»Sinnlos«, sagte Lamont heftig. »Ich habe überhaupt nichts erreicht.« Er trug einen düsteren Ausdruck zur Schau, der durch seine tiefliegenden Augen und sein etwas asymmetrisches, hervorstechendes Kinn noch unterstrichen wurde. Auch bei guter Laune umgab ihn dieser Hauch von Düsterkeit, doch gut gelaunt war er jetzt wahrlich nicht. Sein zweites offizielles Gespräch mit Hallam war ein noch größeres Fiasko gewesen als das erste.
»Tu nicht so dramatisch«, meinte Myron Bronowski beschwichtigend. »Du hast mir selbst gesagt, du hättest eigentlich gar nichts anderes erwartet.« Er warf Erdnüsse in die Luft und fing sie mit seinen breiten Lippen unfehlbar wieder auf. Er war nicht groß und nicht gerade dünn.
»Das macht es nicht angenehmer. Aber du hast recht — es ist im Grunde egal. Ich habe andere Möglichkeiten, die ich nutzen kann und nutzen werde, und außerdem verlasse ich mich auf dich. Wenn du nur herausfinden könntest.«
»Hör auf. Ich kenne die Litanei. Ich soll die Gedankenwelt einer nichtmenschlichen Intelligenz aufschlüsseln — als ob nichts einfacher wäre als das.«
»Einer ›Vermenschlichten‹ Intelligenz. Die Wesen aus dem Parauniversum versuchen sich uns verständlich zu machen.«
»Das mag schon sein«, seufzte Bronowski, »aber sie versuchen es durch meine Intelligenz, die ich manchmal auch für übermenschlich halte, wenn auch nur ein bißchen. Oft grüble ich spät in der Nacht darüber nach, ob sich verschiedenartige Intelligenzen untereinander verständigen können. Wenn ich einen besonders schlimmen Tag hinter mir habe, frage ich mich auch, ob der Begriff verschiedenartige Intelligenzen überhaupt eine Bedeutung hat.«
»Das hat er«, entgegnete Lamont betont und ballte in den Taschen seines Laborkittels sichtlich die Fäuste. »Hallam und ich fallen unter diesen Begriff. Dieser Blödian und Superheld Dr. Frederick Hallam und ich. Wir sind verschiedenartige Intelligenzen, denn wenn ich mit ihm rede, versteht er mich nicht. Sein Idiotengesicht läuft rot an, die Augen treten hervor, und sein Gehörgang wird blockiert. Ich würde auch noch behaupten, sein Gehirn hört auf zu funktionieren, wenn ich sicher wüßte, daß es da überhaupt einen Prozeß gibt, der aufhören könnte.«
Bronowski sagte leise: »Wie kann man nur so vom Vater der Elektronenpumpe sprechen?«
»Dem angeblichen Vater der Elektronenpumpe. Eine Bastarderzeugung, wie sie im Buche steht! Sein Beitrag dazu war höchst gering! Ich weiß das.«
»Ich auch. Du hast es mir oft genug gesagt.« Bronowski warf eine Erdnuß in die Luft und verfehlte sie nicht.
Es hatte dreißig Jahre zuvor begonnen. Frederick Hallam war damals ein junger Radiochemiker, dessen Doktorarbeit ganz frisch aus der Druckerei kam und der wahrlich nicht den Eindruck machte, als würde er einmal eine welterschütternde Entdeckung machen.
Ausgangspunkt dieser Entdeckung war die Tatsache, daß ein staubiges Reagenzfläschchen auf seinem Bürotisch im Labor stand — ein Fläschchen mit der Aufschrift »Wolfram«. Es gehörte ihm nicht; er hatte nie Gebrauch davon gemacht. Die Flasche war das Erbe eines weit zurückliegenden Tages, an dem ein Vorbenutzer des Büros aus längst vergessenem Grunde Wolfram benötigt hatte. Der Inhalt war auch kein wirkliches Wolfram mehr, sondern bestand aus kleinen, mit einer dicken Oxydschicht überzogenen Kügelchen — grau und staubig. Völlig nutzlos.
Und eines Tages betrat Hallam das Büro (na ja, es war der 3. Oktober 2070, um genau zu sein), machte sich an die Arbeit, hielt kurz vor zehn Uhr inne, starrte verblüfft auf die Flasche und hob sie hoch. Sie war unverändert staubig, das Etikett verblaßt wie eh und je, doch er rief aus: »Verdammt — wer, zum Teufel, hat daran herumgespielt?«
So lautete jedenfalls Denisons Schilderung, der den Ausruf hörte und ihn eine Generation später an Lamont weitergab. Die Story über die Entdeckung, wie sie in den Büchern steht, verschweigt die genaue Ausdrucksweise. Dort wird eher der Eindruck eines scharfäugigen Chemikers vermittelt, der auf eine Veränderung stößt und sofort tiefschürfende Schlußfolgerungen daraus zieht.
So war es aber nicht. Hallam hatte keine Verwendung für das Wolfram, das ihm also nichts bedeutete, und falls sich jemand daran vergriffen hatte, konnte ihn das unmöglich tangieren. Er verabscheute es jedoch zutiefst (wie so viele), wenn sich jemand an seinem Schreibtisch zu schaffen machte, und er traute anderen zu, diesem Laster aus reiner Boshaftigkeit systematisch zu frönen.
Niemand gab zu, von der Sache zu wissen. Benjamin Allan Denison, der Hallams ärgerlichen Ausruf hörte, hatte sein Büro direkt auf der anderen Seite des Korridors. Beide Türen standen, wie immer, offen. Er blickte auf und begegnete Hallams anklagendem Blick.
Er mochte Hallam nicht besonders (niemand tat das sonderlich), und er hatte in der letzten Nacht schlecht geschlafen. Wie er sich später erinnerte, freute es ihn, jemanden gefunden zu haben, an dem er sich auslassen konnte, und Hallam war das geeignete Opfer.
Als Hallam ihm das Fläschchen vor das Gesicht hielt, wich Denison mit unverhohlenem Ekel zurück. »Warum, zum Teufel, sollte ich mich für Ihr Wolfram interessieren?« fragte er. »Wer sollte sich überhaupt dafür interessieren? Schauen Sie sich die Flasche doch an — sie ist seit zwanzig Jahren nicht geöffnet worden, und wenn Sie sie nicht mit Ihren Schmierpfoten angetatscht hätten, könnten Sie auch sehen, daß niemand sie berührt hat.«
Hallam errötete aufgebracht. »Hören Sie, Denison«, sagte er gepreßt, »jemand hat den Inhalt ausgetauscht. Das hier ist nicht das Wolfram.«
Denison gestattete sich ein kurzes, deutliches Schnauben. »Woher wollen Sie das wissen?«
Aus solchem Stoff, aus kleinkariertem Ärger und zielloser Attacke, wird Geschichte geschmiedet.
Es war jedenfalls eine höchst unpassende Bemerkung. Denisons Universitätsabschluß, nicht minder frisch als Hallams Diplom, war ungleich eindrucksvoller ausgefallen, und Denison galt als der helle Kopf in der Abteilung. Hallam wußte das, und — was schlimmer war — Denison wußte es auch und machte kein Hehl daraus. Denisons »Woher wollen Sie das wissen« und die unmißverständliche Betonung des »Sie« reichten aus, um die nachfolgenden Ereignisse auszulösen. Ohne diese Frage wäre Hallam niemals der größte und am meisten gefeierte Wissenschaftler der Geschichte geworden um es so zu formulieren, wie sich Denison später in einem Gespräch mit Lamont ausdrückte.
Nach offizieller Lesart war Hallam an jenem schicksalsträchtigen Morgen in sein Labor gekommen, hatte das Fehlen der staubigen Körnchen festgestellt — von denen nicht einmal der Staub an der Innenseite der Flasche zurückblieb — und an ihrer Stelle ein blankes, eisengraues Metall bemerkt. Natürlich ging er der Sache sofort nach und…
Aber lassen wir die offizielle Version beiseite. In Wirklichkeit bildete Denison den ausschlaggebenden Faktor. Hätte er sich auf eine einfache Verneinung oder ein Achselzucken beschränkt, wäre Hallam wahrscheinlich nach einer Umfrage das unerklärliche Ereignis schnell leid geworden, hätte die Flasche zur Seite gestellt und der Tragödie ihren Lauf gelassen — einer Tragödie, die entweder langsam oder plötzlich eingetreten wäre (je nachdem, wie lange sich die Entdeckung schließlich noch hinauszögerte). Auf jeden Fall wäre es nicht Hallam gewesen, den der entstehende Wirbel nach oben getrieben hätte.
Das herablassende »Woher wollen Sie das wissen?« ließ Hallam jedoch keine andere Wahl, als wütend zu erwidern: »Ich zeig’s Ihnen, daß ich es weiß!«
Und danach konnte ihn nichts und niemand mehr vom Äußersten abhalten. Die Analyse des Metalls in dem alten Glas wurde zu seiner vordringlichsten Aufgabe, und sein vornehmstes Ziel war es, den hochmütigen Ausdruck von Denisons spitznasigem Gesicht zu fegen und das ständige höhnische Lächeln seiner Lippen auszulöschen.
Denison vergaß diesen Augenblick nie, denn es war seine Bemerkung, die Hallam schließlich den Nobelpreis einbrachte und ihn selbst in Vergessenheit geraten ließ.
Er konnte natürlich nicht wissen (oder wenn er es wußte, scherte es ihn damals nicht), daß Hallam von überwältigender Sturheit sein konnte, jenem ängstlichen Bedürfnis aller Mittelmäßigen, Front zu wahren — eine Sturheit, die in diesem Augenblick mehr bewirken konnte als Denisons natürlicher Scharfsinn.
Hallam trat sofort und auf dem direktesten Wege in Aktion. Er brachte sein Metall in die massenspektrographische Abteilung, was für ihn als Strahlungschemiker ein ganz natürliches Vorgehen war. Er kannte die Techniker dort, hatte schon mit ihnen zusammengearbeitet, und er war energisch. So energisch, daß seine Probe anderen, weitaus älteren und wichtigeren Projekten vorgezogen wurde.
Tracy, der Mann am Massenspektrograph, sagte schließlich: »Nun, Wolfram ist es nicht.«
Hallams breites, humorloses Gesicht verzog sich zu einem strengen Lächeln. »Gut. Das sagen wir unserem klugen Köpfchen Denison. Ich möchte einen Bericht, und…«
»Moment noch, Dr. Hallam. Ich sage zwar, es ist kein Wolfram, aber das heißt nicht, daß ich weiß, was es ist.«
»Was soll das — Sie wissen nicht, was es ist?«
»Ich meine, die Ergebnisse sind einfach lächerlich.« Der Techniker überlegte einen Augenblick. »Sie sind sogar unmöglich. Die spezifische Ladung stimmt überhaupt nicht.«
»Inwiefern nicht?«
»Zu hoch. Einfach unmöglich.«
»Nun«, sagte Hallam — und welche Motive ihn auch bewegten, seine nächste Bemerkung brachte ihn auf den Weg zum Nobelpreis, verdientermaßen, könnte man sogar sagen. »Nun, dann stellen Sie die Frequenz der charakteristischen XStrahlung des Stoffes fest und bestimmen die Ordnungszahl. Sitzen Sie hier nicht herum und reden von unmöglichen Sachen.«
Nach einigen Tagen suchte der Techniker ziemlich aufgeregt Hallam in dessen Büro auf.
Hallam ignorierte den besorgten Gesichtsausdruck des anderen — er war niemals feinfühlig — und fragte: »Haben Sie« — Er warf nun seinerseits einen besorgten Blick auf Denison, der am Tisch seines Labors gegenüber saß, und schloß die Tür. »Haben Sie die Ordnungszahl festgestellt?«
»Ja, aber sie stimmt nicht.«
»Na gut, Tracy. Dann versuchen Sie’s eben noch mal.«
»Aber ich habe es schon mehr als ein dutzendmal versucht. Sie kommt nicht hin.«
»Wenn Sie’s so gemessen haben — gut. Gegen Tatsachen sollten Sie nicht anreden.«
Tracy rieb sich am Ohr und erwiderte: »Aber ich muß, Doc. Wenn ich von meinen Ergebnissen ausgehe, haben Sie mir da Plutonium-186 in die Hand gedrückt.«
»Plutonium-186? Plutonium-186?«
»Die Ordnungszahl ist 94. Die Massenzahl 186.«
»Aber das ist unmöglich. Ein solches Isotop gibt es nicht. Unmöglich.«
»Sage ich Ihnen doch. Aber das ergeben die Messungen.«
»Da fehlen doch über fünfzig Neutronen im Atomkern. Das kann unmöglich Plutonium-186 sein. 94 Protonen mit nur 92 Neutronen in einem Kern würden nicht einmal eine Trillionstelsekunde zusammenhalten.«
»Das sage ich ja, Doc«, wiederholte Tracy geduldig. Und nun begann Hallam eingehend nachzudenken. Ihm fehlte Wolfram, und eines der Isotope dieses Elements, Wolfram-186, war stabil. Wolfram-186 hatte im Kern 74 Protonen und 112 Neutronen. War es denkbar, daß sich zwanzig Neutronen in zwanzig Protonen verwandelt hatten? Im Grunde doch unmöglich.
»Irgendwelche Spuren von Radioaktivität?« fragte Hallam, auf der verzweifelten Suche nach einem Ausweg aus dem Durcheinander.
»Nein, das Zeug ist stabil«, erwiderte der Techniker. »Absolut stabil.«
»Dann kann es auch nicht Plutonium-186 sein.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Doc.«
Hallam sagte hoffnungslos: »Na gut, geben Sie mir die Probe.«
Wieder allein, starrte er die Flasche bestürzt an. Das am wenigsten unstabile Plutonium-Isotop war Plutonium-240, in dem 146 Neutronen benötigt wurden, um die 94 Protonen mit annähernder Stabilität zusammenzuhalten.
Was konnte er nun tun? Er wußte nicht weiter, und es tat ihm schon leid, daß er die Sache überhaupt angeschnitten hatte. Immerhin warteten dringende Arbeiten auf ihn, und diese Sache, dieses Geheimnis, war überhaupt nicht sein Bier. Tracy hatte irgendeinen dummen Fehler gemacht, oder der Massenspektrograph war nicht in Ordnung, oder…
Na, also! Vergiß die ganze Sache! sagte er zu sich selbst.
Nur brachte Hallam das nicht fertig. Früher oder später würde Denison in sein Büro herüberkommen und mit seinem aufreizenden Lächeln nach dem Wolfram fragen. Was konnte Hallam dann erwidern? »Es ist kein Wolfram, wie ich Ihnen schon sagte?«
Bestimmt würde Denison darauf fragen: »Oh, aber was ist es dann?« Jede Ankündigung, es handele sich um Plutonium-186, hätte unweigerlich Hohn und Spott heraufbeschworen, dem sich Hallam um nichts in der Welt ausgesetzt hätte. Er mußte das Element bestimmen, und zwar allein. Ganz offensichtlich konnte er niemandem trauen.
Etwa zwei Wochen später betrat er Tracys Labor — in einem Zustand, der sich als hochgradig aufgebracht bezeichnen läßt.
»He, haben Sie mir nicht gesagt, das Zeug wäre nicht radioaktiv?«
»Was für Zeug?« fragte Tracy automatisch, ehe es ihm wieder einfiel.
»Na, das Zeug, das Sie Plutonium-186 nannten.«
»Oh. Also, es war stabil.«
»Etwa so stabil wie Ihr Geisteszustand, will mir scheinen. Wenn Sie das als strahlungsfrei bezeichnen, sollten Sie sich mal als Klempnergeselle versuchen.«
Tracy runzelte die Stirn. »Okay, Doc. Schauen wir’s uns an.« Und dann sagte er: »Tatsächlich! Es ist radioaktiv. Nur eine Spur, aber kein Zweifel möglich. Ich verstehe nicht, wie ich das übersehen konnte.«
»Und wie weit kann ich Ihnen nun das Plutonium-186 noch abnehmen?«
Die Angelegenheit ließ Hallam nicht mehr los. Das Geheimnis war so ärgerlich, daß er es fast schon als persönliche Beleidigung auffaßte. Wer immer die Flasche oder ihren Inhalt ausgewechselt hatte, mußte entweder ein zweitesmal am Werk gewesen sein oder ein Metall geschaffen haben, das einzig und allein dazu da war, einen Narren aus ihm zu machen. Wie dem auch sein mochte — um das Problem zu lösen, war er bereit, die Welt auf den Kopf zu stellen.
Mit einer Eindringlichkeit, die sich nicht so ohne weiteres übergehen ließ, wandte er sich direkt an G. C. Kantrowitsch, der damals im letzten Jahr seiner ziemlich bemerkenswerten Karriere stand. Kantrowitsch ließ sich nur schwer für eine Sache einspannen, doch wenn man ihn einmal dazu überredet hatte, fing er schnell Feuer.
Zwei Tage später stürmte er in heller Aufregung zu Hallam ins Büro. »Haben Sie das Zeug mit der Hand angefaßt?«
»Kaum«, antwortete Hallam.
»Also, das sollten Sie auch bleibenlassen. Wenn Sie noch mehr davon haben, lassen Sie die Hände davon. Es strahlt Positronen ab.«
»Oh?«
»Die kräftigsten Positronen, die ich je erlebt habe… Und Ihre Radioaktivitätsmessungen sind zu niedrig.«
»Zu niedrig?«
»Entschieden. Was mir aber zu schaffen macht, ist die Tatsache, daß jede neue Messung ein wenig höher ausfällt als die letzte.«
In der Riesentasche seines Jacketts stieß Bronowski auf einen Apfel und biß hinein. »Okay, du hast mit Hallam gesprochen und bist — wie erwartet — rausgeschmissen worden. Was nun?«
»Ich bin noch unentschlossen. Auf jeden Fall soll er gehörig auf die Nase fallen. Du weißt ja, daß ich schon einmal bei ihm gewesen bin, vor Jahren, als ich noch neu hier war, als ich ihn noch für einen großen Mann hielt. Einen großen Mann… Er ist der große Schurke in der Geschichte der Wissenschaft. Er hat die Geschichte der Pumpe neu geschrieben, weißt du, hier oben neu geschrieben.« Lamont tippte sich an die Schläfe. »Er glaubt seine eigene Spinnerei und kämpft mit krankhafter Wut darum. Er ist ein Zwerg, der nur ein Talent besitzt — die Fähigkeit, andere zu überzeugen, daß er ein Riese ist.«
Lamont sah Bronowski an, dessen breites, gelassenes Gesicht nun amüsiert verzogen war, und zwang sich zu einem Lachen. »Ja, ja, das hilft alles nichts, und ich hab’s dir sowieso schon erzählt.«
»Hundertmal«, stimmte ihm Bronowski zu.
