Kultureller Austausch

Der Erste Sekretär Magnan nahm sein grün eingefaßtes Cape und die Mütze mit den orangefarbenen Federn vom Kleiderständer. „Ich gehe jetzt, Retief’, sagte er. „Ich hoffe, Sie werden während meiner Abwesenheit mit dem Bürokram zurechtkommen, ohne daß es unangenehme Zwischenfälle gibt.“

„Das scheint mir ein bescheidener Wunsch“, sagte der Zweite Sekretär Retief. „Ich werde mir Mühe geben.“

„Ich habe diese Abteilung Kultur und Wissenschaft erst zu dem gemacht, was sie ist. Und Ihnen diesen Schreibtisch anzuvertrauen — selbst für die kurze Zeit von zwei Wochen —, scheint mir leichtsinnig. Bedenken Sie immer, daß Sie hier nur Stempel unter Dokumente zu drücken brauchen.“

„Dann überlassen Sie doch Miß Furkle den Posten, und ich mache ein paar Wochen Urlaub. Mit den Pfunden, die ihr zur Verfügung stehen, kann sie einen gewichtigen Druck ausüben.“

„Sie scherzen. — Selbst Sie sollten erkennen, daß die Teilnahme der Boganer am Austauschprogramm die Lage erheblich entspannt.“

„Sie schicken jetzt zweitausend Studenten nach d’Land?“

„Ja. In den letzten zwei Jahrzehnten zettelten sie vier Kriege an. Sie sind die Raufbolde des Nicodeman-Systems. Vielleicht bessern sie sich jetzt.“

„Was sollen die jungen Leute auf d’Land eigentlich studieren?“

„Das sind Einzelheiten, die wir den Professoren überlassen. Wir vermitteln lediglich den Austausch. Sehen Sie zu, daß Sie den boganischen Vertreter nicht vor den Kopf stoßen. Sie können jetzt einmal beweisen, daß Sie Diplomat sind. Kehren Sie nicht den starken Mann heraus!“

Ein Summen aus der Sprechanlage ertönte. Retief drückte einen Knopf und fragte: „Ja, Miß Furkle?“

„Der Hinterwäldler aus Lovenbroy ist schon wieder da.“ Auf dem kleinen Bildschirm sah Retief, daß Mrs. Furkles fleischiges Gesicht in ablehnende Falten gelegt war.

„Der aufdringliche Kerl belästigt uns ständig“, sagte Magnan unwillig. „Wimmeln Sie ihn ab! Und bedenken Sie immer, man beobachtet Sie genauestens.“

„Das hatte ich ganz vergessen, sonst hätte ich meinen guten Anzug angezogen.“

Magnan zog eine Grimasse und ging.

„Schicken Sie den Hinterwäldler rein!“ sagte Retief in die Bildsprechanlage.

Ein großer, breitschultriger Mann trat ein. Er war sonnengebräunt, hatte graues Haar und trug enge Hosen, ein am Hals offenes Hemd und eine lose Jacke. In der Hand hielt er ein Bündel. Er musterte Retief kurz, trat dann auf ihn zu und. streckte ihm die Hand hin. Retief schüttelte sie. Für einen Augenblick standen sich die beiden großen Männer Auge in Auge gegenüber.

Der Neuankömmling biß die Zähne zusammen, daß seine Wangenmuskeln hervortraten. Dann zuckte es in seinem Gesicht, und Retief ließ die Hand los.

„Einen guten Händedruck haben Sie“, lobte der Fremde und massierte seine Finger. „Ist mir noch nie passiert. Meine Schuld, ich habe angefangen.“ Er grinste und setzte sich auf Retiefs einladende Handbewegung hin.

„Womit kann ich dienen?“ fragte der Zweite Sekretär. „Ich heiße Retief und vertrete Mr. Magnan für einige Wochen.“

„Sie arbeiten doch für die Kultus-Fritzen? Ich bin Hank Ara- poulous, Beruf: Bauer. Wir haben Schwierigkeiten auf Loven- broy. Die Weinernte steht vor der Tür Die Lese beginnt in zwei, drei Monaten. Kennen Sie die Bacchus-Rebe, die wir anbauen?“

„Nein. — Zigarre?“

Arapoulous nahm eine und paffte Wolken ins Zimmer. „Bacchus-Trauben reifen nur einmal alle zwölf Jahre. Brauchen in der Zwischenzeit nicht viel Pflege. Wir haben also viel Zeit. Züchten Obst, zum Beispiel kürbisgroße Äpfel, süß und saftig.“

„Freut mich. Und was können Kultur und Wissenschaft für Sie tun?“

Arapoulous lehnte sich vor. „Wir konsumieren eine Menge Kunst. Die Leute können nicht dauernd Obst züchten.“

