Der diplomatische Gesichtspunkt

„Der terranische Konsul dankt dem croanischen Kultusministerium für die Einladung und so weiter“, diktierte Retief, „bedauert aber, der Pantomime nicht beiwohnen zu können.“

„Ausgeschlossen“, unterbrach ihn die Verwaltungsangestellte Meuhl. „Sie können nicht absagen.“

„Ich kann und ich werde!“ erwiderte Retief und stand auf. „Wo erreiche ich Sie, wenn etwas Wichtiges anliegt?“ „Im Archiv des Außenministeriums.“ Retief legte ein leichtes Cape um die Schultern. „Was wollen Sie denn da?“

„Wissen Sie, wo der terranische Kreuzer geblieben ist, der hier vor zehn Jahren verschwand?“

„Solche Fragen sind den Croaniern äußerst unangenehm und deshalb zu vermeiden.“

„Ich aber stelle sie, denn jetzt bin ich hier Konsul.“

* * *

Der blasse Croanier sah durch das kleine vergitterte Fenster, und ein gequältes Blöken drang aus seiner Halsblase.

„Kein Eintritt in die Archive“, wisperte er kaum hörbar. „Einlaßverweigerung. Das Bedauern des Archivars.“

„Die Wichtigkeit meiner Aufgabe hier“, entgegnete Retief. Die gutturale Sprache machte ihm Schwierigkeiten. „Mein Interesse in lokalen Angelegenheiten.“

„Die Unmöglichkeit, Besucher anderer Welten einzulassen. Gehen, ohne Aufsehen zu erregen.“

„Die Notwendigkeit, daß ich reinkomme.“

„Die speziellen Anweisungen des Archivars.“ Der Croanier hob seine Stimme zu einem Flüstern. „Nicht länger auf Einlaß zu bestehen! Sich den Gedanken aus dem Kopf zu schlagen!“

„Schön“, sagte Retief auf terranisch, „ich gebe mich geschlagen, Dürrer.“

Vor dem Gebäude musterte er die andere Straßenseite. Eine rosafarbene Schrift schien das croanische Äquivalent einer Bar zu versprechen. Er trat ein, und der croanische Mixer erstarrte zur Salzsäule, als er Retief sah.

„Ein erfrischendes Getränk“, bat Retief. „Um croanische Spezialitäten zu kosten.“

„Keine Freude an meinen armseligen Angeboten“, murmelte der Croanier. „Schmerzen in den Verdauungsorganen. Bedauern auszudrücken.“

„Keine Sorgen machen“, erwiderte Retief. „Einschenken und es mir überlassen, ob ich es mag.“

„Gepackt werden von Friedenswahrern wegen Vergiftung Fremder.“ Der Mixer sah sich nach Unterstützung um, fand aber keine. Die croanischen Gäste verließen das Lokal.

Retief legte ein dickes Goldstück auf den dafür vorgesehenen Teller. „Das Zeug einschenken!“

„Einen Käfig bringen und die Mißgeburt reinstecken!“ rief eine dünne Stimme aus dem Hintergrund.

Retief wandte sich um und sah, wie ein hochgewachsener Croanier zornig seine Kinnbacken aufblies. Offensichtlich war er betrunken.

„Schon viele Mißgeburten wie mich gesehen?“ fragte der Diplomat freundlich.

Der Mixer flüsterte etwas, und zwei Gäste führten den Betrunkenen zur Tür. Retief folgte ihnen. Draußen ließen sie den Betrunkenen los und eilten in die Bar. Retief betrachtete den Schwankenden.

„Freunde sein“, sagte er. „Zusammen einen trinken.“

„Die Schmach nicht ertragen können“, stöhnte der Betrunkene und wollte ihn schlagen, aber Retief war zurückgesprungen. Er unterhielt sich weiter in croanischer Sprache mit dem Wütenden und lockte ihn in eine enge Querstraße. Dann packte der Diplomat den Croanier am Kragen, riß ihn kurz hoch und ließ ihn zu Boden fallen. Der Eingeborene richtete sich halb auf, aber Retief setzte ihm den Fuß auf die Brust.

„Schön hierbleiben und eine nette lange Unterhaltung führen“, sagte er.

* * *

„Da haben Sie Ihr Fett!“ Miß Meuhl musterte Retief über den Rand ihrer Brille. „Zwei Croanier möchten Sie sprechen. Was haben Sie bloß angestellt? Die Herren sind sehr aufgeregt.“

Zwei Croanier mit Scheuklappen und ausladenden Helmbüschen erhoben sich, als Retief eintrat.

„Ich bin Fith vom Außenministerium, terranische Abteilung. Darf ich Shluh von der einheimischen Polizei vorstellen?“

Jawohl, die beiden waren wütend, stellte Retief fest. „Behalten Sie Platz.“

Miß Meuhl zögerte, setzte sich dann aber auf die Kante eines Stuhles, und die Besucher ließen sich ebenfalls wieder nieder.

„Vor einer Stunde“, begann der Polizeichef, „wurde ein Croanier mit schweren Quetschungen ins Krankenhaus eingeliefert. Befragung des Verletzten ergab, daß er von einem Terraner verprügelt worden war. Nachforschungen erwiesen, daß es sich bei dem Verbrecher um einen Mann handelt, auf den die Beschreibung des terranischen Konsuls paßt.“

„Haben Sie von einem Kreuzer namens,Terrific’ gehört, der vor neun Jahren in diesem Raumsektor verschwand?“

„Nein, Herr Konsul, das können Sie nicht…“, stöhnte Miß Meuhl, aber Retief bedeutete ihr, sich wieder zu setzen.

„Bedienen Sie die Protokolliermaschine, und halten Sie den Mund!“ befahl er.

