Sansa

Kommt heute nacht in den Götterhain, wenn Ihr nach Hause zurückkehren möchtet.

Auch beim hundersten Lesen standen noch immer die gleichen Wörter da wie beim ersten, gleich nachdem Sansa das zusammengefaltete Blatt unter ihrem Kopfkissen entdeckt hatte. Auf welche Weise es dorthin gelangt war und wer es ihr geschickt hatte, wußte sie nicht. Der Brief war nicht unterzeichnet, trug kein Siegel, und die Schrift war ihr nicht vertraut. Sie drückte das Pergament an die Brust und flüsterte den Satz vor sich hin.»Kommt heute nacht in den Götterhain, wenn Ihr nach Hause zurückkehren möchtet«, hauchte sie leise.

Was konnte es bedeuten? Sollte sie die Botschaft zur Königin bringen, um damit zu beweisen, wie treu ergeben sie war? Nervös rieb sie sich den Bauch. Der häßliche blaue Fleck, der von Ser Meryns Hieb stammte, hatte sich inzwischen gelblich verfärbt, tat aber immer noch weh. Er hatte einen gepanzerten Handschuh getragen, als er sie geschlagen hatte. Es war ihre eigene Schuld. Sie mußte lernen, ihre Gefühle besser zu verbergen und Joffrey nicht zu verärgern. Nachdem sie erfahren hatte, daß der Gnom Lord Slynt zur Mauer geschickt hatte, hatte sie sich vergessen und gesagt:»Ich hoffe, die Anderen werden ihn holen. «Dem König hatte dieser Ausspruch nicht gefallen.

Kommt heute nacht in den Götterhain, wenn Ihr nach Hause zurückkehren möchtet.

Sansa hatte so sehr darum gebetet. War dies endlich die Antwort, war ihr nun ein wahrer Ritter gesandt worden, der sie retten würde? Vielleicht einer der Redwyne-Zwillinge, oder der verwegene Ser Balon Swann… oder gar Beric Dondarrion, in den ihre Freundin Jeyne Poole bis über beide Ohren verliebt gewesen war, der junge Lord mit dem rotgoldenen Haar und den Sternen auf dem Mantel.

Kommt heute nacht in den Götterhain, wenn Ihr nach Hause zurückkehren möchtet.

Und wenn es sich nur wieder um einen von Joffreys grausamen Scherzen handelte, wie an dem Tag, als er sie auf den Wehrgang geführt und ihr den Kopf ihres Vaters gezeigt hatte? War das vielleicht nur eine hinterhältige Falle, um ihre Untreue zu beweisen? Wenn sie in den Götterhain ging, würde dort Ser Ilyn Payne schweigend mit Ice in der Hand unter dem Herzbaum auf sie warten und mit seinen hellen Augen Ausschau halten, ob sie tatsächlich erschiene?

Kommt heute nacht in den Götterhain, wenn Ihr nach Hause zurückkehren möchtet.

Als die Tür aufging, stopfte sie den Brief hastig unter das Laken und setzte sich darauf. Es war eines ihrer Zimmermädchen, das scheue Ding mit den stumpfen braunen Haaren.»Was willst du?«fragte Sansa.

«Möchten Mylady heute abend ein Bad nehmen?«»Mach lieber ein Feuer an… mir ist kalt. «Sie zitterte tatsächlich, obwohl es ein warmer Tag gewesen war.»Wie Ihr wünscht.«

Sansa beobachtete das Mädchen mißtrauisch. Hatte sie die Nachricht gesehen? Hatte sie das Papier womöglich selbst unter das Kissen gesteckt? Das war nicht sehr wahrscheinlich; sie hielt die Magd für dumm, und niemand würde sich ausgerechnet sie als Überbringerin geheimer Botschaften aussuchen. Dennoch, Sansa kannte sie kaum. Die Königin ließ ihre Dienerinnen jede zweite Woche auswechseln, damit Sansa keine Freundschaft mit ihnen schließen konnte.

Schließlich brannte das Feuer im Kamin, und Sansa dankte dem Mädchen knapp und schickte es hinaus. Die Dienerin gehorchte eilig wie stets, aber Sansa meinte, ein verschlagenes Funkeln in ihren Augen bemerkt zu haben. Gewiß würde sie jetzt der Königin oder Varys Bericht erstatten. Alle Zimmermädchen spionierten ihr nach, dessen war sie sich sicher.