„Verstehe, Mr. Arapoulous. Und was.“

„Nennen Sie mich Hank! Schöner Planet, Lovenbroy. Lange Sommer, kalte Winter. Ein Jahr sind achtzehn terranische Monate. Fünf Jahreszeiten gibt es. Schwarzblauer Himmel, Sterne auch am Tag sichtbar. Im Winter malen wir, stellen Möbel her…“

„Ich habe Ihre Arbeiten gesehen. Sehr formschön.“

Arapoulous nickte. „Dann kommt der Monsun. Es regnet Strippen, aber die Sonne nähert sich. Da wird dann komponiert. — Dann kommt der heiße Sommer. Tagsüber bleiben wir in den Häusern, nachts veranstalten wir Theatervorstellungen und Konzerte.“

„Und nun steht die Ernte vor der Tür?“

„Ganz recht. Im Herbst wird geerntet. Meist haben wir nur die üblichen Früchte und Getreide zu ernten. Aber dieses Jahr ist der Wein dran. Das ist unsere Haupteinnahme. Aber dieses Jahr.“

„Schlechter Jahrgang?“

Arapoulous winkte ab. „Wer unseren Wein einmal gekostet hat, trinkt nichts anderes mehr. Ich werd’s Ihnen beweisen.“

Er stellte sein Bündel auf den Schreibtisch, knotete es auseinander, und zwei bauchige Flaschen kamen zum Vorschein. „Hier, probieren Sie!“

„Daß ich im Dienst trinke, wird im Corps nicht gern gesehen.“

„Sie trinken ja nicht. Sie versuchen nur den Wein.“

Arapoulous drehte den Draht ab, der den Korken festhielt, und ließ ihn kommen. Mit einem Knall flog er aus dem Flaschenhals. Arapoulous fing ihn auf. Aromatische Düfte entstiegen der Flasche. „Ich wäre außerdem beleidigt, wenn Sie mir einen Korb gäben.“ Er blinzelte.

Retief nahm zwei hauchdünne Gläser aus einem Schränk- chen, und Arapoulous füllte sie. Der Diplomat nahm ein Glas und roch an der rostroten Flüssigkeit. Dann nahm er einen großen Schluck.

„Schmeckt wie gesalzene Hickorynüsse mit einer Spur altem Portwein.“

„Versuchen Sie nicht, den Geschmack zu beschreiben. Mr. Retief. Es ist eben echter Bacchuswein, nichts anderes. Zu Hause mischen wir weißen und roten Wem.“

Retief löste den Draht der zweiten Flasche, fing der Korken geschickt auf und goß ein.

„Es bedeutet Unglück, wenn man den Korken nicht fängt. — Wissen Sie übrigens, was uns vor ein paar Jahren passiert ist?“

„Nein, Hank. — Prost!“

„Wir haben reiche Erzvorkommen auf Lovenbroy. Aber das ist für uns kein Grund, die Landwirtschaft zu verschandeln. Wir bauen Gemüse und Getreide an, — wir sind Bauern. Aber vorzehn Jahren landeten unsere Nachbarn Truppen. Sie wollten an die Erze. Wir haben ihnen Beine gemacht. Kostete uns aber eine Menge Leute.“

„Tut mir leid“, bedauerte Retief. „Ich würde sagen, dieser hier schmeckt mehr nach Roastbeef und Puffmais, mit Riesling übergossen.“

„Es brachte uns in die Klemme. Wir borgten Geld bei den Siedlern von Croanie und exportierten Kunstgegenstände. Aber es macht keine Freude, wenn man seine Kunstwerke an Fremde geben muß.“

„Und nun? Verlangen die Croanier Rückzahlung?“

„Ja, das Darlehen ist fällig. Der Erlös aus der Ernte könnte uns sanieren. Aber wir haben nicht genug Leute. Wenn die Ernte nicht eingebracht werden kann, rücken uns die Croanier auf den Pelz. Der Himmel mag wissen, was sie aus unserem schönen Planeten machen. Wir dachten, ihr Kultur-Fritzen könntet uns Geld leihen, um Fremdarbeiter anzustellen. Wir würden es zurückzahlen — mit Möbeln, Schnitzereien, Gemälden, Kompositionen, Plastiken.“

„Tut mir leid, wir verleihen kein Geld. Wir arrangieren kulturelle Veranstaltungen. Wenn Sie zum Beispiel eine Gruppe grocianischer Nasen-Flötisten brauchen.“

„Können die Weintrauben pflücken?“

„Nein, sie spielen nur die Nasenflöte. Sie vertragen kein Tageslicht. Haben Sie sich schon ans Arbeitsamt gewandt?“