„Sie öffnen alte Wunden, Herr Konsul. Es erinnert uns an illegale Behandlung seitens der Terraner.“

„Dummes Geschwätz!“ winkte Retief ab. „Eine Untersuchungskommission Terras stellte eine Woche lang Fragen, ohne Resultate zu erzielen, und reiste wieder ab.“

„Es ist jetzt an Ihnen, Fragen zu beantworten. Dieser Verletzte im Krankenhaus.“

„… hat ein gutes Gedächtnis. Er erinnerte sich an so manches, als ich ihn davon überzeugt hatte, wie gut es ihm bekommen würde, wenn er nachdächte.“

„Ich werde Ihre Rückberufung beantragen, Herr Konsul. Besäßen Sie als Diplomat nicht Ihre Immunität…“

„Warum wurde die Regierung gestürzt, nachdem die Untersuchungskommission wieder abgereist war?“ bohrte Retief weiter.

„Das sind interne Angelegenheiten!“ schrie Fith mit dünner Croanierstimme. „Die neue Regierung hat ihr Bestes getan, um den terranischen Konsul und seinen Stab…“

„… an der Nase herumzuführen“, unterbrach ihn Retief. „Ebenso tappen die wenigen terranischen Geschäftsleute im dunkel, denen man Visa bewilligt hat.“

„Genug!“ Fiths Kinnbacken zitterten vor Erregung. „Ich kann davon nicht mehr reden.“

„Sie werden reden! Oder ich fordere ein paar Kreuzer von der Erde an, die Friedenswahrer in Massen herbringen werden, um Fragen zu stellen.“

Retief sah Shluh an. „Vor neun Jahren gab es hier einen kleinen Umzug. Einige fremdartige Wesen wurden in Käfigen durch die Stadt gefahren, damit die Bevölkerung sie sehen konnte. Sehr lehrreich, solch ein Anschauungsmaterial. Ein kulturelles Ereignis. Die Tiere trugen eigenartigerweise Kleider und schienen sich untereinander zu verständigen. Sagen Sie, Shluh, was geschah nach dem Umzug mit den sechs Terra- nern?“

Fith röchelte. Dann sprach er auf Shluh ein, der in seinem Stuhl zusammensank.

„Wie starben sie?“ fragte Retief scharf. „Wurden ihnen die Kehlen durchgeschnitten? Hat man sie erschossen oder lebendig begraben?“

„Nein“, ächzte Fith. „Ich muß dieses Mißverständnis richtigstellen.“

„Zum Teufel mit Mißverständnis! Sie waren hier, die Terra- ner. Eine Befragung unter Drogen würde das aus jedem Croanier herausholen, der sie gesehen hat.“

„Ja, es stimmt“, gab sich Fith geschlagen. „Aber sie wurden nicht getötet.“

„Also leben sie noch?“

„Nein, sie starben. Einer nach dem anderen. Wir wußten nicht, welche Nahrungsmittel…“

„Und niemand machte sich die Mühe, es herauszufinden. Doch das behandeln wir später. Was geschah mit der übrigen Mannschaft? Wurden die schon vor dem Umzug krank?“ „Es waren nur sechs. Ich weiß es genau.“ „Bei der Bruchlandung umgekommen?“ „Es gab keine Bruchlandung. Die Terraner waren unverletzt. Selbstverständlich fürchteten wir sie. Das Schiff ging östlich der Stadt nieder, und die seltsamen Wesen stiegen aus. Wir hatten nie zuvor solche Wesen gesehen.“

„Ihr fürchtetet die Strahlwaffen, die sie auf euch richteten?“ wollte Retief wissen.

„Sie trugen keine Waffen.“

„Eben! Sie hoben vielmehr die Hände und baten um Hilfe. Und ihr halft ihnen in den Tod.“ „Wir hatten doch keine Ahnung.“

„Keine Ahnung, daß wenige Monate später Untersuchungskommissionen in schweren Kreuzern kommen und nach den Vermißten fragen würden?“ „Wir hatten Angst.“ „Wo habt ihr das Schiff versteckt?“

Die beiden Croanier sahen sich lange an. Endlich sagte Fith: „Wir wollen unsere Bereitwilligkeit zeigen. Wir bringen Sie zum Schiff.“

Retief erhob sich. „Miß Meuhl, wenn ich nicht rechtzeitig zurückkomme, versiegeln Sie das Protokoll und schicken es ans Hauptquartier.“

Er musterte die beiden Croanier scharf. „Wir können gehen!“

* * *

Retief stand am Eingang der Höhle und sah auf die mattschimmernde Hülle des Raumers. „Gibt’s hier Licht?“

Ein Croanier drückte auf einen Knopf, und ein bläuliches Leuchten erfüllte den Raum.

„Wie habt ihr es hier hereingebracht?“ fragte Retief.

„Es wurde vom Landeplatz hierhergebracht“, sagte Fith mit noch dünnerer Stimme als sonst. „Dies ist eine natürliche Höhle. Das Schiff wurde hineinversenkt und eingeschalt.“

„Wie konntet ihr verhindern, daß die Metallsucher es fanden?“

„Ringsum lagern reiche Erzvorkommen. Große Adern mit nahezu reinem Metall.“

„Ich möchte hinein.“

Shluh kam mit einer Taschenlampe. Die Gruppe betrat das Schiff, und Retief kletterte in den Kontrollraum. Dicker Staub lag auf allem. Retief musterte die Streben, wo Andruckliegen gestanden hatten, die leeren Instrumententafeln, die herumliegenden Riegel und Schrauben, Drahtstücke und Papierreste. Rostschichten überzogen die Stellen des Metalls, an denen Schneidbrenner Stücke aus der massiven Wandung getrennt hatten. Es roch nach Fäulnis.