Sie warf den Brief in die Flammen und sah zu, wie sich das Pergament einrollte und schwärzte. Kommt heute nacht in den Götterhain, wenn Ihr nach Hause zurückkehren möchtet. Sie trat ans Fenster. Unten schritt ein untersetzter Ritter in mondweißer Rüstung und schwerem weißen Mantel über die Zugbrücke. Der Größe nach konnte es nur Ser Preston Greenfield sein. Die Königin ließ ihr innerhalb der Burg volle Freiheit; trotzdem würde er wissen wollen, wohin sie ging, wenn sie zu dieser späten Stunde Maegors Bergfried verließ. Was sollte sie ihm sagen? Plötzlich war sie froh, daß sie die Nachricht verbrannt hatte.

Sie löste die Schnüre ihres Kleides und kroch ins Bett, schlief jedoch nicht ein. War er noch immer da? fragte sie sich. Wie lange würde er warten? Es war grausam, ihr einen solchen Brief zu schicken und keine Einzelheiten zu verraten. Die Gedanken kreisten unablässig in ihrem Kopf.

Wenn ihr nur jemand sagen könnte, was sie tun sollte. Sie vermißte Septa Mordane und mehr noch Jeyne Poole, ihre treueste Freundin. Die Septa war geköpft worden, weil sie das Verbrechen begangen hatte, dem Hause Stark zu dienen. Sansa hatte keine Ahnung, was Jeyne zugestoßen war, die einfach verschwunden und niemals wieder erwähnt worden war. Sansa versuchte, nicht zu oft an sie zu denken, manchmal allerdings überfielen sie die Erinnerungen ungebeten, und dann war es schwer, die Tränen zurückzuhalten. Gelegentlich vermißte Sansa sogar ihre Schwester. Die war inzwischen sicher wieder in Winterfell, tanzte und nähte, spielte mit Bran und dem kleinen Rickon, und ritt vermutlich sogar hinunter in die Stadt, wenn sie Lust dazu verspürte. Sansa durfte ebenfalls reiten, aber nur auf dem Burghof, und es wurde rasch langweilig, das Pferd ständig im Kreis zu lenken.

Sie war immer noch hellwach, als sie das Geschrei draußen vernahm. Zunächst kam es aus der Ferne, wurde jedoch rasch lauter. Viele Stimmen, die durcheinander brüllten, was, konnte sie nicht verstehen. Und sie hörte auch Hufschläge, stampfende Schritte, Befehle. Sansa schlich ans Fenster und sah Männer, die mit Fackeln und Speeren über die Wehrgänge liefen. Geh zurück ins Bett, schalt sie sich, das geht dich alles nichts an, es gibt nur wieder Ärger in der Stadt. An den Brunnen wurde in letzter Zeit häufig über Unruhen gesprochen. Viele Menschen drängten nach King's Landing herein, flohen vor dem Krieg, und viele überlebten nur, indem sie andere beraubten oder töteten. Geh ins Bett.

Aber der weiße Ritter war verschwunden, die Brücke über den trockenen Burggraben war unbewacht.

Ohne nachzudenken drehte sich Sansa um und eilte zu ihrem Kleiderschrank. Oh, was tue ich da bloß? fragte sie sich, während sie sich ankleidete. Das ist doch verrückt. Sie sah die Fackeln draußen auf den äußeren Mauern. Waren Stannis und Renly schließlich doch gekommen, um Joffrey zu töten und den Thron ihres verstorbenen Bruders zu besteigen? Wenn dies der Fall war, hätten die Wachen doch die Zugbrücke hochgezogen und auf diese Weise Maegors Bergfried von den äußeren Burgteilen abgetrennt. Sansa warf sich einen schlichten grauen Mantel über die Schultern und nahm das Messer, mit dem sie gewöhnlich Fleisch beim Essen schnitt. Wenn es eine Falle sein sollte, sterbe ich lieber, bevor sie mir noch mehr weh tun, sagte sie sich. Sie verbarg die Klinge unter dem Mantel.

Eine Kolonne Bewaffneter in roten Röcken lief vorbei, als sie hinaus in die Nacht schlüpfte. Sie wartete ab, bis sie vorüber waren, dann rannte sie zur unbewachten Zugbrücke hinüber. Auf dem Hof schnallten Männer Schwertgurte um und wuchteten Sättel auf ihre Pferde. Bei den Ställen entdeckte sie Ser Preston mit drei anderen Mitgliedern der Königswache, deren weiße Umhänge hell wie der Mond leuchteten, während sie Joffrey in seine Rüstung halfen. Beim Anblick des Königs stockte ihr der Atem. Zum Glück bemerkte er sie nicht. Er schrie nach seinem Schwert und seiner Armbrust.