„Klar! Die wollen uns Maschinen andrehen Aber Landarbeiter haben sie auch nicht.“

Der Bildsprecher summte, und Miß Furkle erschien auf dem Bildschirm. „Die Ratssitzung beginnt in fünf Minuten“, erinnerte sie. „Danach Treffen mit den Bogarj-Studenten.“

„Danke!“ Retief schaltete ab und trank sein Glas aus. Er stand auf. „Lassen Sie mich über Ihren Fall nachdenken, Hank. Vielleicht sehe ich einen Weg, Ihnen zu helfen. Kommen Sie übermorgen wieder. Und lassen Sie die Flaschen hier. Kunstausstellung, verstehen Sie?“

* * *

Als sich die Ratsmitglieder nach der Sitzung zerstreuten, wandte Retief sich an einen Kollegen.

„Sie erwähnten eine Schiffsladung für Croanie. Worum handelt es sich?“

„Sie vertreten Magnan von,Kultur und Wissenschaft?’ Eigentlich ist, Material-Verleih’ nicht verpflichtet, über interne Dinge Auskunft zu geben. Aber Wenn Sie darauf bestehen: Croanie bekommt Bergwerksmaschinen.“

„Bohranlagen?“

„Zubehör für den Tagebau.“ Whaffle nahm einen Zettel aus der Innentasche seines Jacketts. „Bolo Traktoren, Modell WV71, um es genau zu sagen. — Wieso aber interessiert sich,Kultur und Wissenschaft’ für die Angelegenheiten von,Mate- rial-Verleih’?“

„Entschuldigen Sie, wenn ich neugierig erscheine. Aber Croanie wurde mir gegenüber heute schon einmal erwähnt. Sie haben eine Hypothek auf den Planeten…“

„Geht mich nichts an“, unterbrach Wbaffle ihn. „Als Chef von,Material-Verleih’ habe ich genug um die Ohren und muß meine Nase nicht erst in die Aufgaben von,Kultur und Wissenschaft’ stecken.“

Ein anderer Abgeordneter mischte sich ein. „Meine Abteilung hat sich seit Monaten um Traktoren für d’Land bemüht. Leider ohne Erfolg,Material-Verleih’ rückte nichts raus.“

„Ihre Abteilung — Entwicklungshilfe’ — kam zu spät“, antwortete der,Material-Verleih’-Vorsitzende knapp und wandte sich zum Gehen.

„Da liegt es im argen“, stöhnte der Mann von,Entwicklungshilfe’. „Jeder bemüht sich, den kriegerischen Boganern jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und ich, der ich die friedliebenden Siedler von d’Land betreue, gehe leer aus.“

„Was wird auf der Universität von d’Land gelehrt?“ fragte Retief.

„Universität? d’Land hat eine schlecht ausgerüstete Technische Hochschule, das ist alles.“

„Werden die zweitausend Austauschstudenten an dieser TH studieren?“

„Zweitausend Studenten? Ein guter Witz! Zweihundert würden sich in den Lehrsälen auf die Hühneraugen treten.“

„Wissen das die Boganier?“

Der Entwicklungshelfer zuckte die Achseln. „Die Schwierigkeiten von d’Land entstanden zum größten Teil aus dem unglücklichen Handelsabkommen, das d’Land mit Bogan schloß. — Zweitausend Austauschstudenten!“ Er lief kopfschüttelnd davon.

Retief ging in seinem Büro vorbei, um sein fliederfarbenes kurzes Cape zu holen. Dann stieg er in den Lift, fuhr zum 230. Stockwerk des DCT-Hauptquartiers hinauf und nahm ein Taxi zum Flughafen. Die boganischen Studenten waren schon angekommen. Retief sah sie an der Zollsperre warten. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, ehe sie abgefertigt waren. Er ging an die Bar und bestellte ein Bier. En nochgewachsener junger Mann auf dem Hocker neben ihm hob sein Glas.

„Glückliche Tage!“ prostete er.

„Und Nächte!“ erwiderte Retief grinsend.

„Genau!“ Der Mann trank sein Bier zur Hälfte aus. „Karsh mein Name. Geht einem auf die Nerven, die Warterei.“

„Sie treffen sich mit jemandem?“

„Hm. Haufen Kinder. — Die nächste Runde zahle ich.“

„Danke! Sind Sie Jugendhelfer?“

Der junge Mann nickte. „Keiner ist über achtzehn. Schon mal ’n Studenten mit ’nem Bart gesehen?“

„’ne ganze Menge. Sie treffen sich mit den Studenten?“

Der junge Mann kniff die Augen zusammen. „Wissen Sie etwas darüber?“

„Ich bin von,Kultur und Wissenschaft’.“

Karsh trank sein Bier aus und bestellte zwei neue. „Bin schon vorausgeflogen. Habe sie selbst ausgebildet. Alles wie ein Spiel angepackt. Das ist die Methode!“ Er schob sein Glas von sich. „Hab genug getrunken. Kommen Sie mit?“

Retief nickte. „Kann ich machen.“

An der Zollsperre sah Retief, wie der erste boganische Student herauskam, Karsh entdeckte und Haltung annahm.