„Der Frachtraum…“, begann Shluh.

„Ich habe genug gesehen“, schnitt ihm Retief das Wort ab.

Schweigend begleiteten ihn die Croanici aus der Kohle.

„Ich hoffe, daß die leidige Angelegenheit damit beendet ist.“

„Sparen Sie sich dieses Gerede, Fith!“ sagte Retief scharf. „Die,Terrific’ war ein Zwanzigtausendtonner. Wo ist sie? Ich begnüge mich nicht mit einem Hundert-Tonnen-Rettungsboot.“

„Ich weiß nichts von — von…“ Fith schwieg, und seine Halsblase blähte sich beängstigend auf, während er versuchte, seine Erregung zu meistern.

„Meine Regierung kann keine weiteren Beschuldigungen hinnehmen“, sagte er endlich. „Ich rate Ihnen gut, in Zukunft in der Nähe Ihres Konsulats zu bleiben. An Ihrer Stelle würde ich die Stadt nicht verlassen.“

Retief lauschte dem Summen des Motors, als sie zur Stadt zurückfuhren, und schwieg.

* * *

„Hören Sie gut zu, Miß Meuhl! Ich habe nicht viel Zeit, denn ich muß den Vorteil der Überraschung auf meiner Seite haben.“

„Lassen Sie diese leidige Angelegenheit endlich ruhen, Herr Konsul. Die Croanier hatten noch nie andere Lebewesen gesehen…“

„Sie sind sehr großherzig! Aber mich interessiert gar nicht, was vor neun Jahren geschah. Ich sagte Ihnen, daß ein Rettungsboot in der Höhle liegt. Es kann nicht weit geflogen sein, also muß der Kreuzer in der Nähe liegen. Ich will wissen, wo!“

Retief nahm einen dünnläufigen Strahler aus seinem Schreibtisch.

„Wo wollen Sie mit dem Ding hin?“ ächzte Miß Meuhl.

„Die Croanier werden jeden Papierfetzen in ihren Akten zerstören, der von diesem Ereignis berichtet. Ich muß mein Material vorher bekommen. Wenn ich auf eine Untersuchungskommission warte, finden meine Kollegen nur leere Visagen vor, die sie scheinheilig angrinsen.“

„Sie sind verrückt!“ Miß Meuhl sprang zitternd auf.

„Sie und ich, Miß Meuhl, sitzen in der Patsche. Nur wir beide wissen, was geschehen ist. Man ist entschlossen, uns aus dem Weg zu räumen.“

„Lächerlich!“

„Schließen Sie sich hier im Büro ein! Essen und Wasser sind vorhanden. Lassen Sie niemanden herein, egal unter welchem Vorwand er kommt. Ich bleibe mit Ihnen über Handsprech in Verbindung.“

„Was wollen Sie tun?“

„Wenn ich nicht zurückkomme, senden Sie das versiegelte Protokoll ab und auch die Informationen, die ich Ihnen eben gab. Dann sagen Sie den Croaniern, was Sie getan haben. Ich glaube nicht, daß man Sie töten wird. Es ist schwierig, hier einzudringen, und es wäre zu offensichtlich.“

„Sie verderben alles, Sie Raufbold! Die Croanier mögen mich…“

„Seien Sie nicht so dumm, denen zu trauen!“ Retief warf sein Cape um und öffnete die Tür. „Ich bin in einigen Stunden zurück.“

Miß Meuhl starrte ihm fassungslos nach, als er die Tür schloß.

* * *

Eine Stunde vor Sonnenaufgang stellte Retief die Kombination des Sicherheitsschlosses ein und trat in sein Büro.

Miß Meuhl, die in einem Sessel eingenickt war, schreckte auf, sprang zum Lichtschalter und stand dann schlaftrunken da.

„Wo in aller Welt — wo waren Sie? Wie sehen Sie denn aus?“

„Ich habe mich ein bißchen schmutzig gemacht. Lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen.“

Retief trat zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und legte den Strahler hinein.

„Ich habe hier auf Sie gewartet.“

„Gut so! Hoffentlich reichen die Lebensmittel für uns beide. Wir werden eine Woche hier ausharren müssen.“

Er machte Notizen auf einem Block. „Schalten Sie den Sender ein! Ich habe eine lange Mitteilung für das Hauptquartier.“

„Erfahre ich, wo Sie waren?“

„Im Außenministerium.“

„Zu dieser Zeit ist niemand dort.“

„Eben!“

Miß Meuhl bekam Maulsperre. „Sie sind eingebrochen?“

„Genau. Jetzt den Sender!“

„Ein Glück, daß ich vorgearbeitet habe.“ Sie schaltete den Sender ein. Der Bildschirm flammte auf, und eine Gestalt erschien, von Störungen verzerrt.

„Er ist zurück“, sagte Miß Meuhl zum Bildschirm und sah dann Retief triumphierend an.