Der Lärm ließ nach, als sie tiefer in die Burg vorstieß, wobei sie sich nicht umzuschauen wagte, aus Furcht, Joffrey könnte sie bemerken… oder schlimmer noch, ihr folgen. Die Serpentinentreppe wand sich vor ihr und war von Streifen flackernden Lichts aus den schmalen Fenstern der umgebenden Gebäude erhellt. Oben angekommen, keuchte Sansa. Sie eilte eine im Schatten liegende Kolonnade entlang, drückte sich schließlich an eine Mauer und rang nach Atem. Plötzlich berührte etwas sie am Bein, und vor Schreck zuckte sie heftig zusammen, doch es war lediglich eine Katze, ein struppiger Kater, dem ein Ohr fehlte. Das Tier fauchte sie an und sprang davon.

Sansa erreichte den Götterhain, wo von dem Lärm nur noch ein leises Rasseln von Stahl und ferne Rufe blieben. Sie zog den Mantel enger um sich. In der Luft lag der Geruch von Erde und Laub. Lady hätte es hier gefallen, dachte sie. Ein Götterhain hatte stets etwas Wildes an sich, und sogar in diesem hier, inmitten der Burg und der Stadt, konnte man die alten Götter spüren, die mit tausend Augen auf sie herabschauten.

Die Götter ihrer Mutter zog Sansa denen ihres Vaters vor. Ihr gefielen die Statuen, die Bilder hinter Bleiglas, der Duft brennenden Weihrauchs, die Septone mit ihren Roben und Kristallen, das magische Spiel der Regenbögen über den Altären, die mit Perlmutt und Onyx und Lapislazuli eingelegt waren. Dennoch konnte sie die besondere Macht des Götterhains nicht bestreiten. Helft mir, betete sie, schickt mir einen Freund, einen wahren Ritter, der mich rettet…

Sie schlich von Baum zu Baum und fühlte die rauhe Rinde unter ihren Händen. Blattwerk strich über ihre Wangen. War sie zu spät gekommen? Er würde doch gewiß nicht so bald wieder aufbrechen, oder? War er überhaupt hier gewesen? Durfte sie einen lauten Ruf wagen? Es war so still hier…

«Ich habe schon befürchtet, Ihr würdet nicht erscheinen, Kind.«

Sansa fuhr herum. Aus der Dunkelheit schlurfte ein massiger Mann mit dickem Hals auf sie zu. Er trug eine graue Robe, deren Kapuze er aufgesetzt hatte, aber als das Mondlicht auf sein Gesicht fiel, erkannte sie ihn an der fleckigen Haut und den geplatzten Äderchen.»Ser Dontos«, stieß sie zutiefst enttäuscht hervor.»Ihr seid es?«

«Ja, Mylady. «Er trat näher, und der säuerliche Geruch von Wein in seinem Atem stieg ihr in die Nase.»Ich. «Er streckte die Hand aus.

Sansa wich zurück.»Wagt es nicht!«Sie griff unter ihrem Mantel nach dem verborgenen Messer.»Was… was habt Ihr mit mir vor?«

«Ich will Euch helfen«, antwortete Dontos,»so wie Ihr mir geholfen habt.«

«Ihr seid betrunken, nicht wahr?«

«Ich habe nur einen Becher Wein getrunken, um meinen Mut zu stärken. Wenn sie mich jetzt erwischen, ziehen sie mir bei lebendigem Leibe die Haut ab.«

Und was stellen sie mit mir an? fragte Sansa und mußte abermals an Lady denken. Die Schattenwölfin hatte Falschheit wittern können, doch war sie tot, Vater hatte sie getötet, und das hatte sie Arya zu verdanken. Sie holte das Messer hervor und hielt es in beiden Händen.

«Wollt Ihr mich erstechen?«fragte Dontos.