„Lassen Sie das, Mister! So benimmt sich doch kein Student“, sagte Karsh gereizt.

Der Junge, ein Bursche mit rundem Gesicht und breiten Schultern, grinste. „Nein, das stimmt. Wie ist das, Mister Karsh, dürfen wir in die Stadt?“

„Kommt gar nicht in Frage, ihr Pennäler Stellt euch auf!“

„Wir haben Unterkünfte für die Studenten vorbereitet“, sagte Retief. „Wenn Sie bitte den Westausgang benutzen wollen, dort warten einige Hubschrauber.“

„Danke!“ Karsh grinste „Sie bleiben hier bis zum Weiterflug. Die Kleinen sollen nicht frei rumlaufen. Ich meine, sonst kommt mir noch einer abhanden.“

„Der Weiterflug ist für morgen mittag angesetzt. Das ist eine lange Wartezeit. Wir haben Theaterkarten und ein Essen für sie bestellt.“

„Tut mir leid.“ Karsh hatte den Schluckauf. „Sobald unser Gepäck kommt, kratzen wir die Kurve. Ohne Gepäck können wir nicht reisen, versteht sich.“

„Wie Sie meinen. Wo ist das Gepäck jetzt?“

„Kommt mit einer croanischen Rakete.“

„Soll ich hier ein Essen für die Studenten bestellen?“

„Klar“, sagte Karsh mit einem Schluckauf. „Gute Idee. Essen Sie mit uns — und spendieren Sie ein paar Bier.“

„Besser nicht“, wehrte Retief ab. Er musterte die Studenten, die durch die Zollsperre traten. „Lauter Jungen? Keine Mädchen?“

„Vielleicht später“, antwortete Karsh. „Müssen erst mal sehen, wie die erste Gruppe aufgenommen wird.“

* * *

In seinem Büro klingelte Retief nach Miß Furkle.

„Wissen Sie, welche Institution diese boganischen Studenten aufnehmen soll?“

„Natürlich die Universität von d’Land.“

„Sie meinen die Technische Hochschule?“

Miß Furkle schien verlegen. „Mit diesen Einzelheiten habe ich mich nie befaßt.“

„Mich interessiert aber, was zweitausend Studenten auf einer Welt studieren sollen, die keine Lehrsäle für sie hat, statt dessen aber dringend Traktoren braucht. Traktoren jedoch werden nach Croanie geschickt, einem Planeten, der Boga verpflichtet ist.

Und Croanie besitzt Hypotheken auf die beste Weinernte Lovenbroys.“

„Mister Magnan hätte niemals…“

„Mister Magnan ist in Urlaub. Stellen Sie fest, wie viele Traktoren,Material-Verleih’ nach Croanie schickt.“

„Das ist doch Sache von,Material-Verleih’!“

„Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!“

Miß Furkle schnüffelte beleidigt und ging.

Retief fuhr mit dem Lift einundvierzig Stockwerke hinunter und ging über einen langen Flur zur DCT-Bibliothek. Dort zog er Kataloge und Listen zu Rate.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte eine Bibliothekarin.

„Danke, Madam! Ich suche Material über einen bestimmten Traktor, Modell Bolo WV/1.“

„Den finden Sie nicht unter der Rubrik Industrie. Kommen Sie bitte mit!“

Retief folgte ihr in eine Abteilung, über der ein Leuchtschild mit der Aufschrift „Rüstung“ hing. Sie nahm eine Filmrolle von einem Regal, legte Sie in den Projektor und ließ die Spule vorlaufen. Dann stoppte sie den Film.

„Das ist Modell WV“, sagte sie, und Retief sah ein gedrungenes bewaffnetes Fahrzeug. „Ein sogenanntes Sturmgeschütz, das Munition und vier Mann Besatzung.“

„Augenblick, das muß ein Irrtum sein! Ich suche ein Modell, das als Traktor eingesetzt wird. Typ M — 1, glaube ich.“

„Ach so! Ja, WV M — 1 hat zusätzlich eine Schaufel für Abreißarbeiten.“

Miß Furkle erwartete Retief im Büro. „Ich dachte, Sie wollten die Auskunft dringend haben. Nun warte ich schon seit zehn Minuten.“

„Großartig. Und?“

„Fünfhundert Traktoren.“

„Eine ganze Menge. Finden Sie nicht auch?“

„Sonst noch was?“ fragte Miß Furkle kühl.