»Trotzdem verwirrt es mich, daß die ganze Welt…«
Als Hallam zum erstenmal das veränderte Wolfram in die Hand nahm, war Peter Lamont gerade zwei Jahre alt. Dreiundzwanzig Jahre später gehörte Lamont bereits zum Personal der Pumpstation I — der Druck seiner Doktorarbeit war noch ganz frisch und nahm gleichzeitig einen Ruf an die Physikalische Fakultät der Universität an.
Das war eine bemerkenswerte Bestätigung für den jungen Mann. Die Pumpstation I ließ noch etwas den Glanz späterer Stationen vermissen, doch sie war der Vorläufer aller anderen, der gesamten Kette, die jetzt den ganzen Planeten umspannte, obwohl die diesbezügliche Technologie erst wenige Jahrzehnte alt war. Noch nie hatte sich eine wichtige technische Neuerung so schnell und umfassend durchgesetzt, aber warum auch nicht? Sie brachte Energie — kostenlos, grenzenlos, problemlos. Sie war der Weihnachtsmann und die Wunderlampe der ganzen Welt.
Obwohl Lamont den Posten übernommen hatte, um sich mit Problemen höchster theoretischer Abstraktion zu befassen, interessierte er sich bald für die erstaunliche Geschichte der Entwicklung der Elektronenpumpe. Sie war noch von keinem Autoren zusammenhängend dargestellt worden, der die dahinterstehenden theoretischen Prinzipien begriff (soweit diese überhaupt verständlich waren) und der gleichzeitig die Fälligkeit besaß, der Allgemeinheit darzulegen, worum es dabei ging. Natürlich hatte Hallam selbst eine Anzahl Artikel für die Massenmedien geschrieben, die jedoch keine zusammenhängende, ausgereifte Geschichte darstellten — etwas, das Lamont sehr gern vorgelegt hätte.
Er nahm Hallams Abhandlungen als Basis, dazu andere veröffentlichte Unterlagen — gewissermaßen die offiziellen Dokumente, und versuchte mit deren Hilfe zu ergründen, wie Hallam zu seiner umwälzenden Bemerkung gelangt war, zu der Großen Einsicht, wie sie (stets im Schrägdruck) genannt wurde.
Als er seine ersten Illusionen verloren hatte, begann Lamont natürlich tiefer zu graben, und dabei ergab sich für ihn die Frage, ob Hallams große Bemerkung wirklich die seine gewesen war. Sie war während des Seminars gefallen, das den eigentlichen Beginn der Ära der Elektronenpumpe darstellte und über das — wie es sich herausstellte — Einzelheiten nur außerordentlich schwer in Erfahrung zu bringen waren. Überhaupt unmöglich schien es, an die Tonbandaufzeichnungen heranzukommen.
Schließlich begann Lamont zu vermuten, daß die Abdrücke, die das Seminar im Sand der Zeit hinterlassen hatte, nicht nur zufällig so schwach waren. Verschiedene Einzelheiten, geschickt verbunden, ließen mit einiger Sicherheit annehmen, daß John F. X. McFarland etwas geäußert hatte, was Hallams Schlüsselbemerkung sehr nahekam — und daß das vorher geschehen war. Er suchte McFarland auf, der in den offiziellen Berichten überhaupt nicht vorkam und der jetzt mit der Erforschung der höheren Atmosphäre, unter besonderem Bezug auf die solaren Winde, beschäftigt war. Es war keine übermäßig wichtige Arbeit, doch sie hatte ihre Vorteile, und sie bezog sich nicht unerheblich auf Effekte der Pumpe. McFarland hatte es sichtlich verstanden, dem Schicksal des Vergessens, wie es Denison befallen hatte, aus dem Weg zu gehen.
Er begrüßte Lamont höflich und erklärte sich bereit, über jedes Thema mit ihm zu sprechen — nur nicht über die Ereignisse des Seminars. Daran erinnerte er sich einfach nicht mehr.
Lamont faßte nach und legte die Beweise offen, die er gesammelt hatte.
McFarland brachte eine Pfeife zum Vorschein, füllte sie, beäugte eingehend ihren Inhalt und sagte mit seltsamer Betonung: »Ich möchte mich nicht erinnern, weil es egal ist, wirklich egal. Nehmen wir einmal an, ich behaupte, in diesem Zusammenhang etwas Wesentliches gesagt zu haben. Niemand würde mir glauben. Ich stünde wie ein Idiot da — wie ein größenwahnsinniger Idiot.«
»Und Hallam würde dafür sorgen, daß Sie in den Ruhestand kämen?«
»Das will ich nicht behaupten, aber ich wüßte auch nicht, welchen Vorteil mir so etwas bringen könnte. Was macht es schon aus?«
»Es geht um die geschichtliche Wahrheit!« erwiderte Lamont.
»Ach, Unsinn! Die geschichtliche Wahrheit besteht darin, daß Hallam einfach nicht lockerließ. Er trieb jeden an, der Sache nachzugehen — ob er wollte oder nicht. Ohne ihn wäre das Wolfram irgendwann explodiert und hätte wer weiß wie viele Todesopfer gefordert. Vielleicht hätten wir kein zweites Muster in die Hand bekommen, und es hätte die Pumpe nie gegeben. Hallam hat die allgemeine Anerkennung hierfür verdient, selbst wenn er sie nicht verdient, und wenn Ihnen das unverständlich vorkommt, kann ich es auch nicht ändern, weil Geschichte eben selten einen Sinn ergibt.«
Lamont war damit nicht zufrieden, doch er konnte nichts machen, denn McFarland wollte einfach nicht weiter darüber sprechen.
Geschichtliche Wahrheit!
Ein Stück geschichtliche Wahrheit, das außer Frage stand, war jedenfalls die Tatsache, daß allein die Radioaktivität des ›Hallam-Wolfram‹ (wie es später allgemein genannt wurde) in das Blickfeld der Öffentlichkeit rückte. Dabei war nicht wichtig, ob es nun wirklich Wolfram war oder nicht oder ob man daran herumgepfuscht hatte; auch interessierte niemanden, ob es sich um ein unmögliches Isotop handelte oder nicht. Alle diese Fragen wurden unwesentlich angesichts der verblüffenden Tatsache, daß die Substanz eine ständig ansteigende Radioaktivität aufwies unter Bedingungen, die die Existenz jeder Art radioaktiven Zerfalls, in welchen Stufen auch immer, soweit damals bekannt, ausschlössen.
Jedenfalls meinte Kantrowitsch eine Weile nach der Entdeckung dieser Substanz, daß das Zeug verteilt werden sollte. Wenn es in größeren Brocken liegengelassen werde, löse es sich vielleicht auf oder explodiere — oder beides — und verseuche die halbe Stadt.
So wurde der Fund also zu Pulver zerstampft und in kleinen Mengen an verschiedenen Orten aufbewahrt; zuerst vermischte man das Pulver mit gewöhnlichem Wolfram und schließlich, als auch dieses Wolfram radioaktiv wurde, mit Graphit, das der Strahlung einen niedrigeren Wirkungsquerschnitt bot.
Kaum acht Wochen, nachdem Hallam die Veränderung des Flascheninhalts bemerkt hatte, verkündete Kantrowitsch in einem Brief an den Redakteur der Nuclear Reviews, unter Angabe Hallams als Mitautor, die Existenz von Plutonium-186. Tracys ursprüngliche Messung fand auf diese Weise Bestätigung, doch sein Name wurde weder dann noch später erwähnt. Damit begann das Hallam-Wolfram seinen Zug um die Welt, und Denison begann die Veränderungen zu spüren, die ihn schließlich in den Hintergrund abdrängten.
Die Existenz des Plutonium-186 an und für sich war schon schlimm genug. Daß es aber zuerst stabil gewesen war und dann eine ansteigende Radioaktivität an den Tag legte, war viel schlimmer. Es wurde ein Seminar organisiert, das sich des Problems annehmen sollte. Kantrowitsch übernahm die Leitung, was ein interessanter historischer Umstand ist, denn zum letztenmal in der Geschichte der Elektronenpumpe wurde damit eine wichtige Versammlung zu diesem Thema einberufen, bei der Hallam nicht die Leitung innehatte. Es sei angemerkt, daß Kantrowitsch fünf Monate später starb und daß damit die einzige Persönlichkeit dahinschied, deren Prestige Hallam noch in die Schranken weisen konnte.
Die Zusammenkunft war bis zu Hallams Großer Einsicht außerordentlich fruchtlos verlaufen, doch nach der von Lamont rekonstruierten Version kam der eigentliche Wendepunkt in der Mittagspause. Zu der Zeit nämlich äußerte sich McFarland, dem in den offiziellen Berichten keinerlei Bemerkungen zugeschrieben wurden, wenn er auch als Teilnehmer verzeichnet war. McFarland sagte: »Wissen Sie, was wir hier brauchen, ist ein bißchen Phantasie. Nehmen wir einmal an…«
Er sprach mit Diderick van Klemens, und van Klemens hielt das Gespräch bruchstückhaft in einer sehr persönlichen Kurzschrift fest. Als Eamont diese Notizen endlich auftrieb, war van Klemens längst tot, und obwohl sie Lamont überzeugten, mußte er zugeben, daß sie ohne weitere Erhärtung keine sehr glaubhafte Geschichte ergaben. Überdies konnte er nicht beweisen, daß Hallam die Bemerkung mitgehört hatte. Lamont hätte bereitwillig ein Vermögen darauf gewettet, daß sich Hallam in Hörweite befand, doch diese Bereitwilligkeit ersetzte noch keinen Beweis.
Und einmal angenommen, Lamont konnte den Beweis antreten. Das mochte zwar Hallam in seinem unmäßigen Stolz verletzen, doch seine Position war damit nicht zu erschüttern. Man würde behaupten, McFarland habe seine Bemerkung eben nur als Phantasiegebilde aufgefaßt und es sei erst Hallam gewesen, der mehr darin sah. Es sei Hallam gewesen, der es fertigbrachte, sich vor die Gruppe hinzustellen, es offen auszusprechen und den Spott zu riskieren, der sich einzig und allein gegen ihn gerichtet hätte. McFarland selbst wäre es bestimmt nicht eingefallen, seine »kleine Phantasterei« zu Protokoll zu geben.
Lamont hätte darauf erwidern können, daß McFarland ein bekannter Atomphysiker war, der einen Ruf zu verlieren hatte, während sich Hallam als junger Strahlungschemiker auf dem Gebiet der Atomphysik beliebig äußern konnte und als Außenseiter Verständnis finden würde.
Wie dem auch sei — der offiziellen Niederschrift zufolge sagte Hallam: »Meine Herren, wir kommen einfach nicht weiter. Ich möchte daher einen Vorschlag machen, nicht weil er notwendigerweise einen Sinn ergibt, sondern weil er meines Erachtens weniger unsinnig ist als alles hier bisher Gesagte… Wir sehen uns mit einer Substanz konfrontiert, Plutonium-186, die eigentlich überhaupt nicht existieren dürfte — geschweige denn als auch nur vorübergehend stabile Substanz, wenn die Naturgesetze überhaupt etwas bedeuten sollen. Daraus folgt also: Da sie unzweifelhaft existiert und zu Anfang auch als stabile Substanz existiert, muß sie, zumindest im Anfang, auch an einem Ort oder in einer Zeit oder unter Bedingungen existiert haben, wo die Naturgesetze nicht die gleichen sind wie in unserem Universum. Kurz gesagt, die Substanz, die wir hier untersuchen, stammt nicht aus unserem Universum, sondern aus einem anderen, einem alternativen Universum, einem Paralleluniversum. Nennen Sie es, wie Sie wollen.
Als die Substanz dann hier auftauchte — und ich will nicht behaupten, ich wüßte, wie der Übertritt vor sich gegangen ist, war sie noch stabil, und ich möchte meinen, das lag daran, daß sie die Gesetze ihres Heimatuniversums mit sich brachte. Daß sie langsam radioaktiv wurde und ihre Radioaktivität dann immer mehr zunahm, bedeutet möglicherweise, daß die Gesetze unseres Universums nach und nach in die Substanz eindrangen, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Ich weise darauf hin, daß zur gleichen Zeit, als das Plutonium-186 auftauchte, eine bestimmte Menge Wolfram verschwand, die aus mehreren stabilen Isotopen, darunter Wolfram-186, bestand. Vielleicht ist diese Menge in das Paralleluniversum hinübergeglitten. Immerhin ist es logisch anzunehmen, ein Masse-Austausch sei einfacher als ein einseitiger Transport. Im Paralleluniversum ist Wolfram-186 vielleicht so ungewöhnlich wie Plutonium-186 hier. Wolfram-186 mag dort zu Beginn stabil sein und dann langsam zunehmend radioaktiv werden. Es mag dort als Energiequelle dienen, so wie uns das Plutonium-186 hier Energie liefern würde.«
Seine Zuhörer mußten mit beträchtlichem Erstaunen gelauscht haben, denn eine Unterbrechung ist nicht verzeichnet, wenigstens nicht bis zu den soeben zitierten Sätzen, nach denen Hallam anscheinend innehielt, um Atem zu schöpfen und sich vielleicht über seine eigene Tollkühnheit zu wundern.
Aus dem Publikum stellte jemand die Frage, ob Professor Hallam andeuten wolle, eine intelligente Kraft im Parauniversum habe den Austausch absichtlich vorgenommen, um eine Energiequelle zu erschließen. Der Ausdruck Parauniversum, anscheinend eine Abkürzung von »Paralleluniversum«, wurde damit in die Sprache eingeführt. Den Aufzeichnungen nach fand er in dieser Frage zum erstenmal Verwendung.
Es folgte eine Pause. Dann sagte Hallam, mutiger denn je — und das war der Kernpunkt seiner Großen Einsicht: »Ja, das glaube ich, und ich glaube, daß die Energiequelle nicht nutzbar gemacht werden kann, solange Universum und Parauniversum nicht eng zusammenarbeiten, wobei jedes die Hälfte einer Pumpe baut, die Energie von drüben zu uns herüber und von uns auf die andere Seite transportiert. Dieser Energieaustausch wird durch den Unterschied in den Naturgesetzen der beiden Universen möglich.«
Hallam hatte das Wort »Parauniversum« übernommen und machte es sich an diesem Punkt zu eigen. Außerdem gebrauchte er als erster das Wort »Pumpe« im Zusammenhang mit dem Thema.
Der offizielle Bericht möchte gern den Eindruck hervorrufen, als wäre Hallams Äußerung sofort auf Gegenliebe gestoßen, doch das war nicht der Fall. Diejenigen, die überhaupt darüber sprechen wollten, legten sich nur insoweit fest, als sie es für eine amüsante Spekulation hielten. Wesentlich war, daß Kantrowitsch kein Wort sagte. Und das war ausschlaggebend für Hallams Karriere.
Hallam konnte die theoretischen und praktischen Konsequenzen seines Vorschlags natürlich nicht allein verfolgen. Dazu war ein ganzes Team erforderlich, das nun zusammengestellt wurde. Doch kein Mitglied dieses Teams bekannte sich offen zu der Theorie, bis es zu spät war. Als dann der Erfolg feststand, war er in den Augen der Öffentlichkeit natürlich ein Erfolg Hallams und niemandes sonst. Für alle Welt war es Hallam und Hallam allein, der die Substanz entdeckt hatte, der die Große Einsicht gehabt und geäußert hatte, und es war deshalb auch Hallam, der zum Vater der Elektronenpumpe gekürt wurde.
In der Folge wurden in verschiedenen Laboratorien einladend Wolframkügelchen ausgelegt. In jedem zehnten Fall erfolgte der Transfer, und neue Mengen Plutonium-186 trafen ein. Auch andere Elemente wurden als Köder bereitgehalten, doch nicht angenommen… Aber wo immer das Plutonium-186 auftauchte, und wer es auch an die zentrale Forschungsstelle weiterleitete, die an dem Problem arbeitete — immer war es für die Öffentlichkeit ein zusätzlicher Brocken »Hallam-Wolfram«.
Wieder war es Hallam, der der Öffentlichkeit einige weitere Aspekte seiner Theorie erfolgreich präsentierte. Zu seiner größten Überraschung (wie er später behauptete) erwies er sich als gewandter Autor, und die vereinfachende Darstellung der Materie machte ihm Spaß. Außerdem hat jeder Erfolg seine eigene Trägheit, und die Öffentlichkeit wollte weitere Informationen über das Projekt nur von Hallam entgegennehmen.
In einem längst berühmt gewordenen Artikel in einem Wochenend-Magazin schrieb er: »Wir wissen nicht zu sagen, in welchen Details sich die Gesetze des Parauniversums von den unseren unterscheiden, doch wir können mit einiger Sicherheit vermuten, daß die starke nukleare Wechselwirkung, die in unserem Universum die stärkste bekannte Kraft ist, im Parauniversum sogar noch stärker ausfällt — vielleicht hundertmal stärker. Das bedeutet, daß Protonen leichter gegen ihre elektrostatische Anziehung zusammengehalten werden und daß ein Kern zur Erlangung der Stabilität weniger Neutronen braucht.
Plutonium-186, im anderen Universum stabil, enthält viel zu viele Protonen — oder nicht genügend Neutronen, um in unserem Universum mit seiner geringeren nuklearen Wechselwirkung stabil zu sein. In unserem Universum angekommen, beginnt das Plutonium-186 Positronen abzustrahlen und dabei Energie freizugeben, und mit jedem ausgestrahlten Positron wird innerhalb eines Kerns ein Proton in ein Neutron umgewandelt. Schließlich sind zwanzig Protonen pro Kern zu Neutronen verändert, und Plutonium-186 ist zu Wolfram-186 geworden, das nach den Gesetzen unseres Universums stabil ist. Durch diesen Prozeß sind zwanzig Positronen pro Kern abgesondert worden. Diese stoßen auf zwanzig Elektronen, verbinden sich mit ihnen, vernichten sie und setzen dadurch weitere Energie freiden sich mit ihnen, vernichten sie und setzen dadurch weitere Energie frei, so daß mit jedem uns geschickten Plutionium-186-Kern unser Universum zwanzig Elektronen verliert.
Inzwischen ist das Wolfram-186, das in das Parauniversum eindringt, dort aus entgegengesetztem Grunde instabil. Nach den fremden Gesetzen hat es zu viele Neutronen oder nicht ausreichend Protonen. Die Kerne des Wolfram-186 beginnen Elektronen abzustrahlen und setzen dabei beständig Energie frei, und mit jedem ausgestrahlten Elektron verwandelt sich ein Neutron in ein Proton, bis das Ganze zum Schluß zu Plutonium-186 geworden ist. Mit jedem in das Parauniversum geschickten Wolfram 186-Kern wird es auch um zwanzig neue Elektronen angereichert.