«Das werde ich im Notfall gewiß tun«, erwiderte sie.»Sagt mir, wer Euch geschickt hat.«

«Niemand, holde Dame. Ich schwöre es bei meiner Ehre als

Ritter.«

«Als Ritter?«Joffrey hatte ihm die Ritterschaft aberkannt. Jetzt war Ser Dontos nur mehr ein Hofnarr und stand vom Rang her noch unter Mondbub.»Ich habe zu den Göttern gebetet, daß sie mir einen Ritter schicken, der mich rettet«, sagte sie.»Ich habe gebetet und gebetet. Warum sollten sie mir einen betrunkenen alten Narren senden?«

«Gewiß verdiene ich diese Behandlung, wenngleich… ich weiß, es klingt seltsam, aber… in den vielen Jahren meiner Ritterschaft war ich doch in Wirklichkeit stets ein Narr, und nun, da ich ein Narr bin, glaube ich… glaube ich in mir wieder etwas Ritterliches zu entdecken, holde Dame. Und nur wegen Euch… wegen Eurer Gnade, Eurem Mut. Ihr habt mich gerettet, nicht nur vor Joffrey, auch vor mir selbst. «Die Stimme versagte ihm.»Die Sänger berichteten von einem Narren, der der größte Ritter aller Zeiten war…«

«Florian«, flüsterte Sansa. Ein Schauer durchlief sie.

«Holde Dame, laßt mich Euer Florian sein«, sagte Dontos demütig und fiel vor ihr auf die Knie.

Langsam senkte Sansa das Messer. Ihr Kopf fühlte sich auf schreckliche Weise leicht an, als würde sie schweben. Das ist doch verrückt, mich den Händen eines Trunkenbolds anzuvertrauen, aber wenn ich mich jetzt abwende, bekomme ich eine solche Chance dann jemals wieder?» Wie… wie wollt Ihr es anstellen? Mich von hier fortzubringen?«

Ser Dontos blickte zu ihr auf.»Euch aus der Burg zu schaffen, wird das Schwerste sein. Nachdem Ihr erst einmal draußen seid, gibt es Schiffe, die Euch heimbringen würden. Ich brauche nur das Geld aufzutreiben und ein paar Absprachen zu treffen, das ist alles.«

«Können wir sofort aufbrechen?«fragte sie und wagte es nicht zu hoffen.

«Heute nacht? Nein, Mylady, ich fürchte nicht. Zuerst müssen wir einen sicheren Weg aus der Burg finden. Das wird nicht leicht, und es wird seine Zeit in Anspruch nehmen. Auch mich hält man unter Beobachtung. «Er leckte sich nervös die Lippen.»Würdet Ihr die Klinge wieder einstecken?«

Sansa schob das Messer unter den Mantel.»Erhebt Euch, Ser.«

«Ich danke Euch, holde Dame. «Ser Dontos stand unbeholfen auf und klopfte sich Erde und Blätter von den Knien.»Euer Hoher Vater war einer der aufrechtesten Männer, die das Reich je gesehen hat, und ich habe einfach nur tatenlos zugeschaut, als sie ihn ermordet haben. Ich habe nichts gesagt und nichts unternommen… und dennoch, in dem Augenblick, als Joffrey mich töten lassen wollte, habt Ihr die Stimme erhoben. Lady, ich war nie ein Held, kein Ryam Redwyne oder Barristan der Kühne. Kein einziges Turnier habe ich gewonnen, mir in der Schlacht keinen großen Ruf errungen… aber dennoch war ich einst ein Ritter, und Ihr habt mich daran erinnert, was das bedeutet. Mein Leben ist armselig, doch es gehört Euch. «Ser Dontos legte eine Hand auf den knorrigen Stamm des Herzbaumes. Sie sah, daß er zitterte.»Ich schwöre bei den Göttern Eures Vaters, daß ich Euch nach Hause bringen werde.«

Er hat geschworen. Einen feierlichen Eid, vor den Göttern.»Dann will ich meine Zukunft in Eure Hände legen, Ser. Nur, woher werde ich wissen, wann die rechte Zeit gekommen ist? Werdet Ihr mir wieder eine Nachricht schicken?«

Ser Dontos blickte sich ängstlich um.»Das Risiko ist zu groß. Ihr müßt hierher in den Götterhain kommen. So oft Ihr könnt. Dieser Ort ist am sichersten, ja, der einzig sichere. Sonst droht uns überall Gefahr, in Eurem Gemach oder in meinem, auf der Treppe oder im Hof, selbst, wenn wir anscheinend allein sind. Im Red Keep haben die Steine Ohren, und nur hier können wir offen reden.«»Nur hier«, sagte Sansa,»ich will es mir merken.«»Und falls ich mich Euch gegenüber grausam oder spöttisch oder gleichgültig zeige, weil andere in der Nähe sind, so vergebt mir, Kind. Ich muß meine Rolle spielen, und das gleiche gilt für Euch. Ein einziger Fehltritt, und unsere Köpfe zieren die Mauer wie der Eures Vaters.«