„Hoffentlich nicht!“ sagte Retief.

* * *

Retief lehnte sich in Magnans gepolstertem Drehstuhl zurück und las in der Akte „Croanie“. Während des Lesens nahm er die beiden Flaschen mit Bacchus-Wein aus dem Schreibtisch, stellte sich zwei Gläser hin und füllte beide halbvoll. Er trank den roten Wein nachdenklich und sagte sich, es wäre ein Jammer, wenn jemand die Herstellung solcher Köstlichkeiten beeinträchtigen würde.

Eine halbe Stunde später ließ er sich telefonisch mit dem Handelsattache der croanischen Vertretung verbinden.

„Hier Retief, Corps-Hauptquartier“, sagte er leichthin. „Ich habe da eine Frage, die Materialsendung betreffend. Vielleicht ist uns ein Fehler unterlaufen. Wir schicken laut Unterlagen fünfhundert Stück?“

„Das hat seine Richtigkeit. Fünfhundert.“

Retief schwieg.

„Ahm — sind Sie noch da, Mr. Retief?“

„Ja. Die fünfhundert Traktoren wollen mir nicht in den Kopf.“

„Aber es geht doch alles in Ordnung. Ich dachte, die Sache sei längst erledigt. Mr. Whaffle…“

„Ein Traktor könnte eine mittlere Fabrik mit genügend Material versorgen. Aber Croanie lebt hauptsächlich von Fischerei.

Der Planet hat ein halbes Dutzend kleiner Fabrikbetriebe, die — alles in allem — die Erze verwerten könnten, die zehn Traktoren abbauen würden — vorausgesetzt, es gäbe Erze auf Croanie. Ist ein WV-Modell übrigens nicht ein schlechtes Gerät für den Tagebau? Wäre nicht zum Beispiel ein Modell.“

„Hören Sie zu, Retief! Warum soviel Staub aufwirbeln wegen ein paar überzähliger Traktoren? Was geht es Sie an, wozu die Maschinen eingesetzt werden sollen? Ich dachte, die Geräte sollten ohne einschränkende Bedingungen geliefert werden.“

„Ich weiß, als Diplomat soll man keine Fragen stellen. Aber wenn sich auf Croanie was tut…“

„Um Himmels willen, Retief — nicht, was Sie denken! Es ist ein Geschäft, weiter nichts.“

„Welche Geschäfte kann man mit einem Bolo WV machen? Mit oder ohne Schaufel ist es ein Sturmgeschütz.“

„Ziehen Sie bloß keine vorschnellen Schlüsse. Wollen Sie uns als Waffen-Schmuggler hinstellen? Übrigens — sprechen Sie über Geheimleitung?“

„Selbstverständlich. Sie können offen reden.“

„Die Traktoren werden weiterversandt. Wir sind in eine schwierige Finanzlage geraten, und mit dieser Transaktion tun wir einer Gruppe einen Gefallen, mit der wir geschäftlich verbunden sind.“

„Sie haben Hypotheken auf Lovenbroy. Gibt es da eine Verbindung?“

„Ahm — nein. Keineswegs.“

„Und wer bekommt die Traktoren von Ihnen?“

„Retief, dies ist eine Einmischung in interne Angelegenheiten…“

„Wer?“

„Zufällig der von Ihnen erwähnte Planet Lovenbroy. Aber es besteht keinerlei Zusammenhang.“

„Und wer ist die Gruppe, der Sie diesen Gefallen tun, obgleich Sie wissen, daß Abtretung von Leihmaterial verboten ist?“

„Tja, ahm — ich habe da mit einem Mr. Gulver zu tun gehabt — ahm — Gulver vom Planeten Boga.“

„Und wann werden sie verladen?“

„Sie gingen vor einer Woche ab. Müssen schon halb da sein.“

Retief hängte ein und drückte den Knopf des Bildsprechgerätes. „Miß Furkle, ich möchte alle neuen Anträge der Boganier für Studentenaustausch sehen.“

„Zufällig habe ich gerade einen hier. Mr. Gulver vom Konsulat brachte ihn.“

„Ist Mr. Gulver im Büro? Ich möchte ihn sprechen.“

„Ich frage, ob er Zeit hat.“

Eine halbe Minute später öffnete sich die Tür, und ein stiernackiger Mann mit rotem Gesicht und viel zu kleinem Hut kam herein. Er trug einen altmodischen Anzug, ein gelbbraunes Hemd, glänzende Schuhe mit abgerundeter Spitze und zeigte eine düstere Miene.

