Bran

Dancer war in eine schneeweiße Schabracke gehüllt, auf welcher der graue Schattenwolf des Hauses Stark prangte, derweil Bran eine graue Hose und ein weißes Wams angelegt hatte, dessen Ärmel und Kragen mit Grauwerk besetzt waren. Über dem Herzen trug er seine Wolfskopfbrosche aus Silber und Jett. Lieber hätte er Summer anstelle des Silberwolfs bei sich gehabt, aber Ser Rodrik hatte sich in dieser Hinsicht unnachgiebig gezeigt.

Die niedrigen Steinstufen hielten Dancer nur für einen Moment auf. Als Bran das Pferd vorandrängte, stieg es leichtfüßig hinauf. Hinter der breiten zweiflügligen Tür aus Eiche und Eisen füllten acht lange Reihen aufgebockter Tische die Große Halle von Winterfell, vier auf jeder Seite des Gangs in der Mitte. Auf den Bänken drängten sich Männer Schulter an Schulter.»Stark!«riefen sie, während Bran vorbeitrabte, und erhoben sich.»Winterfell! Winterfell!«

Er war inzwischen alt genug, um zu begreifen, daß ihr Geschrei nicht wirklich ihm galt — sie jubelten wegen der Ernte, wegen Robb und seinen Siegen, sie jubelten seinem Hohen Vater und seinem Großvater und allen anderen Starks zu, deren Geschlecht achttausend Jahre in die Vergangenheit reichte. Dennoch schwoll ihm die Brust vor Stolz. Denn so lange, wie er brauchte, um durch die Halle zu reiten, vergaß er sein Krüppeldasein. Dann jedoch erreichte er unter den Blicken aller Anwesenden das Podest, und Osha und Hodor lösten die Haltegurte, zogen ihn von Dancers Rücken und trugen ihn zum hohen Sitz seines Vaters.

Ser Rodrik hatte an Brans linker Seite Platz genommen, seine Tochter Beth daneben. Rickon saß zu seiner Rechten, sein rötlich-brauner Lockenschopf war so lang geworden, daß die Haare bis zum Kragen seines Hermelinmantels reichten. Seit der Abreise seiner Mutter hatte er sich geweigert, sie schneiden zu lassen. Dem letzten Mädchen, das es versucht hatte, waren zum Dank für die Bemühungen nur Bisse zuteil geworden.»Ich wollte auch reiten«, sagte der Kleine, während Hodor Dancer hinausführte.»Ich kann besser reiten als du.«

«Kannst du nicht, und jetzt sei still«, herrschte Bran seinen Bruder an. Ser Rodrik rief die Anwesenden zur Ruhe. Bran hob die Stimme. Er hieß die Gaste im Namen seines Bruders, des Königs im Norden, willkommen und bat sie, den alten und neuen Göttern für Robbs Siege und die ertragreiche Ernte zu danken.»Möge es noch hundert weitere geben«, endete er und hielt seines Vaters silbernen Kelch in die Höhe.

«Auf hundert weitere!«Zinnkrüge, Tonbecher und mit Eisenbändern eingefaßte Trinkhörner wurden aneinander gestoßen. Brans Wein war mit Honig gesüßt und duftete nach Zimt und Nelken, war jedoch stärker, als er es gewöhnt war. Er spürte, wie sich die heißen Finger des Weins schlangenartig durch seine Brust wanden, als er schluckte. Schließlich setzte er den Kelch ab. Ihm war ganz benommen zumute.

«Das habt Ihr gut gemacht, Bran«, lobte Ser Rodrik ihn.»Lord Eddard wäre stolz auf Euch gewesen. «Am Ende des Tisches nickte Maester Luwin zustimmend, und nun begann man, die Speisen aufzutragen.