„Ich habe dem Hauptquartier gestern abend, als Sie gingen, Bericht erstattet. Und wenn ich bis eben noch Skrupel hatte, so sind sie nun ausgeräumt, da Sie von Ihrem Einbruch sprachen.“

„Sie waren sehr betriebsam, Miß Meuhl. Haben Sie auch die vier toten Terraner erwähnt?“

„Die hatten mit meinem Bericht nichts zu tun. In all den Jahren meiner Tätigkeit für das Diplomatische Corps habe ich keinen Menschen kennengelernt, der seiner Aufgabe weniger gewachsen war als Sie, Mr. Retief.“

Es knackte im Lautsprecher. „Mr. Retief“, krächzte eine verzerrte Stimme, „hier spricht Botschaftsrat Nitworth, Sektionschef für Croanie. Ich habe einen Bericht über Ihr Verhalten vorliegen, der mich zwingt, Sie mit sofortiger Wirkung Ihres Postens zu entheben. In Übereinstimmung mit der Aufsichtsbehörde…“

Retief schaltete ab, und das triumphierende Leuchten auf Miß Meuhls Gesicht erlosch. „Was soll das?“

„Hätte ich länger zugehört, wäre mir vielleicht etwas zu Ohren gekommen, was ich nicht hätte ignorieren können. Und das kann ich mir im Augenblick nicht leisten. Hören Sie, Miß Meuhl, ich habe den Kreuzer gefunden.“

„Sie sind Ihres Postens enthoben.“

„Er wollte es tun. Aber ehe ich einen ausdrücklichen Befehl bestätigt habe, ist diese Entlassung nicht rechtskräftig. Wenn ich mich irre, reiche ich meinen Abschied ein. Bin ich im Recht, so wäre diese Suspendierung für alle Beteiligten peinlich.“

„Sie widersetzen sich Ihrer Behörde. Ich leite jetzt dieses Konsulat.“ Miß Meuhl trat zum Telefon. „Ich werde die Croa- nier über Ihr unerhörtes Verhalten informieren.“

„Hände weg vom Apparat!“ rief Retief in scharfem Ton. „Setzen Sie sich dort in die Ecke, und rühren Sie sich nicht vom Fleck! Ich werde einen versiegelten Bericht absetzen und eine bewaffnete Kampfgruppe anfordern. Dann warten wir.“

Retief ignorierte Miß Meuhls Zorn und sprach in das Mikrophon. Der städtische Bild-Sprech-Apparat summte. Miß Meuhl sprang auf und starrte das Gerät an.

„Melden Sie sich!“

Ein Croanier erschien auf dem Bildschirm.

„Yolanda Meuhl“, sagte er ohne Einleitung, „im Auftrag des croanischen Außenministers ernenne ich Sie zum terranischen Konsul auf Croanie. Diese Ernennung erfolgt in Übereinstimmung mit den Anweisungen, die meine Regierung vom terrani- schen Hauptquartier erhielt. Als Konsul werden Sie gebeten, Mr. J. Retief, vormals Konsul auf Croanie, zum Verhör frei zugeben. Mr. Retief wird beschuldigt, in das Außenministerium eingedrungen zu sein.“

„Selbstverständlich — und ich möchte meinem Bedauern darüber Ausdruck geben…“, sagte Miß Meuhl.

Retief stand auf und schob sie zur Seite.

„Hören Sie, Fith! Ihr Spiel ist aus. Sie kommen nicht rein, und wir kommen nicht raus. Ihre Tarnung hat neun Jahre funktioniert, aber jetzt ist der Vorhang gefallen. Ich rate Ihnen, einen kühlen Kopf zu bewahren und der Versuchung zu widerstehen, noch mehr Unheil anzurichten.“

„Miß Meuhl, Sie sind in den Händen eines gefährlichen Irren. Vor dem Konsulat warten die Friedenswahrer…“

„Lassen Sie das!“ unterbrach ihn Retief. „Sie wissen genau, was ich in den Akten gefunden habe.“

Er hörte ein Geräusch hinter sich und sah, daß Miß Meuhl zur Tür sprang und das Schloß öffnete.

„Zurück!“ brüllte er — zu spät! Die Tür öffnete sich, und bewaffnete Croanier drängten herein. Sie richteten Dumdumpistolen auf ihn.

Polizeichef Shluh drängte nach vorn. „Ergeben Sie sich, Terraner! Ich kann nicht garantieren, daß meine Leute sich zurückhalten lassen.“

„Sie verletzen terranisches Hoheitsgebiet, Shluh“, sagte Retief ruhig. „Verlassen Sie die Botschaft auf dem Weg, den Sie gekommen sind.“

„Ich habe sie hergerufen. Sie sind auf meinen Wunsch hier“, mischte sich Miß Meuhl ein.

„Wirklich? Treiben Sie es so weit, Miß Meuhl? Lassen Sie bewaffnete Croanier in das Konsulat?“

„Sie sind der Konsul, Miß Yolanda Meuhl“, sagte Shluh.

„Sollen wir ihn nicht lieber in Sicherheit bringen?“

„Ja, Sie haben recht“, entgegnete Miß Meuhl. „Bringen Sie Mr. Retief zu seinen Räumen hier im Haus!“

„Ich rate Ihnen, meine Immunität nicht anzutasten!“ warnte Retief.

„Als Leiter der Botschaft hebe ich Mr. Retiefs Immunität auf!“ warf Miß Meuhl ein.

Shluh zog eine Protokollmaschine aus der Tasche. „Wiederholen Sie das bitte, Madam! Ich möchte, daß kein Zweifel daran besteht…“

„Seien Sie nicht närrisch, Miß Meuhl!“ schnitt Retief dem Croanier das Wort ab. „Sie sollten sich jetzt endlich darüber klarwerden, auf wessen Seite Sie stehen.“

„Ich bin auf seiten der Gerechtigkeit.“

„Sie sind beeinflußt. Diese Leute verheimlichen…“

„Sie halten wohl alle Frauen für töricht, Mr. Retief?“ Sie wandte sich um und sprach in die Protokollmaschine des Polizeichefs.

„Diese Immunitätsaufhebung ist illegal“, erklärte Retief. „Ich bin hier Konsul — gleichgültig, was irgendwelche Gerüchte besagen. Diese Angelegenheit wird ans Licht kommen — ganz gleich, was Sie dagegen unternehmen. Laden Sie sich zu allen Untaten nicht noch Verletzung terranischen Hoheitsgebietes auf.“

„Festnehmen!“ Shluh winkte zwei großen Croaniern, die neben Retief traten, die Pistolen auf ihn gerichtet.

