionsversuche eines jungen Mannes zu erhaschen.«

»Du hast wohl auch vergessen, was für ein Gefühl es ist, Sand in seinem Bett zu finden«, gab Paul zurück. Er nahm einen Schildgurt vom Tisch und schnallte ihn um seine Hüften. »Ha! Laß uns kämpfen!«

Hallecks Augen rollten in gespielter Überraschung. »Aha! Es war Eure freche Hand, die dies mir tat! Seht Euch vor, mein Herr! Seht Euch vor!« Er fischte nach einem Rapier, bog es zwischen beiden Händen und ließ es durch die Luft zischen. »In meiner Wut kann ich ein Schwein sein!«

Paul hob das andere Rapier, bog es ebenfalls durch und machte in Verteidigungsposition. Es war ganz die Art der Parodie, die Dr. Yueh gar nicht schätzte.

»Welch einen Tölpel schickt mein Vater mir zum Kampfe«, intonierte Paul. »Dieser Bauerntrampel namens Gurney Halleck kennt nicht einmal die erste Faustregel erfolgreichen Fechtens!« Er betätigte den Aktivierungsschalter an der Hüfte und fühlte, wie das Schutzfeld ihn umgab. Die Außengeräusche drangen jetzt nur noch wie durch ein Filter an seine Ohren. »Beim Schildkampf geht man schnell bei der Verteidigung und langsam beim Angriff«, rezitierte Paul. »Der Angriff hat den hauptsächlichen Zweck, den Gegner zu einem Fehltritt zu verleiten und ihn vom Generalangriff abzulenken. Der Schild wehrt den schnellen Stoß ab, im Gegensatz zum langsamen.« Er riß das Rapier hoch, ließ es einige Male wippen und zog es dann zurück, um einen genau vorbereiteten, langsamen Stoß anzubringen.

Halleck schaute ihm zu und drehte sich in letzter Sekunde, um die Klinge haarscharf an der Brust vorbeizischen zu lassen. »Die Geschwindigkeit war exzellent«, gab er zu, »aber du warst für einen heimtückischen Schlag von unten zu ungeschützt.«

Ernüchtert machte Paul einen Schritt zurück.

»Für diese Sorglosigkeit sollte ich dir eigentlich den Hintern versohlen«, stellte Halleck fest. Er nahm ein blankes Kindjal vom Tisch und hielt es hoch. »Eine Waffe wie diese kann in der Hand eines Feindes deinem Leben ein Ende setzen! Du bist ein hervorragender Schüler, aber ich kann dich nicht oft genug davor warnen, nicht einmal im Spiel einen Mann in deine Deckung eindringen zu lassen, wenn seine Hand den Tod bringen kann.«

»Ich glaube, ich habe heute einfach nicht die richtige Lust«, meinte Paul.

»Lust?« Hallecks Stimme klang sogar durch seinen Schild hindurch noch wütend. »Was hat Lust damit zu tun? Man hat zu kämpfen, wenn die Lage es erfordert, ob man Lust dazu verspürt oder nicht. Das Lustprinzip kannst du bei der Liebe anwenden oder beim Spielen des Balisets — aber doch nicht beim Kämpfen!«

»Tut mir leid, Gurney.«

»Aber nicht leid genug!«

Den eigenen Schild regulierend, das Kindjal in der ausgestreckten Hand, stürmte er vor. »Wehr dich«, rief er. Er sprang nach links, dann nach vorn und setzte zum Angriff an.

Paul wich zurück und parierte. Er hörte es knirschen, als die Schilde einander berührten, fühlte das Summen elektrischer Entladungen auf der Haut. Was war denn plötzlich mit Gurney los? Dies ist doch kein Spiel mehr! Paul bewegte die linke Hand, und der Bodkin glitt aus der Scheide und legte sich zwischen seine Finger.

»Nun merkst du endlich, wie wichtig eine zweite Klinge sein kann, wie?« ächzte Halleck.

Verrat? überlegte Paul. Aber doch nicht Gurney!

Sie bekämpften einander quer durch den großen Raum, angreifend und parierend, ausweichend und erneut aufeinander losgehend. Die Luft unter den Schilden wurde von Minute zu Minute schlechter, was daran lag, daß sie sich nicht erneuern konnte. Nach jedem neuen Zusammenprall der Schilde wurde der Ozonduft stärker.

Paul zog sich langsam zurück und näherte sich dabei dem Übungstisch. Wenn ich ihn an den Tisch heranlocken kann, dachte er, werde ich ihm einen Trick vorführen. Nur noch einen Schritt, Gurney!

Halleck machte ihn.

Paul ließ sein Rapier nach unten zischen und sah, daß Hallecks Waffe sich am Tischbein verfing. Paul wich zur Seite, riß das Rapier wieder hoch und war im gleichen Moment mit dem Bodkin dicht an Hallecks Kehle. Zwei Zentimeter von seiner Schlagader entfernt.

»Hast du darauf gewartet?« flüsterte Paul.

»Sieh nach unten, Bursche«, keuchte Halleck.

Paul gehorchte. Unter der Tischkante sah er Hallecks Waffe. Sie berührte fast seinen Unterleib.

»Wir wären beide umgekommen«, erklärte Halleck. »Aber ich sehe ein, daß du unter einem gewissen Druck weit besser kämpfst als sonst. Offenbar ist dir die Lust inzwischen doch gekommen.« Er grinste wölfisch, und die Narbe an seinem Kinn leuchtete.

»Du hast mir wirklich ganz ordentlich zu schaffen gemacht«, gab Paul zu. »Hättest du mich wirklich verletzt?«

Halleck zog das Kindjal zurück und richtete sich auf. »Ich hätte dir sicherlich eine Narbe beigebracht, wärst du zu faul gewesen, einen vollen Einsatz zu bringen. Ich möchte nicht, daß mein Schützling dem erstbesten dahergelaufenen Harkonnen zum Opfer fällt.«

Paul desaktivierte seinen Schild und lehnte sich gegen den Tisch, um den Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Ich verstehe das, Gurney. Aber du hättest meinen Vater sicher gegen dich aufgebracht, wäre ich verletzt worden. Ich möchte nicht, daß man dich wegen meines Versagens bestraft.«

»Was diese Sache angeht«, erwiderte Halleck, »wäre das genauso mein eigenes Versagen gewesen. Außerdem brauchst du dir keine Sorgen über die eine oder andere Narbe zu machen, die man sich beim Training zuziehen kann. Und was deinen Vater betrifft: der Herzog wäre höchstens erbost darüber, wenn ich es nicht schaffen würde, aus dir einen erstklassigen Kämpfer zu machen. Und das wäre mir nicht gelungen, hätte ich so getan, als würden wir hier lediglich herumspielen.«

Paul erhob sich und steckte den Bodkin wieder in die Scheide zurück.

»Es ist wirklich kein Spiel, das wir hier treiben«, fügte Halleck hinzu.

Paul nickte. Er wunderte sich über die ungewöhnliche Ernsthaftigkeit Hallecks. Er starrte auf die breite Narbe am Kinn des Mannes und erinnerte sich daran, wie er zu ihr gekommen war: in einer Sklavenunterkunft der Harkonnens auf Giedi Primus. Und er fühlte einen Moment lang ein Gefühl der Scham, weil ihm während des Kampfes der Gedanke gekommen war, Halleck könne es ernst meinen. Eine solche Narbe konnte einem Menschen nur unter Schmerzen zugefügt werden, unter sehr starkem Schmerz, der sicher viel intensiver gewesen sein mußte als der, den er durch die Ehrwürdige Mutter erfahren hatte. Paul schob den Gedanken daran beiseite; er brachte beinahe sein Bewußtsein zum Erstarren.

»Wahrscheinlich habe ich wirklich auf ein Spiel gehofft«, sagte Paul. »Seit einiger Zeit sind die Dinge um mich herum ein wenig ernst geworden.«

Um seine Gefühle zu verbergen, wandte sich Halleck ab. Irgend etwas brannte in seinen Augen. Es war Schmerz in ihm, wie in einer Brandblase, und es schien, als sei dies alles, was von seiner Vergangenheit übriggeblieben war.

Dieses Kind muß schnell die Reife eines Erwachsenen erreichen, dachte er. Und sein Bewußtsein den Zusammenhang brutaler Gefahren.

Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Ich habe gemerkt, daß du spielen wolltest, Junge, und ich bin wirklich der letzte, der sich weigert, dabei mitzumachen. Aber von nun an wird es kein Spiel mehr sein. Morgen gehen wir nach Arrakis. Und Arrakis ist ebenso real wie die Harkonnens.«

Paul berührte mit der flachen Seite der Rapierklinge seine Stirn.

Halleck wandte sich um, sah die Salutsbezeigung und quittierte sie mit einem Nicken. Er deutete auf die Übungspuppe. »Wir müssen noch etwas an deinem timing arbeiten. Laß mich einmal sehen, wie du den Pappkameraden angehst. Ich werde es von diesem Platz aus beobachten. Und laß es dir eine Warnung sein: Ich werde heute einige dir neue Gegenangriffe ausprobieren. Eine solche Warnung würde dir ein wirklicher Feind niemals zukommen lassen.«

Pauls Gestalt straffte sich. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Muskeln zu spannen. Irgendwie kam er sich unter dem Eindruck dieser ganzen plötzlichen Wechsel erwachsener vor. Er ging auf die Übungspuppe zu, berührte den Schalter an ihrer Hüfte mit der Spitze seines Rapiers und spürte, wie das sich einschaltende Feld seine Klinge beiseite drückte.

»Angriff!« donnerte Halleck, und die Puppe erwachte zum Leben.

Paul aktivierte seinen Schild, parierte und schlug zurück.

Während Halleck die Kontrollen bediente, ließ er keinen Blick von dem Jungen. Sein Bewußtsein schien sich zu spalten: das eine Auge musterte die Bewegungen Pauls, das andere die der Puppe.

Ich bin wie ein mit Wissen gefülltes Lehrbuch, dachte er. Voll mit allen existierenden Tricks und Kniffen und bereit, jedermann davon profitieren zu lassen.

Aus unerfindlichen Gründen mußte er plötzlich an seine Schwester denken, deren elfenhaftes Gesicht vor seinem inneren Auge erschien. Sie war tot, umgekommen in einem Truppenbordell der Harkonnens. Sie hatte Stiefmütterchen geliebt — oder Gänseblümchen? Er wußte es nicht mehr. Es ärgerte ihn, daß er sich daran nicht mehr erinnern konnte.

Paul konterte einen langsam geführten Schlag der Puppe, riß die linke Hand hoch und durchbrach den Schild.

Wie ein flinker, ausgefuchster Teufel! dachte Halleck. Er hat garantiert heimlich geübt. Es ist weder Duncans Stil noch der meinige.

Dieser Gedanke trug noch mehr zu seiner Traurigkeit bei. Auch ich brauche Lust dazu, dachte er. Und er fragte sich, ob der Junge je gemerkt hatte, wie er nachts einsam in sein Kissen weinte.

»Wären unsere Wünsche wie Fische, würden wir sie mit Netzen einfangen«, murmelte er.

Es war eine Redensart, die seine Mutter stets benutzt hatte, und Halleck wendete sie stets an, wenn die Dunkelheit des unbekannten Morgen an ihm nagte. Aber ihm fiel auf, daß diese Redensart überhaupt nicht zu einem Planeten paßte, der weder Meere noch Fische kannte.

5

YUEH (yü'ě), Wellington (wěl'ing-tǔn), Stndrd 10 082-10 191; Arzt der Suk-Schule (grad. Stndrd 10 112); verh. m.: Wanna Marcus, B. G. (Stndrd 10 092-10 186?); haupts. bek. gew. weg. s. Verrats an Herzog Leto Atreides (Cf: Bibliographie, Appendix VII / Kaiserliche Konditionierung / und Betrug, Der).

Aus ›Wörterbuch des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Obwohl Paul deutlich hörte, wie Dr. Yueh den Trainingsraum betrat und gleichzeitig registrierte, daß die Stimmung des Mannes nicht die beste war, blieb er ausgestreckt und mit dem Gesicht nach unten auf dem Übungstisch liegen — so, wie die Masseuse ihn zurückgelassen hatte. Nach der anstrengenden Übungsstunde mit Gurney Halleck fühlte er sich herrlich entspannt.

»Du machst einen zufriedenen Eindruck«, sagte Yueh in der ihm eigenen kühlen, etwas seltsam hoch klingenden Stimme.

Paul hob den Kopf und sah die steife Gestalt nur wenige Schritte von sich entfernt stehen. Ein kurzer Blick zeigte ihm, daß Yueh aussah wie immer: in schwarzer Kleidung, mit purpurnen Lippen und einem quadratschädeligen Kopf und einem herabhängenden Schnauzbart. Die diamantene Tätowierung der Kaiserlichen Konditionierung prangte auf seiner Stirn. Sein langes schwarzes Haar wurde auf der linken Seite von einem Silberreif der Suk-Schule zusammengehalten.

»Es wird dich vielleicht freuen, daß wir heute keine Zeit für irgendeinen Unterricht haben werden«, fuhr Yueh fort. »Dein Vater wird gleich hierher kommen.«

Paul setzte sich auf.

»Ich habe allerdings dafür gesorgt, daß dir während des Fluges die Filmbücherei zur Verfügung steht.«

»Oh.«

Paul begann sich anzuziehen. Es freute ihn, daß sein Vater kommen wollte. Seit dem Befehl des Imperators, das Lehen auf Arrakis zu übernehmen, hatten sie wenig Zeit miteinander verbracht.

Vom Ende des Tisches aus dachte Yueh: Was der Junge in den letzten Monaten alles gelernt hat! Welche Verschwendung! Welch traurige Verschwendung. Und er erinnerte sich daran, was er sich selbst vorgenommen hatte: Ich darf auf keinen Fall schwach werden! Was ich tue, tue ich nur, um zu verhindern, daß meine Wanna noch weiter von diesen Harkonnen-Bestien gequält wird.

Paul kam auf ihn zu und schloß sein Jackett. »Was werde ich während der Reise alles erfahren?«

»Mmmmm, etwas über die irdischen Lebensformen auf Arrakis. Es scheint, daß der Planet eine Reihe von Lebensformen angenommen hat, die ursprünglich von der Erde stammten. Man hat noch nicht herausgefunden, wie. Nach unserer Ankunft werde ich den planetaren Ökologen — einen gewissen Dr. Kynes — aufsuchen und ihm anbieten, ihn bei seinen Forschungen zu unterstützen.«

Und Yueh dachte: Was rede ich denn da? Jetzt belüge ich mich schon selbst.

»Lerne ich auch etwas über die Fremen?« fragte Paul.

»Die Fremen?« Yuehs Finger trommelten über die Tischplatte. Als er sah, daß Paul seine Nervosität bemerkte, zog er die Hand zurück.

»Gibt es auch Material über die Gesamtbevölkerung von Arrakeen?«

»Ja, ich bin ziemlich sicher«, gab Yueh zurück. »Es gibt zwei unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Die einen sind die Fremen, die anderen die Bewohner der Gräben, Senken und Ebenen. Wie ich gehört habe, sind Ehen zwischen Mitgliedern beider Gruppen nicht unmöglich. Die Frauen der Senken und Ebenen bevorzugen Fremen als Ehemänner, während es bei den weiblichen Fremen genau umgekehrt ist. Es gibt ein Sprichwort bei ihnen, das heißt: ›Die Bildung kommt aus den Städten — die Weisheit jedoch aus der Wüste.‹«

»Gibt es Bilder dieser Leute?«

»Ich werde sehen, was sich machen läßt. Das interessanteste an ihnen sind zweifellos die Augen. Sie sind völlig blau, verstehst du? Es gibt nicht das geringste Weiß in ihnen.«

»Sie sind Mutationen?«

»Nein. Das liegt daran, weil sie ihr Blut mit Melange übersättigen.«

»Die Fremen müssen sehr tapfer sein, wenn sie dort am Rand der Wüste leben.«

»Das sind sie wohl«, bestätigte Yueh. »Sie schreiben sogar Gedichte über ihre Messer. Ihre Frauen sind ebenso stolz wie die Männer. Selbst die Kinder der Fremen sind wild und gefährlich. Ich glaube kaum, daß man dich mit ihnen spielen lassen wird.«



Paul starrte Yueh an. Die wenigen Worte, die der Mann über die Fremen hatte fallengelassen, hatten bereits genügt, um in ihm den Gedanken reifen zu lassen, daß sie als Verbündete geradezu ideal waren!

»Und die Würmer?« fragte er.

»Die — was?«

»Ich würde gerne auch etwas mehr über die Sandwürmer erfahren.«

»Ja, natürlich. Ich habe ein Filmbuch über ein etwas kleineres Exemplar eines Sandwurms. Er ist nicht größer als hundertzehn Meter. Man hat ihn in den nördlichen Breitengraden aufgenommen. Aber es gibt auch glaubhafte Aussagen über die Existenz von Würmern, die länger als vierhundert Meter sind, und es gibt keinen Grund, zu glauben, daß nicht noch größere Exemplare auf Arrakis leben.«

Paul warf einen Blick auf die vor ihm ausgebreitete Karte, die den nördlichen Teil Arrakis' zeigte. »Der Wüstengürtel und die Südpolarregion gelten als unbewohnbar. Liegt das an den Würmern?«

»Und an den Stürmen.«

»Aber jeder Planet läßt sich bewohnbar machen.«

»Aber nur, wenn es sich wirtschaftlich vertreten läßt«, erklärte Yueh. »Auf Arrakis gibt es viele Gefahren.« Er zupfte an seinem Schnauzbart. »Dein Vater wird bald hier sein. Aber bevor ich wieder gehe, möchte ich dir noch ein Geschenk übergeben, das mir beim Packen in die Hände fiel.« Er legte einen Gegenstand vor Paul auf den Tisch. Es war schwarz, von rechteckiger Form und nicht größer als Pauls Daumennagel.

Paul sah ihn sich an. Als Yueh bemerkte, daß er nicht gleich danach griff, dachte er: Wie vorsichtig er ist.

»Es ist eine sehr alte Orange-Katholische-Bibel für Leute, die durch den Raum reisen. Kein Filmbuch, sondern ein richtig auf Papier gedrucktes. Der Text wird automatisch auf eine lesbare Größe gebracht. Hier.« Er öffnete das Buch und zeigte es ihm. »Auf einen Druck hin öffnet es sich. Du brauchst nur auf den Einband zu drücken, so — und die Seite, die du ausgewählt hast klappt auf, nachdem das Buch sich geöffnet hat.«

»Es ist wirklich winzig.«

»Und es hat achtzehnhundert Seiten. Du brauchst nur auf den Rand zu drücken — so — und die Seite wechselt, wenn du die nächste lesen möchtest. Du solltest es vermeiden, die einzelnen Seiten direkt mit den Fingern zu berühren. Diese Bibel ist sehr kostbar.« Yueh schloß das Buch wieder und reichte es Paul. »Versuch es einmal.«

Während er darauf achtete, wie Paul daran herumfingerte, dachte er: Ich versuche, mein Gewissen zu beruhigen. Ich weise ihn auf die Tröstungen der Kirche hin und verrate ihn anschließend. Als würde ich damit meine Schuld von mir abwälzen können.

»Man muß es hergestellt haben, bevor die Filmbücher erfunden wurden«, meinte Paul.

»Es ist wirklich unglaublich alt. Bewahre es als dein Geheimnis. Möglicherweise werden deine Eltern der Ansicht sein, dies sei ein zu wertvolles Gut für einen Jungen.«

Und Yueh dachte: Seine Mutter würde sich garantiert über meine Beweggründe, ihm diese Bibel zu schenken, wundern.

»Nun …« Paul verschloß das Buch und wog es in der Hand. »Wenn es wirklich so wertvoll ist …«

»Vertraue dem alten Mann, der es dir schenkt«, beschwichtigte Yueh den Jungen. »Auch ich habe es geschenkt bekommen, als ich noch ein Kind war.« Ich muß seine Begierde ebenso fesseln wie sein Bewußtsein. »Öffne es einmal bei Kalima 4607. Dort heißt es: ›Alles Leben entstammt dem Wasser.‹ Auf dem Umschlag befindet sich genau an dieser Stelle eine Kerbe, die die Seite markiert.«

Pauls Finger tasteten über den Umschlag und entdeckten sogar zwei Kerben, eine war flacher als die andere. Er drückte auf die Kerbe eins und das Buch öffnete sich in seiner Hand. Der Vergrößerer schnellte an seinen Platz.

»Lies es laut«, sagte Yueh.

Paul befeuchtete mit der Zunge seine Lippen und las: »Werde dir der Tatsache bewußt, daß ein Tauber nicht hören kann. Bedeutet dies nicht, daß wir alle in gewisser Weise taub sind? Welche Sinne fehlen uns, daß wir nicht in der Lage sind, die andere Welt um uns herum wahrzunehmen? Was befindet sich in unserer Nähe, das wir nicht …«

»Hör auf!« bellte Yueh.

Verwirrt brach Paul ab und starrte ihn an.

Yueh schloß die Augen und kämpfte um seine Selbstkontrolle. Welche perverse Fügung ist es, die ihn das Buch ausgerechnet an Wannas bevorzugter Stelle aufschlagen läßt? dachte er. Er öffnete die Augen und sah noch immer Pauls Blick auf sich gerichtet.

»Stimmt irgend etwas nicht?« fragte Paul.

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Yueh. »Es war … die bevorzugte Stelle meiner verstorbenen Frau, nicht die, die du lesen solltest. Als du sie lasest, erweckte sie schmerzliche Erinnerungen in mir.«

»Auf dem Umschlag sind zwei Kerben«, wies Paul ihn darauf hin.

Natürlich, dachte Yueh. Auch Wanna hat die von ihr geschätzten Worte markiert. Pauls Finger haben einfach mehr Gefühl als meine. Es war ein Unfall, der nicht wieder vorkommen darf.

»Vielleicht findest du das Buch interessant«, sagte er. »In ihm stecken eine Menge historischer Wahrheiten und philosophische Ethik.«

Paul sah, wie es klein und winzig auf seiner Handfläche lag. Es schien ein Geheimnis zu enthalten, denn irgend etwas war, während er aus ihm vorgelesen hatte, geschehen. Er hatte deutlich gefühlt, wie sein schrecklicher Zweck erwacht war.

»Dein Vater wird jede Minute hier sein«, sagte Yueh. »Am besten steckst du das Buch weg und liest es nur zu deiner Entspannung.«

Paul drückte auf den Rand, genau wie Yueh es ihm gezeigt hatte, und das Buch schloß sich. Er steckte es unter seine Tunika. In dem Augenblick, in dem Yueh ihn angeschrien hatte, hatte er schon befürchtet, er wolle es zurückhaben.

»Ich danke Ihnen für Ihr Geschenk, Dr. Yueh«, sagte Paul in offiziellem Tonfall. »Es wird unser Geheimnis bleiben. Wenn ich Ihnen jemals einen Gefallen erweisen kann, zögern Sie nicht, mich darum zu bitten.«

»Ich brauche … nichts«, erwiderte Yueh.

Aber er dachte: Warum stehe ich hier herum und martere mich selbst? Und ebenso diesen armen Burschen auch wenn er davon nichts merkt? Achch! Diese verfluchten Harkonnen-Bestien! Warum haben sie ausgerechnet mich für ihre schmutzigen Pläne ausgesucht?

6

Welche Erkenntnis ziehen wir aus dem Studium von Muad'dibs Vater? Herzog Leto Atreides war gleichzeitig ein Mann voller überragender Wärme und überraschender Kühle zugleich. Es gibt viele Anzeichen, die uns dieses Bild von ihm beweisen: seine bleibende Liebe zu seiner Bene-Gesserit-Lady; die Träume, die er in seinem Sohn erweckte; die Verehrung, mit der ihm die ihm dienenden Männer entgegenkamen. Er war ein Mann, der unentrinnbar mit seinem Schicksal verstrickt war, eine einsame Gestalt, deren Glanz verblaßte vor der Glorie seines Sohnes. Und doch sollten wir uns fragen: Was ist der Sohn anderes als das Abbild des Vaters?

Aus ›Bemerkungen zur Familie des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Paul sah, wie sein Vater den Trainingsraum betrat und seine Leibwächter vor der Tür Aufstellung nahmen. Einer seiner Männer schloß die Tür. Erneut hatte Paul das Gefühl der Allgegenwärtigkeit dieses Mannes.

Der Herzog war hochgewachsen und seine Haut hatte die Farbe von Oliven. Sein schlankes Gesicht war faltig, aber seine tiefgründigen, grauen Augen waren voller Wärme. Er trug eine schwarze Uniform, auf deren Brust der rote Habicht leuchtete. Um seine Hüften schlang sich ein Schildgürtel, dessen Abgegriffenheit von ständigem Benutzen zeugte.

Der Herzog sagte: »Du steckst tief in der Arbeit, mein Sohn?« Er näherte sich dem Tisch, registrierte die darauf ausgebreiteten Papiere und suchte Pauls Blick. Er fühlte sich müde und ihm wurde schmerzhaft bewußt, daß er seine wirkliche Stimmung zu unterdrücken hatte. Ich muß während der Überfahrt jede Chance nutzen, um mich auszuruhen, dachte er, denn auf Arrakis wird es keine Gelegenheit mehr dazu geben.

»Nicht besonders«, meinte Paul. »Es ist alles so …« Er zuckte die Achseln.

»Na ja. Morgen sind wir fort von hier. Es wird herrlich sein, wenn wir erst einmal unser neues Heim bezogen haben und die Hast der vergangenen Wochen vergessen können.«

Paul nickte, und im gleichen Augenblick fiel ihm ein, daß die Ehrwürdige Mutter gesagt hatte: »… für den Vater gibt es keinen Ausweg.«

»Vater«, begann Paul, »wird es auf Arrakis wirklich so gefährlich werden, wie das alle sagen?«

Der Herzog zwang sich zu einer freundlichen Geste. Er nahm auf dem Tischrand Platz und lächelte. Eine ganze Reihe von Antworten flutete durch sein Gehirn, und ihm fielen die Worte ein, die er seinen Männern sagen würde, bevor sie in eine Schlacht hinauszögen. Und jede Antwort verblaßte, noch ehe er sie aussprechen konnte, vor dem Gedanken:

Dies ist mein Sohn.

»Es wird gefährlich werden«, gab er zu.

»Hawat sagte mir, es gebe einen Plan, nach dem wir uns mit den Fremen zusammentun sollten«, sagte Paul. Warum erzähle ich ihm eigentlich nicht, was die alte Frau über ihn gesagt hat? Wie hat sie es nur geschafft, meine Zunge daran zu hindern?

Da die Qual in der Stimme Pauls für den Herzog unüberhörbar war, antwortete er: »Wie immer, so sieht Hawat auch in diesem Fall immer nur das Schlimmste. Aber es gibt auch noch eine Reihe von anderen Möglichkeiten. Etwa die MAFEA. Als Ihre Majestät mir Arrakis gab, gab sie mir auch einen Posten im Aufsichtsrat. Ein kleiner, aber nicht zu unterschätzender Gewinn.«

»Diese Gesellschaft kontrolliert den Gewürzhandel«, sagte Paul.

»Und Arrakis, auf dem ein wichtiges Gewürz wächst, ist genau der Weg, der in das Innere der MAFEA hineinführt.«

»Hat die Ehrwürdige Mutter dich schon gewarnt?« platzte es plötzlich aus Paul heraus. Er ballte die Fäuste und fühlte, wie seine Handflächen feucht wurden. Es war unglaublich, welche Anstrengung ihn diese Frage gekostet hatte.

»Hawat sagte mir, daß sie dich mit irgendwelchen Befürchtungen wegen Arrakis geängstigt hat«, erwiderte der Herzog. »Laß dir von den Ängsten einer alten Frau nicht das Gehirn vernebeln. Keine Frau kann es ertragen, wenn die, die sie gerne hat, sich unbekannten Gefahren aussetzen. Und bestimmt war für diese Warnungen irgendwie auch deine Mutter verantwortlich. Du solltest dies als ein Zeichen ihrer Liebe zu uns werten.«

»Weiß sie etwas über die Fremen?«

»Ja, und noch ein wenig mehr.«

»Was?«

Der Herzog dachte: Die Wahrheit könnte sich als schlimmer herausstellen, als er jetzt denkt. Aber selbst die gefährlichsten Tatsachen werden überschaubar, wenn man sie kennt. Aber auch wenn mein Sohn in dieser Hinsicht nichts versäumt hat, muß ich doch darauf achten, daß er nicht zu sehr belastet wird, denn er ist noch sehr jung.

»Nur wenige Produkte unterliegen nicht der Kontrolle der MAFEA«, erklärte er: »Holz, Esel, Pferde, Kühe, Mist, Raubfische, Walhaut — also hauptsächlich prosaische und exotische Waren und auch nicht der armselige Pundi-Reis von Caladan. All das wird von der Gilde transportiert, ob es sich nun um Kunstgegenstände von Ecaz oder um Maschinen von Richese oder Ix handelt. Aber all das ist nichts gegen Melange. Eine Handvoll dieses Gewürzes bringt dir auf Tupile einen Palast ein. Es ist unmöglich, dieses Gewürz in einer Fabrik herzustellen. Es muß auf Arrakis abgebaut werden, weil es einmalig ist und echte altershemmende Wirkung besitzt.«

»Und es liegt nun unter unserer Kontrolle?«

»Bis zu einem gewissen Grad. Wie du sicher weißt, leben alle Hohen Häuser praktisch nur von den Profiten, die ihnen die Gesellschaft einbringt. Und der größte Teil dieses Profits stammt aus dem Gewürzhandel der Allianz. Man kann sich leicht vorstellen, was passieren könnte, wenn dieser Handel irgendwie eingeschränkt würde.«

»Wer genügend Melange gehortet hätte, könnte daraus das Geschäft seines Lebens machen«, sinnierte Paul. »Während die anderen erledigt wären.«

Der Herzog empfand in diesem Augenblick das Gefühl grimmiger Befriedigung. Er blickte seinen Sohn an und stellte fest, wie einmalig treffend, wie unglaublich schnell er begriffen hatte und wie scharf seine Gedankengänge waren. Er nickte. »Und seit mehr als zwanzig Jahren tun die Harkonnens nichts anderes als Melange zu horten.«

»Sie werden versuchen, den Gewürzabbau zum Stocken zu bringen und die Schuld daran dir in die Schuhe zu schieben.«

»Sie haben vor, den Namen Atreides unmöglich zu machen«, führte der Herzog aus. »Bisher war unsere Stellung im Landsraad unangefochten. Man sieht in mir sogar einen zukünftigen Sprecher. Und nun stell dir vor, wie all die Hohen Häuser reagieren würden, wenn es so aussieht, als würde ich ihre Profite schmälern! Schließlich kommen die an erster Stelle, und zweitens kann die Große Konvention der Teufel holen! Schließlich kann man doch nicht zulassen, daß man zum Bettler wird!« Ein hartes Lächeln grub sich in die Züge des Herzogs. »Wenn es wirklich hart auf hart kommt, werden sie beschäftigt in die entgegengesetzte Richtung starren.«

»Auch dann, wenn wir mit Atomwaffen angegriffen werden?«

»Nein, das ist ausgeschlossen. Niemand würde die Große Konvention offen brechen. Aber irgend etwas anderes, etwas, das sich im Dunkel erledigen läßt, vielleicht mit Gift …«

»Und warum gehen wir dann überhaupt nach Arrakis?«

»Paul!« Die Stirn des Herzogs runzelte sich, als er seinen Sohn ansah. »Wenn man weiß, wo die Falle steht dann ist das schon zumindest eine Möglichkeit, ihr aus dem Wege zu gehen. Es ist wie ein Kampf Mann gegen Mann, mein Sohn, nur auf einem größeren Feld. Eine Finte gegen eine Finte gegen eine Finte … und immer so weiter. Die Aufgabe dabei ist, auf keine hereinzufallen. Da wir wissen, daß die Harkonnens Melange horten, lautet die Frage, die wir uns zu stellen haben, folgendermaßen: Wer unterstützt sie dabei? Dann wissen wir, wer unsere Feinde sind.«

»Wer?«

»Es gibt einige Häuser, die uns schon immer offen feindlich gegenüberstanden, aber auch solche, von denen wir dachten, sie seien unsere Freunde. Es würde wenig Zweck haben, sie jetzt herauszufinden zu versuchen, weil es zumindest einen Feind gibt, gegen den alle anderen verblassen, und zwar niemand anderes als unser geliebter Padischah-Imperator.«

Mit knochentrockener Kehle versuchte Paul zu schlucken. »Könntest du nicht den Landsraad einberufen, um …«

»Sollte man seinem Feind sagen, daß man längst weiß, in welcher Hand er das Messer verborgen hält? Ah, Paul wir wissen, daß er es hat und wo. Aber danach wissen wir es nicht mehr. Wenn wir den Landsraad benachrichtigen, wird dies zuerst einmal eine Wolke der Konfusion erzeugen. Natürlich würde der Imperator die Vorwürfe zurückweisen. Wer würde es dann noch wagen, ihn einer Lüge zu bezichtigen? Alles was wir erreichten, wäre ein kleiner Aufschub. Und aus welcher Richtung der nächste Angriff käme, wäre dann nicht mehr so schnell zu erfahren.«

»Und alle anderen Häuser würden ebenfalls Melange horten.«

»Unsere Feinde haben einen uneinholbaren Vorsprung. Er ist zu groß, um ihn noch aufzuholen.«

»Der Imperator«, sagte Paul. »Das beinhaltet auch die Sardaukar.«

»Die zweifellos in der Uniform der Harkonnens auftreten werden«, fügte der Herzog hinzu, »ohne daß sie auch nur einen Funken ihres militaristischen Fanatikertums einbüßen.«

»Ob die Fremen uns nicht gegen sie beistehen können?«

»Hat Hawat dir von Salusa Secundus erzählt?«

»Dem Gefängnisplaneten des Imperators? Nein.«

»Was würdest du sagen, wenn es mehr als nur ein Gefängnisplanet wäre, Paul? Ist dir eigentlich noch nie aufgefallen, daß niemand weiß, wo diese Sardaukar herstammen?«

»Etwa von diesem Gefängnisplaneten?«

»Irgendwo müssen sie herkommen.«

»Aber es heißt doch, Salusa Secundus sei …«

»Das ist es, was wir glauben sollen! Daß sie nichts anderes sind, als besonders ausgewählte Freiwillige, die schon in jungen Jahren im Sinne des Imperators erzogen und gedrillt werden. Man hört nur selten etwas über die Trainingskader des Imperators, und überhaupt würden mit den kaiserlichen Truppen nur die Gleichgewichte erhalten. Hier stehen die Truppen des Landsraad der Hohen Häuser — dort die Sardaukar des Imperators.«

»Aber nach allem, was man hört, soll Salusa Secundus die reinste Hölle sein!«

»Das bezweifelt niemand. Aber wenn du eine harte, gnadenlose Armee heranziehen willst — in welcher planetaren Umgebung würdest du das tun?«

»Aber wie kann man die Loyalität solcher Männer erlangen?«

»Es gibt eine Reihe von Methoden: etwa indem du ihnen einredest, sie stellten eine Superrasse dar, verbunden einer mystischen Philosophie, die durchgesetzt werden muß. Es ist durchführbar. Dies ist zu den verschiedensten Zeiten auf den unterschiedlichsten Welten möglich gewesen.«

Paul nickte. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf das Gesicht seines Vaters gerichtet. Irgendwie faszinierte ihn das alles.

»Und nun stell dir Arrakis vor«, erklärte der Herzog. »Wenn du dort das Haus, die Stadt oder die Garnison verläßt, unterscheidet sich die Welt nicht mehr besonders von Salusa Secundus.«

Mit aufgerissenen Augen sagte Paul: »Die Fremen!«

»Sie bilden ein Potential, das kaum weniger stark und tödlich ist als das der Sardaukar. Es wird eine Menge Geduld kosten, ihnen unsere Sache zu eigen zu machen und eine Menge Geld, sie auszurüsten. Aber die Fremen sind da … und das Geld aus dem Gewürzhandel ebenfalls. Du verstehst jetzt sicher, weshalb wir nach Arrakis gehen, obwohl wir sehr wohl wissen, daß der Planet eine Falle für uns ist.«

»Wissen die Harkonnens denn überhaupt nichts über die Fremen?«

»Sie haben sie verachtet und sie aus ihrem Dünkel heraus wie die Tiere gejagt. Sie haben nicht einmal versucht, herauszufinden, wie viele sie sind. Aber die Politik, die die Harkonnens gegenüber den Bevölkerungen ihrer Planeten anwenden, ist uns ja nichts Neues: Nimm sie so wenig wie möglich zur Kenntnis.«

Als der Herzog die Position wechselte, blitzten die Klammern, die den roten Habicht hielten, auf. »Ist dir jetzt alles klar?«

»Wir verhandeln also bereits mit den Fremen«, mutmaßte Paul.

»Ich schickte ein Kommando unter der Leitung von Duncan Idaho«, erwiderte der Herzog. »Er ist ein stolzer und unbarmherziger Mann, unser Duncan, aber gleichzeitig ein Wahrheitsfanatiker. Ich nehme an, daß die Fremen ihn mögen werden. Wenn wir Glück haben, werden sie uns an ihm messen: Duncan, der Moralist.«

»Duncan, der Moralist«, wiederholte Paul. »Und Gurney, der Tapfere.«

»Du nennst sie bei treffenden Namen.«

Und Paul dachte: Gurney ist einer von denen, die die Ehrwürdige Mutter meinte: ›… die Tapferkeit der Mutigen.‹

»Gurney sagte mir, du seiest beim heutigen Kampf sehr gut gewesen«, sagte der Herzog.

»Mir hat er das nicht gerade gesagt.«

Der Herzog lachte laut. »Ich habe ihn angewiesen, ein wenig sparsam mit jeder Art von Lob zu sein. Er sagte, du wüßtest den Unterschied zwischen einer Schneide und einer Spitze wohl zu schätzen.«

»Gurney sagt auch, daß es keine Kunst sei, jemanden mit der Spitze zu töten. Daß man darauf achten solle, dies auch mit der Schneide fertigzubringen.«

»Gurney ist ein Romantiker«, brummte der Herzog. Es störte ihn ein wenig, daß das Gespräch mit seinem Sohn plötzlich beim Töten angelangt war. »Ich würde mir wünschen, daß du überhaupt niemanden töten mußt. Aber wenn es einmal soweit ist, dann tu es so, wie du es kannst. Mit Schneide oder Klinge.« Er sah zum Oberlicht hinauf, auf das der Regen trommelte.

Dem Blick seines Vaters folgend, erinnerte sich Paul an den feuchten Himmel dort draußen — ein Ereignis, das es auf Arrakis noch nie gegeben hatte. Und der Gedanke daran führte ihn geistig in den Raum hinaus. »Sind die Gildenschiffe wirklich so groß?« fragte er.

Der Herzog sah ihn an. »Ich vergaß, daß du Caladan zum erstenmal verläßt.« Er nickte. »Ja, sie sind sehr groß. Sie sind so riesig, daß alle unsere Fregatten und Transporter zusammengenommen nur einen Bruchteil der Ladefläche eines Heighliners der Gilde bedecken.«

»Und wir brauchen unsere Fregatten nicht allein zu lassen?«

»Ihre Sicherheit ist im Preis inbegriffen. Selbst wenn die Schiffe der Harkonnens direkt neben uns lägen, brauchten wir uns keine Gedanken zu machen. Die Harkonnens würden sich hüten, ihre Raumfahrtprivilegien aufs Spiel zu setzen.«

»Ich würde gerne einmal von einem Bildschirm aus versuchen, einen Gildenmann zu sehen.«

»Das wird kaum möglich sein. Nicht einmal ihre Beauftragten bekommen sie je zu Gesicht. Die Gilde hütet ihr Privatleben ebenso scharf wie ihr Monopol. Ich hoffe, du tust nichts, was unsere Privilegien aufs Spiel setzen könnte, Paul.«

»Hältst du es für möglich, daß sie sich verstecken, weil … weil sie mutiert sind und — nicht mehr menschlich?«

Der Herzog zuckte die Achseln. »Wer weiß? Auf jeden Fall umgibt sie ein Geheimnis, hinter das noch niemand gekommen ist. Aber im Moment haben wir andere Probleme. Und eines davon bist du.«

»Ich?«

»Deine Mutter wünschte, daß ich es dir sage, Junge. Wir schließen nicht aus, daß du die Fähigkeiten eines Mentats hast.«

Paul starrte seinen Vater eine Sekunde lang an und war unfähig, etwas zu erwidern. Dann sagte er überrascht: »Ein Mentat? Ich? Aber das …«

»Selbst Hawat ist dieser Ansicht.«

»Aber … ich habe immer angenommen, daß die Ausbildung eines Mentaten bereits in seiner frühesten Kindheit beginnen muß — und daß er niemals etwas davon erfahren darf, weil dieses Wissen …« Er brach abrupt ab, sich plötzlich bewußt werdend, welche Erziehung er genossen hatte.

»Jetzt wird mir einiges klar«, sagte er.

»An irgendeinem Tag muß der zukünftige Mentat es schließlich erfahren, was mit ihm geschehen ist. Von da an gibt es keine Heimlichkeiten mehr, und die weitere Ausbildung kann nur mit seinem Wissen weitergeführt werden. Manche setzen sie fort; andere schrecken davor zurück. Nur ein geborener Mentat ist in der Lage, den richtigen Weg für sich zu wählen.«

Paul rieb mit der Hand über sein Kinn. Die ganze Ausbildung durch Hawat und seine Mutter — das Gedächtnistraining, die ständigen Hinweise auf die Wachsamkeit, die Muskelübungen, die richtige Benutzung seiner Sinne, die Sprach- und Stimmstudien — alles erschien ihm jetzt in einem völlig neuen Licht.

»Eines Tages«, sagte der Herzog, »wirst du der Herzog sein, mein Sohn. Und etwas Nützlicheres als einen Mentat-Herzog kann ich mir einfach nicht vorstellen. Bist du in der Lage, dich jetzt schon zur Weiterausbildung zu entscheiden? Oder brauchst du etwas Bedenkzeit?«

Ohne zu zögern sagte Paul: »Natürlich mache ich weiter.«

»Das freut mich«, murmelte der Herzog. Paul sah, wie sich ein stolzes Lächeln auf das Gesicht seines Vaters stahl. Aber das Lächeln schockierte ihn: es erschien ihm in diesem Augenblick wie das Grinsen eines Totenschädels. Paul schloß die Augen und fühlte erneut, daß er einem schrecklichen Schicksal entgegentrieb. Vielleicht erfülle ich dieses Schicksal, indem ich Mentat werde?

Aber noch während des Nachdenkens wurde ihm klar, daß er auf der falschen Fährte war.

7

Durch Lady Jessica und den Planeten Arrakis gelangte das Bene-Gesserit-System der Missionaria Protectiva (die Verbreitung von Legenden betreffend) schnell zu vollster Blüte. Das vorbeugende Ausstreuen von Gerüchten über das Erscheinen des Kwisatz Haderach im gesamten bekannten Universum ist anerkennend gewürdigt worden. Nie hat es eine Kampagne gegeben, deren Verbreitung in bezug auf Vorbereitung besser gewesen wäre. Und im Endeffekt führte dies sogar dazu, daß sich Legenden von selbst zu bilden begannen. Heute steht jedenfalls fest, daß die latenten Fähigkeiten der Lady Jessica weit unterschätzt wurden.

Aus ›Die Analyse der Arrakis-Krise‹, von Prinzessin Irulan. Privatdruck, Bene-Gesserit-Archiv, Nr. AR-81088-587.


Rings um Lady Jessica herum — in allen Ecken und auf dem Fußboden der größten Halle von Arrakeen[3] — stand der Ballast ihres Lebens: Kisten, Koffer, Schachteln und Behälter, die erst zu einem kleinen Teil ausgepackt waren. Und von draußen konnte sie die Geräusche der Packer hören, die soeben eine neue Ladung vor dem Eingang abstellten.

Jessica stand im Mittelpunkt der Halle. Langsam drehte sie sich um und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Der Raum war riesig, seine Wände getäfelt, seine Fenster schmal. Der Gigantismus erinnerte sie an den Schwesternsaal auf der Bene-Gesserit-Schule. Aber dort hatte der Raum eine gewisse Wärme ausgestrahlt. Hier schien es nur kaltes Gestein zu geben.

Irgendein Architekt hatte weit in die Vergangenheit gegriffen, als er diese hölzernen Wände und finsteren Vorhänge hatte anbringen lassen, schien ihr. Die gewölbte Decke befand sich fast zwei Stockwerke über ihr, und daran hingen nun die beiden gewaltigen Kronleuchter, deren Transport nach Arrakis Unsummen verschlungen hatte. Leider gab es auf Arrakis keinen Baum, aus dem man ähnliches hätte herstellen können — auch nicht aus imitiertem Holz.

Jessica dachte an nichts.

Dies war also während des Alten Imperiums der Regierungssitz gewesen. Damals konnte man noch weit billiger leben. Damals hatte die von den Harkonnens neuerbaute Hauptstadt Carthag noch nicht existiert. Arrakeen war ein gemütlicher und nicht zu teurer Ort zweihundert Kilometer nördlich des flachen Landes gewesen. Man konnte Letos Entschluß, seine Residenz hier aufzuschlagen, nur als weise bezeichnen. Der Name der Stadt Arrakeen hatte einen guten Klang und schien von Tradition erfüllt. Und außerdem war sie eine kleinere Stadt als Carthag, leichter zu überschauen und zu verteidigen.

Erneut drangen die Geräusche abgeladener Kisten an ihre Ohren. Jessica seufzte.

Ihr gegenüber, gegen einen Karton gelehnt, stand das Porträt des alten Herzogs, umwickelt noch von einem Bindfaden, als hätte jemand vergessen, es mitzunehmen. Und das Ende der Schnur befand sich noch immer in Jessicas Hand. Neben dem Bild lag, befestigt auf einer polierten Unterlage, der Schädel eines schwarzen Stiers. Er wirkte wie eine finstere Insel in einem Meer zerrissenen Papiers. Das kleine Schild, auf dem genauere Angaben über die Trophäe standen, lag auf dem Boden daneben, der aufgerissene Schlund des Stiers ragte zur Decke, als wolle er in der nächsten Sekunde einen brüllenden Protest von sich geben.

Jessica fragte sich, was sie dazu getrieben hatte, ausgerechnet diese beiden Gegenstände zuerst auszupacken. Ausgerechnet den Stier und das Gemälde. Ihr schien, als sei an dieser Handlung irgend etwas Symbolisches. Seit dem Tag, an dem die Beauftragten des Herzogs sie von der Schule geholt hatten, war ihr ihre Furcht und Unsicherheit bewußter gewesen.

Der Stier und das Gemälde.

Ihr Anblick erhöhte den Grad ihrer Verwirrung. Sie schüttelte sich und schaute zu den engen, schlitzähnlichen Fenstern hinüber. Obwohl es früher Nachmittag war, erschien ihr in diesen Breitengraden der Himmel finster und kalt, viel dunkler als der warme und blaue Himmel Caladans. Sie hatte plötzlich Heimweh.

Oh, Caladan …

»Ach, hier sind wir!«

Die Stimme Herzog Letos.

Jessica wirbelte herum, sah ihn in dem gewölbten Gang zum Speisesaal. Seine schwarze Arbeitsuniform mit dem roten Habichtabzeichen war staubig und sah mitgenommen aus.

»Ich hatte schon damit gerechnet, daß du dich in diesem Irrgarten verlaufen hättest«, sagte er.

»Es ist kalt hier«, erwiderte Jessica. Sie schaute ihn an in seiner ganzen Größe, und seine dunkle Haut ließ sie an Olivengewächse und die goldene Sonne auf blauem Wasser denken. Es schien, als sei Nebel in seinen Augen. Sein Gesicht sagte alles: es war abgemagert und voller scharfer Falten.

Plötzliche Furcht um ihn schnürte ihr die Brust zusammen. Seit er zu der Entscheidung gelangt war, sich dem Befehl des Imperators zu beugen, war er ein anderer Mensch geworden: wild und vor Entschlossenheit berstend.

»Die ganze Stadt wirkt kalt«, sagte Jessica.

»Sie ist nun mal eine schmutzige und verstaubte kleine Garnisonsstadt«, gab er zu. »Aber wir werden das irgendwann ändern.« Er warf einen Blick in die Halle. »Dies sind also die Räumlichkeiten für öffentliche Veranstaltungen! Ich habe mir soeben die Familienräume im Südflügel angesehen. Sie gefallen mir schon besser.« Er kam näher und berührte ihren Arm, als bewundere er ihre aufrechte Haltung.

Nicht zum erstenmal fragte er sich, von wem sie abstammen mochte. Vom Haus eines Renegaten vielleicht? Oder war sie das Produkt einer unstandesgemäßen Verbindung? Sie machte einen königlicheren Eindruck als die gesamte kaiserliche Familie.

Unter dem Druck seiner Augen wandte Jessica sich halb zur Seite und wandte ihm ihr Profil zu. Es gab in ihrem Gesicht nichts, das die Aufmerksamkeit eines Betrachters in besonderer Weise auf sich zog. Unter ihrem wie eine Kappe den Kopf umspannenden, wie poliertes Kupfer glänzenden Haar war ein ovales Gesicht. Ihre Augen standen weit auseinander, und sie waren so grün und klar wie der Morgenhimmel Caladans. Die Nase war klein, ihr Mund groß und edel. Ihr Körper war ebenmäßig, wenn auch gerade an der Grenze zur Hagerkeit. Jessica war groß und überschlank.

Er erinnerte sich, daß die anderen Mädchen auf der Schule sie ›die Dürre‹ genannt hatten. Jedenfalls hatten seine Handlungsbevollmächtigten davon gesprochen. Aber die Beschreibung hatte sich als Übertreibung erwiesen: Jessica hatte wieder etwa Schönheit in die Familie Atreides gebracht. Es war schön, daß Paul in seinem Äußeren eher auf sie herauskam als auf ihn.

»Wo ist Paul?« fragte er.

»Irgendwo im Haus. Yueh unterrichtet ihn.«

»Möglicherweise im Südflügel«, vermutete er. »Einmal glaubte ich sogar Yuehs Stimme zu hören, aber ich hatte nicht die Zeit, um nachzusehen.« Er blickte sie an und zögerte. »Ich bin eigentlich nur herübergekommen, um den Schlüssel von Burg Caladan im Speisesaal aufzuhängen.«

Den Atem anhaltend unterdrückte sie den Impuls, die Arme nach ihm auszustrecken. Den Schlüssel aufhängen … das war gleichbedeutend mit Endgültigkeit. Aber jetzt war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort, sich zu sorgen. »Als ich hereinkam, sah ich unsere Flagge über dem Haus wehen«, bemerkte sie.

Er warf einen Blick auf das Gemälde seines Vaters. »Wo willst du das aufhängen?«

»Irgendwo in diesem Raum.«

»Nein.« Die Art, wie er die Ablehnung von sich gab, zeigte ihr, daß jeglicher Widerspruch fehl am Platze war. Dennoch mußte sie es versuchen.

»Mylord«, begann sie. »Wenn wir …«

»Meine Antwort heißt nein. Ich bin bereit, dir in vielen anderem etwas zuzugestehen, aber in diesem Fall nicht. Ich komme gerade aus dem Speisesaal, und dort gibt es …«

»Mylord! Bitte.«

»Es geht also darum, was wichtiger ist: mein Familiensinn oder deine Verdauung«, führte er aus. »Das Gemälde kommt dennoch in den Speisesaal.«

Sie seufzte. »Ja, Mylord.«

»Es steht dir allerdings frei, auch weiterhin in deiner Suite zu essen. Ich erwarte lediglich, daß du zu offiziellen Anlässen an meiner Seite sitzt.«

»Vielen Dank, Mylord.«

»Und hör damit auf, mir diese formalistischen Antworten zu geben. Du solltest dankbar dafür sein, daß ich dich nie geheiratet habe, meine Liebe. Denn dann würde es zu deinen Pflichten gehören, das Mahl mit mir einzunehmen.«

Ohne auch nur einen Gesichtsmuskel zu verziehen, nickte sie.

»Hawat hat bereits unseren Giftaufspürer an der Tafel befestigt«, erklärte er. »In deiner Suite steht ein tragbares Gerät.«

»Du hast diese … Schwierigkeiten also schon vorausgesehen«, sagte Jessica.

»Ich dachte ebenso an deine Bequemlichkeit, meine Liebe. Ich habe Personal engagiert. Es sind Eingeborene, aber Hawat hat sie ausnahmslos untersucht. Fremen. Sie werden uns zur Hand gehen, bis wir unsere eigenen Leute von momentanen anderen Pflichten befreien können.«

»Können wir hier überhaupt jemandem vertrauen?«

»Jedem, der die Harkonnens haßt. Vielleicht möchtest du nach einer gewissen Zeit sogar die Haushofmeisterin in deinen Diensten behalten. Sie nennt sich Shadout Mapes.«

»Shadout«, sagte Jessica nachdenklich, »ist das nicht eine Art Titel bei den Fremen?«

»Ich habe gehört, daß es soviel wie ›Wasserholer‹ bedeutet. Ein Wort, das eine wichtigere Bedeutung hat, als man sich vorstellen kann. Sie ist vielleicht nicht die typische Untergebene, aber nach Duncans Berichten spricht Hawat von ihr als von einer ehrenhaften Person. Sie sind beide davon überzeugt, daß sie willig ist zu dienen — ganz speziell dir.«

»Mir?«

»Die Fremen wissen, daß du eine Bene Gesserit bist. Es gibt hier einige Legenden über euch.«

Dafür hat die Missionaria Protectiva gesorgt, dachte Jessica. Jede Welt ist vorbereitet.

»Bedeutet das, daß Duncan Erfolg hatte?« fragte sie. »Werden die Fremen mit uns zusammenarbeiten?«

»Es sind noch keine endgültigen Abmachungen getroffen worden«, erwiderte er. »Duncan glaubt, daß sie uns erst eine Weile beobachten wollen. Sie haben allerdings versprochen, unsere weitentlegenen Dörfer nicht mehr heimzusuchen. Das ist ein wichtigerer Gewinn als es scheint. Hawat meint, die Fremen seien ein hartnäckiger Stachel an der Kehle der Harkonnens gewesen, obwohl es ziemlich geheimgehalten wurde, welchen Schaden sie ihnen zufügten, damit der Imperator nichts von der Hilflosigkeit der Harkonnen-Truppen erfuhr.«

»Eine Haushofmeisterin aus den Reihen der Fremen«, sinnierte Jessica. »Hat sie auch diese blauen Augen?«

»Laß dich von ihrem Aussehen nicht verwirren«, sagte der Herzog. »Sie verfügen über Kräfte und eine Vitalität, die mir anderswo noch nicht begegnet ist. Ich glaube, daß sie über all das verfügen, was wir gebrauchen können.«

»Es ist ein gefährliches Spiel.«

»Laß uns nicht wieder davon anfangen.«

Sie versuchte ein Lächeln. »Wir sind ihnen ausgeliefert, daran zweifle ich nicht.« Zwei tiefe Atemzüge brachten ihr wieder die Ruhe. Dann fragte sie: »Wenn ich die Privaträume einrichte — soll ich da etwas Spezielles für dich reservieren?«

»Eines Tages«, erwiderte er, »mußt du mir erklären, wie du das schaffst: deine Sorgen einfach beiseite zu schieben und zum sachlichen Teil überzugehen. Irgendein Geheimnis der Bene Gesserit muß damit zusammenhängen.«

»Es ist einfach ein weibliches Geheimnis«, lächelte sie.

Der Herzog lächelte ebenfalls. »Nun, was die Belegung der Räumlichkeiten angeht, so solltest du dafür Sorge tragen, daß ich in der Nähe meines Schlafgemachs genügend Platz für meine Bürotätigkeiten erhalte. Es wird hier garantiert mehr Papierkram zu erledigen geben als auf Caladan. Und einen Raum für die Wache, natürlich. Das sollte es auch schon sein. Und mach dir keine Sorgen über die allgemeine Sicherheit des Hauses. Hawats Männer haben es einer gründlichen Untersuchung unterzogen.«

»Daran zweifle ich nicht.«

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ach ja, alle unsere Uhren sollten auf die örtliche Zeit umgestellt werden. Ich habe bereits einen Techniker angefordert. Er müßte bald dasein.« Der Herzog strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich muß jetzt zum Landefeld zurück. In wenigen Minuten landet die zweite Fähre mit der Stabsreserve.«

»Wäre es nicht besser, wenn Hawat das übernähme, Mylord? Du siehst erschöpft aus.«

»Der gute Thufir ist noch mehr beschäftigt als ich. Du weißt, daß dieser Planet durch die Intrigen der Harkonnens herabgewirtschaftet wurde. Außerdem muß ich versuchen, einige ausgebildete Gewürzsucher, die wegen des Lehenswechsels Arrakis verlassen wollen, zum Bleiben zu überreden. Sie haben das Recht dazu, zu gehen, und dieser Planetologe, den der Imperator und der Landsraad als Schlichter eingesetzt haben, ist unbestechlich. Er läßt den Leuten die freie Wahl. Es sind achthundert Leute, die Arrakis verlassen wollen, sobald die nächste Fähre zum Schiff der Gilde abgeht.«

»Mylord …« Zögernd brach sie ab.

»Ja?«

Er wird sich nicht davon abbringen lassen, diesen Planeten sicher für uns zu machen, dachte sie. Und ich kann einfach nicht einen meiner Tricks gegen ihn anwenden.

»Um welche Zeit werden wir das Dinner einnehmen?« fragte sie.

Das war es nicht, was sie mich fragen wollte, dachte der Herzog. Ach, Jessica — ich wünschte auch, wir wären nicht hier an diesem schrecklichen Ort, sondern irgendwo weit weg. Wir beide, ganz alleine, ohne sich um irgend etwas Gedanken zu machen.

»Ich werde auf dem Landefeld essen«, erwiderte er. »In der Offiziersmesse. Erwarte mich nicht sobald zurück. Und … ich sende einen Wagen für Paul. Ich möchte, daß er bei unserer Strategiekonferenz zugegen ist.«

Er räusperte sich, als wolle er noch etwas sagen, drehte sich aber plötzlich und unerwartet um und ging hinaus, in Richtung auf die Vorhalle, wo weiterhin Gepäckstücke abgeladen wurden. Von irgendwo dort draußen hörte sie noch einmal seine Stimme im charakteristischen Tonfall, den er immer anschlug, wenn er in Eile war und mit Bediensteten sprach: »Lady Jessica befindet sich im Großen Saal. Geh sofort zu ihr.«

Die Außentür wurde zugeschlagen.

Jessica wandte sich ab und betrachtete das Gemälde von Letos Vater. Er hatte es anfertigen lassen von einem berühmten Künstler namens Albe und zeigte den alten Herzog in seinen mittleren Jahren, bekleidet mit dem Kostüm eines Matadors, einen roten Umhang über dem linken Arm haltend. Sein Gesicht wirkte jung. Er mußte damals kaum älter gewesen sein als Leto. Er hatte die gleichen habichtähnlichen Züge und grauen Augen wie sein Sohn. Die Hände in die Seiten gestemmt, sah sie auf das Bild.

»Ich verfluche dich! Ich verfluche dich!« flüsterte sie.

»Wie lauten Ihre Befehle, Hochwohlgeboren?«

Die Stimme einer Frau. Sie klang dünn und brüchig.

Als Jessica sich ihr zuwandte, sah sie eine knochige, grauhaarige Frau in einem formlosen Sackkleid brauner Farbe. Sie machte den gleichen ausgetrockneten und runzligen Eindruck wie all die anderen Leute, die sie am Morgen ihrer Ankunft in den Straßen gesehen hatte. Obwohl Leto behauptet hatte, sie seien stark und vital, erinnerten sie Jessica in erster Linie an Elendsgestalten. Aber da waren noch diese Augen — unübersehbar — in ihrer schockierenden, völligen Bläue und ohne jegliches Weiß. Geheimnisvoll. Mysteriös. Jessica mußte sich dazu zwingen, die Frau nicht anzustarren.

Mit einem steifen Nicken sagte die Frau: »Man nennt mich Shadout Mapes, Hochwohlgeborene. Wie lauten Ihre Befehle?«

»Du kannst mich mit Mylady ansprechen«, sagte Jessica. »Ich bin keine Hochwohlgeborene. Ich bin lediglich die Konkubine des Herzogs.«

Die Frau nickte erneut in ihrer seltsamen Art und musterte Jessica mit einem fragenden Blick. »Dann gibt es auch eine Ehefrau?«

»Es gibt sie nicht; es hat auch nie eine gegeben. Ich bin die einzige … Gesellschaft des Herzogs und die Mutter seines Erben.«

Während sie sprach, lauschte Jessica dem stolzen Klang ihrer Worte. Was hat St. Augustine gesagt? fragte sie sich. ›Das Bewußtsein steuert den Körper, und dieser gehorcht. Wenn das Bewußtsein sich selbst befiehlt, trifft es auf Widerstand.‹ — Ja, ich stoße auf ständig größeren Widerstand. Ein kleiner Rückzug könnte mir nicht schaden.

Von draußen drang ein erschreckender Schrei an ihre Ohren. Dann noch einmal: »Soo-soo-Sook! Soo-soo-Sook!« Dann: »Ikhut-eigh! Ikhut-eigh!« Und schließlich wieder: »Soo-soo-Sook!«

Erschreckt fragte sie: »Was hat das zu bedeuten? Ich habe das bereits mehrere Male gehört, als wir durch die Stadt fuhren heute morgen.«

»Es ist nur ein Wasserverkäufer, Mylady. Es gibt keinen Grund für Sie, sich darüber Gedanken zu machen. Die Zisterne Ihrer Residenz enthält fünfzigtausend Liter, und man trägt Sorge dafür, daß sie niemals leer wird.« Sie sah an ihrer Kleidung herunter. »Ich brauche hier nicht einmal meinen Destillanzug zu tragen.« Sie lächelte. »Und lebe trotzdem noch.«

Jessica zögerte, die Frau noch weiter über sich auszufragen. Im Moment gab es nichts Wichtigeres, als einigermaßen Ordnung in diese Burg hinein zu bekommen. Daß Wasser allerdings einen beträchtlichen Teil ihres neuen Reichtums sein sollte, fand sie nicht sehr beruhigend.

»Der Herzog hat mir von deinem Titel erzählt, Shadout«, sagte sie. »Ich kenne die Bedeutung dieses Wortes. Es ist sehr alt.«

»Sie beherrschen die alten Sprachen?« fragte Mapes. Beinahe begierig schien sie auf Jessicas Antwort zu warten.

»Das erste, was die Bene Gesserit lernen, sind Sprachen. Ich kenne die Sprache der Bhotani Jib und die der Chakobsa, aber auch alle Jägersprachen.«

Mapes nickte. »Genau wie die Legende behauptet.«

Jessica fragte sich: Warum spiele ich überhaupt diese Komödie mit? Aber die Wege der Bene Gesserit waren rätselhaft und unerforschlich.



»Ich kenne die Dunklen Ereignisse und die Wege der Großen Mutter«, fuhr Jessica fort und erkannte die offen sichtbare Wirkung auf diese kleinen Tricks in Mapes' Gesicht. »Miseces prejia«, sagte sie in der Sprache der Chakobsa. »Andral t're pera! Trada cik buscakri miseces perakri …«

Mapes machte einen Schritt rückwärts, als bereite sie sich auf eine schnelle Flucht vor.

»Ich weiß viele Dinge«, sagte Jessica. »Ich weiß, daß du Kinder geboren hast und Geliebte verlorst, daß du dich in Furcht versteckt hieltest und daß du Gewalttätigkeiten begangen hast und weiter begehen wirst. Ich weiß viele Dinge.«

Leise erwiderte Mapes: »Ich hatte nichts Böses vor, Mylady.«

»Du bist auf der Suche nach den Antworten auf die Legenden«, fuhr Jessica fort. »Aber sei vorsichtig, welche Antworten du auch finden wirst. Ich weiß, daß du eine Waffe an dir verborgen hältst.«

»Mylady, ich …«

»Natürlich besteht die schwache Möglichkeit, daß du mich ermorden könntest«, sprach Jessica ungerührt weiter. »Aber ohne es zu ahnen, würdest du damit ein größeres Unheil heraufbeschwören, als du dir vorstellen kannst. Es gibt schlimmere Dinge als den Tod — auch für dein gesamtes Volk!«

»Mylady!« bat Mapes. Sie fiel beinahe vor Jessica auf die Knie. »Die Waffe sollte ein Geschenk sein, stellte sich heraus, daß Sie die sind, die wir erhoffen.«

»Oder das Werkzeug meines Todes, wenn sich die Hoffnung als falsch erweist.«

Jessica wartete unbeweglich in jener Stellung, die einen offenen Angriff auf eine Bene Gesserit eminent erschwerte.

Jetzt muß sich entscheiden, wie ihre Entscheidung ausfällt, dachte sie.

Langsam schoben sich Mapes Finger an ihren Nacken. In ihren Händen lag eine dunkle Scheide, in der sich ein Messer befand, dessen Griff schwarz und von Rillen bedeckt war. Sie zog die Klinge heraus und hielt sie hoch. Sie war von milchweißer Farbe und schien aus sich selbst heraus zu leuchten. Die Klinge war beidseitig, wie bei einem Kindjal, und etwa zwanzig Zentimeter lang.

»Wissen Sie, was das ist, Mylady?« fragte Mapes.

Es konnte sich nur um eines handeln, das wurde Jessica sofort klar: um eines jener sagenumwobenen Crysmesser von Arrakis, eine Klinge, die man außerhalb des Planeten noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Der Gegenstand vieler Gerüchte und wildester Fantasien. »Ein Crysmesser«, sagte sie.

»Benutzen Sie diesen Ausdruck nicht leichtfertig«, sagte Mapes. »Kennen Sie die Bedeutung dieses Wortes?«

Jessica dachte: Diese Frage hat einen Haken. Es muß einen bestimmten Grund geben, daß die Fremen mir diese Frage stellen. Möglicherweise kann meine Antwort irgendeine Gewalt heraufbeschwören oder … etwas anderes. Sie wartet darauf, daß ich ihr eine ganz bestimmte Antwort gebe über die Bedeutung dieses Messers. In der Sprache der Chakobsa wird Mapes ›Shadout‹ genannt. Im gleichen Dialekt bedeutet Messer ›Todesbringer‹. Sie wartet. Ich muß ihr jetzt eine Antwort geben. Wenn ich zu lange zögere, kann das die gleichen negativen Auswirkungen haben, als würde ich eine falsche Antwort geben.

»Es ist ein Bringer«, sagte Jessica.

»Eigheeeee!« jubelte Mapes, und es klang, als sei sie erleichtert und bekümmert zugleich. Sie zitterte so stark, daß das reflektierende Licht die Klinge des Messers zum Aufblitzen brachte.

Jessica wartete gespannt. Eigentlich hatte sie beabsichtigt, ›Todesbringer‹ zu sagen, aber irgendwie hatte sie jeder ihrer Sinne davor gewarnt, die Bedeutung des Messers in seiner Gänze auszusprechen. Der Schlüsselbegriff war — Bringer.

Bringer? Bringer.

Immer noch hielt Mapes die Klinge so, als habe sie sich noch nicht entschieden, sie zu benutzen.

Jessica sagte: »Glaubtest du ernsthaft, daß ich, die ich die Geheimnisse der Großen Mutter kenne, nicht die Bedeutung eines Bringers verstehe?«

Mapes lockerte ihren Griff. »Wenn jemand so lange wie ich mit der Prophezeiung gelebt hat und ihr dann plötzlich gegenübersteht, ist das wie ein Schock, Mylady.«

Jessica dachte an die Prophezeiung — an die Shari-A und die anderen Bestandteile der Panoplia Propheticus -, die eine jetzt schon längst nicht mehr lebende Bene Gesserit der Bevölkerung von Arrakis nahegebracht hatte: einzig und allein zu dem Zweck, eine Legendenbildung voranzutreiben, die eines Tages, in ferner Zukunft, eine andere Bene Gesserit dazu benutzen konnte, im Kreise der Fremen Hilfe zu erlangen.