„Was wünschen Sie?“ fragte er gereizt. „Aus meinen Unterredungen mit dem anderen — äh — Zivilisten entnahm ich, daß diese nervtötenden Diskussionen nicht mehr nötig seien.“

„Ich hörte, daß Sie weitere Studenten ausschicken? Wie viele diesmal?“

„Dreitausend.“

„Und das Ziel der Reise?“

„Croanie. Es steht alles im Antrag, den ich eingereicht habe. Ihre Aufgabe ist lediglich, den Transport zu übernehmen.“

„Wollen Sie dieses Jahr noch mehr Studenten verschicken?“

„Vielleicht. Das ist Bogas Sache.“ Gulver schürzte die Lippen. „Wir dachten daran, zweitausend nach Featherweight zu schicken.“

„Ein unterbevölkerter Planet wie die anderen“, sagte Retief. „Und im selben System, glaube ich. Ihr Volk scheint sich außerordentlich für dieses Gebiet des Weltraumes zu interessieren.“

„Wenn das alles war, kann ich ja gehen. Ich habe noch wichtige Dinge zu erledigen.“

Nachdem Gulver gegangen war, rief Retief Miß Furkle zu sich. „Ich brauche eine genaue Aufstellung des StudentenAustauschprogramms. Außerdem eine Liste der Güter, die,Material-Verleih‘ in letzter Zeit verschickt hat.“

„Mr. Magnan würde es nicht im Traum einfallen, seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten.“

„Das mit den Listen war ein dienstlicher Auftrag. Es eilt.“

Die Tür knallte hinter Miß Furkle ins Schloß, und gleichzeitig summte die Bildsprechanlage.

„Hier ist Arapoulous. Kann ich raufkommen?“

„Stets gern zu Ihren Diensten, Hank.“

Hank trat wenig später ein und nahm sich einen Stuhl. „Sie finden mich sicher aufdringlich. Gibt’s was Neues?“

„Was wissen Sie über Croanie?“

„Croanie? Da ist nicht viel los. Hauptsächlich Meere. Schön für Fischliebhaber. Wir importieren Fisch von Croanie.“

„Und wie sind die gegenseitigen Beziehungen?“

„Ganz gut. Aber mit Boga sind sie dicke.“

„Und?“

„Boga ist doch der Planet, dessen Bewohner uns vor zwölf Jahren in den Sack stecken wollten. Sie hätten’s auch geschafft, wären sie nicht so vom Pech verfolgt gewesen. Ihre Waffen taugten nichts, und ohne Waffen sind die leicht zu überwältigen.“

Miß Furkle meldete sich. „Ich habe Ihre Listen.“

„Bitte reinbringen!“

Die Sekretärin legte die Papiere auf den Schreibtisch. Arapoulous erhaschte einen Blick von ihr und grinste sie an. Sie schnüffelte hochnäsig und trabte aus dem Zimmer.

„Die Kleine braucht mal ’ne ordentliche Weinlese“, sagte er, während Retief die Listen durchlas.

„Wie viele Leute sind zur Lese nötig?“ fragte er.

„Hundert wären schön, tausend besser. Prost!“ Er trank aus dem Glas, das Retief ihm eingeschenkt hatte.

„Wie wär’s mit zweitausend?“

„Zweitausend? Soll das ein Scherz sein?“

„Hoffentlich nicht.“ Retief griff zum Telefonhörer, rief die Raumhafenleitung an und verlangte die Eilabfertigung.

„Hallo, Jim? Tu mir bitte einen Gefallen. Du weißt, daß zweitausend boganische Studenten mit CDT-Transportern reisen. Ist das Gepäck schon da? — Ja, ich warte.“

Jim kam wieder an den Apparat. „Jawoll, Retief, ist hier. Gerade angekommen. Aber eins ist eigenartig: Bestimmungsort ist nicht d’Land, sondern Lovenbroy.“

„Bitte, Jim, sieh dir das Gepäck mal an! Ich warte solange.“

Der Flüssigkeitsspiegel in den beiden Weinflaschen war drei Zentimeter gefallen, als Jim sich wieder meldete.

„Retief, da ist was nicht in Ordnung. Das Gepäck besteht aus Waffen: 2nn-Strahler, Mark-XII-Handfeuerwaffen und Energiepistolen sind.“

„Danke, Jim, das genügt. Kein Grund zur Aufregung. Nur eine Verwechslung. Nun habe ich noch eine Bitte, Jim. Ich möchte einen Freund decken, der den Fehler gemacht hat. Niemand soll etwas davon erfahren, verstehst du? Morgen früh hast du es schriftlich von mir, damit du offiziell gedeckt bist. Ich bitte dich um folgendes…“

Retief instruierte Jim, dann hängte er ein und wandte sich an Arapoulous.