Ein solches Festmahl hatte Bran noch nie erlebt; Gang um Gang um Gang, so viele, daß er nur ein oder zwei Bissen von jedem probieren konnte. Riesige Auerochsenbraten mit Lauch, Hirschpasteten mit Karotten, Speck und Pilzen, Hammelkoteletts in Soße aus Honig und Nelken, pikante Ente, gepfeffertes Wildschwein, Gans, Spieße mit Tauben und Kapaun, Rindfleischtopf mit Gerste, kalte Fruchtschale. Lord Wyman hatte zwanzig Fässer Fisch in Salz und Tang aus White Harbor mitgebracht; Renken und Strandschnecken, Krabben und Miesmuscheln, Klaffmuscheln, Hering, Kabeljau, Lachs,

Hummer und Neunaugen. Dazu gab es Schwarzbrot und Honigkuchen und Haferkekse; Kohlrüben und Erbsen und rote Bete, Bohnen und Kürbis und riesige rote Zwiebeln; gebackene Äpfel und Beerentörtchen und Birnen in Starkwein. Große Käseräder wurden auf jeden Tisch gestellt, dazu Kannen mit heißem, gewürzten Wein und kaltem Herbstbier.

Lord Wymans Musikanten spielten tapfer auf, doch gingen Harfe und Fiedel und Horn bald im Lärm von Gesprächen und Gelächter unter, im Klappern von Bechern und Tellern, im Knurren der Hunde, die sich um das stritten, was von der Tafel abfiel. Der Sänger trug wunderschöne Lieder vor,»Eisenlanzen «und den» Brand der Schiffe «und» Der Bär und die holde Jungfrau«, aber nur Hodor schien ihm zu lauschen. Er stand neben dem Flötenspieler und hüpfte von einem Fuß auf den anderen.

Der Krach schwoll zu einem stetigen Grollen an, einem großen, berauschenden Wirrwarr von Klängen. Ser Rodrik unterhielt sich über Beths Lockenkopf hinweg mit Maester Luwin, derweil Rickon fröhlich den Walders etwas zuschrie. Bran hatte die Freys nicht am hohen Tisch haben wollen, der Maester dagegen hatte ihn daran erinnert, daß sie schon bald zur Verwandtschaft gehören würden. Robb sollte eine ihrer Tanten heiraten, und Arya einen ihrer Onkel.»Das tut sie nie«, sagte Bran,»nicht Arya«, aber trotzdem ließ Maester Luwin sich nicht erweichen, und so saßen sie neben Rickon.

Die Diener brachten jede Speise zuerst zu Bran, damit er sich zuerst bedienen konnte, wenn er wollte. Als sie bei den Enten angelangt waren, konnte er nichts mehr herunterbekommen. Daraufhin nickte er nur noch zustimmend, wenn ihm ein weiterer Gang angeboten wurde, und winkte ab. Duftete die Speise besonders gut, ließ er sie an einen der Lords auf dem Podest weiterreichen, eine Geste der Freundschaft und der Gunst, auf der Maester Luwin bestanden hatte. Der traurigen Lady Hornwood schickte er Lachs, das Wildschwein an die rauhen Umbers, die Gans-in-Beeren an Cley Cerwyn, und einen großen Hummer an Joseth, den Pferdemeister, der zwar weder Gast noch Lord war, sich jedoch um Dancers Ausbildung gekümmert und es Bran damit möglich gemacht hatte, wieder zu reiten. Hodor und Old Nan bekamen Zuckerwerk, aus keinem bestimmten Grund, sondern einfach nur, weil er sie gern hatte. Ser Rodrik erinnerte ihn daran, auch seine Ziehbrüder zu bedenken, und so wurden dem kleinen Walder gekochte Bete und dem großen Kohlrüben in Butter serviert.