Und jetzt war dieser Tag gekommen.

Mapes steckte das Messer in die Scheide zurück und sagte: »Dieses Messer ist auf keine bestimmte Person fixiert, Mylady. Behalten Sie es in Ihrer Nähe. Wenn es länger als eine Woche von Ihnen entfernt ist, fängt es an, sich aufzulösen. Es ist für Sie — gemacht aus dem Zahn eines Shai-huluth -, solange Sie leben.«

Jessica streckte die rechte Hand aus und sagte: »Du hast es in die Scheide zurückgesteckt, ohne daß Blut an ihm haftet, Mapes.«

Mit einem Aufstöhnen ließ Mapes das Messer in Jessicas Handfläche fallen, öffnete über ihrer Brust das Gewand und rief: »Nimm das Wasser meines Lebens!«

Jessica zog die Klinge aus der Scheide. Wie sie glitzerte! Sie richtete die Spitze auf Mapes und sah, wie Todesangst sich auf die Züge der Frau legte. Ob die Klinge vergiftet ist? fragte sie sich. Mit der Spitze ritzte sie ganz leicht Mapes Haut über der linken Brust ein. Ein dicker Blutstropfen erschien, das war alles. Es gerinnt mit unbegreiflicher Schnelligkeit, dachte sie. Eine Mutation, die zu große Flüssigkeitsverluste verhindert?

Sie ließ die Klinge wieder in der Scheide verschwinden und sagte: »Schließe deine Kleider, Mapes.«

Zitternd gehorchte die Frau. Die Augen, in denen sich nicht das geringste Weiß befand, schienen sich an Jessica festzusaugen.

»Sie gehören zu uns«, murmelte sie. »Sie sind die Erwartete.«

Von der Eingangshalle erklang erneut das Geräusch abgeladener Fracht. Blitzschnell griff Mapes nach der Messerhülle und schob es unter Jessicas Gewand. »Wer das Messer sieht, muß gereinigt oder erschlagen werden«, keuchte sie. »Denken Sie immer daran, Mylady!«

Ich weiß es jetzt, dachte Jessica.

Aber die Packer verschwanden wieder, ohne den Großen Saal zu betreten.

Mapes riß sich zusammen und sagte: »Die Ungereinigten, die ein Crysmesser erblickt haben, dürfen Arrakis nicht lebend verlassen. Vergessen Sie das nie, Mylady. Ihnen ist heute ein Crysmesser anvertraut worden.« Sie atmete schwer. »Nun müssen die Dinge ihren Gang gehen. Es darf nichts überstürzt werden.« Sie warf einen Blick auf die aufgestapelten Kisten und Schachteln, die fast den ganzen Saal einnahmen. »Und in der Zwischenzeit gibt es hier eine Menge Arbeit für uns zu tun.«

Jessica zögerte. Die Dinge müssen ihren Gang gehen. Das war eine der üblichen Beschwörungen der Missionaria Protectiva. Bis die Ankunft der Ehrwürdigen Mutter euch die Freiheit bringt.

Aber ich bin keine Ehrwürdige Mutter, dachte sie. Und plötzlich, sich geistig beinahe überschlagend: Große Mutter! Das haben sie also hier verbreitet! Arrakis muß einem besonderen Zweck dienen!

In sachlichem Tonfall sagte Mapes: »Was sollte ich Ihrer Meinung nach zuerst tun, Mylady?«

Der Instinkt warnte Jessica, in diesen Worten nichts Zufälliges zu sehen. Sie erwiderte: »Das Gemälde des alten Herzogs muß im Speisesaal aufgehängt werden. Der Schädel dieses Stiers sollte genau gegenüber dem Gemälde befestigt werden.«

Mapes ging zum Schädel hinüber. »Es muß eine riesige Bestie gewesen sein, wenn sie solch einen Schädel hatte«, meinte sie. Sie blieb stehen. »Sollte ich ihn nicht vorher reinigen, Mylady?«

»Nein.«

»Aber die Hörner sind etwas schmutzig geworden.«

»Das ist kein Schmutz, Mapes, sondern das Blut des alten Herzogs. Man hat sie nach dem Tod des Herzogs mit einer transparenten Konservierungsflüssigkeit eingesprüht.«

Mapes sagte erschreckt: »Oh, jetzt verstehe ich.«

»Es ist nur Blut«, sagte Jessica. »Altes Blut. Jemand sollte dir dabei helfen, es aufzuhängen. Es ist schwer.«

»Glauben Sie, das Blut würde mich ängstigen?« fragte Mapes. »Als Kind der Wüste habe ich schon eine Menge davon gesehen.«

»Das kann ich … verstehen«, meinte Jessica.

»Und einiges davon gehörte mir selbst«, fuhr Mapes fort. »Es war meist mehr als das, was Ihr kleiner Kratzer erzeugte.«

»Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich fester zugestochen hätte?«

»O nein! Die Körperflüssigkeiten sind zu kostbar, um allzuviel davon zu verschwenden. Wie Sie es taten war es schon richtig.«

Die Art und Weise, wie sie dies sagte, ließ Jessica die Implikationen der Phrase ›die Körperflüssigkeiten‹ besser verstehen. Wieder wurde ihr die Wichtigkeit des Wassers auf Arrakis bewußt.

»Auf welche Wand des Speisesaals soll ich nun was hängen, Mylady?« fragte Mapes.

Sie ist sehr praktisch veranlagt, diese Mapes, dachte Jessica. Und das ist es, was die Fremen auszeichnet: der Drang, irgend etwas zu unternehmen.

Laut sagte sie: »Treffe deine eigenen Entscheidungen, Mapes. Es ist wirklich egal, was wo hängt.«

»Wie Sie wünschen, Mylady.« Mapes bückte sich und nahm den Schädel auf. »Dieser Stier hat den alten Herzog getötet?« fragte sie.

»Soll ich jemanden rufen, der dir beim Anfassen hilft?« fragte Jessica.

»Ich mache das schon, Mylady.«

Ja, dachte Jessica, sie wird es schon machen. Sie fühlte die alte Lederscheide des Crysmessers an ihrem Körper und erinnerte sich an die ganze Kette der Bene-Gesserit-Verhaltensweisen, auf die sie hier gestoßen war. Es war diesen Verhaltensweisen zu verdanken, daß sie eine tödliche Krisis überstanden hatte. ›Es darf nichts überstürzt werden‹, hatte Mapes gesagt. Aber dennoch war in ihr der Drang, irgendeinen Vorsprung aufzuholen, ein Drang, der ihr zu schaffen machte. Und weder die gesamten Vorbereitungen der Missionaria Protectiva, noch Hawats mißtrauische Untersuchung dieses felsigen Gemäuers konnten dieses Gefühl herabmindern.

»Wenn du mit dem Aufhängen fertig bist«, sagte Jessica, »kannst du mit dem Auspacken der Kisten beginnen. Einer der Packer in der Vorhalle hat alle nötigen Schlüssel und weiß, wo alles hingehört. Laß dir die Schlüssel und eine Liste geben. Wenn du irgendwelche Fragen hast, findest du mich im Südflügel.«

»Wie Sie wünschen, Mylady«, sagte Mapes.

Jessica wandte sich ab und dachte: Hawat mag der Meinung sein, diese Residenz sei sicher. Aber irgend etwas stimmt hier nicht. Ich fühle es.

Das plötzliche Verlangen, ihren Sohn zu sehen, ergriff plötzlich von ihr Besitz. Sie ging in den gewölbten Korridor hinaus, der in die Richtung des Speiseraums und der Privaträume führte. Sie wurde mit jedem Schritt schneller, zum Schluß rannte sie beinahe.

Hinter ihrem Rücken hielt Mapes für einen Augenblick in der Arbeit inne und sah ihr nach. »Sie ist wirklich die Erwartete«, murmelte sie. »Armes Ding.«

8

»Yueh! Yueh! Yueh!« lautet der Refrain. »Eine Million Tote sind nicht genug für Yueh!«

Aus ›Die Kindheitsgeschichte des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Die Tür war nur angelehnt. Jessica passierte die Schwelle und betrat einen Raum mit gelben Wänden. Ihre linke Hand strich über ein kleines Sofa, das schwarz bezogen war, und zwei Bücherregale, an denen jemand eine Wasserflasche aufgehängt hatte, die staubig aussah. Zu ihrer Rechten, zu beiden Seiten einer zweiten Tür, standen weitere, noch leere Regale, ein caladanischer Tisch und drei Stühle. Am Fenster, ihr direkt gegenüber, stand Dr. Yueh, hielt ihr den Rücken zugewandt und schaute nach draußen.

Jessica machte einen weiteren lautlosen Schritt.

Sie sah, daß Yuehs Umhang zerknittert war. Weiße Streifen an seinem linken Ellbogen deuteten darauf hin, daß er sich gegen eine gekalkte Wand gelehnt haben mußte. Von hinten wirkte er wie eine fleischlose, hölzerne Figur, die man in übergroße Kleidung gesteckt hatte; eine Marionette, die darauf wartete, daß ihr Akteur jeden Augenblick an den Fäden zog und sie in Bewegung setzte. Lediglich der viereckige Schädel mit dem langen, ebenholzfarbenen, von einem Suk-Ring gehaltenen Haar schien von Leben erfüllt. Er bewegte sich sachte, als verfolge er irgendeine Bewegung, die sich außerhalb des Hauses abspielte.

Erneut warf sie einen Blick durch das Zimmer, ohne eine Spur von ihrem Sohn zu entdecken. Sie wußte, daß die Tür zu ihrer Rechten in einen kleinen Schlafraum führte, der Paul — wie er gesagt hatte — gefiel.

»Guten Tag, Dr. Yueh«, sagte sie. »Ist Paul nicht hier?«

Yueh nickte, als meine er damit jemanden, der draußen stand, und sagte, ohne sich umzudrehen: »Ihr Sohn war müde, Jessica. Ich habe ihn ins Nebenzimmer geschickt, damit er sich etwas ausruhen kann.«

Er richtete sich plötzlich auf, wirbelte herum und sein herabhängender Schnauzbart geriet in Bewegung. »Vergeben Sie mir, Lady Jessica! Ich war mit meinen Gedanken überhaupt nicht bei der Sache … Ich … ich wollte nicht vertraulich werden.«

Lächelnd streckte sie die rechte Hand aus. Einen Moment lang befürchtete sie, er würde vor ihr auf die Knie fallen. »Wellington, ich bitte Sie.«

»Aber ich habe nur Ihren Vornamen gebraucht …«

»Wir kennen uns jetzt bereits seit sechs Jahren«, erwiderte Jessica. »Und es ist eigentlich an der Zeit, daß wir diese Formalitäten fallenlassen — solange wir unter uns sind.«

Yueh versuchte ein mattes Lächeln und dachte: Ich glaube, es hat gewirkt. Wenn ich mich jetzt weiterhin ungewöhnlich benehme, muß sie annehmen, ich handelte aus Verlegenheit. Sie wird nicht mehr nach Hintergründen suchen, wenn sie meint, die Antwort schon zu kennen.

»Ich fürchte, ich war etwas geistesabwesend«, entschuldigte er sich. »Immer wenn ich … mir Sorgen um Sie mache, denke ich von Ihnen nur als Jessica.«

»Sorgen um mich? Aber warum denn?«

Yueh zuckte die Achseln. Er hatte schon vor geraumer Zeit festgestellt, daß Jessica nicht die gleichen seherischen Fähigkeiten wie seine Wanna besaß. Dennoch sagte er in ihrer Gegenwart tunlichst die Wahrheit. Es war am sichersten so.

»Sie haben die Stadt gesehen, My… Jessica.« Er stolperte über die Anrede und fuhr schnell fort: »Im Vergleich zu Caladan ist hier alles kahl und öde. Und erst die Leute! Die Frauen, an denen wir auf dem Weg hierher vorbeikamen. Wie sie uns angestarrt haben.«

Jessica verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte sie sich selbst umarmen. Sie fühlte deutlich das Crysmesser unter dem Gewand, die Klinge, die aus dem Zahn eines Sandwurms hergestellt worden war, wenn es stimmte, was sie erfahren hatte. »Das haben sie getan, weil wir Fremde für sie sind. Andere Leute, andere Sitten. Bisher haben sie lediglich die Harkonnens kennengelernt.« Sie warf ebenfalls einen Blick aus dem Fenster. »Gibt es etwas Besonderes da draußen, dem Sie Ihre Aufmerksamkeit schenken?«

Yueh wandte sich um. »Den Leuten.«

Jessica stellte sich neben ihn und schaute auf die linke Häuserfront, die im Brennpunkt von Yuehs Aufmerksamkeit lag. Eine Reihe von etwa zwanzig Palmen wuchs dort aus dem öden Boden. Ein Maschendrahtzaun trennte sie von der Straße, auf der vermummte Leute sich bewegten. Sie entdeckte ein mattes Schimmern zwischen sich und diesen Leuten mitten in der Luft — ein Hausschild — und wandte ihre Aufmerksamkeit weiter den Leuten zu, die Yuehs Bewußtsein offenbar stark beschäftigten.

Die plötzliche Klarheit der Erkenntnis verwirrte sie so stark, daß sie sich mit der flachen Hand einen Schlag gegen die Wange versetzte. Die Art, in der die Menschen dort draußen die Palmen ansahen! Sie sah Neid — und sogar Haß in ihren Blicken. Und auch ein wenig Hoffnung. Jeder der Vorübergehenden warf einen aussagestarken Blick auf die Bäume.

»Wissen Sie, was die Leute denken?« fragte Yueh.

»Setzen Sie voraus, daß ich Gedanken lesen kann?«

»Sie schauen auf die Bäume und denken: ›Dort sind einhundert von uns.‹ Das denken sie. Es ist nicht schwer zu erraten.«

Verwirrt sah Jessica Yueh an. »Wieso?«

»Es handelt sich um Dattelpalmen«, erklärte er. »Eine einzige von ihnen benötigt vierzig Liter Wasser am Tag. Ein Mensch benötigt auf Arrakis acht Liter. Eine Palme bekommt also soviel wie fünf Menschen. Und da es zwanzig Palmen sind, trinken sie das Wasser von hundert Menschen.«

»Aber einige dieser Leute sehen die Palmen an, als erhofften sie sich etwas.«

»Sie hoffen lediglich darauf, daß einige der Palmen eingehen.«

»Ich glaube, wir sehen diesen Planeten einfach mit überkritischen Augen«, sagte Jessica. »Es gibt neben den Gefahren auch Hoffnung hier. Das Gewürz könnte uns reich machen. Wenn wir erst über das nötige Kapital verfügen, können wir aus dieser Welt das machen, was wir uns erträumen.«

Innerlich lachte sie über sich selbst. Wem versuche ich eigentlich hier etwas einzureden? Das Lachen erstarb von ganz allein in ihr. »Aber Sicherheit ist etwas, das man nicht kaufen kann.«

Yueh wandte sich ab, als wolle er sein Gesicht vor ihren Augen fernhalten. Wenn ich diese Leute doch nur hassen könnte, anstatt sie zu lieben! In gewisser Weise erinnerte Jessica ihn an Wanna. Aber genau dieser Gedanke war es, der ihn innerlich verhärten ließ und zu seinem Ziel zurückführte. Die Grausamkeit der Harkonnens vermochte er nichts entgegenzusetzen. Vielleicht war Wanna noch nicht tot. Er mußte es ganz sicher wissen.

»Machen Sie sich keine Sorgen um uns, Wellington«, sagte Jessica. »Das ist unser Problem, nicht das Ihre.«

Sie glaubt, ich mache mir Sorgen um sie! Er mußte sich dazu zwingen, die Tränen zurückzuhalten. Und sie hat damit wirklich nicht unrecht. Aber ich werde eine Möglichkeit finden, mich an dem schwarzen Baron zu rächen und zwar in der Sekunde seines höchsten Triumphs!

Er seufzte.

»Würde es Paul stören, wenn ich einen kurzen Blick hineinwerfe?« fragte Jessica.

»Natürlich nicht. Ich habe ihm ein Schlafmittel verabreicht.«

»Hat er die Veränderung positiv aufgenommen?«

»Außer daß er ein bißchen müde war, ja. Er ist ein bißchen nervös, aber welcher fünfzehnjährige Junge würde das unter diesen Umständen nicht sein.« Yueh ging zur Tür hinüber und öffnete sie. »Da ist er.«

Jessica folgte ihm und blickte in den abgedunkelten Raum.

Paul lag auf einem Feldbett. Während ein Arm unter der leichten Decke lag, hatte er den anderen über die Stirn gelegt. Jalousien am Fenster neben dem Bett warfen Schatten über sein Gesicht und den Teppich.

Sie musterte ihren Sohn und bemerkte die ovale Form des Kopfes, der dem ihren glich. Sein Haar war das des Herzogs — tiefschwarz und zerzaust. Lange Strähnen verbargen seine Augen. Jessica lächelte, fühlte wie ihre Ängste schwanden. Sie war plötzlich gefangen von der Idee, noch weitere genetische Spuren an ihm auszumachen, die auf sie hindeuteten. Und sie fand sie: in den Linien um seine Augen und den Zügen seines Gesichtsschnitts sah sie sich selbst, wenngleich sich eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Vater nicht verleugnen ließ.

Sein Aussehen erschien Jessica wie die Essenz einer ganzen Reihe zufälliger Gegebenheiten. Sie konnte sich nur mit aller Gewalt dagegen wehren, neben dem Bett auf die Knie zu fallen und ihr schlafendes Kind zu umarmen. Lautlos ging sie zurück und schloß sanft die Tür.

Yueh, unfähig mit anzusehen, mit welcher Hingabe Jessica ihren Sohn betrachtete, hatte sich wieder ans Fenster zurückgezogen. Warum hat Wanna mir niemals Kinder geboren? fragte er sich. Als Arzt habe ich immer gewußt, daß es keinen physischen Grund dafür gab. Oder steckten irgendwelche Motive der Bene Gesserit dahinter? Hatte man Wanna möglicherweise dazu auserkoren, einem anderen Zweck zu dienen? Und wenn ja, welchem? Dabei hat sie mich ganz sicher geliebt.

Zum erstenmal ergriff ihn die Vorstellung, daß er nur als Werkzeug benutzt wurde; daß er den Bauern in einem kosmischen Schachspiel darstellte, eine Figur, derer man sich zur Erreichung solch hoher Ziele bediente, daß er sie sich nicht einmal vorzustellen vermochte.

Jessica blieb neben ihm stehen und sagte: »Welch tiefe Unschuld ist doch im Schlaf eines Kindes.«

Mechanisch erwiderte Yueh: »Könnten sich doch auch Erwachsene in einer solchen Weise ausruhen.«

»Ja.«

»Ich frage mich, auf welche Art wir diese Unschuld verloren haben«, murmelte Yueh.

Jessica sah ihn von der Seite an. Sie bemerkte den fatalistischen Tonfall sehr wohl, aber noch immer waren ihre Gedanken bei Paul und der Ausbildung und dem Unterschied, dem sein Leben hier unterworfen sein würde. Sein zukünftiges Leben würde sich radikal von dem unterscheiden, das sie einst für ihn geplant hatte.

»Wir werden in der Tat einiges verlieren«, sagte sie.

Sie sah auf einen Abhang hinaus, der sich zu ihrer Rechten befand. Auf ihm wuchs ein Gewirr von windzerzausten graugrünen Büschen mit staubbedeckten Zweigen und vertrocknet aussehenden Blättern. Der finstere Himmel hing über der Szenerie wie ein Farbklecks. Das milchige Licht der Sonne Canopus gab ihnen einen silbrigen Ton, ähnlich der Farbe des Crysmessers unter ihrem Gewand.

»Der Himmel ist so dunkel«, sagte sie.

»Es liegt an der mangelnden Luftfeuchtigkeit«, erklärte Yueh.

»Wasser!« stieß Jessica hervor. »Jeder Mangel auf dieser Welt läßt sich auf die Wasserknappheit zurückführen!«

»Das köstliche Geheimnis Arrakis'.«

»Und warum gibt es so wenig? Es gibt Vulkangestein hier, und selbst ich könnte Ihnen ein Dutzend potentieller Energiequellen aufzählen. Es gibt Polareis. Es heißt, daß man angeblich in der Wüste keine Bohrungen vornehmen kann, da die Stürme und Sandbewegungen die Ausrüstung schneller zerstören, als man sie installieren kann, wenn man nicht vorher den Würmern zum Opfer fällt. Aber man hat ohnedies niemals Wasseradern gefunden. Aber das Geheimnis, Wellington, das wirkliche Geheimnis bergen die Brunnen, die man in den Senken und Wüstenbecken angelegt hat. Haben Sie davon gehört?«

»Sie gaben einen Wasserstrahl von sich. Dann kam nichts mehr«, erwiderte er.

»Und genau das ist das wirkliche Geheimnis, Wellington. Es hat einst Wasser hier gegeben. Dann versiegte es. Und es ist nichts mehr da. Gräbt man einen Brunnen in unmittelbarer Nähe des ersten, kommt man zum gleichen Ergebnis: ein Strahl und dann ist es aus. Hat das eigentlich noch nie einen Menschen neugierig gemacht?«

»Eine merkwürdige Sache«, meinte Wellington. »Vermuten Sie dahinter irgendeine Wesenheit? Hätte sich das nicht irgendwie aus dem Bohrschlamm nachweisen lassen müssen?«

»Was hätte dabei an Auffallendem herauskommen sollen? Pflanzengewebe? Oder tierisches Leben? Wer würde es denn überhaupt als Einflußfaktor erkennen?« Sie wandte sich wieder den Büschen zu. »Das Wasser hört einfach zu fließen auf. Irgend etwas hält es zurück. Das ist jedenfalls meine Meinung.«

»Vielleicht sind die Ursachen dieses Phänomens längst bekannt«, gab Yueh zu bedenken. »Die Harkonnens haben uns zahlreiche Informationsquellen über diesen Planeten versperrt. Vielleicht hatten sie einen Grund dafür, uns im dunkeln tappen zu lassen.«

»Und welchen?« fragte Jessica. »Dann ist da noch das Phänomen der Luftfeuchtigkeit. Sie ist praktisch nicht vorhanden, nicht in meßbaren Mengen, aber sie ist die wichtigste Wasserquelle. Die Feuchtigkeit der Luft wird in Wasserfallen und Verdunstern aufgefangen. Die Frage aber ist: Woher kommt sie?«

»Von den Polkappen?«

»Kaltluft nimmt nur wenig Feuchtigkeit auf, Wellington. Hinter dem Schleier, den die Harkonnens über Arrakis ausgebreitet haben, liegen noch viele andere wichtige Dinge, die wir erforschen müssen. Und nicht alle haben etwas mit dem Gewürz zu tun.«

»Wir stehen in der Tat vor dem Schleier der Harkonnens«, gab Yueh zu. »Vielleicht können wir …« Als er bemerkte, mit welch interessiertem Blick sie ihn musterte, brach er ab. »Stimmt irgend etwas nicht?«

»Es war die Art, in der Sie den Namen ›Harkonnen‹ aussprachen, Wellington«, sagte Jessica. »Nicht einmal der Herzog spricht ihn mit einer solchen Verachtung aus wie Sie. Ich wußte nicht, daß Sie private Gründe haben, sie zu hassen.«

Große Mutter! dachte Yueh. Ich habe Mißtrauen erweckt! Jetzt muß ich jeden Trick anwenden, den Wanna mir beigebracht hat. Es gibt nur einen Ausweg: Ich muß ihr die Wahrheit sagen, jedenfalls soweit dies möglich ist!

Er sagte: »Sie konnten nicht wissen, daß meine Frau Wanna …« Er zuckte die Achseln, versuchte den in seiner Kehle sitzenden Kloß hinunterzuschlucken. Dann: »Die Harkonnens …« Er spürte, daß die Worte nicht über seine Lippen wollten. Mit einem Gefühl plötzlich aufkeimender Panik schloß er die Augen und spürte den Schmerz der Agonie, der seine Brust beinahe zerriß. Sanft legte sich eine Hand auf seinen Arm.

»Verzeihen Sie mir«, hörte er Jessica sagen. »Ich hatte nicht vor an eine alte Wunde zu rühren.« Und sie dachte: Diese Tiere! Seine Frau war eine Bene Gesserit — die Zeichen sind untrüglich. Und zweifellos waren es die Harkonnens, die sie umgebracht haben. Yueh ist ebenfalls einer ihrer Opfer. Und seine Bindung an die Atreides ein Cherem des Hasses.

»Es tut mir leid«, brachte Yueh schließlich heraus, »aber ich kann nicht darüber sprechen.« Er öffnete die Augen wieder und gab sich ganz seiner Betroffenheit hin. Dies, zumindest dies, war die Wahrheit.

Jessica sah ihn an und empfand beim Anblick der hervorstechenden Wangenknochen, den dunklen Ringen unter Yuehs Augen und dem traurig herunterhängenden Schnauzbart ein tiefes Mitgefühl. Die tiefen Falten auf seiner Stirn hatte nicht das Alter, sondern die Sorgen geschaffen. Sie empfand plötzlich herzliche Zuneigung für diesen Mann.

»Es war unverantwortlich von uns, Sie an diesen gefährlichen Ort geholt zu haben«, entschuldigte sie sich.

»Ich bin freiwillig gekommen«, erwiderte Yueh. Und auch das entsprach der Wahrheit.

»Der ganze Planet ist eine Falle der Harkonnens. Sie sollten sich darüber im klaren sein.«

»Es bedarf mehr als einer Falle, um Herzog Leto zu übertölpeln«, gab Yueh zu bedenken. Und auch das war keine Lüge.

»Vielleicht sollte ich ein wenig mehr Vertrauen in ihn haben«, sagte Jessica. »Er ist immerhin ein brillanter Taktiker.«

»Man hat uns entwurzelt«, sagte Yueh. »Und das ist der Hauptgrund für unsere momentane Nervosität.«

»Eine entwurzelte Pflanze ist leicht zu vernichten«, meinte Jessica. »Besonders dann, wenn sie in feindlicher Umgebung weiterleben soll.«

»Ist es sicher, daß die Umwelt uns feindlich gegenübersteht?«

»Als sich herausstellte, wie groß das Gefolge der Atreides ist, hat es einige Unruhe wegen des Wassers gegeben«, erklärte Jessica. »Man konnte sie nur damit beruhigen, indem man ihnen versprach, neue Windfallen und Kondensatoren aufzustellen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.«

»Sie hat nur eine bestimmte Wassermenge zur Verfügung«, gab Yueh zu bedenken. »Und die Leute wissen, daß, je mehr von einer begrenzten Menge getrunken wird, die Preise in die Höhe schießen und die Armen sterben müssen. Aber offenbar hat der Herzog hier Abhilfe geschaffen. Die Unruhen müssen nicht bedeuten, daß die Leute ihm auch weiterhin feindlich gesinnt bleiben.«

»Aber die Wachen«, gab Jessica zu bedenken. »Überall wo man hinsieht, stehen sie herum. Auf Caladan haben wir so etwas nicht nötig gehabt.«

»Geben Sie diesem Planeten eine Chance«, sagte Yueh.

Aber Jessica starrte weiterhin aus dem Fenster. »Ich kann die Tödlichkeit dieser Umgebung förmlich riechen«, sagte sie. »Bevor wir hier ankamen, ließ Hawat alles durch Agenten durchkämmen. Die Wachen dort draußen sind seine Männer. Die Packer gehören ebenfalls dazu. Sie haben ungeheure Summen angefordert, die meiner Meinung nach nur einem Zweck dienten: der Bestechung einflußreicher Persönlichkeiten.« Sie schüttelte den Kopf. »Wo Thufir Hawat geht, sind Tod und Täuschung seine Begleiter.«

»Sie machen ihn schlechter als er ist.«

»Ich mache ihn schlecht? Ich lobe ihn. Tod und Täuschung stellen im Moment unsere einzige Hoffnung dar. Ich mache mir nur keine falschen Vorstellungen von seinen Methoden.«

»Sie sollten … sich mit irgend etwas beschäftigen«, schlug Yueh vor. »Verhindern Sie, daß sich in Ihren Gedanken solche morbiden …«

»Beschäftigen? Beschäftigung nimmt mir den größten Teil meines Lebens, Wellington … Ich bin die Sekretärin des Herzogs — und so stark beschäftigt, daß ich jeden Tag neue Dinge fürchten lerne; Dinge, die nicht einmal er bemerkt.« Sie preßte die Lippen aufeinander und sagte spröde: »Manchmal glaube ich, daß er mich nur wegen meiner Bene-Gesserit-Ausbildung erwählt hat.«

»Was wollen Sie damit sagen?« Yueh fühlte sich von dem zynischen Tonfall und der darin enthaltenen Bitterkeit, die er an ihr noch nie bemerkt hatte, tief betroffen.

»Glauben Sie nicht auch, Wellington«, fragte Jessica, »daß man einer Sekretärin, die einen liebt, etwas mehr vertrauen kann?«

»Dieser Gedanke ist Ihrer nicht würdig, Jessica.«

Der Tadel glitt wie von selbst über seine Lippen. Es gab für ihn keinen Zweifel, welche Gefühle der Herzog gegenüber seiner Konkubine hegte. Man brauchte nur darauf zu achten, mit welchen Blicken er sie bedachte.

Sie seufzte. »Sie haben recht. Es ist wirklich unwürdig.«

Sie schlang erneut die Arme um die Schultern und fühlte das verborgene Crysmesser, wie es gegen ihr Fleisch drückte und sie daran erinnerte, daß es einer unerfüllten Funktion diente.

»Es wird bald Blutvergießen geben«, fuhr sie fort, »denn die Harkonnens werden nicht eher ruhen, bevor nicht sie oder der Herzog vernichtet sind. Der Baron wird niemals vergessen, daß Leto, sein Cousin, von königlichem Blut ist; egal, welcher Seitenlinie er auch entstammt, während er selbst seinen Titel lediglich der MAFEA zu verdanken hat. Und das Gift, das sich in seinem Bewußtsein ausgebreitet hat, ist das Wissen, daß ein Atreides einen Harkonnen nach der Schlacht von Corrin der Feigheit bezichtigt hat.«

»Der alte Streit«, murmelte Yueh. Einen Moment lang durchzog der Haß seine Adern wie Säure. Der alte Streit hatte auch ihn ins Netz gezogen. Und er hatte Wanna getötet — oder sie der Gewalt und den Folterungen der Harkonnens ausgesetzt, die so lange andauern würden, bis ihr Mann seinen Auftrag erfüllt hatte. Der alte Streit war schuld daran, daß er nun ein Teil dieser Affäre war und ebenso die Atreides. Es war eine ungeheure Ironie des Schicksals, daß sich das Ende dieser Fehde ausgerechnet auf Arrakis abspielen mußte, auf dem Planeten, der hauptsächlich deswegen bekanntgeworden war, weil die auf ihm wachsende Melange das Leben verlängerte und die Gesundheit erhielt.

»Woran denken Sie?« fragte sie.

»Ich denke daran, daß das Gewürz auf dem freien Markt zur Zeit sechshundertzwanzigtausend Solaris per Dekagramm einbringt. Das ist eine Summe, für die man viele Dinge kaufen kann.«

»Hat die Habsucht nun auch Sie befallen, Wellington?«

»Es ist keine Habsucht.«

»Was denn?«

Er zuckte die Achseln. »Nutzlosigkeit.« Er blickte sie an. »Erinnern Sie sich daran, als Sie zum erstenmal den Geschmack des Gewürzes auf der Zunge spürten?«

»Es schmeckte wie Zimt.«

»Es schmeckt jedesmal anders«, führte Yueh aus. »Es ist wie eine lebende Substanz, die Ihnen jedesmal, wenn Sie es nehmen, ein anderes Gesicht präsentiert. Es nimmt Einfluß auf den Körper, der, wenn er einmal herausgefunden hat, daß das Gewürz gut für ihn ist, seinen Geschmack jedesmal anders empfindet. Das führt bis zu einer leichten Euphorie, und ist, wie das Leben selbst, nicht synthetisch herzustellen.«

»Es wäre vielleicht besser gewesen, wir hätten uns dem Zugriff des Imperiums entzogen und wären abtrünnig geworden«, warf Jessica plötzlich ein.

Sie hatte ihm nicht zugehört, stellte Yueh fest. Aber was sie gesagt hatte, führte ihn zu dem Gedanken: Sie hat recht. Aber warum hat sie nicht versucht, den Herzog davon zu überzeugen, daß dies der einzig gangbare Weg ist? Es wäre kein Problem für sie gewesen.

Schnell, bevor sie auf ein anderes Thema überwechseln konnte, sagte er: »Würden Sie es für eine Unverschämtheit halten … wenn ich Ihnen eine persönliche Frage stellte, Jessica?«

Wie unter einem unerklärlichen Schmerz drückte Jessica sich gegen den Fenstersims. »Natürlich nicht. Sie sind … mein Freund.«

»Warum haben Sie nie etwas unternommen, daß der Herzog Sie heiratet?«

Sie fuhr herum, starrte ihn an. »Etwas unternommen, daß er mich heiratet? Aber …«

»Ich hätte Ihnen diese Frage nicht stellen sollen«, entschuldigte sich Yueh.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das hat politische Gründe. Solange der Herzog unverheiratet bleibt, besteht für eine Reihe anderer Hoher Häuser noch immer die Möglichkeit, zu einer Allianz zu kommen. Und …« Sie seufzte. »… Leute gegen ihren Willen zu etwas zu zwingen ist ein zynischer Verstoß gegen die Menschenrechte. Es würde jeden Betroffenen entwürdigen. Hätte ich ihn dazu gebracht, wäre das nicht aus seinem eigenen Antrieb geschehen. Es hätte alles nach Falschheit gerochen.«

»Diese Worte hätte ebenso Wanna sagen können«, murmelte er. Auch dies war eine Wahrheit. Yueh preßte eine Hand gegen seinen Mund und schluckte schwer. Er war dem Versuch, alles zu verraten und seine geheime Rolle offen auszusprechen, in diesem Moment näher als jemals zuvor.

Aber Jessica verhinderte mit ihren eigenen Worten, daß er es aussprach. »Nebenbei gesagt, Wellington, besteht der Herzog in Wahrheit für mich aus zwei Personen. Eine davon liebe ich sehr, denn sie ist charmant, witzig, aufopfernd und zärtlich und besitzt alles, was eine Frau in ihren Bann schlagen kann. Aber der andere Mann ist … eiskalt, gefühllos, fordernd, ichbezogen; beißend wie der Nordwind. Es ist der Mann, der nach seinem Vater schlägt.« Ihr Gesicht versteinerte sich. »Wäre der alte Herzog nur gestorben nach der Geburt seines Sohnes!«

In der sich nun entwickelnden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören.

Jessica nahm einen tiefen Atemzug und sagte: »Leto hatte recht. Die Räumlichkeiten hier sind viel hübscher als die anderen Sektionen des Hauses.« Sie sah sich um, ließ einen Blick durch das Zimmer schweifen. »Sie werden mich jetzt entschuldigen müssen, Wellington. Bevor ich endgültig festlege, wie die Aufteilung der Räume erfolgt, möchte ich noch einen Blick in die anderen Flügel des Gebäudes werfen.«

Yueh nickte. »Natürlich!« Und er dachte: Gäbe es doch nur einen Ausweg für mich!

Jessica ließ die Arme sinken, ging zur Tür hinüber und blieb dort einen Moment lang zögernd stehen, bevor sie hinausging. Die ganze Zeit während unseres Gesprächs hat er irgend etwas in sich unterdrückt und vor mir verborgen gehalten, dachte sie. Vielleicht wollte er mich nicht beunruhigen. Er ist ein guter Mann. Erneut hielt sie mitten im Schritt inne. Es drängte sie danach, zurückzugehen und ihn offen danach zu fragen. Aber das würde ihn nur beschämen, wenn er merkt, daß man seine Emotionen so leicht entschlüsseln kann. Ich sollte meinen Freunden mehr Vertrauen entgegenbringen.

9

Es ist vielen nicht verborgen geblieben, mit welcher Schnelligkeit sich Muad'dib den Erfordernissen Arrakis' anpaßte. Natürlich war die Ausbildung der Bene Gesserit dafür verantwortlich. Was andere Faktoren anbetrifft, so ist dazu zu sagen, daß Muad'dib deshalb so schnell lernte, weil seine Lektion beinhaltete, wie man effektiv Informationen sammelt. Es ist schockierend, festzustellen, wie viele Leute glauben, daß sie lernunfähig seien oder Informationen doch nur unter größten Schwierigkeiten sammeln können. Muad'dib war davon überzeugt, daß jede Erfahrung ihre eigene Lehre enthielt.

Aus ›Die Menschlichkeit des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Paul lag auf dem Bett und stellte sich schlafend. Es war eine Kleinigkeit gewesen, die Schlaftablette Dr. Yuehs in der Handfläche verschwinden zu lassen, anstatt sie zu schlucken. Paul unterdrückte ein Gelächter. Selbst seine Mutter war davon überzeugt gewesen, daß er schlafe. Eigentlich hatte er aufspringen und sie um die Erlaubnis bitten wollen, das Haus zu erforschen, aber er hatte irgendwie gewußt, daß sie das abgelehnt hätte. Die herrschende Unordnung war noch zu groß. Die neue Umgebung zu unbekannt und ungefestigt. Naja, vielleicht hatte sie recht.

Wenn ich mich herausschleiche, ohne jemanden gefragt zu haben, dachte er, verstoße ich auch nicht gegen einen Befehl. Aber ich werde trotzdem hierbleiben; die Sicherheit geht vor.

Er hörte seine Mutter im Nebenzimmer mit Yueh sprechen. Ihre Worte waren verwirrend … Sie sprachen über das Gewürz und die Harkonnens. Die Konversation wurde lauter und wieder leiser.

Pauls Aufmerksamkeit wandte sich dem zerkratzten Kopfende des Bettes zu. Es war eine Attrappe, die in Wirklichkeit eine Reihe von Reglern enthielt, mit denen man verschiedene Funktionen des Raumes steuern konnte. In das Holz war ein hüpfender Fisch auf sich kräuselnden Wellen eingeschnitzt, und er wußte, daß, berührte er dessen einzig sichtbares Auge, die Suspensorlampen aktiviert wurden. Wenn er eine der Wellen berührte, würde das die Feuchtigkeit der Luft regulieren, während eine andere für die Zimmertemperatur zuständig war.

Leise setzte Paul sich im Bett auf. Zu seiner Linken stand ein breites Bücherregal auf Schienen, hinter dem sich ein eingebauter Kleiderschrank befand. Die Klinke der Tür zum Flur war einem Ornithopter nachempfunden. Der ganze Raum war so konstruiert, daß er das Herz eines fünfzehnjährigen Jungen im Sturm erobern mußte. Ebenso wie der ganze Planet.

Er dachte an das Filmbuch, das Yueh ihm gezeigt hatte. Sein Titel hatte gelautet: »Arrakis — Seiner Kaiserlichen Majestät botanische Versuchsstation in der Wüste.« Das Buch war bereits geschrieben worden, bevor man das Gewürz entdeckt hatte. Namen schossen durch Pauls Gehirn, und bei jedem einzelnen hatte er das danebenstehende Bild vor seinem geistigen Auge: Saguaro, Eselsbusch, Dattelpalme, Sandverbena, Abendprimel, Faßkaktus, Weihrauchgebüsch, Rauchbaum, Kreosotbusch … Wustenfuchs, Habicht, Känguruhmaus …

Namen und Bilder, Bilder und Bezeichnungen aus der irdischen Vergangenheit des Menschen — viele davon gab es außer auf Arrakis nirgendwo mehr.

Und so viele neue Dinge, die man kennenlernen mußte.

Das Gewürz. Und die Sandwürmer.

Paul hörte, wie im Nebenzimmer eine Tür geschlossen wurde. Die sich entfernenden Schritte waren die seiner Mutter. Paul zweifelte nicht daran, daß Dr. Yueh nebenan genügend zu lesen finden würde, um sich in ein anderes Zimmer zurückzuziehen.

Dies war der richtige Moment, eine Forschungsreise zu unternehmen.

Paul schlüpfte aus dem Bett und griff nach dem Regal, hinter dem sich der Kleiderschrank befand. Ein Geräusch in seinem Rücken ließ ihn mitten in der Bewegung innehalten. Er wandte sich um. Der geschnitzte Kopfteil seines Bettes sank langsam in die Tiefe und hielt genau dort, wo sich soeben noch sein Kopf befunden hatte … Paul hielt den Atem an und verharrte regungslos, was ihm das Leben rettete.

Aus dem Hohlraum hinter dem Kopfende kam ein winziger Jäger-Sucher zum Vorschein. Er war nicht größer als fünf Zentimeter. Paul erkannte ihn sofort: es handelte sich um eine gebräuchliche Waffe von Attentätern, über die adelige Kinder so früh wie möglich aufgeklärt wurden. Das Mordinstrument, das sich in den Körper seines Opfers eingrub und dort wichtige Organe beschädigte, mußte von jemandem gesteuert werden, der sich in unmittelbarer Nähe befand.

Der Sucher stieg etwas höher und schwebte prüfend im Raum hin und her.

Die Funktionsweise des Geräts kam wie von selbst in Pauls Bewußtsein zurück: Das komprimierte Suspensorfeld beeinträchtigte die Sichtweite der eingebauten Fernsehkamera. Da es in seinem Schlafraum ziemlich finster war, würde sich derjenige, der das Instrument steuerte, auf Bewegungen konzentrieren müssen — und zwar auf jede. Ein Schild konnte die Geschwindigkeit des Jäger-Suchers abwehren und einem Menschen die Zeit verschaffen, ihn zu vernichten. Aber Paul trug keinen Schild. Der Schutzgurt lag auf seinem Bett. Hätte er über eine Lasgun verfügt, hätte er den mechanischen Mörder abschießen können — aber Lasguns waren sehr teuer und bedurften einer ständigen Wartung. Außerdem war die Gefahr, eine Lasgun unter der schützenden Hülle eines Schildes abzufeuern, nicht zu unterschätzen. Im allgemeinen vertrauten die Atreides auf ihre Körperschilde und ihre Findigkeit.



Paul blieb reglos stehen. Es war ihm klar, daß nun alles von seiner Geistesgegenwart abhing.

Erneut stieg der Jäger-Sucher um einen halben Meter. Entlang der herabgelassenen Jalousien suchte er den Raum ab.

Ich muß versuchen, ihn irgendwie zu packen zu kriegen, dachte Paul. Das Suspensorfeld sorgt dafür, daß er nicht leicht zu fassen ist, aber ich habe keine andere Wahl. Ich muß fest zupacken.

Das Ding sank um einen halben Meter, flog nach links, drehte eine Runde um das Bett. Ein feines Summen ging von ihm aus.

Wer ist es, der es steuert? fragte sich Paul. Es muß jemand in meiner Nähe sein. Ich könnte nach Yueh rufen, aber wenn er die Tür öffnet, ist er so gut wie tot.

Die Tür zum Flur — sie lag in Pauls Rücken — knarrte. Jemand klopfte. Dann öffnete sie sich. Der Jäger-Sucher flog an Paul vorbei, in Richtung auf die Tür.

Paul ließ seine Rechte vorschnellen und ergriff das Ding mitten im Flug. Es zuckte und summte in seiner Faust, aber seine Muskeln hielten es eisern fest. Mit einem gewaltigen Schlag rammte er die Nase des teuflischen Geräts gegen die metallene Türfüllung. Das Fernsehauge zersplitterte klirrend und der Jäger-Sucher hauchte in Pauls Hand sein Leben aus.

Er ließ trotzdem nicht locker — nicht, bevor er sich seiner Sache sicher war. Dann hob er den Blick und starrte in die dunkelblauen Augen von Shadout Mapes.

»Ihr Vater schickt nach Ihnen«, sagte sie. »Es sind Männer in der Halle, die Sie eskortieren sollen.«

Paul nickte, während seine Augen erstaunt die seltsame Frau in ihrem braunen, sackartigen Gewand musterten. Erst jetzt bemerkte sie das Ding in seiner Hand.

»Ich habe von solchen Dingen gehört«, sagte sie. »Es hätte mich töten können, nicht wahr?«

Paul mußte schlucken, bevor er fähig war, ein Wort herauszubringen. »Ich war … das Ziel.«

»Aber es ist auf mich zugeflogen.«

»Weil du dich bewegt hast.« Und er fragte sich: Wer ist dieses Geschöpf?

»Dann haben Sie mein Leben gerettet«, erwiderte sie.

»Das Leben von uns beiden.«

»Sie hätten mich aber diesem Ding ausliefern und entkommen können«, meinte Mapes.

»Wer bist du?« fragte Paul.

»Die Shadout Mapes. Die Haushofmeisterin.«

»Woher wußtest du, wo ich mich aufhalte?«

»Ihre Mutter sagte es mir. Ich traf sie auf der Treppe.« Sie deutete nach rechts. »Die Männer Ihres Vaters warten dort.«

Es werden Hawats Männer sein, dachte Paul. Wir dürfen denjenigen, der dieses Gerät gesteuert hat, nicht entwischen lassen.

»Geh zu den Männern meines Vaters«, sagte er, »und sage ihnen, daß ich einen Jäger-Sucher in diesem Haus gefangen habe und daß sie ausschwärmen und den Attentäter suchen sollen. Sag ihnen, daß sie das ganze Haus auf den Kopf stellen sollen, und zwar sofort. Sie wissen schon, wie sie vorgehen müssen. Der Attentäter kann nur ein Fremder sein.«

Und er fragte sich: Und wenn sie es nun war? Aber das war unmöglich. Der Jäger-Sucher hatte unter der Kontrolle eines anderen gestanden, als sie an der Tür stand.

»Bevor ich Ihren Befehl ausführe, junger Herr«, erwiderte Mapes, »muß ich zwischen uns reinen Tisch machen. Ihr habt mir eine Wasserschuld auferlegt, aber ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, sie zu tragen. Aber wir Fremen begleichen unsere Schulden — seien es nun erbetene oder unerbetene. Und es ist ebenso bekannt für uns, daß in Ihrer Mitte ein Verräter lebt. Wer es ist, können wir mit Bestimmtheit nicht sagen, aber wir sind sicher, daß es einen gibt. Vielleicht war es seine Hand, die hinter diesem Anschlag steckte.«

Paul nahm das Wort schweigend zur Kenntnis: ein Verräter. Bevor er etwas erwidern konnte, hatte sich die seltsame Frau von ihm abgewandt und rannte davon. Er wollte sie zurückrufen, aber er wurde den Eindruck nicht los, daß sie seinem Befehl keine Folge leisten würde. Sie hatte ihm ihr Wissen mitgeteilt und war nun unterwegs, seinen Befehl auszuführen. In einer Minute würde es im ganzen Haus von Hawats Leuten nur so wimmeln.

Und was hatte sie sonst noch für seltsame Worte gebraucht? Wir Fremen. Sie gehörte also dazu. Er prägte das Abbild ihres Gesichts seinem fotografischen Gedächtnis ein: die ausgetrocknete faltige Haut, die völlig blauen Augäpfel. Und schließlich diese seltsame Bezeichnung: Die Shadout Mapes.

Den zerstörten Jäger-Sucher immer noch fest im Griff haltend, trat er in den Raum zurück, nahm den Schildgurt vom Bett schlang ihn mit der linken Hand um die Hüfte und schloß ihn. Dann rannte er auf den Korridor hinaus, zu der Halle hinunter die zu seiner Linken lag.

Sie hatte gesagt, seine Mutter sei dort unten …

10

Was hatte Lady Jessica während der Zeit ihrer Prüfung zu ertragen? Wenn Du über das folgende Proverb der Bene Gesserit sorgfältig nachdenkst, wirst Du es erkennen: »Jede Straße, der man konsequent bis zu ihrem Ende folgt, führt unweigerlich ins Nichts. — Erklimme einen Berg nur ein kleines Stück, und du wirst ihn in seiner Gänze sehen. Stehst du auf seinem Gipfel, wird er für dich unsichtbar.«

Aus ›Bemerkungen zur Familie des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Am Ende des Südflügels entdeckte Jessica eine metallene Wendeltreppe, die an einer ovalen Tür endete. Sie warf einen Blick zurück in die Halle, dann auf die Tür.

Oval? fragte sie sich. Welch eine seltsame Form für eine Tür innerhalb eines Hauses.

Durch die unterhalb der Treppe angebrachten Fenster konnte sie sehen, wie sich die große, weiße Sonne des Planeten Arrakis dem Horizont näherte. Sie warf lange Schatten durch die Halle. Erneut wandte Jessica ihre Aufmerksamkeit den Treppenstufen zu. Das einfallende Licht machte sie auf einige Krumen getrockneter Erde aufmerksam.

Jessica legte eine Hand auf das Geländer und ging hinauf. In ihrer schwitzenden Hand fühlte es sich kalt an. Vor der Tür blieb sie stehen und stellte fest, daß sie keine Klinke besaß. Dort, wo sie hätte sitzen sollen, fand sie ein abgesetztes Feld.

Sicher ist es kein Handflächenschloß, redete sie sich ein. Schlösser dieser Art sind nur auf die Handflächenmerkmale einer bestimmten Person eingestellt. Aber dennoch sah es wie ein Handflächenschloß aus. Und es gab eine Möglichkeit, ein jedes Schloß dieser Machart zu öffnen. Das hatte sie auf der Schule gelernt.

Jessica blickte sich um, stellte fest, daß sie wirklich niemand beobachtete und legte dann ihre Hand auf das Feld. Ein leichter Druck, um die Linien zu erfassen, ein leichtes Drehen des Handgelenks, noch einer und noch einer.

Sie hörte es klicken.

Plötzlich erklangen aus der Halle die Geräusche sich eilig bewegender Füße. Jessica nahm die Hand von der Tür, drehte sich um und sah, wie Mapes den untersten Treppenabsatz erreichte.

»Es sind Männer in der Halle, die behaupten, der Herzog habe sie geschickt, um den jungen Herrn Paul abzuholen«, sagte sie. »Sie tragen das herzogliche Emblem und die Wache hat sie passieren lassen.« Sie warf einen Blick auf die Tür und dann auf Jessica.

Sie ist mißtrauisch, diese Mapes, dachte Jessica. Das ist ein gutes Zeichen.

»Er ist im fünften Raum vom Ende der Halle aus gesehen«, erwiderte sie. »Wenn du Schwierigkeiten hast, ihn wachzukriegen, bitte Dr. Yueh um Hilfe, der sich im Nebenzimmer aufhält. Gelegentlich schläft Paul so fest, daß man ihn mit Schüssen wecken muß.«

Mapes warf erneut einen Blick auf das ovale Tor, und Jessica meinte, darin Abneigung zu entdecken. Bevor sie fragen konnte, was sich dahinter verbarg, hatte Mapes sich bereits abgewandt und eilte in die Halle zurück.

Hawat hat hier alles überprüft, kam ihr zu Bewußtsein. Ich kann unbesorgt weitergehen.

Ein leichter Druck öffnete die Tür. Sie schwang nach innen. Dahinter befand sich ein kleiner Raum. An seinem anderen Ende lag eine weitere Tür von ebenfalls ovaler Form. Sie war mit einem Handrad versehen.

Eine Luftschleuse! durchzuckte es sie. Ein fallender Türbalken, der auf dem Boden landete, erregte ihre Aufmerksamkeit. Der Balken trug Hawats persönliches Kennzeichen. Hawat hat die Tür also aufstemmen lassen, ohne sie wieder zu verschließen, dachte sie. Und irgend jemand, der nicht wußte, daß die Tür sich mit der Handfläche verschließen läßt, hat ihn umgestoßen.

Sie trat über die Schwelle in den kleinen Raum hinein.

Weshalb eine Luftschleuse innerhalb eines Hauses? fragte sie sich. Plötzlich fielen ihr exotische Geschöpfe ein, die nur in einem speziellen Klima existenzfähig waren.

In einem speziellen Klima!

Das war für eine Welt wie Arrakis, auf der es keine Pflanze gab, die ohne künstliche Bewässerung auskam, nur normal.

Die hinter ihr liegende Tür begann zuzufallen. Jessica hielt sie fest und legte den Balken, den Hawat zurückgelassen hatte, dazwischen. Sie warf einen erneuten Blick auf das von einem Handrad verschlossene zweite Tor und fand in der metallenen Fläche die in Galach eingeritzten Worte:

»O, Mensch! Hier findest Du einen lieblichen Teil von Gottes Schöpfung. Tritt näher und lerne den Perfektionismus Deiner engsten Freundin kennen.«

Jessica legte ihr ganzes Gewicht auf das Handrad. Es drehte sich nach links und die innere Tür öffnete sich. Ein kühler Luftzug drang durch den Spalt und fuhr durch ihr Haar. Sie bemerkte, daß die Luft hier anders war — sie roch reichhaltiger. Entschlossen öffnete sie die Tür ganz und sah gelbes Sonnenlicht über einem Pflanzendschungel, der bis zur Decke wucherte.

Gelbe Sonnenstrahlen? dachte sie. Und dann: Filterglas.

Als sie über die Schwelle getreten war, fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.

»Ein Treibhaus … Grünpflanzen!« flüsterte sie.

Topfpflanzen und Gewächse aller Art umgaben sie in verschwenderischer Fülle. Sie erkannte Mimosen, blühende Quitten, einen Sondagi, grünblühende Pleniszentien, grün und weiß gestreifte Akarsien … Rosen …

Sogar Rosen!

Sie kniete sich hin, um an einer gigantischen Teerose zu riechen, und sah sich weiter um.

Ein gleichbleibendes Geräusch drang an ihre Ohren.

Jessica bog einen dichten Blättervorhang beiseite und blickte zum Mittelpunkt des Raums. Ein kleiner Springbrunnen, dessen Wasserstrahlen in einem Becken aufgefangen, bevor sie wieder in ihn zurückgepumpt wurden, erregte ihre Aufmerksamkeit. Der rhythmische Klang wurde von den sanften Fontänen erzeugt.

Sie begann den Raum einer systematischen Untersuchung zu unterziehen. Er schien etwa vierzig Quadratmeter zu messen. Aus verschiedenen Erkenntnissen, die sie aus der Konstruktion zog, gelangte sie zu dem Schluß, daß er erst nach der Errichtung des Gebäudes entstanden war.

An der südlichen Wand, wo sich das Filterglas befand, blieb sie stehen. Der gesamte Raum war mit exotischen und viel Wasser benötigenden Pflanzen bedeckt. Ihre Muskeln spannten sich. Sie sah mit einem flüchtigen Blick auf ein automatisches Wassersprühgerät, dessen Arm sich im gleichen Augenblick hob und mehrere Pflanzen bewässerte. Dann glitt er in das Dickicht zurück, und Jessica sah, daß er Farnkraut besprüht hatte.

Es gab überall Wasser in diesem Raum, und das auf einem Planeten, wo Wasser der wichtigste Lebenssaft war. Es wurde hier in so unglaublicher Form verschwendet, daß es sie beinahe schockierte. Sie sah auf die filtergelbe Sonne, die tief über einer wildgezackten Bergkette hing, von der sie wußte, daß man sie als Schildwall bezeichnete.

Filterglas, dachte sie erneut. Damit die weiße Sonne vertrauter und weniger grell wirkt. Wer kann für die Existenz eines solchen Raumes verantwortlich sein? Etwa Leto? Es würde zu ihm passen, mich mit einem solchen Geschenk zu überraschen, aber er hat nicht die nötige Zeit dazu gehabt. Er hat wirklich zur Zeit mit ernsthafteren Dingen zu tun.

Sie erinnerte sich daran, daß die meisten Häuser von Arrakeen deshalb mit Luftschleusen versehen waren, weil man verhindern wollte, daß aus ihnen zuviel Feuchtigkeit nach außen drang. Leto hatte sie darauf hingewiesen, daß ihr Palast, der lediglich gegen Staub gesichert war, in den Augen der anderen Einwohner möglicherweise als Provokation wirken könne.

Aber dieser Raum enthielt noch weitaus mehr Provokationen als das Fehlen von Wassersiegeln an Türen und Fenstern. Es war ziemlich wahrscheinlich, daß allein dieses Treibhaus mehr Wasser verschlang als tausend Einwohner von Arrakis — vielleicht sogar viel mehr.

Jessica spazierte an den Fenstern entlang. Ihr Blick hing noch immer an den Pflanzen und Blumen; aber er traf plötzlich auf ein kleines Schreibpult, das von einem riesigen Farn fast verdeckt wurde. Am Springbrunnen vorbei trat sie an das Pult heran. Auch dies trug Hawats Kontrollzeichen. Auf der Schreibfläche lag ein Block, auf dem etwas geschrieben stand:


An Lady Jessica!

Möge dieser Ort Ihnen ebensoviel Freude bereiten wie mir. Aber denken Sie dabei an eine Lektion, die wir beide von denselben Lehrern erhielten: Die Nähe einer erstrebenswerten Sache kann zur Übersättigung führen. In dieser Richtung droht Gefahr.

Mit den besten Wünschen

Margot Lady Fenring.


Jessica nickte. Sie erinnerte sich wieder, daß Leto ihr erzählt hatte, daß Graf Fenring Gesandter des Imperators auf Arrakis gewesen sei. Aber die versteckte Botschaft dieses Briefes war eher dazu angetan, ihr Interesse zu wecken. Ihr wurde klar, daß die Schreiberin dieser Zeilen ebenfalls eine Bene Gesserit war. Ein bitterer Gedanke kam in ihr auf: Der Graf hat seine Lady geheiratet.

Im gleichen Moment beugte sie sich über den Block und fragte sich, wo Lady Margot ihren Hinweis versteckt hatte. Die sichtbare Notiz sagte ihr, daß es eine nähere Erklärung geben mußte. Der Kodesatz In dieser Richtung droht Gefahr, ein Hinweiszeichen, das jede Bene Gesserit kannte, bewies es eindeutig.

Jessica drehte die Botschaft um und tastete sie mit ihren Fingern ab. Sie rechnete damit, Einkerbungen zu finden, die ihr weiterhelfen konnten. Nichts. Sie legte den Block dorthin zurück, wo er gelegen hatte. Erregung packte sie.

Hat es mit der Richtung zu tun, in der der Block lag? fragte sie sich.

Aber Hawat hatte bereits hier seine Kontrollen durchgeführt. Zweifellos hatte er dabei auch die Lage der Botschaft verändert. Sie sah sich das Blatt an, das über das Pult ragte. Das Blatt! Sie fuhr mit der Fingerspitze über die Unterseite des Farnwedels, dann an seinem Stamm entlang. Dort! Sie spürte die winzigen Erhebungen und entschlüsselte rasch den Text:


Der Herzog und sein Sohn sind in unmittelbarer Gefahr. Einer der Schlafräume wurde absichtlich so hergerichtet, daß er Ihrem Kind gefallen muß. Die H. haben den Raum mit einer ganzen Ladung rasch erkennbarer Todesfallen ausgestattet, deren einziger Zweck es ist, von derjenigen abzulenken, die ihm wirklich gefährlich werden kann.


Jessica mußte das Verlangen, sich auf der Stelle umzudrehen und zu Paul zu eilen, niederkämpfen. Aber sie mußte erst die komplette Botschaft kennen. Wieder tasteten sich ihre Finger über die Kerben.


Ich bin nicht genau darüber informiert, wie das Attentat erfolgen soll, aber es hat etwas mit einem Bett zu tun. Des weiteren ist der Herzog stark gefährdet durch den Verrat eines seiner engsten Mitarbeiter oder eines Leutnants. Die H. planen außerdem, Sie persönlich zum Geschenk eines ihrer Vasallen zu machen. Soweit ich weiß, ist dieser Raum sicher. Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen nicht mehr mitteilen kann. Meine Möglichkeiten sind, da mein Graf nicht auf der Gehaltsliste der H. steht, begrenzt. In Eile:

M. F.


Jessica ließ den Farnwedel wieder fallen und wirbelte herum, um Paul zu warnen. Im gleichen Augenblick flog die Tür der Luftschleuse auf und Paul kam, etwas in der rechten Hand haltend, hereingestürmt. Er knallte die Tür hinter sich zu, sah seine Mutter und kam durch die Büsche auf sie zu. Der Brunnen erweckte seine Aufmerksamkeit. Er hob die rechte Hand und tauchte sie, mitsamt dem Gegenstand, den sie enthielt, in das Wasser.

»Paul!« Jessica ergriff seine Schulter und starrte auf die Hand. »Was hat das zu bedeuten?«

Ruhig, aber dennoch unter einem Mantel spürbar unterdrückter Erregung, erwiderte er knapp: »Ein Jäger-Sucher. Ich hab' ihn mir geschnappt und ihm die Nase zertrümmert. Aber ich muß ganz sichergehen. Das Wasser sorgt für einen Kurzschluß.«

»Steck ihn tiefer hinein«, sagte Jessica.

Paul gehorchte.

»Zieh die Hand jetzt zurück«, sagte Jessica nach einer Weile. »Aber laß das Ding drin.«

Er zog die Hand zurück, schüttelte die Wassertropfen ab und starrte auf das vom Wasser überspülte Metallding. Jessica brach einen Pflanzenstengel ab und berührte es zaghaft.

Es rührte sich nicht.

Sie warf einen Stengel in den Brunnen und schaute auf ihren Sohn. Pauls Blick glitt durch den Raum. Er studierte ihn mit einer Genauigkeit, die nur einer Bene Gesserit zu eigen war.

»Hier könnte man allerhand verstecken«, sagte er schließlich.

»Ich habe guten Grund anzunehmen, daß dieser Raum sicher ist«, meinte Jessica.

»Das hat man von meinem Schlafzimmer auch angenommen. Hawat hat gesagt …«

»Es war ein Jäger-Sucher«, versuchte sie ihm klarzumachen. »Und das bedeutet, daß es jemand im Haus gibt, der ihn steuerte. Die Kontrollstrahlen, um einen Jäger-Sucher zu manövrieren, haben nur eine begrenzte Reichweite. Man kann das Ding ohne weiteres ins Haus gebracht haben, nachdem Hawat seine Kontrollen durchführte.«

Gleichzeitig fiel ihr ein, was Lady Fenring auf der Unterseite des Farnwedels hinterlassen hatte: … durch den Verrat eines seiner engsten Mitarbeiter oder eines Leutnants. — Das kann natürlich nicht Hawat sein. Natürlich nicht. O nein.

»Hawats Männer sind gerade dabei, das Haus auf den Kopf zu stellen«, erklärte Paul. »Das Ding hätte beinahe die alte Frau erwischt, die mich wecken wollte.«

»Die Shadout Mapes«, sagte Jessica, die sich jetzt an die Begegnung auf der Treppe erinnerte. »Sie kam, weil dein Vater …«

»Das hat jetzt Zeit«, sagte Paul. »Wieso glaubst du, daß dieser Raum sicher ist?«

Sie zeigte ihm Lady Margots Botschaft, was ihn sichtlich entspannte. Aber Jessica selbst konnte ihre Erregung nur mühsam verbergen. Ein Jäger-Sucher! Gerechte Mutter!

Sachlich sagte Paul: »Es waren natürlich die Harkonnens, die dafür verantwortlich sind. Wir werden ihre Meuchelmörder aufspüren und vernichten müssen.«

Jemand klopfte an der Schleusentür. Es war das Kodezeichen von Hawats Leuten.

»Herein«, rief Paul.

Die Tür öffnete sich, und ein Mann in der Uniform von Hawats Truppen erschien auf der Schwelle. Auf seiner Mütze trug er die Insignien der Atreides. »Gut, daß ich Sie finde, Sir«, sagte er. »Die Haushälterin sagte mir, wo ich Sie finden kann.« Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. »Wir haben im Keller eine Höhle entdeckt, in der sich ein Mann befand. Er hatte ein Steuergerät für einen Jäger-Sucher bei sich.«

»Ich möchte an dem Verhör teilnehmen«, verlangte Jessica.

»Das tut mir leid, Mylady. Aber er machte Schwierigkeiten, als wir ihn festnehmen wollten. Er lebt nicht mehr.«

»Gibt es etwas, an dem man ihn identifizieren kann?«

»Wir haben bis jetzt noch nichts gefunden, Mylady«, erwiderte der Mann.

»Ein Eingeborener?« fragte Paul.

Jessica nickte. Genau die Frage hatte sie ihm auch stellen wollen.

»Er sieht zumindest so aus«, erklärte der Uniformierte. »Es hat den Anschein, als hätte man ihn bereits vor einem Monat in diese Höhle eingemauert. Die Steine und der Mörtel der Wand, hinter der er hockte, waren unberührt, als wir sie bei der ersten Sicherheitsüberprüfung untersuchten. Wir haben den Keller sogar noch gestern kontrolliert, dafür garantiere ich.«

»Niemand stellt Ihre Gründlichkeit in Frage«, beteuerte Jessica ernst.

»Ich selbst stelle sie in Frage, Mylady. Wir hätten sonische Tests vornehmen sollen.«

»Ich nehme an, daß Sie das jetzt tun«, sagte Paul.

»Jawohl, Sir.«

»Benachrichtigen Sie meinen Vater. Es wird noch etwas dauern, bis wir von hier wegkönnen.«

»Sofort, Sir.« Der Uniformierte sah Jessica an. »Die Anweisung Hawats lautet, daß unter diesen Umständen der junge Herr an einem absolut sicheren Ort unterzubringen ist.« Er sah sich erneut um. »Wie sieht es mit diesem Raum aus, Mylady?«

»Ich halte ihn für sicher«, erwiderte Jessica. »Hawat und ich haben ihn gründlich inspiziert.«

»Ich werde eine Wache vor der Tür postieren, Mylady. Zumindest so lange, bis wir mit dem Haus fertig sind.« Er machte eine Verbeugung, legte einen Finger an die Mütze und ging, die Tür hinter sich zuziehend, hinaus.

»Hätten wir das Haus vielleicht besser selbst untersuchen sollen?« unterbrach Paul die nachfolgende Stille. »Du hättest bestimmt Dinge wahrgenommen, die andere einfach nicht sehen können.«

»Dieser Flügel war der einzige, in dem ich noch nicht war«, gab Jessica zu. »Ich hatte damit gewartet, weil …«

»Weil Hawat mit seinem Wort für alles einstand«, beendete Paul den angefangenen Satz.

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Mißtraust du ihm?« fragte sie.

»Nein. Aber er wird alt … Zudem ist er überlastet. Wir sollten ihm die Arbeit erleichtern.«

»Das würde ihn nur beschämen und seine Wirksamkeit vermindern. Es wäre nicht einmal einer Fliege möglich, in dieses Haus einzudringen, ohne daß er etwas davon bemerkt. Er würde …«

»Wir müssen nach unseren eigenen Kriterien vorgehen«, warf Paul ein.

»Hawat hat drei Generationen von Atreides' ehrenvoll gedient«, sagte Jessica. »Es ist sein Recht, daß wir ihm allen Respekt zollen, dessen wir fähig sind …«

Paul sagte: »Wenn mein Vater sich über irgend etwas aufregt, für das du verantwortlich bist, benutzt er die Worte Bene Gesserit! wie einen Fluch.«

»Und was ist es, was ihn in Rage versetzt?«

»Wenn du mit ihm streitest.«

»Aber du bist doch nicht dein Vater, Paul.«

Und Paul dachte: Es wird ihr zweifellos Sorgen bereiten, aber ich kann ihr nicht verschweigen, was Mapes über den Verräter in unseren Reihen gesagt hat.

»Was verschweigst du mir, Paul?« fragte Jessica. »So etwas ist doch sonst nicht deine Art.«

Er zuckte die Achseln, rief sich die mit Mapes gewechselten Worte ins Gedächtnis zurück.