„Ihr wollt euer Verderben, was?“ fragte Retief. „Ich hoffe, daß ihr vernünftig genug seid, diese arme Närrin hier aus dem Spiel zu lassen. Sie weiß von nichts. Ich hatte noch keine Zeit, ihr etwas zu sagen. Sie hält euch für Engel.“

Der Polizist an Retiefs Seite schlug mit dem Pistolenknauf zu, und der Diplomat geriet ins Schwanken. Blut tropfte auf sein Hemd.

Miß Meuhl schrie auf. Shluh tadelte den Polizisten scharf in croanischer Sprache und sah Miß Meuhl gespannt an.

„Was hat er Ihnen gesagt?“ fragte er.

„Nichts. Ich wollte nichts hören.“

„Gehen wir!“ Shluh wandte sich ab. „Und Sie bleiben im Konsulat, Miß Meuhl.“

„Aber ich bin jetzt Konsul.“

„Sie sind hier sicherer, Madam. Die Bevölkerung ist aufgebracht.“

„Servus, altes Mädchen!“ Retief grinste Miß Meuhl an. „Sie sind durchtrieben wie ein Fuchs.“

„Sie werden ihn in seinen Räumen einschließen?“

„Was mit ihm geschieht, ist Sache der croanischen Regierung. Sie haben ihm den Schutz Terras entzogen.“

„Ich wollte nicht.“

„Nur jetzt keinen Rückzieher!“ sagte Retief. „Die können Ihnen übel mitspielen.“

„Ich hatte keine andere Wahl. Ich war lediglich um das Wohl des Corps bemüht.“

„Natürlich. Es war dumm von mir, um das Wohl von dreihundert Mann Besatzung eines terranischen Kreuzers bemüht zu sein.“

„Genug!“ Shluh winkte den „Friedenswahrern“. „Führt den Verbrecher ab!“ Er verbeugte sich vor Miß Meuhl. „Es war mir ein Vergnügen.“

* * *

Das Polizeifahrzeug startete und fuhr ab. Der Friedenswahrer auf dem Vordersitz sah sich zu Retief um.

„Sich erst mit ihm amüsieren und ihn dann töten“, sagte er auf croanisch.

„Erst einen gerechten Prozeß durchführen“, antwortete Shluh.

„Erst den Prozeß und dann ein bißchen amüsieren.“

„Wieder einen Fehler machen, der sich nicht ausbügeln läßt“, mischte sich Retief ein.

Shluh nahm eine kurze Keule aus seinem Gürtel und schlug Retief über den Schädel. Retief schüttelte sich, richtete sich auf.

„Keine Bewegung machen, Fremder!“ zischte der Friedenswahrer auf dem Vordersitz und rammte Retief seine Waffe zwischen die Rippen.

Shluh hob seine Keule, schlug zu, und Retief sackte in sich zusammen.

Der Wagen bog um eine Ecke, und Retief wurde gegen den Polizeichef geschleudert.

„Dieses Tier.“, begann Shluh, verstummte aber, als Retiefs Hand vorschnellte, ihn an der Kehle packte und auf den Boden zog.

Als der Wächter, der links von Retief saß, zum Schlag ausholte, traf ihn Retiefs Faust und warf ihn mit dem Kopf gegen die Tür.

Retief fing die Pistole des Wächters, ehe sie zu Boden fallen konnte, und preßte den Lauf gegen die Kinnbacken des Croa- niers auf dem Vordersitz.

„Pistole vorsichtig über den Sitz reichen und loslassen!“

Der Fahrer trat auf die Bremse, wandte sich um und wollte die Pistole heben. Retief schlug ihm mit dem Lauf über den Schädel.

„Augen auf die Straße richten!“

Der Fahrer packte den Lenkknüppel fester und richtete ein Auge auf die Straße, das andere auf Retief.

„Schneller!“ Retief stellte einen Fuß auf Shluh, der sich bewegte, und drückte ihn wieder hinunter.

Der Wächter neben Retief stöhnte, und der Diplomat stieß ihn vom Sitz. Mit der einen Hand hielt er die Pistole, mit der anderen wischte er sich das Blut aus dem Gesicht.

„Dein Tod wird fürchterlich sein“, sagte Shluh auf terranisch.

„Mund halten, ich denke!“

Der Wagen bog in einen Seitenweg ein und fuhr zwischen bebauten Feldern hindurch.

„Anhalten!“ befahl Retief.

Das Fahrzeug stoppte, ließ Dampf ab und zitterte, als die heißgelaufene Maschine auskühlte.

Retief nahm seinen Fuß von Shluh und stieg aus.

„Drei von euch steigen aus! Shluh kommt mit und spielt Chauffeur! Wenn ich mich verfolgt fühle, werfe ich ihn raus. Bei hoher Geschwindigkeit wird ihn das in unangenehmer Weise verändern. Bitte sie, daß sie sich bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht rühren, Shluh. Wenn sie vorher etwas unternehmen, machst du eine Flugreise aufs Pflaster.“

„Das Platzen deines Kehlsackes, stinkende Bestie!“ zischte Shluh auf croanisch.

„Tut mir leid, habe ich nicht.“ Retief richtete die Pistole auf Shluhs Ohr. „Sprich mit ihnen, Shluh! Ich kann auch selbst fahren.“

„Tun, was er verlangt. Bis zur Dunkelheit im verborgenen bleiben“, sagte Shluh.