Auf den Bänken unten vermischten sich die Männer von Winterfell mit den gemeinen Leuten aus der Stadt, Freunden aus nahegelegenen Burgen und den Eskorten der hohen Gäste. Manche Gesichter hatte Bran noch nie zuvor gesehen, andere kannte er so gut wie sein eigenes, dennoch erschienen sie ihm jetzt alle gleich fremd. Er beobachtete sie aus der Ferne, als säße er auf seiner Fensterbank im Schlafzimmer, von wo aus er immer in den Hof hinunterschaute und alles betrachtete, jedoch nicht daran teilnehmen konnte.

Osha ging zwischen den Tischen herum und schenkte Bier aus. Einer von Leobald Tallhearts Männern schob ihr die Hand unter den Rock, und sie zerschlug zum größten Vergnügen der Anwesenden die Kanne auf seinem Kopf. Mikken hingegen griff einer anderen Frau ins Mieder, und dieser schien es nichts auszumachen. Bran beobachtete Farlen, der seine rote Hündin um Knochen betteln ließ, und lächelte Old Nan zu, die mit runzligen Fingern die heiße Kruste von einem Kuchen brach. Auf dem Podest ging Lord Wyman einen dampfenden Teller Neunaugen an, als würde vor ihm ein feindliches Heer stehen. Er war so fett, daß Ser Rodrik einen besonders breiten Stuhl für ihn hatte bauen lassen, aber er lachte viel und laut, und Bran mochte ihn. Die bleiche Lady Hornwood saß mit versteinerter Miene neben ihm, während sie lustlos im Essen herumstocherte. Am anderen Ende des hohen Tisches spielten

Hother und Mors ein Trinkspiel und stießen die Trinkhörner so hart gegeneinander wie Ritter beim Tjost ihre Lanzen.

Es ist zu heiß hier und zu laut, und alle betrinken sich. Bran juckte es unter der grauen und weißen Wolle, und am liebsten wäre er woanders gewesen. Im Götterhain ist es jetzt kühl. Aus den heißen Tümpeln steigt Dampf auf, und das rote Laub des Wehrbaums raschelt im Wind. Die Gerüche sind angenehmer als die Luft hier, bald geht der Mond auf, und mein Bruder wird ihn ansingen.

«Bran?«fragte Ser Rodrik.»Ihr eßt ja gar nicht?«

Der Tagtraum war so wirklich gewesen, und für einen Moment hatte Bran nicht mehr gewußt, wo er war.»Später werde ich mir noch etwas nehmen«, antwortete er,»sonst platze ich gleich.«

Der weiße Schnurrbart des alten Ritters war vom Wein rötlich gefärbt.»Ihr habt Euch wacker gehalten, Bran. Eines Tages werdet Ihr ein sehr guter Lord sein, glaube ich.«

Ich will ein Ritter werden. Bran trank einen Schluck des gewürzten Honigweins aus dem Kelch seines Vaters und war froh, etwas in der Hand zu haben. Der lebensechte Kopf eines knurrenden Schattenwolfs auf dem Trinkgefäß drückte sich in seine Handfläche. Er spürte die silberne Schnauze und erinnerte sich an das letzte Mal, als sein Vater daraus getrunken hatte.

Es war anläßlich des Willkommensfestes gewesen, das man zu Ehren des Besuchs von König Robert ausgerichtet hatte. Damals war noch Sommer gewesen. Seine Eltern hatten gemeinsam auf dem Podest gesessen, zusammen mit Robert und seiner Königin und ihren Brüdern an ihrer Seite. Onkel Benjen in seiner schwarzen Kluft war ebenfalls da gewesen. Bran und seine Geschwister saßen bei den Kindern des Königs, Joffrey und Tommen und Prinzessin Myrcella, die Robb während des ganzen Mahls schmachtende Blicke zugeworfen hatte. Arya zog andauernd Grimassen, wenn niemand hinschaute; Sansa lauschte hingebungsvoll dem Harfenspieler und Sänger des Königs, der Lieder über ritterliche Taten vortrug, und Rickon fragte immer wieder, warum Jon nicht dabei sei.»Weil er ein Bastard ist«, hatte Bran ihm am Ende zugeflüstert.