„So, dann wollen wir mal zum Raumhafen fahren. Den Abschied von den Studenten möchte ich persönlich erleben.“

* * *

Karsh ging Retief entgegen, als der Diplomat den Warteraum betrat.

„Was geht hier vor?“ fragte er aufgebracht. „Man läßt mich meinen Frachtbrief nicht sehen. Ich fürchte, die laden das Zeug gar nicht.“

„Sie müssen sich beeilen, Mr. Karsh“, sagte Retief. „Sie starten in einer knappen Stunde. Sind alle Studenten an Bord?“

„Ja, zum Teufel! Was ist mit dem Gepäck? Die Raumer starten nicht ohne das Gepäck!“

„Kein Grund, sich wegen ein paar Zahnbürsten so aufzuregen, Mr. Karsh, oder?“ tröstete ihn Retief scheinheilig. „Aber wenn Sie sich sorgen…“ Er wandte sich an Arapoulous. „Hank, gehen Sie doch mit Mr. Karsh zur Lagerhalle hinüber und — kümmern Sie sich um ihn.“

„Mit dem größten Vergnügen“, antwortete Arapoulous eifrig.

Der Leiter der Eilabfertigung kam heran. „Ich habe die Traktoren erwischt“, sagte er. „Komischer Fehler. Aber jetzt ist alles in Ordnung. Sie werden auf d’Land ausgeladen. Ich sprach mit dem Flugkontrolleur von d’Land. Er behauptet, man erwarte doch keine Studenten.“

„Ein großes Durcheinander, Jim; tut mir leid. Die Studenten fliegen dahin, wo das Gepäck hin sollte. Das Büro für Rüstung wird jemanden herschicken, der die Waffen in Empfang nimmt. Suchen Sie inzwischen nach dem richtigen Gepäck. Der Himmel mag wissen, wo es ist.“

„Unverschämtheit!“ brüllte eine heisere Stimme. Retief wandte sich um.

„Hallo, Mr. Gulver! Blüht Bogas Handel?“

„Piraten!“ keuchte Gulver und trat an Retief heran. „Und Sie haben die Hand im Spiel. Wo ist dieser Magnan?“

„Was haben Sie denn?“ erkundigte sich Retief, scheinbar fürsorglich.

„Halten Sie die Transporter zurück! Ich erfuhr gerade, daß das Gepäck beschlagnahmt wurde. Und dabei genießt diese Schiffsladung Immunität.“

Zwei graugekleidete Herren kamen auf Retief zu. „Sind Sie Mr. Retief vom DCT?“

„Jawohl.“

„Was ist mit meinem Gepäck?“ unterbrach Gulver. „Ich warne Sie! Wenn die Raumschiffe ohne das Gepäck starten.“

„Diese Herren hier sind von der Waffen-Kontrollkommission.“ Retief lächelte verbindlich. „Kommen Sie doch bitte mit, Mr. Gulver, und zeigen Sie uns Ihr Gepäck!“

„Waffen-Kontroll.?“ Gulver bekam rote Ohren.

„Ich habe nur eine Ladung zurückgehalten, und das war ein Waffenarsenal. Sollte es Ihr Gepäck sein, Mr. Gulver…“

„Unmöglich! Waffen? Lächerlich! Muß ein Irrtum sein.“

Im Gepäcklager betrachtete Gulver die geöffneten Waffenkisten. „Nein, natürlich nicht“, versicherte er. „Nicht unser Gepäck. Keineswegs.“

Arapoulous führte den stolpernden Mr. Karsh heran.

„Karsh?“ fragte Gulver verblüfft. „Was ist mit Ihnen geschehen?“

„Er ist hingefallen“, erklärte Arapoulous.

„Helfen Sie ihm ins Schiff“, sagte Retief. „Es ist startbereit. Wir möchten nicht, daß er es verpaßt.“

„Überlassen Sie ihn mir!“ verlangte Gulver, und seine Äugen sprühten Feuer. „Ich sorge dafür, daß man sich seiner annimmt.“

„Nicht dran zu denken!“ wehrte Retief ab. „Er ist Gast des Corps, und wir müssen ihn zum Schiff geleiten.“

Gulver winkte drei stämmigen Burschen, die an der Wand gelehnt hatten. „Mitnehmen!“ befahl er und deutete auf Karsh.