„Alles raus!“ rief Retief. Dann zerrte er den bewußtlosen Croanier aus dem Wagen, ohne die anderen aus den Augen zu lassen. „Shluh, auf den Fahrersitz!“

Der Polizeichef gehorchte und startete den Wagen.

„Zum Raumhafen! Und keine hastigen Bewegungen! Fahr den kürzesten Weg!“

Vierzig Minuten später lenkte Shluh den Wagen zum bewachten Tor des croanischen Militärflughafens.

„Keine unvorsichtige Bewegung!“ flüsterte Retief, als ein croanischer Wächter mit Helmbusch herankam. Shluh blies seine Kinnbacken in ohnmächtiger Wut auf.

„Shluh, Geheimpolizei“, sagte er zu dem Wächter.

„Ein Gast“, fügte er hinzu, als der Croanier Retief musterte. „Mich durchlassen? Oder hier verrotten?“

„Weiterfahren“, flüsterte der Wächter. Er starrte Retief nach, als sich der Wagen in Bewegung setzte.

„Warum wagst du dich her, Terraner?“ fragte Shluh in der Sprache seines Gegners.

„Fahr in den Schatten des Turmes und halte dort!“ befahl Retief.

Shluh gehorchte. Der Diplomat sah sich die vier schlanken Schiffe an, deren Silhouetten sich gegen die Morgendämmerung am Himmel abhoben.

„Welches ist startbereit?“ forschte er.

„Keins wird dir helfen. Es sind nur Zubringer.“

„Die Frage beantworten, Shluh, oder eins über den Schädel bekommen!“

„Du bist nicht wie die anderen Terraner. Du bist wie ein tollwütiger Hund.“

„Meinen Charakter kannst du später analysieren. Sind sie vollgetankt? Du kennst die Gepflogenheiten hier. Sind die gerade angekommen? Oder startbereit?“

„Startbereit.“

„Hoffentlich stimmt’s! Wir fliegen nämlich zusammen. Wenn das Ding nicht funktioniert, stirbst du, und ich probier’s mit einem anderen Kahn.“

„Wahnsinn! Ich habe gesagt, daß es nur Zubringer sind.“

„Keine Einzelheiten. Versuchen wir’s mit dem ersten.“

„Nein, nicht den ersten. Der letzte ist wahrscheinlich aufgetankt. Aber…“

„Schlauer Heuschreck will nicht sterben! Fahr hinüber und halte vor der Schleuse! Dann steig aus und rein ins Schiff. Ich folge dir.“

„Die Wachen. Die Parole…“

„Ich sagte schon, keine Einzelheiten! Sieh den Kerl scharf an und sag, was nötig ist. Du kennst dich ja aus.“

Der Wagen fuhr unter dem Heck des vorderen Raumers durch. Nirgends ertönten Alarmsirenen. Sie brachten den zweiten und dritten Zubringer hinter sich und hielten unter dem vierten.

„Raus! Beeilen!“

Shluh stieg aus dem Wagen, zögerte, als die Wache salutierte, flüsterte etwas und kletterte zum Einstieg hinauf. Der Wächter betrachtete Retief verwundert. Seine Kinnbacken hingen schlaff herab.

„Stehenbleiben. Fleischgesicht!“ rief er.

Shluh wandte sich um.

„Haltung annehmen!“ brüllte Retief in croanischer Sprache.

Der Wächter zuckte zusammen und stand stramm.

„Augen geradeaus!“ kommandierte der Diplomat. „Links um und Abmarsch!“

Der Wächter gehorchte und marschierte davon.

Retief kletterte die Leiter empor, zwei Sprossen auf einmal nehmend, und schlug die Schleuse hinter sich zu.

„Ich bin froh, daß eure Jungs ein bißchen Disziplin haben“, grinste er. „Was hast du ihm zugeflüstert?“

„Ich habe nur…“

„Schon gut. Wir haben’s geschafft. Geh voraus in den Kontrollraum!“

„Was weißt du von croanischer Navigation?“

„’ne Menge. Dies ist eine Nachbildung des Rettungsbootes, das ihr geraubt habt. Ich kann es steuern. Los, beweg dich!“

Retief folgte Shluh in den überladenen Kontrollraum.

„Anschnallen, Shluh!“

„Das ist Wahnsinn! Wir haben nur Brennstoff für den Hinflug zum Satelliten. Wir können nicht auf Kreisbahn gehen und auch nicht landen. Wenn wir starten, bedeutet es unseren Tod. Lassen Sie mich frei. Ich verspreche Ihnen Immunität.“

„Wenn ich dich selbst anschnallen muß, könnte es sein, daß ich dir dabei das Genick umdrehe.“

Shluh kroch auf die Andruckliege und schloß die Sicherheitsgurte.

„Geben Sie es auf!“ bat er. „Ich werde dafür sorgen, daß Sie in Ehren wieder aufgenommen werden.“

„Es geht los!“ Retief schaltete den Autopilot ein. Das Selbststeuergerät summte, Relais klickten, Zeitmesser tickten. Der Diplomat lag entspannt auf seiner Andruckcouch. Shluh atmete geräuschvoll und plusterte seine Kinnbacken auf.

„Wäre ich geflohen, als es noch Zeit war!“ stöhnte er. „Das wird ein schlimmer Tod werden.“

„Der Tod ist immer schlimm.“ Das rote Licht in der Mitte der Kontrolltafel leuchtete auf, und draußen begrüßte ein Dröhnen den erwachenden Tag.

Das Schiff zitterte und begann zu steigen. Trotz des ohrenbetäubenden Donners konnte Retief Shluh wimmern hören, als sich das Schiff von dem Planeten Croanie löste.

