Es sind Sommerferien und wieder einmal sitzt Harry bei den unsäglichen Dursleys im Ligusterweg fest. Doch diesmal treibt ihn größere Unruhe denn je warum schreiben seine Freunde Ron und Hermine nur so rätselhafte Briefe? Und vor allem: Warum erfährt er nichts über die dunklen Mächte, die inzwischen neu erstanden sind? Noch ahnt er nicht, was der geheimnisvolle Orden des Phönix gegen Voldemort ausrichten kann ... Als Harrys fünftes Schuljahr in Hogwarts beginnt, werden seine Sorgen nur noch größer. Und dann schlägt der Dunkle Lord wieder zu. Harry muss seine Freunde um sich scharen, sonst gibt es kein Entrinnen.
Joanne K. Rowling
HARRY POTTER
und der Orden des Phönix
Aus dem Englischen von Klaus Fritz
Scanned by
hajufu
2003
CARLSEN
Das Papier dieser Ausgabe wurde nach strengen Umweltrichtlinien hergestellt und ist recyclebar; der Rohstoff stammt aus kontrolliertem schwedischem Waldanbau.
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Alle deutschen Rechte bei Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2003
Original text copyright ©Joanne K. Rowling 2003
Originalverlag: Bloomsbury Publishing Plc, London 2003
Originaltitel: Harry Potter and the Order ot thc Phoenix Harry Potter, names, characters and related indicia arc Copyright and trademark Warner Bros.
Harry Potter Publishing rights are Copyright JK Rowling.
Umschlaggestaltung: Doris K. Künster
Umschlagillustration: Sabine Wilharm
Satz: Dörlemann Satz, Lemfördc
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck
ISBN 3-551-55555-9
Printed in Germany
Für Neil, Jessica und David,
die meine Welt verzaubern
Der bislang heißeste Tag des Sommers neigte sich dem Ende zu und eine schläfrige Stille lag über den großen wuchtigen Häusern des Ligusterwegs. Autos, die normalerweise glänzten, standen staubig in den Einfahrten, und Rasenflächen, die einst smaragdgrün waren, lagen verdorrt und gelbstichig da - wegen der Dürre war es verboten worden, sie mit Gartenschläuchen zu wässern. Die Bewohner des Ligusterwegs, die sich nun nicht mehr wie üblich mit Autowaschen und Rasenmähen die Zeit vertreiben konnten, hatten sich in die Schatten ihrer kühlen Häuser zurückgezogen und die Fenster weit aufgestoßen in der Hoffnung, eine vermeintliche Brise hereinzulocken. Der einzige Mensch, der noch draußen war, ein Teenager, lag in einem Blumenbeet vor Nummer vier flach auf dem Rücken.
Es war ein schlaksiger, schwarzhaariger Junge mit Brille, der ausgezehrt und leicht ungesund wirkte wie jemand, der in kurzer Zeit recht schnell gewachsen war. Seine Jeans war dreckig und zerrissen, sein T-Shirt ausgeleiert und verblichen, und die Sohlen seiner Turnschuhe schälten sich vom Oberleder. Harry Potters Äußeres machte ihn nicht lieb Kind bei den Nachbarn, jener Sorte von Menschen, die meinten, Schmuddeligkeit gehöre gesetzlich bestraft, doch da er sich an diesem Abend hinter einem großen Hortensienbusch versteckt hatte, war er für Passanten gänzlich unsichtbar. Tatsächlich konnten ihn nur Onkel Vernon und Tante Petunia sehen, falls sie die Köpfe aus dem Wohnzimmerfenster streckten und senkrecht nach unten ins Blumenbeet schauten.
Alles in allem, dachte Harry, konnte man ihm zu seiner Idee, sich hier zu verstecken, nur gratulieren. Vielleicht war es nicht sonderlich bequem, wie er da auf der heißen, harten Erde lag, doch immerhin stierte ihn niemand finster an und knirschte so laut mit den Zähnen, dass er die Nachrichten nicht hören konnte, oder warf ihm gehässige Fragen an den Kopf, wie es noch jedes Mal geschehen war, wenn er versucht hatte, sich ins Wohnzimmer zu setzen und mit Tante und Onkel fernzusehen.