Und jetzt waren sie alle fort. Als habe ein grausamer Gott die Hand ausgestreckt und sie davongefegt, die Mädchen in Gefangenschaft, Jon an die Mauer, Robb und Mutter in den Krieg, König Robert und Vater ins Grab, und vielleicht Onkel Benjen auch…

Selbst unten auf den Bänken füllten neue Männer die Lücken. Jory war tot, und Fat Tom, Porther, Alyn, Desmond, Hüllen, der frühere Pferdemeister, und Harwin, sein Sohn… sie alle waren mit seinem Vater nach Süden gegangen, sogar Septa Mordane und Vayon Poole. Der Rest war mit Robb in den Krieg gezogen und würde vielleicht auch bald tot sein. Er mochte Hayhead und Poxy Tym und Skittrick und die anderen gern, trotzdem vermißte er seine alten Freunde.

So wanderte sein Blick über die Bänke, über die glücklichen und die traurigen Gesichter, und er fragte sich, wer wohl im nächsten Jahr fehlen würde, und wer im Jahr darauf. Er hätte weinen mögen, aber er konnte nicht. Er war ein Stark in Winterfell, seines Vaters Sohn und seines Bruders Thronfolger, und beinahe schon ein erwachsener Mann.

Auf der anderen Seite der Halle ging die Tür auf, und ein Schwall kalter Luft ließ für einen Moment die Fackeln flackern. Bierbauch führte zwei neue Gäste herein.»Lady Meera aus dem Hause Reed«, verkündete der rundliche Gardist über den Lärm hinweg.»Mit ihrem Bruder Jojen von Greywater Watch.«

Die Männer sahen von ihren Bechern und Tellern auf und beäugten die Neuankömmlinge. Bran hörte den kleinen Walder dem großen zumurmeln:»Froschfresser. «Ser Rodrik erhob sich.»Seid willkommen, Freunde, und teilt diese Ernte mit uns. «Diener eilten herbei, um den Tisch auf dem Podest zu verlängern und brachten Stühle.

«Wer ist das?«fragte Rickon.

«Schlammleute«, antwortete der kleine Walder abfällig.»Sie sind Diebe und Feiglinge, und sie haben grüne Zähne, weil sie Frösche essen.«

Maester Luwin beugte sich zu Bran vor und flüsterte ihm ins Ohr.»Ihr müßt sie besonders herzlich begrüßen. Ich hätte sie nicht erwartet, aber… Wißt Ihr, wer sie sind?«Bran nickte.»Pfahlbauleute vom Neck.«

«Howland Reed war ein enger Freund Eures Vaters«, erklärte Ser Rodrik ihm.»Diese beiden sind seine Kinder, möchte ich meinen.«

Während die neuen Gäste durch die Halle schritten, bemerkte Bran, daß einer davon tatsächlich ein Mädchen war, obwohl er das an der Kleidung nie erkannt hätte. Die junge Frau trug eine Lammfellhose, die vom langen Gebrauch geschmeidig geworden war, und ein ärmelloses Wams, in das Bronzeschuppen eingearbeitet waren. Wenngleich nahezu in Robbs Alter, war sie schlank wie ein Junge, hatte das lange braune Haar hinter dem Kopf zusammengesteckt und zeigte nur eine leichte Andeutung von Brüsten. Ein geflochtenes Netz hing von der einen Seite ihrer schmalen Taille, ein langes Bronzemesser von der anderen; unter den Arm hatte sie einen alten, angerosteten Eisenhelm geklemmt. Einen Froschspeer und einen runden Lederschild hatte sie auf den Rücken geschnallt.

Ihr Bruder war einige Jahre jünger und trug keine Waffen. Er war grün gekleidet bis hin zum Leder seiner Stiefel, und als er näher kam, fiel Bran auf, daß auch seine Augen moosgrün funkelten, wenngleich seine Zähne so weiß waren wie die jedes anderen. Beide Reeds waren schmal gebaut, schlank wie Schwerter und überragten Bran kaum. Sie beugten vor dem Podest das Knie.