Und Jessica dachte an die Botschaft unter dem Farnwedel. Sie kam zu einer raschen Entscheidung, wies Paul auf die zweite Botschaft hin und wiederholte sie.

»Mein Vater muß sofort davon unterrichtet werden«, sagte Paul kurzentschlossen. »Ich werde mich über Funk mit ihm in Verbindung setzen.«

»Nein«, widersprach Jessica. »Du wirst warten, bis du ihm persönlich gegenüberstehst. Je weniger davon erfahren, desto besser.«

»Soll das heißen, daß wir überhaupt niemandem mehr trauen können?«

»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, gab Jessica zu bedenken. »Diejenigen, die uns mit dieser Nachricht versorgten, glauben vielleicht wirklich an ihren Inhalt — aber es ist genausogut möglich, daß sie einen ganz anderen Zweck verfolgt.«

Pauls Gesicht verzog sich in plötzlichem Begreifen. »Um Mißtrauen und Zwietracht in unsere Reihen zu tragen, und uns auf diese Weise zu schwächen«, vermutete er.

»Vergiß nicht, diesen Aspekt zu berücksichtigen, wenn du mit deinem Vater sprichst.«

»Ich verstehe.«

Jessica ging zu einem der Filterglasfenster hinüber und blickte nach Südwesten, wo die Sonne Arrakis' sich eben anschickte, hinter den Felsen zu versinken — ein großer gelber Ball über den Klippen.

Paul, neben sie tretend, sagte: »Ich glaube auch nicht daran, daß es Hawat ist. Aber was hältst du von Yueh?«

»Er ist weder ein Leutnant, noch ein enger Mitarbeiter«, erwiderte Jessica. »Und ich kann dir versichern, daß er die Harkonnens nicht weniger haßt als wir.«

Paul schaute zu den Bergen und dachte: Und es kann auch nicht Gurney sein. Oder Duncan. Vielleicht einer der Unterleutnants? Unmöglich. Sie alle gehören Familien an, die uns bereits seit Generationen loyal gegenüberstehen — und aus guten Gründen.

Jessica strich sich über die Stirn. Sie fühlte sich abgespannt. All diese Bosheit! Sie betrachtete die Landschaft hinter dem gelben Filterglas. An den Südflügel des Gebäudes schloß sich ein eingezäuntes Lagerhaus an, in dem sich eine Reihe von Gewürzsilos befand. Es war umgeben von Wachttürmen, die es umwoben wie ein Spinnennetz. Andere Silos, zu denen ebenfalls Wachttürme gehörten, reihten sich auf zu einer langen Kette, die über die Ebene bis zum Fuß des Schildwalls reichten.

Langsam näherte sich die gefilterte Sonne dem Horizont. Die ersten Sterne tauchten am Himmel auf. Jessica nahm einen von ihnen besonders wahr. Er war dem Horizont sehr nahe und blinkte in einem Rhythmus, der wie ein Zittern wirkte.

Neben ihr stand Paul, aber Jessica konzentrierte sich auf diesen einzelnen, leuchtenden Stern. Plötzlich wurde ihr klar, daß er einfach zu tief stand, um ein Stern zu sein, daß das Leuchten direkt aus den Felsen kommen mußte.

Lichtsignale!

Sie versuchte die Botschaft zu entziffern, aber sie fand rasch heraus, daß sie in einem Kode gehalten war, den sie nicht kannte.

Jetzt antwortete jemand aus der Ebene: kleine gelbe Blitze, die sich von der blauen Finsternis deutlich abhoben. Das Licht zu ihrer Linken wurde heller, funkelte. An, aus. An, aus.

Dann erlosch es.

Der falsche Stern in den Bergen hauchte im gleichen Moment ebenfalls sein Leben aus.

Signale … und sie erfüllten Jessica mit dunklen Vorahnungen. Warum benutzt man eine Lampe, um Botschaften über die Ebene zu schicken? fragte sie sich. Warum benutzt man nicht das reguläre Kommunikationssystem?

Die Antwort war offensichtlich: Das Kommunikationsnetz wurde von den Leuten der Atreides' kontrolliert. Lichtsignale konnten nur den Grund haben, daß man sich dieser Kontrolle entziehen wollte. Und das wies auf die Agenten der Harkonnens hin.

Erneut wurde an die Schleusentür geklopft. Einer von Hawats Männern sagte: »Es ist alles klar, Sir … und Mylady. Es ist Zeit, den jungen Herrn zu seinem Vater zu bringen.«

11

Es ist gesagt worden, daß Herzog Leto alle auf Arrakis herrschenden Gefahren ignorierte; daß er kopflos in die aufgestellte Falle lief. Wäre es nicht eher möglich, daß sein ständigen Todesgefahren ausgesetztes Leben ihn so gefangennahm, daß die Erhöhung einer Gefahrenintensität für ihn einfach nicht mehr vorstellbar war? Oder ist es möglich, daß er bewußt einen Opfergang antrat, um seinem Sohn ein Leben ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen? All diese Eindrücke können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Herzog nicht leicht zu narren war.

Aus ›Bemerkungen zur Familie des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Herzog Leto Atreides lehnte an der Brüstung des Ladekontrollturms außerhalb von Arrakeen. Der erste Mond, eine leuchtende Silbermünze, hing voll am nächtlichen Himmel des südlichen Horizonts. Darunter leuchteten die Klippen des Schildwalls wie bizarre Gletscherformationen durch eine Nebelwand. Links von ihm leuchteten die Lichter der Stadt: gelb … weiß … blau.

Er dachte an die Proklamationen, die jetzt an allen öffentlichen Plätzen des Planeten ausgehängt wurden und seine Unterschrift trugen: ›Unser Erhabener Imperator hat mich dazu ausersehen, Arrakis zu übernehmen und alle herrschenden Streitigkeiten zu beenden.‹

Der rituelle Formalismus dieser Worte erfüllte ihn mit Einsamkeit. Wer würde sich schon von diesen lächerlichen Phrasen beeinflussen lassen? Ganz bestimmt nicht die Fremen. Und erst recht nicht die Kleinen Häuser, die den Binnenhandel von Arrakis kontrollierten … und die bis zum letzten Mann auf der Harkonnen-Seite standen.

Sie haben versucht, meinen Sohn zu ermorden!

Er konnte seine Wut nur mühsam beherrschen.

Von Arrakeen her tauchten die Lichter eines herankommenden Fahrzeugs auf. Möglicherweise war es der Wagen, der Paul brachte. Die Verzögerung war ärgerlich, obwohl er wußte, daß es nur an den Sicherheitsvorkehrungen gelegen hatte, die Hawats Leutnant einzuhalten hatte.

Sie haben versucht, meinen Sohn zu ermorden!

Als wollte er die pochende Wut aus dem Kopf vertreiben, schüttelte Leto Atreides den Kopf. Er sah auf das Landefeld hinaus, wo fünf seiner eigenen Fregatten wie monolithische Figuren aufgereiht standen.

Besser eine Verzögerung, als …

Er erinnerte sich daran, daß der Leutnant ein fähiger Mann war. Er würde ihn bald befördern, das gebot die Loyalität.

›Unser Ehrhabener Imperator …‹

Er wünschte sich, die Einwohner dieser verstaubten Garnisonsstadt könnten den Brief sehen, den er an seinen ›Edlen Herzog‹ geschickt hatte. Er war voll mit verächtlichen Anspielungen auf die verschleierten Männer und Frauen: »… was kann man schon von diesen Barbaren erwarten, die offenbar der Meinung sind, nichts im Leben sei wichtiger als die Ablehnung der einer Ordnung unterworfenen Sicherheit der Faufreluches?«

Es wurde ihm plötzlich bewußt, daß es in diesem Moment sein größter Wunsch war, alle Klassenunterschiede zu beseitigen und sich nie wieder mit dieser tödlichen Ordnung zu beschäftigen. Er hob den Kopf, sah zu den Sternen auf und dachte: Um eines dieser kleinen Lichter kreist Caladan … aber ich werde meine Heimat nie wiedersehen. Die Einsamkeit und das Heimweh erzeugte Schmerzen in seiner Brust. Er hatte das untrügliche Gefühl, daß diese Pein nicht aus ihm selbst kam, sondern von Caladan aus bis zu ihm herüber drang. Er zweifelte daran, daß er fähig war, in Arrakis jemals seine Heimat zu sehen.

Aber ich darf mir nichts anmerken lassen, dachte er. Allein schon wegen des Jungen. Wenn er jemals eine Heimat haben soll, muß es diese sein. Auch wenn Arrakis für mich die Hölle ist, durch die vor meinem Tod ich noch zu gehen habe: er soll das hier finden, was ihn inspiriert. Irgend etwas muß es hier für ihn geben.

Eine Welle von Selbstmitleid, für die er sich selbst schämte durchrollte ihn, und nicht ohne Grund fielen ihm zwei Zeilen eines Gedichtes ein, das Gurney Halleck ihm oft vorgetragen hatte:

»Meine Lungen schmecken den Wind der Zeit …

der weht über gefallenem Sand …«

Nun, Gurney würde hier große Mengen gefallenen Sandes finden. Das zentrale Ödland hinter den mondbeschienenen Klippen bestand aus Wüste, kahlen Felsen, Dünen und wehenden Staubfontänen. Eine unkartographierte, trockene Wildnis, an deren Rand es da und dort einige Fremen gab. Wenn überhaupt jemand in der Lage war, für die Zukunft der Atreides' zu garantieren, dann sie.

Vorausgesetzt, die Harkonnens hatten nicht auch sie mit dem schleichenden Gift der Korruption verseucht.

Sie haben versucht, meinen Sohn zu ermorden!

Das Geländer, gegen das Leto Atreides lehnte, vibrierte plötzlich. Stahlschotten klappten herab, um die Aussichtsterrasse vor den Feuerstrahlen der Triebwerke zu schützen. Die Fähre landet wieder, dachte er. Zeit, hinunter und an die Arbeit zu gehen. Er ging zu den Treppenstufen hinüber und bemühte sich, so kühl wie möglich zu wirken, damit niemand bemerkte, in welcher Gefühlsverfassung er wirklich war.

Sie haben versucht, meinen Sohn zu ermorden!

Die Männer trafen bereits vom Landefeld her ein, als er den verqualmten Aufenthaltsraum betrat. Sie trugen ihre Raumsäcke auf den Schultern und begrüßten sich mit der Lautstärke von Soldaten, die soeben aus dem Urlaub zurückgekommen sind.

»He! Das'n Gefühl unter'n Galoschen, was!«

»Das nennt man hier Schwerkraft, Mann!«

»Wieviel Gravos ham'wer denn hier? Fühlt sich nach mächtig viel an.«

»Na komm, 's sind nur neun Zehntel von 'nem richtigen Ge.«

Ein Durcheinander von Worten erfüllte den Raum.

»Hast du das Kaff da unten schon in Augenschein genommen? Da frag' ich mich direkt, wo die ganze Beute geblieben ist, die man da rausgepreßt hat!«

»Das haben die Harkonnens alles auf Seite geschafft.«

»Ich wär' für 'ne heiße Dusche und 'n weiches Bett!«

»Hast du das noch nicht mitgekriegt, du Depp? Hier gibt's keine Duschen. Und deinen Arsch muß du mit Sand abwischen.«

»He! Der Herzog!«

Als der Herzog den Raum betrat, herrschte plötzlich absolute Stille.

Gurney Halleck, der im Mittelpunkt der Menge stand, den Raumsack über der Schulter und das Baliset in der Hand, sah ihn an. Er hatte lange Finger und große Daumen, die sich ungeheuer schnell bewegen konnten, wenn es darum ging, die neun Saiten des Instruments zum Schwingen zu bringen.

Der Herzog musterte Halleck. Er fühlte sich von der Häßlichkeit dieses Mannes, von seinem scharfen Blick, der Glas zum Zerspringen bringen konnte, angezogen. Er war ein Mensch, der außerhalb der Faufreluches stand und doch jeder ihrer Vorschriften gehorchte. Wie hatte Paul ihn noch genannt? Gurney, der Tapfere.

Gurneys wuscheliges Haar zog sich über mehrere öde Flächen seines Kopfes dahin. Sein großer Mund hatte sich zu einem freundlichen Lächeln verzogen, und die Narbe, die eine Inkvinepeitsche hinterlassen hatte, schien mit eigenem Leben erfüllt. Er strahlte eine schulterklopfende Herzlichkeit aus, als er auf den Herzog zuschritt und sich verbeugte.

»Gurney«, sagte Leto.

»Mylord!« Gurney deutete mit dem Baliset auf die im Raum verstreut stehenden Männer. »Dies sind die letzten. Ich wollte eigentlich mit der ersten Welle kommen, aber …«

»Wir haben noch ein paar Vasallen der Harkonnens für dich übriggelassen«, sagte der Herzog. »Komm mit, wir haben etwas zu besprechen.«

»Wie Sie befehlen, Mylord.«

Sie traten in die Nische neben dem Münzwasserautomaten zurück, während die anderen Männer, sich unterhaltend, zurückblieben. Halleck warf seinen Raumsack in eine Ecke, behielt sein Baliset jedoch in der Hand.

»Wie viele Leute kannst du Hawat überlassen?« fragte der Herzog.

»Hat Thufir Schwierigkeiten, Sire?«

»Er hat nur zwei seiner Männer verloren bislang; aber sein Vorauskommando hat uns mit ausgezeichneten Informationen über die hier ansässigen Leute der Harkonnens versorgt. Wenn wir rasch gegen sie vorgehen, bekommen wir etwas Luft und können alles Weitere dann in Ruhe planen. Er möchte so viele Leute, wie du im Moment entbehren kannst. Aber solche, die nicht zimperlich sind, wenn es darauf ankommt, die Messer zu wetzen.«

»Ich kann ihm dreihundert meiner besten Männer geben«, erwiderte Halleck. »Wann soll ich sie schicken? Und wohin?«

»Zum Haupttor. Hawat hat dort einen Mann postiert, der sie einweisen wird.«

»Soll ich es sofort machen, Sire?«

»Warte noch einen Moment. Wir haben noch ein anderes Problem. Der Hafenkommandant wird die Fähre so lange hier unten aufhalten, bis eine zusätzliche technische Überprüfung stattgefunden hat. Das Gildenschiff, mit dem wir gekommen sind, wird inzwischen weiterfliegen, aber die Fähre soll mit einem Frachter zusammentreffen, der eine Ladung Gewürz aufnimmt.«

»Eine Ladung unseres Gewürzes, Mylord?«

»Ja. Aber sie wird ebenso eine Ladung Gewürzjäger des alten Regimes mit sich nehmen. Sie haben verlangt, Arrakis zu verlassen, was ihr gutes Recht ist. Der Kaiserliche Schiedsmann hat ihnen keine Schwierigkeiten deswegen bereitet. Es sind achthundert wichtige Leute, Gurney. Bevor die Fähre startet, mußt du einige davon überzeugen, daß es nicht ihr Nachteil sein wird, weiterhin für uns zu arbeiten.«

»Wie heftig soll meine Überzeugungsrede ausfallen, Mylord?«

»Ich möchte ihre freiwillige Mitarbeit, Gurney. Diese Männer verfügen über Fähigkeiten und Erfahrungen, die wir brauchen. Und die Tatsache, daß sie gehen wollen, deutet darauf hin, daß sie nicht zum Klüngel der Harkonnens gehören. Hawat nimmt an daß man mit Sicherheit einige Verräter in ihre Reihen gebracht hat, aber er sieht momentan in jedem Schatten einen Mörder.«

»Er hat eine Menge recht gefährlicher Schatten entlarvt, Mylord.«

»Aber einige andere auch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Harkonnens genügend Fantasie besitzen, um einen solchen Plan auszuhecken.«

»Möglicherweise stimmt das, Sire. Wo sind diese Leute?«

»Unten, im Warteraum. Ich schlage vor, daß du nach unten gehst und ein paar Sachen spielst, damit sie etwas von ihrem verknöcherten Standpunkt abrücken. Und dann kommst du zur Sache. Meinetwegen kannst du denjenigen, die sich durch besondere Qualifikationen auszeichnen, Positionen anbieten, die ihnen einige Privilegien geben. Generell würde ich ihnen Löhne vorschlagen, die zwanzig Prozent über denen liegen, die die Harkonnens zahlten.«

»Nicht mehr, Sire? Ich weiß, welche Hungerlöhne die Männer von den Harkonnens bekamen. Und Leute zu überreden, die dicke Ablösesummen in der Tasche haben und an denen die Wanderlust nagt … Ich weiß nicht, ob sie sich von zwanzig Prozent zum Bleiben werden bewegen lassen.«

Leto sagte ungeduldig: »In besonderen Fällen kannst du natürlich deine eigenen Entscheidungen treffen. Aber vergiß nicht, daß unsere Kasse nicht bodenlos ist. Versuche es mit zwanzig Prozent, soweit es geht. Wir brauchen hauptsächlich Gewürzfahrer, Wetterspäher und Dünenmänner — also praktisch jeden, der Wüstenerfahrung mitbringt.«

»Ich verstehe, Sire.«

»Einer deiner Leutnants kann inzwischen deine Leute übernehmen. Informiere ihn über die hier herrschende Wasserdisziplin, und dann soll er die Männer in den Quartieren am Hafenrand unterbringen. Das Hafenpersonal wird ihn dabei unterstützen. Und vergiß nicht die Leute für Hawat.«

»Dreihundert der Besten, Sire.« Halleck nahm seinen Raumsack. »Wo soll ich mich melden, wenn alles erledigt ist?«

»Im Konferenzraum, zweiter Stock. Dort werden wir eine Besprechung abhalten. Ich habe einen Plan, um den Planeten zu besetzen. Die gepanzerten Brigaden werden zuerst hinausgehen.«

Mitten im Gehen blieb Halleck stehen, drehte sich um und suchte Letos Blick. »Erwarten Sie solche Schwierigkeiten, Sire? Ich denke, es gibt einen Schiedsmann hier.«

»Ich erwarte offene Kämpfe genauso wie Überfälle aus dem Dunkeln«, erwiderte der Herzog. »Es wird eine Menge Blut vergossen werden, bevor wir hier aufgeräumt haben.«

»Und das Wasser, das du dem Fluß entnimmst«, rezitierte Halleck, »wird sich auf dem trockenen Land in Blut verwandeln.«

Der Herzog seufzte. »Beeil dich, Gurney.«

»Sofort, Mylord.« Die Narbe kräuselte sich, als er grinste. »Und siehe: Wie ein wilder Esel der Wüste gehe ich hin und tue mein Werk.« Er wandte sich ab, strebte dem Mittelpunkt des Raumes zu und mischte sich unter seine Leute.

Leto schüttelte den Kopf. Halleck überraschte ihn immer wieder: den Kopf voller Lieder, Zitate und blumiger Phrasen … und das Herz eines Assassinen, wenn es zum Kampf mit den Harkonnens kam.

Leto wandte sich nach links und ging zum Lift. Mehrere ihm begegnende Männer salutierten, und er grüßte zurück. Ein Mann von der Propagandaabteilung kam auf ihn zu und übergab ihm eine Botschaft, die für die Neuankömmlinge bestimmt war. Sie enthielt Informationen für jene, die ihre Frauen nach Arrakis mitgebracht hatten und sagte ihnen, daß sie in Sicherheit waren und wo sie sich aufhielten. Die Ledigen würden es sicher mit Wohlgefühl aufnehmen, daß die planetare Bevölkerung mehr Frauen als Männer besaß.

Der Herzog drückte den Arm des Propagandamannes und gab ihm zu verstehen, daß er die Informationen sofort verbreiten könnte. Dann durchquerte er den Raum, nickte den Männern zu, lächelte und wechselte einige Worte mit einem Untergebenen.

Ich muß vor allen Dingen vertrauenerweckend wirken, dachte er. Und zeigen, daß du dich stark fühlst, auch wenn du weißt, daß du einen Schleudersitz unter dir hast.

Erleichtert stieß er den Atem aus, als die Lifttür sich hinter ihm schloß und sich sein Blick gegen die Unpersönlichkeit ihn umgebender Wände richtete.

Sie haben versucht, meinen Sohn zu ermorden!

12

Über dem Ausgang des Hafengeländes von Arrakeen befand sich eine mit einem primitiven Instrument eingekratzte Botschaft, die Muad'dib viele Male wiederholte. Er sah sie zum erstenmal in jener Nacht, als ihn die herzogliche Anweisung erreichte, an der ersten Stabskonferenz seines Vaters auf seinem neuen Lehen teilzunehmen. Die Inschrift war eine Bitte an diejenigen, die Arrakis verließen, aber in den Augen eines Jungen, der soeben einem Mordanschlag entgangen war, bekamen sie einen anderen, finsteren Inhalt: Die Inschrift sagte: ›Du, der Du weißt, was wir zu erdulden haben, vergiß uns nicht in Deinen Gebeten.‹

Aus ›Leitfäden des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


»Die gesamte Theorie der Kriegführung«, sagte der Herzog, »basiert auf kalkulierten Risiken. Aber wenn es dazu kommt, das Risiko auf die eigene Familie auszudehnen, muß das Element der Kalkulation hinter anderen Erwägungen zurücktreten.«

Es war ihm klar, daß er auf diese Weise seinen Ärger nicht so verbergen konnte, wie er es eigentlich vorhatte. Er wandte sich um und warf einen Blick über den langen Tisch.

Er befand sich mit Paul im Konferenzraum der Hafenanlage. Der Raum klang hohl und war lediglich mit einem langen Tisch und einer Reihe altmodischer, dreibeiniger Stühle ausgestattet. An einer Wand hing eine Kartentafel, davor stand ein Projektor, in dessen Nähe Paul Platz genommen hatte. Er hatte seinen Vater über das versuchte Attentat informiert und ihm auch nicht verschwiegen, daß sich unter ihnen möglicherweise ein Verräter befand.

Der Herzog unterbrach seinen wütenden Gang, blieb vor Paul stehen und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hawat hat gesagt, das Haus sei sicher!«

Zögernd erwiderte Paul: »Ich war zuerst auch ziemlich wütend und habe ihn verflucht. Aber der Angriff erfolgte außerhalb des Hauses. Es war eine einfache Sache, aber clever ausgetüftelt. Und ich wäre dem Ding sicher nicht entgangen, hätte ich nicht die Ausbildung, die du und viele andere mir gegeben habt — einschließlich Hawat.«

»Verteidigst du ihn auch noch?« entgegnete der Herzog.

»Ja.«

»Er wird allmählich alt. Das ist es. Man sollte ihn …«

»Er ist ein weiser Mann mit großen Erfahrungen«, warf Paul ein. »An wie viele Fehler Hawats kannst du dich erinnern?«

»Eigentlich sollte ich derjenige sein, der ihn verteidigt«, gab der Herzog nachdenklich zu. »Und nicht du.« Paul lächelte.

Leto ließ sich am Kopfende des Tisches nieder und legte eine Hand auf die seines Sohnes. »Du bist … so reif geworden, Sohn.« Er zog die Hand wieder zurück. »Das freut mich.« Er registrierte Pauls Lächeln. »Hawat wird durch das Wissen schon gestraft genug sein. Er wird sich selbst mehr Vorwürfe machen, als wir beide zusammen gegen ihn erheben können.«

Paul sah an der Kartentafel vorbei aus dem Fenster. Es war dunkel draußen. Die Lichter des Konferenzraums spiegelten sich in den Scheiben. Aber er sah auch eine Bewegung in seinem Rücken und erkannte die Umrisse eines Mannes in der Uniform der Atreides. Er drehte den Kopf der weißen Wand hinter seinem Vater zu. Seine Hände ballten sich auf der Tischplatte zu Fäusten.

Die dem Herzog gegenüberliegende Tür flog auf. Es war Thufir Hawat, der eintrat. Er sah älter und lederhäutiger aus als jemals zuvor. An der Längsseite des Konferenztisches blieb er stehen und blickte Leto fest an.

»Mylord«, sagte er, als spreche er jemand völlig Fremden an, »mir ist zu Ohren gekommen, daß ich Ihnen gegenüber versagt habe. Ich bitte Sie, meinen Rück…«

»Setz dich hin und benimm dich nicht wie ein Narr«, fiel der Herzog ihm ins Wort. Er deutete auf den Stuhl, auf dem Paul saß. »Wenn du überhaupt einen Fehler gemacht hast, dann den, die Harkonnens zu überschätzen. So simpel ihre Gedankengänge sind, so einfach sind auch ihre Tricks. Und mein Sohn hat mir eben erklärt, daß er dem Anschlag nur entgangen ist, weil er deine Ausbildung genossen hat. Du hast nicht versagt!« Er legte eine Hand auf die Rückenlehne eines unbesetzten Stuhles. »Und jetzt setz dich hin!«

Hawat ließ sich auf den Stuhl sinken. »Aber …«

»Ich will nichts mehr davon hören«, sagte der Herzog. »Die Vergangenheit ist tot. Wir haben jetzt andere Probleme zu bewältigen. Wo sind die anderen?«

»Ich habe sie gebeten, draußen zu warten, bis ich …«

»Rufe sie herein.«

Hawat blickte in Letos Augen. »Sire, ich …«

»Ich weiß sehr gut, wer meine wirklichen Freunde sind, Thufir«, erklärte der Herzog. »Und nun ruf die Männer herein.«

Hawat schluckte. »Sofort, Mylord.« Er drehte seinen Stuhl und rief zur Tür hinüber: »Gurney, bring sie rein.«

Halleck führte die Gruppe an, die grimmig dreinblickte, aber auch ein gewisses Maß an Entschlossenheit zeigte. Es waren die Stabsoffiziere, umgeben von ihren Adjutanten und jüngeren Spezialisten. Als sie ihre Plätze einnahmen, verstummte das übliche Geräusper recht schnell. Leichter Rachagduft erfüllte den Raum. Die Männer hatten also ein Stimulans zu sich genommen.

»Wer Kaffee haben will, soll sich melden«, sagte der Herzog. »Es ist genug da.« Er warf einen Blick über die Männer und dachte: Es sind gute Leute. Ich hätte es viel schlechter treffen können. Er wartete, bis jemand aus dem Nebenraum kam und den Kaffee serviert hatte. Die Männer sahen müde aus.

Dann erhob er sich, legte die Maske absoluter Ruhe an und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, indem er einmal leicht auf den Tisch klopfte.

»Nun, meine Herren«, begann er, »unsere Zivilisation scheint sich so an Invasionen gewöhnt zu haben, daß sie nicht einmal in der Lage sind, einem simplen Befehl des Imperators zu gehorchen, ohne dabei in die alten Unsitten zu verfallen.«

Das trockene Grinsen der Offiziere zeigte Paul, daß sein Vater genau den richtigen Ton zur rechten Zeit getroffen hatte. Die Stimmung war sehr wichtig, und sie hing zu einem Großteil davon ab, in welchem Tonfall der Herzog sich äußerte.

»Ich glaube, es ist momentan sicher am wichtigsten, zu erfahren, ob Thufir seinem Bericht über die Fremen etwas Neues hinzuzufügen hat.« Leto sah Hawat an. »Thufir?«

Hawat blickte auf. »Es gibt einige wirtschaftliche Schwierigkeiten, die aber zu weitschweifig sind, um sie jetzt zu erörtern, Sire. Was ich aber jetzt schon sagen kann, ist folgendes: Die Fremen scheinen für uns die idealen Verbündeten zu sein. Sie stehen zur Zeit noch in einer abwartenden, beobachtenden Position, weil sie noch nicht sicher sind, ob sie uns trauen können. Aber sie geben sich ehrliche Mühe, uns nicht als Gegner zu sehen. Sie haben uns eine Reihe von Geschenken übergeben … Destillanzüge ihrer eigenen Produktion, aber auch Karten bestimmter Wüstengebiete, in denen sich ehemalige Stützpunkte der Harkonnens befinden.« Er machte eine Pause. »Ihre Informationen waren bisher sehr zuverlässig und haben uns auch bei den Verhandlungen mit dem imperialen Schiedsmann sehr genützt. Sie haben außerdem noch einige Kleinigkeiten mitgebracht: Juwelen für Lady Jessica, Gewürzlikör, Süßigkeiten und Heilmittel. Meine Leute sind derzeit damit beschäftigt, all diese Dinge einer Prüfung zu unterziehen. Bis jetzt haben sich nicht die geringsten Hinweise irgendeiner Hinterlist dabei ergeben.«

»Du magst diese Leute, Thufir?« fragte einer der Offiziere.

Hawat wandte sich dem Mann zu. »Duncan Idaho meint sogar, sie seien nur zu bewundern.«

Paul sah zu seinem Vater, dann zu Hawat und fragte: »Gibt es neue Informationen darüber, wie viele Fremen hier leben?«

Hawat erwiderte: »Idaho schätzt den von ihm besuchten Höhlenkomplex auf rund zehntausend Bewohner. Der Führer erklärte ihm, er herrsche über zweitausend Feuerstellen, und wir haben guten Grund, anzunehmen, daß es noch viele solcher Sietch-Gemeinschaften gibt. Sie alle scheinen die Untertanen eines gewissen Liet zu sein.«

»Das ist mir wirklich neu«, sagte Leto.

»Möglicherweise liegt hier meinerseits aber auch ein Interpretationsfehler vor, Sire. Es ist nicht auszuschließen, daß es sich bei diesem Liet um eine Gottheit handelt.«

Ein weiterer Offizier fragte: »Kann man davon ausgehen, daß sie mit den Schmugglern unter einer Decke stecken?«

»Zur gleichen Zeit, als sich Idaho in diesem Sietch befand, brach von dort aus eine Schmugglerkarawane auf, die eine ziemliche Menge Gewürz mit sich führte. Sie verfügten über Lasttiere und rechneten mit einer achtzehntägigen Reise.«

»Es scheint«, warf Leto ein, »daß die Schmuggler während der hier herrschenden Unruhe der letzten Zeit ihre Anstrengungen verdoppelt haben. Das erfordert von unserer Seite ein vorsichtiges Handeln. Wir sollten uns nicht zu viele Sorgen wegen illegaler Fregatten machen, die auf Arrakis operieren. Das ist immer so gewesen. Aber wir können auf keinen Fall zulassen, daß sie völlig unserer Kontrolle entgleiten.«

»Haben Sie einen bestimmten Plan, Sire?« fragte Hawat.

Der Herzog sah ihn an. »Ich möchte, daß du, Gurney, eine Delegation anführst, die versuchen soll, mit diesen romantischen Geschäftsleuten einen Kontakt herzustellen. Bringe ihnen bei, daß ich ihr Geschäft so lange ignorieren werde, wie sie den herzoglichen Zehnten abliefern. Hawat schätzt, daß die Leute, die sie zu ihrem eigenen Schutz einstellten, sie das Vierfache kosten.«

»Und was geschieht, wenn der Imperator Wind von der ganzen Sache bekommt?« fragte Halleck. »Er legt auf seinen Anteil am Profit der MAFEA großen Wert, Mylord.«

Leto lächelte. »Wir nehmen den Zehnten ganz offen im Namen Shaddams IV. entgegen und ziehen ihn dann völlig legal von dem Betrag ab, den er zur Aufrechterhaltung der Kampfkraft seiner Legionen zu erhalten pflegt. Die Harkonnens werden schäumen! Und wir werden eine ganze Reihe derjenigen, die in ihrem Sold stehen, damit ruinieren.«

Hallecks Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Das ist ein ganz hübscher Schlag unter die Gürtellinie, Mylord. Ich würde gerne das Gesicht des Barons sehen, wenn er davon erfährt.«

An Hawat gewandt, sagte der Herzog: »Hast du die Bankauszüge, die man dir zum Kauf angeboten hat, bekommen?«

»Ja, Mylord. Sie werden noch geprüft, aber ich habe sie mir angesehen und kann eine Schätzung abgeben.«

»Bitte.«

»Die Harkonnens haben alle dreihundertdreißig Standardtage auf Arrakis zehn Milliarden Solaris Gewinn gemacht.«

Ein Raunen lief durch das Konferenzzimmer. Selbst die Adjutanten, die bislang in relativer Langeweile zugehört hatten, zeigten nun Interesse.

Halleck murmelte: »Und sie werden den Überfluß des Meeres genießen und den unter dem Sand vergrabenen Schatz.«

»Sie sehen also, meine Herren«, fuhr der Herzog fort, »daß keiner von uns so naiv sein darf, zu glauben, daß die Harkonnens ohne zu murren ihre Sachen packen, nur weil ein kaiserlicher Befehl ihnen das vorschreibt.«

Allgemeines Kopfschütteln. Die Männer murmelten Zustimmung.

»Wir werden uns diesen Planeten erkämpfen müssen«, sagte Leto. Zu Hawat gewandt, sagte er: »Und damit kämen wir zu einem wichtigen Punkt: unsere Ausrüstung. Wie viele Sandkriecher, Gewürzfabriken und Hilfsgeräte haben wir?«

»Eine volle Grundausstattung, das behauptet wenigstens das Verzeichnis der Anlagegüter, bei dessen Aufstellung der Schiedsmann als Zeuge anwesend war, Mylord«, gab Hawat bekannt. Er verlangte nach einem Stück Papier, das er vor sich auf dem Tisch ausbreitete. »Natürlich vergaß man zu erwähnen, daß weniger als die Hälfte aller Kriecher benutzbar sind daß nur ein Drittel über Caryalls verfügen, um sie in die Gewürzgebiete zu fliegen, und daß alles, was die Harkonnens uns zurückließen, sich im Zustand des Verfalls befindet. Wir können also von Glück reden, wenn es uns gelingen sollte, die Hälfte aller Maschinen zum Arbeiten zu kriegen und ein Drittel davon länger funktioniert als sechs Monate, von heute an gerechnet.«



»Genau wie wir erwartet haben«, sagte Leto. »Wie viele Maschinen sind sofort betriebsbereit?«

Hawat schaute auf seine Liste. »Etwa neunhundertdreißig Erntefabriken, wenn wir noch ein paar Tage mit ihrer Inspektion verbringen. Etwa sechstausendzweihundert Ornithopter für die Erkundung, Beobachtung und Wetterbeobachtung … etwas weniger als tausend Carryalls.«

»Würde es nicht billiger sein, mit der Gilde Verhandlungen aufzunehmen, daß sie uns erlaubt, eine Fregatte als Wettersatellit einzusetzen?« warf Halleck ein.

Der Herzog musterte Hawat. »Auf diesem Gebiet nichts Neues, was, Thufir?«

»Wir müssen uns vorläufig mit anderen Möglichkeiten zufriedengeben«, erklärte Hawat. »Der Vertreter der Gilde erweckte in mir nicht gerade den Eindruck, als verhandele er wirklich mit uns. Er hat mir durch die Blume — sozusagen von einem Mentaten zum anderen — erklärt, daß uns dies eine Summe kosten würde, die wir uns nicht mal im Traum vorstellen könnten. Wir können nichts anderes tun, als etwas zu improvisieren, ehe wir uns der Gilde mit Haut und Haaren ausliefern.«

Einer von Hallecks Adjutanten fauchte: »Das ist eine verdammte Ungerechtigkeit!«

»Wer«, warf Leto ein, den Mann ansehend, »verlangt nach Gerechtigkeit? Wir haben unsere eigenen Gesetze zu machen. Für uns geht es hier auf Arrakis jetzt nur um eins: gewinnen oder sterben. Bedauern Sie es schon, daß Sie Ihr Schicksal mit dem unseren verknüpft haben, Sir?«

Der Mann starrte Leto an und erwiderte dann: »Nein, Sire. Es ist mir klar, daß Sie überhaupt keine andere Wahl hatten, als Arrakis zu übernehmen. Und ich konnte nichts anderes tun, als Ihnen zu folgen. Vergeben Sie mir bitte meinen Gefühlsausbruch aber …« Er zuckte die Achseln. »… manchmal fühlen wir uns eben alle verbittert.«

»Dafür habe ich Verständnis«, sagte der Herzog. »Aber laßt uns nicht über Gerechtigkeit debattieren, solange wir noch über Waffen verfügen — und die Freiheit, sie einzusetzen. Fühlt sich noch jemand aus Ihren Reihen verbittert? Wenn dem so ist, sprechen Sie darüber. Dies hier ist eine Versammlung unter Freunden, bei der jeder sagen kann, was ihn bedrückt.«

Halleck hob den Kopf und sagte: »Was ich bedenklich finde, Sire, ist daß uns die anderen Hohen Häuser nicht mit Freiwilligen unterstützen. Sie nennen Sie ›Leto, den Gerechten‹, versprechen Ihnen ewige Freundschaft — aber wenn es darauf ankommt, dafür etwas zu bezahlen, ziehen sie sich zurück.«

»Das tun sie, weil sie noch daran zweifeln, wer aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht. Die meisten Häuser sind nur deshalb so groß geworden, weil sie zu keiner Zeit Risiken auf sich luden. Man kann sie deswegen nicht tadeln, sondern nur verachten.« Er wandte sich wieder Hawat zu. »Bleiben wir noch bei unserer Ausrüstung. Könntest du anhand einiger Beispiele verdeutlichen, wie die Maschinerie arbeitet? Die Leute hier sind darin noch völlig unerfahren.«

Hawat nickte und gab einem Adjutanten, der neben dem Projektor stand, einen Wink.

Eine Solido-3-D-Projektion erschien mitten über dem Tisch. Mehrere Männer, die an den äußeren Enden saßen, standen auf und kamen näher heran, um eine bessere Aussicht zu haben.

Auch Paul beugte sich vor und starrte auf die Maschine.

Nahm man die winzigen, im Vordergrund der Maschine stehenden Menschlein als Maßstab, mußte die Maschine etwa einhundertzwanzig Meter lang und vierzig Meter breit sein. Sie erschien ihm wie eine riesige Raupe, die sich auf Ketten fortbewegte.

»Dies ist eine Erntefabrik«, erklärte Hawat. »Für diese Einweisung haben wir eine ausgewählt, die in relativ gutem Zustand ist. Es handelt sich um eine Maschine, die bereits mit dem ersten Team imperialer Ökologen ankam und immer noch arbeitet … auch wenn das kaum zu glauben ist.«

»Wenn es der Ernter ist, der den Namen Alte Maria trägt, gehört er ins Museum. Ich nehme an, die Harkonnens haben ihn als Strafe für aufmüpfige Arbeiter zurückbehalten. Benimm dich anständig oder du arbeitest auf der Alten Maria.«

Ein leises Lachen klang auf.

Paul, der in dieser Minute nicht den geringsten Humor zu empfinden in der Lage war, schenkte der Projektion seine ganze Aufmerksamkeit. Eine Frage beschäftigte ihn. Er deutete auf das Abbild der Projektion und fragte: »Gibt es wirklich Sandwürmer, die so groß sind, daß sie eine solche Maschine mit einem Bissen verschlucken können?«

Sofort herrschte Stille. Der Herzog hielt den Atem an und dachte: Nein — sie müssen den Realitäten einfach ins Auge sehen.

»Es gibt tief in der Wüste tatsächlich solche großen Würmer«, führte Hawat aus. »Und sogar hier, in der Nähe des Schildwalls, wo die meisten Abbauarbeiten stattfinden, gibt es Würmer, die groß genug sind, eine Maschine aus purem Vergnügen schwer zu beschädigen.«

»Warum schützen wir die Fabriken dann nicht mit Schilden?« fragte Paul interessiert.

»Idaho hat herausgefunden«, fuhr Hawat fort, »daß das Tragen von Schilden in der Wüste eine große Gefahr darstellt. Allein ein Körperschirm erweckt die Aufmerksamkeit eines jeden Wurms in einer Entfernung von mehreren hundert Metern. Offenbar ist es die Ausstrahlung, die sie verrückt macht und in mörderische Bestien verwandelt. Auch die Fremen sind dieser Meinung, und wir haben keinen Grund, ihnen das nicht zu glauben. Idaho hat keinen einzigen Schild in ihrem Sietch zu Gesicht bekommen.«

»Überhaupt keinen?« fragte Paul entsetzt.

»Natürlich dürfte es schwer sein, eine solche Behauptung abzugeben, wenn man sich unter mehr als zehntausend Menschen befindet«, schränkte Hawat ein. »Aber Idaho durfte sich ungehindert unter den Leuten im Sietch bewegen. Er hat weder Schilde noch irgendwelche andere dazugehörende Instrumente ausmachen können.«

»Das ist kaum zu fassen«, sagte der Herzog.

»Die Harkonnens haben natürlich jede Menge Schilde benutzt«, fuhr Hawat fort. »Sie hatten Ersatzteillager in jeder Garnisonsstadt und ihre Unterlagen weisen aus, daß sie einen Haufen Geld für Ersatzschilde und -teile ausgaben.«

»Könnten die Fremen über eine Möglichkeit verfügen, die Schilde zu neutralisieren?« fragte Paul.

»Das halte ich für unwahrscheinlich. Natürlich ist das theoretisch nicht unmöglich. Eine scharf gebündelte Gegenladung könnte einen solchen Effekt hervorrufen, aber bisher hat noch niemand eine Probe aufs Exempel gemacht.«

»Außerdem hätten wir davon schon gehört«, mischte sich Halleck ein. »Da die Schmuggler über einen engen Kontakt mit den Fremen verfügen, hätten sie sich dieses Wissen sicher schnell angeeignet. Und ohne Frage hätten sie diese Erfindung auch anderen Planeten zum Verkauf angeboten.«

»Eine ungelöste Frage von solcher Wichtigkeit bereitet mir Kopfschmerzen«, sagte Leto. »Thufir, ich möchte, daß ihr mit aller Kraft der Lösung dieses Problems zu Leibe rückt.«

»Wir sind bereits dabei, Mylord.« Hawat räusperte sich. »Ah, da fällt mir noch etwas ein, das Idaho gesagt hat. Er meint, er sei sich ziemlich sicher, daß die Einstellung der Fremen in bezug auf unsere Schilde die eines ziemlich amüsierten Menschen zu sein scheint.«

Der Herzog runzelte die Stirn. »Zurück zum Thema. Wir sprachen über den Gewürzabbau.«

Hawat gab seinem Adjutanten am Projektor ein Zeichen.

Das Abbild der Erntefabrik wurde durch ein riesiges, geflügeltes Fluggerät ersetzt. Die daneben stehenden Menschen wirkten wie Zwerge. »Hierbei handelt es sich um einen Carryall, auch Tragschrauber genannt«, erklärte Hawat. »Es ist im Grunde nichts anderes als ein überdimensionaler Ornithopter. Seine Aufgabe besteht darin, die gesamte Fabrik durch die Luft zu einem Gewürzabbaugebiet zu transportieren und wieder aufzunehmen, sobald sich ein Sandwurm ihr nähert. Und die nähern sich nach einer gewissen Zeit immer. Die Abernte des Gewürzes besteht hauptsächlich darin, soviel wie nur möglich an Bord zu kriegen und dann schnellstens das Land zu verlassen.«

»Was eigentlich hundertprozentig dem Charakter der Harkonnens entspricht«, warf Leto ein.

Donnerndes Gelächter setzte ein. Es war ein wenig zu abrupt und laut, um echte Freude zu beinhalten.

Nun wurde der Carryall gegen das Bild eines Ornithopters ausgetauscht.

»Diese Thopter sind ziemlich konventionell. Triebwerk und Steuerung sind gegen den Sand abgekapselt. Natürlich sind sie frisiert und besitzen einen größeren Aktionsradius als vergleichbare andere Maschinen. Lediglich ein Drittel der Thopter verfügen über Möglichkeiten zur Abschirmung. Möglicherweise verhindert das Gewicht der Schildgeneratoren eine größere Reichweite.«

»Dieses Außerachtlassen von Schilden gefällt mir nicht«, murmelte der Herzog. Er dachte: Ist dies das Geheimnis der Harkonnen? Bedeutet das, daß wir nicht einmal mit abgeschirmten Fregatten fliegen können, wenn sich alles gegen uns wendet?

Er schüttelte heftig den Kopf, als könne er damit diese bösen Gedanken vertreiben. Laut sagte er: »Reden wir von unserer Arbeitseffektivität. Wie hoch werden unsere Profite sein?«

Hawat blätterte in seinem Notizbuch. »Um genügend Spielraum für Unvorhergesehenes zu haben, haben wir die zu erwartenden Betriebs- und Reparaturkosten einmal sehr hoch veranschlagt.« In der nur Mentaten eigenen Weise schloß er die Augen wie in Halbtrance und sagte dann: »Unter dem Regime der Harkonnens betrugen die betrieblichen Unkosten vierzehn Prozent. Wir können glücklich sein, wenn wir am Anfang mit dreißig auskommen. Dazu kommen aber noch die Ausgaben für Neuinvestitionen, Lizenzgebühren an die MAFEA und Militärausgaben. Unsere Gewinnspanne dürfte sechs bis sieben Prozent betragen jedenfalls so lange, bis wir das fehlerhafte und schrottreife Gerät ausgewechselt haben. Später sollten dann zwölf bis vierzehn Prozent Gewinn erzielbar sein.« Er öffnete die Augen wieder. »Außer Mylord ringt sich dazu durch, die gleichen Methoden anzuwenden, wie seine Vorgänger.«

»Unser Ziel ist eine ständige und sichere planetarische Basis«, erwiderte Leto. »Und das setzt voraus, daß sich durch unsere Ankunft das Leben einer ganzen Reihe von Menschen zum Guten hin verändert. Speziell das Leben der Fremen.«

»Hauptsächlich das der Fremen«, bekräftigte Hawat.

»Unsere Herrschaft über Caladan«, führte der Herzog aus, »basierte auf unseren See- und Luftstreitkräften. Auf Arrakis wird uns nichts anderes übrigbleiben, als eine Wüstenstreitmacht aufzubauen, die möglicherweise eine Luftstreitmacht beinhalten kann, aber nicht muß. Ich erinnere nur daran, daß die Thopter hier über so gut wie keine Abwehrschilde verfügen.« Er schüttelte den Kopf. »Unsere Vorgänger gingen nach dem Schema zu Werke, daß die Ausfälle in den Reihen ihrer Leute jederzeit durch neu zu engagierende Freiwillige von anderen Planeten aufgefüllt werden konnten. Das kommt für uns gar nicht in Frage, denn ich bin sicher, daß sich in jeder Gruppe von neuen Leuten ihre Agenten befinden würden.«

»Unter diesen Umständen müssen wir natürlich mit einer reduzierten Ernte und einem kleineren Gewinn rechnen«, meinte Hawat. »Unsere Ausbeute dürfte sowieso nur weniger als ein Drittel in den ersten beiden Ernteperioden betragen.«

»Das«, sagte der Herzog, »ist genau das, was wir erwartet haben. Was die Fremen angeht, so dürfen wir keine Minute verlieren. Bevor der erste Prüfer der MAFEA auf Arrakis erscheint, müssen wir fünf komplette Fremen-Bataillone aufgestellt haben.«

»Das wird ein wenig knapp, Sire«, meinte Hawat.

»Wir haben für nichts genug Zeit, das wißt ihr selbst. Sie werden so schnell, wie sie es schaffen, mit den Sardaukar in Harkonnen-Uniform hier hereinbrechen. Mit wie vielen sollten wir rechnen, Thufir?«

»Ich nehme an, vier oder fünf Bataillone, Sire, kaum mehr. Schließlich sind die Kosten für Truppentransporte auch nicht zu verachten.«

»Dann dürften fünf Bataillone Fremen zusammen mit unseren eigenen Truppen wohl ausreichend sein. Wenn wir dem Landsraad ein paar gefangene Sardaukar vorführen können, wird das einiges in Bewegung versetzen, Profit hin, Profit her.«

»Wir werden unser Bestes tun, Sire.«

Paul musterte seinen Vater, dann Hawat, und ihm fiel plötzlich ein, daß dieser große alte Mann drei Generationen von Atreides gedient hatte. Aber er war dabei gealtert. Es zeigte sich in dem rheumatischen Glanz seiner braunen Augen und im Knarren und Brennen seiner Knochen, die jedes Wetter im voraus spürten. Und in seinem gerundeten Rücken. Hawats Lippen wiesen die charakteristische Färbung des Saphosaftes auf.

Und wieviel hängt von diesem alten Mann ab, dachte er.

»Wir befinden uns zur Zeit in einem Assassinenkrieg«, fuhr der Herzog fort, »der allerdings sein volles Ausmaß noch nicht erreicht hat. Thufir, in welchem Zustand befindet sich das von den Harkonnens zurückgelassene Agentennetz?«

»Wir haben zweihundertneunundfünfzig Leute in Schlüsselpositionen ausgeschaltet, Mylord. Ich glaube nicht, daß es noch viel mehr als drei illegale Zellen auf Arrakis gibt. Alles in allem dürften das etwa hundert Leute sein.«

»Waren die Leute, die ihr festgesetzt habt, vermögend?«

»Die meisten waren gutsituiert, Mylord. Unternehmer.«

»Ich möchte, daß sie alle auf der Stelle enteignet werden«, sagte der Herzog. »Seht zu, daß der Kaiserliche Schiedsmann darüber informiert wird. Wir berufen uns darauf, daß sie alle unter falschen Voraussetzungen auf Arrakis geblieben sind. Beschlagnahme alles, was sie besitzen. Und sorge dafür, daß die Krone ihre üblichen zehn Prozent davon abbekommt. Die ganze Sache muß völlig legal über die Bühne gehen.«

Thufir grinste und zeigte dabei seine rotgefärbten Zähne unter schmalen Lippen. »Ein vorzüglicher Schachzug, Mylord. Schande über mich, daß ich nicht schon selbst darauf gekommen bin.«

Halleck, am anderen Tischende, runzelte die Stirn. Er stellte fest, daß Pauls Gesicht einen unwilligen Ausdruck zeigte.

Das ist eine falsche Taktik, dachte Paul. Es wird nur dazu führen, daß die noch nicht Entlarvten um so härter gegen uns kämpfen werden, weil sie nichts mehr zu verlieren haben.

Er wußte, daß diese in einem Kanly angewendete Auseinandersetzung auf Leben und Tod alle Mittel rechtfertigte, aber dieser Schachzug konnte ebenso zu ihrem Sieg wie zu ihrer Niederlage führen.

»Ich war ein Fremder in einem fremden Land«, zitierte Halleck.

Paul warf einen Blick zu ihm hinüber. Er erkannte die Stelle, die aus der O.-K.-Bibel stammte und fragte sich: Ist Gurney ebenfalls die fortwährenden Intrigen satt?

Der Herzog wandte sich kurz der hinter den Fenstern liegenden Dunkelheit zu und sagte dann, Halleck zugewandt: »Gurney, wie viele dieser Sandarbeiter hast du dazu bringen können, bei uns zu bleiben?«

»Alles in allem hundertsechsundachtzig, Sire. Ich glaube, wir sollten uns dennoch glücklich schätzen. Es sind alles tüchtige Leute.«

»Nicht mehr?« Der Herzog verzog die Lippen. Dann: »Nun, dann richte ihnen …«

Ein Geräusch an der Tür brachte ihn zum Verstummen. Duncan Idaho kam an den dort aufgestellten Wachtposten vorbei, eilte die Längsseite des Tisches entlang und beugte sich an das Ohr des Herzogs.

Leto winkte ihn zurück und sagte: »Rede laut, Duncan. Du siehst doch, daß wir hier eine Stabsversammlung abhalten.«

Paul gab sich die Mühe, Idaho eingehend zu studieren und kam doch wieder zu dem gleichen Schluß. Die fast unbewegliche Miene dieses Mannes, die es ihm, wenn er als sein Kampflehrer fungierte, kaum ermöglichte, seine Reflexe zu lesen, hatte sich nicht verändert. Idahos dunkles, rundes Gesicht wandte sich Paul zu, obwohl seine Augen keinen Ausdruck des Erkennens zeigten.

Idaho sah die Leute längs des Tisches an und sagte dann: »Wir haben eine Gruppe von Harkonnen-Schlägern hochgenommen, die sich als Fremen verkleidet hatte. Die Fremen selbst schickten uns einen Kurier, um uns vor dieser dreisten Bande zu warnen. Während des Kampfes gelang es den Schlägern jedoch, den Kurier tödlich zu verwunden. Wir haben ihn mit hierhergebracht, damit sich unsere Ärzte um ihn kümmern sollten, aber es war schon zu spät. Ich war bis zuletzt bei ihm und stellte fest, daß er sich alle Mühe gab, etwas wegzuwerfen, das er bei sich getragen hatte.« Idaho schaute Leto an. »Es war ein Messer, Mylord! Ein Messer, und ich wette, daß Sie so etwas noch nie gesehen haben.«

»Etwa ein Crysmesser?« fragte einer der Offiziere.

»Zweifellos«, nickte Idaho. »Es ist von milchigweißer Farbe und leuchtet in irgendeinem inneren Licht.« Er langte in seine Tunika und förderte eine Scheide zutage, aus der ein schwarzer Griff ragte.

»Die Klinge bleibt in der Scheide!«

Die Stimme, die von der offenen Tür herkam, vibrierte und war so durchdringend, daß alle Köpfe herumflogen.

Eine hochgewachsene, unter einer Robe verborgene Gestalt stand dort, die nur von den übereinandergekreuzten Schwertern der Wachtposten am Weitergehen gehindert wurde. Das sandfarbene Gewand und die tief in die Stirn gezogene Kapuze verhüllten den Mann so, daß nur seine Augen zu sehen waren. Sie leuchteten in einem dunklen Blau und enthielten nicht das geringste Weiß.

»Lassen Sie ihn eintreten«, flüsterte Idaho.

»Der Mann kann passieren«, sagte der Herzog.

Die Wachen zögerten etwas. Dann senkten sie ihre Klingen.

Der Mann kam herein und blieb genau vor Leto stehen.

»Dies ist Stilgar, der Herrscher des Sietch, den ich besuchte und von dem aus man uns vor den verkleideten Agenten warnte«, erklärte Idaho.

»Seien Sie mir willkommen, Sir«, begrüßte Leto den Fremen. »Aber warum untersagen Sie uns, die Klinge aus der Scheide zu ziehen?«

Stilgar warf Idaho einen kurzen Blick zu und erwiderte: »Sie haben Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie tief unsere Reinheitsriten in uns verwurzelt sind. Ich würde Ihnen gestatten, die Klinge des Mannes anzusehen, mit dem Sie befreundet waren.« Er wandte sich den anderen zu. »Aber ich kenne diese anderen Leute nicht. Würden Sie sie eine geweihte Waffe entehren lassen?«

»Ich bin Herzog Leto«, sagte der Herzog. »Würden Sie es mir gestatten, sie anzusehen?«

»Ich würde Ihnen gestatten, das Recht, sie aus der Scheide zu ziehen, zu erwerben«, gab Stilgar zurück. Als sich Protestgesumme in der Runde erhob, hob er eine dünne, mit dunklen Venen versehene Hand. »Ich erinnere daran, daß dies die Waffe eines Mannes ist, der mit euch befreundet war.«

In der nun ausbrechenden Stille besah sich Paul den Mann genauer. Er fühlte förmlich die ihn umgebende Aura. Er war ein Führer. Ein Fremen-Führer.

Ein Mann, der nicht weit von Paul entfernt saß, murmelte: »Wer ist er überhaupt, daß er es wagt, uns zu erzählen, über welche Rechte wir auf Arrakis verfügen?«

»Man sagt, daß Herzog Leto Atreides mit der Einwilligung der Beherrschten regiert«, führte der Fremen aus. »Lassen Sie mich erklären, wie das bei uns vor sich geht: Auf den, der ein Crysmesser gesehen hat, fällt eine besondere Verantwortung.« Er sah Idaho ganz kurz an. »Diejenigen, die es sehen, sind die unsrigen. Sie werden Arrakis ohne unsere Erlaubnis niemals wieder verlassen.«

Halleck und mehrere andere erhoben sich. Einige Gesichter zeigten offenen Ärger. Und Halleck war es, der schließlich hervorstieß: »Herzog Leto allein ist es, der entscheidet, wer …«

»Einen Augenblick«, unterbrach Leto ihn mit milder Stimme, die die aufgeregten Männer sofort wieder gefangennahm. Dies sollten wir nicht übers Knie brechen, dachte er. Zu dem Fremen gewandt, meinte er: »Sir, ich ehre und respektiere die Würde eines jeden Menschen, der auch die meinige respektiert. Ich bin Ihnen zu echtem Dank verpflichtet. Und ich pflege meine Schulden immer zu begleichen. Wenn es Ihr Wille ist, daß dieses Messer in seiner Umhüllung bleibt, dann ist das mir ein Befehl. Und wenn es noch eine andere Möglichkeit gibt, das Angedenken an diesen Mann, der sein Leben dafür gab, uns zu warnen, so zögern Sie nicht, sie beim Namen zu nennen.«

Der Fremen starrte den Herzog an und zog dann langsam seinen Schleier beiseite. Ein hageres Gesicht, mit einer dünnen Nase und einem vollippigen Mund, umsäumt von einem schwarzen Bart kam dahinter zum Vorschein. Dann beugte sich Stilgar über die Tischplatte und spuckte auf ihre polierte Oberfläche.

Ein Sturm der Entrüstung brach über den Versammlungsraum herein. Augenblicklich sprangen die Stabsoffiziere auf.



Idaho brüllte: »Halt!«

Und in die plötzliche Stille hinein sagte er: »Wir danken Ihnen, Stilgar, für diese Gabe deines Körpers und nehmen sie dankend an. Wir akzeptieren Sie in dem Geist, in dem sie uns gegeben wurde.«

Und dann spuckte er ebenfalls auf den Tisch.

Den Kopf dem Herzog zugeneigt, sagte er: »Vergessen Sie nie, wie kostbar das Wasser hier ist, Sire. Das, was Stilgar tat, war eine Geste tiefsten Respekts.«

Leto sank in seinen Stuhl zurück, fing Pauls Blick auf und ebenso das Grinsen um seine Lippen und spürte, wie die Erregung seiner Männer sich allmählich legte. Allmählich begannen auch sie zu verstehen, welche Werte auf Arrakis galten.

Der Fremen sagte zu Idaho: »Sie haben in meinem Sietch einen guten Eindruck gemacht, Duncan Idaho. Sind Sie Ihrem Herzog untrennbar verbunden?«

»Er meint, ob ich mich nicht seinem Stamm anschließen will, Mylord«, erklärte Idaho.

»Würde er es akzeptieren, wenn du zwei Herren dienst?« fragte Leto.

»Wünschen Sie, daß ich mit ihm gehe, Sire?«

»Ich hätte es lieber, wenn du in diesem Fall deine eigene Entscheidung triffst«, erwiderte Leto, unfähig die Dringlichkeit zur Lösung dieses Problems aus seiner Stimme zu verbannen.

Idaho sagte zu dem Fremen: »Würden Sie mich unter diesen Umständen haben wollen, Stilgar? Es wird Zeiten geben, an denen ich meinem Herzog zu dienen habe.«

»Du bist ein guter Kämpfer«, entgegnete Stilgar, »und du tatest das Beste für deinen Freund.« Er sah Leto an. »Laßt uns folgendermaßen verfahren. Idaho behält das Crysmesser als Zeichen seiner Zugehörigkeit zu uns. Natürlich muß er sich der Reinheitsprüfung unterziehen und auch die Riten mitmachen, aber das ist kein Problem. Er wird gleichzeitig ein Fremen und Soldat der Atreides' sein. Auch das ist nicht unmöglich: Liet dient zwei Herren.«

»Duncan?« fragte Leto.

»Ich verstehe, Sire«, erwiderte Idaho.

»Dann bin auch ich einverstanden«, sagte Leto.

»Dein Wasser ist das unsrige, Duncan Idaho«, sagte Stilgar. »Der Körper unseres Freundes bleibt bei deinem Herzog zurück. Sein Wasser ist das der Atreides'. Das bekräftigt den Bund zwischen uns.«

Leto seufzte, sah zu Hawat hinüber und fing dessen Blick auf. Hawat nickte, er schien außerordentlich zufrieden zu sein.

»Ich werde unten warten«, erklärte Stilgar, »während Idaho sich von seinen Freunden verabschiedet. Der Name unseres toten Freundes war Turok. Vergeßt es nicht, wenn die Zeit kommt, sich an seinen Geist zu erinnern. Ihr seid Turoks Freunde.«

Stilgar wandte sich um und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

»Wollen Sie nicht noch etwas bleiben?« fragte Leto.

Der Fremen wandte sich um, legte sich den Schleier wieder vor das Gesicht und berührte dabei etwas, das dahinter lag. Paul glaubte einen kleinen Schlauch zu erkennen, den Stilgar hinter dem Schleier zurechtrückte.

»Gibt es einen Grund dafür?« fragte er.

»Wir würden Sie ehren«, sagte Leto.

»Meine Ehre erfordert, daß ich bald an einem anderen Ort erscheine«, erwiderte der Fremen. Er sah noch einmal auf Idaho, drehte sich um, und ging an den beiden Wachen vorbei zur Tür hinaus.

»Wenn die anderen Fremen ihm ähnlich sind«, schloß Leto, »haben wir es nicht schlecht getroffen.«

Idaho sagte mit belegter Stimme: »Er ist ein gutes Beispiel, Sire.«

»Du verstehst, worin künftig deine Aufgabe besteht, Duncan?«

»Ich werde Ihr Botschafter bei den Fremen sein, Sire.«

»Es wird viel von dir abhängen, Duncan. Wir benötigen mindestens fünf Bataillone dieser Leute, bevor die Sardaukar hier auftauchen.«

»Das wird einige Arbeit erfordern, Sire. Die Fremen sind ein ziemlich unabhängiges Volk.« Idaho zögerte. Dann meinte er: »Und … da ist noch eine andere Sache. Einer der Schläger, dem unser Freund Turok zum Opfer fiel, versuchte wie ein Verrückter, das Crysmesser in die Finger zu bekommen und damit zu fliehen. Als wir ihn vernahmen, gestand er, daß die Harkonnens eine Belohnung von einer Million Solaris für eine dieser Klingen ausgesetzt haben.«

Letos Lächeln gefror. »Warum setzten sie alles daran, ein solches Messer in die Finger zu kriegen?«

»Es wird aus dem Zahn eines Sandwurms hergestellt. Es ist das Kennzeichen der Fremen, Sire. Ein blauäugiger Mann könnte mit einem solchen Messer in jeden Sietch eindringen. Ich wurde überall verhört, weil man mich nicht kannte — und weil ich nicht wie ein Fremen aussehe. Aber …«

»Piter de Vries«, sagte der Herzog.

»Ein teuflischer und gerissener Bursche, Mylord«, warf Hawat ein.

Idaho steckte das Messer in seine Tunika zurück.

»Paß gut darauf auf«, bat der Herzog.

»Keine Sorge, Mylord.« Er klopfte auf den winzigen Sender in seinem Gürtel. »Ich melde mich so schnell wie möglich. Thufir hat mein Kode-Rufzeichen. Wir benutzen die Kriegssprache.« Er salutierte, drehte sich um und folgte eilig Stilgar.

Seine Stiefelschritte waren weit zu hören.

Leto und Hawat sahen einander verstehend an und lächelten.

»Vor uns liegt noch viel Arbeit, Sire«, meinte Halleck.

»Und ich halte dich davon ab«, erwiderte Leto.

»Ich habe einen Bericht der vorgeschobenen Stützpunkte bekommen«, mischte sich nun Hawat ein. »Soll ich ihn später vortragen, Sire?«

»Nimmt er viel Zeit in Anspruch?«

»Zuviel für eine Kurzbesprechung. Aber er sagt aus, daß die Fremen behaupten, es gäbe von diesen Stützpunkten mehr als zweihundert. Sie sind während der Zeit der Kaiserlichen Teststationen errichtet worden. Sie sind nicht mehr besetzt — angeblich -, und es heißt, daß sie versiegelt wurden.«

»Mit der gesamten Ausrüstung?« wollte der Herzog wissen.

»Laut Duncans Berichten, ja.«

»Und wo befinden sich diese Stationen?« fragte Halleck.

»Die Antwort, die wir auf diese Frage bekamen«, seufzte Hawat, »lautete immer: ›Liet weiß es.‹«

»Gott weiß es«, murmelte der Herzog.

»Vielleicht nicht, Sire«, warf Hawat ein. »Es hört sich eher wie eine religiöse Bezeichnung in Anführungszeichen an.«

»Auch Stilgar hat diesen Namen benutzt. Könnte er damit vielleicht eine reale Person gemeint haben?«

»Zwei Herren dienen«, murmelte Halleck.

»Das fällt eigentlich in deinen Bereich«, sagte der Herzog.

Halleck grinste.

»Dieser Schiedsmann«, meinte Leto, »der kaiserliche Ökologe — Kynes … sollte er nicht darüber informiert sein, wo die Basen liegen?«

»Sire«, machte Hawat vorwurfsvoll, »immerhin ist dieser Kynes ein kaiserlicher Bediensteter!«

»Und er ist eine ganz schöne Strecke vom Hof des Imperators entfernt«, gab Leto zu bedenken. »Wir brauchen diese Basen. Sie müssen voll von Ersatzteilen und Materialien sein, die wir zur Reparatur unseres Maschinenparks gebrauchen können.«

»Sire!« gab Hawat zu bedenken. »Sie gehören immer noch zum Eigentum Ihrer Majestät!«

»Das Wetter«, sagte Leto träumerisch, »ist auf diesem Planeten so mörderisch, daß es beinahe alles zerstören kann. Wir können immer noch alles auf das Wetter schieben. Schnappt euch zuerst diesen Kynes und versucht herauszufinden, ob die Stützpunkte überhaupt existieren.«

»Es könnte gefährlich sein, sie für unsere Ziele einzusetzen«, sagte Hawat. »Duncan war zumindest eines klar: diese Basen oder die Idee, der sie dienten — haben eine tiefe Bedeutung für die Fremen. Wir könnten sie vielleicht verärgern, wenn wir sie übernehmen.«

Paul las an den Gesichtern der Männer um sich herum die Intensität ab, mit der sie dem Gespräch folgten. Sie schienen irgendwie verwirrt vom Verhalten seines Vaters zu sein.

»Hör auf ihn«, sagte Paul. »Er sagt die Wahrheit, Vater.«

»Sire«, begann Hawat erneut, »diese Stützpunkte könnten uns wirklich dazu dienen, jede uns verbliebene Maschine zu reparieren. Aber aus strategischen Gründen sollten wir vorerst darauf verzichten. Es könnte ein Zeichen von Unbesonnenheit sein, uns ohne weiteres Wissen über ihre Bedeutung an sie heranzumachen. Dieser Kynes verfügt über die Autorität eines imperialen Schiedsmannes, das sollten wir keinesfalls vergessen. Und die Fremen gehorchen ihm.«

»Dann gehen wir eben mit etwas sanfteren Mitteln an das Problem heran«, entschied der Herzog. »Ich möchte auf jeden Fall wissen, ob diese Stützpunkte überhaupt existieren.«

»Wie Sie wollen, Sire.« Hawat setzte sich zurück und senkte den Blick.

»In Ordnung«, meinte der Herzog. »Wir sind uns nun im klaren darüber, was uns erwartet — nämlich harte Arbeit. Aber wir sind dazu ausgebildet und haben einige Erfahrungen aufzuweisen. Wir wissen ebenso, daß ein Lohn auf uns wartet — und auch über die Alternativen machen wir uns nichts vor. Jeder sollte jetzt genauestens im Bilde sein.« Er sah zu Gurney hinüber. »Am besten nimmst du dich der Schmuggler an.«

»Und so begebe ich mich denn hin zu den Rebellen, die in der Wüste hausen«, zitierte Halleck feierlich.

»Irgendwann werde ich dich schon noch ohne eine schlagfertige Antwort erwischen«, schmunzelte der Herzog. »Und dann stehst du nackt vor mir.« Die am Tisch versammelten Männer lachten, aber es war nicht zu überhören, daß sich die meisten dazu zwingen mußten.