Als wäre Harrys Gedanke durchs offene Fenster geflattert, fing Vernon Dursley, sein Onkel, plötzlich an zu reden.
»Bin froh, dass der Bursche nicht mehr versucht, sich hier breit zu machen. Übrigens, wo steckt er eigentlich?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Tante Petunia beiläufig. »Nicht im Haus jedenfalls.«
Onkel Vernon grunzte.
»Die Nachrichten gucken...«, höhnte er. »Möchte wissen, was er wirklich im Schilde führt. Ein normaler Junge pfeift doch drauf, was in den Nachrichten kommt - Dudley hat keine Ahnung, was in der Welt passiert. Bin mir nicht mal sicher, ob er weiß, wer der Premierminister ist! Jedenfalls sieht's nicht so aus, als käme irgendwas über seine Sippschaft in unseren Nachrichten -«
»Vernon, schhh!«, sagte Tante Petunia. »Das Fenster steht offen!«
»Oh - ja - Verzeihung, Liebling.«
Die Dursleys verstummten. Harry lauschte einem Werbesong für Obst-und-Kleie-Frühstücksflocken, während er Mrs. Figg, eine schrullige alte Dame aus dem nahen Glyzinenweg, langsam vorbeitappen sah. Sie blickte finster drein und murmelte vor sich hin. Harry war sehr froh, dass er hinter dem Busch versteckt lag, weil Mrs. Figg ihn seit kurzem jedes Mal wenn sie ihn auf der Straße traf, zu sich nach Hause zum Tee einlud. Sie war um die Ecke gebogen und verschwunden, als Onkel Vernons Stimme erneut aus dem Fenster schwebte.
»Duddy ist zum Tee eingeladen?«
»Bei den Polkissens«, sagte Tante Petunia liebevoll. »Er hat so viele kleine Freunde, beliebt, wie er ist ...«
Mit Mühe verkniff sich Harry ein Schnauben. Die Dursleys waren wirklich erstaunlich dumm, wenn es um ihren Sohn Dudley ging. All seine fadenscheinigen Lügen, er wäre jeden Abend der Sommerferien bei einem anderen Typen aus seiner Gang zum Tee, hatten sie geschluckt. Harry wusste genau, dass Dudley nirgends zum Tee war; er und seine Gang verbrachten jeden Abend damit, den Spielplatz im Park zu demolieren, an Straßenecken zu rauchen und Steine auf vorbeikommende Autos und Kinder zu werfen. Harry hatte sie während seiner abendlichen Streifzüge durch Little Whinging dabei beobachtet; er hatte den größten Teil der Ferien damit verbracht, durch die Straßen zu ziehen und unterwegs Zeitungen aus den Mülleimern zu klauben.
Als die ersten Töne der Melodie für die Sieben-Uhr-Nachrichten an Harrys Ohr drangen, drehte sich ihm der Magen um. Vielleicht heute Abend - nachdem er einen Monat gewartet hatte -, vielleicht war es heute so weit.
»Während der Streik der spanischen Gepäckabfertiger in die zweite Woche geht, sitzen so viele Urlauber wie noch nie auf den Flughäfen fest -«
»Denen würde ich eine lebenslange Siesta verpassen, wenn du mich fragst«, knurrte Onkel Vernon, kaum dass der Sprecher den Satz vollendet hatte, und doch: Draußen im Blumenbeet schien sich Harrys Magen wieder zu entspannen.
Wenn irgendetwas passiert wäre, dann hätten sie es sicher als Erstes in den Nachrichten gebracht; Tod und Zerstörung waren wichtiger als gestrandete Urlauber.
Er atmete lange und ruhig aus und blickte in den strahlend blauen Himmel.