«Mein Lord Stark«, sagte das Mädchen.»Jahre sind zu Hunderten und Tausenden ins Land gegangen, seit mein Volk dem König des Nordens zum ersten Mal die Treue schwor. Mein Hoher Vater schickt mich, um diese Worte für unser ganzes Volk zu wiederholen.«

Sie sieht mich an, erkannte Bran. Er mußte antworten.

«Mein Bruder Robb kämpft im Süden«, erwiderte er,»doch könnt Ihr diese Worte auch mir sagen, wenn Ihr wollt.«

«Winterfell vertrauen wir Greywater an«, sprachen beide gemeinsam,»Herd und Herz und Herbsternte bieten wir Euch an, Mylord. Euer sei der Befehl über unsere Schwerter und Speere und Pfeile. Laßt Gnade walten gegen unsere Schwachen, helft den Hilflosen und übt Gerechtigkeit allen gegenüber, und wir werden Euch stets die Treue halten.«

«Ich schwöre es bei Erde und Wasser«, sagte der Junge in Grün.»Ich schwöre es bei Bronze und Eisen«, fügte seine Schwester hinzu.

«Wir schwören es bei Eis und Feuer«, endeten beide gemeinsam. Bran suchte nach Worten. Mußte er jetzt mit einem Schwur antworten? Diesen Eid hatte ihn niemand gelehrt.»Mögen Eure Winter kurz und Eure Sommer ertragreich sein«, sagte er. Für gewöhnlich war eine solche Floskel immer angebracht.»Erhebt Euch. Ich bin Brandon Stark.«

Das Mädchen stand auf und half ihrem Bruder hoch. Der Junge starrte Bran unentwegt an.»Wir überreichen Euch unsere Gaben: Fisch und Frösche und Geflügel.«

«Ich danke Euch. «Bran fragte sich, ob er um der Höflichkeit willen einen Frosch würde essen müssen.»Ich biete Euch das Fleisch und den Met von Winterfell an. «Er versuchte sich daran zu erinnern, was man ihm über die Pfahlbaumenschen beigebracht hatte, die in den Sümpfen am Neck lebten und ihre feuchte Heimat selten verließen. Sie waren ein armes Volk, Fischer und Froschjäger, die in Stroh- und Reethäusern auf schwimmenden Inseln wohnten. Es hieß, sie seien feige, kämpften mit vergifteten Waffen und versteckten sich lieber vor dem Feind, anstatt ihm offen entgegenzutreten. Und dennoch war Howland Reed während des Krieges um König Roberts Krone, der noch vor Brans Geburt stattgefunden hatte, einer der treuesten Gefährten seines Vaters gewesen.

Der Junge, Jojen, blickte sich neugierig in der Halle um, bevor er sich setzte.»Wo sind die Schattenwölfe?«»Im Götterhain«, antwortete Rickon.»Shaggy war böse.«

«Mein Bruder würde sie gern sehen«, sagte das Mädchen.

Der kleine Walder warf laut ein:»Er sollte lieber aufpassen, daß sie ihn nicht sehen, sonst beißen sie ihn.«

«Sie beißen nicht, wenn ich dabei bin. «Bran gefiel es, daß sie die Wölfe sehen wollten.»Summer sowieso nicht, und der wird Shaggydog schon in Schach halten. «Irgendwie war er neugierig auf diese Pfahlbauleute. Bisher war er noch keinem begegnet, wenn er sich recht erinnerte. Sein Vater hatte oft Briefe an den Lord von Greywater geschickt, zu einem Besuch in Winterfell war jedoch nie einer von ihnen erschienen. Gern hätte er sich weiter mit ihnen unterhalten, aber in der großen Halle war es zu laut, und deshalb konnte man jemanden, der ein wenig weiter entfernt saß, kaum verstehen.