Leto sagte zu Hawat: »Sorg dafür, daß der Nachrichtenmann auf diesem Stockwerk einen Mitarbeiter erhält. Wenn es soweit ist, möchte ich mit dir sprechen.«

Hawat stand auf und sah in die Runde, als erwarte er, daß ihn jemand unterstütze. Dann geleitete er als erster die übrigen Männer aus dem Raum. Die Offiziere folgten ihm hastig in kleinen Gruppen.

Allgemeine Verwirrung, dachte Paul, während sein Blick auf die Rücken der letzten Hinausgehenden fiel. Bisher hatten Besprechungen dieser Art meistens zu konkreten Ergebnissen geführt. Diesmal war ihm die ganze Sache ziemlich einseitig erschienen. Und sie hatte mit einer verhohlenen Auseinandersetzung geendet.

Zum erstenmal zwang Paul sich dazu, ernsthaft über mögliche Verteidigungsmaßnahmen nachzudenken. Es war nicht die Angst, die ihn dazu brachte — oder etwa die Warnung, die er von der Ehrwürdigen Mutter erhalten hatte. Nein, der Grund war, daß er sich selbst in den Strudel der Ereignisse hineingestürzt hatte.

Mein Vater ist verzweifelt, dachte er. Es geht nicht so, wie er es sich vorgestellt hat.

Und Hawat — er rief sich ins Gedächtnis zurück, wie der alte Mentat reagiert hatte — zeigte deutlich dieses Zögern und die Zeichen innerer Unruhe.

Hawat machte sich ernsthafte Sorgen.

»Es wird am besten sein«, sagte der Herzog, »wenn du den Rest der Nacht hier verbringst, mein Sohn. Es ist sowieso bald Morgen. Ich werde deiner Mutter deswegen Bescheid geben.« Müde stand er auf. »Warum stellst du nicht ein paar von den Stühlen zusammen und versuchst dich ein wenig hinzulegen?«

»Ich bin nicht sehr müde, Sire.«

»Wie du meinst.«

Der Herzog faltete hinter dem Rücken die Hände und begann unruhig an den Tischen entlang auf und ab zu gehen.

Wie ein Tier im Käfig, durchzuckte es Paul.

»Hast du vor, diese Verräter-Geschichte mit Hawat zu diskutieren?« fragte er.

Der Herzog blieb vor seinem Sohn stehen und erwiderte, den verdunkelten Fenstern zugewandt: »Wir haben diese Möglichkeit schon mehr als einmal in Erwägung gezogen.«

»Die alte Frau schien sich ziemlich sicher zu sein«, meinte Paul. »Und die Botschaft der Ehrwürdigen Mutter …«

»Wir haben alle Sicherheitsmaßnahmen ergriffen«, erwiderte der Herzog. Er warf einen Blick durch den Raum, und Paul bemerkte in seinem Blick die Anzeichen einer gejagten Kreatur. »Bleib hier. Ich habe noch einige Dinge mit Thufir zu besprechen.«

Als er hinausging, nickte er den Wachtposten kurz zu.

Paul starrte auf die Stelle, an der sein Vater zuletzt gestanden hatte. Schon bevor der Herzog hinausgegangen war, war sie ihm merkwürdig leer erschienen. Und er erinnerte sich an die Warnung der Ehrwürdigen Mutter: »… für deinen Vater gibt es keinen Ausweg.«

13

Am ersten Tag, als Muad'dib mit seiner Familie durch die Straßen von Arrakeen fuhr, erinnerten sich viele der am Wegesrand stehenden Menschen der Legenden und Prophezeiungen und riefen laut: »Mahdi!« Aber ihre Rufe waren mehr eine Frage als eine Feststellung, weil sie bis dahin nur damit rechneten, er sei der Lisan al-Gaib, die Stimme der Außenwelt. Aber sie lenkten ihre Aufmerksamkeit ebenso auf seine Mutter, weil bereits bekannt war, daß sie zu den Bene Gesserit gehörte, was sie für die Leute praktisch in den gleichen Rang erhob.

Aus ›Leitfäden des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Der Herzog fand — geleitet von einer Wache — Thufir in einem Eckzimmer. Die Geräusche einer Gruppe von Männern, die im Nebenzimmer eine nachrichtentechnische Ausrüstung bedienten, waren nicht zu überhören. Aber dieser Raum war dennoch einigermaßen ruhig.

Der Herzog sah sich um und Hawat erhob sich hinter einem von Papieren überladenen Tisch. Es war ein grüngestrichenes Zimmer, und zur Einrichtung gehörten außer dem Tisch noch drei Suspensorsessel, von deren Rückenlehnen man das Wappen der Harkonnens offenbar sehr eilig entfernt hatte. Der farbliche Unterschied war einwandfrei zu erkennen.

»Die Stühle sind sicher«, sagte Hawat. »Wo ist Paul, Sire?«

»Ich habe ihn im Konferenzzimmer zurückgelassen. Ich hoffe, daß er einige Ruhe hat, wenn ich nicht da bin.«

Hawat nickte und durchquerte eilig den Raum, um die Tür zum Nebenzimmer zu schließen. Der Lärm verstummte.

»Thufir«, begann der Herzog, »ich habe über die Gewürzlager des Imperators und der Harkonnens nachgedacht.«

»Ich verstehe nicht?«

Der Herzog schürzte die Lippen. »Lagerhäuser sind sehr anfällig.« Als Hawat etwas erwidern wollte, hob er die Hand. »Natürlich nicht die des Imperators. Normalerweise würde es ihm sicher gefallen, wenn die Harkonnens eine Schlappe erleiden. Und wie sollte der Baron in der Lage sein, sich darüber zu beschweren, wo er nicht einmal offen zugeben darf, daß er diese Lagerhäuser besitzt?«

Hawat schüttelte den Kopf. »Das kostet uns zu viele Leute.«

»Dann setzen wir Idahos Männer ein. Möglicherweise würde es sogar einer ganzen Reihe von Fremen gefallen, Arrakis mal von oben zu sehen. Ein Überfall auf Giedi Primus — solche Manöver können sich als gute Möglichkeiten der Ablenkung erweisen, Thufir.«

»Wie Sie wünschen, Mylord.« Als Hawat sich abwandte, erkannte der Herzog Nervosität in dem alten Mann. Er dachte: Möglicherweise glaubt er, ich mißtraue ihm. Er sollte ahnen, daß ich vor Verrätern gewarnt wurde. Nun am besten, ich beruhige ihn gleich.

»Thufir«, begann er, »da du einer der wenigen bist, denen ich völlig vertrauen kann, will ich dir sagen, daß es auch noch ein anderes Problem gibt, über das wir reden müssen. Wir wissen beide, daß wir ständig auf der Lauer liegen müssen, um zu verhindern, daß unsere Streitkräfte von Verrätern unterwandert werden … Ich habe zwei neue Mitteilungen erhalten.«

Hawat drehte sich um und starrte ihn an.

Und Leto wiederholte die Geschichten, die Paul ihm erzählt hatte.

Anstatt zu einer intensiven Mentat-Konzentration zu führen, schienen die Neuigkeiten Hawat eher noch nervöser zu machen.

Leto beobachtete den alten Mann nachdenklich und sagte schließlich: »Du verbirgst etwas vor mir, alter Freund. Und das ist mir bereits während der Stabskonferenz aufgefallen. Was ist es, daß du vor der Versammlung nicht davon sprechen wolltest?«

Hawats saphogefärbte Lippen formten sich zu einem schmalen Strich, an dessen Rändern die Falten des Alters nur um so mehr hervorstachen. Sie bewegten sich kaum, als er erwiderte: »Mylord — ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.«

»Wir haben bereits so oft füreinander den Kopf hingehalten, Thufir«, entgegnete der Herzog, »daß es zwischen uns eigentlich keine verbalen Probleme mehr geben sollte.«

Hawat starrte ihn an und dachte dabei: So mag ich ihn am liebsten. Dies ist der Mann von Ehre, der meine völlige Loyalität anerkennt. Aber — wie kann ich ihm Schmerzen zufügen?

»Nun?« verlangte Leto.

Hawat zuckte die Achseln. »Es handelt sich um ein Bruchstück einer Nachricht, die wir einem Kurier der Harkonnens abnahmen. Die Botschaft war an einen Agenten namens Pardee gerichtet. Wir haben gute Gründe, anzunehmen, daß Pardee der Leiter aller subversiven Agenten der Harkonnens auf Arrakis war. Und die Botschaft selbst — entweder hat sie gar keine, oder riesengroße Auswirkungen. Sie läßt sich auf verschiedene Weise interpretieren.«

»Und was ist ihr genauer Inhalt?«

»Es ist nur ein Bruchstück, Mylord. Nicht vollständig. Sie war auf einem minimischen Film, der sich in der üblichen Vernichtungskapsel befand. Es gelang uns, die bereits aktiv werdende Säure zu stoppen, aber was übrig blieb, war nur ein Fetzen. Aber er ist, nun ja, sehr unterschwellig.«

»Tatsächlich?«

Hawat biß sich auf die Lippen. »Der Text lautet: ›… eto wird niemals vermuten, daß der tödliche Schlag von einer geliebten Hand ausgeführt wird. Allein diese Erkenntnis wird ihn zerstören.‹ Die Botschaft trug das Siegel des Barons. Ich habe es selbst gesehen.«

»Diese Schlußfolgerung ergibt sich ganz automatisch«, erwiderte der Herzog. Seine Stimme war plötzlich von eisiger Kälte.

»Ich hätte mir lieber einen Arm abgeschnitten, als Ihnen weh zu tun«, sagte Hawat. »Mylord, was ist, wenn …«

»Lady Jessica«, sagte Leto und fühlte, wie die Wut ihn überspülte. »Konntet ihr nicht auch den Rest der Nachricht aus diesem Pardee herausprügeln?«

»Leider lebte Pardee schon nicht mehr, als wir diesen Kurier aufbrachten. Und der Kurier — das steht fest wußte überhaupt nicht, welchen Text er transportierte.«

»Ich verstehe.«

Kopfschüttelnd dachte Leto: Welch eine schmutzige Intrige. Natürlich ist kein Wort davon wahr. Ich kenne doch meine Frau!

»Mylord, wenn …«

»Nein!« bellte der Herzog. »Das muß ganz einfach ein Mißverständnis sein!«

»Aber wir können es dennoch nicht ignorieren, Mylord.«

»Sie gehört seit sechzehn Jahren zu mir! In diesen Jahren hätte sie zahllose Möglichkeiten gehabt, um mich … Du selbst hast damals die Schule und Jessica überprüft!«

Hawat erwiderte bitter: »Manchmal entgeht auch mir etwas Mylord.«

»Und ich sage dir, daß das unmöglich ist! Die Harkonnens haben vor, die gesamte Familie Atreides auszulöschen, und das bedeutet, daß sie es auch auf Paul abgesehen haben. Sie haben es bereits einmal versucht. Hältst du es für möglich, daß eine Frau gegen ihren eigenen Sohn konspiriert?«

»Vielleicht konspiriert sie gar nicht gegen ihren Sohn. Und das, was gestern geschah, könnte eine geschickte Täuschung gewesen sein.«

»Ausgeschlossen.«

»Sire, es ist ihr untersagt, ihre Abstammung zu erfahren. Aber was könnte geschehen, wenn sie es doch herausgefunden hat? Wenn sie zum Beispiel … eine Waise wäre, deren Eltern einem Atreides zum Opfer fielen?«

»Dann hätte sie schon viel früher gehandelt. Etwas Gift in ein Getränk … ein Stilett zwischen die Rippen. Wer hätte eine bessere Möglichkeit gehabt als sie?«

»Die Harkonnens wollen Sie vernichten, Mylord, nicht einfach nur töten. Bei einer Kanly gibt es große Variationsmöglichkeiten. Und man plant möglicherweise ein Kunstwerk in der Ausführung dieser Morde.«

Die Schultern des Herzogs sanken herab. Er schloß die Augen und sah plötzlich alt und müde aus. Es kann nicht sein, dachte er. Diese Frau hat ihr Herz für mich geöffnet.

»Welchen besseren Weg zu meiner Vernichtung könnte es geben, als mich auf die Frau zu hetzen, die ich liebe?« fragte er.

»Das ist auch eine von den Interpretationen, die ich bereits berücksichtigt habe«, erwiderte Hawat. »Und doch …«

Der Herzog öffnete die Augen, musterte Hawat und dachte: Es ist nur richtig, wenn er mißtrauisch ist. Das Mißtrauen ist seine Aufgabe, nicht die meine. Wenn ich den Eindruck erwecke, dies zu glauben, macht ihn das vielleicht unvorsichtig.

»Was schlägst du also vor?« flüsterte er.

»Für den Augenblick lediglich eine völlige Überwachung, Mylord. Ich werde dafür sorgen, daß die Beschattung unauffällig vor sich geht. Idaho wäre genau der richtige Mann für diese Aufgabe. Vielleicht können wir erreichen, daß er in einer Woche wieder zurück ist. In seiner Gruppe befindet sich ein junger Mann in Ausbildung, der geradezu ideal als Ersatzmann für ihn einspringen könnte — bei den Fremen. Er besitzt das nötige diplomatische Fingerspitzengefühl.«

»Unsere Stellung bei den Fremen darf nicht darunter leiden«, gab der Herzog zu.

»Das wird sie nicht, Sire.«

»Und was wird mit Paul?«

»Vielleicht könnte sich Dr. Yueh mit ihm beschäftigen.«

Leto wandte Hawat den Rücken zu. »Ich überlasse das dir.«

»Ich werde auf jeden Fall diskret zu Werke gehen, Mylord.«

Zumindest darauf kann ich zählen, dachte Leto. Laut sagte er: »Ich mache jetzt einen Spaziergang. Wenn du mich brauchst, ich bin nicht weit vom Tower entfernt. Die Wache kann …«

»Mylord, bevor Sie gehen, möchte ich Ihnen noch einen Filmclip zeigen, den Sie lesen sollten. Es handelt sich um eine erste Einschätzung der Fremen-Religion. Sie werden sich daran erinnern, daß Sie mir den Auftrag gaben, darüber einen Bericht zusammenzustellen.«

Der Herzog blieb stehen und sagte, ohne sich umzuwenden: »Hat das nicht etwas Zeit?«

»Natürlich hat es das, Mylord. Aber Sie fragten danach, was die Leute riefen, als wir nach Arrakeen kamen. Sie riefen ›Mahdi‹, und sie meinten damit den jungen Herrn. Als sie …«

»Paul?«

»Ja, Mylord. Es existiert eine Legende auf Arrakis, eine Prophezeiung, nach der eines Tages ein Führer zu ihnen kommen wird, das Kind einer Bene Gesserit. Er soll sie in die Freiheit führen. Die Prophezeiung ähnelt der bekannten Messiaslegende.«

»Sie glauben, Paul sei …«

»Sie hoffen es nur, Mylord.« Hawat reichte ihm den Clip.

Der Herzog nahm ihn und steckte ihn in die Tasche. »Ich werde es mir später ansehen.«

»Sicher, Mylord.«

»Jetzt brauche ich erst etwas Zeit zum — Nachdenken.«

»Ja, Mylord.«

Der Herzog tat einen tiefen Atemzug, der beinahe wie ein Seufzer klang und ging hinaus. Er hielt sich nach rechts, legte die Hände hinter dem Rücken zusammen und schritt langsam den Korridor entlang und achtete kaum darauf, wohin er lief. Er ging vorbei an Korridoren, Treppen und Sälen, und an Männern, die bei seinem Auftauchen salutierten.

Irgendwann kam er in den Konferenzsaal zurück, wo er Paul auf einigen zusammengestellten Stühlen schlafend fand, zugedeckt mit der Jacke eines Bewachers. Unter seinem Kopf lag ein Sturmgepäck. Der Herzog durchquerte den Raum und ging auf den Balkon hinaus, von dem aus er das gesamte Landefeld überblicken konnte. Ein auf dem Balkon stehender Wachtposten, knallte, aufgeschreckt durch das Erscheinen Letos, die Hacken zusammen.

»Stehen Sie bequem«, murmelte Leto. Er beugte sich über das eiserne Geländer, lehnte sich dagegen.

Über der Wüste begann der Morgen zu grauen. Er sah auf. Genau über ihm wirkten die Sterne wie von einem Seidenschal verdeckt. Am südlichen Horizont leuchtete der zweite Mond dünn durch die Staubschleier. Leto hatte den Eindruck, als mustere der Mond ihn mit einem ungläubigen und sarkastischen Grinsen.

Noch während er ihm zusah, tauchte der Satellit hinter die Klippen des Schildwalls. In der Sekunde der sich verfinsternden Umgebung, fühlte er plötzlich, wie es ihm kalt über den Rücken hinunterlief. Er schüttelte sich. Plötzliche Wut überkam ihn.

Die Harkonnens haben mir nun zum letztenmal ihre Knüppel zwischen die Beine geworfen, dachte er. Sie sind gierige Raffhälse, und ihr Denken bewegt sich in hinterwäldlerischen Bahnen. Ich möchte sehen, wie sie mich von hier vertreiben wollen! Und mit einem Anflug von Traurigkeit: Ich werde mit dem Auge und der Klaue herrschen wie der Habicht unter den Singvögeln. Instinktiv tastete seine Hand nach dem auf seiner Brust befestigten Habicht-Emblem.

Im Osten wandelte sich die Nacht zu einem dunstigen Grau. Das Licht näherte sich dem Horizont.

Es war eine Szene von solch beeindruckender Schönheit, daß er ihr alle Aufmerksamkeit zuwandte.

Manches hier ähnelt Caladan doch, dachte er.

Er hätte sich niemals vorzustellen vermocht, daß es auf Arrakis etwas so Schönes geben konnte wie diesen zersplitterten roten Horizont mit seinen purpurnen und ockerfarbenen Klippen. Jenseits des Landefeldes, wo der matte Tau der Nacht der Saat Leben eingehaucht hatte, sah er riesige rote Blütenfelder und dazwischen vereinzelte Felder von dunklem Violett, wie die Fußspuren eines Riesen.

»Ein herrlicher Morgen, Sire«, sagte der Wachtposten.

»Das ist es wirklich.«

Der Herzog nickte und dachte: Vielleicht wird dieser Planet noch über sich hinauswachsen. Vielleicht wird er doch noch eine Heimat für meinen Sohn.

Er sah menschliche Gestalten, die zu den Blumenfeldern hinübergingen. Sie schwangen seltsame Behälter, die sie als Tausammler auswiesen. Auf Arrakis war die Feuchtigkeit so kostbar, daß man sogar den Tau sammelte.

Aber er könnte sich auch als Ort des Schreckens erweisen.

14

Es gibt möglicherweise keine schrecklichere Entdeckung, als die, daß auch dein Vater nur ein Mensch ist — und menschliche Empfindungen hat.

Aus ›Gesammelte Weisheiten des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Der Herzog sagte: »Paul, ich bin im Begriff, etwas Abscheuliches zu tun, aber es muß sein.«

Er stand neben dem tragbaren Giftschnüffler, den man zum Frühstück in den Konferenzraum gebracht hatte. Die Sensorarme der Maschine hingen schlaff auf der Tischplatte und erinnerten Paul an ein verendetes Insekt.

Der Herzog sah aus dem Fenster, starrte hinaus auf das Landefeld und die trübe Staubwolke, die den Morgenhimmel verdeckte.

Vor Paul lag der Betrachter, in dem sich der Filmclip über die Religionspraktiken der Fremen befand. Einer von Hawats Leuten hatte das Material zusammengestellt, und Paul war nicht wenig überrascht, daß ein Großteil des Materials sich mit seiner Person auseinandersetzte.

»Mahdi!«

»Lisan al-Gaib!«

Wenn er die Augen schloß, kehrten die Rufe der Menge sofort zu ihm zurück. Also darauf hoffen sie, dachte er. Und ihm fiel ein, was die Ehrwürdige Mutter zu ihm gesagt hatte: Kwisatz Haderach. Die Erinnerungen, die in ihm hochkamen, stürzten ihn im Zusammenhang mit dieser seltsamen Welt in ein Dilemma, dem er sich nicht gewachsen glaubte.

»Eine verwerfliche Sache«, sagte der Herzog.

»Was meinen Sie, Sire?«

Leto wandte sich Paul zu und sah ihn an. »Die Harkonnens glauben mich dadurch konfus machen zu können, indem sie versuchen, in mir Mißtrauen gegenüber deiner Mutter zu erwecken. Sie können sich nicht vorstellen, daß ich eher bereit wäre, mir selbst nicht über den Weg zu trauen.«

»Ich verstehe nicht, Sire.«

Wieder sah Leto aus dem Fenster. Die weiße Sonne hatte ihre Morgenposition eingenommen. Sie beleuchtete den Schildwall mit milchigem Licht, und die vielen Schluchten und Klippen.

Langsam und mit leiser Stimme, um seinen Ärger zu verbergen, klärte der Herzog Paul über die mysteriöse Botschaft auf.

»Genausogut könntest du mir mißtrauen«, sagte Paul, nachdem er fertig war.

»Sie müssen glauben, daß sie mit diesem Trick Erfolg bei mir haben«, erwiderte der Herzog. »Sie müssen mich für einen ausgemachten Narren halten. Es muß realistisch wirken. Selbst deine Mutter darf nicht erfahren, was hier gespielt wird.«

»Aber, Sire! Weshalb?«

»Die Reaktion deiner Mutter darf nicht gespielt wirken. Oh, ich weiß, daß sie sich, würde ich sie einweihen, gut genug verstellen könnte … aber zuviel hängt davon ab. Ich glaube, daß wir auf diese Weise den wirklichen Verräter zu einem Fehler verleiten können. Deshalb muß es so aussehen, als sei ich wirklich auf dieses Komplott hereingefallen. Und sie wird diese Last ertragen müssen, damit es nicht noch zu einem größeren Schmerz kommt.«

»Warum erzählst du mir das, Vater? Befürchtest du nicht, ich könnte es ihr weitererzählen?«

»Du unterliegst keiner Beobachtung«, erwiderte der Herzog. »Und du wirst dieses Geheimnis bewahren. Du mußt es einfach.« Er ging zu den Fensterscheiben und redete, ohne sich umzudrehen, weiter. »Sollte mir etwas passieren, kannst du ihr die Wahrheit sagen. Und sage ihr, daß ich ihr niemals mißtraut habe, niemals, verstehst du? Ich möchte, daß sie das erfährt.«

Paul erkannte die Todessehnsucht in den Worten seines Vaters und sagte rasch: »Es wird Ihnen nichts geschehen, Sire. Die …«

»Sei still, Junge.«

Paul starrte auf den Rücken seines Vaters, sah die müde Haltung seines Kopfes, die herabgefallenen Schultern, seine langsamen Bewegungen.

»Du bist nur müde, Vater.«

»Ich bin wirklich müde«, gab der Herzog zu. »Oder besser gesagt: Ich bin fertig. Möglicherweise hat nun die melancholische Degeneration der Hohen Häuser auch auf mich übergegriffen. Und dabei waren wir einst ein starkes Volk.«

In plötzlich aufwallender Wut sagte Paul: »Unser Haus ist nicht degeneriert!«

»Tatsächlich nicht?«

Der Herzog musterte seinen Sohn, und Paul sah die dunklen Schatten unter seinen Augen. Um seinen Mund lag ein zynischer Ausdruck. »Ich sollte deine Mutter heiraten, sie zu meiner Herzogin machen. Und doch … mein Junggesellenstatus läßt einige andere Häuser immer noch hoffen, sich mit mir zu verbünden, indem sie mich mit einer ihrer ledigen Töchter verbinden.« Er zuckte die Achseln. »Deshalb …«

»Mutter hat mir das erklärt.«

»Nichts bringt einem Führer mehr Loyalität ein als sein persönlicher Wagemut«, sagte der Herzog. »Deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als das mir anhaftende Draufgängertum so lange wie möglich zu erhalten.«

»Du führst gut«, protestierte Paul. »Und du regierst gut. Die Männer lieben dich und folgen deinen Anweisungen willig.«

»Eine meiner besten Einheiten ist die Propagandaabteilung«, erklärte der Herzog. Er wandte sich erneut der Ebene zu. »Es gibt auf Arrakis für uns mehr Möglichkeiten, als das gesamte Imperium jemals vermutet hat. Und doch denke ich manchmal darüber nach, ob wir nicht fliehen sollten — abtrünnig werden. Manchmal wünsche ich mir, ob es nicht besser gewesen wäre, zurückzusinken in die Anonymität des einfachen Volkes …«

»Vater!«

»Ja, ich bin wirklich müde«, wiederholte der Herzog. »Weißt du eigentlich, daß wir die Rückstände des Gewürzes dazu benutzen, um aus ihnen Filme herzustellen?«

»Bitte?«

»Wir müssen verhindern, daß uns das Filmmaterial ausgeht«, fuhr der Herzog fort. »Wie sollten wir sonst den Leuten in den Dörfern und Städten unsere Informationen zuleiten? Die Leute müssen darüber informiert werden, wie gut ich sie leite. Und wie sollten sie das erfahren, wenn wir es ihnen nicht erzählen?«

»Du solltest dich schlafen legen«, sagte Paul.

Wieder sah der Herzog seinen Sohn an. »Arrakis verfügt noch über einen weiteren Vorteil, den ich noch nicht erwähnte. Das Gewürz ist alles hier. Du atmest es ein und ißt es in nahezu jeder Speise. Ich bin sicher, daß jeder Körper dadurch gewisse Abwehrstoffe gegen die gebräuchlichen Gifte aus dem Handbuch der Assassinen erzeugt. Und die Notwendigkeit, auf jeden Tropfen Wasser sorgfältig zu achten hat ebenfalls seine Auswirkungen auf die Nahrungsproduktion. Die Hefekulturen, die gesamte Hydroponik — alles unterliegt einer strengen Überwachung. Es dürfte unmöglich sein, größere Teile unserer Bevölkerung zu vergiften und deshalb ist es auch kaum möglich, uns auf diese Weise anzugreifen. Arrakis sorgt dafür.«

Paul wollte etwas sagen, aber der Herzog unterbrach ihn, indem er fortfuhr: »Ich brauche einfach jemanden, mit dem ich über diese Dinge sprechen kann, mein Junge.« Er seufzte und schaute über die Landschaft, aus der jetzt sogar die Blumen verschwunden waren, niedergetrampelt von den Tausammlern, dahingewelkt unter den Strahlen der Morgensonne.

»Auf Caladan beruhte unsere Vorherrschaft auf unserer See- und Luftstreitmacht«, sagte der Herzog. »Hier auf Arrakis müssen wir eine Wüstenstreitmacht auf die Beine stellen. Dies wird deine Aufgabe werden, Paul. Was wird aus dir werden, wenn mir etwas geschieht? Du wirst kein Haus von Renegaten regieren, sondern eines von Guerillakämpfern. Du wirst ständig auf der Flucht sein und dennoch andere jagen.«

Paul suchte nach Worten, aber er fand nicht die, die er sagen wollte, die das ausdrückten, was er in diesem Moment fühlte. Die fatalistische Stimmung seines Vaters war ihm völlig fremd.

»Um Arrakis zu halten«, sagte der Herzog, »wird man manchmal Entscheidungen treffen müssen, die einen möglicherweise an der eigenen Ehre zweifeln lassen werden.« Er deutete aus dem Fenster, auf den Punkt, wo die grünschwarze Flagge der Atreides' schlaff an einem Pfahl am Rande des Landefeldes hing. »Dieses glorreiche Banner könnte möglicherweise zu einem Symbol des Bösen werden.«

Paul schluckte. Seine Kehle war trocken. Die Schicksalsergebenheit seines Vaters erzeugte ein leeres Gefühl in seiner Brust.

Der Herzog nahm eine müdigkeitsverdrängende Pille aus der Tasche und schluckte sie trocken hinunter. »Die Macht und die Angst«, sagte er, »sind die Voraussetzungen und Werkzeuge der Staatskunst. Ich werde dich zum Guerillakämpfer ausbilden lassen. Und was diesen Filmclip anbetrifft, Paul — die Tatsache, daß die Leute dich ›Mahdi‹ und ›Lisan al-Gaib‹ nennen, kann dir vielleicht einmal ganz nützlich sein.«

Paul starrte seinen Vater an und registrierte, daß die Pille bereits ihre Wirkung tat. Seine Gestalt straffte sich. Aber es war ihm unmöglich, die Worte des Zweifels und der Angst zu verdrängen, die er aus dem Munde seines Vaters gehört hatte.

»Wo bleibt nur dieser Ökologe?« murmelte der Herzog. »Ich habe Thufir doch angewiesen, ihn so schnell wie möglich herzuschaffen.«

15

Eines Tages nahm mein Vater, der Padischah-Imperator, mich beiseite, und anhand der Ausbildung, die mir durch meine Mutter zuteil geworden war, merkte ich, daß er verstört war. Er brachte mich in die Halle und führte mich zu der Galerie, in der auch das Porträt von Herzog Leto Atreides hing. Ich erkannte sofort die große Ähnlichkeit, die diese beiden Männer verband: beide hatten sie die gleichen schmalen, scharfgeschnittenen Gesichter, in denen kalte Augen dominierten. »Ich hätte es gerne gesehen, meine Tochter«, sagte der Imperator zu mir, »wenn du älter gewesen wärst, als für diesen Mann die Zeit kam, sich eine Frau zu nehmen.« Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt einundsiebzig Jahre alt, und dennoch wirkte er keinesfalls älter als der Mann auf dem Porträt. Ich war vierzehn, aber ich wußte schon damals, daß er sich nichts sehnlicher wünschte, als Leto zum Sohn zu haben, anstatt zum Gegner.

Aus ›Mein Vaterhaus‹, von Prinzessin Irulan.


Nach der ersten Begegnung mit den Leuten, die er auftragsgemäß zu betrügen hatte, blieb Dr. Kynes ziemlich erschüttert zurück. Bisher hatte er sich stets für einen Anhänger exakter Wissenschaften gehalten, für einen Mann, für den die Sagen und Legenden der Völker lediglich interessante Hinweise auf kulturelle Wurzeln waren. Aber dieser Junge erfüllte die alten Prophezeiungen so exakt! Er besaß die fragenden Augen und auch die Ausstrahlung einer reservierten Freimütigkeit.

Natürlich enthielt die Prophezeiung eine gewisse Bandbreite: so war es zum Beispiel nicht exakt festgeschrieben, ob die Gottesmutter ihn von einem anderen Ort nach Arrakis brachte oder ihm erst hier das Leben schenken würde. Und doch war da diese seltsame Übereinstimmung zwischen der Prophezeiung und den Personen.

Sie hatten sich kurz vor Mittag im Administrationsgebäude des Landefeldes außerhalb von Arrakeen getroffen. Ein Ornithopter ohne Hoheitszeichen summte in der Nähe wie ein schläfriges Insekt. Daneben stand ein Wachtposten der Atreides mit gezücktem Schwert. Der ihn umgebende Schild flimmerte leicht.

Kynes musterte den Schild mit einem höhnischen Lächeln und dachte: Arrakis wird euch in dieser Beziehung noch einige Überraschungen bieten!

Der Planetologe hob eine Hand. Es war das Zeichen für seinen Fremen-Leibwächter, zurückzubleiben. Er näherte sich dem Eingang des Gebäudes, ein finsteres Loch, das wie in einen Felsen hineingeschnitten wirkte. Und dennoch ist dieses monolithische Ding verwundbar. Und weniger geeignet als eine richtige Höhle.

Bewegungen innerhalb des Eingangs erweckten seine Aufmerksamkeit. Er blieb stehen und benutzte die Pause dazu, seine Robe zurechtzuziehen, die den Destillanzug verdeckte.

Die Eingangstür schwang auf. Die Wachen der Atreides' erschienen vor ihm, alle schwer bewaffnet. Kynes sah Lähmer, Schwerter und Schilde. Hinter ihnen tauchte ein hochgewachsener Mann mit einem Raubvogelgesicht auf. Er war dunkelhäutig und schwarzhaarig. Die Art, wie er den Djubba-Umhang mit dem Signum der Atreides' trug, wies deutlich darauf hin, daß er Kleidung dieser Machart nicht zu tragen gewohnt war. An einer Seite hatte der Umhang sich mit dem Destillanzug verfangen und verhinderte so, daß er frei schwingen konnte.

Neben dem Mann ging ein Junge mit der gleichen Haarfarbe, aber einem rundlicheren Gesicht. Für sein Alter sah er ziemlich klein aus. Trotzdem erweckte seine Haltung in Kynes den Eindruck, als höre und sehe der Junge mehr Dinge als all die anderen um ihn herum. Er trug die gleiche Kleidung wie sein Vater, allerdings mit einer lässigen Eleganz, als habe er sie seit Ewigkeiten getragen.

»Der Mahdi wird erkennen, was die anderen nicht sehen«, lautete die Prophezeiung.

Kynes schüttelte den Kopf und dachte: Sie sind genauso gewöhnliche Menschen wie wir alle.

Mit ihnen kam ein Mann, der ebenfalls darauf vorbereitet zu sein schien, in die Wüste zu gehen. Kynes erkannte in ihm Gurney Halleck. Er atmete tief ein und versuchte die Ressentiments gegen den Mann, der ihn angewiesen hatte, wie er sich in Gegenwart des Herzogs und seines Erben zu verhalten hatte, nicht offensichtlich werden zu lassen.

»Sie dürfen den Herzog mit ›Mylord‹ oder ›Sire‹ anreden. Es wäre ebenfalls richtig, wenn Sie mit ihm als einem ›Hochwohlgeborenen‹ sprechen, obwohl dies meist eine Anrede ist, die man nur bei hochoffiziellen Anlässen verwendet. Für seinen Sohn gelten die Anreden ›junger Herr‹ oder auch ›Mylord‹. Der Herzog legt an sich keinen sehr großen Wert auf diese Formalismen, aber ist ebenso gegen plumpe Vertraulichkeiten.«

Und als die Gruppe auf ihn zukam, dachte Kynes: Sie werden noch früh genug herausbekommen, wer wirklich auf Arrakis herrscht. Dieser Mentat wird mich die halbe Nacht lang verhören. Und sie bilden sich ein, mich dazu zu kriegen, auf Arrakis ihren Führer zu spielen und ihnen die Kunst der Gewürzgewinnung zu veranschaulichen.

Kynes hatte recht bald gemerkt, auf was Hawats Fragen abzielten. Sie wollten an die kaiserlichen Stützpunkte heran. Und es stand ganz außer Frage, daß sie durch Idaho von ihrer Existenz erfahren hatten.

Ich werde Stilgar veranlassen, diesem Herzog Idahos Kopf zu schicken, nahm er sich vor.

Der Herzog und seine Begleiter waren nun nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Kynes sah, daß sie schwere Wüstenstiefel trugen, unter denen der Sand knirschte.

Er verbeugte sich. »Mylord?«

Während sie sich dem wartenden Ornithopter genähert hatten, hatte Leto den Mann eingehend betrachtet: Kynes war groß, mager, trug wüstenfeste Kleidung unter der Robe — einen Destillanzug und hohe Stiefel. Er hatte die Kapuze zurückgezogen und zeigte das sandfarbene Haar und einen schütteren Bart. Seine Augen waren Blau in Blau, seine Brauen stark. Die Rückstände einer dunklen Schminke bedeckten noch sein Gesicht.

»Sie sind der Ökologe«, stellte der Herzog fest.

»Wir bevorzugen den alten Titel, Mylord«, erwiderte Kynes. »Planetologe.«

»Wie Sie wünschen«, sagte der Herzog und sah auf Paul hinunter. »Dies, mein Sohn, ist der Schiedsmann, der Streitschlichter, der Mann, dessen Aufgabe es ist, darüber zu wachen, daß die Formen gewahrt werden und wir auf unserem Lehen nicht die Bestimmungen verletzen.« Er schaute Kynes an. »Und dies ist mein Sohn.«

»Mylord«, nickte Kynes.

»Sie sind ein Fremen?« fragte Paul.

Kynes lächelte. »Ich bin im Dorf und im Sietch gleichermaßen zu Hause, junger Herr. Aber ich bin ein Bediensteter Seiner Majestät, der Kaiserliche Planetologe.«

Paul nickte. Die Ausstrahlung des Mannes beeindruckte ihn. Halleck hatte bereits, als sie noch am Fenster des Administrationsgebäudes gestanden hatten, auf Kynes hingewiesen: »Es ist der Mann in der Fremen-Kleidung neben dem Ornithopter.«

Paul hatte ihn eine kurze Weile mit einem Feldstecher beobachtet und schon dabei waren ihm die hohe Stirn und der Strenge ausdrückende Mund des Besuchers aufgefallen. Und Halleck hatte in Pauls Ohr geflüstert: »Ein seltsamer Kerl. Er hat eine ungewöhnliche Ausdrucksweise und spricht beinahe druckreif. Alles an ihm ist ohne Ecken und Kanten.«

Hinter ihnen hatte der Herzog gesagt: »Ein typischer Wissenschaftler.«

Jetzt, wo Paul Kynes nur wenige Schritte entfernt gegenüberstand, wurde er sich der Macht gewahr, die dieser Mann ausstrahlte. Er wirkte wie jemand von königlichem Blut, wie ein Mensch, der dazu geboren war, Befehle zu erteilen.

»Ich weiß, daß wir Ihnen dafür zu danken haben, daß Sie uns mit diesen Destillanzügen und Umhängen versorgten«, sagte der Herzog.

»Ich hoffe, sie erfüllen ihren Zweck, Mylord«, gab Kynes zurück. »Sie entstammen der Produktion der Fremen. Ich erhielt Ihre Körpermaße von Ihrem Mann Halleck.«

»Es hat mich ein wenig verwirrt, daß Sie uns nur unter der Bedingung, daß wir diese Kleidung tragen, in die Wüste hinaus begleiten wollten«, sagte der Herzog. »Es wäre kein Problem für uns gewesen, genügend Wasser mitzunehmen. Außerdem beabsichtigten wir sowieso nicht, länger draußen zu bleiben. Und einen Schutz aus der Luft haben wir auch. Sehen Sie die Eskorte dort hinten? Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß wir …, daß uns etwas Unvorhergesehenes zur Landung zwingt.«

Kynes starrte ihn an. Sein ganz besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die im Gegensatz zu allen anderen Bewohnern von Arrakis nicht vertrocknet wirkende Haut des Herzogs.

Kalt erwiderte er: »Auf Arrakis sprechen Sie besser nicht von Wahrscheinlichkeiten. Das einzige, was hier zählt, sind Möglichkeiten.«

Hallecks Gestalt versteifte sich. »Sie haben den Herzog mit ›Mylord‹ oder ›Sire‹ anzureden!«

Leto gab Halleck einen heimlichen Wink, um ihn zum Verstummenzubringen und sagte: »Was uns anbetrifft, so sind wir ziemlich unerfahren, Gurney. Wir müssen unsere Erfahrungen schon selber machen.«

»Wie Sie meinen, Sire.«

»Wir stehen in Ihrer Schuld, Dr. Kynes«, wiederholte Leto. »Und wir werden uns an Ihre Freundlichkeit zu erinnern wissen.«

Wie von selbst schien ein Zitat aus der O.-K.-Bibel in Pauls Gedächtnis auf. Er sagte: »Die Gabe ist ein Segen für den Gebenden.«

In der herrschenden Stille klangen seine Worte lauter, als er beabsichtigt hatte. Die Leibwächter, die Kynes mitgebracht hatte, und die sich bisher im Schatten des Verwaltungsbaus aufgehalten hatten, sprangen plötzlich auf und begannen mit einer erregt wirkenden Diskussion. Einer der Männer rief laut: »Lisan al-Gaib!«

Kynes wirbelte herum, gab ihnen ein wütendes Handzeichen und scheuchte die Männer davon. Sie zogen sich wieder in den Gebäudeschatten zurück, murmelten unverständliche Worte und verschwanden hinter der nächsten Ecke.

»Sehr interessant«, stellte Leto fest.

Kynes starrte ihn und Paul mit einem kalten Blick an und erwiderte: »Die meisten dieser Wüstenleute sind ungeheuer abergläubisch. Sie sollten nicht darauf achten. Jedenfalls sind sie nicht gefährlich.« Und insgeheim fielen ihm wieder die Worte aus der Legende ein: »Sie werden dich mit heiligen Worten begrüßen, und ihre Gaben werden ein Segen sein.«

Letos Einschätzung von Kynes (die auf einem kurzen mündlichen Bericht Hawats basierte, der voll von Mißtrauen gewesen war) kristallisierte sich plötzlich zu einer Erkenntnis: dieser Mann war ein Fremen. Er war mit einer Fremen-Eskorte angekommen, was natürlich auch nur bedeuten konnte, daß die Fremen den Versuch unternehmen wollten, die neue Art von Freiheit dadurch einem Test zu unterziehen, daß sie ihren Fuß auf bisher verbotene Gebiete setzten. Aber die Eskorte hatte eher wie eine Ehrengarde gewirkt. Und auf seine Art war Kynes ein stolzer Mann, das freie Leben gewöhnt und kompromißlos das aussprechend, was er für richtig hielt.

Kynes war zu einem Eingeborenen geworden.

»Sollten wir nicht aufbrechen, Sire?« fragte Hawat.

Der Herzog nickte. »Ich werde meinen Thopter selbst fliegen. Kynes kann neben mir Platz nehmen, um mir die Richtung zu weisen. Du und Paul geht nach hinten.«

»Einen Moment bitte«, warf Kynes ein. »Mit Ihrer Erlaubnis, Sire, werde ich zuvor die Funktion unserer Anzüge prüfen.«

Obwohl der Herzog etwas erwidern wollte, fiel Kynes ihm ins Wort: »Das soll nicht nur Ihrer, sondern auch meiner Sicherheit dienen, Mylord. Ich weiß sehr wohl, wer dafür verantwortlich gemacht würde, sollte Ihnen in meiner Begleitung etwas zustoßen.«

Der Herzog runzelte die Stirn und dachte: Ausgerechnet in diesem Moment! Wenn ich mich weigere, beleidigt ihn das bestimmt. Und dieser Mann könnte zu wichtig für mich sein, als daß ich das in Kauf nehmen kann. Trotzdem … kann ich ihn durch meinen Schild greifen lassen? Soll ich mich von ihm berühren lassen, wo ich noch so wenig über ihn weiß?

Die Gedanken zuckten durch sein Gehirn, aber schließlich gab er sich einen Ruck. »Wir übergeben uns Ihrer Hand«, sagte er, machte einen Schritt nach vorn und öffnete seine Robe. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Halleck Kynes überwachte, scharfäugig und mißtrauisch, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Wenn Sie so freundlich sein würden«, fuhr Leto fort, »ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir die Funktionsweise dieser Anzüge erklären könnten.«

»Sicher«, erwiderte Kynes. Er tastete nach den Schulterverschlüssen und sprach, während er den Anzug untersuchte, weiter.

»Der Anzug gleicht im Prinzip einem Mikro-Sandwich — ein hochwirksames Filter- und Wärmeaustauschsystem.« Er justierte die Schulterverschlüsse. »Die erste Schicht, die unmittelbar auf der Haut liegt, ist porös. Der Schweiß durchdringt sie, nachdem er den Körper gekühlt hat … ein fast normaler Verdunstungsprozeß. Die beiden nächsten Schichten …« Kynes schnallte das Brustband enger, »… enthalten Wärmeaustauscher und Salzentzieher. Das Salz wird zurückgehalten und wieder verwendet.«

Der Herzog hob beide Arme und sagte: »Sehr interessant.«

»Tief einatmen«, sagte Kynes.

Der Herzog gehorchte.

Kynes überprüfte die Unterarmverschlüsse und stellte einen davon neu ein. »Körperbewegungen, besonders die Atmung«, führte er aus, »und die dabei stattfindende Osmose sorgen für den nötigen Druck zur Wasserförderung.« Er löste das Brustband um eine Spur. »Das wiedergewonnene Wasser fließt in die Fangtaschen, aus dem man es durch einen Schlauch saugt, der über die Schulter an den Mund heranreicht.«

Der Herzog drehte den Kopf, um sich das Schlauchende genauer anzusehen. »Wirksam und bequem«, konstatierte er. »Eine gutausgetüftelte Konstruktion.«

Kynes kniete nieder und untersuchte die Beinverschlüsse. »Urin und Exkremente werden in den Wadenbehältern verarbeitet«, fuhr er fort und stand auf, um den Halsverschluß zu untersuchen. »In der offenen Wüste tragen Sie einen solchen Filter vor dem Gesicht und diesen Schlauch in der Nase, der durch Filterpatronen führt. Man atmet dabei durch den Mund ein und durch die Nase aus. Wenn Sie einen Destillanzug aus der Fremen-Produktion tragen und er völlig in Ordnung ist, verlieren Sie kaum mehr als einen Fingerhut voll Wasser täglich — selbst dann nicht, wenn Sie sich in einem Großen Erg befinden.«

»Ein Fingerhut nur«, murmelte der Herzog beeindruckt.

Kynes drückte einen Finger gegen das Stirnband des Anzuges und sagte: »Möglicherweise wird es etwas scheuern. Wenn es Ihnen unangenehm wird, sagen Sie mir Bescheid. Ich werde es dann eine Kleinigkeit enger schnallen.«

»Vielen Dank«, sagte der Herzog. Er reckte sich und stellte dabei fest, daß er sich jetzt viel besser fühlte. Der Anzug lag seinem Körper an wie eine zweite Haut und störte ihn überhaupt nicht mehr.

Kynes wandte sich nun Paul zu. »Und jetzt bist du an der Reihe, junger Mann.«

Er scheint ein guter Mann zu sein, dachte der Herzog. Aber er wird zu lernen haben, wie man uns richtig anzusprechen hat.

Paul ließ die Inspektion seines Destillanzuges bewegungslos über sich ergehen. Als er ihn angezogen hatte, war ihm das neue Gefühl des Tragens nicht im geringsten fremd vorgekommen. Im Gegenteil. Obwohl er sich hundertprozentig sicher war, noch nie ein Kleidungsstück dieser Art getragen zu haben, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, jede Bewegung, die er in ihr machte, sei völlig natürlich. Als er das Brustband justiert hatte, war ihm jede Handbewegung völlig klar gewesen. Ebenso hatte er gewußt, wie eng er die Nackenbänder einstellen mußte, um zu verhindern, daß sie Blasen erzeugten.

Kynes richtete sich auf. Er trat einen Schritt zurück und sein Gesicht zeigte absolute Verblüffung.

»Haben Sie schon früher Erfahrungen mit Destillanzügen gemacht?« wollte er wissen.

»Ich trage ihn zum erstenmal.«

»Dann hat jemand anders ihn für Sie eingestellt?«

»Nein.«

»Ihre Wüstenstiefel sind an den Knöcheln dichter geschnürt als an den Waden. Wer hat Ihnen gesagt, daß das so sein muß?«

»Es schien mir … die einzig richtige Art zu sein, sie so zu schnüren.«

»Das ist allerdings richtig.«

Kynes strich mit der Hand über sein Kinn und dachte an die Legende: »Er wird eure Sitten erkennen, als sei er mit ihnen geboren.«

»Wir vergeuden unsere Zeit«, meldete sich nun der Herzog. Er winkte zu dem wartenden Thopter hinüber, wies ihm die Richtung und erwiderte das Salutieren des Wachtpostens mit einem Kopfnicken. Dann kletterte er in die Maschine hinein, legte die Sicherheitsgurte an und überprüfte die Instrumente und Kontrollanzeigen. Die Maschine federte, als die anderen ihm folgten.

Als Kynes seinen Platz einnahm und sich den Gurt umlegte, fiel ihm die luxuriöse Innenausstattung des Thopters ins Auge: die graugrüne Polsterung, die leuchtenden Instrumente und die beinahe unglaubliche Gegenwart gefilterter Luft, die sich durch seine Lungen wusch, sobald der Einstieg sich schloß und kühlende Ventilatoren zum Leben erwachten.

Wie weich! dachte er.

»Alles klar, Sire«, gab Halleck bekannt.

Leto führte den Schwingen Energie zu und fühlte, wie sie sich wölbten und Schwung holten. Einmal, zweimal. Sie hoben sich sofort um zehn Meter in die Luft, während die Schwingen des Thopters weich ausholten und die Rückendüsen sie stetig höher hinauftrieben.

»Richtung Südost, über den Schildwall«, erklärte Kynes. »Das ist der Platz, an dem ich Ihren Sandmeister angewiesen habe, eine Fabrik arbeiten zu lassen.«

»In Ordnung.«

Der Herzog steuerte die angegebene Richtung an, während die Begleitmaschinen sich formierten und ihnen nach Südosten folgten.

»Entwurf und Konstruktion dieser Destillanzüge«, sagte der Herzog plötzlich, »scheinen mir auf hohes technisches Wissen hinzudeuten.«

»Irgendwann kann ich Ihnen auch einen Sietch zeigen, wo sie hergestellt werden«, erwiderte Kynes.

»Das würde mir gefallen«, nickte der Herzog. »Ich habe gehört, daß diese Anzüge auch in einigen Garnisonsstädten hergestellt werden sollen.«

»Das sind minderwertige Imitationen«, sagte Kynes verächtlich. »Ein Dünenmann, der Wert auf seine Haut legt, trägt nur Fremen-Anzüge.«

»Und der Wasserverlust beträgt am Tag wirklich nur einen Fingerhut voll?«

»Wenn er richtig sitzt, die Stirnkappe gut anliegt und alle Verschlüsse in Ordnung sind, verliert man die meiste Flüssigkeit lediglich durch die Handflächen«, erklärte Kynes. »Wenn man keine allzu komplizierte Arbeit zu verrichten hat, kann man noch Schutzhandschuhe zusätzlich tragen. Aber die meisten in der Wüste lebenden Fremen beschränken sich darauf, die Hände mit dem Saft, der aus den Zweigen des Kreosotenbusches gewonnen wird, einzureiben. Es verhindert allzu großes Schwitzen.«

Linkerhand erhob sich die zerbrochene Landschaft des Schildwalls, Massen zackiger Felsen in Gelbbraun, durchzogen von dunklen Linien, die den Herzog an verrottete Ketten erinnerten. Es war, als hätte jemand die Felsformation aus großer Höhe abgeworfen und liegengelassen, ohne noch einen Blick darauf zu werfen.

Sie überquerten eine flache Senke, deren in südliche Richtung weisende Öffnung bereits von herannahendem Wüstensand überspült war. Die Wüste war im Begriff, in die Senke einzudringen, ein trockener Eroberer, der sich deutlich in seiner Farbe von den dunkleren Felsen abhob.

Kynes lehnte sich in seinen Sitz zurück. Er dachte über das gesunde, kraftstrotzende Fleisch nach, das er während der Anzugkontrollen gefühlt hatte. Die drei anderen trugen Schildgurte über ihren Roben, kleine Lähmer an den Hüften und münzengroße Notrufsender an Ketten um den Hals. Der Herzog und sein Sohn verfügten zudem noch über in Ärmelscheiden verborgene Messer. Die Scheiden machten einen abgetragenen Eindruck. Diese Leute erschienen Kynes wie eine Mischung aus Verweichlichung und bewaffneter Stärke. Es war keine Frage, daß sie sich total von den Harkonnens unterschieden.

»Wenn Sie dem Imperator über den erfolgten Regierungswechsel auf Arrakis berichten, werden Sie erwähnen, daß wir die Bestimmungen einhalten?« fragte Leto. Er schaute Kynes kurz an und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Route.

»Die Harkonnens sind gegangen, und Sie sind gekommen«, erwiderte Kynes achselzuckend.

»Demnach ist alles so, wie es sein sollte?« erkundigte sich Leto.

Ein verkrampfter Muskel an Kynes Kinn deutete an, daß er unter einer plötzlichen Spannung stand.

»Als Planetologe und Schiedsrichter bin ich direkt dem Imperium verantwortlich … Mylord.«

Der Herzog lächelte grimmig. »Aber die Realitäten kennen wir ebenfalls alle beide.«

»Ich darf Sie daran erinnern, daß Seine Majestät meine Arbeit unterstützt.«

»Tatsächlich? Und worin besteht sie?«

In der kurzen Stille zwischen Frage und Antwort, dachte Paul: Er geht diesen Kynes zu hart an. Er warf Halleck einen Blick zu, aber der musizierende Krieger starrte auf die öde Landschaft hinab.

Steif sagte Kynes: »Sie sollten eigentlich über meine Pflichten als Planetologe unterrichtet sein.«

»Natürlich.«

»Es dreht sich hauptsächlich um Wüstenbiologie und Botanik — aber auch geologische Arbeit. Bohrungen und so weiter. Die Möglichkeiten, einen Planeten zu erforschen, sind beinahe unendlich.«

»Beschäftigen sich Ihre Untersuchungen auch mit dem Gewürz?«

Als Kynes den Kopf wandte, erkannte Paul, daß er über diese Frage ungehalten war.

»Das ist eine ziemlich kuriose Frage, Mylord.«

»Gewöhnen Sie sich daran, daß Arrakis nun mein Leben ist, Kynes. Die Methoden, die ich anwende, unterscheiden sich von denen der Harkonnens. Ich habe nichts dagegen, daß Sie das Gewürz untersuchen, solange sie mir die Ergebnisse nicht verschweigen.« Er sah Kynes kurz an. »Die Harkonnens haben diese Arbeit behindert, nicht wahr?«

Kynes sah ihn an, ohne eine Antwort zu geben.

»Sie können ruhig offen reden«, sagte der Herzog. »Sie brauchen nichts zu befürchten.«

»Der Kaiserliche Hof«, murmelte Kynes, »ist in der Tat sehr weit von hier entfernt.« Und er dachte: Was erwartet dieser weichhäutige Eindringling von mir? Hält er mich für einen solchen Narren, daß ich mit ihm zusammenarbeite?

Der Herzog grinste, achtete aber weiter auf den Kurs. »Ich entdecke einen Mißklang in Ihrer Stimme, Sir. Wir haben Arrakis mit einer ganzen Meute vordergründig gezähmter Mörder geradezu überflutet, nicht wahr? Und dennoch bilden wir uns ein, Sie müßten sofort erkennen, daß wir ganz anders sind als unsere Vorgänger, nicht wahr?«

»Ich habe zumindest die Propaganda gelesen, mit der Sie das Dorf und den Sietch überfluten lassen«, gab Kynes zurück. »Ihr müßt auf der Seite des guten Herzogs sein! — Ihre Propagandaabteilung …«

»Jetzt reicht es!« bellte Halleck. Er wandte sich von dem Fenster ab und beugte sich vor.

Paul legte eine Hand auf Hallecks Arm.

Der Herzog sagte: »Gurney!« Er warf Halleck von der Seite einen Blick zu. »Vergiß nicht, daß dieser Mann lange unter den Harkonnens gelebt hat.«

Halleck lehnte sich wieder zurück. »Ach ja.«

»Ihr Hawat ist recht geschickt«, meinte Kynes, »aber seine Absichten sind sehr leicht zu durchschauen.«

»Sie wollen uns also die Basen zugänglich machen?« fragte der Herzog.

Kynes sagte kühl: »Sie gehören Seiner Majestät.«

»Aber Seine Majestät braucht sie nicht.«

»Seine Majestät könnte sie brauchen.«

»Ist Seine Majestät einverstanden?«

Kynes schaute Leto mißmutig an. »Arrakis könnte der reinste Garten Eden sein, wenn sich seine Herrscher darauf besännen, daß das Gewürz nicht das einzig Wichtige auf diesem Planeten ist!«

Er hat meine Frage nicht beantwortet, dachte der Herzog. Laut sagte er: »Wie kann man ohne Geld aus dieser Welt einen Garten Eden machen?«

»Was bedeutet schon Geld«, führte Kynes aus, »wenn man mit ihm doch nicht die Dienste erstehen kann, die man nötig braucht?«

Ah, jetzt! dachte der Herzog. Er sagte: »Darüber sollten wir ein anderes Mal diskutieren. Ich glaube, wir sind gleich über den Schildwall hinaus. Halte ich noch den richtigen Kurs?«

»Bleiben Sie drauf«, murmelte Kynes.

Paul sah aus dem Fenster. Unter ihnen blieben die zerklüfteten Felswände nun zurück und machten einer endlosen Dünenlandschaft Platz, deren Spitzen sich wie die Wogen eines Meeres über die Landschaft erstreckten. Hier und da ragten vereinzelte dunkle Punkte aus dem Sand, möglicherweise Felsen. In der hitzeflirrenden Luft war das nicht so genau zu erkennen.

»Gibt es Pflanzen dort unten?« fragte er.

»Ein paar«, gab Kynes zurück. »In dieser Zone existieren hauptsächlich kleine Gewächse, die wir Wasserstehler nennen, weil sie sich gegenseitig das Wasser entziehen und geringe Taumengen aufnehmen. Einige Teile der Wüste wimmeln beinahe vor Leben. Aber alles hat gelernt, sich den Lebensbedingungen hier anzupassen. Wenn Sie dort unten überleben müßten, würden Sie sich anpassen müssen oder sterben.«

»Sie meinen, ich müßte einem anderen Wasser stehlen?« fragte Paul schockiert. Man hörte deutlich das Entsetzen in seinen Worten.

»Obwohl das gelegentlich auch vorkommt«, sagte Kynes, »habe ich das eigentlich nicht gemeint. Sie müssen daran denken, daß mein Klima ein besonderes Verhältnis gegenüber dem Wasser erfordert. Man denkt ständig an Wasser, immerzu. Man verschwendet nichts, das Flüssigkeit enthält.«

Und der Herzog dachte: »… mein Klima!«

»Fliegen Sie zwei Grad südlicher, Mylord«, sagte Kynes. »Vom Westen her wird ein Wind aufkommen.«

Der Herzog nickte. Auch er hatte die kleine Staubwolke bereits ausgemacht und änderte den Kurs in der angegebenen Richtung. Die Art, in der die Schwingen der Begleiteskorte das Licht reflektierten, wirkte beruhigend auf ihn.

»Das müßte ausreichen, um an dem Sturm vorbeizukommen«, meinte Kynes.

»Es muß gefährlich sein, direkt in den Sand hineinzufliegen«, ließ sich nun Paul vernehmen. »Stimmt es wirklich, daß er das stärkste Metall zerfetzen kann?«

»Auf diesem Breitengrad ist es weniger Sand als Staub«, erklärte Kynes. »Und die Gefahr liegt mehr darin, daß es einem die Sicht nimmt und Turbulenzen aussetzt.«

»Sehen wir heute tatsächlich, wie das Gewürz abgebaut wird?« fragte Paul.

»Höchstwahrscheinlich«, erwiderte Kynes.

Paul lehnte sich zurück. Er hatte sein möglichstes getan und die Fragen genau auf die Art gestellt, die seine Mutter ›eine Person aufnehmen‹ nannte. Eine unnatürliche Wölbung des linken Ärmels von Kynes' Robe deutete darauf hin, daß er darunter eine Messerscheide verborgen hielt. Auch seine Hüften waren unnatürlich dick. Er hatte davon gehört, daß die Wüstenmänner besonders breite Schärpen trugen, in denen sie wichtige Kleinigkeiten aufbewahrten. Möglicherweise wurden die Wölbungen von solch einer Schärpe hervorgerufen. Daß Kynes einen Schildgurt trug, hielt Paul für unwahrscheinlich. Eine Kupfernadel, in die das Abbild eines Hasen graviert war, hielt Kynes' Robe am Nacken zusammen. Ein ebensolches Abbild befand sich auf seiner Kapuze, die Kynes zurückgeschlagen hatte und nun auf seinen Schultern hing.

Halleck bewegte sich auf dem Sitz neben Paul, langte mit dem Arm nach hinten und brachte sein Baliset zum Vorschein. Als er das Instrument zu stimmen begann, wandte sich Kynes kurz um, aber er richtete seine Aufmerksamkeit gleich wieder auf die Flugroute.

»Was würden Sie gerne hören, junger Herr?« fragte Halleck.

»Du entscheidest diesmal, Gurney«, gab Paul zurück.

Halleck beugte sein Ohr nahe an den Klangkörper heran, schlug einen Akkord und sang mit weicher Stimme:

»Unsere Väter aßen Manna in der Wüste,

unter der brennenden Sonne, durch die Wirbelstürme zogen.

Oh, Herr, errette uns aus diesem Schreckensland!

Errette uns … oh-h-h-h, errette uns,

aus diesem trockenen und durstigen Land.«

Kynes sah den Herzog an und sagte: »Sie verfügen wirklich über eine bemerkenswerte Garde, Mylord. Sind alle Ihre Männer derart talentiert?«

»Gurney?« Der Herzog grinste. »Gurney ist nur einer von vielen. Ich schätze ihn besonders wegen seiner Augen, denen so gut wie nichts entgeht.«

Der Planetologe runzelte die Stirn.

Ohne die geringste Unterbrechung sang Gurney Halleck weiter:

»Ich bin wie die Eule in der Wüste, oh!

Aiyah!

Bin wie die Eule in der Wüste!«

Der Herzog langte nach unten und förderte ein Mikrofon zutage, das er mit dem Daumen aktivierte. »Führer an Eskorte Gamma. Fliegendes Objekt in Sektor B. Können Sie es identifizieren?«

»Es ist nur ein Vogel«, sagte Kynes dazwischen. »Aber Sie haben scharfe Augen.«

Der Lautsprecher in der Armaturenbank knackte, dann sagte eine Stimme: »Eskorte Gamma spricht. Das Objekt wurde als großer Vogel identifiziert.«

Paul schaute in die angegebene Richtung und sah einen entfernten Punkt. Ihm fiel auf, unter welcher Konzentration sein Vater stehen mußte. Alle seine Sinne mußten unter Hochspannung stehen.

»Ich habe gar nicht gewußt, daß es in der Wüste derart große Vögel gibt«, sagte der Herzog.

»Es könnte ein Adler sein«, vermutete Kynes. »Viele Geschöpfe haben sich diesem Planeten angepaßt.«

Der Ornithopter flog nun über eine reine Sandfläche dahin. Aus zweitausend Meter Höhe schaute Paul hinab und erkannte auf dem Boden nichts anderes als den Schatten ihrer Maschine und die der Eskorte. Von diesem Blickwinkel sah das Land flach aus, aber die verzerrten Schatten bewiesen das Gegenteil.

»Ist es schon einmal jemandem gelungen, zu Fuß aus der Wüste zu entkommen?« fragte der Herzog interessiert.

Hallecks Musik verstummte. Er lehnte sich vor, um die Antwort mitzubekommen.

»Nicht aus der tiefen Wüste«, gab Kynes zurück. »Aus der zweiten Zone schon eher. Aber sie überlebten nur, weil sie sich an die felsigen Landstriche hielten, in die die Würmer so gut wie nie gelangen.«

Das Timbre von Kynes' Stimme erweckte Pauls Interesse. Aufmerksam hörte er dem Mann zu. Er merkte, daß sich seine Sinne ganz auf ihn einstellten.

»Aha, die Würmer«, bemerkte der Herzog. »Das erinnert mich daran, daß ich mir vorgenommen habe, mir bald einen anzusehen.«

»Das werden Sie schon noch«, erwiderte Kynes. »Dort, wo Gewürz ist, sind auch Würmer.«

»Immer?« fragte Halleck.

»Immer.«

»Gibt es irgendwelche Beziehungen zwischen den Würmern und dem Gewürz?« fragte der Herzog.

Als Kynes sich zu ihm umwandte, nahm Paul ein leichtes Zögern wahr. »Sie verteidigen den Gewürzsand. Jeder Wurm hat ein bestimmtes … Territorium. Und was das Gewürz betrifft … wer weiß? Einzelne Würmer, die wir untersucht haben, ließen den Schluß zu, daß in ihren Körpern komplizierte chemische Umsetzungen vor sich gingen. Wir haben Salzsäure im Verdauungstrakt und komplizierte Säureformen in ihnen entdeckt. Ich werde Ihnen ein Exemplar meiner Monographie, die ich zu diesem Thema geschrieben habe, überlassen.«

»Und ein Schild bietet keine Verteidigungsmöglichkeit?« Das Thema ließ den Herzog offenbar nicht los.

»Schilde!« stieß Kynes verächtlich hervor. »Wenn Sie einen Schild in einem Wurmgebiet aktivieren, können Sie mit dem Leben abschließen. Die Würmer ignorieren in solchen Fällen sogar ihre eigenen Territoriumsbegrenzungen und kommen von überallher, um den Schild anzugreifen. Niemand, der je einen Schild getragen hat, hat einen solchen Angriff überlebt.«

»Aber wie erlegt man sie denn?«

»Indem man jedes einzelne Ringsegment einem elektrischen Schock aussetzt«, erklärte Kynes. »Man kann sie mit Explosivstoffen lähmen, aber jedes einzelne ihrer Ringsegmente ist dennoch in der Lage, allein weiterzuleben. Mit der Ausnahme von nuklearen Sprengsätzen wüßte ich nichts, das einen Wurm völlig zerstören kann. Sie sind unglaublich zäh.«

»Warum hat noch niemand versucht, sie auszurotten?« fragte Paul.

»Weil es zu teuer ist«, sagte Kynes. »Und das Land einfach zu groß ist, um es ständig bewachen zu lassen.«

Paul schmiegte sich in eine Ecke. Sein Wahrheitssinn, der in der Lage war, feine Nuancierungen in bezug auf Sprache und Ausdruck wahrzunehmen, sagte ihm, daß Kynes log und ihnen Halbwahrheiten erzählte. Und er dachte: Wenn es überhaupt einen Zusammenhang zwischen den Würmern und dem Gewürz gibt, dann diesen: Wenn man die Würmer tötet, vernichtet man auch das Gewürz.

»In Zukunft wird es niemand mehr nötig haben, sich zu Fuß durch die Wüste zu schlagen«, erklärte der Herzog und deutete auf den Notrufsender an seinem Hals. »Ein Knopfdruck genügt, und die Rettungsmannschaft ist bereits unterwegs. Es wird nicht mehr lange dauern und alle unsere Arbeiter werden diesen Sender tragen. Wir werden einen speziellen Rettungsdienst aufbauen.«



»Das ist sehr lobenswert«, sagte Kynes.

»Und doch sagt ihr Tonfall, daß Sie nicht viel davon halten«, stellte der Herzog fest.

»Natürlich halte ich etwas davon«, sagte Kynes. »Aber ich frage mich, ob diese Einrichtung viel Sinn hat. Die statische Elektrizität der Sandstürme wird viele Signale verzerren. Die Sender werden Kurzschlüssen unterliegen. Sie sind nicht der erste, der das versucht, wissen Sie. Auf Arrakis hält sich das meiste Ausrüstungsmaterial nicht lange. Und wenn Ihnen ein Wurm einmal auf den Fersen ist, hat man nicht mehr sehr viel Zeit. Ich schätze, nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten.«

»Was würden Sie vorschlagen?« fragte der Herzog.

»Sie bitten mich um einen Vorschlag?«

»Um Ihren Rat als Planetologe, ja.«

»Und Sie würden meinen Vorschlägen auch folgen?«

»Wenn ich in ihnen einen Sinn entdecke, sicher.«

»Das gefällt mir, Mylord. Reisen Sie nie allein!«

Der Herzog sah von den Kontrollen auf. »Ist das alles?«

»Das ist alles. Reisen Sie nie allein.«

»Was geschieht, wenn man durch einen Sturm verschlagen wird und gezwungen ist, notzulanden?« fragte Halleck interessiert. »Kann man da nicht irgendwas machen?«

»Irgendwas ist ein reichlich weitschweifiger Begriff«, erwiderte Kynes.

»Aber was würden Sie tun?« fragte Paul.

Kynes warf Paul einen kalten Blick zu und schaute dann wieder den Herzog an. »Als erstes würde ich nachkontrollieren, ob mein Destillanzug funktioniert. Wenn ich außerhalb der Wurmzone wäre oder im Felsengebiet, würde ich in meiner Maschine bleiben. In dem Fall, daß ich mich im offenen Sand befinde, würde ich von der Maschine so schnell weggehen, wie ich könnte. Tausend Meter würden da schon reichen. Dann würde ich mich unter meiner Robe verstecken. Ein Wurm würde zwar das Schiff finden, aber vielleicht nicht mich.«

»Und dann?« fragte Halleck.