„In bezug auf Gastfreundschaft ist mit uns nicht zu spaßen“, erklärte Retief grinsend. „Wir sorgen dafür, daß er an Bord kommt.“

Gulver öffnete den Mund, aber Retief sprach weiter:

„Ich weiß, es ist schlimm für Sie, Waffen statt der Schulbücher in Ihrem Gepäck zu finden. Sie werden Mühe haben, dieses Durcheinander aufzuklären. Deshalb vermeiden Sie besser weitere Schwierigkeiten.“

„Eh — ja.“ Gulver klappte seinen Mund zu.

Arapoulous ging durch die Passagiersperre, dann winkte er.

„Ihr Mann da, reist der mit?“ wollte Gulver wissen.

„Er ist nicht unser Mann. Er lebt auf Lovenbroy.“

„Lovenbroy? Aber — die — ich…“

„Ich weiß, Sie sagten, die Studenten reisten nach d’Land. Aber ich glaube, das war nur ein Teil des allgemeinen Wirrwarrs. Die automatischen Navigatoren zeigten als Ziel Loven- broy an. Und es wird Sie befriedigen, daß Ihre Studenten auch tatsächlich dorthinfliegen — sogar ohne Gepäck.“

„Nun, vielleicht kommen sie ohne aus“, knirschte Gulver bitter.

„Übrigens war da noch ein Durcheinander“, lächelte Retief harmlos. „Sie beantragten doch eine Ladung von Traktoren von,Material-Verleih’ — über Croanie übrigens. Und die Sendung wäre fälschlicherweise beinahe nach Lovenbroy gegangen, wo doch ausschließlich Ackerbau betrieben wird. Ich habe Ihnen viel Ärger erspart, indem ich die Traktoren auf d’Land ausladen ließ.“

„d’Land? Sie haben Bogas erbittertsten Feinden eine ganze Schiffsladung von.“

„… harmlosen Traktoren überlassen, jawohl. Werkzeuge des Friedens. Oder nicht?“

„Ahm — doch.“ Gulver sackte zusammen. Dann richtete er sich auf. „Stoppen Sie den Start! Ich mache den Austausch rückgängig.“

Sein Geschrei wurde vom Dröhnen der Riesentransporter erstickt, die sich jetzt nach und nach in den Himmel schraubten. Retief sah ihnen nach, bis sie nur noch winzige Pünktchen waren.

„Sie sind fort“, sagte er scheinbar bedauernd. „Wollen wir hoffen, daß sie eine freiheitliche Erziehung genießen.“

Retief lag auf dem Rücken und aß Weintrauben. Das Gras war weich und hoch, der Strom neben ihm rauschte beruhigend eintönig.

„Retief!“ schrie Hank und stolperte den Hügel herunter. „Sie haben den Preis des letzten Lesetages gewonnen. Zweihundert Scheffel, das ist ein Rekord. Kommen Sie mit in den Garten! Die Feier beginnt.“

In dem mit Blumen übersäten Garten führte Arapoulous Retief an eine Tafel, die unter bunten Lampions stand. Ein hochgewachsenes Mädchen in einem weißen, fließenden Gewand kam heran.

„Delinda, dies ist der Gewinner von heute“, stellte Arapou- lous die Blondine vor. „Außerdem hat er uns die Arbeiter beschafft.“

Delinda lächelte Retief an. „Wir waren anfangs skeptisch — Zweitausend Boganer, die sich über abhanden gekommenes Gepäck ärgerten. Aber dann hatten sie Spaß an der Lese.“

„Und an unseren Mädchen“, fügte Hank hinzu. „Wenn Bo- ganier keine Waffen haben, sind sie gar nicht so übel. Viele werden hierbleiben, denn unsere Mädchen mögen die Burschen auch. — Schade, daß Sie nichts von Ihrer Ankunft mitteilten, Retief. Ich hätte einen großen Bahnhof für Sie inszeniert.“

„War mir lieber so. Außerdem erfolgte meine Abreise sehr plötzlich. Mr. Magnan entschied gleich nach seiner Rückkehr, daß ich hier weit vom Schuß Erfahrungen sammeln sollte.“

„Sie haben ziemlich selbständig gehandelt. Wir danken es Ihnen, Mr. Retief. Delinda, kümmere dich um unseren Gast, ich muß zur Weinprobe. Entschuldigen Sie mich bitte.“

„Gratuliere, Mr. Retief!“ Delinda lächelte betörend. „Sie waren unerreicht bei der Lese. Es freut mich sehr, daß Sie den Preis bekommen.“

„Ich habe Sie auch hin und her flitzen sehen in Ihrem Nachthemdchen. Schade, daß Sie keine Chance hatten, den Preis zu gewinnen. Warum pflückten Sie nicht mit?“

„Wozu?“ Delinda nahm Retiefs Hand. „Ich bin der Preis.“

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