Ser Rodrik hingegen saß gleich neben Bran.»Essen sie wirklich Frösche?«fragte er den alten Ritter.

«Ja«, antwortete Ser Rodrik.»Frösche und Fische und Eidechsen, dazu alle Arten von Vögeln.«

Vielleicht haben sie keine Schafe und Rinder. Bran befahl den Dienern, ihnen Hammelkoteletts und eine Scheibe Auerochs zu bringen. Das Essen schien ihnen zu munden. Das

Mädchen erwischte ihn dabei, wie er sie anstarrte, und lächelte. Bran errötete und wandte den Blick ab.

Viel später, nachdem die Süßspeisen serviert und mit vielen Litern Sommerwein heruntergespült worden waren, wurde das Essen abgetragen, und man schob die Tische an die Wände, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Die Musik wurde lebhafter, ein Trommler fiel mit ein, und Hother Umber holte ein riesiges, gekrümmtes Kriegshorn hervor, das mit Silberbändern verziert war. Als der Sänger jene Stelle in» Die Nacht, die endete «erreichte, wo die Nachtwache zur Schlacht um die Dämmerung gegen die Anderen auszieht, stieß er ins Horn, daß alle Hunde mit Gebell einfielen.

Zwei Männer der Glovers setzten zu einer wirbelnden Tonfolge auf Dudelsack und Harfe an. Mors Umber war als erster auf dem Tanzboden. Er packte ein Dienstmädchen am Arm und stieß ihr den Weinkrug aus der Hand, der scheppernd auf dem Boden zerbrach. Zwischen Binsen und Knochen und Brotstücken, die überall auf dem Steinboden lagen, wirbelte er sie herum und warf sie in die Luft. Das Mädchen kreischte vor Vergnügen, drehte sich im Kreis, und errötete, als ihr Rock in die Höhe flog.

Andere gesellten sich zu den beiden. Hodor tanzte für sich allein, während Lord Wyman die kleine Beth Cassel aufforderte. Trotz seines Umfangs bewegte er sich durchaus anmutig. Als er ermüdet war, nahm sich Cley Cerwyn statt seiner des Mädchens an. Ser Rodrik trat an Lady Hornwood heran, welche sich entschuldigte und verabschiedete. Bran sah der Höflichkeit willen noch eine Weile lang zu, dann ließ er Hodor rufen. Ihm war heiß, außerdem war er müde vom Wein, und der Tanz stimmte ihn traurig. Niemals würde er daran teilnehmen können.»Ich möchte gehen.«

«Hodor!«rief Hodor und kniete sich hin. Maester Luwin und Hayhead hoben Bran in den Korb. Das Volk von Winterfell war diesen Anblick gewöhnt, doch zweifellos wirkte er auf viele der Gäste eigentümlich, und manche legten eher Neugier als Höflichkeit an den Tag. Bran spürte, wie sie ihn anstarrten.

Sie verließen die Halle durch den Hinterausgang, damit sie nicht den ganzen Raum durchqueren mußten. Bran zog den Kopf ein, als sie durch die Tür des Lords traten. Im Dämmerlicht des Gangs vor der Großen Halle stießen sie auf Joseth, den Pferdemeister, der mit einer gänzlich anderen Art des Reitens beschäftigt war. Er drückte eine Frau, die Bran nicht kannte und die die Röcke bis über die Taille hochgezogen hatte, an die Wand. Sie kicherte, bis Hodor vor ihr stehenblieb und zuschaute. Da begann sie zu schreien.»Laß sie in Ruhe«, sagte Bran,»bring mich auf mein Zimmer.«

Hodor trug ihn die Wendeltreppe zum Turm hinauf und kniete neben den Eisenstangen nieder, die Mikken in der Wand befestigt hatte. Daran hangelte sich Bran ins Bett, und Hodor zog ihm die Stiefel und die Hose aus.»Du kannst wieder zum Fest gehen, aber erschreck Joseth und diese Frau nicht noch einmal.«»Hodor«, antwortete Hodor und nickte.