Das Plutonium/Wolfram kann seinen Zyklus zwischen Universum und Parauniversum endlos vollziehen und erbringt dabei zuerst Energie im einen und dann im anderen Universum, wobei mit jedem Umlauf pro Kern zwanzig Elektronen von unserem Universum in das andere verbracht werden. Beide Seiten können aus diesem Austausch Energie gewinnen, wenn er durch den Bau einer Inter-Universum-Elektronenpumpe in die Tat umgesetzt wird.«
Die Verwirklichung dieser Idee und die Einrichtung der Elektronenpumpe als effektive Energiequelle erfolgten mit verblüffender Geschwindigkeit — und jede Stufe dieses Erfolges kam Hallams Prestige zugute.
Lamont hatte zunächst keinen Grund, an der Basis für dieses Prestige zu zweifeln. So machte er sich mit einer gewissen Heldenverehrung daran (eine Erinnerung, die ihm später unangenehm war und die er nicht ohne Erfolg zu unterdrücken suchte), um ein längeres Interview mit Hallam nachzusuchen — in Verbindung mit dem Geschichtswerk, das er plante.
Hallam schien nicht abgeneigt. Im Laufe der Jahre war seine Popularität in derartige Höhen gestiegen, daß man sich fragen mochte, warum er nicht ständig Nasenbluten hatte. Physisch war er imponierend gealtert, wenn er auch nicht mehr der Schlankste war. Sein Körper hatte eine gewisse Schwere, die dem Mann einen Anstrich von Gewichtigkeit gab, und wenn sein Gesicht auch nicht gerade fein geschnitten war, so vermochte er ihm doch einen Hauch intellektueller Gelassenheit zu geben. Noch immer rötete sich sein Nacken sehr schnell, und seine Mimosenhaftigkeit war allseits bekannt.
Hallam hatte sich vor Lamonts Eintritt kurz unterrichten lassen. Er sagte: »Sie sind Dr. Peter Lamont, und wie man mir sagt, haben Sie sich bisher mit gutem Erfolg an der Paratheorie versucht. Ich erinnere mich an Ihre Abhandlung. Über die Paraverschmelzung, nicht wahr?«
»Jawohl, Sir.«
»Nun, dann frischen Sie mein Gedächtnis auf. Erzählen Sie mir davon. Ganz zwanglos natürlich, als sprächen Sie zu einem Laien. Immerhin« — und er lachte leise — »bin ich, genau genommen, tatsächlich Laie. Wie Sie wissen, bin ich Radiochemiker und kein großer Theoretiker, ein paar wenige Ideen hier und da ausgenommen.«
Lamont akzeptierte diese Äußerung damals ohne Vorbehalt, und tatsächlich war sie vielleicht nicht ganz so unverschämt herablassend, wie er sie später im Rückblick sehen wollte. Jedenfalls war sie typisch, wie Lamont später herausfand oder zumindest behauptete, für Hallams Methode, sich aus der Arbeit anderer das Wesentliche herauszugreifen. Er konnte anschließend in anderem Kreise flott über das Thema sprechen, ohne sich allzu große Mühe zu geben oder überhaupt die Anstrengung zu machen, seine Quellen offenzulegen.
Doch Lamont, der zu jenem Zeitpunkt noch ziemlich am Beginn seiner Laufbahn stand, war geschmeichelt und legte sofort mit jener wortreichen Begeisterung los, die man bei der Erläuterung eigener Entdeckungen empfindet. »Ich habe wirklich noch nicht viel erreicht, Dr. Hallam. Die Naturgesetze des Parauniversums abzuleiten, die Paragesetze, ist eine kitzlige Sache. Die Ausgangsbasis ist sehr schmal. Ich machte mir die geringen vorhandenen Kenntnisse zunutze, ohne neue, unbeweisbare Wege einzuschlagen. Mir erscheint es zum Beispiel offensichtlich, daß bei einer stärkeren nuklearen Wechselwirkung die Verschmelzung kleiner Kerne erleichtert wird.«
»Paraverschmelzung«, sagte Hallam.
»Jawohl, Sir. Es ging nun darum, die Einzelheiten abzuleiten. Die mathematischen Berechnungen waren nicht ganz einfach, doch nach ein paar Transformationen schrumpften die Schwierigkeiten zusammen. Es erweist sich zum Beispiel, daß Lithiumhydrid zu einer katastrophalen Verschmelzung angeregt werden kann, bei einer Temperatur, die um vier Größenordnungen tiefer liegt als hier. Bei uns ist die Temperatur einer Atombombe erforderlich, um Lithiumhydrid zur Explosion zu bringen, doch im Parauniversum würde, bildlich gesprochen, eine einfache Dynamitladung ausreichen. Es wäre vielleicht auch denkbar, daß das Lithiumhydrid dort mit einem Streichholz entzündet werden könnte, aber das ist doch nicht sehr wahrscheinlich. Wie Sie wissen, haben wir ihnen Lithiumhydrid angeboten, da die Kernenergie ihnen offenbar ganz selbstverständlich ist, aber sie haben die Finger davon gelassen.«
»Ja, ich weiß.«
»Es wäre offensichtlich zu riskant für sie — so als benutzten sie tonnenweise Nitroglyzerin als Raketentreibstoff, nur schlimmer.«
»Sehr schön. Und Sie schreiben also auch eine Geschichte der Pumpe.«
»Einen allgemein verständlichen Abriß, Sir. Wenn das Manuskript fertig ist, würde ich Sie gern bitten, es zu lesen, damit ich von Ihrer intimen Kenntnis der Ereignisse profitieren kann. Schon heute würde ich Sie gern zu einigen Punkten befragen, wenn Sie ein wenig Zeit für mich hätten.«
»Das läßt sich einrichten. Was möchten Sie wissen?« Hallam lächelte. Es war das letztemal überhaupt, daß er in Lamonts Gegenwart lächelte.
»Die Entwicklung einer nutzbaren Pumpe, Professor Hallam, erfolgte mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit«, begann Lamont. »Als das Pumpenprojekt…«
»Das Inter-Universum-Elektronenpumpen-Projekt«, berichtigte ihn Hallam, noch immer lächelnd.
»Ja, natürlich«, sagte Lamont und räusperte sich. »Ich habe nur die allgemein gebräuchliche Bezeichnung benutzt. Als das, Projekt begonnen hatte, wurden die technischen Einzelheiten in großem Tempo und ohne zeitraubende Umwege entwickelt.«
»Das ist wahr«, erwiderte Hallam mit einem Hauch von Selbstgefälligkeit. »Man hat mir einreden wollen, die Anerkennung hierfür gebühre meiner durchgreifenden und einfallsreichen Projektleitung, doch ich würde es ungern sehen, wenn Sie das in Ihrem Buch zu sehr herausstellten. Jedenfalls hat bei dem Projekt eine Vielzahl fähiger Leute mitgewirkt, und ich möchte nicht, daß der Einsatz einzelner Teammitglieder durch eine Übertreibung meiner Rolle herabgewürdigt wird.«
Lamont schüttelte ein wenig verärgert den Kopf. Er hielt die Bemerkung für unangebracht. Er sagte: »Das meine ich nicht. Ich beziehe mich auf die Intelligenz am anderen Ende — die Paramenschen, um den bekannten Ausdruck zu verwenden. Sie gaben doch den Anstoß. Wir entdeckten sie nach dem ersten Wolfram-Plutonium-Austausch; sie dagegen mußten uns längst ausgemacht haben, um den Austausch überhaupt vornehmen zu können; sie arbeiteten aufgrund einer Theorie ins Blaue hinein — hatten nicht die Hinweise von uns, die sie uns selbst gaben. Und da ist auch die Metallfolie, die sie uns schickten…« Hallams Lächeln war verschwunden, für immer. Er runzelte die Stirn und sagte laut: »Die Symbole wurden nicht entziffert. Nichts an ihnen.«
»Die geometrischen Figuren wurden durchaus entziffert, Sir. Ich habe nachgeschlagen, und es ist ganz offensichtlich, daß sie die Geometrie der Pumpe bestimmten. Es will mir scheinen, als…«
Mit wütendem Schurren fuhr Hallams Stuhl zurück. Er sagte: »Fangen wir erst gar nicht damit an, junger Mann. Wir haben die Arbeit getan, nicht sie.«
»Ja — aber stimmt es denn nicht, daß sie?«
»Daß sie was?«
Lamont wurde sich erst jetzt der Erregung bewußt, die er heraufbeschworen hatte, doch er verstand den Grund dafür nicht. Unsicher sagte er: »Daß sie intelligenter sind als wir — daß sie die eigentliche Arbeit getan haben. Bestehen daran irgendwelche Zweifel, Sir?«
Mit tiefrotem Gesicht hatte sich Hallam hochgestemmt. »Jeder Zweifel!« brüllte er. »Ich dulde hier keinen Mystizismus! Davon schwirrt schon viel zuviel herum! Hören Sie mal, junger Mann, wenn Ihr Geschichtswerk die Meinung vertreten sollte, daß wir Marionetten in der Hand der Paramenschen waren, wird es nicht veröffentlicht werden, geschweige denn von diesem Institut, wenn ich es einrichten kann. Ich lasse es nicht zu, daß die Menschheit und ihre Intelligenz herabgewürdigt und die Paramenschen in den Stand von Göttern erhoben werden.«
Darauf blieb Lamont nur der Rückzug. Er war verwirrt und zutiefst bestürzt, einen solchen Sturm entfacht zu haben, wo er doch nur Hilfe suchte.
Und nun mußte er feststellen, daß seine geschichtlichen Quellen plötzlich versiegten. Leute, die vor einer Woche noch gesprächig gewesen waren, erinnerten sich auf einmal an gar nichts mehr und hatten keine Zeit mehr für Interviews. Lamont war zuerst nur gereizt, dann erfüllte ihn eine zunehmende Wut. Er überarbeitete sein bisher gesammeltes Material mit neuen Augen und begann nun hartnäckig zu insistieren, wo er zuvor nur gefragt hatte. Wenn er dienstlich mit Hallam zusammenkam, runzelte dieser nur die Stirn und schaute durch ihn hindurch, während Lamont seinerseits verächtlich dreinschaute.
In der Folge begann Lamonts Hauptkarriere als Paratheoretiker im Sande zu verlaufen, und er wandte sich entschlossener denn je seiner zweiten Karriere als wissenschaftlicher Historiker zu.
»Dieser verdammte Narr«, murmelte Lamont. »Du hättest ihn sehen sollen, wie er in Panik geriet bei der ersten Andeutung, daß die andere Seite vielleicht die ausschlaggebende Kraft gewesen ist. Wenn ich daran zurückdenke, frage ich mich, weshalb ich nicht von vornherein wußte, daß er so reagieren würde. Sei nur froh, daß du nie mit ihm zusammenarbeiten mußtest.«
»Bin ich auch«, sagte Bronowski gleichgültig. »Obwohl es Momente gibt, da auch du kein Engel bist.«
»Du kannst dich nicht beklagen. Bei deiner Arbeit hast du doch keine Probleme.«
»Und auch kein Interesse. Wer macht sich schon etwas daraus außer mir und fünf anderen auf der Welt? Vielleicht sind es ja auch sechs — wenn du dich erinnerst.«
Eamont hatte es nicht vergessen. »Na ja«, sagte er.
Bronowskis gelassenes Äußere täuschte niemanden, der ihn auch nur einigermaßen kannte. Er hatte einen scharfen Geist und drehte und wendete ein Problem, bis er die Lösung gefunden hatte oder bis das Problem derart auseinandergenommen war, daß er die Unmöglichkeit einer Lösung hinnehmen mußte. Nehmen wir einmal die Übersetzung der etruskischen Inschriften, auf die sich sein Ruf gründete. Die etruskische Sprache war bis ins erste Jahrhundert nach Christi noch durchaus lebendig gewesen, doch der kulturelle Imperialismus der Römer hatte nichts übriggelassen, und sie war fast völlig vom Erdboden verschwunden. Die wenigen Inschriften, die die Folgen der römischen Feindseligkeit und Gleichgültigkeit überstanden hatten, waren in griechischen Lettern geschrieben, so daß sie aussprechbar waren — doch das war auch alles. Das Etruskische schien überhaupt keine Verwandtschaft mit den anderen Sprachen ringsum zu haben, es machte einen sehr altertümlichen Eindruck; es schien nicht einmal indogermanischen Ursprungs zu sein.
Bronowski wandte sich daher einer anderen Sprache zu, die keine Verwandtschaft mit den sie umgebenden Sprachen zu haben schien; die anscheinend sehr altertümlich war; die offenbar nicht einmal indogermanische Wurzeln hatte; die jedoch durchaus noch lebte und in einem Gebiet gesprochen wurde, das gar nicht so weit vom ehemaligen Gebiet der Etrusker entfernt war. Diese Sprache war das Baskische, das Bronowski als Schlüssel benützte. Andere hatten das vor ihm versucht und waren nicht weit gekommen. Bronowski jedoch gab nicht auf.
Es war ein schwerer Brocken, denn das Baskische, das schon an sich außerordentlich schwierig ist, bot nur sehr wenig Hilfe. Diese Sprache zunächst auf ihre Struktur in römischer Zeit zu reduzieren und dann auf das Etruskische zu beziehen, war ein geistiges Bravourstück ohnegleichen, und Bronowski versetzte die Philologen der Welt in höchstes Erstaunen, als es ihm gelang.
Der Text der Übersetzungen war überaus langweilig und hatte keinerlei geschichtliche Bedeutung; es handelte sich zumeist um alltägliche Grabinschriften. Dagegen war die Tatsache der Übersetzung aufsehenerregend und sollte, wie es sich herausstellte, für Lamont noch von großer Bedeutung sein.
Doch das dauerte einige Zeit. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, lagen die Übersetzungen schon fünf Jahre vor, ehe Lamont überhaupt zum erstenmal von der Existenz eines ehemaligen Völkerstamms der Etrusker erfuhr. Bronowski kam an die Universität, um einen der jährlichen Festvorträge zu halten, und Lamont, der dieser Pflichtübung normalerweise aus dem Weg ging, machte diesmal eine Ausnahme — nicht weil er die Bedeutung des Vortrags erkannte oder Interesse für das Thema aufbrachte, sondern weil er damals mit einer Studentin romanischer Sprachen befreundet war, die ihn in den Vortrag brachte.
Wie es so kam — das Thema machte ihm sogar Spaß. Zum erstenmal drang die etruskische Zivilisation als eine nicht ganz uninteressante Angelegenheit in sein Bewußtsein, und das Problem der Entzifferung einer noch nicht enträtselten Sprache faszinierte ihn. Als Junge hatte er gern Kryptogramme gelöst, die er dann jedoch zusammen mit anderen kindischen Dingen über Bord geworfen hatte, um sich den imposanteren Kryptogrammen der Natur zuzuwenden. So war er schließlich bei der Paratheorie gelandet.
Nun brachte ihm Bronowskis Vortrag den jungenhaften Spaß am allmählichen Entziffern einer anscheinend zufälligen Symbolreihe wieder ins Gedächtnis und erhob den Vorgang in einen Schwierigkeitsgrad, der ihm Ehre machte. Bronowski war ein Kryptogrammleser im erhabensten Sinne, und Lamont reizte vor allen Dingen das beharrliche Vordringen der Vernunft ins Reich des Unbekannten, das Bronowski beschrieb.
Es wäre sicherlich alles im Sande verlaufen — der dreifache Zufall, daß Bronowski an die Universität kam, daß sich Lamont in seiner Jugend für Kryptogramme interessiert hatte und er mit einem attraktiven jungen Mädchen befreundet war, hätte da nicht am nächsten Tage das Gespräch mit Hallam stattgefunden, das ihn eindeutig und, wie es sich herausstellte, auf immer in Ungnade brachte.
Eine Stunde nach dem Interview war Lamont entschlossen, mit Bronowski zu sprechen. Dabei sollte es um die Frage gehen, die ihm selbstverständlich gewesen war und die Hallam so aufgebracht hatte. Sie legte ihm die Zügel der Zensur an, und Lamont verspürte den Drang zurückzuschlagen — ganz besonders gegen die Stelle, von der die Zensur ausging. Die Paramenschen waren intelligenter als der Mensch. Bisher hatte Lamont das eher als ganz selbstverständlich hingenommen, als etwas mehr Offensichtliches denn Wichtiges. Jetzt war es lebenswichtig geworden. Es mußte bewiesen werden, und dieser Beweis sollte Hallam in den dicken Schädel gehämmert werden — möglichst mit spitzem Nagel.
Schon hatte Lamont seine Heldenverehrung so weit abgestreift, daß er den Augenblick des Triumphs gar nicht erwarten konnte.
Bronowski war noch immer an der Universität. Lamont spürte ihn auf und beharrte auf einem Gespräch.
Bronowski gab sich betont höflich, als Lamont ihm schließlich gegenüber saß.