* * *

„Sonnennähe“, sagte Shluh dumpf. „Jetzt beginnt der lange Absturz.“

„Noch nicht“, widersprach Retief. „Es bleiben uns noch fünfundachtzig Sekunden.“ Mit gerunzelten Brauen prüfte er die Instrumente.

„Die Bruchlandung erleben wir nicht mehr. Die Punkte auf dem Schirm dort sind nämlich Geschosse. Sie werden uns im Raum treffen.“

„Sie sind fünfzehn Minuten hinter uns, Shluh. Eure Abwehr ist schwerfällig.“ Plötzlich straffte sich der Diplomat. „Da!“ rief er aus und deutete auf einen Leuchtpunkt, der rasch näher kam.

„Wünsch dir, daß mein Vorhaben gelingt, Shluh, wenn du dir nicht den Hals brechen willst.“ Retief schaltete den Sender ein.

„23 96 TR-42 G — hier spricht der terranische Konsul auf Croanie — an Bord Zubringer 902 — Fahrstrahl-Peilung beträgt 91/54/942 — verstanden? — Ende.“

„Was soll dieser faule Zauber?“ flüsterte Shluh. „Sie rufen ins nächtliche Dunkel, in die Leere.“

„Knöpf deine Kinnbacken zu!“ Retief brachte Shluh durch einen Wink zum Schweigen und lauschte angespannt auf das Wärmerauschen im Empfänger.

„Vielleicht können sie empfangen, aber nicht senden“, brummte er und schaltete wieder auf Sendung.

„2369 — Sie haben noch vierzig Sekunden, um mir einen Leitstrahl zu senden — ehe ich an Ihnen vorbeischieße.“

„Gespräche mit dem Nichts!“ wimmerte Shluh.

„Da, sieh dir den DV-Schirm an!“

Shluh wandte den Kopf und sah einen großen, dunklen Körper, der sich gegen den Nebel der Sterne abhob.

„Es — es ist ein Schiff. Ein Riesenschiff.“

„Das ist sie!“ rief Retief. „Neun Jahre und ein paar Monate. Ausgefahren, um Karten anzufertigen. Der vermißte Kreuzer, die,Terriffic’!“

„Gut, Sie haben Ihr Schiff gefunden, Terraner. Aber lohnt es sich, dafür zu sterben?“

„Vielleicht sind sie an Bord noch nicht tot.“

Retief schaltete wieder auf Sendung. „Beeilt euch!“ rief er. „Noch zehn Sekunden, und wir sind an euch vorbei. Macht Dampf dahinter, Jungs!“

„Dieser Verrückte! Nach neun Jahren glaubt er, sie lebten noch.“

Plötzlich zitterte das Schiff, und die beiden Passagiere wurden in ihre Andruckliegen gepreßt. Der Zubringer wirbelte um seine eigene Achse, und Shluh schrie auf. „Was — ist — los?“

„Sieht aus, als hätten wir ein wenig Glück“, antwortete Retief.

* * *

„Als wir das zweite Mal in ihre Nähe kamen“, berichtete der Offizier mit dem schmalen Gesicht, „ließen sie ein Ding los. Es traf das Heck und legte den Hauptantrieb lahm. Ich gab den ganzen Saft auf die Energieschirme und sandte unsere Kennzeichen aus. Man hätte sie noch in einer Parsec Entfernung empfangen müssen. Dann fiel der Sender aus. Es war töricht von mir, das Rettungsboot abzusetzen, aber es wollte mir nicht in den Kopf…“

„Es war ein Glück, daß Sie es taten, Captain“, tröstete Retief ihn. „Es war für mich der einzige Hinweis.“

„Danach wollten sie uns den Garaus machen. Aber die Energieschirme hielten alles ab, was ihnen zur Verfügung stand. Dann forderten sie uns auf, uns zu ergeben.“

Retief nickte. „Aber Sie dachten nicht daran.“

„Mehr als Sie glauben. Unsere erste Umlaufzeit dauerte drei Jahre. Bei der Rückkehr dachten wir, unser Kreuzer würde auf den Planeten stürzen. Als letzten Versuch hätte ich dann die Energieschirme ausgeschaltet und den Saft auf die Steuerdüsen gegeben. Damit hätte ich die,Terrific’ vielleicht auf eine Kreisbahn um den Planeten bringen können. Aber wir wurden so stark beschossen, daß wir ohne die Energieschirme verloren gewesen wären. Dann zogen wir vorbei und verließen das System wieder. Können Sie sich nun vorstellen, wie gern ich aufgegeben hätte?“

„Und warum haben Sie es nicht getan, Captain?“

„Unsere Informationen sind zu wichtig. Wir haben genug Vorräte an Bord und könnten es gut weitere zehn Jahre aushalten. Früher oder später mußte uns ein Aufklärer des Corps finden.“

Retief räusperte sich. „Ich bin froh, daß Sie solange aus gehalten haben, Captain. Selbst Hinterwäldler wie die Croanier können eine Menge Menschen töten, wenn sie Amok laufen.“

„Was ich nicht wußte, ist, daß unsere Umlaufbahn veränderlich ist. Bei der jetzigen Annäherung würden wir die Atmosphäre streifen, und ich glaube, die Croanier wetzen schon ihre Messer.“

„Deshalb haben sie die Ohren angelegt und abgewartet. Sie hatten das Spiel fast gewonnen.“

„Aber jetzt sind Sie hier“, sagt der Captain bewegt. „Neun Jahre, und man denkt noch immer an uns. Ich wußte, daß Verlaß auf…“

„Es ist vorüber, Captain, das allein zählt.“

„Zu Hause! Nach neun Jahren!“

„Ich würde mir gern die Filme ansehen, die Sie erwähnten“, lenkte Retief ab. „Die Anlagen auf dem Satelliten interessieren mich.“

Der Captain erfüllte Retiefs Wunsch. Er sah einen kleinen Mond, auf dessen Oberfläche lange Hüllen nebeneinander aufgereiht waren und schwarze Schatten warfen.