Kynes zuckte die Achseln. »Würde ich warten, bis der Wurm wieder verschwindet.«

»Und das ist alles?« wollte Paul wissen.

»Wenn der Wurm wieder fort ist, macht man sich auf den Weg«, fuhr Kynes fort. »Man sollte sich dabei so verhalten, daß man keinen großen Lärm erzeugt, Ebenen meidet und alle Stellen umgeht, wo Trommelsand liegt, hinein in die nächste Felszone. Davon existieren eine ganze Menge. Man könnte es schaffen.«

»Trommelsand?« fragte Paul.

»Eine sehr kompakte Sandschicht«, erklärte Kynes. »Da hört sich der leiseste Schritt wie ein Trommeln an. Und Würmer wissen, daß sich darauf etwas bewegt.«

Halleck lehnte sich zurück und setzte die Stimmversuche an seinem Baliset fort. Plötzlich begann er zu singen:

»Die wilden Tiere der Wüste jagen,

und warten auf den Narr'n,

Oh-h-h-, versuche nicht die Wüstengötter,

sonst ist dein Nachruf schnell gemacht. Gefahren lauern …«

Er brach ab und beugte sich nach vorn. »Staubwolke voraus, Sire.«

»Ich sehe sie, Gurney.«

»Genau das suchen wir«, sagte Kynes.

Paul richtete sich aus seinem Sitz auf, um zu sehen, weswegen sie gekommen waren. Dreißig Kilometer von ihnen entfernt, bewegte sich eine riesige gelbe Wolke über dem Wüstenboden dahin.

»Das ist eine Ihrer Erntefabriken«, erklärte Kynes. »Sie bewegt sich über die Oberfläche dahin, weil dort das Gewürz ist. Die Wolke, die Sie sehen können, besteht aus dem Sand, den die Fabrik einsaugt und der nach oben ausgeblasen wird, nachdem man ihn vom Gewürz getrennt hat. Dies geht in großen Zentrifugen vor sich. Es gibt keine Wolke, die dieser ähnlich sieht auf Arrakis.«

»Flugzeuge schweben darüber«, stellte der Herzog fest.

»Ich sehe drei, vier Späher«, sagte Kynes. »Sie halten nach Wurmzeichen Ausschau.«

»Wurmzeichen?« fragte der Herzog.

»Eine Sandwelle, die sich auf den Kriecher zubewegt. Außerdem werden seismographische Tests vorgenommen. Manchmal kommt es nämlich vor, daß die Würmer sich so tief unter der Oberfläche fortbewegen, daß sie gar keine sichtbare Sandwelle erzeugen.« Kynes sah auf den Himmel hinaus. »An sich sollte sich hier ein Carryall aufhalten, aber ich sehe keinen.«

»Und der Wurm kommt immer, wie?« fragte Halleck.

»Immer.«

Paul beugte sich vor und berührte Kynes' Schulter. »Wie groß ist so ein Gebiet, das ein Wurm für sich beansprucht?«

Kynes runzelte die Stirn. Das Kind stellte ihm Fragen, die er von Kindern nicht erwartet hatte.

»Das hängt von der Größe des Wurmes ab.«

»Und das äußert sich wie?« fragte der Herzog.

»Große Würmer kontrollieren vielleicht drei- oder vierhundert Quadratkilometer. Kleinere …« Als der Herzog eine scharfe Rechtskurve einlegte, brach er ab. Die Maschine bockte, beruhigte sich jedoch gleich wieder. Die Schwingen blähten sich auf und füllten sich mit Luft. Sanft glitten sie dahin, während der Herzog nach Osten deutete.

»Ist das ein Wurmzeichen?«

Kynes sah in die angegebene Richtung.

Paul und Halleck prallten beinahe zusammen, als sie sich gleichzeitig vorbeugten, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Die Eskorte, die zunächst an ihnen vorbeigeflogen war, zog eine Schleife und kehrte zurück. Die Erntefabrik lag nun genau vor ihnen, etwa drei Kilometer entfernt.

In der Richtung des ausgestreckten Zeigefingers des Herzogs konnte man eine schnurgerade Linie erkennen, deren Spitze sich langsam durch die Dünenlandschaft bewegte. Die sich vorwärtsbewegende Sandwelle erinnerte Paul an aufkräuselndes Wasser, das entstand, wenn sich ein großer Fisch dicht unter der Oberfläche eines Gewässers bewegte.

»Ein Wurm«, bestätigte Kynes. »Und ein ziemlich großer.« Er lehnte sich zurück, nahm das Mikrofon vom Armaturenbrett und stellte es auf eine neue Frequenz ein. Während er auf die vor ihnen hängende Karte blickte, sagte er laut: »Fabrik bei Delta Ajax Neun. Wurmzeichenwarnung! Fabrik bei Delta Ajax Neun. Wurmzeichenwarnung! Bestätigen Sie bitte.« Er wartete.

Aus dem Lautsprecher erklang das Krachen statischer Entladungen, dann erwiderte eine Stimme: »Wer ruft Delta Ajax Neun? Bitte kommen.«

»Die Leute da unten scheinen mir ziemlich kaltblütig zu sein«, stellte Halleck fest.

Kynes sagte in das Mikrofon: »Außerplanmäßiger Flug. Drei Kilometer nordöstlich von Ihnen. Wurmzeichen auf Kollisionskurs, geschätztes Zusammentreffen fünfundzwanzig Minuten.«

Eine andere Stimme aus dem Lautsprecher brummte: »Hier ist das Spähkommando. Wurmzeichen entdeckt. Bitte auf Zeitüberprüfung warten.« Nach einer kurzen Pause fuhr die Stimme fort: »Kollision in sechsundzwanzig Minuten. Das war eine verdammt gute Schätzung. Wer befindet sich an Bord des außerplanmäßigen Fluges? Bitte kommen.«

Halleck löste seinen Sicherheitsgurt und zwängte sich zwischen die Vordersitze zwischen dem Herzog und Kynes. »Ist dies die reguläre Arbeitsfrequenz, Kynes?«

»Ja. Warum fragen Sie?«

»Wer hört uns zu?«

»Nur die Arbeitsgruppe dieses Gebietes. Die Reichweite ist ziemlich begrenzt.«

Erneut erwachte der Lautsprecher zum Leben. Der Mann am anderen Ende der Verbindung meldete sich: »Hier spricht Ajax Delta Neun. Wer bekommt den Bonus für die Warnung? Bitte kommen.«

Halleck warf dem Herzog einen Blick zu.

Kynes sagte: »Es ist üblich, demjenigen, der zuerst eine Warnung abgibt, einen Bonus zu zahlen. Sie möchten wissen, wem …«

»Dann sagen Sie ihm, wer den Wurm zuerst gesehen hat«, meinte Halleck.

Der Herzog nickte.

Kynes zögerte zunächst, dann griff er doch wieder zum Mikrofon. »Der Bonus geht an Herzog Leto Atreides. Herzog Leto Atreides. Bitte kommen.«

Die Antwort klang dünn und war von zahlreichen Störgeräuschen überlagert. »Wir haben verstanden und danken Ihnen.«

»Sagen Sie den Leuten, sie sollen den Bonus unter sich selbst aufteilen«, ordnete Halleck an. »Der Herzog wünscht es so.«

Kynes nahm einen tiefen Atemzug und fügte hinzu: »Der Herzog möchte, daß der Bonus unter Ihrer Mannschaft verteilt wird. Haben Sie verstanden? Bitte kommen.«

»Verstanden und vielen Dank«, erwiderte der Sprecher der Erntefabrik.

Der Herzog meinte schmunzelnd: »Ich habe völlig vergessen zu erwähnen, daß Gurney ein ziemliches Talent auf dem Gebiet Public Relations ist.«

Kynes musterte Halleck mit einem verblüfften Augenaufschlag.

»Die Männer sollen erfahren, daß der Herzog sich ihretwegen Sorgen macht«, erklärte Halleck. »Das wird sich herumsprechen. Da wir es über eine Arbeitsfrequenz gemacht haben, besteht keine große Möglichkeit, daß irgendwelche Spitzel der Harkonnens zugehört haben!« Er deutete auf die Begleiteskorte. »Wir haben ein gutes Beispiel unserer Fähigkeiten abgegeben.«

Der Herzog steuerte nun die Sandwolke über der Erntefabrik an. »Und was geschieht jetzt?«

»Ein Carryall-Geschwader befindet sich in der Nähe«, erwiderte Kynes. »Es wird gleich kommen und die Fabrik vom Boden aufnehmen.«

»Was würde passieren, wenn der Carryall nicht richtig funktioniert?« warf Halleck ein.

Der Planetologe sagte trocken: »Das kommt hin und wieder vor. Aber gehen Sie doch noch ein wenig näher heran, Mylord. Es dürfte ziemlich interessant für Sie werden.«

Paul schaute nach unten und sah, wie der Sand in großen Wolken aus dem Bauch der monströsen Erntemaschine hinausgespien wurde. Die an den Auslegern befestigten Raupenketten erinnerten ihn an die Beine eines exotischen Käfers. Große Trichter an der Stirnseite des Kriechers saugten den Wüstensand in sich hinein und führten ihn großen Zentrifugen zu.

»Die Farbe deutet auf ein gutes Abbaugebiet hin«, erklärte Kynes. »Die Männer werden bis zur letzten Minute weiterarbeiten.«

Der Herzog führte den Schwingen etwas mehr Energie zu und setzte zu einem Gleitflug über den Kriecher an. Die Reflexion der Schwingen zeigte, daß die Maschine auf einem ebenen Kurs lag.

Paul musterte die Sandfontäne, die aus dem schornsteinähnlichen Instrument auf der Oberseite der Fabrik flog. Dann wandte er sich wieder der langsam näherkommenden Sandwelle zu, unter der sich der Wurm näherte.

»Müßten wir nicht jetzt schon die Funksprüche der Leute in dem Carryall hören?« fragte Halleck besorgt.

»Sie unterhalten sich auf einer anderen Frequenz«, informierte Kynes ihn.

»Wäre es nicht besser, man hielte in der Nähe einer jeden Fabrik zwei Carryalls bereit?« fragte der Herzog. »Immerhin befinden sich auf der Maschine da unten sechsundzwanzig Männer. Von der Ausrüstung gar nicht zu reden.«

Kynes erwiderte: »Sie haben nicht genug Erfah…«

Er brach plötzlich ab, als eine nervöse Stimme aus dem Lautsprecher sagte: »Sieht jemand von euch den Carryall? Er antwortet nicht!«

Ein Stimmengewirr kam aus dem Lautsprecher, gefolgt von einer plötzlichen Stille. Dann sagte der Mann aus der Fabrik: »Späher der Reihe nach melden. Kommen!«

»Hier Spähkommando. Leitung. Wir haben den Carryall zuletzt in nordwestlicher Richtung ausgemacht. Er flog ziemlich hoch. Momentan ist er nicht mehr zu sehen. Kommen!«

»Späher eins meldet: negativ. Kommen.«

»Späher zwei meldet: negativ. Kommen.«

»Späher drei meldet: negativ. Ende.«

Stille.

Der Herzog schaute nach unten. Der Schatten seiner eigenen Maschine glitt soeben über der Oberfläche der Erntefabrik dahin. »Es sind also vier Spähflugzeuge, nicht wahr?«

»Genau«, erwiderte Kynes.

»Wir sind zu fünft«, fuhr der Herzog fort. »Und unsere Maschinen sind größer als die Spähflugzeuge. Wir könnten in jeder Maschine drei Mann zusätzlich aufnehmen. Die Späher könnten zwei Mann unterbringen.«

Paul, der im Kopf sofort mitrechnete, sagte: »Das bedeutet, daß drei Mann übrigbleiben.«

»Warum, zum Teufel, stattet man nicht jeden Kriecher mit zwei Carryalls aus?« fluchte der Herzog.

»Weil ihre Ausrüstung begrenzt ist«, sagte Kynes.

»Gerade deshalb sollten wir noch stärker auf sie achtgeben.«

»Wo könnte die Maschine nur abgeblieben sein?« ließ sich Halleck vernehmen.

»Möglicherweise ist sie irgendwo notgelandet«, vermutete Kynes.

Der Herzog nahm erneut das Mikrofon an sich, zögerte jedoch, es einzuschalten. »Wie ist es nur möglich, daß die Späher sie aus der Sicht verloren haben?«

»Möglicherweise hat sie das Wurmzeichen zu stark in Anspruch genommen«, meinte Kynes.

Der Herzog betätigte den Aktivator und sprach in das Mikrofon: »Hier spricht der Herzog. Wir gehen hinunter und nehmen die Mannschaft von Delta Ajax Neun auf. Alle Späher werden angewiesen, das gleiche zu tun und auf der Ostseite der Fabrik zu landen. Die Eskorte geht westlich hinunter. Ende.« Er legte das Mikrofon beiseite. Kynes nahm es an sich. Er schaltete erneut die Arbeitsfrequenz ein, aber ehe er dazu kam, etwas zu sagen, brüllte eine Stimme aus dem Lautsprecher: »Aber wir haben eine volle Ladung! Eine volle Ladung, verstehen Sie? Wir können doch wegen eines einzigen verdammten Wurmes nicht den Ernter verlassen! Bitte kommen!«

»Scheißt auf das Gewürz!« brüllte der Herzog zurück. Er riß Kynes das Mikrofon aus der Hand und sagte: »Das Gewürz ist nicht unersetzlich! Wir haben Platz für alle, außer drei Personen. Lost unter euch aus, wer die Fabrik verläßt oder trefft eure eigene Entscheidung. Aber ihr werdet die Maschine verlassen, das ist ein Befehl!« Er gab Kynes das Mikrofon zurück und murmelte: »Verzeihen Sie.«

»Wieviel Zeit haben wir noch?« fragte Paul.

»Neun Minuten«, sagte Kynes.

Der Herzog meinte:

»Unsere Maschine ist stärker als die anderen. Wenn wir vorsichtig zu Werke gehen, könnten wir sogar noch einen weiteren Mann aufnehmen.«

»Der Sand ist sehr weich hier«, bemerkte Kynes.

»Wenn wir noch zusätzlich vier Männer aufnehmen, könnten die Schwingen brechen, Sire«, warf Halleck ein.

»Ach was, nicht bei dieser Maschine.« Der Herzog konzentrierte sich voll auf die Kontrollen und setzte neben der Fabrik zur Landung an. Die Schwingen bewegten sich sanft. Der Thopter landete knapp zwanzig Meter von der Erntefabrik entfernt.

Der Kriecher lag nun völlig still, und es wurde auch kein Sand mehr aus ihm herausgeschleudert. Ein feines, kaum hörbares Summen ging von ihm aus, das sich verstärkte, als der Herzog die Kanzeltür öffnete.

Sofort registrierten ihre Nasen den Zimtgeruch, der sich schwer auf ihre Lungen legte.

Mit klatschenden Schwingen setzte auf der anderen Seite der erste Späher auf. Die Eskorte senkte sich in einer Linie hinter der Maschine des Herzogs dem Boden entgegen.

Paul, der die Fabrik jetzt zum erstenmal aus unmittelbarer Nähe sah, stellte fest, wie klein die Maschinen ihr gegenüber waren. Wie winzige Insekten neben einem urweltlichen Dinosaurier.

»Gurney, du wirfst zusammen mit Paul die Rücksitze hinaus«, ordnete der Herzog an. Er stellte die Schwingen des Thopters auf einem bestimmten Winkel ein und überprüfte die Kontrollen. »Warum, zum Henker, kommen die Leute nicht endlich aus der Maschine heraus?«

»Sie rechnen doch noch damit, daß der Carryall in letzter Minute eintrifft«, vermutete Kynes. »Und einige Minuten Zeit haben sie ja noch.« Er schaute nach Osten.

Sie sahen nun alle in die Richtung, aus der sich der Wurm auf sie zubewegte. Von der Stelle aus, an der sie sich befanden, war natürlich nichts zu sehen, aber das beruhigte freilich niemanden.

Der Herzog nahm das Mikrofon, stellte die Frequenz seiner Eskorte ein und sagte: »Zwei von euch schalten sofort ihre Schildgeneratoren aus. Nacheinander. Ihr könnt dann jeweils einen weiteren Mann aufnehmen. Ich bin nicht bereit, wegen dieses Ungeheuers auch nur einen einzigen Menschen hier zurückzulassen.« Er ging auf die Arbeitsfrequenz zurück und schrie: »Hört zu, ihr Burschen von Delta Ajax Neun! Ihr kommt jetzt auf der Stelle raus! Das ist ein herzoglicher Befehl! Befolgt ihn sofort, oder ich lasse die ganze Fabrik mit einer Lasgun auseinanderschneiden!«

Eine Luke öffnete sich an der Spitze der Fabrik, dann eine weitere in der Heckgegend — schließlich sogar eine auf der Oberseite. Die Männer sprangen heraus, landeten im Sand. Ein großer Arbeiter erschien als letzter. Er sprang zuerst auf die Raupenkette, dann zum Boden hinunter.

Der Herzog placierte das Mikrofon wieder auf dem Kontrollbord, streckte den Kopf aus der Maschine und donnerte: »Zwei von euch in jeweils einen Späher!«

Der große Arbeiter begann die Leute einzuweisen und schob sie in die Richtungen, in denen die kleineren Maschinen warteten.

»Vier Mann zu uns herüber!« brüllte der Herzog. »Aber ein bißchen plötzlich!« Er deutete mit dem Zeigefinger auf einen der direkt hinter seiner Maschine placierten Eskortenthopter, deren Besatzung eben dabei war, den Schildgenerator über Bord zu werfen. »Vier Mann dort hinüber!« Auch die anderen waren nun soweit, um die Leute aufnehmen zu können. »In jede andere Maschine drei Männer! Lauft, ihr verdammten Sandflöhe, lauft!«

Der große Mann, der jetzt fertig mit der Abzählung seiner Leute zu sein schien, rannte auf die Maschine des Herzogs zu. Drei seiner Leute folgten ihm auf dem Fuße.

»Ich höre den Wurm, aber ich kann ihn nicht sehen«, sagte Kynes.

Auch die anderen hörten jetzt die Geräusche: ein unterirdisches Rumpeln, daß die Erde erbeben ließ. Es wurde von Sekunde zu Sekunde lauter.

»Eine elende Schlamperei«, knurrte der Herzog.

Der Sand in ihrer unmittelbaren Umgebung begann sich leise zu bewegen. Die ganze Situation erinnerte den Herzog an ein Erlebnis, das er einst in den Dschungeln seines Heimatplaneten gehabt hatte: beim Auftauchen seiner Jagdgesellschaft hatte sich ein Geschwader von Aasfresservögeln verschreckt vom Kadaver eines toten Ochsen gelöst und aufgeflattert.

Die Gewürzarbeiter kletterten nun in die Maschine herein. Halleck reichte ihnen nacheinander die Hände, zog sie herauf und schob sie in eine Ecke.

»Rein, Jungs, rein!« keuchte er. »Aber ein bißchen dalli!«

Paul, der sich plötzlich zwischen schwitzenden Männern eingeklemmt fand, roch ihren Angstschweiß und stellte fest, daß zwei der Männer falsch eingestellte Nackenverschlüsse trugen. Automatisch speicherte er diese Information in seinem Gedächtnis. Er würde seinen Vater später darauf hinweisen müssen, daß es unerläßlich war, Anzugkontrollen durchzuführen. Es war kein Wunder, daß die Männer ihre Kleidung verkommen ließen, wenn niemand darauf achtete.

Der letzte, der einstieg, rief: »Der Wurm! Er ist schon da! Starten Sie!«

Der Herzog lehnte sich in seinen Sitz zurück und sagte: »Wir haben noch drei Minuten bis zur Kollision, stimmt's, Kynes?« Er schloß die Luke und prüfte nach, ob das Schloß eingeschnappt war.

»In der Tat, Mylord«, gab Kynes zurück und dachte: Er behält einen kühlen Kopf, dieser Herzog.

»Alles klar hier hinten, Sire«, meldete Halleck.

Der Herzog nickte und wartete, bis die letzte Begleitmaschine gestartet war. Dann stellte er die Zündung ein, warf einen kühlen Blick über die Schwingen und Instrumente und ließ die Motoren aufheulen. Die Startgeschwindigkeit führte dazu, daß der Herzog und Kynes tief in die Sitze gepreßt wurden. Die Leute im hinteren Teil des Thopters klammerten sich aneinander. Kynes musterte aus den Augenwinkeln, wie der Herzog die Kontrollen bediente. Er schien die Ruhe selber zu sein. Die Maschine zog hoch. Die Finger des Herzogs bedienten mechanisch die Instrumente.

»Wir sind zu schwer, Sire«, sagte Halleck besorgt.

»Aber gerade noch tolerabel für die Maschinen, Gurney. Wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre … Glaubst du, ich hätte das Risiko dann auf mich genommen?«

Halleck grinste. »Nicht im geringsten, Sire.«

Der Herzog steuerte die Maschine in eine lange Kurve und überflog die Erntefabrik. Paul, der genau an einem Fenster stand, sah auf sie hinunter. Reglos lag die Maschine auf dem Sand. In einer Entfernung von etwa vierhundert Metern davor befand sich das Wurmzeichen. Dann schien der Sand vor der Maschine plötzlich in Bewegung zu geraten.

»Der Wurm ist jetzt genau unter ihr«, gab Kynes bekannt. »Sie werden nun Zeuge eines Geschehnisses werden, das vor Ihnen nur wenige Menschen gesehen haben.«

Dunkle Schatten schienen plötzlich auf der Sandfläche zu liegen. Die große Maschine senkte sich nach rechts wo nun ein Wirbel entstand, der sich rasch ausbreitete, schneller und schneller. Der Sand ringsherum wirbelte auf, die Luft war stauberfüllt.

Und dann sahen sie es! Eine gigantische Öffnung bildete sich inmitten der Wüste. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf etwas Weißem, das sich darin befand. Schließlich war das Loch zweimal so groß wie der Kriecher. Paul sah starr vor Schreck zu, wie die Maschine in das Loch hineinrutschte und darin verschwand. Dann begann die Öffnung sich wieder zu schließen.

»Ihr Götter, welch ein Biest!« murmelte ein Mann neben Paul.

»Und unsere ganze Ladung ist hin«, grollte ein anderer.

»Irgend jemand wird dafür zu bezahlen haben«, sagte der Herzog, »das verspreche ich euch.«

Die Stimme des Herzogs hatte Paul deutlich gezeigt, daß sein Vater wütend war. Er stellte fest, daß er selbst nicht anders empfand. Irgend jemand hatte in beinahe krimineller Weise Material und Ladung vergeudet.

In der folgenden Stille hörten sie Kynes sagen: »Gesegnet sei der Bringer und sein Wasser. Man segne seine Ankunft und sein Gehen. Sein Besuch möge die Welt reinigen und die Welt erhalten für sein Volk.«

»Was haben Sie gesagt?« fragte der Herzog.

Aber Kynes antwortete nicht.

Paul sah sich die ihn umgebenden Männer an die furchtsam auf Kynes' Hinterkopf schauten. Dann flüsterte einer von ihnen: »Liet.«

Kynes drehte sich um. Er schien wütend zu sein. Der Mann zuckte zusammen.

Einer der anderen Geretteten begann mit rauher Stimme zu keuchen: »Verflucht sei das Höllenloch!«

Der große Dünenmann, der den Kriecher als letzter verlassen hatte, sagte: »Sei ruhig, Coss. Und überlege, ehe du fluchst.« Er blieb zwischen seinen Kollegen stehen, bis sich ihm eine Möglichkeit bot, den Herzog zu sehen. »Sie sind Herzog Leto, vermute ich«, sagte er dann. »Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, daß Sie uns das Leben gerettet haben. Wir hatten bereits damit abgeschlossen.«

»Still, Mann«, sagte Halleck. »Lassen Sie den Herzog seine Maschine fliegen.«

Paul sah Halleck an. Er hatte ebenfalls gesehen, unter welch starker Anspannung sein Vater stand. Und wenn der Herzog unter einem Druck stand, schwieg man besser.

Der Herzog beschrieb eine weite Kurve um den Sandkrater, weil er unter sich eine neue Bewegung gesichtet hatte. Der Wurm hatte sich in die Tiefe zurückgezogen, und dort, wo sich zuvor die Fabrik befunden hatte, konnte man zwei Gestalten erkennen, die sich in nördlicher Richtung entfernten. Sie schienen förmlich über den Sand zu gleiten, ohne ihn dabei aufzuwirbeln.

»Was ist das, da unten?« fragte der Herzog.

»Zwei Johnnies, die wir bei uns hatten, Sire«, erwiderte der große Dünenmann.

»Weshalb habe ich von ihnen nichts erfahren?«

»Es war ihr eigenes Risiko, Sire«, gab der Dünenmann zurück.

»Diese Männer, Mylord«, sagte Kynes plötzlich, »wissen genau, daß es wenig Zweck hat, sich den Kopf über Leute zu zerbrechen, die vorhaben, die Wüste zu Fuß zu durchqueren und die dabei in eine Wurmzone vorstoßen.«

»Wir schicken ihnen eine Maschine«, knirschte der Herzog.

»Wie Sie wünschen, Mylord«, sagte Kynes. »Aber wenn sie hier eintrifft, wird es nichts mehr zu retten geben.«

»Wir schicken sie trotzdem.«

»Sie müssen in unmittelbarer Nähe gewesen sein, als der Wurm zuschlug«, warf Paul ein. »Wie haben sie es geschafft, doch noch davonzukommen?«

»Wenn der Erdrutsch einsetzt, führt das leicht zu optischen Täuschungen«, beschwichtigte ihn Kynes.

»Sie verschwenden nur Brennstoff, wenn Sie noch länger hier kreisen, Sir«, meinte Halleck.

»Verstanden, Gurney.«

Der Herzog nahm Kurs auf den Schildwall. Die Eskorte schloß sich ihm an und nahm Position zu seiner Rechten und Linken.

Paul dachte darüber nach, was der Dünenmann und Kynes gesagt hatten. Irgendwie roch das alles nach Halbwahrheiten und Lügen. Die Männer dort unten im Sand hatten sich so sicher über die Oberfläche bewegt, als fürchteten sie nichts, als seien sie völlig sicher, daß der Wurm ihnen nichts anhaben konnte.

Fremen! dachte er. Wer sonst kann sich mit einer solchen Sicherheit in der offenen Wüste bewegen? Wer konnte sich, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dazu bereitfinden, sie einfach in der Wüste zurückzulassen? Doch nur jemand, der wußte, daß ihnen dort keine Gefahren drohten! Die Fremen wissen genau, wie man in der Wüste überlebt. Das bedeutet, daß sie auch wissen, wie man einem Wurm entwischt.

»Was haben diese Fremen auf dem Kriecher gemacht?« wollte er wissen.

Kynes fuhr herum.

Der große Dünenmann starrte Paul verblüfft an. Seine Augen waren von völligem Blau. »Wer ist dieser junge Mann?« fragte er.

Halleck schob sich zwischen den Mann und Paul und erwiderte: »Dies ist Paul Atreides, der herzogliche Erbe.«

»Wer hat denn gesagt, daß Fremen an Bord unseres Kriechers waren?« fragte der Mann.

»Ich habe es vermutet«, gab Paul zurück.

Kynes schnaufte. »Fremen kann man nicht daran erkennen, wenn man ihnen nur einen Blick zuwirft.« Er nickte dem Dünenmann zu. »Du! Wer waren diese Männer?«

»Freunde von irgend jemandem«, erwiderte der Arbeiter. »Bekannte aus einem Dorf, die sich mal im Gewürzabbaugebiet umsehen wollten.«

Kynes wandte sich ab. »Fremen!«

Und er erinnerte sich an die Worte der Legende: »Und der Lisan al-Gaib wird jedwede Täuschung sofort durchschauen.«

»Vielleicht sind sie jetzt schon tot«, sagte der Dünenmann zu Paul. »Wir wollen nicht schlecht über sie reden.«

Aber die Falschheit in diesen Worten blieb Paul keinesfalls verborgen, ebensowenig wie die unterschwellige Drohung, die in Halleck sofort den Beschützerinstinkt erweckt hatte.

Trocken sagte er: »Nicht gerade ein schöner Ort zum Sterben.«

Ohne sich umzuwenden, erwiderte Kynes: »Wenn Gott eine Kreatur dazu auserwählt hat, an einem bestimmten Ort zu sterben, so sorgt er auch dafür, daß sie ihn dort vorfindet.«

Leto sah ihn scharf von der Seite an.

Und Kynes, der den Blick ohne Schwäche erwiderte, stellte fest, daß er eine Tatsache beunruhigend fand: Dieser Herzog ist mehr um das Leben seiner Leute besorgt, als um das Gewürz. Er hat sein Leben und das seines Sohnes aufs Spiel gesetzt, um sie zu retten. Und er hat den Verlust einer Fabrik und einer vollen Ladung mit einer Handbewegung abgetan. Daß seine Männer einer gefährlichen Situation ausgesetzt waren, hat ihn wirklich aufgebracht. Ein Führer wie er produziert fanatische Loyalität. Er würde nur schwer zu schlagen sein.

Gegen seinen eigenen Willen und alle Vorurteile, mußte Kynes sich eingestehen: Ich mag diesen Mann.


16

Die Darstellung menschlicher Größe ist niemals von Beständigkeit, sondern eher eine Erfahrung des Vergänglichen. In gewisser Weise ist sie abhängig von der mythenerzeugenden Vorstellungskraft des Menschen. Eine Person, die der Größe teilhaftig wird, muß gleichzeitig ein sicheres Gefühl für die sie umgebenden Mythen entwickeln, weil nur dies verhindern kann, daß sie sich mit ihrer eigenen Größe identifiziert. Ohne diese Fähigkeit wird selbst ungewollte Größe einen Menschen zerstören.

Aus ›Gesammelte Weisheiten des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Am frühen Abend waren die Suspensorlampen im Speisesaal des Hohen Hauses bereits in Betrieb. Der Lichtschein ließ den an der Wand hängenden Stierkopf mit den blutbefleckten Hörnern und das Porträt des alten Herzogs weiche Schatten werfen.

Unter diesen beiden Talismanen glänzte weißes Leinen auf der blankpolierten Tischplatte der Tafel. Das Familiensilber der Atreides war in einem sorgfältigen Arrangement ausgebreitet. Das Porzellan, die Kristallgläser, die Bestecke — alles wirkte wie eine Reihe kleiner Inseln in einem weißen Ozean. Schwere, hölzerne Stühle standen vor der Tafel. Der uralte Kandelaber war noch nicht angeschaltet, und in der Mitte des Tisches stand der tragbare Giftschnüffler.

Der Herzog blieb auf der Schwelle stehen und hielt für einen Moment inne. Sorgfältig überprüfte sein Blick das Arrangement auf dem Tisch. Als er den Giftschnüffler wahrnahm, dachte er: Alles geht nach einem bestimmten Ritual vor sich. Man kann uns schon aufgrund unserer Sprache sondieren. Daß wir solche Geräte überhaupt besitzen, zeigt an, daß wir von Geburt an von Mord und Intrigen umgeben sind. Wird heute abend jemand versuchen, uns mit Chaumurky zu vergiften? In einem Getränk? Oder mit Chaumas, in der Nahrung?

Er schüttelte den Kopf. Neben jedem Teller entdeckte er ein kleines Fläschchen Wasser. Alles zusammengerechnet ergab es sicherlich genug, um eine arme Familie auf Arrakeen ein Jahr lang am Leben zu halten.

Neben der Eingangstür standen breite Bassins, verziert mit zierlichen gelben und grünen Kacheln. Und neben jedem dieser Bassins hingen mehrere Handtücher. Es sei, so hatte die Haushälterin ihm erklärt, eine alte Sitte, daß jeder Gast, der das Speisezimmer betrat, sich zeremoniell die Fingerspitzen in einem der Bassins wusch und danach die Hände an den Handtüchern abtrocknete. Nach dem Essen versammelten sich regelmäßig die Bettler vor dem Haus, denen man die Handtücher überließ, damit sie sie auswringen und auskauen konnten.

Wie typisch das alles doch für die Harkonnens ist, dachte der Herzog. Es gibt doch wirklich keine Erniedrigung, die ihnen nicht eingefallen wäre. Als er fühlte, wie die aufkeimende Wut ihm Magenschmerzen verursachte, holte er tief Luft.

»Diese Sitte schaffen wir ab!« knirschte er.

Eine der Bediensteten, die die Haushälterin ihnen empfohlen hatte — eine der vertrocknet und alt aussehenden Frauen aus der Stadt -, erschien zögernd in der gegenüberliegenden Tür, die zur Küche führte. Mit einem Handzeichen winkte der Herzog sie heran. Sie kam aus dem Schatten heraus, umrundete den Tisch. Er musterte ihr lederiges Gesicht und die völlig blauen Augen.

»Mylord wünschen?« Sie hielt den Kopf gesenkt, sah ihn nicht an.

Er deutete nach hinten. »Die Bassins und Handtücher werden sofort entfernt.«

»Aber … Euer Hochwohlgeboren …« Sie schaute auf, mit offenem Mund.

»Ich kenne diese Sitte!« sagte der Herzog barsch. »Diese Bassins werden an der Eingangstür aufgestellt, und jeder Bettler, der während des Essens erscheint, bekommt einen vollen Becher Wasser. Ist das klar?«

Der Ausdruck ihres Gesichts war zwiespältig. Es zeigte Unwillen und Bestürzung zugleich.

Mit plötzlicher Klarheit wurde Leto bewußt, daß sie geplant hatte, die beschmutzten Handtücher und die darin enthaltene Flüssigkeit zu verkaufen. Möglicherweise war das ebenfalls eine Sitte, daß diejenigen, die bittend an das Tor kamen, einige Kupferstücke dafür zu zahlen hatten.

Seine Züge verhärteten sich, und er knurrte: »Ich werde einen Wachtposten aufstellen, um sicherzugehen, daß meine Anweisungen buchstabengetreu ausgeführt werden.«

Er wandte sich auf dem Absatz um und kehrte den Weg zur Großen Halle zurück. Erinnerungen rasten durch sein Gehirn wie das Gemurmel zahlloser Klatschweiber. Er dachte an Seen und Wellen, an saftige Wiesen, und an freundliche Sommer, die nun hinter ihm lagen und nie wieder zurückkehren würden.

All das war vorbei.

Ich werde alt, dachte er. Für einen Moment habe ich die kalte Hand meiner Sterblichkeit gefühlt. Und worin? In der Habgier einer alten Frau.

Jessica befand sich inmitten einer gemischten Gruppe in der Großen Halle vor dem Kamin. Ein offenes Feuer brannte, und sein Schein ließ Juwelen, Vorhänge und bestickte Kleider in einem unirdischen Licht erstrahlen. Er erkannte in der Gruppe einen Fabrikanten von Destillanzügen aus Carthag, einen Importeur für elektronische Geräte, einen Wassertransporteur, dessen Sommerhaus sich in der Nähe seiner Fabrik in der Polregion befand, einen Vertreter der Gildenbank, der hager und überlegen auf ihn wirkte, einen Händler, der Ersatzteile für Gewürzabbaugeräte herstellte und eine dürre und hartgesichtige Frau, die offiziell einen Eskortendienst für Touristen unterhielt, sich in Wahrheit ihr Vermögen durch Schmuggel- und Spitzeldienste, gelegentlich aber auch durch Erpressungen zusammengerafft hatte.

Die meisten der in der Halle anwesenden Frauen wirkten kühl und dekorativ, als seien sie einfach nur da, um eine Staffage abzugeben.

Selbst wenn Jessica nicht in der Position der Gastgeberin gewesen wäre, hätte sie in dieser Runde dominiert. Sie trug keine Juwelen, aber dafür leuchtete ihre Kleidung in warmen Farben: ein langes Kleid, das wie der Schatten des offenen Feuers war und ein erdbraunes Band schlang sich durch ihr bronzenes Haar.

Er wertete dies als hintergründigen Spott und als Reaktion auf sein unterkühltes Verhalten. Natürlich wußte sie, daß er sie am liebsten in Farben dieser Art mochte, wenngleich auch nicht in dieser Gesellschaft.

In der Nähe, etwas losgelöst von der Gruppe, stand Duncan Idaho in seiner glitzernden Paradeuniform, das widerspenstige Haar beinahe gezähmt. Sein Gesicht zeigte keine Emotion. Man hatte ihn von den Fremen zurückgeholt, mit dem von Hawat ausgegebenen Befehl »unter dem Vorwand sie beschützen zu sollen, Lady Jessica keine Sekunde aus den Augen zu lassen.«

Der Herzog blickte sich um.

In einer Ecke sah er Paul, umgeben von einer Gruppe jüngerer Arrakisbewohner, unter denen sich auch drei Angehörige der Hoftruppen befanden. Der Herzog nahm die jungen Damen in Augenschein und gelangte zu dem Schluß, daß die Chancen für einen herzoglichen Erben hier nicht schlecht standen. Paul behandelte eine wie die andere mit zurückhaltender Höflichkeit.

Er wird seinem Titel Ehre machen, dachte der Herzog und registrierte im gleichen Moment, daß auch dieser Gedanke seinen Tod beinhaltete.

Paul sah seinen Vater, als er die Türschwelle überschritt und schaute in eine andere Richtung, maß der Reihe nach die anwesenden Gästetrauben, die juwelenverzierten, gläserhebenden Hände (und die heimlichen Untersuchungen ihres Inhalts mit winzigen Giftschnüfflern). Das Geschwätz der Leute stieß ihn ab. Er registrierte ihre aufgesetzten Masken und die dahintersteckenden, bereits vorbereiteten Gedanken. Ihre Stimmen sorgten dafür, daß das Gefühl der Leere in seiner Brust sich nur noch vergrößerte.

Ich bin nicht in bester Stimmung, dachte er und fragte sich, was Gurney wohl von dieser Versammlung halten würde.

Aber er wußte auch, warum er sich so fühlte. An sich hatte er keine Lust dazu gehabt, diese Funktion auszuüben, aber gegen die Strenge seines Vaters war er nicht angekommen. »Du hast deinen Platz«, hatte er gesagt, »eine Position, die du wahrnehmen mußt. Du bist alt genug dafür, diese Pflicht zu erfüllen. Du bist fast ein Mann.«

Paul sah, wie sein Vater den Raum durchquerte, einen abschätzenden Blick in die Runde warf und sich schließlich der Gruppe um Lady Jessica anschloß.

In dem Moment, als Leto Jessica erreichte, fragte der Wassertransporteur gerade: »Stimmt es, daß der Herzog eine Wetterkontrolle einrichten will?«

Im Rücken des Mannes stehend, erwiderte Leto: »So weit sind unsere Pläne noch nicht gediehen, Sir.«

Der Mann wandte sich um, zeigte ein fleischiges, rundes Gesicht. »Ah, der Herzog«, meinte er. »Wir haben Sie bereits vermißt.«

Leto sah Jessica an. »Ich hatte noch etwas zu erledigen.« Er schenkte dem Wassertransporteur seine Aufmerksamkeit, erklärte ihm, was er mit den Wasserbassins hatte tun lassen und fügte hinzu: »Soweit es mich betrifft, ist diese alte Sitte gestorben.«

»Ist das ein herzoglicher Befehl, Mylord?« fragte der Mann.

»Ich überlasse das Ihrem eigenen … hm … Gewissen«, erwiderte der Herzog. Er wandte sich um und sah Kynes, der auf die Gruppe zukam.

Eine der Frauen sagte: »Das ist eine sehr großzügige Geste das Wasser zu verschenken an diese …« Irgend jemand zischte sie an.

Kynes trug eine altmodische, dunkle Uniform, die darauf hinwies, daß er Kaiserlicher Zivilbediensteter war. Auf seinem Kragenaufschlag war eine kleine, goldene Träne befestigt, die seinen Rang bezeichnete.

In aggressivem Tonfall fragte der Wassertransporteur: »Beinhaltet Ihre Tat etwa Kritik an unseren Sitten?«

»Die Sitten haben sich geändert«, gab Leto zurück. Er nickte Kynes zu, registrierte Jessicas Stirnrunzeln und dachte: Ohne daß sie es weiß, wird dieses Stirnrunzeln den Eindruck erwecken, zwischen uns stimme etwas nicht.

»Mit der gütigen Erlaubnis des Herzogs«, warf der Wassertransporteur ein, »würde ich gerne einige weitere Fragen über Brauchtümer stellen.«

Der plötzlich ölig werdende Unterton in der Stimme des Mannes ließ Leto aufhorchen. Die anderen waren plötzlich merkwürdig still, und von den anderen in der Halle verteilten Gruppen warf man ihnen bereits Blicke zu.

»Wäre es nicht besser, wir begäben uns zum Dinner?« unterbrach Jessica die Sekunden der Peinlichkeit.

»Wenn unser Gast noch einige Fragen hat …«, antwortete Leto und blickte den Unternehmer an. Das runde Gesicht mit den großen Augen und den dicken Lippen erinnerte ihn an Hawats Mitteilung: … »und dieser Wassertransporteur ist ein Mann, auf den wir achtgeben müssen. Vergessen Sie nicht seinen Namen, er heißt Lingar Bewt. Obwohl die Harkonnens ihn benutzten, hatten sie nie eine völlige Kontrolle über ihn.«

»Wassersitten sind wirklich interessant«, sagte Bewt. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Ich frage mich, was Sie mit dem in diesem Hause installierten Treibhaus zu tun gedenken, Mylord. Werden Sie weiterhin auch den Leuten gegenüber damit protzen?«

Leto hielt seine Wut mühsam zurück. Er starrte den Mann an während die Gedanken wie Blitze durch sein Gehirn zuckten. Es gehörte eine gewisse Portion Mut dazu, ihn in seinem eigenen Hause herauszufordern, speziell unter dem Gesichtspunkt, daß Bewts Unterschrift unter einer Ergebenheitsurkunde prangte. Sein Vorstoß konnte also nur unter dem Gesichtspunkt erfolgt sein, daß der Mann wußte, über wieviel Macht er verfügte. Und Wasser stellte in der Tat auf Arrakis eine gewaltige Machtfülle dar. Wenn diese Gefälligkeit beispielsweise damit bezahlt werden sollte, daß Leto sich Bewt unterwarf, war das wirklich eine Bedrohung ersten Ranges. Der Mann schien einer solchen Tat fähig zu sein, was wiederum bedeutete, daß ausbleibende Wasserlieferungen Arrakis in den Tod treiben konnten. Möglicherweise hatten die Harkonnens Bewt deshalb nie recht zu packen gekriegt.

»Der Herzog und ich haben, was das Treibhaus angeht, andere Pläne«, ließ sich nun Jessica vernehmen. Sie lächelte Leto an. »Wir beabsichtigen natürlich es zu erhalten, als Symbol für die Bevölkerung von Arrakis. Es ist unser Ziel, darauf hinzuarbeiten, daß das Klima von Arrakis dahingehend verändert wird, daß Pflanzen solcher Art eines Tages im Freien wachsen können.«

Gott segne sie! dachte Leto. Und laß diesen Wasserhändler das erst einmal verdauen.

»Ihr Interesse in bezug auf Wasser und die Wetterkontrollen ist offensichtlich«, sagte der Herzog. »Ich rate Ihnen, sich nicht nur auf Ihr Wasser zu verlassen. Eines Tages wird es keine Seltenheit auf Arrakis mehr sein.«

Und er dachte: Hawat muß seine Anstrengungen, die Organisation dieses Bewt zu unterwandern, verdoppeln. Und als erstes müssen wir unsere Wasserrechte hundertprozentig sichern. Ich kann es nicht zulassen, daß diese Leute mir auf der Nase herumtanzen!

Bewt nickte, ohne daß das Lächeln von seinem Gesicht verschwand. »Ein lobenswerter Traum, Mylord.« Er ging einen Schritt zurück.

Der Ausdruck auf Kynes' Gesicht nahm Leto gefangen. Der Mann starrte Jessica an. Er erschien ihm, als sei er völlig verzaubert — wie ein Verliebter … oder in religiöser Trance gefangen.

Kynes' Gedanken waren in diesem Moment völlig überlagert von den Worten der Prophezeiung: »Und sie werden deinen meistgehegten Traum teilen.« Jessica zugewandt, sagte er: »Sie bringen uns die Abkürzung des Weges?«

»Ah, Dr. Kynes«, fiel der Wassertransporteur ein. »Sie kommen wohl geradewegs von einem Sandlauf mit Ihrer Fremenbande. Wie gnädig von Ihnen!«

Kynes warf Bewt einen unklassifizierbaren Blick zu und erwiderte: »Es heißt in der Wüste, daß ein Mensch, der über zuviel Wasser verfügt, sich durch besondere Unvorsichtigkeit auszeichnet.«

»Die Leute in der Wüste haben viele seltsame Sprichwörter«, gab Bewt leicht verärgert zurück.

Jessica ging zu Leto, schob eine Hand unter seinen Arm, um für einen Moment Ruhe zu haben. Kynes hatte gesagt: »… die Abkürzung des Weges.« In der alten Sprache bedeuteten diese Worte nichts anderes als eine genaue Übersetzung des Begriffes »Kwisatz Haderach«. Möglicherweise hatten die anderen diese seltsame Frage überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Jetzt stand der alte Planetologe vor einer der Frauen und lauschte ihrer flüsternden Gefallsucht.

Kwisatz Haderach, dachte Jessica. Hat unsere Missionaria Protectiva diese Legende auch hier verbreitet? Der Gedanke erfüllte sie mit neuer Hoffnung für Paul. Er könnte der Kwisatz Haderach sein. Er könnte es sein.

Der Vertreter der Gildenbank hatte sich nun in ein Gespräch mit Bewt vertieft, dessen Stimme die der anderen Anwesenden deutlich überragte. »Viele Leute haben schon versucht, Arrakis zu verändern.«

Der Herzog merkte deutlich, daß der Mann das mit der Absicht gesagt hatte, um Kynes zu treffen. Und das taten sie auch. Der Planetologe entfernte sich sofort aus Bewts Nähe.

In die plötzliche Stille hinein ertönte nach einem raschen Räuspern die Stimme eines uniformierten Adjutanten, der, hinter Leto stehend, sagte: »Es ist angerichtet, Mylord.«

Der Herzog warf Jessica einen fragenden Blick zu.

»Es ist Sitte auf Arrakis«, sagte sie, »daß Gastgeber und Gastgeberin ihren Gästen zu Tisch folgen, Mylord.« Sie lächelte und fügte hinzu: »Oder wollen wir diesen Brauch auch außer Kraft setzen?«

Kühl erwiderte Leto: »Das scheint mir eine gute Sitte zu sein. Für heute wollen wir uns ihr unterwerfen.«

Die Vorstellung, daß ich ihr mißtraue, dachte er, muß noch weiter vertieft werden. Er musterte die Gäste, die neben ihm herschritten. Wer unter euch wird auf diese Lüge hereinfallen?

Jessica, der seine Zerstreutheit nicht entging, wunderte sich nicht zum erstenmal in dieser Woche. Er benimmt sich wie ein Mensch, der mit sich selbst im Widerstreit liegt, dachte sie. Ist es etwa deshalb, weil ich es so eilig hatte, dieses Abendessen zu organisieren? Er muß sich doch darüber im klaren sein, wie wichtig es für uns ist, unsere Leute mit den Einheimischen bekanntzumachen, um zu einem neuen Zusammengehörigkeitsgefühl zu kommen. Noch immer stellen wir für diese Leute so etwas wie Vater- und Muttergestalten dar, Personen, zu denen man ehrfürchtig aufblickt und von denen man Anweisungen annimmt. Nichts beweist dies besser als Gesellschaften wie diese.

Während Leto die Gäste an sich vorbeigehen sah, dachte er daran, was Hawat gesagt hatte, als er ihn auf dieses Treffen hingewiesen hatte — »Sire! Das gestatte ich nicht!«

Ein grimmiges Lächeln zog sich um die Mundwinkel des Herzogs. Wie er sich nur aufgeführt hatte. Und als er ihn aufgefordert hatte, an diesem Gesellschaftsabend teilzunehmen, hatte Hawat den Kopf geschüttelt. »Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei, Mylord«, waren seine Worte gewesen. »Das geht mir alles zu rasch.«

Paul ging an seinem Vater vorbei und führte dabei eine junge Frau, die einen halben Kopf größer war als er selbst. Er warf ihm einen säuerlichen Blick zu, nickte aber gleich darauf, als die junge Frau etwas zu ihm sagte.

»Ihr Vater ist Hersteller von Destillanzügen«, sagte Jessica. »Und außerdem habe ich erfahren, daß sich nur Narren mit von ihm hergestellten Anzügen in die Wüste hinauswagen.«

»Wer ist der Mann mit dem narbigen Gesicht, direkt vor Paul?« fragte der Herzog. »Ich kann ihn nirgendwo unterbringen.«

»Er wurde als Letzter unserer Gästeliste zugefügt«, erwiderte sie. »Es geschah auf Gurneys Wunsch. Ein Schmuggler.«

»Und Gurney hat das arrangiert?«

»Auf meinen Wunsch hin. Ich habe die Sache mit Hawat abgeklärt, obwohl er nicht sonderlich begeistert davon war. Der Schmuggler nennt sich Tuek, Esmar Tuek. Er ist kein Niemand unter den Leuten seines Schlages. Die Leute hier kennen ihn alle. Er hat für viele der Häuser gearbeitet.«

»Und warum ist er hier?«

»Das wird sich sicher jeder fragen«, erwiderte sie. »Tuek wird allein durch seine Anwesenheit schon Zweifel und Mißtrauen unter ihnen säen. Außerdem wird man vermuten, daß du darauf vorbereitet bist, der Korruption an den Kragen zu gehen. Unter diesem Gesichtspunkt war Hawat schließlich damit einverstanden, Tuek heute zu laden.«

»Ich bin nicht sicher, daß ich damit einverstanden bin.« Er nickte einem weiteren Paar zu und stellte fest, daß sich nur noch wenige der Gäste hinter ihnen befanden. »Warum hast du nicht dafür gesorgt, daß einige Fremen eingeladen wurden?«

»Kynes ist da«, erwiderte Jessica.

»Ja, Kynes«, meinte Leto. »Hast du vielleicht noch einige andere kleine Überraschungen für mich parat?« Er geleitete sie an das Ende der Prozession.

»Alles andere ist durchaus nicht ungewöhnlich«, sagte Jessica. Sie dachte: Verstehst du denn nicht, daß diese Schmuggler über schnelle Schiffe verfügen, mein Liebling? Daß dieser Tuek käuflich ist? Wir müssen uns doch einen Weg offenhalten, einen Weg in die Freiheit, wenn Arrakis uns keine Rettung mehr bietet.

Als sie den Speisesaal betraten, zog sie ihren Arm zurück und wartete, bis Leto sie zu ihrem Stuhl geleitete. Dann begab er sich an das andere Ende des Tisches. Einer seiner Leute rückte ihm den Stuhl zurecht. Auch die anderen nahmen nun Platz und erzeugten das Geräusch rückender Stühle und raschelnder Kleider, während der Herzog als letzter stehenblieb. Auf ein von ihm gegebenes Signal hin zogen sich die uniformierten Bediensteten einen Schritt zurück und nahmen Habachtstellung ein.

Eine unheilschwangere Stille legte sich über den Raum.

Jessica blickte zum anderen Ende der Tafel hinunter und sah mit einem Blick, daß Letos Mundwinkel verhalten zitterten. Die Art, in der er atmete, wies darauf hin, daß er stark erregt war. Was ist der Grund seines Ärgers? fragte sie sich. Doch nicht etwa die Einladung dieses Schmugglers?

»Einige unter Ihnen fragen sich, was ich mit der Entfernung der Waschbassins beabsichtige«, begann Leto. Und er fuhr fort: »Es ist das erste Anzeichen dafür, daß sich hier in nächster Zeit noch viel mehr ändern wird.«

Niemand sagte etwas.

Sie nehmen an, daß er betrunken ist, dachte Jessica.

Leto nahm die bauchige Wasserflasche, die vor ihm stand, hob sie hoch und sagte: »Als Kavalier des Imperiums erweise ich Ihnen meine Ehre.«

Sofort griffen alle Anwesenden zu den vor ihnen stehenden Flaschen und führten sie zum Mund. In der plötzlichen Bewegungslosigkeit leuchtete der Strahl einer Suspensorlampe aus der Richtung des Kücheneingangs. Schatten spielten über die raubvogelhaften Züge des Herzogs.

»Hier bin ich, und hier bleibe ich!« brüllte Leto. »Und der Toast, den ich Ihnen erweise, symbolisiert eine Maxime, die unser Herz erfreut: ›Das Geschäft belebt den Fortschritt! Man muß das Geld nur von der Straße auflesen.‹«

Er trank das Wasser.

Die anderen taten es ihm gleich. Fragende Blicke trafen sich.

»Gurney!« rief der Herzog.

Aus der Richtung des hinter Letos Rücken liegenden Alkovens erklang Hallecks Stimme. »Hier bin ich, Mylord.«

»Spiel uns etwas vor, Gurney.«

Ein sanfter Akkord erklang aus dem Alkoven. Bedienstete begannen damit, Platten aufzutragen — geröstete Wüstenhasen in Sauce Cepeda, sirianische Aplomage, Chukka unter Glas, Kaffee mit Melange (ein schwerer Zimtgeruch schwebte durch den Raum), und ein echtes Pot-a-oie, serviert mit sprudelndem caladanischem Wein.

Immer noch hatte der Herzog sich nicht gesetzt.

Während die Gäste, ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf den Herzog und die reichhaltigen Speisen gerichtet, warteten, sagte Leto: »In alten Zeiten war es die Pflicht des Gastgebers, seine Gäste mit seinen eigenen Talenten zu unterhalten.« Er umschloß die Wasserflasche so fest mit der Hand, daß seine Knöchel weiß hervortraten. »Ich bin kein Sänger, aber ich lasse euch teilhaben an der Kunst Gurney Hallecks. Betrachten Sie es als eine weitere Ehrung; eine Ehrung für all diejenigen, die dafür gestorben sind, um uns hierher zu bringen.«

Erregtes Gemurmel klang auf.

Jessica lockerte ihren Schleier und musterte die Leute in ihrer absoluten Nähe. Da war der rundgesichtige Wassertransporteur mit seiner Frau, der bleiche und unnahbare Vertreter der Gildenbank (er erschien ihr wie ein hungriger Aasgeier und schien seinen Blick von Leto nicht lösen zu können) — und der derbgesichtige und narbenbedeckte Tuek, der seine melangegebläuten Augen niedergeschlagen hielt.

»Seht zurück, Freunde, auf die Truppen, die längst vergangen sind«, intonierte der Herzog, »und deren Schicksal untertan war dem Geld. Zu ihrem Andenken tragen wir unsere silbernen Ketten, von denen jedes Glied einen Mann ohne die Maske der Arglist symbolisiert. Blickt zurück, Freunde, auf die Truppen, die längst vergangen sind. Mit ihnen ging der Köder des Glücks. Und wenn man uns das falsche Lächeln zeigt, endet auch unsere Zeit.«

Der letzte Satz kam lauter als die anderen. Dann nahm der Herzog einen tiefen Zug aus seiner Wasserflasche und stellte sie mit einem lauten Knall auf den Tisch zurück. Wassertropfen spritzten über den Rand und benetzten das Tischtuch.

Die anderen tranken in verlegenem Schweigen.

Der Herzog hob die Flasche erneut an, aber diesesmal leerte er den verbliebenen Rest auf den Fußboden. Er wußte, daß den anderen nichts anderes übrig bleiben würde, als es ihm gleich zu tun.

Jessica war die erste, die seinem Beispiel folgte.

Bevor die anderen diese Geste nachvollzogen, herrschte ein Augenblick frostiger Kälte. Jessica registrierte wie Paul, der in der Nähe seines Vaters saß, daß er die ihn umgebenden Reaktionen eingehend studierte. Und ihr erging es nicht anders. Es war irgendwie mit einer Faszination vergleichbar, zuzusehen, wie ihre Gäste sich offenbarten, speziell die Frauen. Immerhin handelte es sich um sauberes, trinkbares Wasser — und nicht um die Feuchtigkeit, die man in ein Handtuch wischte, wenn man die Hände trocknete. In den zitternden Händen der Gäste zeigten sich nahezu alle Gefühlsabstufungen, von resignierender Unterwerfung bis zum offenen Widerwillen. Die Situation wurde von verzögertem Handeln und nervösem Lachen beherrscht — aber auch von unterdrückter Wut und der gehorsamen Einsicht in die Notwendigkeit. Eine der anwesenden Damen verschloß ihre Flasche, bevor sie sie nach unten hielt. Sie sah verlegen weg, als ihr Tischnachbar es entdeckte und den Verschluß wieder löste.

Ihre Hauptaufmerksamkeit war allerdings auf Kynes gerichtet. Der Planetologe zögerte zunächst, es den anderen gleichzutun dann jedoch leerte er seine Flasche in einen Hohlraum unter seinem Jackett. Als er bemerkte, daß Jessica ihn dabei ansah, lächelte er und hob die Flasche in ihre Richtung, als wolle er ihr stumm zuprosten. Er machte überhaupt nicht den Eindruck, als fühle er sich auf frischer Tat ertappt.

Noch immer beherrschte Hallecks Musik die Versammlung. Allerdings hatte er jetzt eine andere Tonart angeschlagen. Die von ihm erzeugten Klänge waren heller und irgendwie fröhlicher geworden, so als beabsichtige er, dadurch die Stimmung zu heben.

»Das Dinner möge beginnen«, sagte der Herzog und setzte sich.

Er ist aufgebracht und verunsichert, dachte Jessica. Der Verlust des Ernters hat ihn tiefer getroffen, als man annehmen konnte. Aber es scheint mehr dahinterzustecken als nur dieser Verlust. Er benimmt sich wie jemand, der verzweifelt ist. Sie hob ihre Gabel, als könnte sie mit dieser Bewegung ihre eigene plötzliche Bitterkeit hinwegwischen. Er ist wirklich verzweifelt.

Zunächst zögernd, dann jedoch gelöster, begannen die Gäste mit dem Essen. Der Fabrikant, der Destillanzüge herstellte, beglückwünschte Jessica zu ihrem Koch und dem Wein.

»Wir haben beide von Caladan mit hierhergebracht«, erwiderte sie.

»Exquisit!« versicherte der Fabrikant. »Wirklich ganz exquisit!« Er kostete das Chukka. »Und es ist nicht das kleinste Melangekörnchen darin. Das Zeug kann einem wirklich über werden, wenn man es in allem und jedem serviert bekommt.«

Der Vertreter der Gildenbank schaute über den Tisch hinweg Kynes an. »Ich habe gehört, Dr. Kynes«, meinte er, »daß schon wieder ein Sandkriecher durch einen Wurm verlorenging.«

»Neuigkeiten gehen schnell herum«, warf der Herzog ein.

»Dann stimmt es also?« fragte der Bankmann, der seine Aufmerksamkeit nun Leto zuwandte.

»Natürlich stimmt es!« sagte der Herzog unwirsch. »Der verflixte Carryall tauchte nicht auf. Ich verstehe überhaupt nicht, wie eine solch große Maschine so einfach verschwinden kann!«

»Als der Wurm auftauchte«, sagte Kynes, »gab es nichts mehr, mit dem wir den Ernter hätten retten können.«

»Es dürfte einfach nicht möglich sein!« wiederholte der Herzog.

»Und niemand sah, wie der Carryall verschwand?« fragte der Bankvertreter.

»Die Späher sind allgemein dazu verpflichtet, die Augen auf den Boden zu richten«, sagte Kynes. »Ihr Hauptinteresse hat den Wurmzeichen zu gelten. Die Mannschaft eines Carryall besteht üblicherweise aus vier Männern — zwei Piloten und zwei Reisebegleitern. Wenn einer — oder sogar zwei — dieser Leute von den Gegnern des Herzogs bestochen wurden …«

»Oh, ich verstehe«, erwiderte der Bankvertreter. »Werden Sie, als Schiedsmann von Arrakis, Anklage erheben?«

»Ich werde meine Position mit aller Vorsicht abwägen müssen«, gab Kynes zurück. »Und natürlich bin ich keinesfalls bereit, das bei einem Dinner zu diskutieren.« Er dachte: Du falscher Hund! Als wüßtest du nicht genau, daß es sich hier um eines der Ereignisse handelt, das man zu ignorieren mich aufgetragen hat.

Der Bankmann beschäftigte sich lächelnd mit dem Essen.

Jessica fiel plötzlich eine Lektion ein, die sie während ihrer Zeit auf der Bene-Gesserit-Schule gelernt hatte. Das Thema war damals das der Spionage und Gegenspionage gewesen, und die Unterrichtsstunde war von einer dicklichen, lächelnden Ehrwürdigen Mutter gehalten worden, deren freundliche Stimme so gar nicht zu diesem Thema passen wollte.

»Bei jeder Art von schulischer Auseinandersetzung im Bereich der Spionage und/oder Gegenspionage ist die reaktive Grundeinstellung aller Teilnehmer von besonderer Wichtigkeit. Jede Disziplin beeinflußt die Verhaltensmuster der Schüler. Und dieses Verhaltensmuster ist empfänglich für Analysen und Voraussagen. Diese Verhaltensmuster sind ähnlich den motivierenden Verhaltensmustern von Spionen. Man kann sagen, daß es sichere Ähnlichkeiten in der Motivation gibt, auch wenn die Schulen differieren oder sogar entgegengesetzte Ziele verfolgen. Zuerst werden Sie erfahren, wie man diese Elemente zwecks Analyse zu trennen hat. Anfangs dadurch, daß man Verhaltensmuster während eines Verhörs entwickelt, die die innere Orientierung des Fragers verwirren; dann, indem sie mit Hilfe der Analyse das Sprech- und Denkverhalten ihres Gegners lokalisieren und daraus Nutzen ziehen. Es wird Ihnen schließlich nicht mehr schwerfallen, aus dem Sprachduktus und der Stimmlage Ihres Gegenübers einen Extrakt zu ziehen.«

Jetzt, wo sie mit ihrem Sohn, ihrem Herzog und den Gästen an einem Tisch saß, spürte Jessica die frostige Kälte der Wirklichkeit. Die Stimme des Bankvertreters sagte ihr klar: Der Mann war ein Harkonnen-Agent. Sein Sprachmuster entsprach dem von Giedi Primus. Auch wenn er sich alle Mühe gab, es zu verschleiern. Es war dem Spion unmöglich, sich vor Jessicas geistiger Wachsamkeit zu verbergen.

Bedeutet das, daß die Gilde sich nun auch gegen das Haus Atreides gestellt hat? fragte sie sich. Der Gedanke schockierte sie, so daß sie die plötzliche Gefühlsaufwallung dadurch zu unterbinden versuchte, indem sie einen neuen Gang verlangte. Keine Sekunde gestattete sie es sich, wegzuhören. Ihre ganze Konzentration gehörte diesem Mann, der sich alle Mühe gab, seine wirklichen Ziele hinter harmlosem Geplauder zu verbergen. Er wird versuchen, die Konversation auf irgend etwas Unverfängliches zu bringen, sagte sie sich. Das entspricht genau seinem Verhaltensmuster.

Der Bankmann schluckte, trank einen Schluck Wein und lächelte einer Dame zu, die etwas zu ihm gesagt hatte. Einen Moment lang schien er einem anderen Gast zu lauschen, der vom unteren Ende der Tafel aus dem Herzog gerade erklärte, daß die einheimischen Pflanzen von Arrakis in der Regel dornenlos seien.

»Es macht mir Spaß, die Flüge arrakisischer Vögel zu beobachten«, sagte er plötzlich Jessica zugewandt. »Sie sind ausnahmslos Aasfresser, und da sie weitgehend ohne Wasser existieren, trinken sie Blut.«

Die Tochter des Fabrikanten, die am anderen Ende des Tisches zwischen Paul und seinem Vater saß, verzog ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse und sagte: »Oh, Soo-Soo, Sie schießen mal wieder jeden Vogel ab.«

Der Bankmann lächelte. »Sie nennen mich hier Soo-Soo, weil ich die Funktion des Beraters der Gewerkschaft der Wasserverkäufer bin.« Als Jessica ihn ohne Erwiderung ansah, fügte er hinzu: »Wegen des Rufes, den sie ausstoßen, wenn sie Wasser zum Verkauf anbieten, wissen Sie? Soo-Soo-Sook!« Er imitierte diesen Ausruf mit einer solchen Echtheit, daß am gesamten Tisch lautes Gelächter ausbrach.

Jessica hörte nicht nur den prahlerisch klingenden Ausruf; ihr war in der gleichen Sekunde aufgefallen, daß die junge Dame dem Bankmann ein Stichwort geliefert hatte. Mit ihrer Bemerkung hatte sie die Möglichkeit provoziert, ihn das sagen zu lassen, was er sagen wollte und gesagt hatte. Sie warf einen Blick auf Lingar Bewt. Der Wassermagnat wirkte finster und konzentrierte sich ganz auf sein Essen. Und Jessica fiel ein, daß der Vertreter der Gildenbank irgendwann gesagt hatte: »Und ich kontrolliere auch den wichtigsten Machtfaktor auf Arrakis: das Wasser.«

Paul, dem es ebenfalls nicht verborgen geblieben war, daß seine Tischnachbarin sich mit falschen Untertönen artikulierte, stellte fest, daß seine Mutter der Konversation in einer Weise beiwohnte, die nur bedeuten konnte, daß sie die Bene-Gesserit-Kräfte eingesetzt hatte. Einem plötzlichen Impuls folgend, entschloß er sich, dem Spiel ein Ende zu machen. Er wandte sich an den Vertreter der Gildenbank und fragte: »Bedeutet das, daß diese Vögel Kannibalen sind, Sir?«

»Das ist eine überflüssige Frage, junger Herr«, erwiderte der Mann. »Ich sagte nur, daß die Vögel Blut trinken. Und das muß nicht unbedingt beinhalten, daß es das Blut ihrer eigenen Art ist, oder?«

»Es war keine überflüssige Frage«, sagte Paul, während Jessica in seinem Tonfall eine Intensität bemerkte, die sich nur auf sein Bene-Gesserit-Training zurückführen ließ. »Meistens wissen gebildete Menschen, daß die schlimmste potentielle Konkurrenz für jeden jungen Organismus aus ihren eigenen Reihen kommen kann.« Nachdenklich senkte er seine Gabel auf den Teller seiner Nachbarin, spießte etwas auf und aß es. »Sie essen aus der gleichen Schale. Sie haben die gleichen Grundbedürfnisse.«

Der Bankmann erstarrte und warf dem Herzog einen finsteren Blick zu.

»Sie sollten nicht den Fehler begehen, meinen Sohn für ein Kind zu halten«, sagte der Herzog und lächelte.

Jessica, die einen raschen Blick über die Tafel warf, sah daß Bewts Miene sich aufhellte. Kynes und Tuek, der Schmuggler, grinsten sogar.

»Es ist ein Gesetz der Ökologie«, warf Kynes ein, »und der junge Herr scheint es sehr gut zu verstehen. Der Kampf zwischen den Lebenselementen ist der Kampf um die freie Energie eines Systems. Und Blut ist eine effiziente energetische Kraft.«

Der Bankmann legte seine Gabel nieder und erwiderte mit einem gereizten Unterton: »Nicht das Blut, Sir. Das Wasser eines Menschen gehört letztlich seinem Volk — seinem Stamm. Und wenn man am Rande der Großen Wüste leben will, ist das eine Notwendigkeit. Das Wasser ist kostbar dort, und der Körper eines Menschen ist nun einmal zu siebzig Prozent aus Wasser zusammengesetzt. Das ist eine Flüssigkeitsmenge, mit der ein toter Mensch nichts mehr anfangen kann.«

Der Bankmann umklammerte die Tischplatte mit einer solchen Intensität, daß Jessica sich fragte, ob er nun in Rage aufstehen und den Speisesaal verlassen würde.