Lamont überging brüsk die Floskeln, stellte sich spürbar ungeduldig vor und sagte: »Dr. Bronowski, ich freue mich sehr, daß ich Sie vor Ihrer Abreise noch erwischt habe. Ich hoffe, ich kann Sie überzeugen, auch noch länger zu bleiben.«
»Das ist vielleicht gar kein Problem«, erwiderte Bronowski. »Man hat mir hier an der Fakultät eine Stellung angeboten.«
»Und Sie werden zusagen?«
»Ich denke darüber nach. Wahrscheinlich ja.«
»Sie müssen. Sie werden nicht länger zögern, wenn Sie mich angehört haben. Dr. Bronowski, was bleibt Ihnen zu tun, nachdem Sie die etruskischen Inschriften enträtselt haben?«
»Das ist nicht meine einzige Aufgabe, junger Mann.« (Er war fünf Jahre älter als Lamont.) »Ich bin Archäologe, und die etruskische Kultur besteht nicht nur aus ihren Inschriften und die vorklassische italienische Kultur nicht nur aus den Etruskern.«
»Aber gewiß gibt es keine so spannenden und schwierigen Probleme mehr wie die etruskischen Inschriften?«
»Das kann man allerdings sagen.«
»Also würden Sie ein Rätsel begrüßen, das noch spannender, noch schwieriger und billionenmal wichtiger ist — sehe ich das richtig?«
»Was wollen Sie mir antragen, Dr. — Lamont?«
»Wir haben Inschriften, die nicht zu einer toten Kultur gehören, die überhaupt nicht von unserer Erde sind und nicht einmal aus diesem Universum. Wir haben da etwas, das wir Parasymbole nennen.«
»Ich habe davon gehört. Ich habe sie sogar gesehen.«
»Dann verspüren Sie doch sicher den Drang, dieses Problem anzugehen, Dr. Bronowski? Sie haben den Wunsch, der Bedeutung dieser Symbole auf die Spur zu kommen?«
»Ganz und gar nicht, Dr. Lamont, weil es da überhaupt kein Problem gibt.«
Lamont starrte ihn mißtrauisch an. »Soll das heißen, Sie können sie lesen?«
Bronowski schüttelte den Kopf. »Sie mißverstehen mich. Ich meine, ich kann die Symbole unmöglich entziffern — niemand kann das. Es gibt einfach keine Grundlage dafür. Bei irdischen Sprachen, wie tot sie auch sein mögen, besteht die Möglichkeit, eine noch lebendige oder eine bereits entzifferte tote Sprache zu finden, die irgendeine wenn auch noch so schwache Verwandtschaft damit hat. Kommt man auf diesem Wege trotzdem nicht weiter, ist da immer noch die Tatsache, daß jede irdische Sprache von Menschen geschaffen wurde, die auch wie Menschen dachten. Auch das ist eine Ausgangsbasis, allerdings eine sehr schmale. Bei den Parasymbolen trifft das alles nicht zu, so daß sie ein Problem darstellen, für das es eindeutig keine Lösung gibt. Und Unlösbarkeit ist kein Problem.«
Lamont hatte sich nur mit Mühe zurückgehalten, dem anderen nicht ins Wort zu fallen. Jetzt platzte er heraus: »Sie irren sich, Dr. Bronowski. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als wollte ich Ihnen in Ihr Fachgebiet hineinreden, aber Ihnen sind einige Tatsachen nicht bekannt, die mein Fachgebiet aufgedeckt hat. Wir haben es hier mit Paramenschen zu tun, über die wir fast überhaupt nichts wissen. Wir wissen nicht, wie sie aussehen, wie sie denken, in welcher Art Welt sie leben; fast nichts wissen wir, keine der grundsätzlichen Tatsachen. Insofern haben Sie recht.«
»Aber Sie wollen auf dieses fast hinaus, nicht wahr?« Bronowski schien unbeeindruckt. Er holte ein Päckchen trockener Feigen aus der Tasche, öffnete es und begann zu essen. Er bot Lamont davon an, der den Kopf schüttelte. »Richtig«, erwiderte Lamont. »Wir kennen ein Detail, das von ausschlaggebender Bedeutung ist. Sie sind intelligenter als wir. Erstens: Sie können den Austausch über die Kluft zwischen den Universen vornehmen, während wir nur eine passive Rolle spielen.«
Er hielt inne und fragte: »Kennen Sie überhaupt das Prinzip der Inter-Universum-Elektronenpumpe?«
»In den Grundzügen«, sagte Bronowski. »Jedenfalls soweit, daß ich Ihnen folgen kann, wenn Sie nicht zu sehr in die technischen Einzelheiten gehen.«
Lamont fuhr hastig fort: »Zweitens: Sie haben uns Instruktionen geschickt, unseren Teil der Pumpe zu bauen. Wir begriffen das alles nicht, doch wir fanden uns wenigstens in den Diagrammen soweit zurecht, daß wir die nötigen Hinweise entnehmen konnten. Drittens: Sie können uns irgendwie spüren. Zumindest erspüren sie es zum Beispiel, wenn wir irgendwo Wolfram für sie auslegen. Sie wissen, wo es ist, und können darauf einwirken. Etwas Vergleichbares ist uns unmöglich. Da wären noch andere Punkte, doch das Gesagte reicht schon aus, um die Paramenschen eindeutig als intelligenter zu charakterisieren.«
»Ich kann mir aber vorstellen, daß Sie mit dieser Ansicht hier in der Minderheit sind«, entgegnete Bronowski. »Ihre Kollegen werden das kaum akzeptieren.«
»Tun sie auch nicht. Aber wie kommen Sie darauf?«
»Weil Sie sich, wie mir scheint, eindeutig irren.«
»Meine Tatsachen stimmen. Wie kann ich da falsch liegen?«
»Sie beweisen doch nur, daß die Technologie der Paramenschen fortgeschrittener ist als die unsere. Was hat das mit Intelligenz zu tun? Hören Sie mal« — Bronowski stand auf, zog sein Jackett aus und setzte sich wieder — breit zurückgelehnt, so daß sich die Fülle seines Körpers entspannte und zurechtlegte, als ob ihm die bequeme Stellung das Denken erleichterte, »vor etwa zweieinhalb Jahrhunderten steuerte ein amerikanischer Kapitän eine Flotte in den Hafen von Tokio. Die Japaner, damals noch isoliert, fanden sich mit einer Technologie konfrontiert, die die ihre um ein Vielfaches überstieg, und sie kamen zu dem Schluß, daß Widerstand zu gefährlich wäre. Eine gesamte krieggewohnte Nation war hilflos angesichts einer Handvoll Schiffe aus Übersee. War das nun ein Beweis dafür, daß die Amerikaner intelligenter waren als die Japaner, oder nur dafür, daß die westliche Kultur eine andere Entwicklung genommen hatte? Offensichtlich doch letzteres, denn fünfzig Jahre später hatten die Japaner die westliche Technologie erfolgreich kopiert und waren wiederum fünfzig Jahre später eine ausschlaggebende Industriemacht — ungeachtet der Tatsache, daß sie in einem der damaligen Kriege eine katastrophale Niederlage hinnehmen mußten.«
Lamont hörte mit ernstem Gesicht zu und sagte: »Ich gebe Ihnen recht, Dr. Bronowski, auch wenn ich das mit den Japanern nicht gewußt habe — ich wünschte, ich hätte die Zeit, mich mehr mit Geschichte zu befassen. Doch Ihr Vergleich stimmt nicht. Es geht um mehr als nur eine technische Überlegenheit; es geht um einen Unterschied im Intelligenzgrad.«
»Wie wollen Sie das bestimmen, wenn Sie es nicht erraten?«
»Auf Basis der schlichten Tatsache, daß sie uns Anweisungen geschickt haben. Sie wollten, daß wir unseren Teil der Pumpe möglichst schnell bauten, irgendwie mußten sie uns dazu bringen. Sie konnten nicht selbst, in persona, herüberkommen; sogar die dünnen Eisenfolien, in die ihre Botschaften graviert waren (die Substanz, die in beiden Welten am stabilsten ist), wurden langsam so radioaktiv, daß man sie pulverisieren mußte, obwohl uns natürlich Zeit blieb, auf unseren Materialien dauerhafte Kopien zu machen.« Er schöpfte Atem. Es wollte ihm scheinen, er war zu aufgeregt, zu eifrig. Er durfte es nicht übertreiben.
Bronowski musterte ihn neugierig. »Gut — sie haben uns also Nachrichten geschickt. Was versuchen Sie daraus abzuleiten?«
»Daß sie damit rechneten, wir würden die Botschaften verstehen. Sie waren doch wohl kaum so dumm, uns ziemlich komplizierte Mitteilungen zu machen, die manchmal auch noch recht lang ausfielen, wenn sie wußten, daß wir das alles nicht verstehen würden!… Wenn die Paramenschen also damit gerechnet hatten, daß wir einen Teil davon verstehen würden, dann doch nur deswegen, weil sie das Gefühl hatten, eine Rasse mit einer Technologie, die etwa den gleichen Entwicklungsstand aufwies wie die ihre (und sie mußten irgendwie in der Lage gewesen sein, das abzuschätzen — wieder ein Punkt zu meinen Gunsten), müßte auch annähernd so intelligent sein wie sie und dürfte daher kaum Schwierigkeiten haben, etwas aus den Symbolen herauszulesen.«
»Das mag aber auch an ihrer Naivität liegen«, sagte Bronowski gleichmütig.
»Sie können doch nicht im Ernst die Ansicht vertreten, die Paramenschen glaubten, daß es nur eine gesprochene und geschriebene Sprache gebe und daß jede Intelligenz in einem anderen Universum ebenfalls diese Sprache sprechen und schreiben müsse? Ich bitte Sie!«
»Selbst wenn ich Ihnen recht gäbe — was erwarten Sie von mir?« fragte Bronowski. »Ich habe mir die Parasymbole angesehen, wie vermutlich jeder Archäologe und Philologe auf der Erde. Ich wüßte nicht, was ich da tun könnte, und den anderen geht es sicher ebenso. Seit über zwanzig Jahren sind keine Fortschritte mehr erzielt worden.«
Lamont sagte eindringlich: »Die Wahrheit ist, daß zwanzig Jahre lang überhaupt kein Wunsch nach Fortschritten bestand. Die Pumpenbehörde möchte die Symbole nicht enträtseln.«
»Warum sollte sie das nicht?«
»Wegen der ärgerlichen Möglichkeit, daß sich bei einem Kontakt mit den Paramenschen die andere Seite klar als intelligenter erweisen könnte. Und weil das die Menschen als Marionettenpartner der Wesen am anderen Ende der Pumpe entlarven würde, was natürlich dem Ego nicht wohltut. Und, vor allen Dingen« Lamont versuchte die Verachtung aus seiner Stimme herauszuhalten, »weil Hallam dann seinen Ruhm als Vater der Elektronenpumpe verlieren würde.«
»Nehmen wir einmal an, man wollte doch Fortschritte machen. Was könnte man dann tun? Der Wille ist noch lange nicht die Tat.«
»Man könnte die Paramenschen dazu bringen, mit uns zusammenzuarbeiten. Man könnte Nachrichten in das Parauniversum schicken. Bisher ist so etwas noch nicht geschehen, aber es wäre möglich. Eine Nachricht auf Metallfolie ließe sich unter ein Wolframkörnchen legen.«
»Oh? Obwohl die Pumpen in Betrieb sind, halten die Paramenschen noch nach neuem Wolfram Ausschau?«
»Nein, aber sie werden das Wolfram bemerken und vermuten, daß wir damit ihre Aufmerksamkeit erregen wollen. Wir könnten die Nachricht sogar direkt auf eine Wolframfolie gravieren. Wenn sie die dann übernehmen und überhaupt etwas davon verstehen, vielleicht nur ein kleines bißchen, schicken sie uns bestimmt eine Antwort, in der ihre Feststellungen enthalten sind. Vielleicht schicken sie uns eine vergleichende Tabelle ihrer und unserer Vokabeln, oder sie gebrauchen eine Mischung aus ihren und unseren Worten. Es wäre ein abwechselnder Informationsstoß — zuerst von ihrer Seite, dann von unserer, dann wieder von drüben, und so weiter.«
»Wobei die andere Seite«, sagte Bronowski, »die meiste Arbeit macht.«
»Ja.«
Bronowski schüttelte den Kopf. »Wo liegt da der Spaß? Die Sache reizt mich nicht.«
»Warum nicht?« entgegnete Lamont auffahrend. »Meinen Sie, es bringt Ihnen nicht genügend Anerkennung? Nicht genug Ruhm? Was sind Sie denn schon — ein Kenner des Ruhms? Was für eine Art Ruhm hat Ihnen die Sache mit den etruskischen Inschriften überhaupt gebracht, verdammt! Sie sind fünf Konkurrenten zuvorgekommen. Vielleicht sechs. Denen sind Sie bekannt wie ein buntes Huhn und verhaßt für Ihren Erfolg. Was sonst? Sie reisen herum und reden über das Thema vor einem Publikum, das allenfalls ein paar Dutzend Köpfe ausmacht und das Ihren Namen am nächsten Tag schon vergessen hat. Steht Ihnen der Sinn wirklich danach?«
»Werden Sie nicht dramatisch.«
»Schon gut. Ich besorge mir jemand anders. Dann dauert’s eben länger — aber wie Sie selbst sagen, die Paramenschen werden ohnehin die meiste Arbeit tun. Schlimmstenfalls mache ich alles allein.«
»Sind Sie mit diesem Projekt beauftragt?«
»Nein. Und wenn schon! Oder ist das auch ein Grund, warum Sie nichts damit zu tun haben wollen? Disziplinarprobleme? Es gibt kein Gesetz dagegen, eine Übersetzung zu versuchen, und ich kann Wolfram auf meinen Tisch stellen, soviel ich will. Ich werde davon absehen, die Nachrichten zu melden, die ich im Austausch für das Wolfram erhalte, und werde insofern den Kodex brechen. Aber wenn die Übersetzung erst steht, wer fragt dann noch danach? Würden Sie mitmachen, wenn ich Ihnen absolute Verschwiegenheit garantiere? Da ginge Ihnen der Ruhm natürlich durch die Lappen, aber Ihre Sicherheit ist Ihnen vielleicht noch lieber. Na ja.« Lamont zuckte die Achseln. »Wenn ich’s selbst tue, brauche ich mir wenigstens über die Sicherheitsprobleme anderer Leute nicht den Kopf zu zerbrechen.«
Er stand auf. Beide Männer waren wütend und begegneten sich mit der umständlichen Höflichkeit zweier verfeindeter, aber noch immer auf Manieren bedachter Parteien. »Ich darf zumindest annehmen«, sagte Lamont, »daß Sie unsere Unterhaltung vertraulich behandeln?«
Bronowski war ebenfalls aufgestanden. »Dessen dürfen Sie versichert sein«, erwiderte er kühl, und die beiden schüttelten sich kurz die Hand.
Lamont glaubte das Kapitel Bronowski damit abgeschlossen und begann sich einzureden, daß es auf jeden Fall besser war, die Übersetzung allein anzugehen.
Zwei Tage später jedoch tauchte Bronowski in Lamonts Büro auf und sagte ziemlich brüsk: »Ich reise heute weiter, aber ich bin im September wieder hier. Ich habe den Posten angenommen, und wenn Sie noch Interesse haben, will ich mich mal des Übersetzungsproblems annehmen, auf das Sie mich neulich ansprachen.«
Lamont hatte kaum Gelegenheit, ein überraschtes Danke zu sagen, als Bronowski auch schon weitergestapft war, offensichtlich ärgerlich darüber, zum Schluß doch noch eingewilligt zu haben.
Mit der Zeit freundeten sich die beiden an, und nach einiger Zeit erfuhr Lamont auch, was Bronowskis Entschluß herbeigeführt hatte. Am Tage nach ihrer Diskussion war Bronowski zusammen mit einigen leitenden Herren der Universität im Fakultätsklub essen gewesen — ein Essen, an dem natürlich auch der Präsident teilnahm. Bronowski hatte angekündigt, daß er den Posten annehmen und sein formelles Einwilligungsschreiben zu gegebener Zeit schicken würde, und alle hatten darüber ihre Befriedigung zum Ausdruck gebracht.
Der Präsident hatte gesagt: »Es ist eine große Ehre für uns, den berühmten Übersetzer der cheruskischen Inschriften an unserer Universität zu haben. Vielen Dank.«
Der Irrtum war natürlich nicht berichtigt worden, und Bronowski hielt sein Lächeln. Doch im Hinblick auf Lamonts höhnische Bemerkung über das Ausmaß seines Ruhms fand Bronowski das Ganze doch sehr ärgerlich.
Als Lamont die Geschichte schließlich zu hören bekam, lächelte er: »Hör auf«, sagte er. »Ich kenne das. Du hast dir gedacht: Bei Gott, jetzt stelle ich etwas auf die Beine, das sogar dieser Klotzkopf schlucken muß!«
»So etwa«, sagte Bronowski.
Die Arbeit eines ganzen Jahres hatte jedoch nicht viel erbracht. Es waren Nachrichten in das andere Universum verschwunden, und Nachrichten waren zurückgekommen. Nichts.
»Du mußt herumraten!« hatte Lamont aufgeregt zu Bronowski gesagt. »Wild spekulieren! Probier’s an ihnen aus.«
»Das tue ich doch, Pete. Weshalb bist du so aufgeregt? Für die etruskischen Inschriften habe ich zwölf Jahre gebraucht. Denkst du etwa, unsere Sache hier geht schneller?«
»Guter Gott, Mike. Wir haben keine zwölf Jahre.«
»Warum nicht? Hör mal, Pete, es ist mir nicht entgangen, daß sich deine Einstellung geändert hat. Im letzten Monat bist du einfach unmöglich gewesen. Ich dachte, wir wären uns von Anfang an einig, daß die Arbeit nicht schnell abgewickelt werden kann und daß wir geduldig sein müssen. Ich dachte, du hättest begriffen, daß ich noch meine tägliche Arbeit an der Universität habe. Hör mal, ich habe dich schon öfter gefragt. Noch einmal: Warum hast du es plötzlich so eilig?«
»Weil ich es eilig habe«, antwortete Lamont abrupt. »Weil ich weiterkommen möchte.«
»Glückwunsch«, sagte Bronowski kurz. »Ich aber auch. Sag mal, du rechnest doch nicht etwa mit deinem baldigen Ableben, wie? Dein Arzt hat dir nicht gesagt, du wärst unheilbar krank oder so?«
»Nein, nein«, stöhnte Lamont.
»Also was dann?«
»Lassen wir das«, sagte Lamont und hastete davon.
Als er Bronowski zum erstenmal auf eine Zusammenarbeit ansprach, drehten sich Lamonts Gedanken ausschließlich um Hallams engstirnige Ablehnung der Möglichkeit, daß die Paramenschen intelligenter waren. Ausschließlich in diesem Punkte erstrebte er den Durchbruch und hatte darüber hinaus keine Ambitionen — zunächst.
Doch in den folgenden Monaten hatte er immer wieder Ärger gehabt. Seine Materialanforderungen, seine Bitten um technische Hilfe und um Computerzeit wurden verzögert bearbeitet; seine Anträge auf Reisekostenerstattung gekürzt, seine Meinung bei Abteilungskonferenzen unweigerlich übergangen.
Zum offenen Bruch kam es, als Henry Garrison, der an Dienst-Jahren und noch mehr an Fähigkeiten entschieden nicht mit ihm konkurrieren konnte, einen mit Prestige ausgestatteten Beraterposten erhielt, der eigentlich Lamont zugestanden hätte. Damit wurde Lamonts Groll in einem Maße gesteigert, daß ein einfacher Beweis für die Richtigkeit seiner Meinung nicht mehr genügte. Er wollte Hallam zerdrücken, ihn am Boden zerstören.
Dieser Wunsch verstärkte sich von Tag zu Tag, fast von Stunde zu Stunde — gefördert durch die klare Haltung der anderen Leute in der Pumpstation. Lamonts unverbindliche Art ließ nicht gerade Sympathie aufkommen, obwohl insgeheim doch einige Leute auf seiner Seite standen.