Sie nickte.»Ich verstehe.«

«Ihr müßt tapfer sein und stark… und geduldig, vor allem geduldig.«

«Das werde ich sein«, versprach sie,»aber bitte… beeilt Euch, so sehr Ihr vermögt. Ich habe Angst…«

«Ich auch«, erwiderte Ser Dontos und lächelte matt.»Jetzt solltet Ihr gehen, ehe man Euch vermißt.«»Ihr werdet mich nicht begleiten?«»Es ist besser, man sieht uns nicht zusammen. «Sansa nickte, machte einen Schritt… und drehte sich noch einmal nervös um und drückte ihm mit geschlossenen Augen einen sanften Kuß auf die Wange.»Mein Florian«, flüsterte sie.»Die Götter haben meine Gebete erhört.«

Sie eilte über den Wehrgang am Fluß, an der kleinen Küche vorbei und durch den Schweinehof, wo ihre raschen Schritte im Quieken der Masttiere untergingen.

Heim, dachte sie, heim, er bringt mich nach Hause, er wird mich beschützen, mein Florian. Die Lieder über Florian und Jonquil waren ihre liebsten. Florian war auch von schlichtem Äußeren, wenn auch nicht so alt.

Hals über Kopf rannte sie die Serpentinentreppe hinunter, als plötzlich ein Mann aus einem dunklen Eingang trat. Sansa stieß mit ihm zusammen und verlor das Gleichgewicht. Finger packten sie mit eisernem Griff am Handgelenk, ehe sie fallen konnte, und eine tiefe Stimme schnarrte sie an:»Die Serpentine ist lang, kleiner Vogel. Willst du uns umbringen?«Sein Lachen klang wie eine Steinsäge.»Vielleicht willst du das ja wirklich.«

Der Bluthund.»Nein, Mylord, verzeiht mir, ganz gewiß nicht. «Sansa wandte den Blick ab, doch es war zu spät, er hatte ihr Gesicht gesehen.»Bitte, Ihr tut mir weh. «Sie versuchte, sich loszuwinden.

«Und warum flattert Joffs kleiner Vogel wohl mitten in finsterer Nacht die Serpentine hinunter?«Da sie keine Antwort gab, schüttelte er sie.»Wo warst du?«

«Im G-g-götterhain, Mylord«, stammelte sie, denn eine Lüge wagte sie nicht.»Ich habe für… für meinen Vater gebetet, und für… für den König, auf daß ihm nichts zustoßen möge.«

«Hältst du mich für so betrunken, daß ich diese Geschichte glaube?«Er ließ ihren Arm los und schwankte leicht, während er sich aufrichtete. Licht und Schatten spielten über sein grausam verbranntes Gesicht.»Du siehst fast schon aus wie eine Frau… Gesicht, Brüste und groß bist du auch schon, fast… ach, du bist immer noch ein dummer kleiner Vogel, nicht wahr? Singst die Lieder, die sie dir beigebracht haben… warum singst du nicht für mich? Komm schon. Sing für mich. Ein Lied über Ritter und wunderschöne Jungfrauen. Du magst Ritter, nicht wahr?«

Er machte ihr angst.»R-richtige Ritter, Mylord.«

«Richtige Ritter«, spottete er.»Und ich bin kein Lord, und schon gar kein Ritter. Soll ich dir das mit ein paar Schlägen einbleuen?«Clegane wankte und wäre fast gefallen.»Bei den Göttern«, fluchte er,»zuviel Wein. Magst du Wein, kleiner Vogel? Richtigen Wein? Eine Flasche sauren Roten, dunkel wie Blut, das ist alles, was ein Mann braucht. Oder eine Frau. «Er lachte und schüttelte den Kopf.»Sturzbetrunken, verdammt. Komm jetzt mit. Zurück in deinen Käfig, kleiner Vogel. Ich bringe dich hin. Werde dich für den König beschützen.«

Der Bluthund gab Sansa einen überraschend sanften Stoß und folgte ihr die Treppe hinunter. Unten angelangt, war er wieder in sein brütendes Schweigen verfallen, als habe er ihre Gegenwart vergessen.