Nachdem Bran die Kerze neben seinem Bett ausgeblasen hatte, umfing ihn die Dunkelheit wie eine weiche, vertraute Decke. Der leise Klang der Musik drang durch die Fensterläden herein.

Plötzlich fiel ihm etwas ein, das ihm sein Vater einst erzählt hatte. Er hatte Lord Eddard gefragt, ob in der Königsgarde wirklich die besten Ritter der Sieben Königslande versammelt seien.»Heute nicht mehr«, hatte Vater geantwortet,»aber einst waren sie der Welt ein leuchtendes, bewundernswertes Vorbild.«»Und wer war der Beste von ihnen allen?«»Der größte Ritter, den ich je kennengelernt habe, war Ser Arthur Dayne, der mit einer Klinge namens Dawn focht, die aus dem Herzen eines gefallenen Sterns geschmiedet war. Genannt wurde sie das Schwert des Morgens, und er hätte mich damit getötet, wäre nicht Howland Reed gewesen. «Dann war Vater traurig geworden und hatte nichts mehr gesagt. Bran wünschte,

er hätte gefragt, was er gemeint hatte.

So schlief er ein, während in seinem Kopf Bilder von Rittern in glänzenden Rüstungen kreisten, welche mit Schwertern fochten, die Sternenfeuer gleich leuchteten, aber als die Träume kamen, war er wieder einmal im Götterhain. Der Geruch aus der Küche und der Großen Halle war so stark, daß er fast dachte, er habe das Fest gar nicht verlassen. Er streifte zwischen den Bäumen umher, und sein Bruder war dicht bei ihm. In dieser Nacht herrschte keine Ruhe, denn das Menschenrudel heulte laut zu seinem Spiel. Der Lärm machte ihn unruhig. Er wollte laufen, jagen, er wollte -

Beim Rasseln von Eisen stellte er die Ohren auf. Sein Bruder hatte es ebenfalls gehört. Sie liefen durch das Unterholz auf das Geräusch zu. Nach einem Satz über das stille Wasser am Fuße des alten weißen Baumes witterte er den Geruch eines Fremden, Menschengeruch, in den sich Leder und Erde und Eisen mischten.

Die Eindringlinge waren erst einige Meter in den Hain getreten, als die Wölfe sie erreichten; ein Weibchen und ein junges Männchen, die keinerlei Anzeichen von Angst zeigten, selbst, nachdem er seine weißen Zähne gefletscht hatte. Sein Bruder knurrte tief in der Kehle, und trotzdem liefen sie nicht davon.

«Da sind sie ja«, sagte das Weibchen. Meera, flüsterte ihm eine innere Stimme zu, die des schlafenden Jungen, der sich in diesen Traum verirrt hatte.»Wußtest du, daß sie so groß sind?«

«Sie werden noch größer, bevor sie ausgewachsen sind«, erklärte das junge Männchen und beobachtete sie mit großen grünen Augen, in denen sich keine Furcht zeigte.»Der Schwarze ist ängstlich und zornig, aber der Graue ist stark… stärker, als er denkt… fühlst du ihn, Schwester?«

«Nein«, sagte sie und legte die Hand auf das Heft des langen Messers, welches sie trug.»Sei vorsichtig, Jojen.«

«Er wird mir nichts tun. Heute ist nicht der Tag, an dem ich sterbe. «Das Männchen ging auf sie zu, streckte die Hand nach seiner Schnauze aus und berührte sie sanft wie ein Sommerwind. Dennoch löste sich bei der Liebkosung der Wald um ihn auf, der Boden unter seinen Füßen wurde zu Rauch und wirbelte lachend davon, und dann drehte er sich und fiel, fiel, fid…

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