Garrison selbst war in großer Verlegenheit. Er war ein ruhiger, freundlicher junger Mann, der offensichtlich keine Schwierigkeiten wollte. Er kam zu Lamont ins Laboratorium mit einem Gesicht, auf dem die Angst nicht zu verkennen war.
Er sagte: »Pete, könnte ich mal mit Ihnen sprechen?«
»Bitte schön, so lange Sie wollen«, antwortete Lamont, runzelte die Stirn und vermied es, den Blick des anderen zu erwidern.
Garrison kam herein und setzte sich. »Pete«, begann er, »ich habe die Berufung nicht abgelehnt, aber ich möchte Ihnen auch sagen, daß ich mich nicht danach gedrängelt habe. Das alles kam völlig überraschend.«
»Wer hat denn von Ihnen verlangt, den Posten abzulehnen? Mir ist das doch egal!«
»Pete, es liegt an Hallam. Wenn ich abgelehnt hätte, wäre jemand anders berufen worden — aber nicht Sie. Was haben Sie dem Alten getan?«
Lamont ging zum Gegenangriff über. »Was halten Sie von Hallam? Was für ein Mann ist er — Ihrer Meinung nach?«
Garrison war überrascht. Er schürzte die Lippen und rieb sich die Nase. »Nun…« hob er zögernd an.
»Großer Mann? Brillanter Wissenschaftler? Anregender Vorgesetzter?«
»Nun…«
»Ich sag’s Ihnen. Der Mann ist ein Täuscher, ein Hochstapler! Er hat seinen Ruf und seine Stellung und sitzt in panischem Schrecken darauf. Er weiß, daß ich ihn durchschaut habe, und das hat er gegen mich.«
Garrison stieß ein leises, ängstliches Lachen aus. »Sie sind doch nicht zu ihm gegangen und haben gesagt…«
»Nein, direkt habe ich ihm noch nichts gesagt«, erwiderte Lamont mürrisch. »Eines Tages tue ich das. Aber er weiß es schon jetzt. Er weiß, daß er mich nicht täuschen kann, auch wenn ich nichts sage.«
»Aber, Pete, was hat es für einen Sinn, ihm das unter die Nase zu reiben? Ich behaupte ja auch nicht, daß er der Größte auf der Welt ist — aber warum das hinausposaunen? Schmeicheln Sie ihm lieber ein bißchen. Er hat über Ihre Karriere zu bestimmen.«
»Oh, wirklich? Und ich habe über seinen Ruf zu bestimmen. Ich nehme es mit ihm auf. Ich werde ihn entlarven.«
»Wie?«
»Das ist meine Sache!« knurrte Lamont, der in diesem Augenblick nicht die geringste Ahnung hatte, wie er das schaffen wollte.
»Aber das ist lächerlich«, sagte Garrison. »Sie können dabei unmöglich gewinnen. Er wird Sie einfach vernichten. Auch wenn er kein Einstein oder Oppenheimer ist — für die Öffentlichkeit ist er weit mehr! Für die zwei Milliarden auf der Erde ist er der Vater der Elektronenpumpe, und was Sie auch anstellen, ändert nichts, solange die Elektronenpumpe der Schlüssel zum menschlichen Paradies ist. Solange das gilt, ist Hallam unantastbar, und Sie wären verrückt, das Gegenteil anzunehmen. Was soll’s denn, Pete? Sagen Sie ihm, er wäre der Größte, und fressen Sie ein bißchen Dreck, wie wir anderen auch. Seien Sie kein zweiter Denison!«
»Ich will Ihnen mal was sagen, Henry«, erwiderte Lamont in plötzlicher Wut, »warum scheren Sie sich nicht um Ihre eigenen Angelegenheiten?«
Garrison stand abrupt auf und ging. Wieder hatte sich Lamont einen Feind gemacht oder zumindest einen Freund verloren. Doch er kam bald zu dem Schluß, daß der Preis nicht zu hoch war, denn eine Bemerkung Garrisons brachte die Angelegenheit in eine völlig neue Richtung.
Garrison hatte im wesentlichen gesagt: »… solange die Elektronenpumpe als Schlüssel zum menschlichen Paradies gilt, ist Hallam unantastbar.«
Dieser Satz ging Lamont im Kopfe herum, als er sich nun zum erstenmal von Hallam abwandte und seine Aufmerksamkeit auf die Elektronenpumpe richtete.
War denn die Elektronenpumpe tatsächlich der Schlüssel zum Paradies? Oder gab es, beim Himmel, irgendwo einen Haken?
Bisher hatte noch jedes Ding einen Haken gehabt. Was war der Haken bei der Elektronenpumpe?
Lamont kannte sich in der Geschichte der Paratheorie hinreichend aus, um zu wissen, daß auch das Problem eines »Hakens« bereits erforscht war. Nach der ersten Ankündigung, die grundsätzliche Wirkung der Elektronenpumpe bestehe darin, Elektronen aus dem Universum in das Parauniversum zu pumpen, hatte es natürlich sofort Stimmen gegeben, die da fragten: »Aber was ist, wenn alle Elektronen hinübergepumpt sind?«
Das ließ sich leicht beantworten. Bei der größten vertretbaren Pumpleistung würde der Elektronenvorrat mindestens eine Billion Billion Billionen Jahre reichen — und das gesamte Universum und wahrscheinlich auch das Parauniversum würden nur noch einen winzigen Bruchteil dieser Zeit zu leben haben.
Der zweite Einwand war schwieriger. Es gab einfach keine Möglichkeit, alle Elektronen hinüberzupumpen. Durch das Pumpen der Elektronen gewann das Parauniversum an negativer Ladung und das Universum an positiver Ladung hinzu, so daß es mit jedem Jahr, da dieser Unterschied in der Ladung wuchs, schwieriger wurde, weitere Elektronen gegen die Kraft der Ladungsdifferenz zu pumpen. Tatsächlich gepumpt wurden natürlich nur neutrale Atome, doch durch die bei dem Vorgang entstehende Verzerrung der Kreisbahnelektronen ergab sich eine effektive Ladung, die mit den nachfolgenden radioaktiven Veränderungen erheblich zunahm.
Wenn die Ladungsanreicherung an den Pumpstellen verblieben wäre, hätte der Effekt auf die kreisbahnverzerrten gepumpten Atome den gesamten Vorgang fast sofort zum Stillstand gebracht, aber natürlich durfte die Diffusion nicht vergessen werden. Die Ladungsanreicherung verteilte sich über die Erde, und die Wirkung auf den Pumpvorgang war unter Berücksichtigung dieser Tatsache berechnet worden.
Die zunehmende positive Ladung der Erde drängte den positiv geladenen solaren Wind in eine allgemein größere Entfernung vom Planeten ab, und die Magnetosphäre vergrößerte sich. Aufgrund der Arbeit McFarlands (der nach Lamonts Auffassung der eigentliche Urheber der Großen Einsicht war) ließ sich zeigen, daß ein gewisser Ausgleich erzielt wurde, indem der solare Wind immer mehr von den sich ansammelnden positiven Partikeln davonfegte, die von der irdischen Erdoberfläche abgestoßen und in die Exosphäre hinaufgetrieben wurden. Mit jeder Zunahme der Pumpleistung, mit jeder neuen Pumpstation erhöhte sich die positive Ladung auf der Erde um ein Geringes, und die Magnetosphäre dehnte sich um ein paar Kilometer aus. Die Veränderung fiel jedoch gering aus, und die positive Ladung wurde zum Schluß vom solaren Wind davongeweht und in den äußeren Bereichen des Sonnensystems verbreitet.
Trotzdem — selbst bei schnellstmöglicher Verbreitung der Ladung rückte einmal der Zeitpunkt heran, da der Ladungsunterschied zwischen dem Universum und dem Parauniversum an den Pumpstellen so groß wurde, daß der Prozeß zum Stillstand kam — und das würde nur ein kleiner Bruchteil jener Zeit sein, die zum Aufbrauchen aller Elektronen benötigt wurde; etwa ein Billionbillionstel der Zeit.
Aber das bedeutete, daß das Pumpen noch immer eine Billion Jahre lang möglich war. Nur eine einfache Billion Jahre, die aber schon ausreichte. Eine Billion Jahre — so lange würde nicht einmal der Mensch überdauern oder das Sonnensystem. Und wenn der Mensch diese Zeit doch irgendwie durchstand (oder eine andere Kreatur, die der Nachfolger und Verdränger des Menschen war), dann wurde zweifellos noch eine Möglichkeit gefunden, diesen Umstand zu ändern. In einer Billion Jahren konnte viel geschehen.
Lamont mußte das zugeben.
Aber dann fiel ihm etwas anderes ein, ein neuer Gedankengang, den Hallam, wie er sich erinnerte, persönlich in einem seiner Artikel für die breite Öffentlichkeit dargelegt hatte. Angewidert suchte er den Artikel heraus. Es war wichtig, zu wissen, was Hallam gesagt hatte, ehe er die Angelegenheit weiterverfolgte.
Der Artikel lautete auszugsweise: »Aufgrund der stets gegenwärtigen Schwerkraft assoziieren wir den Begriff »bergab« mit jener Art unvermeidlicher Veränderung, die wir zur Erzeugung von Energie verwenden können, — Energie, die sich in nützliche Arbeit umwandeln läßt. Es ist das »bergab« laufende Wasser, das in den letzten Jahrhunderten Räder drehte, die ihrerseits Maschinen wie Pumpen und Generatoren antrieben. Aber was geschieht, wenn alles vorhandene Wasser bergab geflossen ist?
Die Wiederaufnahme der Arbeit ist dann erst möglich, wenn das Wasser wieder auf den Berg — bergauf — geschafft worden ist und das erfordert Arbeit. Genau genommen erfordert es mehr Arbeit, das Wasser bergauf zu ziehen, als sich wieder herausholen läßt, wenn wir es dann erneut bergab fließen lassen. Wir arbeiten also mit einem Energieverlust. Zum Glück übernimmt die Sonne diese Arbeit für uns. Sie läßt das Meer verdunsten, so daß der Wasserdampf hoch in die Atmosphäre steigt, dort Wolken bildet und früher oder später als Regen oder Schnee wieder herabfällt. Dieser Niederschlag durchtränkt den Boden in allen Höhenlagen, füllt die Bäche und Ströme und läßt das Wasser auf ewig bergab laufen.
Doch nicht für alle Ewigkeit. Die Sonne kann den Wasserdampf aufsteigen lassen — doch nur weil sie, nuklear gesehen, ebenfalls bergab läuft. Sie läuft mit einer Geschwindigkeit bergab, die unendlich größer ist als das Tempo jedes irdischen Flusses, und wenn sich der Strom erschöpft hat, gibt es unseres Wissens nichts, was da wieder bergauf gezogen werden kann.
Alle Energiequellen des Universums sind bergab gerichtet — in eine Richtung, und wir können ein vorübergehendes Bergauf, ein Zurück, nur erzwingen, indem wir uns ein noch größeres Bergab in der Nähe zunutze machen. Wenn wir nützliche Energie wollen, für alle Ewigkeit, benötigen wir dafür eine Straße, die in beiden Richtungen bergab führt. Das ist ein Paradoxon in unserem Universum; unsere Vernunft gebietet, daß jedes Ding, das in einer Richtung bergab führt, in der anderen wieder nach oben geleitet wird.
Aber müssen wir uns auf unser Universum beschränken? Denken wir einmal an das Parauniversum. Auch dieses Universum hat Straßen, die in einer Richtung bergab führen und in der anderen nach oben. Diese Straßen passen jedoch nicht zu den unseren. Es ist denkbar, einer bergab führenden Straße aus dem Parauniversum in unser Universum zu folgen, die jedoch, wenn wir sie von unserem Universum in das Parauniversum zurückbeschreiten, wiederum bergab führt — weil die beiden Universen unterschiedliche Gesetze kennen. Die Elektronenpumpe macht sich die Vorteile einer Straße zunutze, die in beiden Richtungen bergab führt. Die Elektronenpumpe…«
Lamont blätterte zurück und las noch einmal den Titel des Artikels. Er lautete: »Die Straße, die in beiden Richtungen bergab führt.«
Er begann zu überlegen. Die hier entwickelten Vorstellungen waren ihm natürlich nicht neu, ebensowenig wie ihre thermodynamischen Konsequenzen. Aber warum sollte er die Vermutungen nicht einmal überprüfen? Vermutungen waren die schwachen Punkte in jeder Theorie. Wenn nun die Schlußfolgerungen nicht stimmten? Welche Folgen ergaben sich, wenn man von anderen Vermutungen ausging? Von gegensätzlichen?
Er begann aufs Geratewohl, doch nach kaum einem Monat hatte er das Gefühl, das jeder Wissenschaftler kennt — das endlose Klicken der Details, die unerwartet in den richtigen Zusammenhang fallen, der ärgerlichen Ungereimtheiten, die plötzlich keine Probleme mehr bergen — das Gefühl der Wahrheit.
Von diesem Augenblick an begann er Bronowski unter Druck zu setzen.
Und eines Tages sagte er: »Ich werde noch einmal mit Hallam sprechen.«
Bronowski hob die Augenbrauen. »Wozu das?«
»Damit er mich rauswirft.«
»So habe ich mir das fast gedacht. Du bist unglücklich, wenn sich deine Lage ein wenig normalisiert.«
»Du begreifst nicht. Es ist mir wichtig, daß er es ablehnt, mich anzuhören. Ich brauche mir dann hinterher nicht sagen zu lassen, ich hätte ihn übergangen, er hätte nichts davon gewußt.«
»Wovon? Von der Übersetzung der Parasymbole? Die gibt es doch noch gar nicht. Komm, du darfst nicht voreilig handeln, Pete.«
»Nein, nein, das nicht.« Und mehr wollte er nicht sagen.
Hallam machte es Lamont nicht gerade einfach; es dauerte einige Wochen, ehe er für den jüngeren Mann Zeit fand. Aber auch Lamont hatte nicht die Absicht, Hallam das Gespräch leichtzumachen.
Er spazierte kampflustig in das Büro. Hallam hatte ein starres Gesicht aufgesetzt und musterte sein Gegenüber mit düsterem Blick.
Abrupt sagte er: »Was ist das für eine Krise, von der Sie da reden?«
»Es hat sich etwas ergeben, Sir«, sagte Lamont tonlos, »angeregt durch einen Ihrer Artikel.«
»Oh?« schnell: »Welcher wäre das?«
»Die Straße, die in beiden Richtungen bergab führt«, Sir.«
»Und was ist damit?«
»Ich glaube, die Elektronenpumpe führt nicht in beiden Richtungen bergab, wenn ich Ihren Vergleich benutzen darf, der übrigens dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nicht gerade gerecht wird.«
Hallam runzelte die Stirn. »Was wollen Sie?«
»Es läßt sich am besten erklären, wenn ich die Feldgleichungen für die beiden Universen aufzeichne, Sir, und eine Wechselwirkung demonstriere, die bis heute noch nicht bedacht worden ist — leider, wie ich meinen möchte.«
Mit diesen Worten marschierte Lamont auf die Thixo-Tafel zu, warf mit schneller Hand die Gleichungen hin und gab dabei hastige Erklärungen.
Lamont beabsichtigte Hallam zu erniedrigen und zu reizen, da er den mathematischen Details nicht folgen konnte.
»Hören Sie, junger Mann«, knurrte Hallam, »ich habe jetzt keine Zeit, mich auf eine umfassende Diskussion irgendwelcher Aspekte der Paratheorie mit Ihnen einzulassen. Schicken Sie mir einen kompletten Bericht, und wenn Sie mir jetzt eine kurze Zusammenfassung Ihres Anliegens geben könnten, bitte sehr.«
Lamont kehrte der Thixo-Tafel mit unverhohlener Verachtung den Rücken. Er sagte: »Also gut. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik beschreibt einen Prozeß, der unweigerlich alle Extreme begradigt. Wasser läuft nicht unweigerlich bergab; in Wirklichkeit werden nur Extreme des Schwerkraftpotentials ausgeglichen. Wasser gurgelt ebensoleicht bergauf, wenn es zum Beispiel unter der Erde eingeschlossen ist. Man kann sich die Konfrontation zweier verschiedener Temperaturebenen zunutze machen, doch das Ergebnis läuft schließlich immer darauf hinaus, daß die Temperatur auf einer Zwischenebene ausgeglichen wird; der heiße Teil kühlt sich ab und der kalte Teil erwärmt sich. Sowohl das Abkühlen als auch das Erwärmen sind gleiche Aspekte des Zweiten Hauptsatzes und bei entsprechenden Voraussetzungen gleichermaßen spontan.«
»Halten Sie mir hier keinen Vortrag über die Grundlagen der Thermodynamik! Was wollen Sie eigentlich? Ich habe wenig Zeit.«
Ungerührt, ohne sich antreiben zu lassen, fuhr Lamont fort: »Auch die Elektronenpumpe wird nutzbar gemacht durch den Ausgleich von Extremen. In diesem Falle sind die Extreme die physikalischen Gesetze der beiden Universen. Die Bedingungen, die diese Gesetze ermöglichen — wie diese Bedingungen auch aussehen mögen, werden von einem Universum in das andere übertragen, und als Endergebnis dieses Prozesses werden wir zwei Universen haben, in denen die Naturgesetze identisch sind — und zwar im Vergleich zur heutigen Situation irgendwo in der Mitte liegend. Da diese Konsequenz Ungewisse, doch zweifellos große Veränderungen in diesem Universum hervorrufen wird, müßte wohl ernsthaft erwogen werden, die Pumpen zu stoppen und den gesamten Vorgang für immer zu unterbrechen.«
An dieser Stelle rechnete Lamont mit Hallams Explosion, rechnete damit, daß ihm die Gelegenheit zu weiterer Erklärung genommen wurde. Und Hallam enttäuschte ihn nicht. Er sprang auf und warf seinen Stuhl um. Er trat den Stuhl zur Seite und machte die beiden Schritte, die ihn von Lamont trennten.
Hastig schob Lamont auch seinen Stuhl zurück und stand auf. »Sie Idiot!« brüllte Hallam, vor Wut fast stotternd. »Glauben Sie etwa, hier in der Station wüßte niemand um den Ausgleich der Naturgesetze? Verschwenden Sie meine Zeit, mir etwas zu erzählen, das ich schon wußte, als Sie noch Lesen lernten? Verschwinden Sie, und wenn Sie mir Ihre Kündigung vorlegen möchten, können Sie sie schon heute als angenommen betrachten.«
Lamont ging. Obwohl er hatte, was er wollte, war er seltsam wütend darüber, wie Hallam ihn behandelt hatte.