Vor Maegors Bergfried stellte sie erschrocken fest, daß Ser

Boros Blount seinen Posten auf der Zugbrücke wieder bezogen hatte. Sein hoher weißer Helm drehte sich bei ihren Schritten zu ihnen um. Sansa wich seinem Blick aus. Ser Boros war der schlimmste Mann der ganzen Königsgarde, ein häßlicher Kerl mit schlechter Laune, finsterer Miene und Doppelkinn.

«Den brauchst du nicht zu fürchten, Mädchen. «Der Bluthund legte ihr die schwere Hand auf die Schulter.»Wenn man auf eine Kröte Streifen malt, wird sie deshalb nicht zum Tiger.«

Ser Boros schob das Visier hoch.»Ser, wo — «

«Verflucht sei Euer Ser, Boros. Ihr seid der Ritter, nicht ich. Ich bin der Bluthund des Königs, schon vergessen?«

«Der König hat erst kürzlich nach seinem Hund gesucht.«

«Der Hund hat sich betrunken. In dieser Nacht war es an Euch, über den König zu wachen, Ser. An Euch und meinen anderen Brüdern.«

Ser Boros wandte sich an Sansa.»Warum seid Ihr zu dieser späten Stunde nicht in Euren Gemächern, Mylady?«

«Ich war im Götterhain, um für die Sicherheit des Königs zu beten. «Diesmal klang die Lüge besser, fast wie die Wahrheit.

«Denkt Ihr, sie hätte bei all dem Lärm schlafen können?«fragte Clegane.»Was war denn los?«

«Ein paar Dummköpfe am Tor«, erklärte Ser Boros.»Ein paar lose Zungen haben herumerzählt, es seien Vorbereitungen für ein Festmahl zu Tyreks Hochzeit im Gange, und diese Kerle hatten es sich in den Kopf gesetzt, an diesem Schmaus teilzunehmen. Seine Gnaden hat einen Ausfall angeführt und sie vertrieben.«»Ein tapferer Junge. «Clegans Mund zuckte. Wir wollen sehen, wie tapfer er ist, wenn er meinem Bruder gegenübersteht, dachte Sansa. Der Bluthund geleitete sie über die Zugbrücke. Indes sie die Wendeltreppe hinaufstiegen, sagte sie:»Warum laßt Ihr Euch von allen Leuten Hund nennen? Als

Ritter darf man Euch dagegen nicht bezeichnen.«

«Hunde mag ich lieber als Ritter. Meines Vaters Vater war Hundemeister auf dem Rock. In einem Herbstjahr geriet Lord Tytos zwischen eine Löwin und ihre Beute. Der Löwin war es völlig egal, daß sie das Wappentier der Lannisters darstellte. Das Vieh hat Mylords Pferd zerrissen und hätte sich auch an dem Lord selbst gütlich getan, doch mein Großvater kam mit den Hunden hinzu. Drei seiner Tiere sind im Kampf gegen die Löwin getötet worden. Mein Großvater hat ein Bein verloren, also entlohnte ihn Lannister dafür mit Land und einem Wehrturm und nahm seinen Sohn als Knappen zu sich. Die drei Hunde auf unserem Wappen sind jene drei, die im gelben Herbstgras den Tod fanden. Ein Bluthund gibt sein Leben für dich, aber er wird niemals lügen. Und er blickt dir immer aufrecht ins Gesicht. «Er legte die Hand unter ihr Kinn und hob es hoch, wobei seine Finger schmerzhaft zupackten.»Und das können kleine Vögel nicht, oder? Du hast noch gar nicht für mich gesungen.«

«Ich… ich kenne ein Lied über Florian und Jonquil.«»Florian und Jonquil? Ein Hofnarr und seine Liebste. Erspar mir das. Eines Tages werde ich dir ein Lied vorsingen, ob du es hören möchtest oder nicht.«

«Ich würde es Euch gern vortragen.«

Sandor Clegane schnaubte.»Ein so hübsches Ding und eine so schlechte Lügnerin. Ein Hund kann eine Lüge riechen, wußtest du das? Schau dich gut um und schnüffele herum. Hier gibt es überall nur Lügner… und jeder von ihnen versteht sich auf diese Kunst besser als du.«

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