Kynes musterte sie und sagte: »Verzeihen Sie mir, Mylady, bei Tisch über solch häßliche Dinge zu sprechen. Aber ich wollte verhindern, daß man Sie falsch informierte. Nur deswegen erfolgte meine Klarstellung.«

»Sie stecken bereits so lange mit den Fremen zusammen, daß Ihnen alle Sinne für Sensibilität verlorengegangen sind«, knurrte der Vertreter der Gildenbank.

Kynes sah ihn kühl an, musterte sein blasses, zuckendes Gesicht. »Versuchen Sie mich zu provozieren, Sir?«

Der Bankmann zuckte zurück. Er schluckte und sagte dann ziemlich steif: »Natürlich nicht. Und ich hatte auch nicht die Absicht, unsere Gastgeber zu beleidigen.«

Jessica hörte die Angst in der Stimme des Mannes und sah sie in seinem Gesicht — in der Art wie er atmete und in den Bewegungen, die seine Halsschlagader machte. Er schien eine schreckliche Angst vor Kynes zu haben!

»Unsere Gastgeber sind sehr wohl allein in der Lage, zu entscheiden, wann sie sich beleidigt fühlen wollen und wann nicht«, führte Kynes aus. »Sie sind tapfere Leute, die wissen, wie man die eigene Ehre verteidigt. Wir alle hier sollten sie zu der Courage beglückwünschen, die sie aufbringen … hier auf Arrakis.«

Jessica merkte, daß Kynes Worte Leto gefielen. Die meisten der anderen schienen diese Ansicht jedoch nicht zu teilen. Sie saßen um den Tisch herum, als bereiteten sie sich insgeheim auf eine rasche Flucht vor, und hielten die Hände versteckt. Die beiden einzigen Ausnahmen waren Bewt, der offen über das, was der Bankmann einstecken mußte, grinste, und der Schmuggler Tuek, der den Eindruck machte, als sähe er Kynes als Gegner an. Als sie Pauls Blick suchte, stellte sie fest, daß der Junge Kynes ziemlich bewundernd ansah.

»Nun?« meinte Kynes.

»Ich wollte nicht unhöflich sein«, murmelte der Bankmann. »Sollte dennoch der Eindruck entstanden sein, bitte ich um Entschuldigung.«

»Freundlichst akzeptiert«, erwiderte Kynes und lächelte Jessica zu. Dann beschäftigte er sich weiter mit seinem Mahl, als sei nicht das geringste geschehen.

Jessica sah, daß auch der Schmuggler sich entspannte. Ihr wurde klar, daß der Mann die ganze Zeit auf dem Sprung gewesen war, Kynes zu Hilfe zu eilen. Es mußte also irgendeine Art Vereinbarung zwischen den beiden geben.

Leto, der mit seiner Gabel spielte, schaute forschend auf den Planetologen. Die Art, in der er sich soeben gezeigt hatte, deutete einen Positionswechsel in bezug auf das Haus Atreides an. Während ihres Ausflugs über die Wüste war der Mann ihm kälter erschienen.

Jessica gab das Signal zum nächsten Gang. Bedienstete erschienen und servierten langues de lapins de garenne und Rotwein mit Pilzsauce.

Langsam wurde die Konversation an der Tafel wiederaufgenommen, wenn für Jessica die dumpfe Stimmung unübersehbar blieb. Der Bankvertreter aß in brütender Schweigsamkeit. Kynes hätte ihn ohne Zögern umgebracht, dachte sie. Aber dann wurde ihr klar, daß die ganze Erscheinung dieses Mannes so etwas nicht zuließ. Wenn er jemand tötete, dann nicht mit Vorbedacht, und dies schien auch auf die Fremen zuzutreffen.

Sie wandte sich dem Destillanzugfabrikanten zu ihrer Linken zu und sagte: »Ich finde es immer wieder unglaublich, wie wichtig das Wasser auf Arrakis ist.«

»Sehr wichtig«, stimmte der Mann ihr zu. »Aber was habe ich hier auf diesem Teller? Es schmeckt vorzüglich!«

»Wildkaninchenzunge in Spezialsauce«, erklärte sie ihm. »Ein sehr altes Rezept.«

»Ich muß es haben«, meinte der Fabrikant.

Jessica nickte. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie es bekommen.«

Kynes sah sie an und meinte: »Jeder Neuankömmling auf Arrakis unterschätzt im allgemeinen die Wichtigkeit des Wassers. Man geht in der Regel davon aus, daß man nur ein Minimum hat.«

Sie hörte die prüfende Absicht hinter seinen Worten und erwiderte: »Wachstum ist begrenzt von der Notwendigkeit, die gegenwärtig die Gesamtsumme ergibt. Und — natürlich kontrolliert letztlich die Umwelt die Wachstumsrate.«

»Es kommt selten vor, daß man Mitglieder eines Hohen Hauses kennenlernt, die sich derart Gedanken über planetologische Probleme machen«, sagte Kynes. »Das Wasser ist das lebenswichtigste Element auf diesem Planeten. Und man sollte nie außer acht lassen, daß das Wachstum selbst dazu führen kann, die Lebensqualität herabzusetzen, wenn es nicht in vernünftiger Weise gelenkt wird.«

Jessica vermutete eine geheime Botschaft hinter Kynes' Worten, aber sie wurde ihr noch nicht recht klar. »Wachstum«, entgegnete sie. »Meinen Sie damit, daß Arrakis fähig wäre, einen Zyklus zu finden, der dem Planeten und seine Bewohnern ein Leben unter besseren Bedingungen garantiert?«

»Unmöglich!« brüllte der Wassermagnat.

Jessica sah Bewt an. »Unmöglich?«

»Jedenfalls auf Arrakis«, erwiderte der Mann. »Verschwenden Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht an diesen Träumer. Alle bisherigen Laborergebnisse haben gegen ihn gesprochen.«

Kynes musterte Bewt, und im gleichen Moment wurde Jessica bewußt, daß die allgemeine Konversation durch diesen zweiten Zwischenfall erneut ins Stocken geraten war.

»Die Laborergebnisse«, sagte Kynes, »machen uns einer ganz simplen Tatsache gegenüber blind. Und diese Tatsache lautet: Wir unterhalten uns hier über Dinge, die sich draußen befinden, dort, wo die Pflanzen und Tiere in einer normalen Weise existieren.«

»Normal!« schnaubte Bewt. »Auf Arrakis ist überhaupt nichts normal!«

»Ganz im Gegenteil«, widersprach Kynes. »Man könnte ohne weiteres eine Harmonie mit der Natur eingehen, wenn man die Möglichkeiten zu einem sich selbst weiterentwickelnden ökologischen Programm hätte. Und alles, was man dazu braucht, ist die Erkenntnis der Grenzen, die uns der Planet setzt, und der Druck, der auf ihm lastet.«

»Dazu wird es niemals kommen«, erwiderte Bewt.

Der Herzog gelangte zu einer plötzlichen Erkenntnis, die er auf das veränderte Verhalten zurückführte, das Kynes an den Tag gelegt hatte, als Jessica über die Treibhauspflanzen sprach.

»Wie würde ein solches, sich selbst weiterentwickelndes Programm aussehen, Dr. Kynes?« fragte er.

»Wenn wir nur drei Prozent der Grünpflanzen von Arrakis zu Kohlenstoff verarbeiten könnten und als Nahrungsbeimischung verwenden, haben wir bereits angefangen, ein zyklisches System in Betrieb zu nehmen«, erwiderte Kynes.

»Und dabei ist Wasser das primäre Problem?« fragte der Herzog. Er spürte Kynes' Überraschung, im gleichen Moment aber auch seine eigene Spannung.

»Es ist in der Tat das Wasser, das unser Problem überschattet«, gab Kynes zu. »Die Atmosphäre dieses Planeten verfügt über einen reichen Sauerstoffanteil, allerdings nicht über die sonst üblichen Begleitumstände, die auf Sauerstoffwelten die Regel sind. Weitverbreitetes pflanzliches Leben und unerschöpfliche Vorräte an freien Kohlenstoffverbindungen, die im allgemeinen durch Vulkane freigesetzt werden. Es gibt ungewöhnlich viele chemische Unstimmigkeiten auf den Oberflächengebieten von Arrakis.«

»Aber Sie haben schon einige Versuchsprojekte in Angriff genommen?«

»Wir hatten ziemlich lange Zeit, um den Tansley-Effekt aufzubauen«, erwiderte Kynes. »Das waren kleine Experimente auf einer eher amateurhaften Basis, aus denen ich aber einige wesentliche Erkenntnisse gezogen habe.«

»Es gibt einfach nicht genug Wasser«, fiel Bewt erneut ein. »Es ist einfach nicht genug da.«

»Herr Bewt ist ein Wasserexperte«, meinte Kynes lächelnd und wandte sich wieder seinem Essen zu.

Der Herzog gestikulierte wild mit der rechten Hand und rief: »Nein! Ich will eine Antwort von Ihnen! Gibt es hier genügend Wasser, oder nicht, Dr. Kynes?«

Kynes starrte auf seinen Teller.

Jessica verfolgte die Emotionen des Mannes auf seinem Gesicht. Er verstellt sich gut, dachte sie und fühlte, wie er überlegte.

»Gibt es hier genügend Wasser?« wiederholte der Herzog.

»Es … könnte sein«, erwiderte Kynes.

Er ist sich unserer noch nicht sicher! dachte Jessica.

Pauls Unterbewußtsein registrierte, was mit Kynes los war. Es kostete ihn einiges, seine Überraschung zu verbergen. Es gibt genug Wasser! Aber Kynes wünscht nicht, daß es allgemein bekannt wird.

»Unser Planetologe«, sagte Bewt, »hat viele interessante Träume. Und das hat er mit den Fremen gemeinsam. Auch sie träumen von Prophezeiungen und einem Messias.«

Kichern erklang am gesamten Tisch. Jessica merkte sich die Gesichter der Lachenden: der Schmuggler, die Tochter des Destillanzugfabrikanten, Duncan Idaho und die Frau, die jenen mysteriösen Bewachungsdienst unterhielt.

Es ist eine Menge gefühlsmäßiger Spannungen heute abend hier versammelt, dachte sie. Und es geht zuviel vor, als daß ich mich auf alles konzentrieren könnte. Ich werde einige neue Informationsquellen auftun müssen.

Der Blick des Herzogs wanderte von Kynes über Bewt zu Jessica. Er fühlte sich irgendwie abgehängt, auch wenn ihn noch vor wenigen Minuten ein Gefühl der Vitalität gestreift hatte. »Es könnte sein«, murmelte er.

Schnell sagte Kynes: »Vielleicht sollten wir dieses Thema ein anderes Mal diskutieren, Mylord. Es gibt so viele …«

Er stockte, als ein Uniformierter durch die Bedienstetentür in den Speisesaal trat, von der Wache vorbeigelassen wurde und eilig auf Leto zuging. Er beugte sich zu seinem Herzog hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Jessica, die an der Mütze des Mannes das Abzeichen von Hawats Truppen erkannte, bemühte sich, ein deprimiertes Gefühl niederzukämpfen und wandte sich der Begleiterin des Destillanzugfabrikanten zu, einer zarten, dunkelhaarigen Frau mit einem Puppengesicht.

»Aber Sie haben ja kaum etwas gegessen, meine Liebe. Soll ich Ihnen etwas anderes bestellen?«

Bevor die Frau antwortete, sah sie zuerst den Fabrikanten an.

»Ich bin nicht besonders hungrig«, erwiderte sie dann.

Der Herzog stand mit ziemlicher Abruptheit auf, stellte sich neben den Soldaten und sagte in einem barschen Kommandoton: »Behalten Sie Platz. Sie werden mich entschuldigen müssen, aber es ist etwas geschehen, das meine persönliche Anwesenheit leider unabdingbar macht.« Er trat einen Schritt zur Seite. »Paul, würdest du bitte inzwischen meine Vertretung als Gastgeber übernehmen?«

Paul stand bereits. Er hatte eigentlich vorgehabt, seinen Vater nach dem Grund dieser ungewöhnlichen Unterbrechung zu fragen, sah jedoch ein, daß dies taktisch unklug war. Er ging auf den Stuhl des Herzogs zu und nahm darauf Platz.

Leto wandte sich dem Alkoven zu, in dem Halleck noch immer saß und sagte: »Gurney, übernimm du bitte Pauls Platz an der Tafel. Wir sollten ungerade Zahlen vermeiden. Nach Beendigung des Dinners bringst du Paul zum Kontrollturm hinaus. Warte auf meinen Anruf.«

Halleck tauchte in seiner Paradeuniform aus dem Alkoven auf. In seiner ganzen Häßlichkeit erschien er in dieser glitzernden Gesellschaft wie der geborene Außenseiter. Er lehnte sein Baliset gegen die Wand, marschierte auf Pauls leeren Stuhl zu und setzte sich.

»Es gibt keinen Grund dafür, beunruhigt zu sein«, erklärte der Herzog den Gästen, »aber ich muß Sie alle bitten, das Haus nicht eher zu verlassen, bis die Wache ihr Einverständnis dazu gegeben hat. Solange Sie sich hier aufhalten, wird Ihnen nichts geschehen. Wir werden diese Sache sicher in sehr kurzer Zeit aus der Welt geschafft haben.«

Paul registrierte die Kodeworte, die sein Vater benutzt hatte: Wache — Einverständnis — Sache. Das Problem betraf also die Sicherheit, nicht unbedingt Gewalt. Er stellte fest, daß seine Mutter zum gleichen Ergebnis gekommen war. Beide entspannten sie sich.

Der Herzog nickte allen Anwesenden noch einmal kurz zu und ging dann durch die Personaltür hinaus, gefolgt von dem Mann, der ihn benachrichtigt hatte.

Paul sagte: »Bitte lassen Sie sich nicht in Ihrem Dinner unterbrechen. Ich glaube, Dr. Kynes war gerade dabei, einiges über das Wasser zu sagen.«

»Können wir das nicht ein andermal besprechen?« fragte Kynes.

»Na schön«, gab Paul zurück.

Es erfüllte Jessica mit Stolz, wie leger Paul die auch für ihn neue Situation zu meistern verstand.

Der Bankmann hob seine Wasserflasche und deutete mit ihr in die Richtung Bewts. »Niemand von uns ist in der Lage, die blumenreichen Phrasen des Herrn Lingar Bewt zu übertreffen. Man könnte beinahe vermuten, daß er beabsichtigt, den Status eines Hohen Hauses zu erringen. Kommen Sie, Herr Bewt, sprechen sie einen Toast aus. Vielleicht sind Sie der Brunnen der Weisheit für den Jungen, den man wie einen Mann behandeln muß.«

Jessicas rechte Hand wurde unter dem Tisch zu einer Faust. Sie sah, wie Halleck Idaho ein Handzeichen gab und registrierte, wie die Wachen langsam ihre Positionen wechselten, um einen optimalen Schutz zu gewährleisten.

Bewt warf dem Bankvertreter einen giftigen Blick zu.

Paul sah zu Halleck, erkannte die abwehrbereite Haltung der Wachen und musterte den Gildenmann, bis er die Wasserflasche wieder senkte. Schließlich sagte er: »Auf Caladan sah ich einmal, wie man den Leichnam eines ertrunkenen Fischers barg. Er …«

»Ertrunken?« fragte die Tochter des Destillanzugfabrikanten verblüfft.

Paul zögerte. Dann sagte er: »Ja. Er war so lange unter Wasser gewesen, daß er daran starb. Er ertrank.«

»Eine ungewöhnliche Art zu sterben«, murmelte das Mädchen.

Paul lächelte spröde und wandte sich wieder dem Vertreter der Bank zu. »Das Interessante an diesem Mann waren die Wunden auf seinen Schultern. Sie waren von den Klammerstiefeln eines anderen Fischers hervorgerufen worden. Der tote Fischer war nur einer von mehreren gewesen, die sich anfangs auf diesem Boot befanden — einer Maschine, die sich auf dem Wasser fortbewegt das dann absoff … unter die Wasserlinie hinabsank. Einer der Männer, die dabei halfen, den Ertrunkenen zu bergen, sagte, er hätte derartige Wunden bereits mehrere Male gesehen. Und er meinte, sie seien ein Zeichen dafür, daß ein anderer vom Ertrinken bedrohter Fischer versucht habe, auf den Schultern des einen zu stehen, um mit dem Kopf noch eine Weile über dem Wasserspiegel bleiben zu können — um zu atmen.«

»Was soll daran so interessant sein?« fragte der Vertreter der Gildenbank.

»Weil mein Vater zu dieser Zeit noch eine andere Feststellung machte. Er sagte, daß es verständlich ist, wenn im Angesicht des Todes der eine Fischer versucht, auf den Schultern eines anderen zu stehen, um zu überleben ausgenommen natürlich, wenn dies in einem Speisesaal geschieht.« Paul machte eine Pause, aber nur so lang, um dem Bankmann die Möglichkeit zum Luftholen zu geben. Und er fügte hinzu: »Und natürlich auch dann, wenn er das an einer Tafel versucht.«

Eine plötzliche Stille breitete sich im gesamten Raum aus.

Das war zu unbesonnen, durchzuckte es Jessica. Dieser Mann da hat durch seine Stellung möglicherweise das Recht, meinen Sohn zu fordern. Auch Idaho schien das zu denken, denn es war unübersehbar für sie, daß er jeden Moment eine Gegenaktion erwartete. Die Wachen schienen aufs höchste alarmiert, während Halleck keine Sekunde lang die ihm gegenübersitzenden Männer aus den Augen ließ.

»Ho-ho-ho-o-o-o!« Es war der Schmuggler, der, den Kopf zurückgeworfen, lauthals lachte.

Mehrere Leute produzierten ein nervöses Lächeln.

Bewt grinste.

Der Bankvertreter hatte seinen Stuhl nach hinten geschoben und starrte Paul an.

Kynes sagte: »Einen Atreides provoziert man stets auf eigenes Risiko.«

»Ist es denn die Sache eines Atreides', die eigenen Gäste zu beleidigen?« verlangte der Bankmann zu wissen.

Bevor Paul darauf antworten konnte, lehnte sich Jessica vor und sagte: »Sir!« Und sie dachte: Wir müssen herausfinden, welches Spiel diese Harkonnen-Kreatur hier mit uns spielen will. Ist er extra deswegen gekommen, um Paul herauszufordern? Und — hat er von irgend jemandem Unterstützung zu erwarten?

»Mein Sohn machte eine allgemeine Bemerkung, und Sie stecken sie sich an Ihren Hut?« fragte sie. »Welch eine faszinierende Enthüllung.« Ihre Hand glitt unter den Tisch und tastete entlang ihres Schenkels nach dem Crysmesser, das dort in seiner Scheide verborgen war.

Der Bankmann richtete seinen Blick auf Jessica, die ihren Sohn nun aus den Augen verlor und registrierte, wie der Mann sich langsam vom Tisch weg nach hinten schob, um für irgendwelche Aktionen frei zu sein.

Kynes gab Tuek ein unmerkliches Handsignal, woraufhin dieser taumelnd aufstand und seine Flasche hob. »Ich trinke auf Ihr Wohl«, sagte er, »auf das Wohl des Paul Atreides, der zwar dem Aussehen nach noch ein Junge, seinem Verhalten nach jedoch bereits ein Mann ist.«

Warum mischen die beiden sich ein? fragte sich Jessica.

Als der Vertreter der Gildenbank Kynes ansah, kehrte die Angst wieder in seine Augen zurück.

An der gesamten Tafel begannen die Leute sich wieder zu entspannen.

Wo Kynes führt, dachte Jessica, folgen ihm die Leute. Und nun hat er uns zu verstehen gegeben, daß er auf Pauls Seite steht. Was ist das Geheimnis seiner Macht? Es kann nicht nur allein darauf zurückzuführen sein, daß er der Schiedsmann ist. Diese Position ist nicht von Dauer. Und es kann auch nicht daran liegen, daß er ein Zivilbediensteter ist.

Ihre Hand löste sich von dem Messer. Sie nahm ihre Flasche und prostete Kynes damit zu. Er wiederholte diese Geste mit größter Freundlichkeit.

Lediglich Paul und der Bankmann (Soo-Soo! Welch ein idiotischer Spitzname! dachte Jessica) hielten die Hände frei. Noch immer war die Aufmerksamkeit des Gildenmannes auf Kynes konzentriert. Paul sah auf seinen Teller.

Ich habe mich korrekt verhalten, dachte Paul. Welchen Grund hatten sie, mich zu unterbrechen? Unmerklich schaute er den männlichen Gästen in seiner Umgebung zu. Sollte ich mit einem Angriff rechnen? Von wem? Sicher nicht von diesem Bankfritzen.

Halleck hob den Kopf und sagte, quer über die Tafel hinweg, ohne offensichtlich jemand bestimmtes zu meinen: »In unserer Gesellschaft sollten die Leute sich hüten, allzu schnell in die Offensive zu gehen. Es könnte sich als selbstmörderisch erweisen.« Er sah die Tochter des Destillanzugfabrikanten, die direkt neben ihm saß, an und fügte hinzu: »Oder glauben Sie nicht, Miß?«

»Oh, ja. Ja. Das glaube ich in der Tat«, erwiderte sie. »Es gibt schon genug Gewalt in der Welt. Sie macht mich krank. Und es kommt sehr oft vor, daß jemand gar nicht die Absicht hat, Gewalt anzuwenden und trotzdem an ihr stirbt. All das hat doch gar keinen Sinn.«

»Da haben Sie recht«, gab Halleck zu.

Jessica, der die beinahe perfekte Verhaltensweise der jungen Frau auffiel, dachte: So hohlköpfig wie ich sie eingeschätzt habe, ist sie überhaupt nicht. Aber offenbar hatte sie diese Anzeichen drohender Gefahr nicht allein bemerkt: auch Halleck schien sich der Tatsache bewußt geworden zu sein, daß der Gegner vorhatte, Paul mit Sex zu ködern. Jessica entspannte sich. Möglicherweise war Paul sogar der erste gewesen, der dies herausgefunden hatte. Es war unmöglich, daß seine Bene-Gesserit-Ausbildung in dieser Hinsicht versagen konnte.

Dem Bankmann zugewandt, sagte Kynes: »Ist da nicht noch eine Entschuldigung fällig?«

Mit einem kränklichen Lächeln wandte sich der Zurechtgewiesene an Jessica. »Ich fürchte, Mylady, ich habe Ihren vorzüglichen Weinen etwas zu sehr zugesprochen. Sie haben einen guten Tropfen kredenzt, aber leider vertrage ich nicht allzuviel davon.«

Die unterschwellige Bosheit in den Worten des Mannes war für Jessicas Ohren unüberhörbar, aber dennoch sagte sie in einem zuckersüßen Tonfall: »Wenn Fremde einander treffen, sollte man die größten Rücksichten auf ihre Sitten und Gebräuche nehmen.«

»Ich danke Ihnen, Mylady«, sagte der Bankvertreter.

Die dunkelhaarige Begleiterin des Destillanzugfabrikanten beugte sich zu Jessica hinüber und sagte: »Der Herzog sprach davon, daß wir hier in Sicherheit seien. Ich hoffe, das bedeutet nicht, daß noch mehr gekämpft wird.«

Man hat ihr aufgetragen, die Konversation in diese Richtung zu lenken, dachte Jessica.

»Es wird nichts Besonderes gewesen sein«, gab sie zurück. »Wissen Sie, in diesen Zeiten gibt es allerhand Dinge zu erledigen, bei denen die persönliche Anwesenheit des Herzogs leider nicht zu umgehen ist. Solange eine Feindschaft zwischen den Harkonnens und den Atreides' besteht, können wir uns nicht sicher fühlen. Der Herzog hat einen Kanly ausgesprochen. Das bedeutet natürlich auch, daß er keinen einzigen Agenten der Harkonnens auf Arrakis am Leben lassen kann.« Sie sah den Bankvertreter an. »Und die Konvention ist dabei natürlich auf seiner Seite.« Ihr Blick wanderte zu Kynes. »Ist es nicht so, Dr. Kynes?«

»So ist es in der Tat«, erwiderte der Planetologe.

Der Fabrikant zog seine Begleiterin sanft zurück. Während sie ihn ansah, meinte sie: »Ich glaube, ich möchte jetzt doch noch etwas essen. Ich hätte gerne etwas von diesem Vogel, den Sie vorhin auftragen ließen.«

Jessica benachrichtigte einen Bediensteten und sagte zu dem Bankmann: »Sie haben doch vorhin etwas von diesen Vögeln und ihrer Verhaltensweise erzählt, Sir. Meiner Meinung nach gibt es auf Arrakis wirklich viele interessante Dinge. Können Sie mir sagen, an welchen Orten das Gewürz gefunden wird? Gehen die Jäger weit in die Wüste hinaus?«

»O nein, Mylady«, erwiderte der Mann. »Über die Wüste ist nicht sehr viel bekannt. Und über die südlichen Regionen weiß man überhaupt nichts.«

»Es geht das Gerücht, daß einst eine riesige Ader des Gewürzes in den südlichen Zonen gefunden wurde«, warf Kynes ein, »aber ich habe den Verdacht, daß diese ungeheuerliche Entdeckung lediglich von einem Komponisten gemacht wurde, um einen interessanten Stoff für ein Lied zu bekommen. Es gibt natürlich einige besonders wagemutige Gewürzjäger, die sich ab und an in die Randzonen des Zentralgürtels vorwagen, aber sie setzen sich dabei untolerablen Gefahren aus. Eine Navigation dort ist jedesmal unsicher, und Stürme gehören dort zur Regel. Je weiter man sich vom Schildwall entfernt, desto immenser werden die Schwierigkeiten, denen man ausgesetzt ist. Bisher hat es sich als nicht sonderlich profitabel erwiesen, zu weit in den Süden hinunterzugehen. Aber wenn wir einen Wettersatelliten hätten …«

Bewt schaute auf und sagte mit vollem Mund: »Man sagt, daß die Fremen sich auch dort herumtreiben, daß sie überallhin gehen können. Und daß sie sogar in den südlicheren Breitengraden Wassersenken und Schluckbrunnen zur Verfügung haben.«

»Wassersenken und Schluckbrunnen?« fragte Jessica.

Schnell sagte Kynes: »Das sind alles wilde Gerüchte, Mylady. Man kennt diese Dinge auf anderen Planeten, aber nicht auf Arrakis. Eine Wassersenke nennt man eine Höhlung, in der sich Wasser sammelt; man kann sie angeblich an der Art ihrer näheren Oberflächenumgebung erkennen und durch einfaches Graben an sie herankommen. Ein Schluckbrunnen ist ein winziges Wasserloch, dem man die Flüssigkeit mit Hilfe eines Strohhalms abzapft … so sagt man jedenfalls.«

Er ist nicht aufrichtig, dachte Jessica.

Warum lügt er? fragte sich Paul.

»Wie interessant«, meinte Jessica und dachte: … »so sagt man jedenfalls …« Welch seltsamer Art von sprachlichem Manierismus man hier frönt. Wenn sie alle nur wüßten, was diese Art von Verschleierung über sie aussagt.

»Ich habe gehört, wie Sie behaupteten, der Glanz käme von den Städten, die Weisheit jedoch aus der Wüste«, sagte Paul.

»Es gibt eine Menge Sprichwörter auf Arrakis«, erwiderte Kynes.

Bevor Jessica dazu kam, eine weitere Frage zu formulieren, beugte sich von hinten ein Bediensteter zu ihr hinunter und überreichte ihr eine Note. Sie öffnete sie, erkannte die Handschrift des Herzogs und entschlüsselte die Kodezeichen.

»Es wird Sie sicher alle freuen zu hören«, sagte sie laut, »daß unser Herzog uns nochmals seiner Obhut versichert. Das Problem seiner momentanen Abwesenheit wurde gelöst. Der verschwundene Carryall wurde gefunden. Ein unter der Besatzung befindlicher Agent der Harkonnens überwältigte die anderen und flog die Maschine zu einer Schmugglerbasis, wo er hoffte, sie verkaufen zu können. Der Mann und die Maschine wurden dort unseren Streitkräften übergeben.« Sie nickte Tuek zu.

Der Schmuggler nickte zurück.

Jessica faltete die Botschaft zusammen und steckte sie in einen Ärmel.

»Ich bin entzückt, daß es zu keiner offenen Schlacht kam«, sagte der Vertreter der Gildenbank. »Wo die Leute doch eine solch große Hoffnung darauf setzen, daß die Anwesenheit der Atreides' ihnen endlich den ersehnten Frieden und Wohlstand bringen wird.«

»Speziell Wohlstand«, warf Bewt ein.

»Wollen wir nun zum Dessert übergehen?« fragte Jessica. »Ich habe unseren Küchenchef eine besondere Delikatesse anrichten lassen: Pongireis in Dolsasauce.«

»Das hört sich wundervoll an«, meinte der Destillanzugfabrikant. »Könnte ich auch hiervon das Rezept bekommen?«

»Sie können jedes Rezept bekommen, das Sie wünschen, Sir«, erwiderte Jessica und nahm sich vor, den Mann Hawat gegenüber zu erwähnen. Der Bursche war ein ängstlicher Speichellecker und eventuell käuflich.

Das übliche Dinnergeschwätz setzte nun ein: »Welch vorzügliche Fabrikation …«

»… er hat jetzt eine Filiale aufgemacht …«

»… sollten versuchen, die Produktion im nächsten Quartal zu steigern …«

Jessica schaute auf ihren Teller und überdachte den kodierten Teil von Letos Botschaft: »Die Harkonnens haben den Versuch unternommen, eine Schiffsladung Lasguns auf Arrakis einzufliegen. Wir haben sie abgefangen. Das schließt natürlich nicht aus, daß sie mit anderen Versuchen nicht schon Erfolg gehabt haben. Wir wissen jedenfalls sicher, daß sie keinen großen Wert auf Schilde legen. Ergreife entsprechende Vorsichtsmaßnahmen.«

Speziell die Lasguns gingen ihr nicht aus dem Sinn. Die heißen, hellen Strahlen dieses alles zerreißenden Lichtes waren in der Lage, jede bekannte Substanz zu zerschneiden, vorausgesetzt, sie war nicht durch einen Schild geschützt. Die Tatsache, daß die Rückkopplung eines Schildes sowohl ihn als auch eine Lasgun zur Explosion bringen konnte, schien die Harkonnens nicht zu stören. Wieso nicht? Die Explosion eines von einem Lasgun getroffenen Schildes konnte schlimmere Auswirkungen haben als die Zündung einer Kernwaffe: sie tötete in jedem Fall nicht nur das hinter dem Schild verborgene Ziel, sondern auch den Schützen.

Die vielen Unbekannten in dieser Rechnung erfüllten sie mit Besorgnis.

Paul sagte: »Ich habe niemals daran gezweifelt, daß wir den Carryall finden. Wenn mein Vater einmal ein Problem anpackt, löst er es auch. Das ist eine Tatsache, die die Harkonnens sich hinter die Ohren schreiben sollten.«

Er ist prahlerisch, dachte Jessica. Das sollte er nicht sein. Niemand, der in dieser Nacht über keinen Schutz gegen eine Lasgun verfügt, hat das Recht, solche stolzen Worte auszusprechen.

17

»Es gibt keine Rettung — wir haben für die Gewalttätigkeit unserer Vorfahren zu zahlen.«

Aus ›Gesammelte Weisheiten des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Als Jessica den Tumult in der Großen Halle hörte, schaltete sie das Licht neben ihrem Bett an. Da die Uhr noch nicht auf die örtliche Zeit umgestellt war, mußte sie einundzwanzig Minuten abziehen, um zu wissen, daß es etwa zwei Uhr in der Frühe war.

Der Tumult war laut und unzusammenhängend.

Haben die Harkonnens angegriffen? fragte sie sich.

Sie schlüpfte aus dem Bett und schaltete die Wandmonitore ein, um Klarheit darüber zu erhalten, wo ihre Familie war. Der Bildschirm zeigte Paul schlafend in dem tiefen Kellerraum, den man in aller Eile als Schlafraum für ihn hergerichtet hatte. Möglicherweise drang der Lärm nicht bis zu ihm durch. Das Zimmer des Herzogs war leer, das Bett unberührt. War er immer noch am Landefeld draußen?

Da es keine Bildschirme gab, die das Haus von außen zeigten, blieb Jessica in der Mitte ihres Schlafraums stehen und horchte.

Jemand schrie. Dann rief eine andere Stimme nach Dr. Yueh. Jessica tastete nach einer Robe, zog sie über die Schultern, schlüpfte in ein Paar Schuhe und befestigte das Crysmesser an ihrem Oberschenkel.

Wieder wurde nach Dr. Yueh gerufen.

Sie verschloß den Umhang mit einem Gürtel und trat auf den Gang hinaus. Plötzlich dachte sie: Was ist, wenn der Verletzte Leto ist?

Sie lief, und unter ihren Füßen schien der lange Korridor überhaupt kein Ende mehr nehmen zu wollen. Sie passierte die Tür an seinem Ende, ließ den Speisesaal hinter sich und rannte in die Große Halle hinunter, die in glänzendem Licht erstrahlte. Die Wandbeleuchtungen waren auf größte Intensität geschaltet.

Zu ihrer Rechten, in der Nähe des Haupteingangs, erblickte sie zwei Wachen, die Duncan Idaho zwischen sich hielten. Der Kopf des Mannes sank nach vorne, dann fiel eine abrupte, nur von hastigem Keuchen unterbrochene Stille über die Szenerie.

Einer der Wächter sagte in einem anklagenden Tonfall zu Idaho: »Sehen Sie nun, was Sie angerichtet haben? Lady Jessica ist aufgewacht.«

Die hinter den Männern sich bewegenden Gardinen deuteten an, daß der Haupteingang nicht verschlossen war. Von Dr. Yueh und dem Herzog war keine Spur zu erblicken. Mapes stand in der Nähe und musterte Idaho kalt. Sie trug eine lange, braune Robe, von Streifen durchsetzt. Ihre Beine steckten in Wüstenstiefeln.

»Ich habe also Lady Jessica aufgeweckt«, murmelte Idaho. Er hob den Kopf, blickte an die Decke und bellte: »Das erste Blut leckte mein Schwert auf Grumman!«

Große Mutter! dachte Jessica. Er ist betrunken!

Idahos finsteres Gesicht erschien ihr wie eine verzerrte Maske. Sein Haar, das an den Pelz eines schwarzen Bären erinnerte, war voller Schmutz. Ein gezackter Riß in seiner Tunika. Der Zustand seiner Kleidung war mit dem, den sie vor dem Dinner gehabt hatten, nicht mehr zu vergleichen.

Jessica ging auf ihn zu.

Eine der Wachen nickte ihr zu, ohne Idaho loszulassen. »Wir wußten nicht, was wir mit ihm tun sollten, Mylady. Er hat zuerst draußen angefangen, Krach zu schlagen und lehnte es ab, hereinzukommen. Wir befürchteten, daß irgend jemand vorbeikommen und ihn sehen könnte. Das konnten wir nicht zulassen. Bitte nehmen Sie uns das nicht übel.«

»Wo ist er gewesen?« fragte Jessica.

»Er begleitete eine junge Dame nach Hause, Mylady. Auf Anweisung von Hawat.«

»Welche junge Dame war das?«

»Eine der Begleitdirnen. Verstehen Sie, Mylady?« Der Mann schaute auf Mapes und senkte seine Stimme. »Sie schreien immer nach Idaho, wenn es gilt, spezielle Bewachungsaufgaben gegenüber den Damen zu übernehmen.«

Jessica dachte: Aber warum ist er betrunken?

Zu Mapes gewandt, sagte sie: »Mapes, richte Idaho ein Stimulans her. Ich schlage Koffein vor. Möglicherweise ist noch etwas von dem Gewürzkaffee übriggeblieben.«

Mapes zuckte die Achseln und kehrte in die Küche zurück. Ihre Wüstenstiefel erzeugten auf dem Fußboden kratzende Geräusche.

Idaho hob seinen außer Kontrolle geratenen Kopf und sah in einem schiefen Winkel auf Jessica. »Hab' mehr als dreihundert Mann für'n Herzog erschlagen«, murmelte er. »Un Sie wolln wissen, was mit mir los is? Kannich leben hier, nich unner der Erde un nich auffer Erde. Was für 'ne Welt ist das überhaupt hier, he?«

Ein Geräusch, das von einem der Nebeneingänge kam, zog Jessicas Aufmerksamkeit auf sich. Sie drehte sich um und sah, wie Dr. Yueh den Raum betrat, seinen Ärztekoffer in der Hand. Er war völlig bekleidet und wirkte bleich und verstört. Die diamantene Tätowierung leuchtete auf seiner Stirn.

»Der gute Dokter!« rief Idaho aus. »Was sind Sie, Doc? Ein Schpritzen-un-Pillen-Mann.« Er schaute erschöpft Jessica an. »Geb hier wohl 'ne verdammt lächerliche Figur ab, he?«



Jessica runzelte die Stirn, blieb aber ruhig. Warum hat er sich nur betrunken? Oder steht er unter Drogen?

»Zuviel Gewürzbier«, sagte Idaho und versuchte sich aufzurichten.

Mapes erschien mit einem dampfenden Becher in der Hand, blieb aber unsicher hinter Yueh stehen. Sie blickte Jessica an, die jetzt den Kopf schüttelte.

Yueh stellte seinen Arztkoffer ab, nickte Jessica grüßend zu und sagte: »Gewürzbier, wie?«

»Das verdammt beste Zeug, daß ich je probierte«, lallte Idaho. Er versuchte die Aufmerksamkeit auf sich zurückzulenken. »Das erste Blut leckte mein Schwert auf Grumman! Legte einen Harkon'n um … 'n Harkon'n … hab' ich umgelegt für'n Herzog.«

Yueh drehte sich zu Jessica um und schaute dann auf den Becher in Mapes' Hand. »Was ist das?«

»Koffein«, sagte Jessica.

Yueh nahm den Becher und hielt ihn Idaho hin. »Trink das, Bursche.«

»Will nix mehr zu trinken.«

»Trink es, habe ich gesagt.«

Idahos Kopf schwenkte Yueh entgegen. Er machte einen Schritt nach vorn und zog dabei die ihn haltenden Wachen mit sich. »Ich bin's verdammt noch mal satt, das ganze Imperiale Universum zu ehren, Doc. Jetzt spielen wir mal das Spiel, wie ich es will.«

»Nachdem Sie das hier getrunken haben«, sagte Yueh. »Es ist nur Koffein.«

»Hier ist gar nix mehr so wie's rechtens is, Doc. Die verfluchte Sonne … ist zu groß, zu heiß … Nix hat mehr die richtige Farbe. Alles ist falsch oder …«

»Nun, wir haben derzeit Nacht«, sagte Yueh gefaßt. »Seien Sie ein netter Junge, und trinken Sie dies hier aus. Nachher sieht die Welt schon wieder anders aus.«

»Will nich, daß alles anners aussieht für mich.«

»Wir können nicht die ganze Nacht mit ihm hier herumstreiten«, warf Jessica ein. Und dachte: Dies verlangt nach einer Schocktherapie.

»Es gibt keinen Grund, weshalb Sie hierbleiben sollten, Mylady«, erwiderte Yueh. »Sie können sich ohne weiteres zurückziehen. Ich werde damit schon fertig.«

Jessica schüttelte den Kopf. Sie machte einige Schritte und versetzte Idaho mehrere Ohrfeigen.

Zusammen mit den Wachen taumelte er zurück und starrte sie an.

»Dies ist keine Art, sich im Hause Ihres Herzogs aufzuführen«, sagte sie. Sie riß den Becher aus Yuehs Hand und hielt ihn unter Idahos Nase. »Sie trinken das jetzt! Das ist ein Befehl!«

Idaho kam taumelnd hoch und maß sie mit einem finsteren Blick. Und dann sagte er langsam und jede Silbe besonders betonend: »Von einem verdammten Harkonnen-Spitzel nehme ich keine Befehle entgegen.«

Yueh erstarrte. Er wirbelte herum, um Jessicas Reaktion aufzufangen.

Schlagartig war ihr Gesicht blaß geworden. Aber sie nickte. Plötzlich wurde ihr alles klar. All die subtilen Symbole, die sie in Gesprächen und Aktionen während der letzten Tage mitbekommen hatte. Jetzt konnte sie sie zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Der Zorn, der in ihr aufwallte, daß sie erst jetzt richtig verstand, was hier vor sich ging, war zu groß, als daß sie ihn ohne weiteres unterdrücken konnte. Sie mußte alle Kräfte ihrer Ausbildung als Bene Gesserit aufwenden, um ihren Pulsschlag wieder auf ein Normalmaß zu senken und ihren Atem unter Kontrolle zu halten. Und selbst dann noch spürte sie das Lodern einer Flamme in sich.

Sie schreien immer nach Idaho, wenn es gilt …

Sie warf Yueh einen Blick zu. Der Arzt senkte den Blick.

»Sie wußten das?« fragte sie.

»Ich … habe einige Gerüchte gehört, Mylady. Aber ich habe ihnen natürlich keinerlei Glauben geschenkt.«

»Hawat!« fauchte Jessica. »Ich will, daß Thufir Hawat sofort hierhergebracht wird!«

»Aber Mylady …«

»Sofort!«

Es muß Hawat gewesen sein, dachte sie. Ein Mißtrauen dieser Art kann von keiner anderen Quelle sprudeln, ohne nicht sofort zurückverfolgt zu werden.

Kopfschüttelnd murmelte Idaho: »Ach, scheiß auf die ganze verdammte Sache.«

Jessica sah auf das Gefäß, das sie noch immer in der Hand hielt und schüttete seinen Inhalt mit einem Ruck in Idahos Gesicht. »Schließt ihn in eines der Gästezimmer im Westflügel ein«, ordnete sie an. »Und lassen Sie ihn diesen Rausch ausschlafen.«

Die beiden Wachen musterten sie unentschlossen. Einer der Männer meinte zögernd: »Vielleicht sollten wir ihn woandershin bringen, Mylady. Wir könnten …«

»Er bleibt hier im Haus!« fauchte Jessica. »Er hat hier eine Arbeit zu erledigen.« Ihre Stimme war bitter. »Wo er doch so gut als Bewacher von Damen taugt.«

Der Wächter schluckte.

»Wissen Sie, wo sich der Herzog aufhält?« fragte Jessica den Mann.

»Er ist auf dem Kommandoposten, Mylady.«

»Bringen Sie mir Hawat«, befahl sie. »Ich werde ihn in meinem Besuchszimmer erwarten.«

»Aber Mylady …«

»Sollte es sich nicht anders regeln lassen, werde ich den Herzog anrufen«, fügte sie hinzu. »Und ich hoffe, daß dies nicht nötig sein wird. Ich möchte mit Angelegenheiten dieser Art nicht seine Unternehmungen stören.«

»Jawohl, Mylady.«

Jessica legte den leeren Becher in Mapes Hände zurück. Ihre Augen sahen im Gesicht Mapes' einen fragenden Ausdruck.

»Du kannst wieder zu Bett gehen, Mapes.«

»Sind Sie sicher, daß Sie mich nicht mehr brauchen?«

Mit einem grimmigen Lächeln erwiderte Jessica: »Ich bin sicher.«

»Vielleicht hätte die Sache doch noch bis morgen Zeit«, mischte Yueh sich nun ein. »Ich könnte Ihnen ein Beruhigungsmittel geben und …«

»Sie begeben sich in Ihr Quartier zurück und überlassen alles weitere mir«, entgegnete Jessica. Sie drückte seinen Arm, um dieser Anordnung mehr Gewicht zu verleihen. »Es gibt keinen anderen Weg.«

Dann drehte sie sich auf dem Absatz herum und verließ mit hocherhobenem Kopf die Halle. Der Rückweg zu ihren Privaträumen erschien ihr auf einmal ganz anders. Kalte Wände … Gänge … eine bekannte Tür. Sie öffnete sie, glitt in den Raum hinein und warf die Tür ins Schloß. Eine ganze Weile blieb sie dort stehen und starrte auf die blankgeputzten Fenster ihres Besuchszimmers. Hawat! Könnte er derjenige sein, der im Sold der Harkonnens stand? Wir werden sehen.

Sie ging zu einem tiefen, altmodischen Armsessel hinüber und rückte ihn in eine Position, die es ihr ermöglichte, die Tür im Auge zu behalten. Plötzlich wurde sie sich wieder des Crysmessers bewußt, das an ihrem Oberschenkel in seiner Scheide stak, löste es und befestigte es an ihrem Arm. Dann warf sie einen erneuten Blick durch den Raum und prägte sich für einen eventuellen Notfall die Einrichtung ein: das Sofa in der Ecke, die Stuhlreihe entlang der Wand, die beiden flachen Tische und die an der Wand abgestellte Zither neben der Tür zu ihrem Schlafraum.

Die Suspensorlampen spendeten blasses Licht. Jessica stellte sie noch weiter herunter und setzte sich in den Armsessel. Ihre Finger glitten über den weichen Bezug.

Jetzt soll er kommen, dachte sie. Und wir werden erfahren, was wir erfahren sollen. Sie bereitete sich auf das Zusammentreffen vor, wie es die Art der Bene Gesserit war, indem sie sich in völliger Ruhe sammelte und ihre Kräfte konzentrierte.

Schneller als sie zu erwarten gehofft hatte, hörte sie das Geräusch der sich öffnenden Tür. Hawat trat ein.

Ohne sich von ihrem Sessel zu erheben, beobachtete Jessica seine Bewegungen, die davon zeugten, daß seine Energie möglicherweise irgendwelchen Drogen zu verdanken war. Sie sollten seine Müdigkeit vertuschen. Hawats rheumatische Augen glitzerten, und unter der Beleuchtung erschien seine Haut ledrig und gelb. Auf dem Ärmel seines Messerarms befand sich ein feuchter Fleck.

Es roch nach Blut.

Sie deutete auf einen der übrigen Sessel und sagte: »Rücken Sie ihn her, und nehmen Sie vor mir Platz.«

Hawat verbeugte sich und gehorchte. Dieser versoffene Narr von Idaho! dachte er. Er musterte Jessicas Züge und fragte sich, wie er aus dieser Situation wieder herauskommen konnte.

»Ich finde, daß es allmählich an der Zeit ist, die Lage zwischen uns zu klären«, begann Jessica.

»Was meinen Sie, Mylady?« fragte er, nahm Platz und legte beide Hände in den Schoß.

»Spielen Sie nicht Katz und Maus mit mir«, fauchte Jessica. »Wenn Yueh Ihnen nicht schon gesagt hat, weshalb ich Sie habe rufen lassen, wird es schon irgendein anderer Ihrer Spitzel unter meinem Personal getan haben. Sollten wir nicht zumindest so aufrichtig miteinander sein?«

»Wie Sie wünschen, Mylady.«

»Zuerst werden Sie mir folgende Frage beantworten«, fuhr Jessica fort. »Stehen Sie nun auf den Lohnliste der Harkonnens?«

Hawat erhob sich halb aus seinem Sessel. Mit vor Zorn rotem Gesicht keuchte er: »Sie wollen mich also beleidigen?«

»Setzen Sie sich«, entgegnete Jessica. »Sie haben mich beleidigt.«

Langsam sank Hawat zurück.

Jessica, die in seinem Gesicht genau das zu lesen verstand, was sie wollte, atmete erleichtert auf. Es ist nicht Hawat.

»Ich weiß jetzt, daß Sie meinem Herzog treu ergeben sind«, fuhr sie fort. »Und ich bin bereit, deswegen Ihren Affront mir gegenüber zu vergeben.«

»Ist hier überhaupt etwas zu vergeben?«

Jessica dachte finster: Soll ich meinen Trumpf jetzt ausspielen? Soll ich ihm von der Tochter des Herzogs erzählen, die ich seit Wochen in mir trage? Nein … Leto weiß selbst noch nichts davon. Wenn er es wüßte, würde dies sein Leben nur noch mehr komplizieren. Es würde ihn nur von wichtigeren Dingen, die uns das Überleben sichern, ablenken. Es ist noch genügend Zeit.

»Eine Hellseherin wäre in der Lage, das zu klären«, erwiderte sie. »Aber über eine solche verfügen wir leider nicht.«

»Ganz recht. Wir haben keine Hellseherin.«

»Gibt es einen Verräter unter uns?« fragte sie. »Ich habe unsere Leute mit größter Sorgfalt studiert. Wer könnte es sein? Gurney? Nein. Sicher auch nicht Duncan. Und deren persönliche Adjutanten haben nicht genügend Befugnisse, um sie für die Gegenseite gewinnbringend zu verwenden. Und Sie sind es auch nicht, Thufir. Paul kann es nicht sein. Und ich weiß, daß ich es nicht bin. Vielleicht Dr. Yueh? Soll ich ihn rufen lassen und einem Test unterziehen?«

»Sie wissen, daß das nur leeres Gerede ist«, erwiderte Hawat. »Er ist konditioniert worden. Und das weiß ich ziemlich sicher.«

»Und nicht zu vergessen, daß seine Frau eine Bene Gesserit war, für deren Tod die Harkonnens verantwortlich sind.«

»Also das war es«, nickte Hawat.

»Ist Ihnen niemals aufgefallen, mit welcher Verachtung er den Namen Harkonnen ausspricht?«

»Sie wissen, daß ich nicht das Ohr habe, solche Untertöne zu hören«, entgegnete Hawat.

»Und wieso konzentrierte sich Ihr Mißtrauen gegen mich?« fragte Jessica.

Hawat zuckte die Achseln. »Mylady bringen Ihren Untertan in eine unmögliche Situation. Meine Loyalität gehört in erster Linie dem Herzog.«

»Gerade wegen dieser Loyalität bin ich bereit, eine Menge zu vergeben.«

»Und ich muß erneut fragen: Gibt es überhaupt etwas zu vergeben?«

»Also eine Sackgasse. Für uns beide.«

Hawat hob die Schultern.

»Dann lassen Sie uns für eine Weile über etwas anderes unterhalten«, schlug Jessica vor. »Sprechen wir über Duncan Idaho, den verehrenswerten Kämpfer, dessen Fähigkeiten so gerühmt werden. Heute abend hatte er einige Schwierigkeiten mit einem Getränk, das man Gewürzbier nennt. Ich habe gehört, daß bereits andere unserer Leute diesem Gebräu verfallen sind. Stimmt das?«

»Sie haben Ihre Informationen, Mylady.«

»Die habe ich. Und sie sehen in diesem Trinken kein Symptom, Thufir?«

»Mylady sprechen in Rätseln.«

»Richten Sie Ihre Mentatkräfte darauf«, fauchte sie zurück. »Unter welchem Problem leiden Duncan und die anderen? Ich kann es in vier Worten ausdrücken: Sie haben kein Zuhause.«

Hawat deutete zu Boden. »Arrakis ist ihr Zuhause.«

»Arrakis ist eine Unbekannte! Caladan war ihre Heimat, aber wir haben die Männer entwurzelt. Sie haben kein Zuhause mehr. Und dazu fürchten sie noch, daß der Herzog versagen könnte.«

Hawat versteifte sich. »Solche Worte aus dem Mund eines der Männer wäre ein Grund zur …«

»Ach, hören Sie doch auf, Thufir! Ist es ein Zeichen von Defätismus oder Verrat, wenn ein Arzt eine korrekte Diagnose stellt? Die einzige Absicht, die ich damit hege, ist, diese Krankheit zu heilen.«

»Der Herzog gewährt mir jede nur denkbare Unterstützung in diesen Dingen.«

»Aber Sie werden verstehen, daß auch ich ein legitimes Interesse für das Fortschreiten dieser Krankheit habe«, fuhr Jessica fort. »Und Sie werden verstehen, daß ich über sichere Fähigkeiten verfüge, um das zu erkennen.«

Ist es meine Bestimmung, ihn jedesmal einem Schock auszusetzen? fragte sie sich. Dieser Mann muß aufgerüttelt werden. Er muß aus seiner Routine heraus!

»Man könnte es auf vielerlei Arten interpretieren, wenn Sie das meinen«, sagte Hawat achselzuckend.

»Dann glauben Sie also, mich bereits überführt zu haben?«

»Natürlich nicht, Mylady. Es ist nur so, daß ich es mir nicht leisten kann, irgendwelche Möglichkeiten außer acht zu lassen jedenfalls nicht in der momentan herrschenden Situation.«

»Nachdem Sie dieses Haus überprüft hatten, wurde ein Anschlag auf meinen Sohn verübt«, entgegnete Jessica. »Wer hat mit dieser Möglichkeit gerechnet?«

»Ich habe dem Herzog meinen Rücktritt angeboten«, erklärte Hawat finster.

»Haben Sie das auch mir angeboten? Oder Paul?«

Jetzt war Hawat offensichtlich wütend, obwohl er versuchte, sein hastiges Atmen zu verbergen. Seine Nasenflügel vibrierten seine Halsschlagader pochte aufgeregt.

»Ich bin ein Mann des Herzogs«, sagte er aufgebracht.

»Es gibt keinen Verräter«, erwiderte Jessica. »Die Bedrohung kommt von ganz anderer Seite. Vielleicht hat es etwas mit den Lasguns zu tun. Vielleicht riskieren sie es doch, ein paar Lasguns einzuschmuggeln, die ferngesteuert oder sonstwie gegen den Hausschild eingesetzt werden sollen. Vielleicht …«

»Und wie wollten sie nach einem Angriff beweisen können, daß die Explosion nicht atomaren Ursprungs war?« fragte Hawat. »Nein, Mylady. Ein solches Risiko gehen sie niemals ein. Radioaktivität vergeht. Sie könnten nicht beweisen, nicht gegen die Konvention verstoßen zu haben. Allein schon deswegen müssen sie darauf achten, vordergründig die Form zu wahren. Es gibt einen Verräter.«

»Sie sind ein Mann des Herzogs«, zischte Jessica. »Würden Sie ihn zerstören, mit der Absicht ihn zu retten?«

Hawat sog tief den Atem ein und meinte: »Wenn Sie unschuldig sein sollten, werde ich mich in aller Form entschuldigen.«

»Schauen Sie sich an, Thufir«, bohrte Jessica weiter. »Die Menschen leben am besten, wenn jeder von ihnen seinen Platz hat wenn jeder weiß, wo er hingehört. Wenn Sie seinen Platz zerstören, zerstören Sie gleichzeitig die Person. Von allen, die den Herzog lieben, Thufir, sind Sie und ich die einzigen, die einander schaden könnten. Hätte ich nicht die Möglichkeit, beim Herzog gegen Sie zu intrigieren? Zu welchen Zeiten wäre er für solche Einflüsterungen am meisten empfänglich, Thufir? Muß ich Ihnen das wirklich noch näher erklären?«

»Sie drohen mir?« grollte Hawat.

»Natürlich nicht. Ich möchte Ihnen nur klar machen, daß jemand dabei ist, uns anzugreifen, indem er die Grundvoraussetzung unseres Zusammenlebens zerstört. Der Plan ist teuflisch genial. Ich schlage vor, daß wir diesen Angriff so zur Kenntnis nehmen wie er gemeint ist.«

»Sie beschuldigen mich also der grundlosen Verbreitung von Mißtrauen?«

»Grundlos, ja.«

»Schließen Sie gleichzeitig auch Ihre Einflüstereien damit ein?«

»Es ist Ihr Leben, das aus Flüstertätigkeiten besteht, Thufir, nicht das meine.«

»Dann bezweifeln Sie also meine Fähigkeiten?«

Jessica stieß einen Seufzer aus. »Thufir, ich möchte nur, daß Sie überprüfen, inwiefern Sie selbst gefühlsmäßig in diese Affäre verstrickt sind. Der natürliche Mensch ist ein Tier ohne Logik. Die Art, in der Sie auf alle Affären mit Logik herangehen ist unnatürlich, für Sie aber eine hergebrachte Nützlichkeit. Sie sind ein personifizierter Logiker — ein Mentat. Die Problemlösungen, die Sie anbieten, sind — in einem realistischen Sinne — aus Ihnen selbst herausprojiziert, nachdem Sie sie von allen Seiten betrachtet und eingehend studiert haben.«

»Glaube Sie, mir damit etwas Neues zu sagen?« fragte Hawat, ohne sich diesesmal die Mühe zu machen, zu verbergen, wie ärgerlich er war.

»Alles, was sich vor Ihren Augen abspielt, können Sie sehen und Ihrer Logik unterwerfen«, fuhr Jessica fort. »Aber es ist nun einmal eine menschliche Eigenart, daß wir die Probleme, die uns betreffen, so verschlüsselt von uns geben, daß es ungeheuer schwer ist für einen anderen, sie mit den Gesetzen reiner Logik zu erklären. Wir neigen dazu, herumzutaumeln, allem nachzugehen, außer dem Wichtigen, was uns wirklich bewegt.«

»Sie sind jetzt dabei«, knurrte Hawat, »mir einzureden, daß meine Fähigkeiten als Mentat nichts taugen. Wenn ich jemanden unter unseren Leuten entdecken würde der dies täte — nämlich eine unserer Waffen zu sabotieren -, würde ich nicht zögern, ihn zu denunzieren und zu zerstören.«

»Selbst die fähigsten Mentaten rechnen in der Regel damit, hin und wieder einen Fehler zu machen«, sagte Jessica.

»Ich habe nie etwas anderes behauptet!«

»Dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Symptome, die uns beiden nicht verborgen geblieben sind: die Trunksucht unter den Männern; der Zank — das verrückte und grundlose Geschwätz über Arrakis; das Ignorieren der einfachsten …«

»Es wird keine Untätigkeit mehr für sie geben«, warf Hawat ein. »Versuchen Sie doch nicht, mich dadurch abzulenken, indem sie aus einer Mücke einen Elefanten machen.«

Jessica starrte ihn an und dachte dabei an die Männer des Herzogs, die bereits in ihren Unterkünften so laut jammerten, daß man ihren Unmut beinahe riechen konnte. Sie entwickeln sich wie die Männer aus dieser Prä-Gilden-Legende, dachte sie. Wie jene Mannschaft des verlorenen Sternenschiffes ›Apoliros‹, die krank hinter ihren Geschützen hocken, ewig auf der Suche, ewig vorbereitet und dennoch niemals ein Ziel erreichend.

»Warum haben Sie niemals während Ihrer Dienstzeit für den Herzog von meinen Fähigkeiten Gebrauch gemacht?« fragte sie Hawat. »Halten Sie mich etwa für Ihre Rivalin?«

Er blitzte sie an, in seinen alten Augen zuckten Flammen. »Ich kenne einiges von dem Training, das man bei den Bene Gesserit erhält …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern starrte finster geradeaus.

»Sprechen Sie ruhig weiter«, ermunterte Jessica ihn. »Sie wollten doch irgend etwas über Hexen sagen, nicht wahr?«

»Ich habe einiges von dem mitbekommen, was man Ihnen beigebracht hat«, erklärte Hawat. »Und zwar dadurch, indem ich Paul beobachtete. Mich können Sie nicht mit dem Unsinn abspeisen, den Ihre Schulen verbreiten: daß sie nur da sind, um zu dienen.«

Der Schock muß heftig sein, und er ist beinahe reif dafür, dachte Jessica.

»Wenn wir in Gesellschaft sind, pflegen Sie mir im allgemeinen respektvoll zuzuhören«, sagte sie, »und dennoch holen Sie sehr selten meinen Rat ein. Warum?«

»Ich traue Ihren Bene-Gesserit-Motiven nicht«, gab Hawat zurück. »Möglicherweise glauben Sie, einen Mann durchschauen zu können; vielleicht glauben Sie sogar, ihn soweit zu bringen, daß er das tut, was Sie …«

»Sie armer Narr, Thufir!« rief Jessica aus.

Überrascht trat er nach hinten und fiel in seinen Sessel zurück.

»Und wenn Sie noch so wilde Gerüchte über unsere Schulen vernommen haben«, fuhr sie fort, »die Wahrheit ist weitaus größer! Wenn ich wirklich vorhätte, das Leben des Herzogs zu vernichten — oder das Ihre, meinetwegen das Leben jedes anderen Menschen in meiner Reichweite, glauben Sie wirklich, daß jemand mich daran hindern könnte?«

Und sie dachte: Warum lasse ich zu, daß der Stolz mir derartige Worte über die Lippen bringt? Dies ist nicht die Art, die man mich gelehrt hat. Auf diese Art darf ich ihm keinen Schock versetzen.

Hawats Hand fuhr unter die Tunika, wo er einen Mini-Projektor verborgen hielt, der Giftnadeln verschoß. Sie trägt keinen Schild, zuckte es durch sein Gehirn. Ist das nur Prahlerei, was sie sagt? Ich könnte sie jetzt töten … aber, ah-h-h, die Konsequenzen, wenn meine Vermutungen nicht zutreffen.

Jessica sah, wie er in die verborgene Tasche griff und sagte: »Lassen wir einander versprechen, daß es zwischen uns niemals zu Gewalttätigkeiten kommen wird.«

»Ein treffliches Versprechen«, nickte Hawat.

»Inzwischen hat die Krankheit also auch vor uns nicht haltgemacht«, sagte Jessica. »Und ich muß noch einmal darauf zurückkommen: Ist es nicht möglich, daß die Harkonnens dieses Mißtrauen aus einem bestimmten Grund zwischen uns gesät haben?«

»Wir haben uns offenbar wieder in dieser Sackgasse getroffen«, meinte Hawat trocken.

Jessica seufzte. Gleich ist es soweit, dachte sie.

»Der Herzog und ich sind für unsere Leute so etwas wie Vater- und Muttergestalten. Wir …«

»Er hat Sie nicht geheiratet«, warf Hawat ein.

Gut gekontert, dachte sie und zwang sich zur Ruhe.

»Aber er wird auch keine andere Frau heiraten. Jedenfalls nicht, solange ich lebe. Und was ich eben über unsere Positionen sagte, wird davon nicht berührt. Um diese Position zu zerstören, unsere gemeinsame Ordnung zu unterminieren und uns zu verwirren wem würde dies mehr entgegenkommen als den Harkonnens?«

Hawat folgte ihr mit seinem Blick, aber auch mit seinem Geist in die Richtung, die sie einschlug, das war unverkennbar, auch wenn er die Stirn runzelte.

»Der Herzog«, fuhr sie fort, »bietet ein attraktives Ziel, daran zweifelt niemand. Aber mit der Ausnahme von Paul ist niemand von besseren Leibwächtern umgeben. Also zielt man auf mich, obwohl ich durch meine Fähigkeiten ebenfalls kein leichtes Ziel biete. Also verfällt man auf eine ganz andere Methode und sucht sich ein ungeschützteres Ziel, einen Menschen, für den das Mißtrauischsein so natürlich ist, wie für andere das Atmen. Jemanden, dessen ganzes Leben daraus besteht, sich auf mysteriöse Dinge zu konzentrieren.« Sie zeigte mit der rechten Hand auf Hawat.

»Sie!«

Hawat machte Anstalten, aus dem Sessel zu springen.

»Ich habe Sie nicht zum Gehen aufgefordert, Thufir!« explodierte sie.

Die Muskeln des alten Mentaten versagten so plötzlich, daß er beinahe in seinen Sessel zurückfiel.

Jessica lächelte ohne Herzlichkeit.

»Jetzt wissen Sie zumindest einiges von dem, was man uns beigebracht hat«, meinte sie.

Hawat schien krampfhaft zu schlucken. Ihr Befehl sitzen zu bleiben hatte ihn so überrascht, daß er unfähig gewesen war, dagegen anzugehen: sein Körper hatte ihr gehorcht, bevor er überhaupt darüber nachgedacht hatte. Nichts hätte seine Reaktion verhindern können, weder Logik noch die aufgestaute Wut. Das, was sie mit ihm angestellt hatte, zeugte von einer geradezu ungeheuren Kenntnis des Körpers desjenigen, den sie unter ihre Kontrolle gezwungen hatte. Und die Kontrolle war so stark gewesen, daß sie für einen Mann wie ihn geradezu unvorstellbar war.

»Ich habe vorhin zu Ihnen gesagt, daß wir versuchen sollten, einander zu verstehen«, fuhr Jessica fort. »Ich meinte damit, daß Sie versuchen sollten, mich zu verstehen. Ich habe Sie bereits verstanden. Und ich sage Ihnen jetzt, daß einzig und allein Ihre Loyalität dem Herzog gegenüber Ihre Sicherheit vor mir garantiert.«

Hawat starrte sie an und befeuchtete die Lippen mit der Zunge.

»Wenn ich Wert darauf legte, eine Marionette zu dirigieren: der Herzog würde mich heiraten«, erklärte sie ihm. »Und selbst dann würde er noch im Glauben sein, dies aus eigenem Willen zu tun.«

Hawat senkte den Kopf und schaute durch zusammengekniffene Augen auf. Es war lediglich die stärkste Selbstkontrolle, die ihn daran hinderte, die Wache zu alarmieren. Und die Ahnung daß diese Frau ihn nicht so weit gehen lassen würde. Als er daran dachte, wie sie ihn erledigt hatte, bekam er eine Gänsehaut. Sie hätte ihn ohne weiteres töten können!

Hat jeder Mensch diese schwache Stelle? fragte er sich. Kann jeder von uns zu einer Tat gezwungen werden, bevor er Widerstand leistet? Dieser Gedanke lähmte ihn beinahe. Wer war in der Lage, einen Menschen mit solchen Kräften aufzuhalten?

»Sie haben nur einen sehr kleinen Teil der Kraft einer Bene Gesserit zu spüren bekommen«, sagte Jessica. »Die wenigsten überleben das. Und was ich mit Ihnen tat, war eine sehr leichte und einfache Sache. Glauben Sie nicht, daß Sie jetzt das volle Ausmaß meiner Kräfte kennengelernt haben. Denken Sie daran.«

»Warum gehen Sie nicht hinaus und vernichten die Feinde des Herzogs?« fragte er.

»Was wollen Sie denn, das ich zerstöre?« gab sie zurück. »Wollen Sie, daß ich einen Schwächling aus ihm mache? Einen Mann, der sich auf ewig schutzsuchend an mich wendet?«

»Aber mit solch einer Macht …«

»Macht ist ein zweischneidiges Schwert, Thufir«, erwiderte Jessica. »Sie denken jetzt: ›Wie leicht wäre es doch für sie, die Handlungen auch der Gegner zu beeinflussen.‹ Sicher, Thufir, aber auch die Ihren. Wenn alle Bene Gesserit dies täten, würde uns das nicht verdächtig machen? Wir wollen das nicht tun, Thufir. Wir haben nicht vor, uns selbst zu vernichten.« Sie nickte. »Wir existieren wirklich nur, um anderen zu dienen.«

»Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben«, sagte Hawat. »Sie wissen, daß ich das nicht kann.«

»Sie werden auch nichts über das sagen, was heute nacht hier vorgefallen ist, Thufir. Dafür kenne ich Sie.«

»Mylady …« Wieder versuchte Hawat mit trockener Kehle zu schlucken. Er dachte: Sie verfügt über eine ungeheure Macht, ja. Aber würde nicht gerade dies sie zu einem noch interessanteren Werkzeug für die Harkonnens machen?

»Der Herzog könnte ebenso schnell von seinen Freunden vernichtet werden wie von seinen Gegnern«, meinte Jessica. »Ich nehme an, daß Sie den Grund Ihres Mißtrauens noch einmal genauestens überprüfen und dann vergessen werden.«

»Wenn es wirklich grundlos ist«, sagte Hawat.

»Wenn«, fauchte Jessica.

»Ja, wenn«, wiederholte Hawat.

»Sie sind zäh«, stellte sie fest.