»Jedenfalls«, sagte Lamont, »ist die Lage jetzt klar. Ich hab’s ihm zu sagen versucht. Er wollte mir nicht zuhören. Nun also zum nächsten Schritt.«
»Und der wäre?« fragte Bronowski.
»Ich werde mit Senator Burt sprechen.«
»Du meinst den Leiter des Komitees für Technologie und Umwelt?«
»Eben den. Du hast also schon von ihm gehört.«
»Wer hat das nicht? Aber was soll das alles, Pete? Was hast du vorzuweisen, das diesen Mann interessieren könnte? Um die Übersetzung geht es nicht. Pete, ich frage dich noch einmal. Was führst du im Schilde?«
»Ich kann es dir nicht erklären. Du kennst dich in der Paratheorie nicht aus.«
»Aber Senator Burt, wie?«
»Mehr als du, glaube ich.«
Bronowski hob einen Finger. »Pete, reden wir nicht um den heißen Brei herum. Vielleicht weiß auch ich Dinge, die du nicht kennst. Wir können nicht zusammenarbeiten, wenn wir gegeneinander arbeiten. Entweder gehöre ich unserem kleinen Zweimann-Unternehmen an oder nicht. Du sagst mir, was du planst, und dann sage ich dir auch etwas. Wenn nicht, sollten wir die Sache überhaupt aufgeben.«
Lamont zuckte die Achseln. »Na gut. Wenn du’s hören willst, bitte sehr. Nachdem ich an Hallam vorbei bin, ist es vielleicht auch egal. Es geht darum, daß die Elektronenpumpe Naturgesetze überträgt. Im Parauniversum ist die Starke Wechselwirkung hundertmal stärker als hier — was bedeutet, daß die Kernspaltung entsprechend leichter ausgelöst werden kann, ebenso wie Kernverschmelzung. Wenn die Elektronenpumpe ihre Arbeit lange genug fortsetzt, wird es irgendwann ein letztes Gleichgewicht geben, bei dem die Starke nukleare Wechselwirkung in beiden Universen gleich ist — und das würde für uns einen Wert ergeben, der etwa zehnmal so hoch ist wie im Augenblick und der im anderen Universum etwa ein Zehntel des augenblicklichen Wertes ausmacht.«
»Hat denn das niemand gewußt?«
»O sicher — jeder wußte das. Es lag von Anfang an auf der Hand. Auch Hallam muß das sehen. Deshalb ist der Bastard ja auch so an die Decke gegangen. Ich habe ihm die Einzelheiten so umständlich dargelegt, als wäre ich der Meinung, er hätte nie davon gehört — und da ist er explodiert.«
»Aber was soll das? Liegt denn eine Gefahr darin, wenn sich die Wechselwirkung auf einen Mittelwert einpendelt?«
»Natürlich! Was glaubst denn du?«
»Ich glaube überhaupt nichts. Wann wird denn dieser Ausgleich erreicht?«
»Bei der jetzigen Pumpleistung in etwa 1030 Jahren.«
»Wie viele Jahre sind das?«
»Sie reichen jedenfalls, um eine Billion Billionen Universen wie das unsere entstehen, sich entwickeln, alt werden und sterben zu lassen — eines nach dem anderen.«
»Also, Pete! Was soll dann das Ganze?«
»Um zu dieser Zahl zu gelangen«, sagte Lamont langsam und deutlich, »die übrigens die offizielle Zahl ist, wurden gewisse Vermutungen angestellt, die ich für falsch halte. Und wenn man diese durch gewisse andere Vermutungen ersetzt, die meines Erachtens stimmen, sind wir jetzt schon gefährdet.«
»Aufgrund des Pumpens?«
»Aufgrund des Pumpens.«
»Und was ist mit der Welt der Paramenschen? Wäre sie ebenfalls gefährdet?«
»Da bin ich ganz sicher. Es wäre eine andere Gefahr, doch immerhin eine Gefahr.«
Bronowski stand auf und begann auf und ab zu gehen. Er trug das Haar dicht und lang — wie es früher einmal modern gewesen war. Er zupfte daran und sagte: »Wenn die Paramenschen intelligenter sind als wir, würden sie dann die Pumpe weiterlaufen lassen? Gewiß wüßten sie — noch vor uns, daß sie gefährlich ist!«
»Ich habe mir das auch schon überlegt«, sagte Lamont. »Ich vermute aber, daß für sie das Pumpen ebenfalls eine Neuerung war und daß sie — wie wir — wegen der offensichtlichen Vorteile damit begannen und sich über die Folgen erst später Gedanken machen wollen.«
»Aber du sagst, du kennst diese Folgen schon jetzt. Können die Paramenschen denn langsamer sein als du?«
»Das hängt davon ab, ob und wann sie sich die Folgen überlegen. Die Pumpe ist einfach zu attraktiv, als daß sie leichtfertig wieder aufgegeben werden könnte. Auch ich hätte nicht danach gesucht, wenn ich nicht… aber was hast du denn im Ärmel, Mike?«
Bronowski blieb stehen und sagte: »Ich glaube, wir haben etwas.«
Lamont starrte ihn wild an, sprang auf und packte den anderen am Ärmel. »Mit den Parasymbolen? Sag schon, Mike!«
»Es passierte, als du bei Hallam warst. Ja, während du bei Hallam warst. Ich habe bis jetzt nicht gewußt, was ich damit anfangen sollte, weil ich einfach keine Ahnung hatte, was da eigentlich vorging. Und jetzt…«
»Und jetzt?«
»Bin ich mir immer noch nicht sicher. Eine Folie aus dem Parauniversum ist gekommen, mit vier Symbolen darauf…«
»Oh?«
»…in lateinischen Buchstaben. Und es läßt sich aussprechen.«
»Was?«
»Hier.«
Mit der Miene eines Zauberkünstlers brachte Bronowski die Folie zum Vorschein. In die Oberfläche, ganz anders als die zierlichen und komplizierten schimmernden Spiralen und Differentiale der Parasymbole, waren vier breite, kindliche Buchstaben eingraviert: ANGT.
»Was soll das wohl heißen?« fragte Lamont verständnislos.
»Bisher habe ich mir nur denken können, daß es vielleicht ANGST bedeutet.«
»Hast du mich deshalb so ins Kreuzverhör genommen? Du dachtest, jemand auf der anderen Seite hätte Angst?«
»Und ich dachte, es könnte vielleicht mit deiner deutlich verstärkten Erregung des letzten Monats zu tun haben. Offen gesagt, Pete, hat es mir nicht geschmeckt, so lange im unklaren gelassen zu werden.«
»Okay — ziehen wir keine voreiligen Schlüsse. Du bist hier derjenige, der mit unvollständigen Texten die meisten Erfahrungen hat. Würdest du sagen, die Paramenschen empfinden Angst im Zusammenhang mit der Elektronenpumpe?«
»Nicht unbedingt, ganz und gar nicht«, sagte Bronowski. »Ich weiß nicht, wie weit sie unser Universum wirklich ausmachen können. Wenn sie das Wolfram spüren, das wir ihnen hinlegen, wenn sie unsere Gegenwart spüren — vielleicht spüren sie dann auch, wie uns zumute ist. Vielleicht versuchen sie uns zu beruhigen, wollen uns sagen, daß kein Grund zur Angst besteht.«
»Warum schreiben sie dann nicht: KEINE ANGT?«
»Weil sie unsere Sprache noch nicht so gut beherrschen.«
»Hmm. Dann kann ich Burt damit noch nicht kommen.«
»Ich würd’s auch nicht tun. Es ist noch zu unbestimmt. Überhaupt würde ich Burt erst aufsuchen, wenn wir noch mehr von drüben bekommen haben. Wer will schon wissen, was sie uns sagen wollen?«
»Nein, ich kann nicht warten, Mike. Ich weiß, daß ich recht habe, und wir haben keine Zeit mehr.«
»Gut, aber wenn du mit Burt sprichst, brichst du alle Brücken hinter dir ab. Deine Kollegen werden dir niemals verzeihen. Hast du daran gedacht, dich an die Physiker hier zu wenden? Allein kannst du auf Hallam keinen Druck ausüben, aber als Gruppe…«
Lamont schüttelte heftig den Kopf. »Sinnlos. Die Leute in dieser Station überleben nur, weil sie weich wie Butter sind. Es gibt nicht einen, der sich gegen Hallam wenden würde. Wenn ich versuchen wollte, die anderen zu einer Aktion gegen ihn zu bringen, könnte ich ebensogut eine Ladung gekochte Spaghetti auffordern, vor mir strammzustehen.«
Bronowskis weiches Gesicht war ungewohnt grimmig. »Da magst du recht haben.«
»Ich weiß, daß ich recht habe«, sagte Lamont nicht minder ernst.
Es hatte Zeit gekostet, einen Termin beim Senator zu bekommen Zeit, die Lamont ungern verloren hatte, zumal keine neuen lateinischen Buchstaben aus dem Parauniversum gekommen waren. Überhaupt keine neue Botschaft war zu vermelden, obwohl Bronowski ein halbes Dutzend hinübergeschickt hatte — jede mit einer sorgfältig vorbereiteten Auswahl von Parasymbolen, vermischt mit den Buchstabengruppen ANGT und ANGST.
Lamont war sich der Bedeutung des halben Dutzends Variationen nicht sicher, doch Bronowski war eigentlich guter Hoffnung gewesen.
Doch nichts hatte sich getan, und Lamont saß schließlich Burt gegenüber.
Der Senator hatte ein hageres Gesicht, scharfe Augen und war nicht mehr der Jüngste. Seit einer Generation stand er dem Komitee für Technologie und Umwelt vor. Er nahm seine Arbeit ernst, was er ein dutzendmal bewiesen hatte.
Jetzt fummelte er an seiner geliebten altmodischen Krawatte herum (die zu seinem Kennzeichen geworden war) und sagte: »Ich kann Ihnen nur eine halbe Stunde Zeit geben, mein Sohn.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Lamont machte sich keine Sorgen. Er gedachte Senator Burt so sehr für sein Thema zu interessieren, daß er die Zeitbegrenzung vergaß. Auch machte er nicht den Versuch, weit auszuholen; seine Absichten hier lagen völlig anders als bei seinem Gespräch mit Hallam.
Er sagte: »Ich möchte Sie nicht mit mathematischen Details belasten, Senator, aber ich setze voraus, Sie wissen, daß durch das Pumpen die Naturgesetze der beiden Universen vermischt werden.«
»Zusammengerührt werden sie«, entgegnete der Senator ruhig, »wobei sich der Ausgleich in etwa 1030 Jahren ergibt. War das nicht die Zahl?« In Ruhestellung schwangen seine Augenbrauen weit nach oben aus und dann wieder nach unten und gaben seinem zerfurchten Gesicht einen Ausdruck ständiger Überraschung.
»Das stimmt«, sagte Lamont, »doch diese Zahl wurde aufgrund der Annahme errechnet, daß sich die fremden Gesetze, die in unser und das fremde Universum sickern, vom Eintrittspunkt aus mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Das ist aber nur eine Vermutung, die ich für falsch halte.«
»Warum?«
»Die einzige wirklich gemessene Vermischungsgeschwindigkeit haben wir aus dem Plutonium 186, das in unser Universum geschickt wird. Diese Geschwindigkeit ist zuerst extrem langsam, vermutlich weil Materie dicht ist, und erhöht sich mit der Zeit. Wenn das Plutonium mit weniger dichter Materie vermischt wird, steigt diese Vermischungsgeschwindigkeit auch schneller an. Aufgrund entsprechender Messungen hat man errechnet, daß die Durchdringung in einem Vakuum auf Lichtgeschwindigkeit ansteigen würde. Zunächst würde es einige Zeit dauern, bis die fremden Gesetze in die Atmosphäre vorgedrungen wären, dann gar nicht mehr so lange, bis sie sich in die oberen Schichten der Atmosphäre vorgearbeitet hätten, und dann ginge es in allen Richtungen durch das All davon, mit 300000 Kilometern pro Sekunde, wobei sich die fremde Substanz in Null Komma nichts zur Harmlosigkeit verdünnte.«
Lamont hielt einen Augenblick inne, um sein weiteres Vorgehen zu überlegen, und der Senator schaltete sich sofort ein. »Aber…?« sagte er mit der Miene eines Mannes, der keine Zeit verschwenden möchte.
»Das Ganze ist eine bequeme Schlußfolgerung, die vernünftig zu sein und keine Probleme zu bringen scheint, aber wenn nun nicht die Materie der Durchdringung fremder Gesetze Widerstand entgegensetzt, sondern der Grundstoff des Universums selbst?«
»Und wie sieht dieser Grundstoff aus?«
»Ich kann das nicht in Worte fassen. Es gibt meines Wissens einen mathematischen Ausdruck — doch Worte hätte ich nicht dafür. Der Grundstoff des Universums ist das, was die Naturgesetze bestimmt. Der Grundstoff des Universums sorgt für die Erhaltung der Energie. Es ist auch der Grundstoff des Parauniversums — etwas anders als der unsere, der die nukleare Wechselwirkung drüben hundertmal stärker macht, als sie bei uns ist.«
»Und?«
»Wenn es dieser Grundstoff ist, der durchdrungen wird, dann kann das Vorhandensein von Materie, dicht oder nicht dicht, nur einen sekundären Einfluß haben. Die Durchdringung erfolgt im Vakuum schneller als in dichter Masse, aber nicht sehr viel. Die Durchdringung mag nach irdischen Verhältnissen schnell sein, doch sie erreicht nur einen winzigen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit.«
»Daraus folgert?«
»Daß sich die fremde Substanz nicht so schnell auflöst, wie wir denken, sondern sich innerhalb des Sonnensystems sozusagen aufstaut und dabei eine größere Konzentration erreicht, als wir bisher angenommen haben.«
»Ich verstehe«, sagte der Senator und nickte. »Und wie lange kann es nun dauern, bis der Bereich des Sonnensystems ins Gleichgewicht gebracht wird? Weniger als 1030 Jahre, würde ich sagen.«
»Weitaus weniger, Sir. Ich möchte behaupten, weniger als 1010 Jahre. Vielleicht fünfzig Milliarden Jahre, plusminus ein paar Milliarden.«
»Das ist vergleichsweise nicht viel, aber doch genug, wie? Kein Grund zur Aufregung, was?«
»Ich fürchte aber, daß dennoch Grund zu größter Besorgnis besteht, Sir. Der Schaden wirkt sich nämlich schon aus, lange bevor das Gleichgewicht erreicht ist. Aufgrund des Pumpens nimmt die Starke nukleare Wechselwirkung in unserem Universum ständig zu, mit jedem Tag.«
»Wird sie meßbar stärker?«
»Nicht unbedingt, Sir.«
»Nicht einmal nach zwanzigjährigem Pumpen?«
»Nicht unbedingt, Sir.«
»Warum machen wir uns also Sorgen?«
»Weil von der Starken nuklearen Wechselwirkung die Geschwindigkeit abhängt, mit der im Kern der Sonne Wasserstoff zu Helium schmilzt. Wenn die Wechselwirkung auch nur unmerklich zunähme, würde die Wasserstoffverschmelzung in der Sonne spürbar aktiviert. Die Sonne erhält das Gleichgewicht zwischen Strahlung und Schwerkraft nur mühsam aufrecht, und dieses Gleichgewicht zugunsten der Strahlung zu verschieben, so wie wir es jetzt tun…«
»Ja?«
»…würde eine gewaltige Explosion hervorrufen. Nach unseren Naturgesetzen ist es unmöglich, daß ein Stern von der geringen Größe unserer Sonne zu einer Supernova wird. Nach den veränderten Gesetzen mag das aber nicht mehr ausgeschlossen sein. Ich möchte bezweifeln, daß wir überhaupt eine Vorwarnung erhielten. Die Sonne würde sich in eine ausgedehnte Explosion steigern, und acht Minuten später wären Sie und ich tot und die Erde verdampfte im Handumdrehen zu einer Wolke.«
»Und dagegen hilft nichts?«
»Wenn es zu spät ist, eine Störung des Gleichgewichts zu verhindern — nein. Wenn es noch nicht zu spät ist, müssen wir das Pumpen einstellen.«
Der Senator räusperte sich. »Ehe ich mich mit diesem Gespräch einverstanden erklärte, junger Mann, habe ich mich über Sie erkundigt, da Sie mir nicht persönlich bekannt waren. Unter anderem habe ich auch Dr. Hallam befragt. Ich nehmen an, Sie kennen ihn?«
»Jawohl, Sir.« Lamonts Mundwinkel begann zu zucken, doch seine Stimme blieb tonlos. »Ich kenne ihn gut.«
»Er sagt«, fuhr der Senator fort und schaute auf ein Blatt Papier, »daß Sie ein unruhestiftender Idiot von zweifelhaftem Geisteszustand sind, und fordert, daß ich Ihre Bitte ablehne.«
»Hat er es so formuliert, Sir?«
»Genau so.«
»Warum haben Sie mich dann vorgelassen, Sir?«
»Eine solche Auskunft von Hallam hätte mich normalerweise veranlaßt, nicht mit Ihnen zu sprechen. Meine Zeit ist kostbar, und ich habe weiß Gott mit mehr unruhestiftenden Idioten von zweifelhaftem Geisteszustand zu tun, als mir lieb ist, wobei selbst jene nicht ausgenommen sind, die mit besten Empfehlungen zu mir kommen. In diesem Falle gefiel mir jedoch Hallams »Forderung« nicht. Einem Senator stellt man keine Forderungen, und Hallam sollte sich das hinter die Ohren schreiben.«
»Dann werden Sie mir also helfen, Sir?«
»Wobei?«
»Nun — daß das Pumpen eingestellt wird.«
»Das? O nein. Ganz unmöglich.«
»Warum nicht?« fragte Lamont. »Sie sind Leiter des Komitees für Technologie und Umwelt, und es wäre genau Ihre Aufgabe, das Pumpen zu unterbinden — oder überhaupt jeden technologischen Vorgang zu stoppen, der die Umwelt mit nicht wiedergutzumachendem Schaden bedroht. Und einen schlimmeren Schaden als den, den die Pumpe über uns bringen kann, gibt es einfach nicht.«
»Gewiß, gewiß. Falls Sie recht haben. Aber es will mir scheinen, Ihre Geschichte läuft nur darauf hinaus, daß Ihre Vermutungen anders sind als die allgemein akzeptierten. Wer kann schon sagen, welche Gruppe von Annahmen richtig ist?«
»Sir, die Gedanken, die ich Ihnen entwickelt habe, erklären mehrere Dinge, die bei der allgemein verbreiteten Meinung zweifelhaft bleiben.«
»Nun, dann müßten doch Ihre Kollegen die Modifikation anerkennen, und Sie hätten kaum Veranlassung, mich aufzusuchen, könnte ich mir vorstellen.«
»Sir, meine Kollegen wollen mir nicht glauben. Das Eigeninteresse steht ihnen im Wege.«
»So wie Ihr Eigeninteresse Ihrem Glauben im Wege steht, daß Sie unrecht haben könnten… Junger Mann, auf dem Papier habe ich enorme Vollmachten, doch ich kann meiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn die Öffentlichkeit mich gewähren lassen will. Ich will Ihnen eine Lektion in praktischer Politik geben.«
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, lehnte sich zurück und lächelte. Er machte nicht oft solche Angebote, doch in einem Zeitungskommentar an diesem Morgen war er als »ein vollendeter Politiker« bezeichnet worden, und das angenehm warme Gefühl, das dieses Lob hervorgerufen hatte, war noch nicht vergangen.