„Eine nette kleine Überraschung, die sie da vorbereiteten.“

Der Captain nickte. „Das war vor neun Jahren. Jetzt müßten sie fertig sein.“

„Augenblick, was war das eben?“ fuhr Retief auf. „Dieser schwarze Strich dort…“

„Eine Bodenspalte, nehme ich an.“

„Ich habe eine Vermutung. Gestern hatte ich Einblick in die Geheimakten des Außenministeriums. Es war da von einem Lager spaltbaren Materials die Rede. Gestern verstand ich es nicht, aber jetzt geht mir ein Licht auf. Wo ist Norden?“

„Oben im Bild.“

„Wenn ich nicht sehr irre, ist das nördliche Ende der Boden spalte das Munitionsdepot. Die Croanier haben die Angewohnheit, Dinge unter der Oberfläche zu verbergen. Es würde mich interessieren, was der Volltreffer einer Fünfzig-Megatonnen- Rakete dort anrichten könnte.“

„Wenn das ein Waffenlager ist“, sagte der Captain, „würde mich das Experiment ungemein reizen.“

„Können Sie es treffen?“

„Ich habe fünfzig schwere Geschosse an Bord. Wenn ich sie alle nacheinander abfeuere, sollte das die Abwehr lahmlegen. Ja, ich kann den von Ihnen bezeichneten Punkt treffen.“

„Ist die Entfernung nicht zu groß?“

„Wir haben Spezialmodelle.“ Der Captain lächelte grimmig. „Sicht-Fernsteuerung. Wir könnten ein solches Geschoß in eine Bar steuern und auf einen Hocker placieren.“

„Wollen wir’s versuchen?“

„Ich habe mir schon lange ein lohnendes Ziel gewünscht.“

* * *

Eine halbe Stunde später wirbelte Retief Shluh in einen Stuhl vor dem Bildschirm.

„Diese ständig wachsende Staubwolke war der Satellit von Croanie, Shluh. Muß was passiert sein.“

Der Polizeichef starrte auf den Schirm.

„Aber was tut’s? War ja bloß ein Stück Eisen, wie mir das Außenministerium versicherte, als ich mich erkundigte.“

„Können Sie Ihren Gefangenen nicht von mir fernhalten? Ich muß mich mächtig zusammenreißen, wenn ich den Kerl sehe.“

„Shluh möchte gern helfen“, sagte Retief. „Er war ein böser Junge, aber nun möchte er uns helfen, besonders seit er diese Staubwolke gesehen hat und außerdem weiß, daß ein terranisches Schiff unterwegs ist.“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie halten es hier an Bord noch eine Woche aus, Captain. Setzen Sie sich mit dem Raumer von Terra in Verbindung, Sobald er hier ist, lassen Sie sich abschleppen, und damit ist der Fall für Sie erledigt. Wenn Ihre Filme von den Verantwortlichen geprüft worden sind, wird eine Kommission auf Croanie landen und sämtliche technischen Anlagen demontieren. Außerdem wird man dafür sorgen, daß Croanie nicht mehr auf Eroberungsgedanken verfällt. — Andererseits wären aber noch diplomatische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.“

Er erklärte seinen Plan, und der Captain war einverstanden. „Ich mache mit. Aber der da?“

Retief wandte sich zu Shluh um. Der Croanier schüttelte sich. „Ich tue es“, flüsterte er dann.

„Lassen Sie den Sender aus dem Zubringer holen, Captain, dann werde ich mich mit einem gewissen Fith im croanischen Außenministerium in Verbindung setzen. Und Shluh tut dann genau, was ich ihm auftrage, wenn er vermeiden will, daß terranische Kontrollorgane auf Croanie regieren.“

* * *

„Merkwürdig, Retief“, sagte Botschaftsrat Nitwoith, „Mr. Fith vom Außenministerium singt Ihr Loblied in allen Tonarten. Das ist um so erstaunlicher, als ich Beweise für Ihr unbotmäßiges Verhalten habe.“

„Fith und ich haben viel durchgemacht. Wir verstehen uns“, entgegnete Retief.

„Miß Meuhl bedauert, daß sie von Ihnen nicht eingeweiht wurde. Es war zwar richtig, den Bericht über Sie abzusetzen, Retief, aber hätte die Dame gewußt, daß Sie Mr. Fith bei seinem grandiosen Unternehmen unterstützten — sie hätte geschwiegen.“

„Fith verlangte Stillschweigen, falls die Sache schiefging.“

„Nun, sobald sich die Dame von ihrem Nervenzusammenbruch erholt hat, erhält sie die wohlverdiente Beförderung. Sie dagegen haben sich nicht ausgezeichnet. Es ist zwar anerkennenswert, daß Sie Mr. Fith bei seiner Suche nach dem terranischen Kreuzer unterstützten, jedoch stießen Sie zahlreiche Croanier vor den Kopf. Zum Beispiel wohnten Sie keinem der zahlreichen Nasenflöten-Konzerte bei. Und Sie wissen, wie wichtig es ist, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen.“

„Ich bin leider unmusikalisch.“

„Es tut mir leid, daß ich Sie nicht wie Miß Meuhl befördern kann. Ich werde Ihre Versetzung beantragen und mich dafür verwenden, daß Sie Ihren Dienstgrad beibehalten.“

„Wie großzügig!“ Retief stand auf. „Ich bin zufrieden mit meinen Erinnerungen.“

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