»Vorsichtig«, verbesserte Hawat, »und eventuellen Fehlern immer wachsam gegenüberstehend.«

»Dann will ich Ihnen eine andere Frage stellen: Was bedeutet es für Sie, daß jemand vor Ihnen steht, der sie völlig in der Gewalt und entwaffnet hat; der Ihnen eine Klinge an die Kehle setzt und Sie dennoch nicht tötet, sondern Ihnen im Gegenteil die Fesseln wieder abnimmt und ein Messer reicht, das Sie benutzen können, wie es Ihnen beliebt?«

Sie stand auf und drehte ihm den Rücken zu. »Sie können nun gehen, Thufir.«

Der alte Mentat erhob sich, zögerte und tastete mit der Hand nach der unter seiner Tunika verborgenen tödlichen Waffe. Er erinnerte sich an die Arena und an Letos Vater (der ein tapferer Mann gewesen war, egal, was man sonst gegen ihn einwenden mochte) und den längst vergangenen Tag der Corrida: Das schreckliche schwarze Ungetüm hatte dagestanden, den Kopf gesenkt, unbeweglich und verwirrt. Der alte Herzog hatte den Hörnern seinen Rücken zugedreht, während die Capa über seinem Arm lag und die Zuschauer in lautes Beifallsgeschrei ausgebrochen waren.

Ich bin der Stier, dachte er, und sie der Matador. Als er die Hand von der Waffe nahm, sah er, daß sie naß vom Schweiß war. Und ihm wurde klar, daß, egal wie sich die Dinge entwickeln mochten, er niemals seinen Respekt vor Lady Jessica verlieren würde.

Leise wandte er sich ab und verließ den Raum.

Jessica löste sich vom Anblick der das Licht reflektierenden Fensterscheiben und starrte auf die geschlossene Tür.

»Jetzt wird es erst richtig losgehen«, flüsterte sie.

18

Du kämpfst mit den Träumen? Du ringst mit den Schatten? Du bewegst dich in einer Art Schlaf? Die Zeit ist dir entwichen. Dein Leben gestohlen. Lappalien halten dich auf, Opfer deiner Torheit.

Grabgesang für Jamis, aus ›Lieder des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Leto stand im Foyer seines Hauses und studierte im Licht einer einzigen Suspensorlampe eine Botschaft. Der Morgen würde erst in einigen Stunden grauen, und er fühlte seine Müdigkeit. Ein Kurier der Fremen hatte die Nachricht einem der Außenposten gegeben, nachdem der Herzog von der Kommandozentrale zurückgekehrt war.

Die Botschaft lautete: »Am Tag eine Säule aus Wolken, in der Nacht eine aus Feuer.«

Sie trug keine Unterschrift.

Was hat das zu bedeuten? fragte er sich.

Der Kurier war verschwunden, bevor man ihn danach fragen konnte. Er hatte auch nicht auf Antwort gewartet, sondern war wie ein rauchiger Schatten in der Nacht untergetaucht.

Leto steckte die Nachricht in die Tasche seiner Tunika und nahm sich vor, sie später Hawat zu zeigen. Müde strich er sich das Haar aus der Stirn und holte tief Luft. Die Aufputschtabletten begannen jetzt ihre Nebenwirkung zu zeigen. Er hatte jetzt seit mehr als zwei Tagen keine Stunde geschlafen.

Über allen militärischen Problemen stand jetzt die Sache mit Jessica, von der Hawat ihn unterrichtet hatte.

Soll ich sie wecken? fragte er sich. Es gibt nun keinen Grund mehr, die Geheimniskrämerei weiterzuführen. Oder doch?

Verflucht sei Duncan Idaho!

Er schüttelte den Kopf. Nein, nicht Duncan. Es war mein Fehler, sie nicht von Anfang an ins Vertrauen gezogen zu haben. Aber ich werde es jetzt tun, sofort; bevor noch mehr Schaden angerichtet werden kann.

Die getroffene Entscheidung führte dazu, daß er sich gleich besser fühlte. Sofort machte er sich auf den Weg durch die Vorhalle, passierte die Große Halle und ging dann zum Familienflügel.

An der Kreuzung, wo sich der Gang zum Personalflügel spaltete, hielt er kurz an. Ein seltsames Wimmern drang von dort her an seine Ohren. Leto legte die rechte Hand auf den Aktivator seines Körperschildes und zog den Kindjal aus der Scheide. Die Klinge verlieh ihm ein gewisses Gefühl der Sicherheit, denn das ungewöhnliche Geräusch beunruhigte ihn.

Leise schlich er durch den Personalkorridor und verfluchte dabei die unzulängliche Beleuchtung. Hier hing nur das kleinste Suspensormodell, acht Meter von ihm entfernt und auf die kleinste Einheit zurückgeschaltet. Die finsteren Steinwände schienen jegliches Licht zu verschlucken.

Ein schattenhafter Umriß schien dort auf dem Boden zu liegen. Leto zögerte, er war noch nicht bereit, den Körperschild zu aktivieren, weil er befürchtete, in seinen Bewegungen behindert zu werden. Auch sein Gehörsinn würde dann nicht mehr der gewohnte sein. Und die abgefangene Schiffsladung Lasguns trug nicht dazu bei, sein Vertrauen in den Schild zu stärken.

Lautlos bewegte er sich auf die Umrisse zu. Es war eine menschliche Gestalt, die dort mit dem Gesicht nach unten auf den Steinen lag. Mit dem Fuß drehte er die Gestalt herum und beugte sich zu ihr hinunter, um in dem schwachen Licht ihr Gesicht zu sehen. Es war Tuek, der Schmuggler, und ein feuchter Fleck verunzierte seinen Brustkorb. Tote Augen starrten ihn voll finsterer Leere an. Leto berührte den Fleck. Er war noch warm.

Wieso liegt dieser Mann hier? fragte Leto sich. Wer kann ihn umgebracht haben?

Das Wimmern wurde jetzt lauter. Es kam unzweifelhaft aus der Richtung, wo die Räumlichkeiten lagen, in denen die Anlagen des Hauptschildgenerators für das Haus untergebracht waren.

Die Hand auf dem Schildaktivator, die Klinge gezückt, umging der Herzog die Leiche und lugte um die Ecke, hinter der der Generatorenraum lag.

Dort lag eine weitere Gestalt, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Und sie war auch der Grund für dieses unterdrückte Wimmern gewesen. Keuchend und stöhnend kroch die Gestalt auf ihn zu.

Leto unterdrückte seinen plötzlichen Schrecken, ging auf die Gestalt zu und beugte sich zu ihr hinunter. Es war Mapes, die fremenitische Haushälterin. Ihre Kleidung war zerfetzt, ihr Haar wirr. Ein riesiger Fleck reichte von ihrem Rücken bis zur Hüfte. Als er ihre Schulter berührte, stützte sie sich auf die Ellbogen und hob den Kopf, um ihn anzusehen. Ihre Augen waren eine einzige leere Schwärze.

»Herr«, keuchte sie, ihn erkennend, »… Wache … umgebracht … schickten … bekamen … Tuek … fliehen … Mylady … Sie … Sie … hier … Nein …« Sie fiel vornüber und schlug mit dem Gesicht auf den Fußboden.

Leto fühlte sofort nach ihrem Puls. Nichts. Er schaute sich den Fleck an. Man hatte sie von hinten getroffen. Aber wer? Seine Gedanken rasten. Hatte sie sagen wollen, daß jemand eine Wache tötete? Und Tuek — hatte Jessica nach ihm geschickt? Warum?

Er stand wieder auf, und irgendein sechster Sinn warnte ihn. Seine Hand zuckte zum Aktivator des Körperschildes. Zu spät. Sein Arm wurde zurückgerissen, schmerzte plötzlich. Es war ein Bolzen, der ihn in der Höhe des Ärmels getroffen hatte und der sich nun anschickte, die ganze Körperhälfte zu lähmen. Es war eine ungeheure Anstrengung, den Kopf zu drehen und in die Richtung zu sehen, wo er seinen Gegner vermutete.

Yueh stand in der geöffneten Tür des Generatorenraumes. Im Licht der über der Tür angebrachten Suspensorlampe leuchtete sein Gesicht in einem gelblichen Schimmer. Aus dem hinter ihm liegenden Raum drang nicht das geringste Geräusch. Die Generatoren arbeiteten nicht mehr.

Yueh! durchzuckte es ihn. Er hat den Schildgenerator abgestellt! Wir sind ungeschützt!

Yueh kam nun auf ihn zu und steckte die Bolzenpistole ein.

Leto stellte überrascht fest, daß er noch sprechen konnte und keuchte: »Yueh!« Dann erwischte die Paralyse auch seine Beine und warf ihn um. An der Wand entlang rutschte er zu Boden.

Als Yueh sich über ihn beugte und Letos Stirn berührte, erschien ein trauriger Ausdruck in seinem Gesicht. Obwohl er die Berührung spüren konnte, war Leto unfähig, sich zu erheben.

»Die Droge, die ich Ihnen gerade verabreicht habe«, erklärte Yueh, »hat eine selektive Wirkung. Zwar können Sie unter ihrem Einfluß sprechen, aber ich würde Ihnen davon abraten.« Er warf einen Blick in Richtung auf die Große Halle, beugte sich erneut über sein Opfer, entfernte den Bolzen aus seinem Arm und warf ihn weg. Das Geräusch des fallenden Gegenstands klang in Letos Ohren wie ein durch Berge von Watte gedämpftes Klicken.

Es kann Yueh nicht sein, dachte Leto. Er ist konditiortiert.

»Wie?« flüsterte er matt.

»Es tut mir leid, mein lieber Herzog«, sagte Yueh, »aber es gibt Dinge, die wichtiger sind als alle anderen.« Er berührte die Tätowierung auf seiner Stirn. »Ich finde es selbst sehr seltsam, daß ich trotz meines Gewissens den Drang verspüre, einen Menschen töten zu müssen. Ja, ich will es wirklich. Und niemand kann mich davon abhalten.«

Er sah auf den Herzog hinab. »Oh, nicht Sie, mein lieber Herzog. Ich meine Baron Harkonnen. Den werde ich umbringen.«

»Bar… on Har…«, murmelte Leto.

»Bitte, schweigen Sie, mein armer Herzog. Sie haben nicht mehr viel Zeit. Der Stiftzahn, den ich Ihnen damals nach der Sache in Narcal einsetzen mußte — er muß wieder heraus. Ich werde ihn jedoch ersetzen.«

Er öffnete seine Hand und starrte etwas an. »Ich habe hier ein exaktes Duplikat, das äußerlich keinerlei Verdacht erregen wird. Es wird nicht einmal den üblichen Detektoren auffallen, daß Sie nicht mehr den alten Stiftzahn tragen. Wenn Sie allerdings auf diesen hier beißen, wird seine Schale brechen und ihr Atem einen Gifthauch erzeugen, der tödlich ist.«

Leto starrte nach oben, sah Yueh an — und den Wahnsinn in dessen Augen.

»Sie werden zwar ebenfalls sterben, mein armer Herzog«, fuhr Yueh fort, »aber man wird Sie auf jeden Fall in die Nähe des Barons bringen, bevor Sie sterben. Er wird annehmen, daß man Sie unter Drogen gesetzt hat, ohne daß Sie die Möglichkeit haben, ihn anzugreifen. Aber es existieren auch Angriffsformen, von denen er noch nichts gehört hat. Und dann, mein lieber Herzog, werden Sie sich an den Zahn erinnern. An den Zahn!«

Der alte Arzt beugte sich Leto jetzt soweit entgegen, daß nur noch der herabhängende Schnauzbart in seinem Gesicht dominierte.

»Der Zahn«, flüsterte er dabei.

»Warum?« flüsterte Leto.

Yueh kniete sich neben ihn auf den Boden. »Ich habe einen Shaitanshandel mit dem Baron geschlossen. Und ich muß erfahren, ob er seine Hälfte eingehalten hat. Wenn ich ihn sehe, werde ich es wissen. Wenn ich den Baron ansehe, werde ich mir sicher sein. Aber ohne den Preis werde ich ihn niemals zu Gesicht bekommen. Der Preis sind Sie, mein armer Herzog. Und ich werde es herausbekommen, wenn ich ihn sehe. Meine arme Wanna hat mir eine Menge beigebracht, und sie sagte, daß man der Wahrheit am sichersten sein kann, wenn der Streß am größten ist. Ich bin nicht in der Lage, es immer herauszufinden, aber wenn ich dem Baron gegenüberstehe werde ich mir sicher sein.«

Leto versuchte einen Blick auf den Zahn in Yuehs Hand zu werfen. Alles kam ihm wie ein Alptraum vor. Es durfte einfach nicht wahr sein.

Yuehs purpurne Lippen verzogen sich zu einer Grimasse. »Leider werde ich niemals nahe genug an den Baron herankommen, um dies selbst zu tun. Nein. Ich werde immer einen gewissen Sicherheitsabstand zu ihm einhalten müssen. Aber Sie … ah! Sie werden meine Waffe sein. Er wird Ihnen auf jeden Fall nahe kommen wollen. Er wird Ihnen Auge in Auge gegenübersitzen wollen, um seinen Sieg zu genießen.«

Ein sich rhythmisch bewegender Muskel in Yuehs linker Wange führte dazu, daß Leto sich beinahe hypnotisiert vorkam. Er verkrampfte sich jedesmal, wenn der Mann zu ihm sprach.

Yueh lehnte sich vor. »Und Sie, mein Herzog, werden sich an den Zahn erinnern.« Er hielt ihn jetzt zwischen Daumen und Zeigefinger. »Es wird die letzte Waffe sein, die Sie besitzen werden.«

Letos Lippen bewegten sich lautlos. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sagen konnte: »… weigere mich …«

»Aber, aber! Sie dürfen sich nicht weigern, mein guter Herzog! Ich werde Sie nämlich als Gegenleistung ebenfalls nicht im Stich lassen: Ich werde Ihren Sohn und Ihre Frau retten. Niemand anders könnte das tun. Ich werde sie an einen Ort bringen, wo die Harkonnens sie niemals finden werden.«

»Wie … wollen Sie … das machen?« flüsterte Leto.

»Indem ich den Anschein erwecke, daß sie tot sind und unter Leute bringe, die bereits zum Messer greifen, wenn sie nur den Namen Harkonnen hören; unter Leute, die sogar einen Stuhl verbrennen, wenn man ihnen sagt, daß darauf einst ein Harkonnen saß, die Salz auf jene Erde streuen, über die einer ihrer Familie ging.« Er berührte Letos Kinn. »Fühlen Sie etwas?«

Aber Leto war nicht mehr in der Lage, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Wie aus weiter Ferne spürte er etwas an seinem Körper zerren, dann erschien Yuehs Hand vor seinem Gesicht und zeigte ihm den herzoglichen Siegelring.

»Für Paul«, sagte Yueh. »Sie können unbesorgt sein. Leben Sie wohl, mein armer Herzog. Wenn wir noch einmal einander treffen, haben wir keine Zeit mehr für eine Konversation.«

Eine plötzliche Leichtigkeit erfaßte den Herzog und schwemmte ihn weg. Der Korridor wurde zu einem schattenhaften Etwas, in dem Yuehs purpurne Lippen das Zentrum waren.

»Denken Sie an den Zahn!« zischte Yueh. »An den Zahn!«

19

Es sollte eine Wissenschaft der Inhaltslosigkeit geben. Das Volk benötigt harte Zeiten und Niedergeschlagenheit, um dagegen psychische Muskeln zu entwickeln.

Aus ›Gesammelte Weisheiten des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Jessica erwachte in der Dunkelheit und fühlte die bedrückende Stille. Es war ihr zuerst unverständlich, warum sich Geist und Körper gleichermaßen schlapp fühlten. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Sie wollte sich aufsetzen und das Licht einschalten, aber … da war etwas, das ihre Entscheidung als sinnlos einstufte.

Trapp-trapp-trapp-trapp!

Es war ein dumpfer Klang, der aus einer Richtung kam, die nicht auszumachen war. Er kam von irgendwo her.

Die Zeit schien endlos. Dann begann sie ihren Körper wieder zu fühlen, wurde der Stricke gewahr, die sie einschnürten und des Knebels in ihrem Mund. Sie lag auf der Seite und ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Vorsichtig zerrte sie daran und stellte fest, daß sie aus Krimskellfiber bestanden. Je mehr sie zerrte, desto mehr verengten sie sich.

Und dann fiel ihr plötzlich alles wieder ein. Da war eine Bewegung in ihrem Schlafraum gewesen, etwas Feuchtes war gegen ihr Gesicht geflogen, hatte ihren Mund gefüllt, während Hände nach ihr gegriffen hatten. Sie hatte nach Atem gerungen und gleichzeitig gespürt, daß der feuchte Lappen dazu diente, sie zu narkotisieren. Sie hatten es schließlich geschafft.

Es ist also wahr, dachte sie. Und wie einfach es war, eine Bene Gesserit zu übertölpeln. Alles, was sie dazu einzusetzen brauchten, war ein Verräter. Hawat hat also doch recht behalten.

Sie mußte sich dazu zwingen, nicht an den Fesseln zu zerren.

Ich bin nicht in meinem Schlafraum, dachte sie. Man hat mich woanders hingeschleppt.

Langsam beruhigte sie sich wieder.

Wo ist Paul? fragte sie sich. Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht?

Ruhig bleiben.

Es war nicht einfach.

Und der Schrecken war immer noch so nah.

Leto? Leto, wo bist du?

Ihr schien, als nehme die Dunkelheit ab. Als bildeten sich Schatten vor ihr. Dimensionen teilten sich. Helligkeit? Eine helle Linie unter einer Tür.

Ich kann sie fühlen.

Leute bewegten sich vor der Tür. Jessicas Sinne begannen sie zu erfassen. Gleichzeitig drängte sie die Erinnerung an den Schrecken zurück. Ich muß ruhig bleiben, wach, und auf alles vorbereitet. Ich liege auf dem Fußboden. Sie sammelte ihre Sinne und konzentrierte sich. Ihr unregelmäßiger Herzschlag beruhigte sich. Ich war über eine Stunde lang bewußtlos. Mit geschlossenen Augen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die sich nähernden Schritte.

Vier Mann.

Sie registrierte es anhand der Unterschiedlichkeit der Bewegungen und Geräusche.

Ich darf mir nicht anmerken lassen, daß ich wieder bei Bewußtsein bin. Sie ließ ihren Körper erschlaffen, hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, und fühlte, wie das Licht von draußen durch ihre Lider drang.

Füße tauchten auf. Irgend jemand blieb vor ihr stehen.

»Sie sind wach«, brummte eine tiefe Stimme. »Es hat keinen Sinn, sich zu verstellen.«

Jessica öffnet die Augen.

Vor ihr stand Baron Wladimir Harkonnen. Im Hintergrund erkannte sie den Kellerraum, in dem Paul geschlafen hatte. Seine Hängematte war ebenfalls da — leer. Die Wachen brachten Suspensorlampen herein und stellten sie neben der Tür ab. Das Licht, das aus der offenen Tür drang, ließ Jessicas Augen schmerzen.

Sie blickte auf. Der Baron trug einen gelben Umhang, unter dem sich seine Suspensoren wölbten. Die feisten Wangen unterhalb der spinnenhaften schwarzen Augen ließen ihn wie einen Posaunenengel erscheinen.

»Die Droge war genau abgestimmt«, erklärte er. »Und wir wußten auf die Minute genau, wann Sie aufwachen würden.«

Wie kann das sein? dachte Jessica. Dazu hätten sie mein genaues Gewicht kennen müssen, meinen gesamten Metabolismus, mein … Yueh!

»Es ist wirklich eine Schande, daß Sie weiterhin geknebelt bleiben müssen«, fuhr der Baron fort. »Und dabei könnten wir eine wirklich interessante Konversation führen.«

Yueh ist der einzige, der es gewesen sein kann, wurde ihr klar. Aber wie?

Der Baron wandte sich um und nickte in Richtung auf die Tür.

»Komm her, Piter.«

Obwohl sie den Mann, der sich jetzt neben den Baron stellte noch nie getroffen hatte, war ihr sein Gesicht doch bekannt: Piter de Vries, der Mentat-Assassine. Jessica sah ihn sich genau an. Seine habichtähnlichen Züge und tiefblauen Augen deuteten darauf hin, daß er ein Bewohner von Arrakis war, aber seine Bewegungen sagten das Gegenteil. Zudem enthielt sein Körper für einen Fremen zuviel Wasser. Er war hochgewachsen und schlank und irgend etwas an ihm machte deutlich, daß er verweichlicht war.

»Es ist wirklich schade, meine liebe Lady Jessica, daß wir keine Unterhaltung führen können«, wiederholte der Baron. »Aber Sie werden verstehen, daß ich mich vor Ihren Fähigkeiten schützen muß.« Er warf seinem Mentaten einen kurzen Blick zu. »Ist es nicht so, Piter?«

»Wie Sie sagen, Baron«, erwiderte der Mann.

Er hatte eine Tenorstimme, aber sie berührte ihren Geist mit einem Hauch von Kälte. Eine solch klirrende Stimme, sagte sie sich, kann nur einem gehören: einem Killer!

»Ich habe eine Überraschung für dich, Piter«, sagte der Baron nun. »Er denkt nämlich«, fuhr er zu Jessica gewandt fort, »daß er hierhergekommen ist, um seine Belohnung in Empfang zu nehmen — Sie, Lady Jessica. Aber ich habe vor, ihm zu demonstrieren, daß er Sie in Wirklichkeit gar nicht will.«

»Beabsichtigen Sie, mit mir zu spielen, Baron?« fragte Piter lächelnd.

Jessica, die dieses Lächeln sah, fragte sich, wieso der Baron nicht davor zurückschreckte. Aber es war Unsinn. Wie sollte er das, wenn er das Lächeln nicht einmal verstand? Schließlich hatte er ihre Ausbildung nicht genossen.

»In gewisser Hinsicht«, sagte der Baron, »ist Piter wirklich naiv. Er ist sich zum Beispiel überhaupt nicht darüber klar, welch tödliche Kreatur Sie sind, Lady Jessica. Ich würde ihm das gerne zeigen, aber ich bin nicht Narr genug, um ein solches Risiko einzugehen.« Er lächelte Piter zu. Das Gesicht des Mannes war zu einer Maske erstarrt. »Ich weiß hingegen, was Piter wirklich will. Er will Macht.«

»Sie haben mir versprochen, daß ich sie haben kann«, warf Piter ein. Seine Stimme schien etwas von ihrer Kälte verloren zu haben.

Sich innerlich schüttelnd dachte Jessica: Wie hat der Baron es nur geschafft, aus einem Mentaten ein solches Tier zu machen?

»Ich lasse dir die Wahl, Piter«, sagte der Baron.

»Welche Wahl?«

Der Baron schnippte mit seinen feisten Fingern. »Die Wahl zwischen dieser Frau und einem Leben im Exil — oder dem Herzogtum der Atreides auf Arrakis, wo du in meinem Namen herrschen kannst.«

Aufmerksam beobachtete Jessica, wie die Augen des Barons Piter ansahen. »Du könntest hier der Herzog sein«, wiederholte der Baron.

Dann ist Leto also tot? Irgend etwas begann in ihr zu weinen.

Der Baron ließ Piter nicht aus den Augen. »Du mußt das mit dir selbst ausmachen, Piter. Du willst sie doch nur, weil sie die Frau eines Herzogs war, ein Symbol der Macht, hübsch, nützlich und auf ihre Rolle wohlvorbereitet. Aber setze dagegen ein ganzes Herzogtum, Piter! Das ist mehr als ein Symbol; es ist die Realität. Wenn du ein Herzogtum hast, kannst du viele Frauen haben — und noch mehr.«

»Und Sie scherzen nicht mit Piter?«

Mit der Leichtigkeit, die seine Suspensoren ihm verliehen, drehte der Baron sich um. »Scherzen? Ich? Ich habe sogar den Jungen aufgegeben. Du hast doch gehört, was dieser Verräter über das Training gesagt hat, welchem er unterworfen war. Sie sind beide gleich, Mutter und Sohn: tödlich.« Er lächelte. »Ich muß jetzt gehen. Ich schicke die Wache herein, die ich habe bereitstellen lassen. Der Mann ist stocktaub. Ich habe ihm aufgetragen, dich auf der ersten Phase deiner Reise ins Exil zu begleiten. Er wird diese Frau in ihre Schranken verweisen, sobald er bemerkt, daß sie beginnt, dich unter ihre Kontrolle zu bringen. Er wird keinesfalls zulassen, daß du ihr den Knebel abnimmst, ehe ihr Arrakis nicht verlassen habt. Wenn du dich allerdings dazu entscheidest, nicht zu gehen … lauten seine Anweisungen anders.«

»Sie brauchen nicht hinauszugehen«, sagte Piter. »Ich habe mich entschieden.«

»Aha!« grunzte der Baron. »Eine solch schnelle Entscheidung kann nur eines bedeuten.«

»Ich nehme das Herzogtum«, sagte Piter.

Und Jessica dachte: Merkt er denn nicht, daß der Baron ihn belügt? Aber wie sollte er? Er ist ein völlig verdrehter Geist.

Der Baron schaute auf Jessica hinab und sagte: »Ist es nicht wundervoll, wie gut ich Piter kenne? Ich habe mit meinem Waffenmeister darum gewettet, daß er so entscheiden würde. Hah! Nun, ich werde jetzt gehen. Es ist viel besser so, viel besser. Verstehen Sie, Lady Jessica? Ich hege keinen Groll gegen Sie, meine Liebe, aber ich unterwerfe mich der Notwendigkeit. So ist es viel besser, ja. Und ich habe nicht wirklich befohlen, daß man Sie tötet. Wenn man mich fragen sollte, was mit Ihnen geschehen ist, kann ich es in aller Wahrheit abstreiten.«

»Sie überlassen es also mir?« fragte Piter.

»Die Wache, die ich dir schicke, wird deinen Befehlen gehorchen«, erwiderte der Baron. »Was immer auch getan werden soll, ich überlasse es dir.« Er sah Piter kurz an. »Ja. Meine Hände werden unbefleckt bleiben. Es ist deine Sache. Ja. Ich weiß nichts davon. Du wirst warten, bis ich gegangen bin, bevor du das tust, was du tun mußt. Ja. Nun … ah, ja. Ja. Gut.«

Er fürchtet die Fragen einer Wahrsagerin, dachte Jessica, aber welcher? Ah, die der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen natürlich! Wenn er jetzt schon weiß, daß er ihre Fragen beantworten muß, steckt sicher auch der Imperator in diesem Geschäft. Ach, mein armer Leto.

Mit einem letzten Blick auf Jessica wandte sich der Baron ab und ging hinaus. Jessicas Blick folgte ihm, während sie dachte: Er ist, wie die Ehrwürdige Mutter sagte, ein gefährlicher Gegner.

Zwei Soldaten betraten den Raum. Ein dritter, dessen Gesicht eine narbige Maske war, folgte ihnen, blieb jedoch mit gezogenem Lasgun in der Tür stehen.

Der Taube, dachte sie, während ihr Blick das narbenbedeckte Gesicht erforschte. Der Baron weiß, daß ich jeden anderen Mann mit meiner Stimme erledigen kann.

Das Narbengesicht warf Piter einen fragenden Blick zu. »Wir haben draußen den Jungen auf einer Bahre liegen. Wie lauten Ihre Befehle?«

»Ich hatte vorgehabt, Sie damit stillzuhalten, indem ich Ihnen zeigte, daß Ihr Sohn in unserer Gewalt ist, aber mir wird immer klarer, daß das eine Fehlentscheidung gewesen ist. Pech für einen Mentaten.« Er musterte die beiden Soldaten und wandte sich dann dem Tauben zu, damit dieser von seinen Lippen ablesen konnte. »Bringt sie in die Wüste, wie der Verräter es für den Jungen vorgeschlagen hat. Sein Plan ist nicht übel. Die Würmer werden alle Spuren vernichten. Ihre Körper dürfen niemals gefunden werden.«

»Sie haben nicht vor, selbst mit ihnen Schluß zu machen?« fragte das Narbengesicht.

Er kann von den Lippen ablesen, dachte Jessica.

»Ich folge dem Beispiel meines Barons«, erwiderte Piter. »Der Vorschlag des Verräters ist gut.«

Der rauhe, abwehrende Ton in Piters Stimme machte Jessica eines klar: Auch er fürchtet die Befragung durch eine Wahrsagerin.

Piter zuckte die Achseln, wandte sich um und ging hinaus. Auf der Schwelle zögerte er. Jessica hatte damit gerechnet, daß er sich noch einmal umdrehen würde, aber sie irrte sich. Er ging, ohne den Kopf zu wenden.

»Ich würde den Gedanken, nach dieser Nacht einer Wahrsagerin gegenüberzustehen, auch nicht sonderlich mögen«, sagte das Narbengesicht.

»Du scheinst völlig kalt dabei zu bleiben, dieser alten Hexe gegenüberzustehen«, meinte einer der beiden Soldaten und beugte sich zu Jessica hinunter. »Los, kommt. Die Arbeit erledigt sich nicht dadurch, daß wir hier herumstehen und schwätzen. Nehmt ihre Füße, und …«

»Warum legen wir sie nicht gleich hier um?« fragte das Narbengesicht.

»Das wird Schmutz geben«, sagte der erste Soldat. »Es sei denn, du erdrosselst sie. Ich für mein Teil bevorzuge einen sauberen Job. Laßt uns sie in die Wüste hinauswerfen, nachdem wir ihnen einen oder zwei Stiche beigebracht haben, und den Rest überlassen wir den Würmern. Da brauchst du hinterher nicht mehr den Fußboden zu säubern …«

»Jaah … du hast wohl recht«, murmelte das Narbengesicht.

Jessica lauschte den Worten der Männer, registrierte jede Silbe. Aber der Knebel hinderte sie daran, etwas zu sagen. Und da war immer noch der Taube, den sie berücksichtigen mußte.

Das Narbengesicht steckte die Waffe ein und packte ihre Füße. Gemeinsam hoben sie Jessica hoch und trugen sie wie einen Sandsack auf den mattbeleuchteten Korridor hinaus, wo auf einer Tragbahre eine andere, ebenfalls gefesselte Gestalt lag. Als die Männer sie drehten und neben ihr ablegten, erkannte sie sein Gesicht. Paul! Sie hatten ihn zwar gefesselt, aber nicht geknebelt. Sein Gesicht war nicht viel mehr als zehn Zentimeter von dem ihren entfernt. Seine Augen waren geschlossen, aber er atmete gleichmäßig.

Haben sie ihn unter Drogen gesetzt? fragte sie sich.

Als die Soldaten Pauls Tragbahre anhoben, öffneten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen und sahen sie an.

Er darf jetzt nichts unternehmen, betete sie. Gegen den Tauben sind wir machtlos!

Pauls Augen schlossen sich wieder.

Er hatte die ganze Zeit über daran gearbeitet, seinen Atem einem gewissen Rhythmus zu unterwerfen, sein Bewußtsein sachlich arbeiten zu lassen und ihren Wächtern zuzuhören. Der Taube stellte ein Problem dar, das war ihm klar, aber er zwang sich, keinerlei Verzweiflung in sich aufkommen zu lassen. Die Ausbildung der Bene Gesserit, die ihm durch seine Mutter zuteil geworden war, befähigte ihn, geistig in jeder Beziehung kühl zu bleiben. Er war wachsam und auf alles vorbereitet. Er würde jede sich bietende Gelegenheit wahrnehmen.

Paul gestattete sich einen weiteren kurzen Blick auf seine Mutter. Auch wenn sie geknebelt war: sie schien unverletzt.

Er fragte sich, wem es gelungen war, sie zu überwältigen. Die Erklärung, wie man ihn geschnappt hatte, war einfach genug: Yueh hatte ihn mit einem Mittel versorgt, das ihn hatte tief einschlafen lassen. Als er aufgewacht war, hatten sie ihn bereits auf die Tragbahre gebunden. Vielleicht war es ihr ähnlich ergangen. Die reine Logik deutete darauf hin, daß Yueh der Verräter gewesen war, aber dennoch behielt Paul sich eine endgültige Entscheidung vor. Es war irgendwie unverständlich, daß ein Suk-Mediziner sich als Verräter entpuppen konnte.

Die Bahre wankte leicht, als die Soldaten sie anhoben und durch eine Tür in die sternenbeschienene Nacht hinausmanövrierten. Dann liefen sie über Sand, der unter ihren Füßen knirschte. Über ihnen wurde ein verschwommener Thopter sichtbar. Die Männer setzten die Bahre ab. Langsam gewöhnten Pauls Augen sich an das matte Licht. Es war der Taube, der die Tür des Thopters öffnete und in die Maschine hineinlugte, in deren Innerem in sanftem Grün das Instrumentenbord leuchtete.

»Ist das der Thopter, den wir nehmen sollen?« fragte er und drehte sich wieder um, um auf die Lippen seiner Begleiter zu sehen.

»Der Verräter hat gesagt, dies sei die Maschine, die für den Wüsteneinsatz vorbereitet ist«, erwiderte der andere.

Das Narbengesicht nickte. »Aber in dieser kleinen Kiste haben außer den beiden nur höchstens zwei von uns Platz.«

»Das reicht doch«, erwiderte einer der Bahrenträger, ging etwas näher an den Tauben heran und ließ ihn von seinen Lippen lesen. »Wir schaffen das schon, Kinet.«

»Aber der Baron hat mir befohlen, darauf zu achten, was mit ihnen geschieht«, meinte das Narbengesicht.

»Machst du dir etwa Sorgen deswegen?« fragte der zweite Soldat.

»Immerhin ist sie eine Bene-Gesserit-Hexe«, gab der Taube zu bedenken. »Sie verfügt über gewisse Kräfte.«

»Ah«, grunzte der erste Soldat geringschätzig und zeigte eine seiner Fäuste. »Das ist nur eine von meinen Kräften … Du weißt, was ich damit alles anfangen kann.«

Der Mann hinter ihm knurrte. »Sie wird schon früh genug einem Wurm als Speise dienen. Ich glaube nicht, daß sie auch Macht über eines dieser Viecher ausüben kann. Was meinst du, Czigo?« Er zwinkerte seinem Kollegen zu.

»Natürlich nicht«, erwiderte der andere. Er kehrte zu der Bahre zurück und packte Jessica bei den Schultern. »Komm her, Kinet, wenn du dabeisein willst, fliegst du halt mit.«

»Nett von dir, mich einzuladen, Czigo«, erwiderte der Taube.

Jessica fühlte, wie sie hochgehoben wurde. Hinter der Tragfläche des Thopters leuchteten die Sterne. Man packte sie am Heck des Thopters in einen Sitz und schnallte sie an. Wenig später wurde Paul neben sie geworfen, ebenfalls angeschnallt, wobei sie bemerkte, daß seine Fesselung aus simplen Stricken bestand.

Das taube Narbengesicht, das auf den Namen Kinet hörte, nahm vor ihnen Platz. Der Bahrenträger namens Czigo übernahm den zweiten Sitz.

Kinet schloß die Tür, die Maschine startete und steuerte auf den Schildwall zu. Czigo klopfte seinem Nebenmann auf die Schulter und sagte: »Warum gehst du nicht nach hinten und behältst die beiden im Auge?«

»Weißt du genau, wo wir hinwollen?« fragte der Taube zurück.

»Ich habe die Worte des Verräters genauso gehört wie du.«

Kinet schwenkte seinen Sitz herum, so daß Jessica in einem Lichtstrahl der Sterne den Lauf seiner Lasgun sehen konnte. Obwohl das Licht des Armaturenbrettes den vorderen Teil des Thopters einigermaßen erleuchtete, blieb das Gesicht des Mannes im Halbdunkel verborgen. Sie versuchte, die Festigkeit ihres Anschnallgurtes zu testen und fand heraus, daß er lose war. Etwas Rauhes an ihrem linken Arm zeigte, daß der Gurt soweit durchtrennt worden war, daß er bei der geringsten Bewegung reißen mußte.

Ist irgend jemand in diesem Thopter gewesen und hat ihn für uns vorbereitet? fragte sie sich. Und wer? Langsam bewegte sie ihre gebundenen Füße.

»Ist es nicht eine Schande, eine solche Frau so einfach abzuservieren?« fragte das Narbengesicht. »Hast du's je mit einer Hochwohlgeborenen getrieben?« Er drehte den Kopf, um die Antwort des Piloten mitzubekommen.

»Bene Gesserit müssen nicht unbedingt Hochwohlgeborene sein«, erwiderte der Pilot.

»Aber sie sehen alle so aus.«

Er kann mich deutlich genug sehen, dachte Jessica, zog die Beine an und hievte sie auf den Sitz hinauf. Sie kuschelte sich zusammen, ließ den Mann jedoch nicht aus den Augen.

»Sie ist wirklich 'ne Schönheit«, fuhr Kinet fort und leckte sich die Lippen. »Es ist wirklich 'ne reine Verschwendung!« Erneut sah er Czigo an.

»Du denkst also, ich denke dasselbe wie du?« fragte der Pilot.

»Wer würde es schon erfahren?« meinte Kinet. »Und hinterher …« Er zuckte die Achseln. »Ich hatte noch nie eine von denen da. So 'ne Chance kriegen wir vielleicht nie wieder im Leben.«

»Wenn Sie auch nur eine Hand an meine Mutter legen …«, knurrte Paul. Er sah wütend zu Kinet hinüber.

»He!« lachte der Pilot. »Der kleine Kläffer regt sich. Auch wenn er nicht beißen kann.«

Jessica dachte: Der Ton seiner Stimme ist zu hoch. Aber es könnte gehen. Schweigend flogen sie weiter.

Diese armen Narren, dachte Jessica, während sie ihre Wächter musterte und an die Worte des Barons zurückdachte. Sobald sie ihm den Vollzug ihres Auftrags gemeldet haben, werden sie selber sterben. Der Baron kann sich keine Zeugen leisten.

Der Thopter schwebte über dem Südrand des Schildwalls, und Jessica erkannte unter sich weite mondbeschienene Dünen.

»Wir sind jetzt weit genug«, meinte der Pilot. »Der Verräter sagte, wir sollten sie einfach hier draußen irgendwo zurücklassen.« In einer langgezogenen Linie zog er über die Dünen dahin und setzte zur Landung an.

Jessica registrierte Pauls Konzentration und seinen rhythmischen Atem. Er schloß die Augen und öffnete sie wieder, während sie ihn hilflos ansah. Sie konnte nichts zu seiner Unterstützung tun. Er beherrscht es noch nicht völlig, durchzuckte es sie. Wenn er versagt …

Mit einem sanften Hüpfer berührte der Thopter die sandige Oberfläche. Jessica, die nach Norden in die Richtung des Schildwalls blickte, erkannte plötzlich den Schatten eines weiteren Fluggeräts.

Irgend jemand folgt uns! dachte sie. Aber wer? Dann: Es können nur Leute sein, die diese beiden Wächter überwachen. Und auch sie werden überwacht.

Czigo schaltete die Flügelrotoren aus. In der Maschine herrschte nun völlige Stille.

Jessica drehte den Kopf. Durch das hinter dem Narbengesicht liegende Fenster konnte sie das sanfte Leuchten eines aufgehenden Mondes erkennen, der die Felsen mit einem Lichtschein überwarf und deren gezackte Oberfläche um so deutlicher hervortreten ließ. Paul räusperte sich.

Der Pilot sagte: »Und jetzt, Kinet?«

»Weiß nicht, Czigo.«

Czigo drehte sich um und sagte: »Ah, schau nur!« Er tastete nach Jessicas Kleid.

»Nimm ihr den Knebel ab!« befahl Paul.

Jessica fühlte, wie seine Worte etwas in der Luft in Bewegung setzten. Tonfall und Timbre waren ausgezeichnet gewesen knapp, scharf und befehlend. Hätte er etwas tiefer gesprochen, wäre es vielleicht noch besser gewesen, aber dieser Mann würde sich seiner Stimme auch so unterwerfen.

Czigo hob die Hände, griff nach dem Band um Jessicas Mund, griff nach dem Knoten.

»Hör damit auf!« befahl Kinet.

»Ach, halt die Klappe«, erwiderte Czigo. »Schließlich sind ihre Hände gebunden.« Er löste den Knoten und das Band fiel herab. Seine Augen glitzerten, als er Jessica anstarrte.

Kinet legte eine Hand auf seinen Arm. »Hör zu, Czigo, wir brauchen nicht …«

Jessica schüttelte den Kopf und spuckte den Knebel aus. Mit geradezu obszöner Stimme sagte sie: »Aber, meine Herren, Sie brauchen doch nicht um mich zu kämpfen!« Gleichzeitig warf sie Kinet einen Blick zu, der ihn zu dem Schluß kommen lassen mußte, daß sie darauf wartete, daß er die Initiative ergriff.

Sie registrierte, wie er darauf ansprach. Ihre Worte bewirkten das genaue Gegenteil: Kinet war davon überzeugt, daß sie wünschte, daß er sich wegen ihr schlug. In ihrem Innern kämpften sie bereits gegeneinander.

Jessica bewegte sich so, daß ihr Gesicht dem Lichtschimmer der Instrumentenbank ausgesetzt war. Sie mußte sicher sein, daß Kinet von ihren Lippen lesen konnte. »Sie sollten sich nicht streiten«, meinte sie. Und: »Ist eine Frau es überhaupt wert, daß man um sie kämpft?«

Die Art, wie sie diese Worte aussprach, konnte für die beiden Männer nur das Gegenteil bedeuten: daß sie, und nur sie, es wert war, daß man es dennoch tat.

Paul preßte die Lippen aufeinander und zwang sich zu absoluter Ruhe. Er hatte noch einen weiteren Versuch unternehmen wollen, sie unter die Kraft seiner Stimme zu zwingen. Aber jetzt hing alles von seiner Mutter ab. Gegen die Erfahrung, die sie aufzuweisen hatte, konnte er nicht an.

»Ja«, flüsterte das Narbengesicht. »Es gibt keine Grund, sich wegen einer Frau …« Seine Hand zuckte auf den Nacken des Piloten zu, ohne etwas zu bewirken. Im gleichen Moment krachte etwas gegen seine Brust.

Das Narbengesicht stöhnte, sackte zurück und fiel gegen die Tür.

»Er hat wohl gedacht, er hätte es mit einem Idioten zu tun, der seinen Trick nicht durchschaut«, sagte Czigo. Als er seine Hand zurückzog, sah Jessica das Messer. Es leuchtete im Mondlicht.

»Und jetzt das Bübchen«, sagte Czigo und beugte sich vor.

»Unnötig«, murmelte Jessica.

Czigo zögerte.

»Weißt du meine Bereitschaft nicht zu schätzen?« fragte Jessica. »Gib dem Jungen doch eine Chance. Auch wenn sie dort draußen im Sand nicht sonderlich hoch ist. Gib sie ihm, und …« Sie lächelte ihn an. »Du würdest es sicher nicht bereuen.«

Czigo blickte nach links und richtete seine Aufmerksamkeit auf sie. »Ich weiß, was es bedeuten kann, dort draußen allein zu sein.

Vielleicht würde der Junge meine Klinge als besondere Gnade empfinden.«

»Ist meine Bitte denn so groß?« bat Jessica.

»Du versuchst, mich auszutricksen«, murmelte Czigo.

»Ich möchte nicht dabei sein, wenn mein Sohn stirbt«, erwiderte Jessica. »Ist das etwa ein Trick?«

Czigo trat zurück, öffnete die Tür mit dem Ellbogen. Dann griff er nach Paul, zog ihn aus seinem Sitz, und schob ihn, das Messer ständig bereithaltend, halb aus der Tür.

»Was würdest du tun, Bursche, wenn ich jetzt deine Fesseln zerschneide?«

»Er würde augenblicklich von hier verschwinden und auf die Felsen dort zurennen«, antwortete Jessica für Paul.

»Würdest du das wirklich tun, Bursche?« fragte Czigo.

Pauls Stimme hatte genau den richtigen Tonfall, als er sagte: »Ja.«

Das Messer zuckte nach unten, zerfetzte seine Beinfesseln. Paul fühlte eine Hand auf seinem Rücken, fühlte einen Stoß und warf sich gegen den Türrahmen, als habe er das Gleichgewicht verloren und holte gleichzeitig mit dem rechten Bein aus. Der Tritt war genau berechnet, und die Tatsache, daß er so präzise saß, war nur seiner jahrelangen Ausbildung zu verdanken. Jeder Muskel seines Körpers war in diesem Augenblick im Einsatz. Die Fußspitze traf den Mann genau unterhalb des Rippenbogens, aber der Stoß pflanzte sich fort und erreichte die rechte Herzkammer. Mit einem gurgelnden Schrei taumelte Czigo nach hinten, auf die Sitzreihe zu. Paul, der noch immer unfähig war, seine Hände einzusetzen, wurde vom Schwung seiner eigenen Bewegung erfaßt, fiel hin und war im gleichen Moment wieder auf den Beinen. Wie eine Schlange tauchte er wieder in die Kabine hinein, fand das Messer Czigos, faßte es mit den Zähnen, während seine Mutter mit hastigen Bewegungen die Schnüre ihrer Fessel daran rieb. Dann nahm sie die Klinge und befreite ihn.

»Ich wäre allein mit ihm fertig geworden«, meinte sie. »Ich hätte ihn nur noch dazu bringen müssen, meine Handfesseln zu zerschneiden. Das war ein unnötiges Risiko.«

»Ich habe nur die Gelegenheit genützt«, erwiderte Paul. Obwohl ihr der rauhe Klang seiner Stimme auffiel, sagte sie, mit einer Kopfbewegung gegen die Decke des Thopters: »Die Maschine trägt Yuehs Wappen.«

Paul schaute auf, bemerkte das gekräuselte Symbol.

»Laß uns hinausgehen und die Maschine näher in Augenschein nehmen«, sagte er. »Unter dem Pilotensitz liegt ein Bündel. Ich habe es beim Einsteigen gesehen.«

»Eine Bombe?«

»Ich glaube nicht. Es macht mir einen anderen Eindruck.« Er sprang in den Sand hinaus, während Jessica ihm folgte. Von draußen langte sie nach dem seltsamen Objekt unter dem Pilotensitz, sah Czigos Füße, die in ihrem Gesichtskreis lagen, und spürte die Feuchtigkeit des Bündels, an dem sie zog. Sie bemerkte im gleichen Augenblick, daß das Blut des Piloten für die Feuchtigkeit zuständig war.

Flüssigkeitsverschwendung, dachte sie automatisch, sich dabei bewußt werdend, daß dies ein für Arrakis typischer Gedankengang war. Paul beobachtete die Umgebung. Er drehte sich im gleichen Augenblick zu seiner Mutter um, als sie das Bündel aus dem Thopter zog und in Richtung auf den Schildwall starrte, wo sich jetzt ein anderer Thopter auf sie zubewegte. Schlagartig wurde ihm klar, daß sie jetzt keine Zeit mehr hatten, die Leichen aus ihrer Maschine zu werfen und zu entkommen.

»Lauf weg, Paul!« schrie Jessica. »Es sind die Harkonnens!«

20

Arrakis lehrt einen die Bedeutung des Messers indem es das Unvollständige von einem abtrennt und sagt: »Jetzt ist das Vollständige erreicht. Ab hier führt kein Weg mehr weiter.«

Aus ›Gesammelte Weisheiten des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Ein Mann in der Uniform der Harkonnens schritt durch die Große Halle, blieb an ihrem Ende stehen, starrte Yueh an, warf einen kurzen Blick auf den Leichnam Mapes', musterte den hingestreckten Körper des Herzogs und dann erneut Yueh, der daneben stand. Der Mann hielt eine Lasgun in der rechten Hand, und der Gesamteindruck, den er in Yueh erzeugte, führte dazu, daß es ihm kalt über den Rücken lief.

Ein Sardaukar, dachte Yueh. Seinem Aussehen nach ein Bashar. Möglicherweise sogar jemand aus der kaiserlichen Familie, mit dem Auftrag, die Augen offenzuhalten. Egal, wie sie sich auch verkleiden — man erkennt sie in jeder Uniform.

»Sie sind Yueh«, sagte der Mann. Er warf einen nachdenklichen Blick auf das Signum der Suk-Schule auf Yuehs Stirn und suchte dann den Blick seines Gegenübers.

»Der bin ich«, bestätigte der Arzt.

»Entspannen Sie sich, Yueh«, sagte der Mann. »Als Sie den Hausschild abschalteten, kamen wir herein. Es befindet sich jetzt alles unter unserer Kontrolle. Ist das der Herzog?«

»Ja, das ist er.«

»Ist er tot?«

»Er ist bewußtlos. Ich schlage vor, daß Sie ihn binden lassen.«

»Haben Sie die anderen da auch versorgt?« Der Uniformierte deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der Mapes lag.

»Um sie ist es wirklich schade«, murmelte Yueh.

»Schade!« schnaufte der Sardaukar. Er kam näher und schaute auf Leto hinunter. »Also das ist der Große Rote Herzog.«

Hätte ich noch den geringsten Zweifel über die Identität dieses Mannes gehabt, dachte Yueh, wären sie hiermit beseitigt. Nur der Imperator persönlich nennt die Atreides die Roten Herzöge.

Der Sardaukar langte nach unten und schnitt das Zeichen des roten Habichts von Letos Uniform. »Ein kleines Andenken«, sagte er. Und dann: »Wo ist der herzogliche Siegelring?«

»Er hat ihn nicht bei sich«, erwiderte Yueh.

»Das sehe ich selbst!« knurrte der Sardaukar.

Yuehs Körper versteifte sich. Er schluckte. Wenn sie mich unter Druck setzen oder eine Wahrsagerin hereinbringen, werden sie nicht nur alles über den Ring, sondern auch alles über den Thopter in Erfahrung bringen, den ich präpariert habe — und mein ganzer Plan wird ins Wasser fallen.

»Es kommt vor, daß der Herzog gelegentlich einen Kurier ausschickt, der seinen Ring bei sich trägt, um zu beweisen, daß irgendeine wichtige Order von ihm persönlich stammt«, sagte er.

»Er muß verdammt vertrauenswürdige Kuriere haben«, gab der Sardaukar zurück.

»Wollen Sie ihn nicht fesseln?« wandte Yueh ein.

»Wie lange wird er bewußtlos bleiben?«

»Etwa zwei Stunden. Ich konnte, was die Dosierung angeht, bei ihm nicht mit der Präzision vorgehen, die ich auf die Frau und den Jungen verwandte.«

Der Sardaukar berührte den Herzog mit einem Fuß. »Der Herzog stellt eben auch nicht die gleiche Gefahr dar wie die anderen. Wann werden die Frau und der Junge aufwachen?«

»In etwa zehn Minuten.«

»So bald?«

»Man hat mir mitgeteilt, daß der Baron sofort nach der Ankunft seiner Leute ebenfalls erscheinen würde.«

»Das wird er auch. Sie warten draußen, Yueh.« Der Sardaukar warf ihm einen harten Blick zu. »Verschwinden Sie!«

Yueh musterte Leto. »Und was ist mit …«

»Er wird dem Baron als verschnürtes Bündel übergeben werden, das er nur noch in den Ofen zu schieben braucht.« Wieder sah der Sardaukar auf Yuehs diamantförmige Tätowierung. »Sie sind allgemein bekannt. Man wird Ihnen in diesen Räumen nichts antun. Aber wir haben jetzt keine Zeit mehr für Geschwätz, Verräter. Ich höre schon die anderen kommen.«

Er hat mich einen Verräter genannt, dachte Yueh und taumelte zurück. Er drückte sich an dem Sardaukar vorbei und wußte in diesem Augenblick, wie die Geschichte ihn nennen würde: Yueh, den Verräter.

Auf dem Weg zum Vordereingang kam er an mehreren Leichen vorbei, die er ängstlich in Augenschein nahm, weil er befürchtete, Paul oder Jessica könnten darunter sein. Aufatmend nahm er zur Kenntnis, daß sie ausnahmslos die Uniform der Harkonnens oder die der Atreides' trugen.

Als er aus dem Haupteingang trat, erschienen mehrere alarmiert aussehende Harkonnen-Soldaten. Es herrschte eine ungewöhnliche Helligkeit, die darauf zurückzuführen war, daß man die außerhalb des Hauses stehenden Palmen angezündet hatte. Schwarzer Rauch stieg von ihnen auf und orangerote Flammen.

»Es ist der Verräter«, sagte eine Stimme.

»Der Baron wünscht Sie zu sehen«, sagte jemand anders.

Ich muß zu dem Thopter hinaus, dachte Yueh, und den Ring an einer Stelle verstecken, wo Paul ihn finden kann. Plötzliche Angst packte ihn. Wenn Idaho mir mißtraut oder ungeduldig wird — wenn er nicht wartet und an den Platz geht, den ich ihm genannt habe -, werden Paul und Jessica diesem Blutbad nicht entgehen. Und für mich bleibt nicht der geringste Rest einer Rechtfertigung.

Einer der Soldaten zerrte an seinem Ärmel und sagte: »Warten Sie hier, aber gehen Sie aus dem Weg.«

Schlagartig wurde Yueh klar, daß ihm nichts erspart werden würde, daß man nicht die geringste Gnade für ihn übrig hatte. Idaho darf nicht versagen!

Ein anderer Soldat rempelte ihn an und bellte: »Gehen Sie aus dem Weg, Mensch!«

Selbst die, die von mir profitiert haben, verachten mich, dachte Yueh. Er versuchte, seinen Körper zu straffen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen.

»Warten Sie auf den Baron!« schnarrte ein Gardeoffizier.

Yueh nickte und ging mit berechneter Gleichgültigkeit an der Vorderfront des Hauses entlang und verschwand in den schattigen Ecken, in die das Licht der brennenden Palmen nicht drang. Rasch, Schritt für Schritt, näherte er sich dem Hintergarten, der neben dem Platz lag, wo der Thopter stand, die Maschine, die dort abgesetzt worden war, um Paul und seine Mutter von hier fortzubringen.

Auf der Hausrückseite sah er eine Wache, aber ihre Aufmerksamkeit war dadurch abgelenkt, daß sie denen sich von Raum zu Raum durchkämpfenden Soldaten zuschaute, die im Licht eingeschalteter Lampen operierten.

Wie selbstsicher sie waren!

Yueh nutzte die Schatten aus, lief um den Thopter herum und stellte fest, daß die geöffnete Tür nicht im Sichtbereich der Wache lag. Schnell tastete er nach den unter dem Vordersitz deponierten Überlebenssätzen, hob die Umhüllung an und ließ den Ring dazwischenfallen. Seine Finger berührten das versteckte Papier mit der von ihm geschriebenen Botschaft. Ihm kam eine Idee, und rasch wickelte er den Ring in das Papier ein. Dann zog er die Hand zurück und schob das Bündel zurück.

Leise schloß er die Tür des Thopters und kehrte auf dem gleichen Weg zurück, den er gekommen war, bis die brennenden Palmen wieder vor ihm auftauchten.

Ich habe es geschafft, dachte er.

Erneut hüllte das Licht funkensprühender Bäume ihn ein. Yueh zog den Umhang enger um seine Schultern und starrte in die Flammen. Bald werde ich es wissen. Bald werde ich den Baron treffen — und dann werde ich im Bilde sein. Und der Baron wird eine Begegnung mit einem kleinen Zahn haben.

21

Es geht die Legende, daß in dem Augenblick, in dem Herzog Leto Atreides sein Leben verlor, am Himmel über dem Palast seiner Vorfahren auf Caladan ein Meteorit verglühte.

›Einführung in die Kindheitsgeschichte des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Baron Wladimir Harkonnen stand an einem Aussichtspunkt des gelandeten Leichters, den er als Flaggschiff benutzte. Sein Blick huschte über die von Flammen erhellte Nacht über Arrakeen, aber sein Hauptaugenmerk galt dem weit entfernten Schildwall, wo seine Geheimwaffe zum Einsatz kam.

Artillerie mit Sprenggeschossen.

Die Kanonen fraßen an den Höhlen, in denen die Männer des Herzogs sich zum letzten Gefecht gesammelt hatten. Orangerote Strahlen erzeugten einen wahren Felsenhagel, in dem die Staubwolken dafür sorgten, daß jede Helligkeit augenblicklich verschluckt wurde. Der Steinschlag sorgte dafür, daß Herzog Letos Männer in ihren Höhlen eingeschlossen wurden, in denen sie dem Hungertod preisgegeben waren, wie Tiere in abgeschlossenen Käfigen, um die sich niemand mehr kümmerte.

Der Baron konnte das dumpfe Rumpeln deutlich fühlen. Es war wie ein Trommelwirbel, der die metallene Hülle seines Schiffes zum Vibrieren brachte: Rumms … Rumms! Dann: RUMMS-Rumms!

Wer hätte je damit gerechnet, daß sich die Artillerie im Zeitalter der Schutzschilde noch einmal bestens auszahlen würde? Dieser Gedanke lief wie ein Kichern durch sein Bewußtsein. Aber es war vorherzusehen, daß die Männer des Herzogs sich in diesen Höhlen verkriechen würden. Der Imperator wird mir dankbar sein, daß ich auf diese Art seine Truppen schone.

Er justierte einen der Suspensoren, der es ihm ermöglichte, sich trotz seines fetten Körpers ungezwungen zu bewegen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Es ist eine Schande, solche Kämpfer wie die Männer des Herzogs auf solche Weise zu verschwenden, dachte er. Sein Grinsen wurde breiter. Aber solches Mitleid sollte man unter Strafe stellen. Schließlich hatte jeder selbst zu sehen, wo er blieb. Da lag das ganze Universum vor einem, offen, bereit, von jedem in Besitz genommen zu werden, der die richtigen Entscheidungen traf. Es war kein Wunder, daß es nicht den schüchternen Kaninchen gehörte, die unfähig waren, ihren Besitz zu verteidigen. Entweder war man in der Lage, sein Eigentum zu verteidigen oder man war es nicht. Er verglich seine Männer mit einem angriffslustigen Bienenschwarm und dachte: Es ist ein herrliches Gefühl, wenn man genügend fleißige Leutchen hat, die einem die Kastanien aus dem Feuer holen.

Hinter ihm öffnete sich eine Tür. Der sich auf der Wandung spiegelnde Lichtreflex zeigte dem Baron, auch ohne daß er sich umdrehen mußte, wer gekommen war. Hinter ihm erschien Piter de Vries, gefolgt von Umman Kudu, dem Führer seiner Leibgarde. Von draußen drangen die Geräusche anderer Leute an seine Ohren, und für einen Moment sah er die Schafsgesichter seiner Leibwächter, die ihn mit hündischer Ergebenheit anstarrten. Der Baron wandte sich um.

Piter salutierte, indem er einen Finger gegen die Stirn legte. »Gute Nachrichten, Mylord«, meldete er. »Die Sardaukar haben den Herzog gebracht.«

»Natürlich haben sie das«, brummte der Baron.

Er studierte das maskenhafte Gesicht seines Gegenübers. Und dessen Augen: schattenhafte Schlitze, in denen nichts als Blau zu sehen war.

Ich muß ihn beseitigen, dachte er. Das, was ich von ihm erwarten konnte, hat er geliefert. Jetzt hat er eine Stellung erreicht, in der er mir nur noch gefährlich werden kann. Aber zuerst werde ich ihn noch dazu benutzen, die Bevölkerung von Arrakis Haß zu lehren. Anschließend werden sie um so lieber meinen Liebling Feyd-Rautha willkommen heißen.

Er wandte sich dem Führer seiner Leibwache zu: Captain Umman Kudu. Ein Mann mit unbeweglichen Gesichtsmuskeln und einem viereckigen Kinn. Ihm konnte man trauen, denn seine Laster waren allgemein bekannt.

»Ich möchte zuerst wissen, wo der Verräter ist, der uns den Herzog ausgeliefert hat«, sagte der Baron. »Schließlich soll er seinen wohlverdienten Lohn bekommen.«

Piter drehte sich auf dem Absatz herum und gab dem Posten an der Tür einen Wink. Etwas Schwarzes bewegte sich hinter der Tür, und Yueh trat ein. Seine Bewegungen waren steif und marionettenhaft, sein Schnauzbart hing herab. In seinem Gesicht schienen nur die alten Augen zu leben. Er machte drei Schritte in den Raum hinein und blieb stehen, als erwartete er eine Anweisung von Piter, der ihm zunickte, woraufhin Yueh drei weitere Schritte machte und vor dem Baron stehenblieb.

»Ah, Dr. Yueh.«

»Zu Ihren Diensten, Mylord Harkonnen.«

»Sie haben uns den Herzog verschafft, hörte ich.«

»So lautete meine Hälfte der Abmachung, Mylord.«

Der Baron warf Piter einen Blick zu.

Piter nickte.

Der Baron wandte sich wieder Yueh zu. »Die Abmachung, wie? Und ich …« Er spuckte die Worte beinahe aus: »Was sollte doch gleich meine Gegenleistung sein?«

»Daran erinnern Sie sich sehr gut, Mylord.«

Irgendwo im Innern Yuehs begann laut eine Uhr zu ticken. Die Art, in der Harkonnen sich ihm gegenüber gab, zeigte, daß er betrogen worden war. Wanna war wirklich tot. Sie konnten ihre Hälfte des Abkommens gar nicht mehr erfüllen. Sie hatten ihn nur in dem Glauben gelassen, um Druck auf ihn ausüben zu können. Es war keine Frage mehr; sie hatten ihn hereingelegt.

»Schulde ich Ihnen wirklich etwas?« fragte der Baron.

»Sie haben versprochen, Wanna von ihren Qualen zu erlösen.«

Der Baron nickte. »Oh, ja, jetzt erinnere ich mich. Ich habe es wirklich versprochen, damit wir die imperiale Konditionierung durchbrechen konnten, denen Sie unterworfen waren. Leider konnten Sie nicht miterleben, wie diese Bene-Gesserit-Hexe ihr Leben in Piters Schreckenskammern verlor. Nun, der Baron Harkonnen pflegt sein Versprechen immer zu halten. Und ich habe Ihnen versprochen, sie von ihren Qualen zu erlösen und die Erlaubnis erteilt, daß Ihnen das gleiche widerfährt. So sei es.« Er gab Piter einen Wink.

Piters blaue Augen wurden glasig. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers. Das Messer in seiner Hand blitzte wie eine Kralle, als es sich in Yuehs Rücken senkte. Der alte Mann richtete sich auf, ohne den Baron aus den Augen zu lassen.

»Sie werden Ihre Frau bald treffen«, zischte dieser.

Yueh blieb aufrecht stehen. Seine Lippen bewegten sich mit vorsichtiger Präzision, dann sagte er in leicht schwankendem Tonfall: »Sie … glauben … mich … besiegt … zu … haben … Sie glauben, daß … ich … nicht … damit … gerechnet … habe … was … meiner … Wanna … bevorstand.« Er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden.

»Ich hoffe, Sie treffen sie«, wiederholte der Baron, aber seine Worte klangen nur noch wie ein schwaches Echo. Yuehs Tod hatte ihn mit Mißtrauen erfüllt. Langsam wandte er sich Piter zu, und achtete darauf, wie der Mann seine Klinge aus dem Rücken des Toten zog. Piters Augen leuchteten in tiefer Befriedigung.

Auf diese Art mordet er also, dachte der Baron. Es ist gut, daß ich das jetzt weiß.

»Er hat uns wirklich den Herzog ausgeliefert?« fragte er.

»Aber natürlich, Mylord«, erwiderte Piter.

»Dann lassen wir ihn doch hereinbringen.«

Piters Blick ließ den Führer der Leibwache sofort gehorchen. Der Baron starrte den gefallenen Yueh an. »Ich habe niemals in meinem Leben einem Verräter Vertrauen geschenkt«, sagte er. »Nicht einmal dann, wenn er für mich arbeitete.«

Er schaute auf das nächtliche Panorama hinaus. Die Stille, die nun dort herrschte, war von ihm erzeugt worden. Man hatte das Feuer eingestellt und war jetzt sicher schon dabei, die vom Steinschlag verschütteten Höhlensysteme zu versiegeln. Die absolute Schwärze, die sich im Bewußtsein des Barons ausbreitete, erschien ihm plötzlich als die schönste Farbe überhaupt.

Aber immer noch nagten Zweifel an ihm.

Was hatte der närrische alte Arzt gesagt? Natürlich, vielleicht hatte er vorausgeahnt, was im Endeffekt mit ihm geschehen würde. Aber dieser merkwürdige Ausspruch: »Sie glauben, mich besiegt zu haben.«



Was hatte er damit gemeint?

Herzog Leto Atreides betrat den Raum. Man hatte seine Arme mit Ketten gefesselt. Sein adlerhaftes Gesicht war schmutzig. An der Stelle, wo jemand die Insignien abgerissen hatte, war seine Uniform zerfetzt. Man hatte seinen Schildgurt entfernt, ohne ihn durch die Schlaufen zu führen. In den Augen des Herzogs stand ein glasiger, geistesabwesender Ausdruck.

»Nun«, sagte der Baron gedehnt. Er zögerte und holte tief Luft. Er wußte, daß er zu laut gesprochen hatte. Irgendwie hatte dieser Moment etwas von dem langerwarteten Triumph verloren.

Zum Teufel mit dem Geschwätz dieses Arztes!

»Ich nehme an, daß der gute Herzog unter Drogen steht«, erklärte Piter. »Dadurch hat Yueh ihn kampfunfähig gemacht.« Er wandte sich dem Herzog zu und fragte: »Sind Sie betäubt, mein guter Herzog?«

Die Stimme kam aus weiter Ferne. Leto fühlte nichts als die Ketten, schmerzende Muskeln, aufgesprungene Lippen, brennende Wangen und seinen ausgetrockneten Mund. Alle Geräusche um ihn herum klangen gedämpft, als würden sie durch ein Filter von ihm abgehalten. Die Personen vor ihm erschienen wie Schatten.

»Was ist mit der Frau und dem Jungen, Piter?« fragte der Baron. »Schon was gehört?«

Piters Zunge glitt über seine Lippen.

»Du weißt etwas!« sagte der Baron barsch. »Rede schon!«

Piter warf dem Führer der Leibwache einen kurzen Blick zu und schaute dann den Baron an. »Die Männer, die den Auftrag hatten, Mylord, sie … äh … man hat … sie gefunden.«

»Es ist also alles gelaufen?«

»Sie sind tot, Mylord.«

»Natürlich sind sie das! Aber was ich wissen will, ist …«

»Sie waren bereits tot, als man sie fand, Mylord.«

Der Baron wurde blaß. »Und die Frau und der Junge?«

»Keine Spur von ihnen, Mylord. Aber es trieb sich ein Wurm dort herum, Mylord. Er tauchte auf, während man die Landestelle untersuchte. Vielleicht ist es nun so gekommen, wie wir es von vornherein hätten planen sollen. Ein Unfall. Möglicherweise …«

»Auf Möglichkeiten können wir uns nicht verlassen, Piter. Und was ist mit dem verschwundenen Thopter? Kann mein Mentat wenigstens daraus einen konkreten Schluß ziehen?«

»Vermutlich ist einer der Männer des Herzogs darin entkommen, Mylord. Er hat unseren Piloten umgebracht und ist entwischt.«

»Welcher von des Herzogs Leuten könnte das gewesen sein?«

»Es war ein sauberer, lautloser Überfall, Mylord. Ich tippe auf Hawat, vielleicht auch auf Halleck. Möglicherweise aber auch Idaho. Oder jeder andere fähige Unterführer.«

»Möglichkeiten«, knirschte der Baron. Er musterte die leicht taumelnde Gestalt des Herzogs.

»Wir haben alles in der Hand, Mylord«, fügte Piter hinzu.

»Lächerlich! Wo steckt dieser verrückte Planetologe? Wo hat sich dieser Kynes verkrochen?«

»Es läuft alles auf Hochtouren, ihn ausfindig zu machen und herbeizuschaffen, Mylord.«

»Mir paßt es nicht, wie dieser kaiserliche Bedienstete uns aus dem Wege geht«, schnaubte der Baron.