»Es ist ein Fehler anzunehmen«, sagte er, »die Öffentlichkeit wollte ihre Umwelt geschützt oder ihr Leben bewahrt wissen und sie wäre jedem Idealisten dankbar, der sich kämpfend für solche Ziele einsetzt. Die Öffentlichkeit will vielmehr die Bequemlichkeit des einzelnen. Uns ist das aus der Umweltkrise des zwanzigsten Jahrhunderts hinreichend vertraut. Nachdem bekannt wurde, daß Zigaretten die Gefahr von Lungenkrebs erhöhten, war doch das logische Gegenmittel die sofortige Einstellung des Rauchens, doch das angestrebte Heilmittel bestand in einer Zigarette, die den Lungenkrebs nicht förderte. Als es sich erwies, daß der Verbrennungsmotor die Atmosphäre gefahrvoll vergiftete, wäre es logisch gewesen, diese Maschinen ganz aufzugeben; angestrebt wurde jedoch die Entwicklung umweltfreundlicher Motoren.
Entsprechend dürfen Sie nicht von mir verlangen, ich solle das Pumpen aufhalten, junger Mann. Die Wirtschaft und die Bequemlichkeit eines ganzen Planeten hängen davon ab. Zeigen Sie mir vielmehr einen Weg, wie man verhindern kann, daß das Pumpen die Sonne zur Explosion bringt.«
»Diesen Weg gibt es nicht, Senator«, erwiderte Lamont. »Wir haben es hier mit etwas derart Grundsätzlichem zu tun, daß wir damit nicht herumspielen können. Wir müssen es stoppen.«
»Ah, und da wissen Sie natürlich nur vorzuschlagen, daß wir den Zustand wieder herstellen, wie er vor dem Pumpen bestanden hat!«
»Das müssen wir.«
»Dann benötigen Sie schleunigst stichhaltige Beweise für Ihre Behauptungen.«
»Der beste Beweis«, sagte Lamont förmlich, »wäre es, die Sonne explodieren zu lassen. Aber ich glaube kaum, Sie wollten mich soweit gehen lassen.«
»Vielleicht nicht unbedingt. Warum können Sie Hallam nicht auf Ihre Seite ziehen?«
»Weil er ein kleinkarierter Mann ist, der sich als Vater der Elektronenpumpe sieht. Wie kann er zugeben, daß sein Kind die Erde vernichten wird?«
»Ich verstehe — trotzdem ist er für die ganze Welt der Vater der Elektronenpumpe, und nur sein Wort hätte in dieser Beziehung das nötige Gewicht.«
Lamont schüttelte den Kopf. »Er würde niemals einwilligen. Lieber würde er die Sonne explodieren lassen.«
»Dann müssen Sie ihn zwingen. Sie haben eine Theorie, doch eine Theorie allein ist sinnlos. Es muß eine Möglichkeit geben, sie zu testen. Die Geschwindigkeit des radioaktiven Zerfalls von, sagen wir, Uran hängt von der Wechselwirkung innerhalb des Atomkerns ab. Hat sich diese Geschwindigkeit vielleicht auf eine Weise verändert, wie sie von Ihrer, nicht aber von der allgemein anerkannten Theorie vorhergesagt wird?«
Wieder schüttelte Lamont den Kopf. »Gewöhnliche Radioaktivität hängt von der Schwachen nuklearen Wechselwirkung ab, und leider bringen uns Experimente dieser Art keine schlüssigen Beweise. Denn hieraus klare Ergebnisse zu gewinnen, benötigte so viel Zeit, daß es schon zu spät wäre.«
»Was gäbe es noch?«
»Es gibt besondere Pionen-Wechselwirkungen, die auch jetzt schon klare Daten ergeben könnten. Noch besser sind QuarkQuarckombinationen, die in letzter Zeit ganz verwirrende Ergebnisse erbracht haben, die ich zweifellos erklären könnte und…«
»Na bitte.«
»Ja, aber um an diese Daten heranzukommen, müßte ich das große Protonensynchotron auf dem Mond benutzen, Sir, und das ist auf Jahre hinaus besetzt — ich habe mich erkundigt. Es sei denn, jemand würde sich dafür einsetzen…«
»Und damit meinen Sie mich?«
»Damit meine ich Sie, Senator.«
»Nicht solange Dr. Hallam solche Urteile über Sie abgibt, mein Sohn.« Und Senator Burt klopfte mit gichtigem Finger auf das Stück Papier, das vor ihm lag. »Auf diesen Ast kann ich mich nicht vorwagen.«
»Aber die Existenz der Welt!«
»Beweise!«
»Übergehen Sie Hallam, und ich bringe Ihnen Beweise.«
»Bringen Sie mir Beweise, und ich übergehe Hallam.«
Lamont atmete tief ein. »Senator! Nehmen wir einmal an, es besteht die winzige Chance, daß ich recht habe. Ist denn diese winzige Chance keinen Kampf wert? Sie bedeutet alles — die gesamte Menschheit, den ganzen Planeten!«
»Sie wollen, daß ich mich in den guten Kampf stürze? Das würde mir gefallen. Für einen guten Zweck unterzugehen, hat etwas Dramatisches. Jeder anständige Politiker ist masochistisch genug, um von Zeit zu Zeit von einem Untergang in den Flammen zu träumen, während die Engel singen. Aber um das zu tun, muß man überhaupt eine Chance haben, Dr. Lamont. Man muß sich für etwas einsetzen können, das einem den Sieg bringen könnte — könnte! Wenn ich mich hinter Sie stelle, erreiche ich damit nichts, denn nach wie vor stünde dann Ihr Wort allein gegen die unendlichen Vorteile der Pumpe. Soll ich verlangen, daß jeder einzelne Mensch auf diesem Planeten seine persönliche Bequemlichkeit und seinen Reichtum aufgibt — Dinge, an die er sich durch die Pumpe gewöhnt hat, nur weil ein Mann »Untergang« schreit, während alle anderen Wissenschaftler gegen ihn stehen und der gefeierte Hallam ihn einen Idioten nennt? Nein, für nichts gehe ich nicht in die Flammen.«
»Dann helfen Sie mir wenigstens, meinen Beweis zu finden«, erwiderte Lamont. »Sie können ja im Hintergrund bleiben, wenn Sie sich fürchten.«
»Ich fürchte mich nicht«, sagte Burt abrupt. »Ich bin nur real. Dr. Lamont, Ihre halbe Stunde ist mehr als vorüber.«
Lamont starrte ihn einen Augenblick aufgebracht an, doch Burts Ausdruck war deutlich abweisend. Lamont ging.
Senator Burt rief seinen nächsten Besucher nicht sofort herein. Mehrere Minuten lang starrte er unruhig auf die geschlossene Tür und fummelte an seiner Krawatte. Hatte der Mann vielleicht recht? Bestand da wirklich die leise Möglichkeit, daß seine Vermutungen zutrafen?
Er mußte zugeben, daß es ein Vergnügen sein würde, Hallam ein Bein zu stellen und sein Gesicht in den Dreck zu drücken, bis er spuckte — aber dazu würde es nicht kommen. Hallam war unantastbar. Er selbst hatte einen einzigen Zusammenstoß mit Hallam gehabt — vor fast zehn Jahren. Er hatte damals recht gehabt, hundertprozentig recht, und Hallam hatte sich fürchterlich geirrt, was durch die Ereignisse seither bestätigt worden war. Trotzdem hatte Hallam ihn beschämt, und er war in der Folge fast nicht wiedergewählt worden.
Burt schüttelte zur Ermahnung den Kopf. Für einen guten Zweck mochte er seine Wiederwahl riskieren, doch die Erniedrigung könnte er nicht ein zweitesmal ertragen. Er gab Signal, den nächsten Besucher vorzulassen, und sein Gesicht war ruhig und ausdruckslos, als er sich zur Begrüßung erhob.
Wäre Lamont der Meinung gewesen, beruflich noch etwas verlieren zu können, hätte er wahrscheinlich gezögert. Joshua Tschen war allgemein unbeliebt, und wer mit ihm zu tun hatte, stand sofort aus jedem Winkel des Establishments unter Beschuß. Tschen war ein einsamer Revolutionär, dessen Anliegen trotzdem meist Gehör fanden, weil er sie mit einer überwältigenden Intensität vorbrachte und weil er sich eine Organisation geschaffen hatte, die enger zusammenarbeitete als jedes gewöhnliche politische Team auf der Welt (was mehr als ein Politiker gern beschworen hätte).
Er war einer der ausschlaggebenden Faktoren für das außergewöhnliche Tempo gewesen, mit dem die Pumpe zur Befriedigung der Energiebedürfnisse des Planeten herangezogen wurde. Die Vorteile der Pumpe lagen ja auch klar auf der Hand; sie waren offensichtlich umweltfreundlich und ebenso offensichtlich eine Gratisgabe — und doch hätte es vielleicht in zweiter Front noch längere Scharmützel mit den Anhängern der Atomkraft gegeben, nicht weil diese mehr Vorteile bot, sondern weil sie der Freund ihrer Kindheit gewesen war.
Doch als Tschen seine Trommeln einsetzte, hatte die Welt noch ein wenig mehr aufgehorcht.
Jetzt saß er in seinem Sessel, seine breiten Wangenknochen und das runde Gesicht ein Beweis für die Tatsache, daß er zu etwa drei Vierteln chinesischer Herkunft war.
Er sagte: »Rekapitulieren wir. Sie sprechen einzig und allein für sich?«
»Ja«, antwortete Lamont gepreßt. »Hallam unterstützt mich nicht. Um ehrlich zu sein, Hallam bezeichnet mich sogar als verrückt. Sind Sie auf Hallams Zustimmung angewiesen, wenn Sie etwas unternehmen wollen?«
»Ich bin auf niemandes Zustimmung angewiesen«, entgegnete Tschen mit erwarteter Arroganz und verfiel wieder in nachdenkliches Schweigen. »Sie sagen, die Paramenschen sind technologisch fortschrittlicher als wir?«
Lamont hatte einen Kompromiß mit sich geschlossen, als er es vermied, die Außerirdischen als intelligenter zu bezeichnen. »Technologisch fortschrittlicher« war weniger beleidigend und nicht minder zutreffend.
»Das ist doch klar«, sagte Lamont, »allein schon dadurch, daß sie Materie durch die Kluft zwischen den Universen schicken können, wir aber nicht.«
»Warum haben sie dann die Pumpe in Gang gebracht, wenn sie doch gefährlich ist? Warum betreiben sie sie weiter?«
Lamont lernte es, auch in anderer Richtung Kompromisse zu schließen. Er hätte erwidern können, daß Tschen nicht der erste war, der ihm diese Frage stellte, doch das hätte herablassend, vielleicht ungeduldig geklungen, und so sagte er es lieber nicht.
Lamont erwiderte: »Ihnen lag daran, etwas in Gang zu bringen, was offensichtlich eine erstrebenswerte Energiequelle war — ebenso wie wir. Ich habe aber Grund zu der Annahme, daß sie inzwischen so beunruhigt sind wie ich.«
»Dafür habe ich nur Ihr Wort. Sie haben keinen konkreten Beweis dafür, wie ihnen zumute ist.«
»Keinen, den ich hier auf den Tisch legen könnte.«
»Dann reicht’s mir nicht.«
»Können wir es uns leisten, etwas zu riskieren, was…«
»Es reicht nicht, Professor. Sie haben keine Beweise. Mein Ruf gründet sich nicht darauf, daß ich zufällig irgend etwas anvisiere. Meine Geschosse haben noch jedesmal ihr Ziel gefunden, weil ich genau wußte, was ich tat.«
»Aber wenn ich die Beweise beschaffe?«
»Dann stelle ich mich hinter sie. Wenn mich die Beweise zufriedenstellen — das versichere ich Ihnen, kommen weder Hallam noch der Kongreß gegen die Woge an. Beschaffen Sie mir also die Beweise und kommen Sie wieder.«
»Aber dann ist es zu spät.«
Tschen zuckte die Achseln. »Vielleicht. Ich halte es eher für wahrscheinlich, daß Sie Ihren Irrtum feststellen und daß es überhaupt keine Beweise gibt.«
»Ich irre mich nicht.« Lamont machte einen tiefen Atemzug und sagte in vertraulichem Tonfall: »Mr. Tschen, es gibt wahrscheinlich Billionen und aber Billionen bewohnter Planeten im Universum, und darunter mögen sich wohl Milliarden mit intelligentem Leben und hochentwickelten Technologien befinden. Das gleiche gilt vermutlich für das Parauniversum. In der Geschichte der beiden Universen ist es zweifellos zu zahlreichen Kontakten zwischen den beiden verschiedenen Welten gekommen, so daß Dutzende oder gar Hunderte von Pumpen an den Berührungspunkten der beiden Universen in Betrieb sein mögen.«
»Reine Spekulation. Aber wenn das wirklich so wäre?«
»Dann könnte es auch sein, daß in Dutzenden oder Hunderten von Fällen die Vermischung der Naturgesetze örtlich in einem Maße fortschritt, daß die Sonne eines Planeten explodierte. Dieser Effekt mag sich fortgepflanzt haben: Die Energie einer Supernova, zusätzlich zu der Wirkung sich verändernder Naturgesetze, kann Explosionen benachbarter Sterne herbeigeführt haben, die ihrerseits weitere Katastrophen auslösten. Mit der Zeit explodierte auf diese Weise vielleicht der Kern einer ganzen Galaxis oder eines galaktischen Arms.«
»Das ist doch nur Phantasterei.«
»Wirklich? Es gibt Hunderte von Quasare im Universum, winzige Körper von der Größe mehrerer Sonnensysteme, die jedoch mit dem Licht von hundert voll ausgewachsenen gewöhnlichen Galaxien leuchten.«
»Sie behaupten, daß die Quasare Überreste von Planeten sind, die einmal gepumpt haben?«
»Ich halte es für naheliegend. Die Astronomen haben in den 150 Jahren seit der Entdeckung der Quasare keine Erklärung für deren Energiequelle entdeckt. Nichts in diesem Universum bietet eine Erklärung; nichts. Ergibt sich daraus also nicht…«
»Was ist mit dem Parauniversum? Ist das auch voller Quasare?«
»Ich glaube nicht. Die Bedingungen sind dort anders. Nach der Paratheorie läßt sich mit ziemlicher Sicherheit vermuten, daß die Kernverschmelzung dort viel leichter eintritt, so daß die Sterne drüben im Durchschnitt erheblich kleiner sein müssen. Es wäre ein viel kleinerer Vorrat an leicht schmelzbarem Wasserstoff erforderlich, um die Energie unserer Sonne zu erzeugen. Eine Menge, die der Masse unserer Sonne entspricht, würde dort sofort explodieren. Wenn unsere Gesetze in das Parauniversum eindringen, wird die Verschmelzung für den Wasserstoff etwas erschwert; die Parasterne beginnen abzukühlen.«
»Nun, das klingt ja nicht übel«, sagte Tschen. »Die Paramenschen können die nötige Energie durch das Pumpen beziehen. Nach Ihren Spekulationen sind sie ja fein raus.«
»Ich meine nicht«, entgegnete Lamont. Bis zu diesem Augenblick hatte er die Parasituation überhaupt nicht durchdacht. »Sobald unsere Seite explodiert, hört das Pumpen auf. Ohne uns können sie es nicht aufrechterhalten, und das bedeutet, daß sie ohne Pumpenergie mit einem abkühlenden Stern dasitzen. Vielleicht sind sie damit sogar schlimmer dran als wir; wir vergingen in einem schmerzlosen Blitz, während sich ihre Qual lange hinziehen könnte.«
»Sie haben eine lebhafte Phantasie, Professor«, meinte Tschen, »aber ich kann Ihnen da nicht folgen. Ich sehe einfach keine Chance, daß das Pumpen nur um Ihrer Phantasie willen aufgegeben wird. Wissen Sie denn überhaupt, was die Pumpe für die Menschheit bedeutet? Es dreht sich ja nicht nur um die kostenlose, saubere und überreichlich vorhandene Energie. Versuchen Sie mal weiter zuschauen. Die Pumpe bedeutet auch, daß die Menschheit nicht mehr arbeiten muß. Sie bedeutet, daß die Menschheit zum erstenmal in der Geschichte ihr kollektives Geistespotential aktivieren kann.