Diesen Sommer war es Tag für Tag das Gleiche gewesen: die Spannung, die Erwartung, die zeitweilige Erleichterung und dann erneut die wachsende Spannung ... und stets drängender die Frage, warum noch nichts passiert war.
Er lauschte weiter, nur für den Fall, dass es einen kleinen Hinweis gab, dessen ganze Bedeutung den Muggeln entging - ein rätselhaftes Verschwinden vielleicht, oder ein merkwürdiger Unfall ... aber dem Streik der Gepäckabfertiger folgte eine Meldung über die Dürre im Südosten Englands (»Hoffentlich hört der nebenan zu!«, bellte Onkel Vernon. »Der mit seinen Sprinklern, die er um drei Uhr morgens anstellt!«), dann über einen Hubschrauber, der beinahe über einem Feld in Surrey abgestürzt war, schließlich über die Scheidung einer prominenten Schauspielerin von ihrem prominenten Mann (»Als ob wir an deren schmutzigen Affären interessiert wären«, naserümpfte Tante Petunia, die diesen Fall in jeder Illustrierten, die ihr unter die knochigen Finger kam, gebannt verfolgte).
Harry schloss die Augen vor dem jetzt flammenden Abendhimmel, während der Sprecher sagte: »— und schließlich hat Wally der Wellensittich sich etwas Neues einfallen lassen, wie er sich diesen Sommer abkühlen kann. Wally, der auf den Five Feathers in Barnsley lebt, hat Wasserski gelernt! Mary Dorkins hat sich dort für Sie umgeschaut.«
Harry öffnete die Augen. Wenn sie schon bei Wasserski fahrenden Wellensittichen waren, würde nichts Hörenswertes mehr kommen. Er drehte sich vorsichtig auf den Bauch und stemmte sich auf Knie und Ellbogen, um unter dem Fenster wegzukriechen.
Er hatte sich gerade mal fünf Zentimeter bewegt, als mehrere Dinge in sehr rascher Folge passierten.
Ein lauter, widerhallender Knall zerriss die schläfrige Stille wie ein Pistolenschuss; eine Katze sauste unter einem geparkten Wagen hervor und stob davon; ein spitzer Schrei, ein gellender Fluch und das Geräusch von zerbrechendem Porzellan drangen aus dem Wohnzimmer der Dursleys. Als sei dies das Signal, auf das Harry gewartet hatte, schnellte er hoch und zog einen dünnen hölzernen Zauberstab aus seinem Jeansbund wie ein Schwert aus der Scheide - doch bevor er sich ganz aufrichten konnte, krachte er mit der Schädeldecke gegen das offene Fenster der Dursleys. Es rumste und Tante Petunia kreischte noch lauter.
Harry hatte das Gefühl, als wäre sein Kopf entzweigespalten. Schwankend, mit tränenden Augen, versuchte er den Blick auf die Straße zu richten, um die Quelle des Lärms auszumachen, doch kaum hatte er sich stolpernd erhoben, langten zwei große, purpurrote Hände durchs offene Fenster und schlossen sich fest um seine Kehle.
»Tu - das - Ding - weg!«, schnarrte Onkel Vernon in Harrys Ohr. »Sofort! Bevor - es - jemand - sieht!«
»Lass - mich - los!«, keuchte Harry. Einige Sekunden lang rangen sie miteinander. Harry, der mit der rechten Hand den erhobenen Zauberstab fest umklammerte, zog mit der linken an den Wurstfingern seines Onkels; dann, in dem Moment, als der Schmerz an Harrys Schädeldecke besonders fies pochte, japste Onkel Vernon plötzlich und ließ Harry los, als ob er einen elektrischen Schlag bekommen hätte. Eine unsichtbare Kraft schien durch seinen Neffen pulsiert zu sein, so dass er ihn unmöglich weiter festhalten konnte.
Keuchend fiel Harry bäuchlings über den Hortensienbusch, richtete sich auf und spähte umher. Was den lauten Knall verursacht haben könnte, war nicht im Entferntesten zu erkennen, aber inzwischen lugten Gesichter aus einigen Fenstern in der Nachbarschaft. Harry steckte hastig seinen Zauberstab in die Jeans und versuchte, eine Unschuldsmiene aufzusetzen.
»Wunderbarer Abend!«, rief Onkel Vernon und winkte Mrs. Nummer sieben von gegenüber zu, die durch ihre Netzvorhänge böse herüberfunkelte. »Haben Sie eben diesen Auspuffknall gehört? Hat Petunia und mir einen schönen Schreck eingejagt!«
Er grinste unentwegt auf schreckliche, besessene Art umher, bis all die neugierigen Nachbarn von ihren Fenstern verschwunden waren, dann winkte er Harry zu sich heran, und aus dem Grinsen wurde eine wutentbrannte Grimasse.
Harry trat ein paar Schritte näher und achtete darauf, kurz vor dem Punkt Halt zu machen, an dem Onkel Vernons ausgestreckte Hände ihn wieder würgen konnten.
»Was zum Teufel soll das, Bursche?«, fragte Onkel Vernon mit heiserer, vor Wut zitternder Stimme.
»Was soll was?«, sagte Harry kühl. Er blickte unablässig links und rechts die Straße entlang, immer noch in der Hoffnung herauszufinden, von wem der Knall stammte.
»Einen Lärm machen, als ginge eine Pistole los, und das direkt vor unserem -«
»Den Lärm hab ich nicht gemacht«, sagte Harry entschieden.
Neben Onkel Vernons breitem, puterrotem Gesicht tauchte jetzt Tante Petunias schmales Pferdegesicht auf. Sie war aschgrau.
»Warum hast du unter unserem Fenster herumgelungert?«
»Ja - ja, gute Frage, Petunia! Was hast du unter unserem Fenstergetrieben, Bursche?«
»Die Nachrichten gehört«, sagte Harry mit resignierter Stimme.
Tante und Onkel tauschten empörte Blicke.
»Die Nachrichten gehört! Schon wieder?«
»Na ja, es gibt doch jeden Tag neue, oder?«, sagte Harry.
»Spiel mir hier nicht den Neunmalklugen, Bursche! Ich will wissen, was du wirklich im Schilde führst - und hör mir bloß auf mit diesem Quatsch von wegen die Nachrichten hören! Du weißt genau, dass deine Sippschaft -«
»Vorsicht, Vernon!«, hauchte Tante Petunia, und Onkel Vernon senkte die Stimme, bis Harry ihn kaum noch hören konnte - »dass deine Sippschaft nicht in unsere Nachrichten kommt!«
»Das meinst du wohl«, sagte Harry.
Die Dursleys glotzten ihn ein paar Sekunden an, dann schimpfte Tante Petunia: »Du bist ein gemeiner kleiner Lügner. Was treiben denn all diese -«, auch sie senkte die Stimme, so dass Harry das nächste Wort von ihren Lippen ablesen musste, »- Eulen hier, wenn sie dir keine Nachrichten bringen?«
»Aha!«, flüsterte Onkel Vernon triumphierend. »Jetzt lass dir dazu mal eine Ausrede einfallen, Bursche! Als ob wir nicht wüssten, dass du deine ganzen Nachrichten von diesen ekelhaften Vögeln bekommst!«
Harry zögerte einen Moment. Es kostete ihn einige Überwindung, diesmal die Wahrheit zu sagen, obwohl Onkel und Tante unmöglich wissen konnten, wie schlimm es für ihn war, sie einzugestehen.
»Die Eulen ... bringen mir keine Nachrichten«, antwortete er tonlos.
»Das glaub ich nicht«, sagte Tante Petunia sofort.
»Und ich auch nicht«, bestätigte Onkel Vernon.
»Wir wissen, dass du irgendein krummes Ding vorhast«, sagte Tante Petunia.
»Wir sind schließlich nicht blöde, verstehst du«, sagte Onkel Vernon.
»Na, das ist ja mal 'ne Neuigkeit«, erwiderte Harry mit anschwellendem Zorn, und bevor die Dursleys ihn zurückrufen konnten, wirbelte er herum, lief über den Rasen, sprang über die niedrige Gartenmauer und ging mit großen Schritten die Straße entlang davon.
Das gab Ärger, so viel war sicher. Er würde Onkel und Tante später Rede und Antwort stehen und für seine Frechheit bezahlen müssen, doch fürs Erste war ihm das ziemlich schnuppe; er hatte viel dringendere Angelegenheiten im Kopf.
Harry war sich sicher, dass der Knall von jemandem herrührte, der appariert oder disappariert war. Es war genau das Geräusch, das Dobby der Hauself machte, wenn er ins Blaue hinein verschwand. Konnte Dobby denn hier im Ligusterweg sein? Folgte ihm Dobby vielleicht genau in diesem Moment? Bei diesem Gedanken schnellte er herum und spähte zurück, doch der Ligusterweg schien vollkommen ausgestorben, und Harry war sicher, dass Dobby nicht wusste, wie man sich unsichtbar machte.
Er ging weiter und achtete dabei kaum auf den Weg, den er einschlug, denn er hatte diese Straßen in letzter Zeit so oft durchstreift, dass ihn seine Füße wie von allein zu seinen Lieblingsplätzen trugen. Alle paar Schritte warf er einen Blick über die Schulter. Ein magisches Wesen hatte sich in seiner Nähe aufgehalten, als er zwischen Tante Petunias sterbenden Begonien gelegen hatte, das war sicher.
Warum hatte es ihn nicht angesprochen, warum hatte es keine Verbindung aufgenommen, warum versteckte es sich jetzt?
Und dann, als seine Enttäuschung ihren Höhepunkt erreicht hatte, schwand plötzlich diese Gewissheit.
Vielleicht war es doch kein magisches Geräusch gewesen. Vielleicht wartete er nur so verzweifelt auf das kleinste Zeichen aus einer Welt, in die er gehörte, dass er bei ganz gewöhnlichen Geräuschen einfach überreagierte. Konnte er sicher sein, dass der Lärm nicht daher rührte, dass in einem Nachbarhaus etwas zu Bruch gegangen war?
Harry hatte ein dumpfes, flaues Gefühl im Magen, und unversehens überfiel ihn wieder die Hoffnungslosigkeit, die ihn den ganzen Sommer über geplagt hatte.
Morgen früh um fünf würde der Wecker ihn aus dem Schlaf reißen, damit er die Eule bezahlen konnte, die ihm den Tagespropheten brachte - aber hatte es noch einen Zweck, ihn weiter zu beziehen? Harry schaute dieser Tage nur kurz auf die Titelseite und warf ihn dann beiseite; wenn diese Trottel von der Zeitung endlich erkannt hatten, dass Voldemort zurück war, würde das Schlagzeilen machen, und nur solche Nachrichten scherten Harry.
Zwar kamen, wenn er Glück hatte, auch Eulen mit Briefen von seinen besten Freunden Ron und Hermine, aber all seine Erwartungen, dass ihre Briefe Neuigkeiten für ihn enthalten würden, waren schon lange zunichte.
Wir können nicht viel über Du-weißt-schon-was sagen, verstehst du ... Man hat uns gesagt, dass wir nichts Wichtiges schreiben dürfen, falls unsere Briefe in die falschen Hände gelangen ... Wir sind ziemlich beschäftigt, aber ich kann dir hier nichts Genaues schreiben ... Es geht einiges ab, wir erzählen dir alles, wenn wir dich treffen ...
Aber wann würden sie ihn treffen? Niemand schien sich groß um einen festen Termin zu kümmern. Ich denke, wir besuchen dich ziemlich bald, hatte Hermine auf seine Geburtstagskarte geschrieben, aber wie bald war bald? Soviel Harry aus den vagen Hinweisen in ihren Briefen schließen konnte, waren Hermine und Ron am selben Ort, vermutlich im Haus von Rons Eltern. Er konnte es kaum ertragen, daran zu denken, wie die beiden im Fuchsbau ihren Spaß hatten, während er im Ligusterweg festsaß. Tatsächlich war er so sauer auf sie, dass er die beiden Schachteln mit Schokolade aus dem Honigtopf, die sie ihm zum Geburtstag geschickt hatten, ungeöffnet weggeworfen hatte. Später hatte er es bereut, nach dem welken Salat, den Tante Petunia am selben Abend noch zum Essen aufgetischt hatte.
Womit waren Ron und Hermine eigentlich so beschäftigt? Und warum war er, Harry, nicht beschäftigt? Hatte er nicht bewiesen, dass er mit viel mehr fertig werden konnte als sie? Hatten sie alle vergessen, was er getan hatte? War es nicht er gewesen, der diesen Friedhof betreten und gesehen hatte, wie Cedric ermordet wurde, und der an diesen Grabstein gefesselt wurde und fast umgebracht worden wäre?
Denk nicht drüber nach, ermahnte sich Harry streng und zum hundertsten Mal in diesem Sommer. Schlimm genug, dass er den Friedhof in seinen Alpträumen immer wieder besuchte, da brauchte er in seinen wachen Momenten nicht auch noch darüber nachzubrüten.
Er bog um eine Ecke und war nun auf dem Magnolienring; auf halbem Weg die Straße entlang kam er an der schmalen Gasse vorbei, die an einer Garage entlangführte und in der er zum ersten Mal seinen Paten gesehen hatte. Sirius zumindest schien zu verstehen, wie Harry sich fühlte. Zugegeben, seine Briefe enthielten ebenso wenig handfeste Neuigkeiten wie die von Ron und Hermine, aber wenigstens schrieb er ihm zur Vorsicht mahnende und tröstende Worte statt quälender Andeutungen: Ich weiß, das muss frustrierend für dich sein ... Halt die Ohren steif dann wird schon alles gut gehen ... Sei vorsichtig und tu nichts Unbesonnenes ...
Immerhin, dachte Harry, während er den Magnolienring überquerte, in die Magnolienstraße einbog und auf den nun schon im Dunkeln liegenden Park mit dem Spielplatz zuging, immerhin hatte er (im Wesentlichen) befolgt, was Sirius ihm geraten hatte. Zumindest hatte er der Versuchung widerstanden, den Koffer an seinen Besen zu binden und sich auf eigene Faust auf die Reise zum Fuchsbau zu machen. Im Grunde hatte er sich sehr gut verhalten, wenn er überlegte, wie enttäuscht und zornig er darüber war, so lange im Ligusterweg festzusitzen, wo er nichts weiter unternehmen konnte, als sich in Blumenbeeten zu verstecken, in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu erlauschen, was Lord Voldemort gerade machte. Dennoch wurmte es ihn, dass ihn ausgerechnet ein Mann vor Unbesonnenheiten warnte, der zwölf Jahre im Zauberergefängnis von Askaban gesessen hatte, der entkommen war, daraufhin den Mord begehen wollte, für den man ihn ursprünglich verurteilt hatte, und schließlich mit einem gestohlenen Hippogreif geflohen war.
Harry schwang sich über das geschlossene Parktor und überquerte den verdorrten Rasen. Der Park war so menschenleer wie die Straßen in der Nachbarschaft. Er erreichte die Schaukeln und ließ sich auf einer davon nieder, der letzten, die Dudley und seine Freunde noch nicht demoliert hatten, schlang einen Arm um die Kette und starrte trübsinnig auf die Erde. Im Blumenbeet der Dursleys würde er sich nicht mehr verstecken können. Morgen musste er sich etwas Neues einfallen lassen, wie er die Nachrichten hören konnte. Bis dahin hatte er nichts, auf das er sich freuen konnte, nur eine weitere unruhige, sorgenvoll durchwälzte Nacht, denn selbst wenn er von Alpträumen um Cedric verschont blieb, plagten ihn schre…