Obwohl die Worte Letos Bewußtsein nur am Rande erreichten, drangen einige doch zu ihm durch. Die Frau und der Junge — keine Spur. Also waren Paul und Jessica entkommen! Und das Schicksal von Hawat, Halleck und Idaho war zumindest unbekannt. Es gab also noch eine Hoffnung.

»Wo steckt der herzogliche Siegelring?« verlangte der Baron zu wissen. »Er trägt ihn nicht.«

»Der Sardaukar sagte, er hätte ihn schon in dem Moment nicht mehr gehabt, als er uns ausgeliefert wurde, Mylord«, wandte der Führer der Leibwache ein.

»Du hast den Arzt zu früh umgebracht«, meinte der Baron zu Piter. »Das war ein Fehler. Du hättest mich vorher warnen sollen, Piter. Du warst ein bißchen zu voreilig, finde ich.« Er fluchte. »Möglichkeiten!«

Der Gedanke zog sich nun wie ein roter Faden durch Letos Bewußtsein. Paul und Jessica sind entkommen! Und noch etwas machte ihm unterbewußt zu schaffen. Richtig: die Abmachung. Aber welche war es gewesen?

Der Zahn!

Allmählich kam das Wissen zurück: In meinem falschen Zahn befindet sich eine Giftkapsel. Irgend jemand hatte ihn gebeten, sich an den Zahn zu erinnern. Er war in seinem Mund. Er konnte ihn mit der Zunge fühlen. Und alles, was er tun mußte, war fest darauf zu beißen.

Noch nicht!

Jemand hatte ihm geraten, so lange zu warten, bis er dem Baron nahe genug war. Aber wer war das gewesen? Er konnte sich nicht erinnern.

»Wie lange wird er in diesem halbbetäubten Zustand verbleiben?« hörte er den Baron fragen.

»Vielleicht noch eine Stunde, Mylord.«

»Vielleicht«, murmelte der Baron. Er schaute aus dem Bullauge in die tiefschwarze Nacht hinaus. »Ich habe Hunger.«

Dieser graue, zerfließende Schatten da ist der Baron, dachte Leto. Die Umrisse tanzten vor seinen Augen hin und her und zeigten seine Bewegung innerhalb des Raumes an. Und dieser Raum wurde von Minute zu Minute größer und heller. Gegenstände begannen sich abzuzeichnen. Ich muß noch warten.

Dort war ein Tisch. Leto sah ihn beinahe völlig klar. Und ein dicker, fetter Mann auf der anderen Seite des Tisches, vor dem die Überreste einer Mahlzeit standen. Leto fühlte plötzlich, daß auch er in einem Sessel saß, mit Ketten gefesselt und an die Sitzgelegenheit angebunden. Ihm wurde klar, daß einige Zeit vergangen sein mußte, aber ihm wurde nicht bewußt, wieviel.

»Ich glaube, er kommt jetzt zu sich, Baron.«

Eine seidige Stimme. Das war Piter.

»Das sehe ich, Piter.«

Ein rumpelnder Baß: der Baron.

Immer deutlicher wurde jetzt die Umgebung. Der Sessel, auf dem Leto saß, war hart. Er fühlte die Enge seiner Fesseln.

Und dann sah er den Baron in aller Schärfe. Leto beobachtete die Handbewegungen des ihm gegenübersitzenden Mannes: wie er mit dem Besteck spielte, an den Tischrand griff. Er schaute der Hand mit einem faszinierten Gefühl zu.

»Sie hören mich jetzt, Herzog Leto«, sagte der Baron. »Ich weiß genau, daß Sie mich hören können. Wir wollen von Ihnen wissen, wo wir Ihre Konkubine und das Kind, das Sie ihr gemacht haben, finden werden.«

Obwohl er sich nicht das Geringste anmerken ließ rasten diese Worte durch Letos Kopf wie eine Flamme. Es ist also wahr; sie sind ihnen entwischt.

»Wir sind hier nicht im Kindergarten«, polterte der Baron. »Sie sollten das am besten wissen.« Er beugte sich vor und studierte Letos Gesicht. Im Grunde genommen bedauerte er, daß sich diese Sache nicht unter vier Augen regeln ließ. Es war keine gute Sache, wenn das gemeine Volk einen Adeligen bei einer solchen Tätigkeit zu Gesicht bekam.

Leto fühlte, wie seine Kräfte zurückkehrten. Und mit der Kraft kam auch die Erinnerung an den falschen Zahn, die alle anderen Gedanken zu überschwemmen drohte. Das Nervengift, das in seinem Mund verborgen war, führte dazu, daß er sich an den Mann erinnerte, der ihn mit dieser tödlichen Waffe ausgestattet hatte.

Yueh.

Er wußte, es war Yueh gewesen.

»Hören Sie den Lärm, Herzog Leto?« fragte der Baron.

Von irgendwoher drang das Stöhnen eines Menschen an seine Ohren.

»Wir haben einen Ihrer Leute geschnappt, der sich als Fremen verkleidet hatte«, erklärte der Baron. »Wir durchschauten seine Verkleidung aber recht schnell, müssen Sie wissen. Anhand seiner Augen, verstehen Sie? Er behauptete, man hätte ihn zu den Fremen geschickt, um dort herumzuspionieren. Auch ich habe eine gewisse Zeit auf dieser Welt gelebt, mein werter Cousin, und ich weiß daher, daß es unmöglich ist, diese Leute in der Wüste zu unterwandern. Ich nehme an, Sie haben sich die Unterstützung der Fremen gekauft, nicht wahr? Haben Sie etwa auch Ihre Frau und Ihren Sohn dort hingeschickt?«

Leto spürte, wie sich sein Brustkorb verengte. Wenn Yueh sie zu den Wüstenbewohnern geschickt hat … dann werden sie nicht eher aufgeben, bis sie sie gefunden haben.

»Los, reden sie schon«, forderte der Baron ungeduldig. »Wir haben nicht viel Zeit, und Schmerzen kommen schnell. Lassen Sie es nicht darauf ankommen, werter Herzog.« Er sah zu Piter hinauf, der neben Leto stand. »Piter hat zwar nicht all seine Folterinstrumente bei sich, aber ich bin sicher, daß er auch, was das Improvisieren angeht, seine Fähigkeiten hat.«

»Improvisationen bringen meistens die besten Ergebnisse, mein Baron.«

Diese schreckliche Stimme! Sie erklang genau neben Letos Ohr.

»Natürlich hatten Sie einen Plan für Notfälle«, sagte der Baron. »Wohin haben Sie Ihre Frau und den Jungen geschickt?« Er musterte Letos Hand. »Ihr Ring ist verlorengegangen. Oder hat ihn der Junge?«

Er stand auf, starrte in Letos Augen.

»Sie wollen nicht antworten«, fuhr er fort. »Wollen Sie mich zwingen, Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht tun will? Piter benutzt einfache, aber wirkungsvolle Methoden. Ich bin zwar nicht unbedingt der Meinung, sie seien alle unmoralisch, möchte aber im Grunde doch vermeiden, Sie zu einem eigenen Urteil kommen zu lassen.«

»Heißer Talg auf dem Rücken kann Wunder wirken«, sagte Piter. »Auch auf den Augenlidern. Und schließlich gibt es ja noch eine Reihe anderer Körperteile. Diese Methode ist schon deswegen so vielversprechend, weil das Opfer niemals weiß, auf welchen Körperteil der nächste Tropfen fallen wird. Eine wirklich vortreffliche Methode, und auch die Brandblasen, die man nachher auf der nackten Haut bewundern kann, haben ihren Reiz. Nicht wahr, mein Baron?«

»Exquisit«, nickte der Baron, obwohl seine Stimme vor Abscheu vibrierte.

Diese tastenden Finger! Leto starrte auf die juwelenbesetzten fetten Hände, die die ganze Zeit über in ständiger Bewegung blieben.

Die Geräusche aus dem Nebenraum, wo ein Mann in dumpfer Agonie stöhnte, zerrte an Letos Nerven. Wen haben sie gefangen? fragte er sich. Vielleicht Idaho?

»Glauben Sie mir, werter Cousin«, wiederholte der Baron, »daß ich es vermeiden möchte, soweit zu gehen.«

»Es ist eine Kunst, das richtig hinzukriegen«, fügte Piter hinzu.

»Ich weiß, daß du ein großer Künstler bist«, erwiderte der Baron. »Aber hab' jetzt bitte die Freundlichkeit, den Mund zu halten.«

Plötzlich erinnerte Leto sich an etwas, das Gurney Halleck einst gesagt hatte. Und es traf auf den Baron genau zu. »Und ich stand auf dem Sand des Strandes und sah, wie das Ungeheuer aus der See auftauchte … es war die reinste Blasphemie.«

»Wir vergeuden nur Zeit, Baron«, meinte Piter.

»Vielleicht.«

Der Baron nickte. »Sie wissen, mein lieber Leto, daß Sie uns irgendwann doch die Wahrheit sagen werden. Auch für Sie gibt es eine Schmerzgrenze, über die Sie nicht hinauskönnen.«

Vermutlich hat er da sogar recht, dachte Leto. Aber ich habe noch den Zahn … und immerhin weiß ich wirklich nicht, wo sie sich versteckt halten.

Der Baron nahm ein Stück Fleisch von seinem Teller, stopfte es in den Mund, kaute darauf herum und schluckte. Wir müssen eine neue Taktik versuchen, dachte er.

»Schau dir diesen Kerl an, Piter, der von sich glaubt, er sei nicht herumzukriegen. Schau ihn dir nur an.« Und er dachte: Jawohl! Schaut ihn euch an, diesen Mann, der glaubt, nicht käuflich zu sein. Wenn man daran denkt, wieviel von seiner Ehre bereits von anderen unter der Hand verhökert wurde … Wenn ich ihn aus seinem Sessel zerre und schüttele, wird es in seinem Inneren nicht mal mehr klingeln. Er ist leer. Nichts ist von ihm übriggeblieben. Welchen Unterschied macht es da für ihn noch, auf welche Weise er stirbt?

Die Geräusche im Nebenraum verstummten.

Der Baron sah Umman Kudu, den Führer seiner Leibwache, in der Tür auf der anderen Seite auftauchen und den Kopf schütteln. Der Gefangene hatte also nichts gesagt. Noch ein Versager. Es wurde Zeit, ernsthaft auf diesen närrischen Herzog einzureden, damit er endlich begriff, wie nahe er der Hölle war. Ihn trennte praktisch nur noch ein Nervenstrang von ihr.

Der Gedanke führte dazu, daß der Baron sich wieder etwas beruhigter vorkam. Immerhin hatte er die Macht, mit einem Adeligen anzustellen, was ihm beliebte: er fühlte sich plötzlich wie ein Chirurg, der die unverständlichen Gedankengänge seiner Opfer bloßlegte, der diesen Narren die Masken wegschnitt, damit sie in die Lage versetzt wurden, zu sehen, wie nahe sie der ewigen Verdammnis waren.

Diese Kaninchen!

Und wie sie kuschten, wenn sie den Käfig sahen!

Leto starrte über die Tischplatte und wunderte sich, daß man immer noch auf seine Antwort wartete. Der Zahn würde für ein rasches Ende sorgen. Und damit war sein Leben doch nicht völlig sinnlos gewesen. Die Erinnerungen an Caladan drangen plötzlich auf ihn ein. Er sah sich, wie er eine Antenne unter dem blauen Himmel errichtet hatte und Paul sich darüber freute. Aber auch der Sonnenaufgang hier auf Arrakis war nicht aus seinem Unterbewußtsein gewichen: in der Ferne der Schildwall im Nebel.

»Zu schade«, murmelte der Baron. Er stieß sich von seinem Tisch ab, fühlte sich von den Suspensoren emporgehoben. Er zögerte, als er im Gesicht des Herzogs eine Veränderung bemerkte. Ihm fiel auf, daß sein Gegenüber einen tiefen Atemzug machte und die Zähne zusammenbiß.

Wie er mich fürchtet! zuckte es durch sein Gehirn.

Leto hatte plötzlich Angst, daß der Baron ihm doch noch entkommen könnte und biß zu. Die Kapsel zerbrach. Er öffnete den Mund und spürte den beißenden Geschmack des Giftes auf der Zunge. Der Baron wurde plötzlich kleiner, wie eine Person, die in einem endlosen Tunnel zurückblieb. Neben Letos Ohr röchelte jemand. Es war der Mann mit der seidigen Stimme: Piter.

Ich habe ihn auch erwischt!

»Piter! Was ist los!«

Die tiefe Stimme entfernte sich immer mehr.

Die Umwelt versank in einem unidentifizierbaren Gewirr aus Farben, Geräuschen und Bewegungen. Die Kabine, der Tisch, der Baron, zwei in heller Panik aufgerissene Augen — alles versank um ihn herum in grauen Wolken des Vergessens.

Da war ein Mann mit einem viereckigen Kinn, der wie eine Marionette umfiel. Seine Nase war gebrochen und zeigte ein wenig nach links. Leto hörte sanftes Knirschen. Es war weit weg. Dann brüllte jemand in der Höhe seiner Ohren auf. Sein Bewußtsein war ein Gewinde ohne Ende, sein Gehör nahm alles auf was aufzunehmen war: jeden Schrei, jedes noch so leise Gewisper … und auch die Stille.

Der Baron stand mit dem Rücken gegen die Geheimtür gelehnt, die er für alle Fälle in die Kabine hatte einbauen lassen. Er hatte sie zugeschlagen, weil der hinter ihm liegende Raum voller toter Männer lag. Mit fahrigem Blick nahm er die Männer wahr, die sich um ihn drängten. Habe ich es eingeatmet? dachte er. Was immer es auch gewesen ist, hat es mich auch erwischt?

Er merkte schließlich, daß man um ihn herum nicht untätig geblieben war. Jemand brüllte Befehle … Gasmasken anlegen … die Schotten dicht … die Ventilation einschalten.

Die anderen fielen sofort um, dachte er. Und ich stehe immer noch. Gnadenlose Hölle! Das war knapp.

Jetzt wurde ihm bewußt, was ihn gerettet hatte. Sein Schildgürtel war eingeschaltet, zwar nicht auf die Höchststufe, aber immerhin hoch genug, um zu verhindern, daß etwas zu ihm durchdringen konnte. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig von der Tischplatte abgestoßen … und war von Piters entsetzlichem Röcheln gewarnt worden. Dem Führer seiner Leibwache hatte die späte Erkenntnis nichts mehr genützt. Und er selbst hatte sein Leben nur der versteckten Warnung im Todesröcheln eines anderen zu verdanken.

Dennoch fühlte der Baron Piter gegenüber nicht die geringste Dankbarkeit. Der Narr war an seinem Tod selber schuld. Und dieser idiotische Trottel von einem Leibwächter! Er hatte behauptet, daß niemand zu mir durchgelassen wird, den er nicht auf Herz und Nieren untersucht. Wie hat der Herzog es nur geschafft … Es hat nicht die geringste Warnung gegeben. Nicht einmal der Giftschnüffler hat reagiert. Nun, egal, wie das passieren konnte. Der nächste Führer meiner Leibgarde wird es herauszufinden haben.

Laute Stimmen unterbrachen seine Gedankengänge und lenkten seine Aufmerksamkeit auf eine andere Richtung. Er stieß sich von der Wand ab und musterte kurz die Schafsgesichter in seiner Nähe.

Die Männer standen da und stierten schweigend. Offenbar erwarteten sie nun von ihm weitere Verhaltensmaßregeln. Und sicher fürchteten sie auch seine Reaktion.

Dem Baron wurde plötzlich klar, daß seit dem schrecklichen Attentat erst wenige Sekunden vergangen waren. Mehrere der Wachen nahmen nun ihre Waffen und richteten sie auf die Ecke zu ihrer Rechten, aus der plötzlicher Lärm drang.

Dann erschien ein Mann, dessen Gasmaske an einem Band von der Schulter baumelte, während seine Augen die an den Korridorwänden angebrachten Giftschnüffler beobachteten. Der Neuankömmling war blond, flachgesichtig und hatte grüne Augen. Um seine Lippen lagen Falten, und im ganzen wirkte er wie eine Wassserkreatur unter Wüstenbewohnern.

Der Baron starrte den auf ihn zukommenden Mann an und dachte an seinen Namen: Nefud. Iakin Nefud. Gardeunteroffizier. Nefud war Semutasüchtig, abhängig von einer Droge, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Musik selbst in tiefster Bewußtlosigkeit wirkte. Ein nützlicher Informationsfaktor, in der Tat.

Nefud blieb vor dem Baron stehen und salutierte. »Die Korridore sind jetzt sauber, Mylord. Ich habe von draußen gesehen, daß es sich um Giftgas gehandelt hat. Die Ventilatoren in ihrem Zimmer saugen jetzt Frischluft von den Korridoren an.« Er warf einen Blick auf den Schnüffler über dem Kopf des Barons. »Es ist nichts übriggeblieben. Der Raum ist jetzt sauber. Wie lauten Ihre Befehle?«

Jetzt erinnerte sich der Baron an die Stimme des Mannes. Es war diejenige, die soeben die Befehle geschrien hatte.

Ein reaktionsschneller Mann ist dieser Unteroffizier, dachte er.

»Die Leute in diesem Raum sind alle tot?« fragte er.

»Jawohl, Mylord.«

Nun, wir müssen Ordnung schaffen, dachte der Baron. Laut sagte er:

»Lassen Sie mich Ihnen zuerst gratulieren, Nefud. Sie werden ab sofort der neue Hauptmann meiner Leibwache sein. Ich hoffe für Sie, daß Sie aus dem Schicksal Ihres Vorgängers einiges lernen werden.«

Er spürte, wie die Wachsamkeit in dem soeben beförderten Soldaten auf der Stelle wuchs. Nefud wußte, daß er von jetzt an nie mehr ohne seine Droge leben mußte.

Der neue Hauptmann nickte. »Mylord wissen, daß ich seiner Person mit meiner ganzen Kraft zur Verfügung stehe.«

»In Ordnung. Nun zum Geschäftlichen. Ich vermute, daß der Herzog irgend etwas in seinem Mund hat. Sie werden das herausfinden und feststellen, wie er es benutzen konnte, und wer dafür verantwortlich war, daß er über diese Waffe verfügte. Sie werden jede Unterstützung …«

Er wurde durch erneuten Lärm mehrerer Stimmen in seiner Rede unterbrochen. Die Wachen am Liftausgang zu den unteren Decks der Fregatte versuchten dort einen hochgewachsenen Colonel-Bashar zurückzuhalten, der soeben aus der Kabine trat.

Das Gesicht des Mannes war dem Baron unbekannt: es war schlank und dünnlippig. Zwei funkelnde Augen schienen Blitze zu sprühen.

»Geht mir aus dem Weg, ihr dreckfressendes Gesindel!« brüllte der Mann und schob mit einer Hand gleich zwei Wachen auf einmal beiseite.

Ah, einer der Sardaukar, dachte der Baron.

Der Colonel-Bashar kam geradewegs auf ihn zu. Die Augen des Barons zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Die Anwesenheit dieser Leute erfüllte ihn mit beinahe körperlich spürbarem Unwohlsein. Irgendwie erinnerten sie ihn in ihrem Äußeren alle an Verwandte des Herzogs … des verstorbenen Herzogs. Und wie sie mit ihm umsprangen!

Einen halben Schritt vor dem Baron blieb der Colonel-Bashar stehen und stemmte die Hände in die Seiten. Die Wachen musterten ihn mit offensichtlicher Ängstlichkeit.

Die Tatsache, daß der Mann nicht salutierte, sondern im Gegenteil ein beträchtliches Selbstbewußtsein zur Schau stellte, trug nicht dazu bei, daß sich die Stimmung des Barons hob. Aber auch wenn sich nur eine Sardaukar-Legion derzeit auf Arrakis aufhielt — im Gegensatz zu zehn seiner eigenen -, brauchte er sich nichts vorzumachen. Gegen die Sardaukar-Legion konnte er nichts unternehmen. Sie würden seine eigenen Leute in Stücke reißen.

»Es wäre ratsam, wenn Sie Ihren Leuten erzählen würden, daß sie zukünftig ihre Pfoten von mir zu lassen haben, wenn ich Sie zu sehen wünsche, Baron«, knurrte der Sardaukar. »Meine Leute haben Ihnen Herzog Leto Atreides übergeben, bevor ich die Gelegenheit hatte, über sein zukünftiges Schicksal mit Ihnen zu diskutieren. Wir werden das jetzt nachholen.«

Ich darf mich nicht vor meinen Leuten bloßstellen lassen, dachte der Baron und sagte mit einer Stimme, die eine solche Kälte ausströmte, daß er beinahe selbst stolz darauf war: »So?«

»Mein Imperator hat mir befohlen, dafür Sorge zu tragen, daß sein Cousin einen raschen Tod ohne Folter stirbt«, fügte der Colonel-Bashar hinzu.

»Genauso lauteten die kaiserlichen Befehle, die ich erhielt«, log der Baron. »Glauben Sie etwa, ich würde mich ihnen widersetzen?«

»Ich habe den Befehl, dem Imperator zu berichten, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe«, erwiderte der Sardaukar.

»Der Herzog ist schon tot«, sagte der Baron und deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung an, daß es besser sei, wenn der Mann jetzt gehe.

Der Colonel-Bashar rührte sich nicht von der Stelle. Er zeigte mit keinem Wimpernzucken, daß er die Bewegung überhaupt wahrgenommen hatte.

»Wie?« knurrte er.

Also wirklich! dachte der Baron. Das ist zuviel.

»Von seiner eigenen Hand, wenn Sie es unbedingt wissen wollen«, erklärte er. »Er hat Gift genommen.«

»Ich will seine Leiche sehen«, forderte der Sardaukar.

Mit gespielter Verzweiflung sah der Baron zur Decke des Korridors hinauf. Seine Gedanken rasten. Verflucht! Dieser adleräugige Sardaukar wird den Raum zu sehen bekommen, bevor wir dort Ordnung geschafft haben!

»Sofort«, fügte der Sardaukar hinzu. »Ich will ihn mit eigenen Augen sehen.«

Es gab keinen Grund, dies abzulehnen. Der Sardaukar würde alles sehen. Er würde sofort wissen, daß der Herzog eine ganze Reihe von seinen Soldaten getötet hatte … und daß der Baron nur wegen eines glücklichen Zufalls entkommen war. All dies würde keinen guten Eindruck machen.

»Ich lasse mich nun nicht länger hinhalten«, schnarrte der Colonel-Bashar.

»Niemand beabsichtigt das«, erwiderte der Baron und starrte in die Obsidianaugen seines Gegenübers. »Ich habe vor meinem Imperator nichts zu verbergen.« Er nickte Nefud zu. »Der Colonel-Bashar hat das Recht, sich alles genau anzusehen. Führen Sie ihn durch die Tür, vor der Sie stehen, Nefud.«

»Hierher, Sir«, sagte Nefud.

Langsam ging der Sardaukar um den Baron herum und bahnte sich einen Weg durch die Leibwächter.

Peinlich, dachte der Baron. Jetzt wird der Imperator erfahren daß ich beinahe in eine Falle getappt wäre. Er wird es als ein Zeichen der Schwäche werten.

Und es war jetzt schon klar, daß er in dieser Beziehung die Auffassung seiner Sardaukar teilte. Der Baron nagte an seiner Unterlippe und redete sich ein, daß der Imperator zumindest nichts von dem Überfall auf die Gewürzlager von Giedi Primus erfahren haben konnte, der mit der Zerstörung der Harkonnen'schen Gewürzlager geendet hatte.

Verflucht sei dieser Fuchs von einem Herzog!

Er ließ die beiden Männer nicht aus den Augen: den arroganten Sardaukar und den finsteren und undurchsichtigen Nefud.

Wir müssen Ordnung schaffen, dachte der Baron erneut. Rabban wird wieder die Macht auf diesem verdammten Planeten übernehmen. Ohne Rücksicht auf Verluste! Er muß hart vorgehen, dann wird man später meinen geliebten Feyd-Rautha um so lieber akzeptieren. Der Teufel soll Piter holen. Das sieht ihm ähnlich, sich umbringen zu lassen, bevor ich mit ihm fertig bin.

Der Baron seufzte.

Und ich muß mir von Tleilax einen neuen Mentaten kommen lassen. Hoffentlich haben sie jemanden, der bereits einsatzbereit ist.

Einer der ihn umgebenden Leibwächter hüstelte. Der Baron wandte sich dem Mann zu und sagte: »Ich bin hungrig.«

»Jawohl, Mylord.«

»Und während Sie diesen Raum dort säubern und kontrollieren, wünsche ich abgelenkt zu werden.«

Der Leibwächter senkte den Blick. »Welche Zerstreuung wäre dem Baron am liebsten?«

»Ich werde in meinen Schlafraum gehen«, erwiderte der Baron. »Bringen Sie mir diesen jungen Burschen, den wir auf Gamont kauften; den mit den hübschen Augen. Und setzen Sie ihn unter Drogen. Ich habe keine Lust, erst seinen Willen zu brechen.«

»Jawohl, Mylord.«

Der Baron wandte sich ab und bewegte sich mit den seltsamen, von den Suspensoren erzeugten Bewegungen auf seine Räume zu. Ja, dachte er, ich will den mit den hübschen Augen; den Burschen, der dem jungen Paul Atreides so ähnlich sieht.

22

O Meere von Caladan,

O Volk des Herzogs Leto

Die Zitadelle ist gefallen …

Gefallen für immer.

Aus ›Lieder des Muad'dib‹, von Prinzessin Irulan.


Paul spürte, daß seine gesamte Vergangenheit, daß jede Erfahrung, die er gemacht hatte, bevor diese Nacht angebrochen war, nichts anderes mehr für ihn war, als der sich kräuselnde Sand in einem Stundenglas. Er saß neben seiner Mutter und bedeckte sein Knie mit einem kleinen Überwurf aus Plastikstoff. Es war ein Destillzelt, das, genau wie die Fremenkleidung, die sie jetzt trugen, dem Bündel entstammte, das sie im Inneren des Thopters gefunden hatten.

Paul zweifelte nicht daran, daß er wußte, wem er für diesen Überlebenssatz zu danken hatte: Yueh. Und er hatte auch den Kurs der Maschine, in der man sie als Gefangene befördert hatte, festgesetzt.

Der verräterische Arzt hatte sie geradewegs in die Hände von Duncan Idaho geführt.

Paul warf einen Blick aus dem durchsichtigen Wandteil des Zeltes und sah die mondüberschatteten Felsen, die den Platz beschützten, an dem Idaho sie versteckt hatte.

Versteckt wie ein Kind, dachte Paul. Und dennoch bin jetzt ich der Herzog. Der Gedanke betrübte ihn, vielleicht war es aber auch die Verpflichtung, die nun auf ihm lastete.

Irgend etwas war in dieser Nacht geschehen, was Einwirkung auf seine Wachsamkeit genommen hatte: mit einer nie zuvor gekannten Schärfe nahm er die Geschehnisse wahr, die sich um ihn herum abspielten. Unfähig, sich dagegen zur Wehr zu setzen, fühlte er, wie sich in seinem Innern kalte Berechnung breitmachte, mit welcher Präzision er die Lage einschätzte, wie er die Fakten gegeneinander abwog. Es war die Kraft eines Mentaten, und vielleicht auch noch etwas mehr.

Paul dachte an den Augenblick zurück, in dem der fremde Thopter über ihnen aufgetaucht war. Er war plötzlich dagewesen, wie ein gigantischer Habicht, der über ihnen in seiner Bewegung verharrte, während der Wüstenwind an seinen Rotoren zerrte. Dann war etwas mit seinem Bewußtsein passiert. Der Thopter hatte auf dem offenen Sand zur Landung angesetzt, während er und seine Mutter anfingen zu rennen. Paul konnte sich noch gut erinnern, wie der von den Rotoren aufgewirbelte Sand in seine Nasenlöcher gedrungen war.

Seine Mutter hatte sich plötzlich herumgedreht. Zweifellos rechnete sie damit, jetzt in das Gesicht eines mit einer Lasgun bewaffneten Harkonnen-Kreatur zu sehen. Statt dessen hatte sich Duncan Idaho aus der Luke des Thopters gelehnt, der schrie: »Beeilung! Wurmzeichen — südlich von euch!«

Als er sich umgedreht hatte, war Paul klargeworden, wer den Thopter steuerte. Die minuziöse Art der Landung Feinheiten, die so klein waren, daß nicht einmal seine Mutter sie entdecken konnte -, sie machten völlig klar, wer hinter diesen Kontrollen saß.

Gegenüber von ihm erhob sich Jessica und sagte: »Ich kann mir nur eine Erklärung vorstellen. Die Harkonnens müssen Gewalt über Yuehs Frau gehabt haben. Er haßte sie, diese Leute! Ich weiß genau, daß ich mich in dieser Sache nicht irre. Du hast seine Botschaft gelesen. Aber warum hat er uns vor dem Gemetzel bewahrt?«

Sie sieht es erst jetzt, und noch immer nicht vollständig, dachte Paul. Dieser Gedanke schockierte ihn. Ihm war alles bereits klar geworden, noch während er den Zettel las, in dem sich der herzogliche Ring befunden hatte.

»Versuchen Sie nicht, mir zu vergeben«, hatte Yueh geschrieben. »Ich möchte nicht, daß Sie mir verzeihen. Die Last, die ich zu tragen habe, ist bereits genug. Was ich tat, habe ich getan, ohne darauf zu hoffen, daß es mir jemand vergeben wird — oder zu verstehen versucht. Es war mein privater Tahaddi al-Burhan, ein ultimater Test. Ich übergebe Ihnen den herzoglichen Ring der Atreides' zum Zeichen, daß ich es ehrlich meine. Wenn Sie dies lesen, wird Herzog Leto bereits tot sein. Lassen Sie mich Ihnen versichern, daß er nicht allein starb; daß einer, den wir alle hassen, sein Leben mit ihm verlor.«

Die Nachricht trug weder eine Adresse noch eine Unterschrift, aber dennoch gab es keinen Zweifel, daß das krakelige Zeichen unter der letzten Zeile von Yueh stammte.

Was den Brief an sich anbetraf — die Botschaft die er enthielt -, so erschien er Paul wie etwas, das außerhalb seines Bewußtseins stattfand. Er hatte erfahren, daß sein Vater nicht mehr lebte; wußte, daß diese Worte stimmten — und dennoch war ihm, als sei dies für ihn nicht mehr als ein weiteres Datum, das er seinem Gedächtnis einprägte, um es bei Bedarf wieder abzurufen.

Ich habe meinen Vater geliebt, dachte er erschreckt. Ich sollte um ihn weinen. Ich sollte zumindest irgend etwas fühlen.

Aber in ihm war nichts als das Wissen: Dies ist eine wichtige Tatsache.

Ein Fakt unter Fakten.

Und während er weiterhin darüber nachzudenken bestrebt war, sammelte sein Gehirn nichts als weitere Informationen, Impressionen und verwertete sie extrapolativ, computerhaft.

Er erinnerte sich an etwas, das Halleck gesagt hatte: »Stimmungen sind etwas für Rindriecher oder Liebende. Wenn sich die Notwendigkeit erweist, wirst du schon kämpfen lernen, egal, in welcher Stimmung du bist.«

Vielleicht ist es das, dachte Paul. Ich werde später um meinen Vater weinen … Wenn ich die Zeit dazu habe.

Dennoch fühlte er sich in der kalten Präzision seiner Gedankengänge nicht sonderlich wohl. Er fühlte, daß dies erst der Anfang war, daß er sich noch mehr verändern würde. Das Gefühl einer schrecklichen Vorbestimmung, eines unbekannten Zieles, das er zum erstenmal gespürt hatte, als er der Ehrwürdigen Mutter Gaius Helen Mohiam begegnet war, kehrte zu ihm zurück. Seine rechte Hand — er erinnerte sich daran, wie sie pulsiert und geschmerzt hatte — zitterte.

Ist dies das Gefühl eines Kwisatz Haderach? fragte er sich.

»Einen Moment lang«, sagte Jessica, »dachte ich wahrhaftig, daß Hawat versagt hätte. Ich stellte mir vor, daß Yueh vielleicht gar kein Suk-Schüler ist.«

»Er war alles, was wir von ihm vermuteten … und noch mehr«, erwiderte Paul. Er dachte: Wieso dauert es so lange, bis sie auf diese Dinge kommt? Laut sagte er: »Wenn Idaho es nicht schafft, zu Kynes durchzustoßen, werden wir …«

»Er ist nicht unsere einzige Hoffnung«, gab sie zurück.

»Das wollte ich damit auch nicht unterstellen«, meinte Paul.

Der metallene Klang seiner Stimme war Jessica ebensowenig entgangen, wie der befehlende Tonfall und die Art, wie er in die graue Finsternis des sie umgebenden Destillzeltes starrte. Im Licht der mondbeschienenen Felsen sah sie nur seine Silhouette.

»Es werden noch andere Männer deines Vaters entkommen sein«, meinte Jessica. »Vor allen Dingen müssen wir jetzt dafür sorgen, daß den Harkonnens unsere Atomwaffen nicht in die Hände fallen.«

»Man wird sie nicht so leicht aufspüren«, sagte Paul. »So, wie sie versteckt sind.«

Er denkt daran, die Harkonnens mit den Atomwaffen zu erpressen. Immerhin stellen sie eine starke Bedrohung für den Planeten dar. — Aber alles, womit wir rechnen können, ist die Möglichkeit, von hier zu verschwinden und unter den Renegaten in völliger Anonymität zu leben.

Aber die Worte seiner Mutter hatten in Paul noch einen anderen Gedanken zum Klingen gebracht: den der Verantwortlichkeit eines Herzogs für all die Leute, die sie in dieser Nacht verloren hatten. Menschen symbolisieren die wirkliche Stärke eines Hohen Hauses, sagte er sich. Und das paßte zu Hawats Worten: »Von Leuten getrennt zu sein, ist eine traurige Sache, besonders wenn man mit ihnen am gleichen Ort lebt.«

»Sie haben Sardaukar in ihren Reihen«, ließ sich Jessica nun vernehmen. »Wir sollten warten, bis sie sich wieder zurückgezogen haben.«

»Sie glauben, daß sie uns in der Falle haben«, sagte Paul.

»Vor uns die Wüste; und in unserem Nacken die Sardaukar. Sie rechnen nicht damit, daß es Überlebende der Atreides' gibt. Und vielleicht haben sie damit sogar recht. Wir sollten nicht darauf hoffen, daß es einigen unserer Leute gelungen ist, zu entkommen.«

»Sie können kein Risiko eingehen, solange der Imperator noch die Finger in dieser Sache hat.«

»Tatsächlich nicht?«

»Einige unserer Leute sind durchaus fähig, zu entkommen.«

»Sind sie das?«

Jessica wandte sich ab. Sie fürchtete plötzlich die verbitterte, aber dennoch zielbewußte Stimme ihres Sohnes. Ihr war klar, daß sein Bewußtsein einen plötzlichen und großen Sprung nach vorn getan hatte, daß es plötzlich mehr sah als ihr eigenes. Und ihr wurde klar, daß sie selbst daran gearbeitet hatte, diesen Geist zu entwickeln, auch wenn ihr jetzt nicht ganz wohl dabei war. Ihre Gedanken begannen sich im Kreise zu drehen, konzentrierten sich wieder auf den Herzog. Tränen brannten in Jessicas Augen.

Es hat so kommen müssen, Leto, dachte sie. Die Zeit der Liebe und die des Kummers. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und konzentrierte sich auf den Embryo, der dort in ihr wuchs. Die Atreides-Tochter, die man mir zu gebären aufgetragen hat, ist nun in mir, aber die Ehrwürdige Mutter hat trotzdem unrecht gehabt: auch eine Tochter hätte meinen Leto nicht retten können. Dieses Kind ist das einzige, das inmitten einer Welt des Todes nach der Zukunft greift. Ich empfing es aus Instinkt, nicht aus Gehorsamkeit.

»Versuch noch mal das Gerät einzustellen«, sagte Paul.

Das Bewußtsein entwickelt sich weiter, dachte Jessica. Und stört sich nicht daran, ob wir es aufzuhalten versuchen.

Sie fand den winzigen Empfänger, den Idaho ihnen zurückgelassen hatte, und schaltete ihn ein. Auf der Vorderseite des Geräts leuchtete ein grünes Licht auf. Jessica reduzierte die Lautstärke und jagte über die Wellenlängen. Eine Stimme, die die Kampfsprache der Atreides' benutzte drang an ihre Ohren.

»… rückziehen und neu gruppieren. Fedor berichtet, daß in Carthag niemand überlebt hat. Die Gildenbank wurde geplündert.«

Carthag! dachte Jessica. Das war eine Hochburg der Harkonnens gewesen.

»Es sind Sardaukar«, sagte die Stimme jetzt. »Achtet auf Sardaukar, die unsere eigenen Uniformen tragen. Sie sind …«

Ein Aufbrüllen erfüllte den Lautsprecher, dann war Stille.

»Versuchen wir es auf anderen Wellen«, schlug Paul vor.

»Bist du dir im klaren, was das bedeutet?« fragte Jessica.

»Ich habe es erwartet. Sie beabsichtigen, die Plünderung der Bank ebenfalls uns in die Schuhe zu schieben und auch noch die Gilde auf uns zu hetzen. Damit sind wir erledigt, auf Arrakis gefangen. Versuch es auf einer anderen Welle.«

Jessica wägte seine Worte ab. »Ich habe es erwartet.« Was war mit ihm geschehen? Langsam wandte sie sich wieder dem kleinen Gerät zu.

Während der Sucher langsam über die unterschiedlichen Wellenlängen glitt, fingen sie vereinzelte Bruchstücke in der ihnen bekannten Kampfsprache auf.

»… ziehen uns zurück …«

»… versuchen uns neu zu formieren …«

»… sind eingeschlossen in …«

Die euphorischen Siegesmeldungen, die die Nachrichtenoffiziere der Harkonnens auf den anderen Wellen abstrahlten, waren ebenfalls nicht falsch zu verstehen. Scharfe Kommandos drangen auf sie ein. Kampfberichte. Es war nicht genug, um Jessica in die Lage zu versetzen, den Sprachduktus einer genaueren Analyse zu unterziehen, aber sie wußte auch so, daß hier keine Scheingefechte ausgetragen wurden.

Die Harkonnens siegten.

Paul schüttelte das neben ihm liegende Paket und hörte das gurgelnde Geräusch, das zwei Literjons, gefüllt mit Wasser, erzeugten. Er sog tief den Atem ein und warf durch die transparente Stelle des Zeltes einen Blick auf die scharfkantigen Felsen, hinter denen die Sterne leuchteten. In der linken Hand fühlte er den Zeltverschluß.

»Die Sonne wird bald aufgehen«, murmelte er. »Wir können zwar den Tag über noch auf Idaho warten, aber nicht noch eine Nacht. In der Wüste muß man sich in der Nacht fortbewegen und am Tage rasten.«

Das wußte Jessica selbst: Ohne Destillanzug verbraucht ein im Schatten sitzender Mensch auf Arrakis fünf Liter Wasser täglich, um sein Körpergewicht zu halten. Sie fühlte die enganliegende Schicht des Anzugs auf ihrem Körper und dachte daran, wie sehr sie jetzt davon abhängig waren.

»Wenn wir von hier weggehen, wird Idaho uns nicht mehr finden«, gab sie zu bedenken.

»Es existieren eine Menge Möglichkeiten, einen Menschen zum Sprechen zu bringen«, entgegnete Paul. »Wenn Idaho bis zum Morgengrauen nicht zurück ist, müssen wir damit rechnen, daß man ihn geschnappt hat. Wie lange, glaubst du, könnte er das aushalten?«

Die Frage erwartete keine Antwort, und so verharrten sie in schweigender Stille.

Paul lüftete den Verschluß des Pakets und zog eine miniaturisierte Checklist heraus. Grüne und orangefarbene Buchstaben leuchteten ihm entgegen und informierten ihn darüber, was der Überlebenssatz enthielt: Literjons, Destillzelt, Energiekapseln, Sandschnorchel, Sonnenbrillen, Ersatzteile für das Destillzelt, eine Baradye-Pistole, eine Karte, Filterstopfen, Parakompaß, Macherhaken …

So viele Dinge, die man brauchte, um auf Arrakis zu überleben.

Paul ließ die Checklist zu Boden sinken.

»Wohin sollen wir gehen?« fragte Jessica.

»Mein Vater sprach von einer Wüstenmacht«, erwiderte Paul. »Und ohne sie können die Harkonnens diesen Planeten nicht beherrschen. Genaugenommen haben sie ihn nie beherrscht, und sie werden das auch in Zukunft nicht tun. Nicht einmal dann, wenn sie zehntausend Sardaukar-Legionen hier einsetzen.«

»Paul, wie kommst du …«

»Das Schicksal liegt in unserer Hand«, fuhr Paul fort. »Und es manifestiert sich in diesem Zelt, in diesem Ausrüstungsbündel und den Destillanzügen, die wir tragen. Wir wissen auch, daß die Gilde unbezahlbare Preise für ihre Wettersatelliten verlangt. Wir wissen, daß …«

»Was haben Wettersatelliten damit zu tun?« fragte Jessica. »Sie wären nicht einmal in der Lage …« Sie brach ab.

Paul registrierte, daß sie mit größter Intensität versuchte, hinter seine vordergründig verwirrenden Gedankengänge zu kommen. Sie war aufs höchste alarmiert; möglicherweise rechnete sie sogar damit, daß er dabei war, überzuschnappen.

»Verstehst du nicht?« fragte er. »Satelliten dienen dazu, das unter ihnen liegende Terrain zu überwachen. Aber es gibt in dieser Wüste Dinge, von denen man verhindern will, daß sie von irgendwelchen Leuten gesehen werden.«

»Meinst du etwa, daß in Wirklichkeit die Gilde diesen Planeten kontrolliert?«

Wie langsam sie doch war.

»Nein!« erwiderte er. »Die Fremen! Sie bezahlen der Gilde einen Preis für die Aufrechterhaltung ihrer Privatsphäre. Und das können sie, denn sie verfügen über ein Zahlungsmittel, für das sie alles bekommen können das Gewürz. Und das ist keine Vermutung von mir, sondern der Extrakt meiner Überlegungen. Es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Paul«, sagte Jessica. »Du bist noch kein Mentat, du kannst dir einfach über solche Dinge nicht so sicher sein …«

»Ich werde niemals ein Mentat sein«, gab Paul zurück. »Ich bin etwas anderes … eine Abnormität.«

»Paul! Wie kannst du nur solche …«

»Laß mich allein!«

Er wandte sich von ihr ab und schaute in die Nacht hinaus. Warum kann ich nicht weinen? fragte er sich. Er fühlte, daß ihm in diesem Augenblick nach Weinen zumute war, aber es ging nicht. Vielleicht würde er es nie mehr können.

Jessica, die einen solchen Ton von ihrem Sohn noch nie vernommen hatte, streckte einen Arm nach ihm aus. Sie wollte ihn umarmen, streicheln, beruhigen — aber ihr wurde rasch klar, daß sie jetzt nichts mehr für ihn tun konnte. Dieses Problem war dazu bestimmt, von ihm allein gelöst zu werden.

Die zwischen ihnen auf dem Zeltboden liegende, selbstleuchtende Checkliste erweckte ihre Aufmerksamkeit. Jessica hob sie auf und las:

Handbuch der ›Freundlichen Wüste‹, einem Ort voll des Lebens. Hier findest du den Ayat und Burhan des Lebens. Glaube und al-Lat wird dich niemals verbrennen.

Es liest sich wie ein Azhar-Buch, dachte sie, während sie sich an ihre Studien erinnerte, die sie einst über das Thema der Großen Geheimnisse gemacht hatte. Ob je ein Religionsmanipulator auf Arrakis gewesen ist?

Paul entnahm dem Bündel einen Parakompaß, wendete ihn legte ihn zurück und sagte: »Denk nur an all diese speziell auf die Fremen zugeschnittenen Geräte. Sie alle zeigen eine nirgendwo anders erreichte Qualität. Schau sie dir genau an. Eine Kultur, die in der Lage ist, solche Werkzeuge herzustellen, besitzt eine Tiefe die unvorstellbar ist.«

Immer noch zögernd und etwas verwirrt von dem rauhen Klang seiner Stimme, schaute Jessica wieder auf das Handbuch. Ihr Blick fiel auf eine Zeichnung, die den Himmel zeigte, wie er von Arrakeen aus zu sehen war. Am wichtigsten erschien ihr der Mond, neben dem ›Muad'dib‹: ›Die Maus‹ stand, deren Schwanz nach Norden wies.

Paul starrte in das Zeltinnere und beobachtete die leichten Bewegungen seiner Mutter, die in dem kaum sichtbaren Licht des Handbuches kaum auszumachen waren. Es ist jetzt die Zeit, ihr zu sagen, was der letzte Wunsch meines Vaters war, dachte er. Ich muß ihr die Botschaft jetzt übermitteln, wo sie noch Zeit zum Weinen hat. Später würde uns das nur aufhalten. Die Logik seiner Gedankengänge erschütterte ihn selbst.

»Mutter«, begann er.

»Ja?«

Sie hatte den wechselnden Tonfall in seiner Stimme sofort vernommen und ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinab. Noch nie hatte sie ihn so reden gehört.

»Mein Vater ist tot«, sagte Paul.

Jessica forschte in sich selbst nach, was dieser Satz zu bedeuten haben könnte und kam zu dem einzigen Schluß, daß er Pauls unendliche Verlorenheit dokumentierte.

Sie nickte, unfähig, etwas zu sagen.

»Mein Vater hat mich irgendwann einmal gebeten«, fuhr Paul fort, »dir eine Botschaft zu übermitteln, falls ihm etwas zustoßen sollte. Er glaubte, daß du vielleicht annehmen könntest, er habe dir jemals mißtraut.«

Dieses grundlose Mißtrauen, dachte sie.

»Er wollte, daß du erfährst, daß dies niemals der Fall war«, sagte Paul. Er machte eine Pause. »Er hat dir immer und ewig vertraut und dich immer geliebt und verehrt. Er sagte, daß er eher sich selbst mißtrauen würde als dir und daß er nichts so sehr bedauere wie die Tatsache, daß er dich nicht zu seiner Herzogin machen könne.«

Jessica fühlte, wie die Tränen über ihre Wangen liefen und dachte: Welch eine Verschwendung von Körperflüssigkeit! Aber sie wußte genau, daß dieser Gedanke nur dazu diente, ihre Stimmung mit Gewalt zu verändern: aus der Trauer Zorn auf sich selbst zu machen. Leto, mein Leto, dachte sie, welche schrecklichen Dinge tun wir immer denjenigen an, die wir lieben! Mit einer festen Bewegung ließ sie das Handbuch auf den Boden fallen.

Ein Schluchzen schüttelte ihren Körper.

Paul, der das Weinen seiner Mutter hörte, fühlte sich unendlich leer. Ich weine nicht, dachte er. Warum denn nicht, zum Teufel, warum nicht? Es war, als hielte ihn jemand mit Gewalt davon ab.

Sein Bewußtsein hatte sich gewandelt, und zwar so stark, daß es ihm Mühe machte, seinen eigenen, mit kalter Präzision ablaufenden Gedankengängen zu folgen. Der feindselige Planet, auf dem er nun lebte, hielt Wege für ihn bereit, die so unterschiedlich waren, daß er sie erst geistig erkunden mußte. Und was ihn am meisten verwunderte: er konnte die differierenden Zukünfte lokalisieren, konnte sie vorausberechnen, einstufen, katalogisieren.

Abrupt, als hätte es den notwendigen Schlüssel der Geradlinigkeit gefunden, erklomm sein Geist eine noch höhere Stufe der Wachsamkeit. Es kam ihm vor, als stünde er inmitten einer Kreuzung, von der aus die Straßen in alle Richtungen führten. Je mehr er den Problemen auf den Grund ging, desto komplizierter wurden sie, desto vielgestaltiger die Wahrscheinlichkeiten, die er zu analysieren hatte. Es konnte nur einen Weg aus dieser Situation heraus geben, und den mußte er finden.

Vor seinem inneren Auge erschienen Menschen.

Unzählbare Wahrscheinlichkeiten.

Er erfuhr Namen, erfuhr zahllose Gefühle, sammelte Daten und Fakten von Dingen. Er konnte im Moment nur registrieren und bewahren, ohne all das, was auf ihn einströmte, in eine bestimmte Form zu bringen.

Ein Spektrum von Wahrscheinlichkeiten ergoß sich über ihn. Es erstreckte sich von der Vergangenheit bis im die Zukunft. Paul sah seinen eigenen Tod unter immer neuen Gesichtspunkten, in ewig neuen Variationen. Er sah Planeten, neue Kulturen.

Und Menschen.

Menschen.

Sie waren so zahlreich, daß er sie weder auflisten, noch grob katalogisieren konnte.

Wie die Gildenmänner.

Und er dachte: Die Gilde — sie könnte uns eine Möglichkeit bieten, falls sie meine Andersartigkeit so akzeptiert wie eine profitable Ware.

Aber auch diese Idee verlor sich im Wust der neuen Erkenntnisse, die sich in seinem Bewußtsein breitmachten wie eine ausschwärmende, nach neuen Wegen suchende Raumflotte. Die Gilde war für ihn nur ein Weg. Und die Projektion dieses Gedankens führte ihn zu der Gewißheit, daß ihn diese mögliche Zukunft



Paul wurde sich plötzlich seiner Andersartigkeit bewußt.

Ich habe eine Kraft, die … Ich habe die Fähigkeit zu sehen, was anderen verborgen bleibt: den Weg, der gegangen werden muß.

Die plötzliche Erkenntnis schmetterte ihn beinahe nieder, aber so schnell, wie das Gefühl ihn ergriffen hatte, verflüchtigte es sich wieder, und er stellte fest, daß all dies während der Zeitperiode eines einzigen Herzschlags geschehen war. Die persönliche Wachsamkeit hatte sich nicht geändert. Paul sah sich um.

Noch immer lag die Nacht über das von Felsen umsäumte Versteck. Er hörte, wie seine Mutter leise weinte.

Und er spürte auch, daß er noch immer nicht das Bedürfnis hatte, sich irgendwelchen Gefühlen hinzugeben. Paul sah die Umgebung mit glasklaren Augen und messerscharfem Verstand. Antworten kamen wie von selbst zu ihm, als zöge er seine Erkenntnisse wie das computerhaft funktionierende Gehirn eines Mentaten.

Ihm wurde nun klar, daß er über eine Datenansammlung verfügte, von der jeder andere Mensch nicht einmal zu träumen wagte, auch wenn das dazu führte, daß die ihn umgebende Leere nicht leichter zu ertragen war. Paul war, als müsse irgend etwas zerbrechen, als müsse etwas explodieren, als sei eine eingestellte Uhr in seinem Innern, die durch ein plötzliches lautes Rasseln ankündigen müsse, daß etwas mit ihm geschehen sei.

Die Leere war unerträglich, und auch die Gewißheit, daß die innere Uhr bis zur letzten Stufe aufgezogen war, änderte daran nichts. Er rief sich seine eigene Vergangenheit ins Gedächtnis zurück, sah, wie alles angefangen hatte: die Ausbildung in der Art der Bene Gesserit, die Verfeinerung seiner Talente … und schließlich sogar die Einnahme der Melange. Es war kein Problem mehr für ihn, zu erkennen, was all dies zu bedeuten hatte.

Ich bin ein Ungeheuer! durchzuckte es ihn. Eine Abnormität.

»Nein«, sagte er laut, sich selbst widersprechend. »Nein. Nein! NEIN!«

Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, daß er auf dem Boden lag und den Zeltboden mit den Fäusten bearbeitete. (Der rational denkende Teil seines Bewußtseins speicherte diese Erkenntnis als emotionale Tatsache und legte sie ab).

»Paul!«

Seine Mutter war plötzlich neben ihm, hielt seine Hände. Ihre Augen blickten entsetzt. »Paul, was ist los mit dir?«

»Du!« sagte Paul.

»Ich bin bei dir, Paul«, erwiderte Jessica hastig. »Es ist alles in Ordnung.«

»Was hast du aus mir gemacht?« fragte Paul.

In einem Aufwallen von plötzlicher Klarheit erkannt Jessica den Sinn, der hinter dieser Frage steckte, und sagte: »Ich habe dich geboren, Paul.«

Vom Instinkt, als auch von der Rationalität her war dies die einzig richtige Antwort, um ihn zu beruhigen. Paul spürte, wie die Hände seiner Mutter ihn berührten und suchte die schattenhaften Umrisse ihres Gesichts. (Bestimmte genetische Linien in ihrer Gesichtsstruktur wurden von seinem Geist erfaßt, aufgenommen und zusammen mit anderen Daten gespeichert.)

»Laß mich los«, sagte er.

Die eisige Kälte in seiner Stimme ließ sie gehorchen. »Und du willst mir nicht sagen, was mit dir los ist, Paul?«

»Hast du eigentlich gewußt, was du anrichtest, als du mich ausbildetest?« fragte er.

Es ist nichts Kindliches mehr in seiner Stimme, dachte Jessica und erwiderte:

»Ich hoffte das, was alle Eltern hoffen … daß aus dir einmal etwas Großes, etwas anderes werden würde.«

»Etwas anderes?«

Sie hörte die Bitterkeit in dieser Frage und begann: »Paul, ich …«

»Du wolltest überhaupt keinen Sohn haben!« schrie er. »Du wolltest einen Kwisatz Haderach! Du wolltest einen männlichen Bene Gesserit!«

Seine Verbitterung ließ sie zurückweichen. »Aber, Paul …«

»Hast du meinen Vater um seine Meinung in dieser Sache gebeten?«

Jessica erwiderte sanft: »Was immer du bist, Paul, du hast mehr von ihm als von mir.«

»Aber nicht diese Ausbildung«, sagte Paul. »Und nichts von dem … daß den … Schläfer … in mir erweckte.«

»Den Schläfer?«

»Er ist hier.« Paul legte eine Hand gegen seine Stirn und dann auf die Brust. »In mir. Er denkt und denkt und denkt und …«

»Paul!«

Die Hysterie in seiner Stimme war unverkennbar.

»Hör mir zu«, fuhr er fort. »Du wolltest doch, daß ich der Ehrwürdigen Mutter von meinen Träumen erzählte? Ich werde sie jetzt dir erzählen. Ich hatte gerade einen Wachtraum. Und weißt du auch, warum?«

»Du mußt dich beruhigen, Paul«, warf Jessica ein. »Falls …«

»Das Gewürz«, sagte Paul. »Es befindet sich in allem auf diesem Planeten: in der Luft, im Boden, in der Nahrung. Das altershemmende Gewürz. Es ist der Droge der Wahrsagerinnen ähnlich. Es ist ein Gift!«

Jessica erstarrte.

Pauls Stimme sank zu einem Flüstern herab.

»Ein Gift«, wiederholte er, »das so subtil arbeitet, so hinterlistig … und doch so unwiderruflich und endgültig. Es wird dich nicht einmal umbringen, außer du hörst auf, es zu nehmen. Wir können Arrakis nicht mehr verlassen, ohne einen Teil davon mitzunehmen.«

Die sie in seinen Bann ziehende Stimme erlaubte keinen Widerspruch.

»Du und das Gewürz«, sagte Paul. »Das Gewürz verändert jeden, der zuviel von ihm nimmt, und ich habe es dir zu verdanken daß ich davon Kenntnis erhielt. Ich kann jetzt nicht mehr in der Unkenntnis leben, einfach auf es zu verzichten, ohne größte Schwierigkeiten heraufzubeschwören. Ich sehe das.«

»Paul, du …«

»Ich sehe es!« wiederholte er laut.

Erneut hörte sie die Wut in seiner Stimme. Es war wohl besser, nichts zu sagen.

Paul sagte, die Stimme unter eiserner Kontrolle haltend: »Wir sitzen in der Falle.«

Wir sitzen in der Falle, gab sie ihm innerlich recht. Und sie zweifelte nicht am Wahrheitsgehalt seiner Worte. Es gab keinen einzigen Trick der Bene Gesserit, der völlig von diesem Planeten freimachen konnte: das Gewürz war suchterzeugend. Und ihr Körper hatte dies bereits als Tatsache akzeptiert, ehe sich ihr Geist darüber klargeworden war.

Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, dachte sie, als unser Leben auf diesem Höllenplaneten zu beenden. Diese Welt ist uns vorherbestimmt, falls wir den Harkonnens entwischen können. Und auch was mich betrifft, gibt es nun keinen Zweifel mehr: Ich bin lediglich eine Zuchtstute, um eine wichtige Blutlinie innerhalb des Bene-Gesserit-Plans zu erhalten.

»Ich werde dir meinen Wachtraum erzählen«, sagte Paul mit zorniger Stimme. »Und um dir zu zeigen, daß ich die Wahrheit spreche, möchte ich dir zuerst sagen, daß ich darüber informiert bin, daß du schwanger bist. Daß ich bald eine Schwester haben werde, die auf Arrakis zur Welt kommen wird.«

Jessica stützte sich mit den Händen auf dem Zeltboden ab. Sie war sicher, daß ihre Schwangerschaft jetzt noch nicht sichtbar war. Sie selbst wußte davon nur durch die Fähigkeiten, die einer Bene Gesserit zu eigen waren. Der Embryo war erst einige Wochen alt.

»Nur zum Dienen«, flüsterte Jessica und wiederholte damit das alte Motto der Bene Gesserit. »Wir existieren nur, um zu dienen.«

»Wir werden bei den Fremen Unterkunft finden«, sagte Paul, »weil eure Missionaria Protectiva dafür gesorgt hat, daß für uns ein Schlupfloch bereitsteht.«

Sie haben etwas für uns in der Wüste vorbereitet, dachte Jessica. Aber wie kann er etwas von der Missionaria Protectiva erfahren haben? Es fiel ihr unglaublich schwer, die Angst, die sie durch die plötzliche Änderung in Pauls Verhalten, erfahren hatte — zu verbergen.

Auch Paul blieb dies nicht verborgen. Er sah sie an, musterte den Schatten und erkannte die Furcht, die sie peinigte, die sich in jeder Bewegung deutlich zeigte. Eine Welle von Mitleid überspülte ihn.

»Von den Dingen, die sich hier abspielen werden, kann ich dir nichts sagen«, fuhr er fort. »Ich bin mir, obwohl ich sie gesehen habe, selbst noch nicht darüber klar geworden. Dieser Sinn, der mich in die Zukunft sehen läßt — es scheint, als hätte ich noch keine Kontrolle über ihn. Es passiert einfach. Was die allernächste Zukunft angeht etwa den Zeitraum des nächsten Jahres — so sehe ich in ihr so etwas wie eine … Straße. Eine Straße, die so breit ist, wie unsere Hauptstraße auf Caladan. Manche Orte kann ich nicht erkennen … sie liegen im Schatten … oder hinter einem Hügel … und es gibt Abzweigungen …«

Er schwieg, als die Erinnerungen an das, was er gesehen hatte, zurückkamen. Keiner seiner vergangenen Träume, nicht einmal die ganze Erfahrung seines bisherigen Lebens, hatte ihn auf das vorbereitet, was ihn nun bewegte. Das Nachdenken über diese neue Erfahrung führte ihn zu der Erkenntnis, daß er lebte, um einem Ziel zu dienen, das ihm jetzt noch nicht klar war, aber von dem er wußte, daß es einen Zweck erfüllte.

Jessica schaltete die Beleuchtung des Zeltes ein. Mattes, grünes Licht vertrieb die Schatten und ließ ihre Furcht gleichermaßen schwinden. Sie sah in Pauls Gesicht, auf seine Augen. Sein Blick schien nach innen gerichtet, und der Ausdruck seines Gesichts war ihr nicht unbekannt: sie kannte ihn von den Bildern von Kindern, die gerade dem Hungertode entronnen sind oder eine schreckliche Katastrophe überlebt haben. Ihre Blicke hatten sie an Höhlen erinnert, während ihre Lippen einen geraden, harten Strich bildeten und ihre Wangen eingefallen waren.

Es ist der Blick jener schrecklichen Ungewißheit, dachte sie, den ein Mensch aufsetzt, der an der eigenen Sterblichkeit zweifelt.

Er war wirklich kein Kind mehr.

Und die Worte, die er gesprochen hatte, begannen allmählich alle anderen Gedanken beiseite zu schieben. Paul hatte angedeutet, daß es eine Chance für sie gab.

»Es gibt also einen Weg, den Harkonnens zu entgehen«, vermutete Jessica.

»Die Harkonnens!« schnaubte Paul. »Es wäre besser, du würdest diese verdrehten Menschen schnell vergessen.« Er starrte sie an, als studiere er ihre Gesichtszüge im Schein der Beleuchtung.

Jessica erwiderte: »Du solltest das Menschsein von Leuten nicht in Abrede stellen, ohne …«

»Du solltest dir nicht so sicher darüber sein, wo man die Grenzlinie ziehen kann«, fiel Paul ihr ins Wort. »Auch wir haben an unserer Vergangenheit zu tragen. Außerdem, Mutter, gibt es da eine Sache, von der du nichts weißt von der du aber wissen solltest: Wir sind auch Harkonnens!«

Ihr Bewußtsein machte einen bemerkenswerten Sprung: es schaltete sich einfach aus. Paul redete weiter, ruhig und besonnen, und sie hörte ihm gebannt zu.

»Wenn du die Möglichkeit hast, demnächst in einen Spiegel zu sehen, schau dir genau dein Gesicht an. Meines siehst du schon jetzt vor dir. Die Züge sind da, es sei denn, du streitest es vor dir selbst ab. Schau auf meine Hände, sieh dir meinen Knochenbau an. Und wenn dich dann noch immer nichts überzeugt, so hast du immer noch mein Wort. Ich bin in der Zukunft gewesen und habe die Unterlagen gesehen. Ich weiß es, ich habe alle Daten. Wir sind ebenfalls Harkonnens.«

»Ein … abtrünniger Zweig der Familie«, sagte Jessica. »So war es, nicht wahr? Irgendein Cousin der Harkonnens, der …«

»Du bist die Tochter des Barons«, sagte Paul und nahm zur Kenntnis, wie sie erschreckt die Handflächen vor den Mund legte. »Während seiner Jugendzeit hat der Baron eine Reihe von Erfahrungen gesammelt, und eine davon war … Es geschah alles für die genetischen Ziele der Bene Gesserit. Eine von euch war dafür verantwortlich.«

Die Art, wie er das Wort euch aussprach, traf sie wie ein Keulenschlag und führte dazu, daß ihr Bewußtsein sofort wieder klar arbeitete und ihr zeigte, daß es sinnlos war, seine Worte abzustreiten. Viele dunkle Punkte in ihrer Vergangenheit wurden mit einemmal hell. Die Tochter, die die Bene Gesserit wollten — sie sollte nicht dazu dienen, den alten Streit zwischen Harkonnens und Atreides' zu beenden, sondern einen bestimmten Faktor in den Linien beider Familien aufrechtzuerhalten. Aber welchen? Sie suchte nach einer Antwort.

Als würde er tief in sie hineinsehen, sagte Paul: »Sie haben angenommen, ich sei der, den sie erwarteten. Aber ich bin ein anderer, nicht der, den sie sich erhofften. Ich bin zu früh für sie angekommen. Und das wissen sie nicht.«

Jessica schlug die Hände vors Gesicht.

Große Mutter! Er ist der Kwisatz Haderach!

Sie kam sich unter seinem Blick hilflos und nackt vor und wußte, daß er sie mit Augen ansah, vor denen man beinahe nichts verbergen konnte. Und das, wurde ihr plötzlich klar, war auch der Grund ihrer Angst.

»Du denkst, ich sei der Kwisatz Haderach«, sagte Paul. »Aber das kannst du vergessen. Ich bin etwas Unvorhergesehenes.«

Ich muß eine Verbindung zu einer der Schulen herstellen, durchzuckte es Jessica. Vielleicht stimmte etwas mit dem Paarungsindex nicht.

»Sie werden es erst erfahren, wenn es zu spät für sie ist«, sagte Paul.

Jessica fragte: »Wir werden also bei den Fremen Obdach finden?«

»Die Fremen«, erwiderte Paul, »haben ein altes Sprichwort, das sie dem Shai-Hulud, dem Ewigen Alten Vater, gewidmet haben.

Es lautet: ›Sei vorbereitet auf die Ehrung dessen, das du triffst.‹« Und er dachte: Ja, Mutter, bei den Fremen. Auch du wirst einst diese blauen Augen haben und den kleinen Schlauch neben der Nase tragen, der mit dem Destillanzug verbunden ist … und du wirst meiner Schwester das Leben schenken: St. Alia-von-den-Messern.

»Aber wenn du nicht der Kwisatz Haderach bist«, sagte Jessica, »was …«

»Du würdest es möglicherweise nicht verstehen«, gab Paul zurück. »Du wirst es erst glauben, wenn du es siehst.«

Und im stillen dachte er: Ich bin die Saat.

Er sah plötzlich, wie fruchtbar der Grund war, auf dem er sich niedergelassen hatte, aber mit dieser Erkenntnis kehrte auch der deprimierende Gedanke an jene schreckliche Bestimmung zurück, von der er nichts wußte, als daß sie zu erfüllen war. Er durchpulste sein Gehirn, jagte durch jede Faser seines Körpers.

Auf dem Weg, der sich ihm offenbart hatte, waren zwei Abzweigungen zu erkennen gewesen. Auf der einen war er dem bösen, alten Baron begegnet. Er hatte ihn mit »Hallo, Großvater!« begrüßt, aber der Gedanke, diesem Pfad weiter zu folgen und zu entdecken, in welche Richtung er führte, hatte Paul erschreckt.

Der andere war ihm zunächst grau und gewalttätig erschienen. Dort war er auf eine kriegerische Religion gestoßen, auf eine Flamme, die durch das ganze Universum zog, unter deren Licht das grünschwarze Banner fanatischer, von Gewürzlikör betrunkener Atreides-Legionäre wehte. Gurney Halleck und ein paar andere Männer seines Vaters — beklagenswert wenige — hatten sich dort befunden. Sie trugen das Habichtsymbol noch immer, und es war in seines Vaters Schädelknochen geschnitzt.

»Diesen Weg kann ich nicht gehen«, murmelte er. »Das wäre genau der, den ich nach dem Willen der alten Hexen gehen soll.«

»Ich verstehe dich nicht, Paul«, hörte er seine Mutter sagen.

Paul schwieg. Er dachte nach und fand heraus, daß er weder die Bene Gesserit noch den Imperator und nicht einmal mehr die Harkonnens hassen konnte. Sie alle waren mit nichts anderem beschäftigt, als ihre eigene Rasse einem Erneuerungsprozeß zu unterwerfen, Blutlinien zu kreuzen und aufeinander abzustimmen, um daraus eine neue, großartige genetische Verbindung herauszukristallisieren. Und um das zu erreichen, gab es für sie alle nur einen sicheren Weg, und der war alt, uralt. Eine Methode, die alles vernichtete, was sich ihr in den Weg stellte: der Djihad.

Der für mich natürlich nicht in Frage kommt, dachte Paul.

Erneut sah er vor seinem geistigen Auge den Schrein, der den Schädel seines Vaters enthielt, auf dem das gewaltige Banner in Grün und Schwarz wehte.

Jessica, die sich wegen seines Schweigens Sorgen zu machen begann, räusperte sich und sagte: »Wir … werden also bei den Fremen sicher sein?«

Paul schaute auf und sah durch das grüne, wabernde Innenlicht in ihr Gesicht. »Ja«, erwiderte er. »Das ist eine der Bestimmungen.« Er nickte. »Ja. Sie werden mich … Muad'dib nennen. Der Wegweisende. Ja, genauso werden sie mich nennen.«

Er schloß die Augen und dachte: Jetzt, mein Vater, kann ich um dich weinen. Und er fühlte, wie Tränen seine Wangen hinabliefen.

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