Zum Beispiel hat kein medizinischer Fortschritt der letzten zweieinhalb Jahrhunderte dazu beigetragen, die volle Lebenserwartung des Menschen weit über hundert Jahre hinaus zu erhöhen. Die Gerontologen haben uns immer wieder gesagt, daß der menschlichen Unsterblichkeit theoretisch nichts im Wege stünde — doch bisher ist dieser Sache nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet worden.«
»Unsterblichkeit!« erwiderte Lamont ärgerlich. »Das sind doch nur Träumereien!«
»Vielleicht. Sind Sie Experte für Träumereien, Professor?« fragte Tschen. »Ich für mein Teil beabsichtige jedenfalls dafür zu sorgen, daß die Unsterblichkeitsforschung aufgenommen wird. Und das wird nicht der Fall sein, wenn das Pumpen aufhört. Denn dann wären wir wieder bei der teuren Energie, der raren Energie, der schmutzigen Energie. Die zwei Milliarden Bewohner der Erde müßten wieder arbeiten, um zu leben, und die Träumerei von der Unsterblichkeit bliebe eine Träumerei.«
»Das bleibt sie auch, wenn das Pumpen weitergeht. Es wird niemand unsterblich sein. Niemand wird überhaupt seine reguläre Lebensspanne auskosten können.«
»Ah, das ist doch nun wieder Ihre Theorie.«
Lamont erwog die Möglichkeiten und beschloß einen kleinen Einsatz zu wagen. »Mr. Tschen, vorhin habe ich gesagt, ich wäre nicht bereit, mein Wissen über den Wesenszustand der Paramenschen zu erklären. Nun, versuchen wir’s doch einmal. Wir haben Nachrichten erhalten.«
»Ja, aber können Sie sie interpretieren?«
»Wir haben ein Wort in unserer Sprache übermittelt bekommen.«
Tschen runzelte leicht die Stirn. Er schob plötzlich die Hände in die Taschen, streckte die kurzen Beine von sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Angst!« Lamont hielt es nicht für nötig, die unrichtige Schreibweise zu erwähnen. »Angst«, wiederholte Tschen. »Und was bedeutet das Ihrer Meinung nach?«
»Ist es nicht klar, daß sie vor dem Pumpphänomen Angst haben?«
»Ganz und gar nicht. Wenn sie sich fürchteten, würden sie den Vorgang unterbrechen. Ich glaube schon, daß sie Angst haben, aber sie haben Angst, daß unsere Seite damit aufhört. Sie haben den Paramenschen Ihre Auffassung irgendwie klargemacht, und wenn wir das Pumpen stoppen, wie Sie es ja von uns wollen, müssen sie auch aufhören. Sie haben selbst gesagt, daß die Paramenschen ohne uns nicht weitermachen können; das Ganze ist eine zweiseitige Sache. Da glaube ich Ihnen gern, daß die Paramenschen Angst haben.«
Lamont schwieg.
»Ich sehe«, sagte Tschen, »daß Sie daran auch schon gedacht haben. Nun, dann setzen wir uns also für die Unsterblichkeit ein. Ich glaube, die Sache findet doch mehr Anklang.«
»Oh, Anklang«, erwiderte Lamont langsam. »Ich wußte nicht, daß Sie das für wichtig hielten. Wie alt sind Sie, Mr. Tschen?«
Einen kurzen Moment blinzelte Tschen ihn an und wandte sich ab. Mit schnellen Schritten verließ er den Raum. Seine Fäuste waren geballt.
Lamont schlug später die Lebensdaten nach. Tschen war sechzig, und sein Vater war mit zweiundsechzig gestorben. Aber es war egal.
»Du machst nicht gerade den Eindruck, als hättest du Glück gehabt«, sagte Bronowski.
Lamont saß in seinem Laboratorium, starrte auf seine Schuhe und registrierte am Rande, daß sie ungewöhnlich ausgetreten waren. Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Sogar der große Tschen hat sich dir verschlossen?«
»Er wollte nichts unternehmen. Auch er will Beweise. Alle verlangen Beweise, doch was man ihnen bietet, wird abgelehnt. In Wirklichkeit wollen sie nur ihre verdammte Pumpe, oder ihr Ansehen oder ihren Platz in der Geschichte. Tschen will Unsterblichkeit.«
»Was willst du denn, Pete?« fragte Bronowski leise. »Die Sicherheit der Menschheit«, antwortete Lamont. Er erwiderte den fragenden Blick des anderen. »Du glaubst mir nicht?«
»Oh, ich glaube dir schon! Aber was willst du wirklich?«
»Also, bei Gott!« und Lamont schmetterte seine Hand auf den Tisch, »ich will recht behalten, und das werde ich auch!«
»Bist du sicher?«
»Ich bin sicher! Und ich mache mir überhaupt keine Sorgen, denn ich will gewinnen. Weißt du, als ich von Tschen fortging, war ich nahe daran, mich selbst zu verachten.«
»Du?«
»Ja, ich. Warum nicht? Ich mußte immer wieder denken: An jeder Ecke hält Hallam mich auf. Solange mich Hallam bekämpft, hat jeder eine gute Entschuldigung, mir nicht zu glauben. Solange mir Hallam wie ein Felsen im Weg steht, kann ich nichts erreichen. Warum arbeite ich also nicht mit ihm zusammen, warum schmiere ich ihm keinen Honig ums Maul, warum manövriere ich ihn nicht so herum, daß er mich unterstützt, anstatt ihn zum Widerstand zu reizen?«
»Meinst du, du hättest das fertiggebracht?«
»Nie. Aber in meiner Verzweiflung dachte ich… nun, alle möglichen Dinge gingen mir durch den Kopf. Daß ich vielleicht auf den Mond gehen könnte. Als ich mich zuerst mit ihm anlegte, ging es natürlich noch nicht um den Untergang der Erde, aber als diese Frage dann aufkam, habe ich extra dafür gesorgt, daß es noch schlimmer wurde. Aber wie du sagst — nichts hätte ihn gegen die Pumpe stimmen können.«
»Im Augenblick scheinst du dich nicht gerade zu verachten.«
»Nein. Weil meine Unterhaltung mit Tschen Früchte getragen hat. Sie hat mir gezeigt, daß ich nur meine Zeit verschwende.«
»Den Anschein hat es jedenfalls.«
»Ja, sinnloserweise. Nicht hier auf der Erde ist die Lösung zusuchen. Ich sagte Tschen, daß unsere Sonne vielleicht explodieren würde, nicht aber die Parasonne; daß die Paramenschen aber trotzdem nicht gerettet wären, denn wenn unsere Sonne explodierte und unseren Teil der Pumpe stoppte, würde auch ihre Seite aufhören. Sie können ohne uns nicht weitermachen, verstehst du?«
»Ja, natürlich verstehe ich.«
»Warum denken wir dann nicht an das Gegenteil? Wir können nicht ohne sie weitermachen. In welchem Fall es doch egal ist, ob wir die Pumpe anhalten oder nicht. Bringen wir die Paramenschen dazu, die Sache zu stoppen!«
»Ah, aber tun sie das auch?«
»Sie haben uns geschrieben — ANGT. Und das bedeutet, daß sie sich fürchten. Tschen meinte, sie fürchten uns, sie fürchten, wir würden die Pumpe anhalten, aber ich kann das einfach nicht glauben. Sie haben Angst. Ich habe nichts gesagt, als Tschen seine Gedanken entwickelte. Er meinte, er hätte mich in die Ecke getrieben. Das war aber ein Irrtum. Ich dachte in diesem Augenblick nur daran, daß wir die Paramenschen dazu bringen müssen, die Pumpe anzuhalten. Und das müssen wir, Mike, ich gebe jetzt alles auf außer dir. Du bist die Hoffnung der Welt. Du mußt irgendwie an sie herankommen.«
Bronowski lachte, und eine fast kindliche Freude lag in diesem Lachen. »Pete«, sagte er, »du bist ein Genie.«
»Aha. Das hast du also endlich bemerkt.«
»Nein, ich mein’s ernst. Du errätst, was ich sagen will, noch ehe ich den Mund aufmachen kann. Ich habe eine Botschaft nach der anderen ausgeschickt und dabei die Parasymbole so benutzt, daß sie sich nach meiner Auffassung auf die Pumpe bezogen; außerdem habe ich das eine Wort in unserer Sprache mit durchgegeben. Und ich war bemüht, die in all den Monaten zusammengekratzten Informationen einzusetzen und die fremden Symbole so zu gebrauchen, daß sie Mißbilligung anzeigten, und habe wieder ein Wort in unserer Sprache hinzugefügt. Ich hatte keine Ahnung, ob ich damit durchkam oder kilometerweit danebenschoß, und die Tatsache, daß ich nie eine Antwort bekam, hat mich natürlich wenig ermutigt.«
»Du hast mir ja gar nichts gesagt von deinen Plänen!«
»Nun, dieser Teil des Problems ist mein Bier. Du kannst deine Zeit damit zubringen, mir die Paratheorie zu erklären.«
»Was ist also geschehen?«
»Also — da habe ich gestern genau zwei Worte losgeschickt in unserer Sprache: PUMPE SCHLECHT.«
»Und?«
»Und heute morgen erhielt ich endlich eine Antwort, die ganz einfach und direkt war. Sie lautete: JA PUMPE SCHLECHT SCHLECHT SCHLECHT! Hier, schau’s dir an.«
Lamonts Hand, die die Folie hielt, zitterte. »Kein Irrtum möglich, wie? Das ist eine Bestätigung, nicht wahr?«
»Kommt mir jedenfalls so vor. Wem wirst du das zeigen?«
»Niemandem«, erwiderte Lamont entschlossen. »Ich argumentiere nicht länger. Man wird mir sagen, ich hätte die Nachricht gefälscht, und es ist sinnlos, mir das anzuhören. Laß doch die Paramenschen die Pumpe stoppen, dann ist auch auf unserer Seite Schluß, und wir können einseitig überhaupt nichts tun, um sie wieder in Gang zu bringen. Anschließend wird sich die ganze Station die Hacken ablaufen, um zu beweisen, daß ich recht hatte und die Pumpe tatsächlich gefährlich ist.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil sich die Leute nur auf diese Weise vor dem aufgebrachten Mob schützen könnten, der die Pumpe zurückverlangt und sie nicht bekommt… Meinst du nicht?«
»Nun ja, vielleicht. Aber etwas macht mir Sorge.«
»Und das wäre?«
»Wenn die Paramenschen so davon überzeugt sind, daß die Pumpe gefährlich ist, warum haben sie sie dann nicht längst gestoppt? Ich habe vor einiger Zeit mal nachgesehen; die Pumpe arbeitet ganz schwungvoll.«
Lamont runzelte die Stirn. »Vielleicht wollen sie keinen einseitigen Stopp. Sie sehen uns als ihre Partner an und stellen sich eine gegenseitige Übereinkunft vor, die die Zusammenarbeit beendet. Glaubst du nicht, daß es so sein könnte?«
»Könnte sein, gewiß. Aber es könnte auch bedeuten, daß die Verständigung alles andere als perfekt ist; daß sie die Bedeutung des Wortes SCHLECHT noch nicht verstanden haben. Aus den Symbolen, die ich vielleicht etwas durcheinandergebracht habe, lesen sie möglicherweise heraus, daß SCHLECHT das bedeutet, was wir mit GUT bezeichnen.«
»O nein.«
»Nun, das ist deine Hoffnung, aber Hoffnungen bringen uns nicht weiter.«
»Mike, du mußt weitere Nachrichten schicken. Du mußt möglichst viele der von ihnen gebrauchten Worte immer wieder verwenden und variieren. Du bist da der Fachmann, und es liegt in deinen Händen. Mit der Zeit kennen sie dann genügend Worte, um etwas ganz Klares und Unmißverständliches zu sagen, und danach erklären wir ihnen, daß wir bereit sind, die Pumpe anzuhalten.«
»Uns fehlt aber die Vollmacht, eine solche Erklärung abzugeben.«
»Ja, aber das weiß die andere Seite nicht, und am Ende sind wir doch die Helden der Menschheit.«
»Auch wenn wir vorher hingerichtet werden?«
»Auch dann… Es liegt in deiner Hand, Mike, und ich bin sicher, daß es nicht mehr lange dauert.«
Doch es dauerte. Zwei Wochen vergingen, ohne daß eine neue Botschaft eintraf, und die Spannung stieg.
Bronowski war sichtlich angeschlagen. Die vorübergehende Zuversicht hatte sich längst wieder aufgelöst, und in düsterem Schweigen betrat er Lamonts Labor.
Sie starrten einander an, und Bronowski sagte schließlich: »Es geht im ganzen Haus herum, daß an dir das Exempel statuiert wird.«
Lamont hatte sich offensichtlich nicht rasiert. Sein Labor machte einen verlassenen Eindruck, einen nicht recht greifbaren Eindruck des Packens. Er zuckte die Achseln. »Na und? Ist mir doch egal. Mich ärgert viel mehr, daß die Physical Review meine Abhandlung abgelehnt hat.«
»Du hast mir aber gesagt, du hättest das erwartet.«
»Ja, aber ich dachte, sie würden mir eine Begründung geben. Sie hätten mich darauf hinweisen können, welche Irrtümer und unhaltbaren Vermutungen sie gefunden hatten. Etwas, gegen das ich argumentieren konnte.«
»Und das haben sie nicht?«
»Kein Wort. Ihre Fachleute hielten die Abhandlung zur Veröffentlichung für ungeeignet, Anführungsstriche. Sie wollen nichts damit zu tun haben. Sie ist wirklich entmutigend, diese allgemeine Dummheit. Ich glaube, ein Selbstmord der Menschheit aus abgrundtiefer Bosheit oder durch bloße Unbesonnenheit wäre mir egal. Aber es hat etwas verdammt Unwürdiges, an dickköpfiger Dummheit zugrunde zu gehen. Was hat es für einen Sinn, ein Mensch zu sein, wenn man so sterben muß?«
»Dummheit«, murmelte Bronowski.
»Wie willst du es anders nennen? Und man macht jetzt einen Sündenbock aus mir, weil ich wegen des großen Verbrechens, recht gehabt zu haben, schlecht entlassen werden kann.«
»Alle scheinen zu wissen, daß du Tschen konsultiert hast.«
»Ja!« Lamont legte die Finger an die Nasenwurzel und rieb sich müde die Augen. »Offenbar hatte ich ihn so verärgert, daß er zu Hallam gelaufen ist, und jetzt lautet die Anklage, daß ich das Pumpenobjekt auf unstandesgemäße Weise, durch unhaltbare Terrorpraktiken sabotieren wollte und daß ich daher für den weiteren Verbleib in der Station ungeeignet bin.«
»Sie können dir das im Handumdrehen beweisen, Pete.«
»Das mag schon sein. Ist ja auch egal.«
»Was willst du nun anfangen?«
»Nichts«, sagte Lamont zornig. »Laß sie doch herumpfuschen. Ich verlasse mich auf die Bürokratie. Bei dieser Sache wird jeder Schritt Wochen und Monate dauern, und inzwischen arbeitest du weiter. Wir hören bestimmt noch von den Paramenschen.«
Bronowski starrte ihn bedrückt an. »Pete, wenn wir nun nichts hören? Vielleicht wird es Zeit, daß wir die Sache noch einmal überdenken.«
Lamont fuhr auf. »Was soll das heißen?«
»Sag ihnen, du hast dich geirrt. Tu Buße. Schlag dich vor die Brust. Gib auf.«
»Niemals! Bei Gott, Mike, wir spielen hier ein Spiel, bei dem es um die ganze Welt geht, um jedes Lebewesen, das darauf herumläuft.«
»Ja, aber was bedeutet dir das schon? Du bist unverheiratet. Du hast keine Kinder. Dein Vater ist tot. Von Mutter oder Geschwistern hast du nie gesprochen. Ich möchte bezweifeln, daß du zu irgendeinem Menschen auf der Welt gefühlsmäßige Bindungen hast, als Individuum. Geh doch deinen Weg und schick alles zum Teufel.«
»Und du?«
»Ich tue das gleiche. Ich bin geschieden und habe keine Kinder. Es gibt da eine junge Dame, der ich ziemlich nahestehe, und diese Beziehung hält eben, so lange es irgend geht. Genieße dein Leben!«
»Und morgen?«
»Die Zukunft sorgt schon für sich selbst. Wenn der Tod kommt, geht es schnell.«
»Ich kann nicht mit dieser Philosophie leben… Mike, Mike! Was soll das alles? Willst du mir beibringen, daß wir nicht durchkommen? Läßt du die Paramenschen im Stich?«
Bronowski senkte den Blick. »Pete, ich habe doch noch eine Antwort bekommen. Gestern abend. Ich wollte bis heute warten und darüber nachdenken, aber warum eigentlich?… Hier ist sie.«
In Lamonts Augen stand die starre Frage. Er nahm die Folie und betrachtete sie. Satzzeichen fehlten völlig: PUMPE NICHT STOPPEN NICHT STOPPEN WIR NICHT STOPPEN PUMPE WIR NICHT HÖREN GEFAHR NICHT HÖREN NICHT HÖREN SIE STOPPEN BITTE STOPPEN SIE STOPPEN DAMIT WIR STOPPEN BITTE SIE STOPPEN GEFAHR GEFAHR GEFAHR STOPPEN SIE STOPPEN SIE PUMPE
»Bei Gott«, knurrte Bronowski, »das hört sich richtig verzweifelt an.«
Lamont starrte noch immer auf die Folie. Er schwieg.
Bronowski sagte: »Ich vermute, da irgendwo auf der anderen Seite gibt es einen wie dich — einen Para-Lamont. Und auch er kann seine Para-Hallams nicht zum Stoppen bringen. Und während wir sie bitten, uns zu retten, fleht er uns an, die andere Seite zu retten.«
»Aber wenn wir das vorzeigen…«
»Man wird nur sagen, daß du lügst, daß das eine Fälschung ist, mit der du deinen psychotischen Alptraum retten möchtest.«
»Von mir können sie das vielleicht behaupten, aber doch nicht von dir. Du stehst doch hinter mir, Mike. Du kannst aussagen, daß du das erhalten hast und wie.«
Bronowskis Gesicht rötete sich. »Was könnte das nützen? Man wird sagen, irgendwo im Parauniversum sitzt ein Verrückter wie du, und ihr beiden Irrsinnigen habt euch zusammengetan. Man wird behaupten, die Nachricht sei der Beweis, daß die etablierten Mächte im Parauniversum überzeugt sind, es gibt keine Gefahr.«
»Mike, bitte steh das mit mir durch.«
»Es ist sinnlos, Pete. Du hast es selbst gesagt — Dummheit! Die Paramenschen da drüben sind vielleicht weiter fortentwickelt als wir, auch sind sie möglicherweise intelligenter, wie du immer behauptest, aber es ist auch ganz offensichtlich, daß sie genauso dumm sind, und das bedeutet das Ende. Auch Schiller hat das schon gesagt, und ich meine, er hat recht.«
»Wer?«
»Schiller. Ein deutscher Dramatiker, der vor drei Jahrhunderten gelebt hat. In einem Stück um Johanna von Orleans sagt er: »Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens! Ich bin kein Gott, und ich kämpfe nicht länger. Gib’s auf, Pete, und zieh deines Weges. Vielleicht hält die Welt durch, solange wir leben, und wenn nicht, können wir sowieso nichts machen. Es tut mir leid, Pete. Du hast gut gekämpft, aber du hast verloren, und ich bin fertig mit der Sache.« Damit ging er, und Lamont war allein. Er saß auf seinem Stuhl, und seine Finger trommelten, trommelten ziellos. Irgendwo in der Sonne hafteten die Protonen mit einer geringfügig gesteigerten Reaktionsfähigkeit zusammen, und mit jeder Bewegung nahm dieser Zusammenhalt weiter zu, und irgendwann würde die empfindliche Balance gestört…
»Und niemand auf der Erde wüßte, daß ich recht hatte«, rief Lamont aus und blinzelte und blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten.