WOLFGANG HOHLBEIN

KAPITÄN NEMOS KINDER

DIE STEINERNE PEST

UEBERREUTER

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme

Hohlbein, Wolfgang: Kapitän Nemos Kinder / Wolfgang Hohlbein. - Wien: Ueberreuter Die steinerne Pest. - 1996 ISBN 3-8000-2444-6

J 2246/1 Alle Rechte vorbehalten Umschlagillustration von Doris Eisenburger Copyright © 1996 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien Printed in Germany 1357642

Autor:

Wolfgang Hohlbein, geboren in Weimar, lebt heute mit seiner Familie in der Nähe von Düsseldorf. Für sein Erstlingswerk »Märchenmond«, ein phantastischer Roman, den er gemeinsam mit seiner Frau Heike schrieb, erhielt er 1982 den ersten Preis des vom Verlag Ueberreuter veranstalteten Wettbewerbs zum Thema Science Fiction und Phantasie. Außerdem erhielt dieser Titel 1983 den »Phantasie-Preis der Stadt Wetzlar« und den »Preis der Leseratten«.

In der Reihe »Kapitän Nemos Kinder« bisher erschienen: Die Vergessene Insel Das Mädchen von Atlantis Die Herren der Tiefe Im Tal der Giganten Das Meeresfeuer Die Schwarze Bruderschaft

Die steinerne Pest

Die Grauen Wächter Weitere Bände in Vorbereitung.

Klappentext:

Bei der Suche nach einem Raumschiff, das ins Meer gestürzt ist, machen Mike und seine Freunde eine schreckliche Entdeckung: Auf dem Meeresboden finden sie versteinerte Fische und schließlich sogar ein versteinertes Schiff. Auch die Menschen an Bord sind zu Stein geworden. Was ist geschehen? Aus dem Logbuch erfahren sie, daß der Zusammenstoß des Frachters mit dem geheimnisvollen Raumschiff die Katastrophe ausgelöst hat. Kapitän Trautman ist besorgt. Denn alles spricht dafür, daß das Raumschiff Kurs auf die karibischen Inseln genommen hat. Trautman und Mike bringen die NAUTILUS, ihr Unterseeboot, auf Höchstgeschwindigkeit, um die Menschen in der Karibik zu warnen. Doch das Raumschiff hat bereits auf einer der Inseln angelegt, und die Insassen sind von Bord gegangen. Wie können Mike und seine Freunde verhindern, daß auch hier jeder Mensch und jedes Tier, das mit dem Raumschiff oder den Wesen aus einer anderen Galaxis in Berührung kommt, zu Stein erstarrt?

»Es ist weg.« Juans bleiches

Gesicht war schweißüberströmt, und seine Hände zitterten. Er war viel länger draußen geblieben, als sie vereinbart hatten. Die Taucheranzüge ermöglichten es ihnen zwar, sich selbst in dieser extremen Tiefe sicher auf dem Meeresgrund zu bewegen, aber sie waren auch sehr schwer. Jeder Schritt darin stellte eine große Anstrengung dar, und die Gefahr, seine eigenen Kräfte zu überschätzen, war groß.

So, wie Juan aussah, hatte er seine Kräfte überschätzt. Statt der vorgesehenen Stunde war er fast zwei draußen geblieben. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ben und Singh mußten ihm helfen, sich aus dem klobigen Taucheranzug zu schälen. »Bist du ganz sicher?« fragte Ben, während er ächzend die schweren Sauerstoffflaschen von Juans Rücken wuchtete. »Ich meine, immerhin ist es ziemlich dunkel da draußen. Man kann nur ein paar Meter weit sehen. «

In Juans Augen blitzte es zornig auf, und Mike hob rasch die Hand und machte eine besänftigende Bewegung. »Hört auf«, sagte er. »Es nutzt niemandem, wenn wir uns gegenseitig an die Kehle gehen. Ich schlage vor, wir machen jetzt alle eine kleine Pause, um uns auszuruhen. «

»Ein sehr vernünftiger Vorschlag«, sagte Singh. »Wir sollten uns in einer Stunde im Salon treffen. Und so lange vielleicht besser still sein«, fügte er mit einem bezeichnenden Blick auf Ben hinzu. Ben blinzelte überrascht. Singh sprach im allgemeinen sehr wenig, und er mischte sich schon gar nicht in die Unterhaltungen anderer ein. Daß er es jetzt doch tat, verlieh seinen Worten ein ganz besonderes Gewicht. Mike warf dem Sikh einen dankbaren Blick zu, dann wandte er sich um und verließ die Tauchkammer. Er zog dabei instinktiv den Kopf ein, um sich nicht an dem niedrigen Türrahmen zu stoßen; eine Bewegung, die ihm schon so in Fleisch und Blut übergegangen war, daß er sie gar nicht mehr bewußt registrierte. Nicht nur die Tür der Tauchkammer war sehr niedrig. So gewaltig die NAUTILUS in ihren Abmessungen auch war, an Bord herrschte doch eine fast drückende Enge. Aber daran dachte Mike im Moment wirklich nicht. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um den Grund, aus dem sie sich hier befanden, und damit auch um den Grund für die gereizte Stimmung, die seit zwei Tagen an Bord des Unterseebootes herrschte. Es half nicht mehr, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen: Sie hatten diese Fahrt umsonst gemacht. Die NAUTILUS war zum Wrack der TITANIC zurückgekehrt, aber das, was sie gesucht hatten, war nicht mehr da.

Er ging die kurze metallene Wendeltreppe zum nächsten Deck hinauf und wollte sich nach links wenden, zum Bug des Schiffes hin, wo seine und die Kabinen der anderen lagen, drehte sich dann aber statt dessen in die entgegengesetzte Richtung und betrat nach wenigen Schritten den Salon des Unterseebootes, der ihren gemeinsamen Aufenthaltsraum, die Bibliothek des Schiffes, aber auch so etwas wie sein Gehirn darstellte: Auf einem kleinen Podest im hinteren Teil des Raumes befand sich eine ganze Ansammlung komplizierter technischer Apparate und Gerätschaften. Mike wußte von den allerwenigsten, wie sie funktionierten, aber sie hatten in den gut drei Jahren, die sie sich nun an Bord der NAUTILUS aufhielten, zumindest gelernt, die wichtigsten davon zu bedienen. Sicherlich nicht perfekt, aber doch hinlänglich genug, um das Schiff zu steuern und damit in Bereiche des Ozeans vorzustoßen, die noch kein Mensch vor ihnen gesehen hatte. In diesen Jahren war sehr viel geschehen. Sie hatten nicht nur die NAUTILUS gefunden und gelernt, damit umzugehen, Mike hatte auch erfahren, wer er wirklich war, nämlich niemand anderer als der Sohn des berühmten Kapitän Nemo und somit der legitime Erbe nicht nur eines gewaltigen Vermögens, sondern auch dieses Schiffes, das von den meisten Menschen nur für eine Legende gehalten wurde. Er und die anderen, die damals dabeigewesen waren, führten seither ein vollkommen neues, aufregendes Leben, ein Leben voller Abenteuer und Gefahren, voller bizarrer Entdeckungen und phantastischer Reisen, wie es sich jeder Junge seines Alters wahrscheinlich erträumt hätte. Und trotzdem hatte er manchmal das Gefühl, daß in diesem Leben etwas fehlte. Er hatte zum Beispiel niemals wirklich seine Eltern kennengelernt. Und es gab Tage, da wünschte er sich fast, ein ganz normales Leben zu führen: zur Schule zu gehen, eine Familie zu haben, Freunde und ein richtiges Zuhause, kein Unterseeboot, das ruhelos über die Weltmeere fuhr und nirgendwo länger als einige Tage vor Anker ging. Diese Gedanken kamen ihm in letzter Zeit öfter. Meistens verscheuchte er sie, denn sie erschreckten ihn. Vielleicht wurde er aber allmählich erwachsen. Und vielleicht begann er auch zu begreifen, warum ihm sein Vater niemals erzählt hatte, wer er wirklich war. Wahrscheinlich weil er dir sein eigenes Schicksal ersparen wollte, wisperte eine Stimme in seinen Gedanken. Mike drehte sich herum und blickte auf Astaroth herab, den einäugigen schwarzen Kater, der vielleicht sein bester Freund hier an Bord war; zumindest der einzige, der nicht nur mit ihm reden, sondern tatsächlich seine Gedanken lesen konnte.

»Hatte er recht damit?« fragte Mike. Woher soll ich das wissen? Astaroth versuchte, ein menschliches Schulterzucken zu imitieren, was bei ihm allerdings einigermaßen komisch aussah. Ich weiß nur, daß jeder Mensch selbst für sein Schicksal verantwortlich ist. Dieses Schiff hat einst deinem Vater gehört, und nun gehört es dir. Das heißt nicht, daß du so werden mußt wie er. »Ein Pirat, meinst du?«

Das war er nicht, antwortete Astaroths lautlose Gedankenstimme.

»Woher willst du das wissen?« fragte Mike. »Du hast ihn ja nicht einmal gekannt. «

Das muß ich auch nicht, sagte Astaroth. Ich habe eine Menge über ihn gehört. Und ich kenne dich. Ich glaube, daß ihr euch sehr ähnlich seid. Er lachte; etwas, zu dem er in seiner Katzengestalt nicht in der Lage war, in Gedanken aber sehr wohl. Als ich dich und die anderen kennengelernt habe, da hattet ihr doch auch noch andere Pläne, oder? Wolltet ihr dieses Schiff nicht benutzen, um den Krieg zu beenden und die Menschen dazu zu zwingen, endlich Vernunft anzunehmen? Mike blickte den Kater nur an. Astaroths Worte entsprachen nicht hundertprozentig der Wahrheit, aber sie kamen ihr ziemlich nahe. Schließlich sagte er: »Ja. Aber das war eine recht kindische Vorstellung. Wir können diesen Krieg nicht beenden. « Da bin ich nicht einmal sicher, antwortete Astaroth. Ihr wißt noch lange nicht, wozu die NAUTILUS tatsächlich imstande ist. Vielleicht könntet ihr all diese Verrückten dort oben tatsächlich zwingen, diesen wahnsinnigen Krieg zu beenden. Aber es würde nichts nutzen. Du kannst niemanden dazu bringen, Vernunft anzunehmen, wenn er nicht vernünftig ist. Ich glaube, das ist der große Unterschied zwischen dir und deinem Vater. »Du meinst, daß er nie aufgehört hat, an das Gute im Menschen zu glauben, aber ich schon?« fragte Mike bitter.

Ich habe das alles schon einmal erlebt, weißt du? sagte Astaroth. Dein Volk wäre nicht das erste, das an seiner eigenen Unvernunft zugrunde gegangen wäre. »Unsinn!« widersprach Mike heftig. »Wir sind nicht wie die Atlanter!«

»Und das werdet ihr auch nie werden«, sagte eine Stimme von der Tür her. Mike fuhr zusammen, drehte sich herum und blickte in Serenas Gesicht. Die Atlanterin lächelte spöttisch. »Störe ich euch bei etwas Wichtigem, oder führt ihr nur ein tiefschürfendes philosophisches Gespräch über den Sinn des Lebens?«»Wir reden nur über alte Zeiten«, antwortete Mike ausweichend. »Über die Vergangenheit. « »Na, dann komme ich ja im richtigen Moment«, sagte Serena. »Ganz genau darüber wollte ich nämlich mit dir reden. « Sie ging zu dem riesigen, runden Fenster in der Wand des Salons, blieb davor stehen und drückte einen Knopf in seinem Rahmen. Ein halblautes Summen erklang, als die Irisblende vor dem zentimeterdicken Panzerglas auseinanderglitt, so daß Serenas Blick nun ungehindert auf den Meeresgrund vor der NAUTILUS hinausfiel.

Ein Schimmer von Licht kam von draußen herein, brach sich auf ihrem Haar und ließ es wie flüssiges Gold aufleuchten. Normalerweise herrschte in dieser Wassertiefe vollkommene Finsternis, aber sie hatten die NAUTILUS nur wenige Dutzend Meter neben dem Wrack der TITANIC auf Grund gesetzt, und das Licht der gewaltigen Scheinwerfer brach sich am Rumpf des gesunkenen Ozeanriesen, der wie ein Gebirge aus rostigem Stahl über ihnen emporragte. Neben der TITANIC wirkte selbst die NAUTILUSwinzig. »Über die Vergangenheit?« fragte Mike. Serena wandte den Blick nicht vom Fenster, während sie antwortete. »Ich habe nachgedacht«, sagte sie, »und mir ist etwas eingefallen... « Sie zögerte einen Moment. »Ich habe bisher nichts gesagt, weil es mir nicht wichtig erschien«, fuhr sie schließlich fort. »Es ist nur eine alte Legende, weißt du? So etwas wie eure... Märchen. Aber sie hat damit zu tun. « Sie deutete nach draußen. »Mit der TITANIC?« fragte Mike lachend. Serena blieb vollkommen ernst. »Mit dem, was sie getroffen hat«, sagte sie. »Es ist nur eine Legende, Mike, aber es heißt, daß unser Volk vor langer, langer Zeit schon einmal auf Wesen wie diese gestoßen ist. Wesen, die in großen, silbernen Scheiben von den Sternen herabgekommen sein sollen und die über unvorstellbare Macht verfügten. « »Und?« fragte Mike.

»Erinnert dich die Beschreibung nicht an etwas?« gab Serena zurück.

Mike seufzte. Die Beschreibung paßte haargenau auf das, was sie bei ihrem ersten Besuch hier unten gefunden hatten: der Grund, aus dem die TITANIC wirklich gesunken war. Die offizielle Version war, daß der Ozeanriese mit einem schwimmenden Eisberg kollidiert und mit Mann und Maus untergegangen war, aber die Wahrheit war viel phantastischer. Mike hatte die gewaltige fliegende Untertasse, die sich wie ein Geschoß in den Rumpf der TITANIC gebohrt hatte, mit eigenen Augen gesehen. Nachdem sie die Mitglieder der Schwarzen Bruderschaft aus dem Rumpf der TITANIC geborgen und zu dem geheimnisvollen Sternentor unter der Cheopspyramide gebracht hatten, von wo aus sie zu ihrem Heimatplaneten zurücktransportiert wurden, waren sie schließlich hierher zurückgekehrt, um zu sehen, was von dem Raumschiff übriggeblieben war. Aber es mußte gigantischer sein, als sie alle geglaubt hatten, denn es war durch die Explosion, die es vernichten sollte, weder in Stücke gerissen noch beschädigt worden. Es befand sich nach wie vor an seinem Platz, eingekeilt in die TITANIC. Sie hatten beschlossen, es sich am nächsten Tag noch einmal genau anzusehen. Doch Juan, der als erster zu dieser Expedition aufgebrochen war, hatte die bestürzende Nachricht gebracht, daß die Flugscheibe über Nacht verschwunden war.

»Und was sagt die Legende noch über dieses Volk von den Sternen?« fragte er.

Serena drehte sich wieder zum Fenster, um zum Wrack der TITANIC hinauszusehen. Ihre Stimme sank fast zu einem Flüstern herab, als sie antwortete: »Nicht sehr viel. Nur, daß die Begegnung mit ihnen tödlich ist. «

Im Verlauf der nächsten halben Stunde fand sich nach und nach die gesamte Besatzung der NAUTILUS im Salon des Schiffes ein: Juan, Ben, Chris, Singh und schließlich auch Trautman, der mit seinem weißen Haar und dem sorgsam gestutzten Seemannsbart durchaus als ihrer aller Großvater hätte gelten können -und diese Rolle bei ihren diversen Ausflügen an Land schon das eine oder andere Mal erfolgreich gespielt hatte.

In Wirklichkeit war er jedoch weit mehr. Für Mike -und alle anderen mittlerweile ebenso, auch wenn sie es nicht alle zugaben - war er väterlicher Freund, Lehrmeister und Beschützer in einem; und manchmal übernahm er auch die Rolle des Beichtvaters. Selbst Serena, die normalerweise keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, um zu betonen, daß dieses Schiff von Rechts wegen eigentlich ihr gehörte (denn die NAUTILUS stammte aus dem untergegangenen Atlantis, und sie war die letzte lebende Atlanterin; und nicht nur das: sie war die Prinzessin von Atlantis, denn ihr Vater war der letzte König dieses untergegangenen Reiches gewesen), selbst sie erkannte Trautmans Autorität an. Wenn die NAUTILUS so etwas wie einen Kommandanten gehabt hätte, so hätte er zweifellos Trautman geheißen. So war es auch kein Wunder, daß -nachdem sie alle beisammen waren und Serena ihre Geschichte erzählt hatte -alle Trautman ansahen und ganz offensichtlich darauf warteten, daß er eine Entscheidung fällte. Und ebenso offensichtlich fühlte er sich in dieser Rolle nicht sonderlich wohl.

Aber nicht er brach das Schweigen, das sich nach Serenas Geschichte im Salon ausgebreitet hatte, sondern Ben. »Aber das ist doch alles Blödsinn«, sagte er. »Nur ein altes Märchen. Ich sehe keinen Grund, deshalb gleich in Panik auszubrechen. «

Niemand antwortete, aber Serena schenkte ihm einen so zornigen Blick, daß Ben sich nach einigen Sekunden genötigt fühlte, hinzuzufügen: »Ich meine, wir sind ihnen schließlich auch begegnet, und wir leben noch, oder?«

»Waren sie es wirklich?« fragte Chris. Ben blinzelte verwirrt. »Was soll die dumme Frage? Hasim und -«

»Chris hat ganz recht«, unterbrach ihn Trautman in nachdenklichem Ton. »Wir haben Hasim und seinem Bruder geholfen, die Särge aus den Laderäumen der TI-TANIC zu bergen. Aber wir wissen nicht sicher, ob es dieselben Wesen waren. «

»Wer soll es denn sonst gewesen sein?« fragte Ben patzig.

Trautman hob die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Spezialist für Lebewesen von anderen Sternen. Ich denke nur, wir sollten Serenas Geschichte ernst nehmen. «

»Eine zehntausend Jahre alte Legende?« ächzte Ben. »Die allermeisten Legenden haben einen wahren Kern«, sagte Trautman. »Also gut, fassen wir zusammen: Wir wissen, daß die TITANIC vor fünf Jahren gesanken ist, nachdem sie mit einem Raumschiff zusammengestoßen ist, das die Körper Dutzender Wesen bergen wollte, die sich in den Laderäumen des Meeresgiganten befanden - ohne daß irgend jemand an Bord etwas davon wußte. Sowohl die TITANIC als auch das fremde Schiff sind nach dem Zusammenprall gesunken. Fünf Jahre lang haben sie auf dem Meeresgrund gelegen, ohne daß irgend etwas geschah. Und jetzt, kaum vier Wochen später, kommen wir zurück, entdecken, daß das Schiff nicht zerstört worden ist, und am nächsten Tag ist es nicht mehr da. Ich glaube nicht, daß das Zufall ist. «

»Sondern?« fragte Juan.

Trautman zuckte erneut mit den Schultern. »Keine Ahnung«, gestand er. »Aber ich glaube nicht an Zufälle. Jedenfalls nicht an solche. «

Mike nickte langsam. »Und jetzt, wo niemand mehr da ist, den es beschützen muß... «

Trautman wiegte den Kopf. »Ja, so könnte es gewesen sein. « Aber sehr überzeugt klang er nicht. »Warum machen wir uns dann noch Sorgen?« fragte Ben. »Ich meine, wenn es wirklich von einem anderen Stern gekommen ist und sich jetzt wieder auf dem Rückweg dorthin befindet, können wir ihm sowieso nicht folgen. «

»Und wenn nicht?« fragte Chris. Er deutete auf das Fenster, dann nach oben, zur Decke des Salons. »Nur, weil es nicht mehr da ist, muß es nicht zwangsläufig dort sein, oder?«

Ben verdrehte die Augen. »Warum müßt ihr eigentlich immer alles so kompliziert machen? Es ist nicht mehr da, basta. Was sollen wir tun? Vielleicht den gesamten Ozean danach absuchen? Das ist doch sinnlos. « »Und wenn Serena recht hat?« fragte Chris. »Wenn dieses Ding wirklich gefährlich ist?« »Wenn, wenn, wenn!« maulte Ben. »Wir können es nicht ändern, oder? Wir wissen ja nicht einmal, wo wir danach suchen sollen. «

»Genug!« fuhr Trautman dazwischen. »Es nutzt niemandem etwas, wenn wir uns streiten. Ich schlage vor, wir gehen noch einmal hinüber zur TITANIC und sehen uns gründlich um. Vielleicht finden wir irgendwelche Spuren, die uns weiterhelfen. « »Aber das ist doch nichts als Zeitverschwendung«, beharrte Ben.

»Niemand zwingt dich, mitzukommen«, antwortete Trautman scharf. »Du kannst hierbleiben oder mitkommen, ganz wie du willst. Aber wir haben wirklich keine Zeit für endlose Diskussionen. «

Nicht nur Ben starrte Trautman verwundert an. Für eine Sekunde breitete sich ein allgemeines Schweigen aus. Keiner hier war diesen Ton von Trautman gewohnt, und Mike konnte sich tatsächlich an keine einzige Gelegenheit erinnern, bei der Trautman seine Autorität jemals so ausgespielt hatte. Verblüfft fragte er sich, was in ihn gefahren sein mochte. Er bekam sogar unerwartet eine Antwort auf diese Frage.

Er hat Angst, wisperte die Stimme des Katers in seinen Gedanken.

Mike konnte im letzten Moment den Impuls unterdrücken, laut zu antworten, sah den Kater aber fragend an. Angst? antwortete er auf die gleiche, lautlose Art. Wovor?

Astaroth erwies sich als ein weitaus talentierterer Schauspieler, als Mike es war, denn er hockte seelenruhig auf seinem Hinterteil und schien voll und ganz damit beschäftigt zu sein, seine Vorderpfoten zu lecken. Da jedermann an Bord wußte, daß der Kater imstande war, Gedanken zu lesen, hatten sie Astaroth schon vor langer Zeit das Versprechen abgenommen, es nicht ohne ihr Einverständnis zu tun. Astaroth hatte zwar auf seine typische, überheblich-spöttische Art darauf geantwortet, schließlich aber doch eingesehen, daß Menschen es nun einmal nicht mochten, wenn man in ihren innersten Gedanken las wie in einem offenen Buch. Natürlich tat er es dann und wann trotzdem, und ebenso natürlich argwöhnten alle an Bord, daß es so war -alle außer Mike. Er wußte, daß der Kater nicht die geringste Absicht hatte, sein Versprechen einzuhalten. Wer hätte jemals von einer Katze gehört, die sich an eine Abmachung hielt -außer, es war zu ihrem Vorteil? Wovor hat er Angst? Doch nicht vor dieser uralten Geschichte?

Nein, antwortete der Kater. Gewiß nicht. Er hat Angst, daß dieses Sternenschiff gefunden werden könnte. Wieso?

Bist du so begriffsstutzig, oder tust du nur so? fragte Astaroth patzig. Deine Brüder und Schwestern führen seit drei Jahren einen Krieg gegeneinander, der allmählich die ganze Welt in Brand zu setzen beginnt. Was glaubst du wohl, würde passieren, wenn eine der beiden Seiten dieses Schiff in die Hände bekäme? Sie haben schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um der NAUTILUS habhaft zu werden. Was würden sie erst tun, um dieses Ding in ihren Besitz zu bekommen? Mike konnte ihm nicht widersprechen. Schlimmer noch: So, wie die politische Lage auf der Welt im Moment aussah, waren so ziemlich alle Hände die falschen. Da sie den größten Teil ihrer Zeit auf und unter dem Meer zubrachten, vergaßen sie nur allzu schnell, daß über ihren Köpfen seit drei Jahren eine Auseinandersetzung tobte, die unter dem Begriff Erster Weltkrieg in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Aber dieser Krieg hatte sie schon mehr als einmal eingeholt, und er hatte unter der Besatzung der NAUTILUS auch ein Opfer gefordert. Allein bei der Vorstellung, daß dieses Sternenschiff mit seiner um wahrscheinlich jahrtausendeweit fortgeschrittenen Technik einer der beiden Seiten -und ganz gleich, welcher! -in die Hände fallen könnte, lief Mike ein eisiger Schauer über den Rücken.

»Hast du alles verstanden? Mike? Mike!« Mike fuhr zusammen und sah zu Trautman hoch. Er begegnete einem mehr als ärgerlichen Blick und begriff, daß Trautman ihn wahrscheinlich schon zwei-oder dreimal angesprochen hatte, ohne daß er es auch nur hörte. »Wie?« fragte er kleinlaut. »Jetzt, wo ich deine geschätzte Aufmerksamkeit ebenfalls habe, können wir vielleicht aufbrechen«, sagte Trautman, wieder in scharfem Ton. »Du und ich sehen uns die Stelle an, wo das Sternenschiff gewesen ist. Die anderen bleiben hier und ruhen sich aus. Für den Fall, daß irgend jemand noch überschüssige Energie hat, kann er Serena helfen, die Bibliothek nach Hinweisen auf diese Legende zu durchsuchen. « Er deutete auf die dem Fenster gegenüberliegende Wand, die fast zur Gänze von einem gewaltigen Bücherregal eingenommen wurde. Keiner von ihnen hatte sich je die Mühe gemacht, sie zu zählen, aber es mußten Tausende sein. »Damit wirst du wohl hinreichend beschäftigt sein, bis wir zurückkommen. «

Mike riß erneut verblüfft die Augen auf. Das war kaum noch der Trautman, den sie alle kannten. Er konnte sich nicht erinnern, ihn jemals in einem solchen Ton reden gehört zu haben.

»Also, brechen wir auf«, sagte Trautman. »In einem stimme ich Ben nämlich zu: Ich habe keine Lust, länger als notwendig hierzubleiben. « Er stand auf, drehte sich auf der Stelle herum und verließ mit energischen Schritten den Raum. Mike warf einen fragenden Blick zu Serena hinüber, erntete aber nur ein ratloses Achselzucken. Keiner von ihnen hatte Trautman jemals so gereizt gesehen. Es war direkt unheimlich.

Und es sollte erst der Anfang sein.

Es war nicht das erste Mal, daß Mike an genau dieser Stelle stand und zu der gewaltigen Klippe aus muschelverkrustetem Stahl und Rost hinaufsah, aber das Gefühl, das er dabei hatte, hatte sich nicht verändert. Es schien sogar noch stärker geworden zu sein, er kam sich winzig und verloren vor, wie eine Ameise vor der Fassade eines Hauses. Die TITANIC hatte ihren Namen zu Recht, aber es war eben eine Sache, zu hören, daß es sich um den größten Passagierdampfer handelte, der jemals gebaut worden war, und eine ganz andere, diesem schwimmenden Koloß wirklich gegenüberzustehen.

Wie die TITANIC so auf dem Meeresboden lag, halb auf die Seite gesunken und mit aufgerissener Flanke, kam sie ihm sogar noch bedeutend größer und gewaltiger vor. Die TITANIC war tot, aber sie war immer noch ein Gigant.

Trautmans Gedanken schienen in eine ganz ähnliche Richtung zu gehen, denn er war wie Mike stehengeblieben und blickte eine ganze Weile wortlos nach oben. »Unglaublich«, sagte er schließlich. »Was?« fragte Mike. »Daß sie gesunken ist?« Trautman schüttelte den Kopf, aber der Helm seines Unterwasseranzuges, der fest mit den Schultern verbunden war, blieb starr. Mike sah nur, wie sich sein Gesicht hinter der Scheibe von rechts nach links und wieder zurück bewegte. »Auch«, sagte er. »Aber viel unglaublicher finde ich noch, daß Menschen in der Lage sind, so etwas zu bauen. «

Mike verstand sehr gut, was er meinte. Auch ihn hatte ein Gefühl von Ehrfurcht ergriffen, als er das Schiff zum ersten Mal gesehen hatte. Selbst die NAUTILUS mit ihren immerhin hundert Metern wirkte neben dem Wrack der TITANIC wie ein Zwerg.

»Komm«, sagte Trautman schließlich. »Gehen wir weiter. «

Etwas widerwillig setzte sich Mike in Bewegung. Durch die enorme Größe der TITANIC war ihm der Weg zum Bug nicht annähernd so weit vorgekommen, wie er in Wahrheit war -sie marschierten gute zehn Minuten nebeneinander durch den pulverfeinen Sand, der den Meeresboden hier bedeckte, ehe der Bug des Schiffes mit dem klaffenden Riß auch nur sichtbar näher kam. Mike drehte sich in dieser Zeit mehrmals herum und sah in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

Der Anblick war bizarr und faszinierend zugleich. Ihre Schritte hatten den Sand aufgewirbelt, der sich in dem nahezu unbewegten Wasser nur ganz langsam wieder zu Boden senkte, aber die Bewegung der braungelben Wolken war weit und breit die einzige Bewegung, die er im Licht der starken Helmscheinwerfer sah. »Worauf wartest du?« erklang Trautmans Stimme plötzlich in seinem Helm. »Trödel nicht so herum! Unser Sauerstoffvorrat reicht schließlich nicht ewig. « Mike drehte sich hastig wieder herum und beeilte sich, Trautman zu folgen. Irgend etwas am Anblick der langsam auseinandertreibenden Sandwolken beunruhigte ihn, aber er konnte nicht sagen, was, und Trautman schien nicht unbedingt in der Stimmung zu sein, mit ihm darüber zu diskutieren. Der Eindruck von vorhin hatte ihn nicht getrogen: Trautman war wirklich miserabler Laune. Und das war seltsam. Trautman strahlte oft eine besänftigende Ruhe aus und zeigte sich manchmal auch übermäßig besorgt, aber Mike konnte sich eigentlich nicht erinnern, ihn jemals launisch erlebt zu haben...

Sie brauchten noch einmal fünf Minuten, um den überhängenden Bug des Riesenschiffes zu erreichen. Der klaffende Riß, breit genug, um einen kompletten Güterzug aufzunehmen, erhob sich scheinbar unendlich weit über ihnen, und Mike begann sich allmählich zu fragen, warum sie überhaupt noch einmal hergekommen waren. Daß das Sternenschiff nicht mehr da war, wußten sie auch so...

Trautman hob seinen Scheinwerfer und ließ den grellen Lichtkreis langsam über die Ränder des Risses gleiten. Er tat dies eine ganze Weile, und schließlich sagte er leise: »Ja. Das habe ich mir gedacht. « »Was?« fragte Mike.

Trautman drehte sich ganz zu ihm herum, ehe er antwortete. Mike konnte sein Gesicht hinter der Helmscheibe nur schemenhaft erkennen, aber seine Stimme klang sehr ernst. »Es ist alles noch viel schlimmer, als ich befürchtet hatte. Du sagst, daß es ungefähr dreißig Meter groß war?«

»Aber wirklich nur ungefähr«, beeilte sich Mike zu versichern. »Es können auch fünfzig gewesen sein. Oder nur zwanzig. Es ist ziemlich schwer, hier unten die richtige Größe zu schätzen. «

»Trotzdem... « Trautman hob den Scheinwerfer. »Ob nun dreißig oder fünfzig Meter, es muß das Schiff mit solcher Wucht getroffen haben, daß es sich fast bis zur Hälfte in den Rumpf gegraben hat. « »KeinWunder, daß sie untergegangen ist«, sagte Mike schaudernd. Über seinen Rücken lief ein eisiges Frösteln, als sein Blick dem Scheinwerferstrahl folgte und er sah, daß die zehn Zentimeter starken Stahlplatten des Rumpfes wie dünnes Stanniolpapier zerrissen waren.

»Aber wieso ist es schlimmer, als Sie befürchtet haben?«

»Sieh genau hin«, sagte Trautman. »Da. Und da. Und dort. « Jedesmal schwenkte er den Scheinwerferstrahl ein kleines Stückchen weiter, um Mike genau zu zeigen, was er entdeckt hatte. »Die Stahlplatten sind nach

innen gedrückt, wo es sich in den Rumpf gebohrt hat«, sagte er. »Aber an einigen Stellen sind sie auch nach außen gebogen. Siehst du?«

»Und?« fragte Mike. Er begriff nicht, worauf Trautman hinauswollte.

»Und?« erwiderte Trautman unwillig. »Seit wann bist du so begriffsstutzig? Kannst du dir ungefähr vorstellen, welche Kräfte nötig gewesen sein müssen, um das zu tun? Wir müssen unbedingt herausfinden, wo es ist. «

»Aber wie denn?« fragte Mike.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, gestand Trautman. »Vielleicht hat es Spuren hinterlassen. Ich weiß es nicht. « Er seufzte, dann drehte er sich langsam herum und ließ den Scheinwerferstrahl über den Meeresboden gleiten. Der Sand hatte sich noch nicht wieder vollständig zu Boden gesenkt; eine doppelte Reihe kleiner, langsam auseinanderdriftender Rauchsäulen schien den Weg zu markieren, den sie gekommen waren. »Unheimlich«, sagte Mike. Nun war es an Trautman, zu fragen: »Was?« Mike antwortete nicht. Es war das gleiche Gefühl wie vorhin, daß hier etwas nicht so war, wie es sein sollte. Dann wußte er es.

»Es ist viel zu ruhig«, sagte er. »Es müßte doch selbst in dieser Meerestiefe noch Fische geben. « »Vielleicht nicht ganz so viele wie weiter oben«, bestätigte Trautman. »Aber du hast recht. Es ist viel zu still hier... war das damals auch so, als Hasim und du hier draußen wart?«

Mike dachte einen Moment lang angestrengt nach, zuckte aber dann mit den Schultern. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Er hatte auch wahrlich anderes zu tun gehabt, als darauf zu achten, ob es hier Fische gab. »Das gefällt mir nicht«, sagte Trautman. »Das alles gefällt mir ganz und gar nicht. « Er ließ den Scheinwerferstrahl einmal rundum kreisen, aber das Ergebnis war überall dasselbe: so weit der grelle Lichtstrahl auch reichte, es rührte sich nichts.

»Das Ganze wird mir allmählich unheimlich«, sagte Mike. »Lassen Sie uns zu den anderen zurückgehen. « »Stell dich nicht so an«, antwortete Trautman unwirsch. »Hier ist absolut nichts, was uns gefährlich werden könnte. «

Mike wollte auffahren, biß sich aber dann im letzten Moment auf die Zunge und schluckte die wütende Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Trotzdem: Lange würde er sich Trautmans Benehmen nicht mehr bieten lassen.

»Aber wir sollten trotzdem zurückgehen«, fuhr Trautman nach einer Weile fort. »Unsere Atemluft reicht nicht ewig, und der Weg ist weit. « Damit wandte er sich um und begann langsam in die Richtung zurückzugehen, aus der sie gekommen waren. Er bewegte sich allerdings nur wenige Schritte weit, ehe er wieder stehenblieb und seine Lampe senkte, so daß der Lichtkreis einen kleinen, scharf abgegrenzten Bereich genau vor seinen Füßen beleuchtete. »Was ist los?« fragte Mike.

Er bekam keine Antwort. Nach ein paar Sekunden begann sich Trautman umständlich zu bücken, was in dem Unterwasseranzug nicht gerade leicht war, hob etwas vom Boden auf und richtete sich dann schwerfällig wieder auf.

»Sieh dir das an!« sagte Trautman jetzt. Seine Stimme klang sehr aufgeregt. Mike trat einen Schritt näher heran und riß erstaunt die Augen auf, als er sah, was Trautman da gefunden hatte. Es war ein Fisch.

Jedenfalls sah es aus wie ein Fisch... Trautman drehte sein Fundstück einen Moment lang in den Händen -und brach den vermeintlichen Fisch dann mit einer entschlossenen Bewegung in zwei Teile. Er bestand aus nichts anderem als aus porösem Stein! »Aber da kann doch... das kann doch gar nicht sein!« ächzte Mike. »Das ist doch unmöglich!« Trautman antwortete nicht, aber er bückte sich und grub einen zweiten Fisch aus dem Sand zu seinen Füßen aus. Diesmal zerbrach er ihn nicht, sondern schob ihn vorsichtig unter den Gürtel seines Tauchanzuges. Dann schwenkte er die Lampe ganz langsam im Halbkreis vor sich über den Boden. »Da hast du deine Fische«, flüsterte er erschüttert. Bisher hatte Mike nicht darauf geachtet, aber nun sah er sie überall: versteinerte Fische, die unter ihrem eigenen Gewicht halb in den feinen Sand am Meeresboden eingesunken waren. Es war ein unheimlicher, angstmachender Anblick. »Was ist hier nur geschehen?« murmelte er. »Ich weiß es nicht«, antwortete Trautman. Er hob noch einen Fisch auf und steckte ihn ebenfalls in den Gürtel, dann drehte er sich herum und setzte seinen Weg fort. Der Scheinwerferstrahl bewegte sich dabei von links nach rechts über den Boden vor ihnen, und wohin er auch leuchtete, überall glitzerten versteinerte Schuppen im Sand, starrten sie Augen aus Fels an und schnappten für alle Zeiten erstarrte offene Fischmäuler vergeblich nach Luft. Erst als sie sich schon ein gutes Stück vom Bug der TITANIC entfernt hatten, wurde es ein wenig besser. Sie sahen noch immer versteinerte Fische, aber es waren nicht mehr ganz so viele, und schließlich gab es keine mehr.

Sie gingen direkt zur NAUTILUS zurück, und als Mike auf das Meßgerät blickte, das an seinem linkenHandgelenk befestigt war, stellte er zu seiner Überraschung fest, daß sein Sauerstoffvorrat tatsächlich bereits auf

knapp zehn Minuten zusammengeschrumpft war. Er hatte gar nicht gemerkt, daß sie schon so lange hier draußen waren.

Die Tür der Tauchkammer öffnete sich, und Trautman trat ein. Mike warf noch einen Blick um sich und fuhr erschrocken zusammen, als er eine Bewegung im Licht seines Scheinwerfers gewahrte. Es war kein Ungeheuer, sondern nur ein harmloser Bewohner der Tiefsee -ein kleiner Krake mit ungefähr halbmeterlangen Armen, der in raschem Tempo auf ihn zugeschwommen kam.

Mike wunderte sich ein wenig über sein Verhalten. Wenn schon nicht er, so hätte ihn doch eigentlich der Scheinwerfer erschrecken müssen, denn hier unten, in der Welt, in der der Krake lebte, herrschte immerwährende Nacht.

Doch das Tier zeigte keine Scheu, sondern bewegte sich sehr zielsicher auf Mike zu. Noch ehe Mike richtig mitbekam, wie ihm geschah, hatte er ihn erreicht -und griff ihn unverzüglich an!

Der Krake prallte wie ein weicher Gummiball gegen seinen Helm. Mike taumelte unter dem Ansturm zurück und wäre um ein Haar gestürzt. Als er seine Balance endlich wiedergefunden hatte, hatte der Krake seinen Helm bereits mit allen acht Fangarmen umschlungen.

»He!« rief Mike. »Was soll denn der Quatsch? Ich bin doch keine Garnele!«

Er versuchte den Kraken abzuschütteln, aber das Tier erwies sich als erstaunlich stark. Die Saugnäpfe an seinen Fangarmen hingen wie festgeklebt an der Sichtscheibe des Helmes, und Mike konnte fühlen, wie sich die biegsamen Arme um den ganzen Helm und die Luftschläuche schlangen, die zu den Sauerstoffflaschen auf seinem Rücken führten. Mike hob die Hände, tastete nach dem Kraken und versuchte ihn abzustreifen.

In der nächsten Sekunde schrie er vor Schmerz auf. Irgend etwas hatte nach seinem Handschuh geschnappt und so heftig zugebissen, daß nicht einmal mehr der zähe Leinenstoff dem Angriff standgehalten hatte. Der Krake hatte ihn gebissen!

Mike geriet in Panik. Sein Anzug war beschädigt. Jetzt spürte er, wie eiskaltes Wasser in seinen Anzug drang und gleichzeitig seine kostbare Atemluft entwich. Er konnte nichts mehr sehen. Was als beinahe komischer Zwischenfall begonnen hatte, das war plötzlich zu einer lebensgefährlichen Bedrohung geworden. Mikes Herz machte einen entsetzten Sprung, als er hörte, wie sich einer der Luftschläuche löste und der Sauerstoff sprudelnd ins Meer entwich. Seine Hände griffen wild um sich. Er mußte die Tür der Tauchkammer finden!

Endlich berührte er das massive Rad, mit dem die Tür der Tauchkammer geöffnet wurde. Mit verzweifelter Kraft drehte er daran. Sein Anzug füllte sich immer rascher mit eisigem Wasser, und die Luft, die aus den beiden Flaschen auf seinem Rücken strömte, schien immer dünner zu werden. Sein Herz hämmerte, und es fiel ihm immer schwerer, zu atmen. Er öffnete die Tür gerade weit genug, um sich hindurchzuquetschen, taumelte in die Tauchkammer und zog die Stahltür in verzweifelter Hast hinter sich zu. Seine Faust krachte auf den großen Schalter neben der Tür, der die Pumpen aktivierte, mit denen das Wasser aus der Tauchkammer hinausgepumpt wurde.

Im selben Moment zerplatzte seine Helmscheibe. Mikes Augen weiteten sich ungläubig, als er den gezackten Riß sah, der sich plötzlich quer über die angeblich so gut wie unzerbrechliche Scheibe zog. Er griff mit verzweifelter Kraft zu, tastete blind nach den Fangarmen des Tieres und versuchte seine tödliche Umklammerung zu lösen.

Ein zweiter Riß erschien in seiner Helmscheibe, und ein dünner Sprühnebel aus eiskaltem Wasser benetzte sein Gesicht. Mike konnte zwar spüren, wie der Wasserspiegel in der Tauchkammer ganz allmählich sank, aber es geschah mit quälender Langsamkeit. Er hörte auf, an den Armen des Kraken zu zerren, sondern schlug statt dessen mit beiden Fäusten auf das Tier ein. Es war, als schlüge er auf einen Gummiball, den jemand über seinen Helm gestreift hatte, aber die erhoffte Wirkung blieb aus. Der Krake verdoppelte seine Anstrengungen nur noch.

Mikes Helmscheibe platzte endgültig auseinander. Ein Regen scharfkantiger Glasscherben überschüttete sein Gesicht, gefolgt von einem weiteren, eiskalten Wasserguß. Der einzige Grund, aus dem sich sein Anzug nicht sofort mit Wasser füllte, war der Krake, dessen Körper die zerborstene Helmscheibe fast vollkommen bedeckte.

Anstelle eines tödlichen Wasserschwalls drang ein Gewirr saugnapfbedeckter Fangarme in seinen Helm ein, und plötzlich sah er direkt in die Augen des Kraken, die ihn mit einem solchen Ausdruck von Zorn anblickten, daß er aufgeschrien hätte, hätte er es gekonnt. So blieb ihm nur, verzweifelt den Kopf nach hinten zu werfen, so gut es in dem engen Helm möglich war, um dem schnappenden Papageienschnabel des Kraken auszuweichen, der versuchte, ihm ins Gesicht zu beißen. Das Wasser war mittlerweile fast vollkommen aus der Tauchkammer gewichen, aber diese Rettung kam vielleicht zu spät. Mike hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Der Krake würde ihn ersticken. Langsam sank Mike in die Knie. Alles begann sich um ihn zu drehen. Noch ein paar Sekunden, und er würde das Bewußtsein verlieren.

Im buchstäblich allerletzten Moment wurde der Krake von seinem Helm heruntergerissen. Mike rang keuchend nach Luft, griff nach oben und löste mit zitternden Fingern die Verschlüsse seines Helmes. Kühle, unendlich süße Luft füllte seine Lungen. Ein paar Sekunden lang saß er einfach da und genoß das Gefühl, wieder atmen zu können. Erst dann öffnete er die Augen und sah sich nach seinem Lebensretter um. Er hatte erwartet, Singh oder vielleicht auch Trautman zu erblicken, aber er war allein in der Tauchkammer, jedenfalls auf den ersten Blick. Neben ihm spritzte das Wasser hoch. Zuerst erkannte er nichts außer einem Gewirr peitschender, sich windender Arme und schwarzem Fell.

Mike sank keuchend in sich zusammen. Ihm wurde schwarz vor den Augen, während Astaroth neben ihm den Kraken in Stücke riß.

»Ein Krake?« Bens Tonfall machte deutlich, daß es ihm schwerfiel, Mikes Worten Glauben zu schenken. »Bist du sicher?«

»Natürlich bin ich sicher«, antwortete Mike giftig. »Das Vieh hätte mir fast die Nase abgebissen. Wäre Astaroth nicht aufgetaucht, dann hätte mich dieses Biest vielleicht umgebracht!«

»Schluß!« sagte Trautman scharf. Ben funkelte Mike wütend an, aber er war klug genug, den Mund zu halten, und auch Mike zog es vor, den Rest dessen, was er sagen wollte, hinunterzuschlucken. »Immerhin bin ich nicht so blöd, daß mich die Fische beißen«, grollte Ben.

Trautman warf Ben und Mike noch einen warnenden Blick zu, ehe er sich umwandte und zum Tisch ging, auf dem Mike den demolierten Taucherhelm abgelegt hatte. »Unglaublich«, murmelte er, während er den Helm hochnahm und ein paarmal in den Händen hin und her drehte. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde, ich würde es nicht glauben. «

»Kraken greifen keine Menschen an«, sagte Chris überzeugt. Er meldete sich zwar selten zu Wort, aber wenn er etwas sagte, dann hatte es meistens Hand und Fuß. »Nicht einmal die ganz großen. Und solche Winzlinge schon gar nicht. «

»Vielleicht hättest du das dem Kraken sagen sollen«, erwiderte Mike giftig. »Ich hatte nämlich das Gefühl, daß er nichts davon wußte. «

»Wahrscheinlich war er krank«, mutmaßte Singh. »Oder er hat sich erschreckt und dich aus reiner Panik angegriffen. «

»Vielleicht hat er sich einfach geirrt und gedacht, da käme sein Dosenfutter«, witzelte Juan. Und außerdem hat er miserabel geschmeckt, fügte Astaroth hinzu, der wie üblich mitten auf dem Tisch saß und sich ausgiebig putzte.

Mike sah den Kater erschrocken an. Trotz allem war Astaroth in einem Punkt eine ganz normale Katze: Er liebte Fisch. Wenn er sagte, daß das Fleisch des Kraken nicht geschmeckt hatte, dann konnte das durchaus bedeuten, daß das Tier wirklich krank gewesen war. Und das wiederum konnte bedeuten, daß... Nein, Mike wollte nicht darüber nachdenken. Er hatte wahrlich schon genug andere Sorgen; auch ohne die Vorstellung, sich möglicherweise mit irgendeiner exotischen Krankheit infiziert zu haben. Trautman ließ den Helm wieder sinken und nahm statt dessen die beiden versteinerten Fische in die Hand, die er mitgebracht hatte. Sein Blick glitt zwischen dem verbeulten Helm und den beiden Fischen hin und her, und Mike konnte geradezu sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Schließlich sagte er: »Ich frage mich, ob es da irgendeinen Zusammenhang gibt. « »Zwischen den toten Fischen und dem Kraken?« fragte Juan stirnrunzelnd. Trautman nickte zögernd. »Es ist schon eigenartig«, sagte er. »Alles Leben hier unten scheint versteinert zu sein. Und das einzige lebende Wesen, auf das wir stoßen, benimmt sich wie toll. «

»Diese Fische können schon seit Millionen Jahren hier liegen«, sagte Chris. »Vielleicht hat die TITANIC sie aufgewirbelt. Sie muß -zigtausend Tonnen wiegen. Ich wette, hier unten hat es ganz schön gewackelt, als sie runtergekracht ist. «

»Wahrscheinlich werden wir dieses Rätsel nie lösen«, sagte Trautman seufzend. »Wir haben andere Probleme. Wir müssen das Sternenschiff finden. Nach dem, was ich am Wrack der TITANIC gesehen habe, bin ich sicher, daß es sich aus eigener Kraft befreit hat. « »Wahrscheinlich ist es längst wieder auf dem Weg zum Mars«, sagte Ben. »Oder wo immer es auch hergekommen sein mag. «

»Wahrscheinlich«, bestätigte Trautman. »Aber wahrscheinlich genügt mir in diesem Fall nicht. Ich will mich davon überzeugen, daß es wirklich fort ist. « »Und wie?« fragte Ben. »Sollen wir vielleicht hinterherfliegen?«

In Trautmans Augen blitzte es auf, aber er schluckte die wütende Antwort, die ihm sichtlich auf der Zunge lag, hinunter. »Die NAUTILUS verfügt über gewisse technische Möglichkeiten«, sagte er gepreßt.

»Ich werde darüber nachdenken. Heute abend. « Er wechselte den Tonfall. »Jetzt sollten wir uns alle ein bißchen Ruhe gönnen. Ich schlage vor, wir treffen uns zum Abendessen wieder und besprechen dann alles. « Er sah zuerst Ben, dann Mike an. »Vor allem euch beiden würde es guttun, wenn ihr in eure Kabinen geht und euch ein bißchen beruhigt. « Mike widersprach nicht, sondern stand wortlos auf und wandte sich zur Tür. Als er den Salon verließ, hörte er wieder Astaroths lautlose Gedankenstimme: Dann bis nach dem Abendessen. Bei mir steht heute frischer Krake auf der Speisekarte.

Ich dachte, er schmeckt so scheußlich? antwortete Mike auf dieselbe lautlose Art.

Stimmt, sagte Astaroth. Aber du hast anscheinend vergessen, wer heute Küchendienst hat. Und wer?

Ben, antwortete Astaroth. Unser Freund Ben kocht heute.

Oh, antwortete Mike. Nach ein paar Sekunden fügte er hinzu: Was glaubst du? Reicht der Krake für zwei?

Mike erwachte erst, als der helle Pfeifton durchs Schiff schrillte, der sie alle zum Essen rief. Tatsächlich war er auch hungrig, aber bevor er sich noch richtig darauf freuen konnte, seinen knurrenden Magen zu beruhigen, erinnerte er sich wieder an sein Gespräch mit Astaroth und daran, wer heute den Küchendienst versah. Bens Kochkünste waren unter der gesamten Besatzung der NAUTILUS gefürchtet. Du hättest meine Einladung annehmen sollen. Der Krake hätte auch für zwei gereicht.

Mike sah sich aus noch halb verschlafenen Augen um und entdeckte ein schwarzes Fellbündel, das am Fußende seines Bettes saß und ihn aus einem einzelnen, gelbglühenden Auge anstarrte. Seltsam -er war ganz sicher, die Tür seiner Kabine abgeschlossen zu haben.

Aber es war auch nicht das erste Mal, daß er sich ganz ernsthaft fragte, ob es vielleicht auch zu Astaroths geheimnivollen Fähigkeiten gehörte, durch Wände zu gehen.

Mike stand auf, reckte sich ausgiebig und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Wenn es jetzt Zeit zum Essen war, dann hatte er mit Sicherheit drei, wenn nicht vier Stunden geschlafen -aber er fühlte sich kein bißchen ausgeruht, sondern ganz im Gegenteil fast noch müder als zuvor.

Warte, bis du Bens Essen kostest, witzelte Astaroth. Das macht dich schlagartig wach, jede Wette. »Ich finde das nicht komisch«, sagte Mike laut. Astaroth gähnte. Du findest heute anscheinend gar nichts komisch, sagte er. Genau wie alle anderen hier. Was ist eigentlich mit euch los? Habt ihr alle was Schlechtes gefrühstückt?

Mike antwortete nicht darauf, aber Astaroths Worte beunruhigten ihn doch mehr, als er zugeben wollte. Er konnte sich tatsächlich nicht erinnern, jemals eine so gereizte Stimmung an Bord erlebt zu haben. Da hast du verdammt recht, sagte Astaroth. Noch zwei Tage weiter so, und sie gehen sich gegenseitig an die Kehle.

Mike starrte den Kater nachdenklich an. »Glaubst du, es hat etwas mit... mit dem Sternenschiff zu tun?« fragte er.

Dem Sternenschiff? Astaroth legte den Kopf schief. Ich weiß nicht mehr darüber als du. »Und Serena?«

Woher soll ich das wissen? fragte Astaroth scheinheilig. Schließlich hast du mir doch ausdrücklich verboten, die Gedanken der anderen zu lesen.

»Und du willst mir erzählen, daß du dich daran hältst?« Astaroth antwortete nicht. »Also los«, sagte Mike. »Was weiß sie wirklich?« Nicht viel, gestand Astaroth. Kaum mehr als das, was sie euch schon erzählt hat. Es ist nur eine alte Legende. Aber sie macht ihr viel mehr angst, als sie zugibt. »Und warum? «

Keine Ahnung, sagte Astaroth. Wenn sie es weiß, dann denkt sie ganz bewußt nicht daran. Vielleicht, weil ihr das, woran sie sich erinnern würde, einfach zu viel angst macht, dachte Mike. Ja, vielleicht, bestätigte Astaroth. Aber vielleicht weiß sie auch wirklich nichts. Er sprang vom Bett herunter und lief mit steil aufgestelltem Schwanz zur Tür. Komm mit. Bens Festmahl ist fertig, und ich glaube, Trautman hat Neuigkeiten.

Mike öffnete die Tür und folgte Astaroth in den Salon.

Er war der letzte, der sich zum Essen setzte, was von Ben und auch Serena mit spöttischen Bemerkungen kommentiert wurde. Mike verbiß sich jede Antwort; schon, um nicht erneut einen Streit zu provozieren. Das Essen war tatsächlich so schlecht, wie Astaroth ihm prophezeit hatte, aber Mike würgte es tapfer hinunter, und er faßte sich sogar noch weiter in Geduld, obwohl ihm dies angesichts dessen, was Astaroth über Trautman erzählt hatte, nicht besonders leicht fiel. Aber schließlich war es auch Trautman, der das allgemeine Schweigen brach.

»Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, das Schiff der Fremden zu finden«, sagte er. Alle blickten ihn neugierig an, aber er ließ etliche Sekunden verstreichen, ehe er fortfuhr: »Ich bin nicht sicher, daß es funktioniert, aber es ist einen Versuch wert. « Mike ließ seine Gabel sinken. »Und wie?« Statt direkt zu antworten, stand Trautman auf und kam mit einem der versteinerten Fische zurück. »Das hat mich auf die Idee gebracht«, sagte er. »Das und Mikes Krake. «

»Es war nicht mein Krake«, sagte Mike. Trautman ignorierte ihn.

»Ich bin ziemlich sicher, daß es da einen Zusammenhang gibt«, fuhr er fort. »Es gibt hier weit und breit kein lebendes Wesen mehr, und ich halte jede Wette, daß dieser Umstand etwas mit dem Sternenschiff zu tun hat. «

»Wieso?« wollte Ben wissen.

»Ich war noch einmal draußen, während ihr geschlafen habt«, sagte Trautman. »Allein?« Mike riß erstaunt die Augen auf. »Sie selbst haben uns doch eingeschärft, wie gefahrlich es ist, allein nach draußen zu gehen!«

Trautman schenkte ihm einen bösen Blick, ging aber ansonsten nicht auf seine Bemerkung ein. »Ich habe noch sehr viel mehr von diesen versteinerten Fischen gefunden, überall rings um die TITANIC herum. Aber nicht nur dort. Es gibt eine Art Spur, die nach Süden führt. «

»Eine Spur aus versteinerten Fischen?« fragte Ben zweifelnd.

»Es sieht so aus«, bestätigte Trautman. »Ich wollte mich nicht zu weit von der NAUTILUS entfernen, aber so, wie es aussieht, führt sie direkt in südliche Richtung. Wenn wir ihr mit der NAUTILUS folgen, finden wir das fremde Schiff vielleicht. Falls es noch hier ist. « »Dann sollten wir uns am besten gleich an die Arbeit machen«, schlug Chris vor.

»Ich bin müde«, nörgelte Ben. »Warum warten wir nicht bis morgen früh?«

»Weil sein Vorsprung dann einen weiteren halben Tag mehr beträgt«, antwortete Juan an Chris' Stelle. »Und?« fragte Ben. »Es ist wahrscheinlich seit zwei Wochen weg. Ein paar Stunden mehr oder weniger machen da doch nichts aus. «

»Ich übernehme deine Arbeit gerne mit«, sagte Juan spitz, »damit du deinen Schönheitsschlaf halten kannst. «

Ben sagte nichts mehr, aber Mike sah, wie sich für eine Sekunde alle seine Muskeln spannten, und in seinen Augen blitzte es so wütend auf, daß er sich nicht gewundert hätte, wäre Ben auf der Stelle hochgesprungen und hätte sich auf Juan gestürzt. »Wir sind alle müde«, sagte Trautman besänftigend. »Aber Juan hat recht -jede Stunde vergrößert den Vorsprung des Schiffes. Und wenn das da -« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die versteinerten Fische auf dem Tisch. »-wirklich etwas mit dem fremden Schiff zu tun hat, wie ich annehme, dann zählt jetzt jede Minute. «

Er drehte sich herum und begann eine Seekarte zu entrollen. Nachdem sie alle zu ihm getreten waren, nahm er ein Lineal auf und deutete mit der anderen Hand auf einen Punkt irgendwo im nördlichen Atlantik. »Hier haben wir die TITANIC gefunden«, sagte er. »Und genau hier sind wir jetzt. « Er deutete auf einen anderen Punkt, dann legte er das Lineal auf die Karte, so daß es die beiden Positionen verband. »Und jetzt seht euch mal die Karte an. Wenn das Schiff seinen Kurs fortsetzt, dann sind wir in spätestens fünf Tagen... « Er sprach nicht weiter, sondern schob das Lineal über die Karte, so daß es in gerader Linie eine Verlängerung des Weges bildete, den sie bisher genommen hatten, und Mike sog erschrocken die Luft ein. »Die karibischen Inseln!« keuchte er. Auch Juan riß die Augen auf, und Chris wurde sichtlich blaß. Nur Ben runzelte verständnislos die Stirn. »Und?« fragte er. »Was ist daran so schlimm?« »Es gibt unzählige Inseln dort«, sagte Trautman ernst. »Kuba, Jamaika, Haiti, aber auch viele kleine Inseln und Atolle, die zum Teil noch nicht einmal auf dieser Karte eingezeichnet sind. Aber sie haben fast alle eines gemeinsam. «

»Sie ragen aus dem Wasser?« fragte Ben. Juan verdrehte die Augen, während Chris und Mike Ben nur fassungslos anstarrten, aber Trautman sagte sehr ernst: »Sie sind bewohnt, Ben. « »Oh«, sagte Ben. Er wurde ebenfalls blaß. »Sie meinen, daß... daß man es finden könnte. « »Was er meint, ist, daß wir vielleicht demnächst nicht nur versteinerte Fische finden, du Idiot«, sagte Juan böse. Zu Mikes Erstaunen nahm Ben die Beleidigung hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wirkte sehr erschrocken.

»Ich fürchte, Juan hat recht«, sagte Trautman düster. »Offenbar reicht schon eine flüchtige Berührung des Schiffes aus, um die Versteinerung auszulösen. Mike hatte großes Glück, daß er es damals nur von weitem gesehen hat. Wäre er ihm nahe gekommen oder hätte er es gar berührt... «

Ein eisiger Schauer lief über Mikes Rücken, als ihm die ganze Konsequenz dessen bewußt wurde, was Trautman sagte. Hätte ihn Hasim vor zwei Wochen nicht daran gehindert, sich dem Sternenschiff zu nähern, das sich in den Bug der TITANIC gebohrt hatte, dann wäre ihm wohl dasselbe Schicksal zuteil geworden wie den zahllosen versteinerten Fischen. Möglicherweise hätten sich die Forscher einer späteren Zeit, die irgendwann einmal zum Wrack der TITANIC hinuntertauchen mochten, sehr über die steinerne Statue eines jungen Mannes in einem Taucheranzug gewundert, die neben dem gesunkenen Schiff auf dem Meeresgrund stand und mit einem Ausdruck ewiger Verblüffung auf den Zügen ins Nichts starrte...

»Können Sie ausrechnen, auf welche Insel es treffen wird?« fragte Chris.

Trautman schüttelte bedauernd den Kopf. »Dazu kenne ich seinen Kurs nicht genau genug«, sagte er. »Außerdem kann er durch Strömung und Gezeiten verändert werden. Ich kann nur hoffen, daß es keine der großen Inseln ist. Unvorstellbar, was geschieht, wenn dieses Ding an den Strand einer dichtbevölkerten Insel gespült wird. « Mike konnte sich ganz gut vorstellen, was dann geschehen würde... aber er zog es vor, es nicht zu tun. Nein, sie mußten das Schiff finden, ehe es weiteres Unheil anrichten konnte.

»Selbst, wenn wir es finden«, sagte Juan plötzlich, »was dann?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Trautman. »Vielleicht können wir es auf einen anderen Kurs bringen. Oder schlimmstenfalls zerstören. Die NAUTILUS ist bewaffnet, vergeßt das nicht. « »Nein!«

Serena hatte das Wort fast geschrien. Aller Aufmerksamkeit wandte sich ihr zu. Mike sah, daß sie leichenblaß geworden war. Sie zitterte am ganzen Körper, und ihre Augen waren riesig und dunkel vor Furcht. »Was meinst du?« fragte er.

»Wir... wir dürfen es nicht angreifen«, stammelte Serena. »Auf keinen Fall!« »Wieso nicht?« wollte Trautman wissen. »Weil wir alle sterben würden«, antwortete Serena. »Mein Volk ist schon einmal auf diese Wesen von den Sternen gestoßen. Es kam auch damals zum Kampf. Keiner, der sich ihnen entgegenstellte, hat ihn überlebt, versteht doch! Und wir hatten Waffen, von denen euer Volk nicht einmal zu träumen wagt. « »Die NAUTILUS ist ein Schiff deines Volkes«, erinnerte Mike sanft.

»Aber sie ist kein Kriegsschiff«, antwortete Serena aufgebracht. »Wenn wir dieses Schiff angreifen, werden wir alle sterben!«

Das ist aber eine sehr interessante Information, dachte Mike bei sich. Serena sprach sehr selten über ihre Vergangenheit und ihr Leben als letzte Prinzessin von Atlantis

-das ja immerhin zehntausend Jahre zurücklag. Und noch weniger wußten sie im Grunde über ihr Volk oder auch über dieses Schiff. Sie alle hatten dies bisher stillschweigend akzeptiert, denn jeder konnte sich vorstellen, welchen Schmerz es bedeuten mußte, in einer Welt aufzuwachen, die nichts, aber auch rein gar nichts mehr mit der zu tun hatte, in der man geboren und aufgewachsen war. Es war Serenas Art, damit fertig zu werden, indem sie einfach nicht darüber sprach und wahrscheinlich auch die Gedanken daran beiseite schob.

»Also hattet ihr Kriegsschiffe«, sagte Ben. Serena wich seinem Blick aus.

»Und Waffen, von denen wir nicht einmal zu träumen wagen«, fuhr Ben fort. »Deine Leute waren nicht ganz so friedliebend und weise, wie du uns immer glauben machen wolltest, habe ich recht?« »Das spielt jetzt keine Rolle«, sagte Trautman. »Tut es doch!« fuhr Ben auf. »Ich will nicht in einen zehntausend Jahre alten Krieg hineingezogen werden!« Für einen Moment machte sich betretenes Schweigen breit.

Alle -auch Trautman und Mike -sahen Serena betroffen an, und auch sie sah für eine oder zwei Sekunden sehr verlegen drein. Aber dann schüttelte sie entschieden den Kopf.

»Es war kein Krieg«, sagte sie. »Mein Volk ist ein paarmal auf die Fremden von den Sternen gestoßen, aber es gab niemals Krieg. «

»Für jemanden, der nichts weiß, weißt du aber eine ganze Menge«, grollte Ben. »Laß sie endlich in Ruhe!« sagte Mike scharf. Ben wandte mit einem Ruck den Kopf in seine Richtung. In seinen Augen blitzte es auf. »Nein«, sagte er böse. »Sie verschweigt uns etwas. Aber hier geht es um Leben und Tod, für andere und vielleicht auch für uns! Wir haben ein Recht zu erfahren, was es mit diesen Fremden wirklich auf sich hat!« Aber sie sagt die Wahrheit. Astaroth sprang mit einem eleganten Satz auf den Tisch und machte es sich mitten auf Trautmans Seekarte bequem. Sie weiß wirklich nicht mehr, als sie euch gesagt hat. Mike übersetzte Astaroths Worte, worauf sich alle dem Kater zuwandten.

»Und wieso rückt sie dann nur häppchenweise mit der Wahrheit heraus?« fragte Ben.

Weil es ihr unangenehm ist, daran zu denken, Blödmann, antwortete Astaroth. Mike übersetzte weiter, wobei er den Blödmann vorsichtshalber wegließ. Es ist nur eine alte Legende. Wie eure Märchen. Aber es ist auch eine Legende voller Schrecken und Furcht, an die sich niemand gerne erinnert. Den Trick habt ihr auch drauf. Bei euch heißt es Verdrängen. Aber das Ergebnis ist dasselbe. »Das klingt einleuchtend«,sagte Trautman, als Mike mit der Übersetzung zu Ende war. »Ich glaube ihr. Aber wir sind noch immer in der gleichen brenzligen Lage. Wir müssen dieses Ding einholen, bevor es auf eine von Menschen bewohnte Insel trifft. « »Fahren wir schon mit Höchstgeschwindigkeit?« fragte Chris.

Trautman verneinte. »Aber schneller können wir nicht«, fügte er hinzu. »Wir würden sonst Gefahr laufen, die Spur zu verlieren. «

Ben deutete auf die Karte. »Und wenn wir dem Kurs einfach folgen und versuchen, es zu überholen?« Trautman schüttelte abermals den Kopf. »Es gibt Hunderte von kleinen Inseln dort«, sagte er entschieden. »Die Chance, die richtige zu erwischen, ist zu klein. Nein. Wir können nur so weitermachen wie bisher und beten, daß wir nicht zu spät kommen. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel. Möglicherweise Hunderte. «

Falsch, sagte Astaroth. Es muß heißen: Zehntausende. Mike starrte den Kater betroffen an. Aber das übersetzte er vorsichtshalber nicht.

Die nächsten beiden Tage blieb die Stimmung an Bord angespannt und gereizt. Es kam immer wieder zu kleineren Reibereien und mit Ben auch das eine oder andere Mal zu offenem Streit; was letztendlich dazu führte, das sie sich gegenseitig aus dem Weg gingen, so gut sie konnten.

Es wurde ziemlich einsam. Mikes einziger Gesprächspartner war schließlich nur mehr Astaroth, aber auch der Kater war -ganz gegen seine normale Art -äußerst einsilbig und lag fast die ganze Zeit auf Mikes Bett, um zu schlafen; oder sich zumindest schlafend zu stellen. Währenddessen folgte die NAUTILUS beharrlich der Spur des Todes, die das Sternenschiff hinterlassen hatte. Mike begann die Stunden hinter dem Ruder bald zu hassen, die er wie alle anderen im Wechsel zubringen mußte, denn die Bilder, die im bleichen Licht der Scheinwerfer auftauchten, verfolgten ihn noch bis in den Schlaf: eine endlose Kette versteinerter, für alle Zeiten erstarrter Fische und anderer Meereslebewesen, die den Boden bedeckte, mal in einer dichten, nach Tausenden zählenden Schicht, wenn der Todesbote von den Sternen den Weg eines größeren Schwarmes gekreuzt hatte, mal nur vereinzelt, so daß sie die Geschwindigkeit drosseln und in größer werdenden Kreisen über den Meeresboden fahren mußten, um die Spur wiederzufinden.

Am Morgen des dritten Tages brach sie ab. Trautman rief sie alle in den Salon. Auf dem Weg dorthin traf Mike auf Serena und Chris. Beide wirkten so müde und lustlos wie er, aber ihm fiel trotzdem auf, wie nervös die Atlanterin wirkte. Sie hatte in den vergangenen beiden Tagen kaum ein Wort mit ihm gesprochen. Wie alle anderen hatte sie sich in jeder freien Minute in ihre Kabine zurückgezogen, aber bei Serena traf ihn dieser Umstand ganz besonders. Serena war bei allen an Bord sehr beliebt, aber ihre Beziehung zueinander war immer ganz besonders innig gewesen. Sie waren mehr als Freunde. Seit Mike sie aus ihrem gläsernen Sarg befreit hatte, in dem sie seit zehntausend Jahren geschlafen hatte, verband sie etwas, was tiefer ging als eine normale Freundschaft. Keiner von ihnen konnte es in Worte fassen, aber sie spürten es beide.

Trautman erwartete sie schweigend und mit sehr ernstem Gesichtsausdruck im Salon. Das erste, was Mike auffiel, war die Stille. Das gleichmäßige Stampfen und Dröhnen, das den mechanischen Herzschlag der NAUTILUS bildete, war verstummt. Die Motoren liefen nicht mehr.

»Was ist passiert?« fragte Juan, der hinter ihnen als letzter den Salon betrat.

»Wir haben die Spur verloren«, antwortete Trautman ernst. »Schon vor einer Stunde. « Für eine kurze Zeit wurde es sehr still. Alle sahen sich betroffen an, bis Ben schließlich in das bedrückte Schweigen hinein sagte: »Vielleicht ist es weg. « »Natürlich ist es weg«, sagte Juan gereizt, aber Ben schüttelte nur den Kopf und fuhr in unerwartet ruhigem Ton fort:

»Ich meine wirklich weg. Gar nicht mehr hier, sondern auf dem Weg zurück nach Hause. « »Das wäre natürlich gut«, sagte Trautman. »Aber wir können uns nicht darauf verlassen. « Er seufzte. »Ich fürchte, uns bleibt keine andere Wahl, als bis an den Punkt zurückzufahren, an dem wir die Spur verloren haben, und dort den Meeresboden abzusuchen. Wenn es sein muß, Meter für Meter. Ich hoffe nur, daß wir dabei nicht zu viel Zeit verlieren. « »Und wo ist das Problem?« fragte Ben. Hastig fügte er hinzu: »Außer der Zeit. «

»Das Problem ist, daß das Meer an dieser Stelle so tief ist, daß wir das Schiff nicht verlassen können«, antwortete Singh an Trautmans Stelle. »Die Taucheranzüge halten dem Druck in dieser Wassertiefe nicht stand. « »Geht jetzt wieder in eure Quartiere«, sagte Trautman. »Ich wollte euch nur informieren, das ist alles. Singh und ich werden die NAUTILUS bis zu der betreffenden Stelle zurückfahren und dort mit der Suche beginnen. Ruht euch inzwischen noch aus, so gut ihr könnt. Die

»Selbst die NAUTILUS«, unterbrach ihn Serena. Sie lächelte schmerzhaft, aber trotzdem liefen ihr weiter die Tränen über das Gesicht. »Dieses Schiff wurde in meiner Heimat gebaut. Es hat einmal meinem Vater gehört, aber nun ist es zu einem Teil eurer Welt geworden. Es gehört euch viel mehr, als es jemals mir gehört hat. Ich... ich habe versucht, mich an den Gedanken zu gewöhnen, Mike, aber ich glaube nicht, daß es mir gelingt. Versuch dir vorzustellen, wie es ist, Mike, wenn du dich zum Schlafen niederlegst und in einer vollkommen anderen Welt aufwachst. Eine Welt, die nicht nur anders aussieht als alles, was dir vertraut ist, sondern vollkommen anders ist. Deren Menschen nicht nur eine andere Sprache sprechen, sondern sogar anders denken. Nichts hier ist mehr so, wie ich es gekannt habe. Selbst eure Legenden sind anders. « Ein Gefühl tiefer Trauer begann sich in Mike breitzumachen. Er konnte das ganze Ausmaß von Serenas Schmerz nicht erahnen, doch schon der schwache Hauch davon, den er spürte, reichte aus, sein Herz zusammenzupressen. »Aber seit du an Bord bist -«

»- habe ich mich selbst belogen«, unterbrach ihn Serena. »Euch alle, aber vor allem mich selbst. Ich habe geglaubt, daß ich damit fertig werde, aber das stimmt nicht. «

»Wir sind auch heimatlos, Serena«, sagte Mike leise. Er wußte, daß es nur ein schwacher Trost war, aber er sprach trotzdem fast verzweifelt weiter: »Ben, Chris, Juan, Singh

-selbst Trautman. Wir alle haben unsere Heimat aufgegeben und leben auf diesem Schiff. Wir sind ebenso heimatlos wie du!«

»Trotzdem ist es noch eure Welt«, widersprach Serena. »Für dich und die anderen ist das hier alles ein gewaltiges Abenteuer. Das war es bisher für mich auch. Aber es gibt einen Unterschied, weißt du? Ihr alle habt einen

Platz, an den ihr gehen könnt. Eines Tages seid ihr des Abenteuers vielleicht überdrüssig, und dann könnt ihr ein ganz normales Leben führen; vielleicht unter fremden Menschen, aber in eurer Welt. So einen Platz gibt es für mich nicht. «

»Es ist auch deine Welt«, widersprach Mike. »Ob du nun in Atlantis geboren bist oder in New York, spielt keine Rolle. Du bist ein Mensch wie ich. « »Ja, das habe ich mir auch einzureden versucht«, sagte Serena traurig. »Aber es ist nicht wahr. Eure Welt ist nicht wie unsere. Sie war es nie. Das weißt du sogut wie ich. « Sie schüttelte den Kopf. »Dieses Schiff hat nur Übles hervorgebracht, es hat schon das Leben deines Vaters zerstört, und es hätte beinahe deines und das deiner Freunde gekostet. Und es ist nicht nur dieses Schiff. Unsere Welt und eure passen einfach nicht zusammen. «

»Aber das stimmt doch nicht!« sagte Mike. »Wie oft sind wir auf Dinge aus unserer Welt gestoßen?« fragte Serena. »Dieses Schiff. Meine magischen Kräfte. Die Stadt auf dem Meeresgrund oder die Insel der Dinosaurier. Jedesmal sind wir nur mit knapper Not mit dem Leben davongekommen. « Sie schüttelte den Kopf. »Selbst unsere Legenden bringen den Tod. «

»Aber das ist doch nun wirklich nicht deine Schuld«, sagte Mike.

Serena lächelte traurig. »Nein, sicher nicht. Aber das macht es nicht besser. Unsere Welt und eure passen nicht zusammen. Ich kann auf Dauer sowenig hier leben, wie du und deine Freunde auf Atlantis leben könntet. «

Mike schwieg sehr lange. Er hätte Serena gerne widersprochen -aber er konnte es nicht. Schließlich fragte er: »Aber was willst du denn tun?« Serena antwortete nicht. Sie sah ihn nur an. Und nach einer Weile stand Mike ebenso wortlos auf, wandte sich um und verließ Serenas Kabine. Er merkte nicht einmal, daß auch ihm Tränen über das Gesicht liefen, als er auf den Gang hinaustrat.

Es vergingen weitere zwei Tage, ohne daß sie die Spur des fremden Schiffes wiederfanden. Sie hatten einen kreisförmigen Bereich des Meeresbodens mit einem Durchmesser von fünf Seemeilen abgesucht und das buchstäblich Quadratmeter für Quadratmeter, ohne auf mehr als Sand und Steine zu stoßen, und Trautman entschied, daß es genug war. Enttäuscht kehrten sie zum Ausgangspunkt ihrer Suche zurück und begannen von dort aus in immer größer werdenden Kreisen den Meeresboden abzusuchen. Die Stimmung an Bord war auf den Tiefpunkt gesunken.

Mike war allein im Salon der NAUTILUS. Trautman hatte ihnen Bescheid gegeben, daß er sie in einer Stunde zu einer letzten Beratung erwartete; ein Vorschlag, der nicht unbedingt mit Begeisterung aufgenommen worden war. Auch Mike fragte sich, wozu eine solche Beratung gut sein sollte. Sie hatten die Spur des Schiffes verloren. Im bestmöglichen Fall hatte es diese Welt verlassen. Das hat es nicht.

Mike schrak zusammen, als Astaroths lautlose Stimme ohne Vorwarnung in seinen Gedanken erklang. Er hatte nicht einmal gewußt, daß sich der Kater im Salon der NAUTILUS aufhielt. Das tue ich auch nicht, sagte Astaroth. Soviel zu Astaroths Beteuerungen, dachte er: Was macht dich so sicher?

Ganz einfach, antwortete Astaroth. Seine Stimme klang hörbar amüsiert. Ich habe es gefunden. »Du hast... was?« entfuhr es Mike. Nun ja, vielleicht nicht unbedingt das Schiff, räumte Astaroth ein. Aber doch eine deutliche Spur. Schau aus dem Fenster.

Mike eilte mit hastigen Schritten zum Fenster und sah angestrengt hinaus. Die NAUTILUS schwebte regungslos ungefähr zehn Meter über der Stelle, an der die Spur des Sternenschiffes wie abgeschnitten aufhörte. Der Meeresboden brach vor ihnen entlang einer wie mit dem Lineal gezogenen Kante ab, hinter der nichts als bodenlose Schwärze gähnte. Es war eine Schlucht von einer guten halben Meile Breite. Ihre Meßgeräte behaupteten, daß sie annähernd dreitausend Meter tief war; zusammen mit den mehr als zweitausend Metern Wasser, die sich bereits über ihnen türmten, also eine Tiefe, in die nicht einmal die NAUTILUS vorstoßen konnte.

»Wo?« fragte Mike aufgeregt. »Ich sehe nichts. « Natürlich nicht, antwortete Astaroth spöttisch. Das ist wieder mal typisch für euch Menschen. Ihr seht immer nur das, was ihr sehen wollt, nicht wahr? Guck genau hin. Der große Felsen direkt unter dir - war kein Felsen.

Mike erkannte die Wahrheit im selben Moment, in dem er Astaroths Worte hörte, und ganz plötzlich war es so deutlich, daß er sich eine Sekunde lang verblüfft fragte, wieso sie es nicht schon längst bemerkt hatten. Weil ihr Menschen seid, sagte Astaroth hämisch, als wäre das Erklärung genug - was es für ihn wahrscheinlich auch war.

Mike war allerdings viel zu erstaunt, um Astaroths Hohn auch nur wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Der Anblick war so bizarr, daß er im ersten Moment fast an seinem Verstand zweifelte. Zwanzig oder dreißig Meter unter der NAUTILUS lag ein Schiff. Es schien über die Kante der Schlucht gefallen zu sein, war aber auf einen Felsvorsprung geprallt, ehe es seinen Sturz in die Tiefe endgültig beginnen konnte, und lag nun kieloben dort, so daß nur der muschelverkrustete Rumpf im Licht des Scheinwerfers glitzerte eigentlich kein Wunder, daß sie es beim ersten Mal nicht gesehen hatten. Aber jetzt, wo er einmal wußte, daß es da war, war es ganz deutlich.

Zugleich fragte er sich allerdings auch, was der Anblick dieses Schiffswracks, so seltsam er auch sein mochte, mit dem Sternenschiff zu tun hatte. Es lag vielleicht schon seit Jahren hier, möglicherweise seit Jahrzehnten.

Häng noch ein paar Nullen dran, riet Astaroth spöttisch. So, wie es hier aussieht, könnte dieses Ding vermutlich seit einer Million Jahren auf dem Meeresgrund liegen. Es ist alles versteinert. Von der Besatzung angefangen.

Nun, dachte Mike, das ist der Beweis, daß das Schiff mit dem Gefährt von den Sternen kollidiert ist. Erst nach zwei oder drei Sekunden fiel ihm auf, daß... »Woher weißt du das?« fragte er laut. Weil ich an Bord bin, antwortete Astaroth. Mike war im ersten Moment so überrascht, daß er gar nicht antwortete. Astaroth war nun schon so lange an Bord der NAUTILUS, daß Mike manchmal vergaß, daß er eben kein normaler Kater war, sondern nur so aussah. Anders als sie konnte er sich selbst in dieser Wassertiefe ohne Taucheranzug frei bewegen und auch ohne Sauerstoffgerät atmen. »Wie sieht es an Bord aus?« fragte Mike aufgeregt. »Wie sieht es wo aus?« fragte eine Stimme hinter ihm. Mike fuhr erschrocken herum und starrte in Chris' Gesicht. Er war so sehr in sein Gespräch mit Astaroth vertieft gewesen, daß er gar nicht gemerkt hatte, wie Chris hereingekommen war.

Aufgeregt deutete er aus dem Fenster. »Astaroth hat ein gesunkenes Schiff entdeckt«, sagte er. »An Bord ist alles versteinert. Weißt du, was das heißt?« Chris trat zögernd näher. Ein verblüffter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Unglaublich«, sagte er. »Wieso haben wir es nicht gesehen?« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Ist er an Bord?«

»Ja«, antwortete Mike. »Also, Astaroth -wie sieht es aus?«

Schlimm, antwortete Astaroth. Bisher habe ich vier Matrosen gefunden. Sie sind vollkommen versteinert. Trautman hat mit seinen Befürchtungen recht. »Es bewegt sich«, sagte Chris.

Mike hörte nicht hin. »Kannst du herausfinden, was passiert ist?« fragte er. Und wie?

Mike überlegte einen Moment angestrengt, dann sagte er: »Versuch die Kapitänskajüte zu finden. Vielleicht kannst du das Logbuch mitbringen. « »Das sollte er bleibenlassen«, sagte Chris. »Mike, ruf ihn zurück. Schnell!«

Mike verstand im ersten Moment gar nicht, was Chris meinte. Auf Chris' Gesicht lag plötzlich ein erschrockener Ausdruck. Verwirrt blickte Mike ihn einen Moment lang an, dann wandte er sich wieder zum Fenster um -und fuhr ebenfalls erschrocken zusammen. Das Schiffswrack bewegte sich.

Es zitterte ganz sacht. Unter dem Rumpf lösten sich dünne Sandschleier, die wie glitzernder Schnee im Licht der Scheinwerfer aufblitzten, ehe sie in der lichtlosen Tiefe verschwanden. Mike war nicht sicher aber er hatte das Gefühl, daß sich das ganze Wrack ein Stück weiter zur Seite geneigt hatte. »Chris hat recht«, sagte er. »Komm da raus. Wenn das Schiff von der Klippe abrutscht, bist du geliefert. « Krieg dich wieder ein, antwortete Astaroth salopp. Ich bin schon in der Kapitänskajüte. In einer Minute -Das Schiff neigte sich ein Stück zur Seite. Ein Teil der ohnehin zerborstenen Aufbauten brach vollends auseinander und stürzte in die Tiefe, und Mike konnte ganz deutlich sehen, daß der Felsvorsprung einen Riß bekommen hatte und sich nach vorne neigte. »Astaroth!« rief er entsetzt. »Komm da raus! Schnell!« Er bekam keine Antwort. Aus den Rissen rieselte immer mehr Sand, der sich im Scheinwerferlicht zu einem silbrigen Vorhang verwandelte, der lautlos in der Tiefe verschwand. Aber in den fallenden Sand mischten sich auch mehr und mehr Felsbrocken. Möglicherweise würde der Felsvorsprung komplett abbrechen und das Schiff mit sich in die Tiefe reißen. »Astaroth!« sagte er noch einmal. »Raus da!« Das... das würde ich ja gerne, antwortete Astaroth kleinlaut. Aber als sich das Schiff bewegt hat, ist die Tür zugefallen.

Mike spürte einen neuerlichen, eisigen Schrecken. Das Schiff -und mit ihm der Felsvorsprung, auf dem es lag bewegte sich weiter. Es würde abstürzen, daran bestand gar kein Zweifel.

»Such einen anderen Ausgang!« sagte er. »Ein Fenster. Eine Tür. Irgendwas!«

Das würde ich ja gerne, antwortete Astaroth. Aber hier ist nichts. Nur die Tür. Ich -

Er brach mitten im Satz ab, und in derselben Sekunde sah Mike, wie sich das Schiff ein ganzes Stück zur Seite neigte. Einen Herzschlag lang starrte er das Wrack gelähmt vor Schrecken an, dann fuhr er auf der Stelle herum und stürmte los. »He!« schrie Chris. »Was hast du vor?« »Ich hole ihn raus!« rief Mike. »Sag den anderen Bescheid!«

»Bist du verrückt?« keuchte Chris. »Du kannst doch nicht da rüber -«

Den Rest des Satzes hörte Mike nicht mehr. Er war bereits aus dem Salon hinausgerannt und hetzte mit weit ausgreifenden Schritten auf die Treppe zu, die nach unten führte.

Keuchend vor Anstrengung erreichte er die Tauchkammer, warf die Tür hinter sich zu und begann mit fliegenden Fingern, den klobigen Taucheranzug anzulegen; ein Unternehmen, das sich ziemlich schwierig gestaltete, denn dazu waren normalerweise mindestens zwei Helfer nötig. Trotzdem schaffte er es in Rekordzeit. Hastig setzte er den Helm auf, hakte zwei frische Sauerstoffflaschen in das Tragegestell auf seinem Rücken ein und öffnete die Ventile, die die Kammer mit Wasser fluteten.

Als sie halb gefüllt waren, hämmerte jemand gegen die Tür. Mike ignorierte es. Zitternd vor Ungeduld wartete er, bis das Wasser hoch genug gestiegen war, um auch die äußere Tür zu öffnen, drehte das schwere Handrad und sprang hinaus, noch bevor sich das schwere Schott auch nur halb geöffnet hatte.

Und das etwas vorschnell. Die NAUTILUS hatte nicht auf dem Meeresboden aufgesetzt, sondern hing reglos etwa zehn Meter über dem Grund, so daß Mike eine ziemlich unsanfte Landung hinlegte, nachdem er aus dem Schiff gesprungen war.

In dem schweren Taucheranzug war an Schwimmen nicht zu denken, und der Boden war fast knietief mit Schlamm bedeckt, in dem Mike bei jedem Schritt einsank, so daß es ihn viel Kraft kostete, sich dem Abgrund zu nähern. Er bewegte sich wie durch unsichtbaren, zähen Sirup, und selbst das Atmen fiel ihm schwer. Er erinnerte sich ein wenig zu spät daran, daß Singh erwähnt hatte, der Wasserdruck in dieser Tiefe wäre bereits zu hoch für ihre Anzüge. Aber der Weg war ja gottlob nicht sehr weit.

»Astaroth?« keuchte er. »Verdammt noch mal, melde dich!«

Ich lebe noch, antwortete Astaroth. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange das noch so bleibt. Der ganze Kasten wackelt und zittert, als hätte er Schüttelfrost.

»Ich hole dich raus«, sagte Mike. »Nur noch ein paar Minuten. « Astaroth schwieg.

Mike hatte mittlerweile den Abgrund erreicht und sah sich mit einer neuen Schwierigkeit konfrontiert: Das Schiff lag fünfzehn oder zwanzig Meter unter ihm auf einem Felsvorsprung, aber es gab keinen Weg, zu ihm hinunterzugelangen. Die Wand war so glatt, daß er den Gedanken, an ihr abwärtszusteigen, sofort wieder verwarf.

Spring einfach, sagte Astaroth. »Zwanzig Meter tief? Bist du verrückt?« Unter Wasser wiegst du nur einen Bruchteil deines normalen Gewichts, antwortete Astaroth. Außerdem bist du gerade fast genauso tief gesprungen. Ja, dachte Mike. Aber da hatte er festen Boden unter sich gehabt, keinen Felsvorsprung, der schon unter seinem eigenen Gewicht abzubrechen drohte. Aber ihm blieb keine Zeit, lange nachzudenken. Das Schiff unter ihm bewegte sich immer noch, und die Risse im Fels waren nun deutlich breiter geworden. Mike schloß für einen Moment die Augen, raffte all seinen Mut zusammen und sprang in die Tiefe. Dicht neben dem muschelverkrusteten Rumpf des Schiffes glitt er hinunter, schlug ziemlich unsanft auf und blieb einen Moment auf Händen und Knien, bis sich der hochgewirbelte Sand wieder weit genug gesenkt hatte, um etwas sehen zu können.

Als er auf das Schiff zuging, spürte er, wie sich der Boden unter ihm bewegte. Es war, als versuche sich tief im Inneren des Felsens ein riesiges Etwas aus seinem Gefängnis zu befreien. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Da hast du verdammt recht, sagte Astaroth. Mehr nicht, aber in seiner Stimme war nun ein unüberhörbarer Unterton von Panik, der Mike dazu brachte, seine Schritte zu beschleunigen.

Das Schiff war mittlerweile vollends auf die Seite gekippt, so daß er an einer nahezu senkrechten Wand hinaufklettern mußte, um die Tür zu erreichen, die ins Innere hineinführte; eine Aufgabe, die er überhaupt nur deshalb bewältigte, weil das Schiff vollkommen zerstört war, so daß es überall Trümmerstücke und verbogene Metallteile gab, an denen seine Hände und Füße Halt fanden. Trotzdem war er total erschöpft, als er die Tür erreichte. Sein Herz raste, und er konnte den ungeheuren Wasserdruck, der auf seinem Anzug lastete, mit jeder Sekunde mehr spüren. Er bekam kaum noch Luft.

»Wo bist du?« keuchte er. »Die Kapitänskajüte! Wo ist sie? Schnell!«

Am Ende des Ganges, antwortete Astaroth. Auf der linken Seite... oder auf der rechten... Ich weiß nicht. Das Ding drehte sich ja andauernd!

Mike schaltete den Scheinwerfer ein, der am Helm seines Taucheranzuges angebracht war, und betrat vorsichtig den Gang. Ebenso wie der Rest des Schiffes bot er einen unheimlichen Anblick. Boden und Wände hatten ihre Plätze getauscht, und auch hier drinnen war alles vollkommen verwüstet.

Endlich erreichte er das Ende des Ganges. Es gab zwei Türen; da das Schiff auf der Seite lag, eine im Boden und eine in der Decke. Beide waren geschlossen. Mike ließ sich behutsam in die Knie sinken, tastete nach dem Riegel und zog ihn mit einiger Mühe auf. Um ein Haar wäre er kopfüber in die Tiefe gestürzt. Die Tür öffnete sich nach innen, was bedeutete, daß sie wie eine Falltür unter ihm wegsackte und Mike buchstäblich im allerletzten Moment Halt am Türrahmen fand. Natürlich hatte er die falsche Kajüte erwischt. Es war nicht die Tür, hinter der Astaroth gefangen war. Aber was Mike im grellen Licht seines Helmscheinwerfers sah, das ließ ihn vor Schrecken aufschreien. Der Raum war ebenso verwüstet wie der Rest des Schiffes. Sämtliche Möbel waren losgerissen und zu einem einzigen, gewaltigen Trümmerhaufen verkeilt, und inmitten dieses Durcheinanders befanden sich zwei Menschen. Sie mußten am Tisch gesessen haben, als der Tod sie ereilte, denn ihre versteinerten Körper waren in sitzender, leicht nach vorne gebeugter Haltung erstarrt; der eine hatte die Ellbogen auf einer nicht mehr vorhandenen Tischplatte abgestützt und das Kinn auf die Hände gelegt, der andere hielt noch den abgebrochenen Henkel einer Kaffeetasse in der Hand. Es war ein furchtbarer Anblick.

Und es wird vielleicht das letzte sein, was du in diesem Leben siehst, wenn du dich nicht ein bißchen beeilst, sagte Astaroth.

Mike riß sich fast gewaltsam von dem schrecklichen Bild los, stand auf und trat einen Schritt von der Tür zurück, ehe er den Kopf in den Nacken legte und nach oben sah. Der Gang war gottlob nicht sehr breit, so daß er die Tür mit ausgestreckten Armen erreichen konnte. Das Schloß ließ sich mit einem simplen Handgriff öffnen, aber es gelang ihm nicht, sie aufzudrücken. Irgend etwas Schweres blockierte sie. Mike spreizte die Beine, um festen Stand zu haben, preßte die Handflächen gegen die Tür und drückte erneut und diesmal mit aller Kraft. Die Tür bewegte sich, zwar nur ganz langsam, aber sie bewegte sich. Mike drückte noch fester. Also, ich an deiner Stelle würde das nicht - begann Astaroth.

Was er noch sagte, hörte Mike nicht mehr. Die Tür gab mit einem Ruck nach, und in der nächsten Sekunde duckte er sich unter einer wahren Sturmflut von Möbeln, Trümmerstücken, Büchern, Geschirr, nautischen Instrumenten und zerbrochenem Holz, die auf ihn herunterstürzte. Dem Großteil dieses überraschenden Bombardements konnte er ausweichen, aber als er schon glaubte, es überstanden zu haben, stürzte etwas Riesiges, Graues auf ihn herab, und Mike fühlte sich wie von einem unsichtbaren Faustschlag getroffen und von den Füßen gerissen. Etwas preßte ihn wie ein Tonnengewicht zu Boden. Einen Moment lang bekam er überhaupt keine Luft mehr, und rote und grüne Punkte begannen vor seinen Augen zu kreisen. Als er wieder sehen konnte, blickte er in ein steingraues Gesicht.

Mike schrie vor Entsetzen auf. Die schiere Angst gab ihm die Kraft, den versteinerten Körper von sich herunterzustemmen und auf die Füße zu springen. Die Gestalt prallte gegen die Wand und zerbrach in mehrere Teile. Mike wandte entsetzt den Blick ab. »Astaroth«, murmelte er. »Wo bist du?« Er bekam keine Antwort, aber einen Moment später tauchte der Kater in der offenen Tür über ihm auf. Zähne und Klauen hatte er in ein schweres, ledergebundenes Buch gegraben, das beinahe größer war als er selbst.

»Was treibst du da?« fragte Mike. »Bist du wahnsinnig? Wir müssen hier weg!«

Du wolltest doch das Logbuch haben, antwortete Astaroth. Oder soll das alles hier umsonst gewesen sein? Und jetzt hör auf zu meckern und hilf mir lieber! Mike griff rasch zu, schob das Buch unter seinen Gürtel und wandte sich hastig um. Das Schiff zitterte und bebte immer noch. Mike hörte ein tiefes, ununterbrochenes Rumpeln und Poltern, das tief aus dem Rumpf des Schiffes heraufdrang, aber auch einen Laut, der ihm viel mehr Angst einflößte: das Knirschen von Stein, der allmählich unter einem unerträglichen Druck zerbrach.

So schnell es in dem unförmigen Taucheranzug möglich war, lief er auf den Ausgang zu. Das Schiff neigte sich immer weiter zur Seite, so daß er die letzten Schritte wie ein Hochseilartist balancieren mußte.

Schnell! kreischte Astaroth. Er bricht! Mike schaffte es im letzten Moment. Er konnte fühlen, wie der Felsen tief unter seinen Füßen zerbrach, erreichte mit einem letzten, großen Schritt die Tür und stieß sich mit aller Kraft ab. Mit weit ausgebreiteten Armen glitt er ins Wasser hinaus, während das Schiffswrack unter ihm mit einer fast majestätisch anmutenden Bewegung zur Seite kippte und dann zusammen mit einem Großteil des Felsvorsprungs lautlos in die bodenlose Tiefe zu stürzen begann. Mike begann verzweifelt Schwimmbewegungen zu machen. Der Taucheranzug, der eigentlich viel mehr ein Unterwasserpanzer war und zu einem Gutteil aus dickem Leinengewebe, Eisen und Kupfer bestand, drohte ihn in die Tiefe zu reißen, und der Sog des abstürzenden Schiffes tat ein übriges, um ihn von der rettenden Felswand wegzuzerren. Mikes Finger glitten über brüchigen Stein, der unter seinen Handschuhen zerbröckelte, und für einen Moment war er hundertprozentig davon überzeugt, abzustürzen und dem Schiff auf seinem Sturz ins Nichts zu folgen, aber dann fanden seine Hände doch noch Halt. Mit aller Kraft klammerte er sich fest, biß die Zähne zusammen und zog sich Zentimeter für Zentimeter an der Wand in die Höhe, bis es ihm schließlich gelang, sich auf den Rest des abgebrochenen Felsens hinaufzuziehen. Keuchend vor Anstrengung fiel er auf die Seite, schleppte sich so weit vom Abgrund fort, wie es nur ging, und schloß die Augen.

Er war so erschöpft, daß ihm übel wurde, und vielleicht war das der einzige Grund, aus dem er nicht das Bewußtsein verlor, denn er hatte Angst, sich übergeben zu müssen - was im Taucherhelm nicht nur unangenehm, sondern durchaus lebensgefährlich werden konnte. Er blieb bei Bewußtsein, hatte aber nicht mehr die Kraft, aufzustehen oder sich auch nur um einen Millimeter zu bewegen. Der Druck, der auf seinem Anzug lastete, wurde immer unerträglicher. »Astaroth«, flüsterte er. »Du mußt... Hilfe holen. Ich... schaffe es nicht mehr die Wand hinauf. « Trautman und Singh sind schon unterwegs, antwortete der Kater und fügte hinzu: Willst du wissen, was Trautman denkt?

Mike hatte nicht mehr die Kraft, zu antworten. Aber er wollte es auch gar nicht wissen.

Natürlich erfuhr er es trotzdem. Es dauerte noch gute zehn Minuten, bis Trautman und Singh ein Seil an der Felswand hinunterließen und neben ihm auftauchten, und Trautman wartete auch, bis er wieder an Bord der NAUTILUS war und sie sich davon überzeugt hatten, daß er nicht ernsthaft verletzt war. Aber dann sparte er nicht mit Worten, Mike in den düstersten Farben auszumalen, was ihm alles hätte passieren können, und hinzuzufügen, was er von seiner Rettungsaktion hielt. Mike ließ alles klaglos über sich ergehen, und schließlich gab es Trautman auf und schickte ihn in seine Kabine. Mike war so erschöpft, daß er trotz allem auf der Stelle einschlief.

Er erwachte am nächsten Morgen erst sehr spät, und eingedenk dessen, was am vergangenen Tag geschehen war, trödelte er länger als notwendig herum, ehe er seine Kabine verließ und in den Salon ging. Er hörte die Stimmen der anderen schon von weitem: Sie unterhielten sich ziemlich lautstark. Irgend etwas mußte passiert sein.

Als Mike jedoch den Salon betrat, brach die Unterhaltung sofort ab, und alle starrten ihn an. Die plötzliche Stille irritierte Mike und vor allem die Blicke, die ihm die anderen zuwarfen. Mit Ausnahme von Serena, in deren Augen ein angedeutetes Lächeln aufglomm, sahen eigentlich alle ziemlich besorgt drein. Anstatt guten Morgen zu sagen, fragte er: »Was ist passiert?«

Niemand antwortete. Alle starrten ihn weiter an, aber nach einer Weile sagte Ben: »Wir sehen schließlich nicht jeden Tag einen Selbstmörder. « Mike setzte zu einer wütenden Antwort an, aber dann gewahrte er das warnende Funkeln in Trautmans Augen und beließ es bei einem zornigen Blick, den Ben wie erwartet mit einem herausfordernden Grinsen quittierte. Mit schnellen Schritten ging Mike zum Tisch, suchte sich einen freien Platz und sah Trautman an.

»Sie haben das Logbuch gelesen«, vermutete er. »Ja. « Trautmans Gesichtsausdruck war sehr ernst. »Und was ich darin gelesen habe, gefällt mir ganz und gar nicht. « Er beugte sich vor und legte die flache Hand auf das Buch, das Mike erst jetzt bemerkte. Der Ledereinband war aufgeweicht, und Mike sah, daß die meisten Seiten zusammengeklebt und damit vermutlich unleserlich waren.

»Um das ganz klar zu machen, Mike«, sagte er. »Dieses Buch ist sehr wichtig für uns, aber das allein rechtfertigt den Wahnsinn, den du dir gestern geleistet hast, in keiner Weise. Wenn du so etwas noch einmal machst, dann werde ich dich übers Knie legen und dir die Hosen strammziehen, ganz egal, wie alt du bist. « Etwas völlig Unerwartetes geschah: Mike hätte zerknirscht sein sollen oder zumindest niedergeschlagen, denn Trautman hatte mit jedem Wort recht. Er hatte nicht nur sein Leben aufs Spiel gesetzt, sondern auch das Trautmans und Singhs, die ihm nachgekommen waren, um ihn zu retten. Aber statt so zu reagieren, wurde er wütend; so zornig, daß er um ein Haar aufgesprungen wäre und Trautman angeschrien hätte. Er beherrschte sich nur mit äußerster Mühe, wenn auch wohl nicht gut genug, um Trautman nicht spüren zu lassen, was in ihm vorging.

Und auch Trautman reagierte ganz anders als gewohnt. Er, der normalerweise der ruhende Pol an Bord war, derjenige, der jeden Streit schlichtete, manchmal einfach nur durch seine Gegenwart, der blickte ihn herausfordernd, ja geradezu aggressiv an, und Mike konnte regelrecht spüren, daß er nur darauf wartete, einen Streit mit ihm zu beginnen.

Diese Erkenntnis erschreckte Mike. So sehr, daß er nach einigen Sekunden den Blick senkte und wenigstens so tat, als gäbe er das lautlose Duell auf. »Also gut«, sagte Trautman nach einer weiteren Sekunde. Er klang beinahe enttäuscht. »Kommen wir zum Inhalt des Logbuches. Ich denke, ich weiß jetzt, wo das fremde Schiff ist. « »Wo?« fragte Ben überrascht.

Trautman hob besänftigend die Hände. »Nicht so schnell«, sagte er. »Ich sagte: Ich denke, daß ich es weiß. Das Wasser hat das Buch leider sehr stark beschädigt. Ich bin nicht sicher, daß ich die Angaben genau entziffert habe. « Er seufzte, dann drehte er sich halb auf seinem Stuhl herum und sah Mike durchdringend an. »Du warst an Bord des Schiffes, Mike. Ist dir irgend etwas Besonderes aufgefallen?«

»Was meinen Sie?« fragte Mike. Ihm war natürlich eine ganze Menge aufgefallen, aber er hatte das Gefühl, daß Trautman auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte. Der alte Seemann zögerte eine ganze Weile, bis er schließlich mit einem angedeuteten Achselzucken sagte: »Leider konnte ich mir das Schiff nicht aus der Nähe ansehen, aber was ich von oben erkennen konnte und nach dem, was du mir erzählt hast, scheint es sich wohl um einen ganz normalen Frachter gehandelt zu haben. «

»Stimmt«, sagte Mike, aber Trautman schüttelte den Kopf.

»Eben nicht. Ein Teil der Logbucheintragungen scheint verschlüsselt zu sein, aber ich kenne mich glücklicherweise ein wenig mit solchen Dingen aus, und ich fahre lange genug zur See, um auch so zu erkennen, wenn etwas nicht das ist, was zu sein es vorgibt. Dieses Schiff war alles, nur kein ziviler Frachter, der Eisenerz oder Kohle transportiert hat. «

»Und was dann?« wollte Ben wissen. Er beugte sich gespannt vor, und auch Mike fühlte eine immer stärker werdende Neugier, aber er war auch etwas beunruhigt. Trautman gehörte normalerweise nicht zu den Menschen, die es genossen, eine Sache so spannend wie möglich zu machen. Wenn er jetzt so zögerte, mit der Wahrheit herauszurücken, mußte er einen besonderen Grund dafür haben.

»Wenn sich mein Verdacht bestätigt«, sagte er schließlich, »dann war es ein deutsches Spionageschiff. Zwar getarnt als britischer Frachter und mit perfekt gefälschten Papieren, aber trotzdem ein Boot, das im Auftrag des Kaiserreiches unterwegs war. « »Hoppla«, sagte Ben. Sein Gesicht verdüsterte sich. Der Krieg, der nun schon seit Jahren tobte und ihnen allen die Heimat und sogar einen Freund genommen hatte, berührte die NAUTILUS und ihre Besatzung normalerweise nicht. Nur Ben konnte es manchmal nicht lassen, sie alle daran zu erinnern, daß er zu einer der beteiligten Parteien gehörte und der Meinung war, daß die Neutralität, die die Besatzung der NAUTILUS feierlich geschworen hatte, für ihn vielleicht nicht hundertprozentig galt. Aber zu Mikes Erleichterung enthielt er sich jeden weiteren Kommentars, sondern sah Trautman nur aufmerksam an und wartete darauf, daß er weitersprach. Trautman aber starrte nur mit finsterem Gesicht ins

Leere. Schließlich war es Serena, die das Schweigen brach. Sie räusperte sich und fragte: »Und was bedeutet das nun für uns?« »Nichts Gutes, fürchte ich«, antwortete Trautman mit einem tiefen Seufzen. Er versuchte zu lächeln, was ihm nicht wirklich gelang, aber als er weitersprach, klang seine Stimme wieder etwas kräftiger: »Ich werde euch einfach erzählen, was ich in dem Logbuch gefunden habe«, sagte er. »Immer vorausgesetzt, ich habe es richtig entziffert. Das Wasser hat die Seiten stark beschädigt, so daß ich etliches nur erraten konnte. Aber es scheint, als wäre der Frachter vor vier oder fünf Tagen mit dem fremden Schiff kollidiert. «

»Zusammengestoßen?« ächzte Chris. »Aber dann hätten sie doch auf der Stelle versteinert werden müssen!« Trautman machte eine verneinende Bewegung. »Sie haben es wohl nur gestreift«, sagte er. »Nicht heftig genug, um den Frachter zu beschädigen. Und vermutlich nicht lange genug, damit die unheilvolle Wirkung des fremden Schiffes sofort auf die Besatzung übergreifen konnte. «

»Aber stark genug, daß das fremde Schiff seinen Kurs geändert hat«, vermutete Juan.

Trautman nickte. Er schlug das Logbuch des Frachters an einer Stelle auf, die er mit einem weißen Papierstreifen markiert hatte. Es war nicht der einzige Streifen dieser Art. Mike sah, daß er mindestens ein Dutzend dieser weißen Zettel zwischen die Seiten geschoben hatte und einige vor der Stelle, auf die er nun deutete. Trautman mußte das Logbuch sehr gründlich studiert haben. »Ich werde es euch vorlesen«, sagte er. »Hier ist die erste Eintragung.

Dienstag, 5. März: In den frühen Vormittagsstunden sind wir mit einem schwimmenden Objekt zusammengestoßen, das unversehens auf dem Meer auftauchte. Der Erste Maat und der Küchenjunge trugen dabei leichte

Verletzungen davon, und es kam zu etlichen Beschädigungen durch umfallende Möbelstücke und losgerissene Gegenstände. Das fremde Objekt - ich werde es in Ermangelung einer besseren Bezeichnung bis auf weiteres als »Schiff« bezeichnen - ist sehr sonderbar; das schlechte Wetter und die nach dem Zusammenstoß an Bord ausgebrochene Panik machten eine genaue Inspektion im ersten Moment unmöglich, doch es ist zweifelsfrei, daß es sich nicht um ein Schiff gewöhnlicher Bauart handelt. Tatsächlich ähnelt es nichts, was ich oder irgendein Mitglied der Besatzung jemals zu Gesicht bekommen hätte. Es bewegt sich mit einer Geschwindigkeit, die nur wenig unter der unseren liegt, in südöstlicher Richtung. Wir nehmen die Verfolgung auf. «

Trautman schlug die Seite um und las an einer anderen Stelle weiter: »Wir sind dem unbekannten Objekt heute nahe genug gekommen, um es einigermaßen beschreiben zu können. Mein erster Eindruck, daß es sich um eine Art Schiff handelt, war vollkommen falsch. Ich kann jedoch nicht sagen, was es ist. Wenn seine Form unter der Wasseroberfläche der gleicht, die sichtbar aus dem Meer ragt, so scheint es sich um eine Art flacher Scheibe mit einem Durchmesser von dreißig oder fünfunddreißig Metern zu handeln. « Trautman sah für einen Moment auf. »Fällt euch auf, daß die Angaben in Metern gemacht sind? Wäre der Kapitän tatsächlich ein Engländer oder Amerikaner, wären die Angaben in Fuß oder Yard. « Alle nickten, nur Serena sah ein bißchen verwirrt drein, so daß Mike sagte: »Die Deutschen haben ein anderes Maßeinheitssystem. Sie rechnen in Metern. Die Engländer in Yard. « Trautman bestätigte seine Worte mit einem Nicken und wandte sich dann wieder dem Logbuch zu: »Auf seiner Oberfläche sind weder Bullaugen, Fenster oder irgendeine Einstiegsmöglichkeit zu entdecken. Es scheint aus einem uns unbekannten Metall zu bestehen, denn es weist keinerlei Spuren des Salzwassers oder anderer Witterungseinflüsse auf. Ebenso konnten wir keine Antriebsmöglichkeit gewahren, die es jedoch geben muß, denn das Objekt bewegt sich, zwar mit der Strömung, aber weitaus schneller, als dies allein mit der Kraft der Gezeiten zu erklären wäre. Wir behalten die Verfolgung bei. « Er blätterte weiter. »So geht es zwei oder drei Tage lang. Sie sind offenbar nie nahe genug an das fremde Schiff herangekommen, um es zu betreten, oder haben es nicht gewagt. «

»Aber irgendwann müssen sie doch... « begann Chris, wurde jedoch von Trautman mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen gebracht. »Warte«, sagte er. Dann las er weiter: »Freitag, 8. März: Das fremde Objekt ist nicht mehr im Meer. Heute im Morgengrauen erreichten wir eine kleine Inselgruppe -« Er sah auf, blickte in die Runde und fügte mit veränderter Stimme hinzu: »Hier ist nun die genaue Positionsangabe in Längen- und Breitengraden. -auf die es genau zuhielt. Wir konnten einige kleinere Kurskorrekturen beobachten, die eindeutig auf das Wirken einer vernunftbegabten Kraft hinweisen. Das Objekt scheint also bemannt zu sein, auch wenn seine Besatzung bisher keine Anstalten gemacht hat, mit uns in Kontakt zu treten. Die Gruppe besteht aus fünf großen Inseln und etlichen Dutzend kleinerer Eilande und Atolle. Das Objekt steuerte die größte dieser Inseln an und lief gegen Mittag auf dem Strand auf. Es liegt nunmehr nur noch zu einem Viertel im Wasser, so daß wir seine äußere Form genauer erkennen können. Unsere erste

Einschätzung war richtig; es hat tatsächlich die Form einer flachen Scheibe und scheint weder Ruder noch Schrauben oder irgendeinen anderen Antrieb zu haben. Wie es sich im Wasser halten und gar Geschwindigkeit und Kurs bestimmen kann, ist mir ein völliges Rätsel. « »Ich kürze hier ein wenig ab«, sagte Trautman und blätterte weiter, wobei er einige der mit Zetteln markierten Stellen überschlug. »Der Kapitän beschreibt genau, wie sie sich der entsprechenden Insel genähert haben und in einiger Entfernung an Land gegangen sind. Was folgt, ist eine Beschreibung des Bootes, wie wir sie bereits kennen. Der Mann hatte ein sehr scharfes Auge und eine genaue Beobachtungsgabe. Aber nun wird es interessant: Mein Erster Offizier und ich haben uns dem Objekt genähert. Die Insel scheint bewohnt zu sein, denn wir fanden zahlreiche menschliche Fußabdrücke im Sand. Keine dieser Spuren kam dem Objekt jedoch näher als fünf Meter, und auch wir behielten diesen Abstand bei. Es scheint keinen konkreten Anlaß dazu zu geben, doch ich hatte das sehr sichere Gefühl, daß es besser ist, den Gegenstand nicht zu berühren. Auch mein Erster Offizier, den ich normalerweise als sehr pragmatischen und nahezu phantasielosen Menschen kenne, bestätigte mir, das gleiche Empfinden zu haben. Wir untersuchten den Gegenstand also nur aus besagter Distanz, ohne jedoch weitere Einzelheiten zu entdecken. Nach wie vor gibt es keinerlei sichtbareÖffnungen, wenn uns auch das Material, aus dem der Gegenstand besteht, in höchstes Erstaunen versetzt: Obwohl er nahezu so groß ist wie ein Kanonenboot, weist der Rumpf nicht eine einzige Schweißnaht auf; ebensowenig wie Nieten oder Verschraubungen. Wüßte ich nicht, daß es unmöglich ist, ich hätte mein Kapitänspatent darauf verwettet, daß er aus

einem einzigen Stück gegossen worden ist. « Trautman blätterte weiter. »Sonntag, 9. März. Die Insel ist bewohnt. Wir haben heute in den frühen Morgenstunden Kontakt mit den Eingeborenen aufgenommen, die sehr freundlich, aber auch sehr scheu zu sein scheinen. Da weder sie unserer noch wir ihrer Sprache mächtig sind, sind wir auf primitive Zeichen und Symbole angewiesen, um uns mit ihnen zu verständigen. Ich vermute, daß ich mit ihrem Häuptling oder Medizinmann geredet habe, auf jeden Fall aber mit einer Person, die im Stamm hohes Ansehen zu genießen scheint. Ich konnte nicht viel in Erfahrung bringen, doch genug, um zu sagen, daß das fremde Objekt vor zwei Nächten aus dem Meer gekommen ist. Dann noch eine sonderbare Geste, deren Bedeutung mir erst nach einer Weile klar wurde: Es scheint nicht nur von der Brandung angespült worden zu sein, sondern ist angeblich mit einem Satz wie ein springender Fisch auf den Strand hinaufgesprungen. Dies bestätigt unseren Verdacht, daß das Objekt bewußt angetrieben und gesteuert wird, also eine Besatzung haben muß. Wenn das so ist, wieso nimmt sie keinen Kontakt zu uns oder den Eingeborenen auf?«

Die nächste Seite. Mike fiel auf, daß Trautman diesmal gleich drei oder vier der kleinen Zettel überblätterte. Er fragte sich, was der alte Mann an diesen Stellen entdeckt haben mochte, das er ihnen jetzt nicht mitteilte. Vielleicht nur eine bedeutungslose Kleinigkeit, vielleicht aber auch das genaue Gegenteil. »Immer noch Sonntag, der 9., später Nachmittag«, fuhr Trautman fort. »Etwas höchst Bemerkenswertes ist heute geschehen: Einer der beiden Posten, die ich zur Bewachung des Objektes zurückließ, kam vor einer Stunde in höchster Aufregung angerannt und erklärte, daß sich eine Tür geöffnet habe. Mein Erster Offizier, ich selbst und drei weitere Besatzungsmitglieder, die sofort zum Ort des Geschehens eilten, konnten diese Beobachtung bestätigen. Es handelt sich jedoch um eine Tür, die so seltsam und verwirrend ist wie der ganze Gegenstand, denn ich bin zweifelsfrei sicher, an dieser Stellezuvor keinerlei Öffnung bemerkt zu haben. Weder einen Spalt noch Angeln, noch irgendeinen Verschlußmechanismus. Auch jetzt ist nichts dergleichen zu sehen, aber im Rumpf des Objektes befindetsich eine ungefähr anderthalb Meter hohe Öffnung, hinter der flache Stufen zu sehen sind, die jedoch zu schmal und zu klein für die Füße von Erwachsenen sind.

Mein Erster Offizier hat mit einem Scheinwerfer hineingeleuchtet, doch das Licht reichte nur wenige Schritte weit und offenbarte uns nichts Neues. Das ungute Gefühl, daß es besser wäre, sich dem Objekt nicht weiter zu nähern, plagt uns noch immer alle. « »Er hätte besser darauf gehört«, sagte Juan leise. »Dann wären er und seine Männer jetzt vielleicht noch am Leben. «

»Sie sind dann reingegangen, nicht wahr?« murmelte Chris.

Trautman nickte. »Ja, später. Hier: Gegen meine innere Überzeugung, aber eingedenk meines Auftrages und meiner Pflicht als Kapitän der Kaiserlichen Kriegsmarine, habe ich den Maat beauftragt, das Innere des Objektes zu erkunden. Dem Mann schien dabei nicht so wohl zu sein, und im nachhinein mache auch ich mir schwere Vorwürfe, denn ich bezweifle, daß er noch am Leben ist. Bewaffnet mit einem gutenGewehr und einer starken Lampe trat er durch die Öffnung und entschwand nach einigen Schritten aus unserem Sichtfeld. Wir konnten ihn noch eine Weile hören, dann brach das Geräusch seiner Schritte ab, und seither haben wir nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Unsere Rufe und einige Steine, die wirgegen den Rumpf und in die Öffnung warfen, um die Aufmerksamkeit des Matrosen zu erregen, blieben ohne Antwort.

Der Erste Offizier schlug vor, einen zweiten Mann hinterher zu schicken oder diese Aufgabe auch selbst zu übernehmen, aber ich habe mich dagegen entschieden. Wir gehören nicht zur kämpfenden Truppe, und meine Männer, für deren Leben ich die Verantwortung trage, sind keine Soldaten, sondern einfache Matrosen, die sich freiwillig für diesen Auftrag im Dienste des Kaiserreiches gemeldet haben. Ich habe nicht das Recht, ihre Gesundheit oder gar ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Nach eingehender Beratung mit meinem Ersten Offizier habe ich entschieden, die Insel zu verlassen und so rasch wie möglich Kontakt mit einem Offizier der Kriegsmarine aufzunehmen. Wir werden mit der ersten Flut auslaufen.

Mein Erster Offizier und ein weiteres Besatzungsmitglied haben sich freiwillig anerboten, auf der Insel zurückzubleiben und das Objekt zu bewachen. Ich habe diesem Vorschlag zugestimmt, den beiden jedoch strengstens verboten, sich dem Schiff weiter als bis auf zehn Meter zu nähern oder es gar zu betreten. Trautman schlug das Buch zu. »Damit enden die Logbuchaufzeichnungen. Jedenfalls der Teil, der die Insel und das fremde Schiff betrifft. Sie sind wenige Stunden später ausgelaufen und haben Kurs nach Westen gesetzt. Ich vermute, daß der Kapitän Panama oder vielleicht auch Mexiko erreichen wollte, um dort mit einem Abgesandten des Deutschen Kaiserreiches zusammenzutreffen. «

»Und dann ist das Schiff genau an dieser Stelle gesunken?« fragte Juan zweifelnd. »Fast auf den Meter genau dort, wo es mit dem Sternenschiff zusammengestoßen ist?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Das ist doch kein Zufall!«

»Nein«, bestätigte Trautman. »Natürlich nicht. Jedenfalls nicht ausschließlich. Sie sind auf ihrem eigenen Kurs zurückgefahren. Wie ich gewissen Andeutungen aus dem Logbuch entnehme, in der Hoffnung, etwas über die Herkunft des fremden Objektes zu erfahren. Aber das ist im Moment nicht mehr wichtig. Was zählt, ist, daß wir nun die Position des Schiffes kennen. Jedenfalls den Ort, an dem es vor ein paar Tagen noch war. Wir müssen unbedingt dorthin. « »Sie haben die Insel auf der Karte gefunden«, vermutete Juan.

Trautman nickte düster. »Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet«, sagte er. »Es ist eine kleine Inselgruppe abseits der bekannten Schiffahrtslinien, aber nicht so weit abseits, wie gut wäre. Wir sind schon beinahe in der Karibik. Jamaika, Haiti, Kuba... All diese Inseln werden von zahlreichen Schiffen angefahren, und sie alle sind nicht sehr weit entfernt. Die Gefahr, daß das fremde Schiff von einem weiteren Kapitän entdeckt wird, ist sehr groß. «

»Das muß auf jeden Fall verhindert werden«, sagte Ben entschlossen. »Unvorstellbar, wenn dieses Schiff den Deutschen in die Hände fiele!«

»Es wäre unvorstellbar, wenn es in die Hände irgendeiner Macht auf dieser Welt fiele«, sagte Trautman in scharfem Ton. »Wir müssen es finden und irgendwie unschädlich machen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie. Und ich will euch nichts vormachen: Unsere Aussichten, das Geheimnis dieses fremden Schiffes zu lüften, sind nicht besonders groß. Ihr alle habt gesehen, was mit Tieren und Menschen geschieht, die ihm zu nahe kommen. Sich ihm zu nähern ist lebensgefährlich. Deshalb habe ich auch noch nicht Kurs auf die Position gesetzt, die ich aus dem Logbuch erfahren habe, sondern euch hier zusammengerufen, damit wir darüber abstimmen können. «

»Was gibt es da abzustimmen?« fragte Ben. »Das Ding muß weg. So oder so. «

»Wenn das deine Meinung ist, dann ist es ja gut«, sagte Trautman, »aber ich will auch die der anderen hören. Die NAUTILUS wird sich dieser Insel nicht nähern, wenn auch nur einer an Bord nicht hundertprozentig damit einverstanden ist. In diesem Punkt stimme ich völlig mit dem Kapitän des Frachters überein: Ich habe nicht das Recht, eure Gesundheit oder gar eure Leben aufs Spiel zu setzen. « Trautman sah aufmerksam in die Runde. Wie erwartet, nickte Singh sofort und nach einem kurzen Zögern auch Chris. Mike, Juan und Serena antworteten nicht gleich.

»Angenommen, wir entscheiden uns jetzt dafür«, sagte Juan nach einiger Zeit. »Was werden wir dann tun?« »Mit Sicherheit nicht das gleiche wie der Kapitän oder dieser arme Bursche, den er ins Innere des Schiffes geschickt hat«, antwortete Trautman. »Ich bin dafür, kein Risiko einzugehen und das Schiff zu zerstören. Ich weiß nicht, ob es uns gelingt, aber es ist nicht sehr groß. Zwei oder drei Torpedos sollten ausreichen, es in die Luft zu jagen. «

»Zerstören?« fragte Serena. Sie klang beinahe erschrocken. »Aber... warum denn?« »Was für eine blöde Frage«, sagte Ben. Trautman jedoch fuhr in sanftem, sehr verständnisvollem Ton fort: »Weil es eine gewaltige Gefahr darstellt. Sich ihm nur zu nähern bedeutet den Tod, und keiner von uns weiß, welche Gefahren und Geheimnisse noch in seinem Inneren lauern. Es hat seine Aufgabe erfüllt; die Sternenwesen, die in den Laderäumen der TITANIC waren, sind nach Hause zurückgekehrt. Ich nehme an, daß auch dieses Schiff nach Hause zurückkehren wollte, es aber nicht mehr konnte. Wir müssen es zerstören. Also... Juan - Mike?«

Mike nickte und schließlich auch Juan, dem man deutlich seinen Widerwillen ansah. Nur Serena schwieg. »Wir werden es nicht tun, wenn du dagegen bist«, sagte Trautman.

Mike lauschte vergeblich auf einen Unterton von Vorwurf oder Zorn in seiner Stimme. Er hörte nichts dergleichen. Was er sagte, war ehrlich gemeint. Serena wand sich, als bereite es ihr körperliches Unbehagen, antworten zu müssen. »Ich... habe hier nichts zu bestimmen«, sagte sie schließlich. »Ich gehöre nicht -« »Papperlapapp«, unterbrach sie Trautman zornig. »Du bist ein vollwertiges Mitglied der Besatzung, und deine Stimme zählt ebenso wie die aller anderen. Die Entscheidung wird einstimmig getroffen oder gar nicht. «

Serena überlegte schweigend, und Mike konnte deutlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Ihre Hände bewegten sich unbewußt, und sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und begann darauf herumzukauen. Sie wirkte sehr erschrocken und sehr unsicher. Und als sie schließlich mit einem wortlosen Nicken antwortete, da war Mike nicht der einzige, der ganz genau spürte, daß dies nicht das war, was sie im Grunde ihres Herzens wollte.

Die NAUTILUS nahm Kurs auf die bezeichnete Position. Sie war ein gutes Stück entfernt. Obwohl sie mit Höchstgeschwindigkeit liefen, würden sie den Rest des Tages und auch noch die gesamte darauffolgende Nacht brauchen, um die kleine Inselgruppe zu erreichen, so daß sich alle in ihre Kabinen zurückzogen, um die verbleibende Zeit zu nutzen und sich noch einmal gründlich auszuschlafen und Kraft zu schöpfen. Mike fühlte sich einsam. Vielleicht zum ersten Mal in all den Jahren, die er

jetzt an Bord des Schiffes war. Vollkommen allein und vor allem allein gelassen. Und er wußte, daß es nicht nur ihm so ging. Irgend etwas stimmte nicht mit ihnen. Seit sie das Wrack der TITANIC verlassen und die Spur des Sternenschiffes aufgenommen hatten, schien eine leise, aber sehr bedrohliche Veränderung mit allen Besatzungsmitgliedern der NAUTILUS vor sich gegangen zu sein. Sie begannen ihren Zusammenhalt zu verlieren, und wenn er daran dachte, wie oft sie sich in den letzten Tagen gestritten hatten, wie viele böse Blicke und gehässige Bemerkungen es gegeben hatte, so fragte er sich, ob aus Freunden nicht bereits Fremde geworden waren und ob vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft aus diesen Fremden Feinde werden würden. Der Gedanke war so schrecklich, daß er plötzlich das Gefühl hatte, es in seiner Kabine nicht mehr auszuhalten. Er mußte mit jemandem reden. Mike rief in Gedanken nach Astaroth, bekam aber keine Antwort, obwohl er sicher war, daß der Kater ihn ganz genau hörte. Allein bei dieser Vorstellung empfand er bereits wieder einen Zorn, den er vor wenigen Tagen nicht einmal gekannt hatte und der ihn erschreckte. Und den er trotzdem nicht zu unterdrücken vermochte. Dieses Gefühl bereitete ihm ein schlechtes Gewissen. Er mußte mit jemandem reden! Am besten mit Astaroth oder Serena; den beiden an Bord, zu denen er -wenngleich auf völlig unterschiedliche Weise das größte Vertrauen hatte. Er verließ seine Unterkunft und ging zu Serenas Kabine, trat jedoch diesmal nicht einfach ein, sondern klopfte und wartete auf eine Antwort. Vergeblich. Er geduldete sich eine Weile, klopfte erneut, wartete noch einmal vergeblich und öffnete die Tür schließlich doch. Vielleicht schlief Serena ja; immerhin war es tiefste Nacht, und er konnte nicht davon ausgehen, daß sie wie er keine Ruhe fand.

Aber ganz offenbar erging es zumindest Serena wie ihm, denn sie war nicht da. Mike trat wieder auf den Gang hinaus, sah sich einen Moment lang unschlüssig um und machte sich schließlich auf den Weg zum Salon.

Er hörte die Stimmen Trautmans und Singhs, die sich am Ruder der NAUTILUS abwechselten, schon von weitem. Unwillkürlich wurden seine Schritte langsamer. Die beiden sprachen in scharfem Ton miteinander, und Mike fragte sich voller Schrecken, ob es vielleicht schon soweit war: daß aus Freunden mittlerweile nicht nur Fremde, sondern schon Feinde geworden waren. Es wäre ganz leicht gewesen, diese Frage zu verneinen; er hätte nur weitergehen und in den Salon treten müssen, und zweifellos hätte ihn Trautman mit einem Lächeln oder einer gutmütigen Bemerkung vom Gegenteil überzeugt.

Aber Mike tat nichts dergleichen. Statt dessen bewegte er sich noch leiser weiter und legte die letzten Schritte auf Zehenspitzen zurück, um von Trautman und Singh nicht bemerkt zu werden. Behutsam lugte er durch die offenstehende Salontür.

Die NAUTILUS bewegte sich zwar getaucht fort, befand sich jedoch offenbar nur ganz dicht unter der Meeresoberfläche, so daß er sehen konnte, mit welchem Tempo das Wasser an dem großen Aussichtsfenster vorüberströmte. Ein weiteres Indiz dafür, wie ernst Trautman die Situation nahm, denn normalerweise war er strikt dagegen, die NAUTILUS mit Höchstgeschwindigkeit laufen zu lassen. Beieinem Schiff, dessen Maschinen bei aller technischen Überlegenheit immerhin die Kleinigkeit von zehntausend Jahren auf dem Buckel hatten, eine verständliche Vorsichtsmaßnahme. Nun aber jagte das Schiff nur so dahin. Trautman und Singh standen am Steuer. Trautmans Hände lagen auf dem großen hölzernen Rad, das angesichts der komplizierten Kontrollinstrumente, die es umgaben, allerdings eher symbolischen Charakter hatte, und redete in aufgeregtem und zugleich sehr ernstem Ton auf Singh ein. Der Inder seinerseits sah ebenfalls ernst und eindeutig bedrückt aus, und er antwortete nur manchmal, dann allerdings ebenfalls in demselben ernsten Tonfall. Und erst jetzt fiel Mike auf, warum er die Unterhaltung der beiden nicht verstand: Sie sprachen indisch. Daß Trautman Singhs Muttersprache beherrschte, überraschte ihn kaum. Aber daß er es tat, obwohl die beiden doch glaubten, allein zu sein, verstärkte Mikes Sorge. Offenbar war das, was die beiden zu besprechen hatten, nicht für die Ohren irgendeines anderen an Bord gedacht. Und das war nun wirklich etwas Ungewöhnliches. Normalerweise gab es so etwas wie Geheimnisse an Bord der NAUTILUS nicht. Was ging hier nur vor? Nach einer Weile erinnerte er sich wieder an den

Grund, aus dem er eigentlich hergekommen war. Ebenso lautlos, wie er gekommen war, schlich er wieder ein kleines Stück von der Tür fort, ehe er sich umwandte und mit raschen Schritten zu seiner Kabine zurückging. Jedenfalls wollte er es. Auf halbem Weg jedoch hörte er ein Geräusch und blieb stehen. Im ersten Moment hatte er Schwierigkeiten, die Richtung zu identifizieren, aus der es erscholl, aber dann war es ganz deutlich: Es war ein gedämpftes Rumoren, das aus Trautmans Kabine drang.

Die Tür war einen Spaltbreit geöffnet, so daß er erkennen konnte, daß dahinter kein Licht brannte. Außerdem wußte er ja, daß Trautman zusammen mit Singh im Salon war. Mike schlich auf Zehenspitzen weiter, erreichte die Tür und blieb noch einmal stehen, um zu lauschen. Er konnte jetzt ganz deutlich Geräusche vernehmen, die aus der Kabine drangen, die doch eigentlich hätte leer stehen müssen. Niemand an Bord betrat die Kabine eines anderen, wenn er nicht da war. Das war ein ungeschriebenes Gesetz vom ersten Tag an, seit sie zusammen auf der NAUTILUS lebten, und niemand hatte es bisher gebrochen. Mike trat mit einem entschlossenen Schritt in die Kabine, streckte die Hand nach dem Lichtschalter gleich neben der Tür aus -und wäre um ein Haar gegen Serena geprallt, die sich genau in diesem Moment anschickte, die Kabine zu verlassen. Sie schien ebenso erschrocken zu sein wie er, denn er sah trotz des schwachen Lichtes, das vom Gang aus hereinfiel, daß alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.

»Was tust du hier?« fragte Mike. »Ich... ich wollte... ich dachte... « Serena begann zu stammeln, brach schließlich vollends ab und fuhr sich nervös mit der Hand über das Gesicht. »Ja?« sagte Mike. Er hörte selbst, daß seine Stimme lauernd und sehr gespannt klang.

»Ich habe... Trautman gesucht«, sagte Serena schließlich.

Es war eine Lüge. Man mußte nicht wie Astaroth Gedanken lesen können, um das zu erkennen. Es stand überdeutlich in Serenas Augen geschrieben. »Trautman?« vergewisserte er sich, nun in verändertem, fast höhnischem Ton. »Im Dunkeln?« Serena wandte hastig den Blick und sah in die Kabine zurück. Dann begann sie nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr nicht. »Ich... ich wollte ihn nicht wecken, falls... falls er schläft«, sagte sie stotternd. Diesmal machte sich Mike nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Was Serena wirklich in der Kabine getan hatte, das war sonnenklar: Sie hatte sie durchsucht.

»Trautman ist im Salon«, sagte Mike, anstatt auf ihre Worte einzugehen. »Zusammen mit Singh. Soll ich ihn holen?«

Serena schüttelte beinahe entsetzt den Kopf. »Nein!« sagte sie hastig und viel zu laut. »Ich... ich gehe schon selbst. Aber was tust du denn hier? Es ist mitten in der Nacht?«

»Ich bin aufgewacht, weil ich ein Geräusch gehört habe«, log Mike. »Und ich wollte nachsehen, wer da so spät noch unterwegs war. Aber wo ich schon einmal wach bin, kann ich dich genausogut zu Trautman begleiten. «

»Das ist wirklich nicht nötig«, sagte Serena. »Geh lieber wieder ins Bett und schlaf ein bißchen. Morgen früh erreichen wir die Insel, und es wird bestimmt ein anstrengender Tag. « »Bestimmt«, sagte Mike.

Serena schien noch etwas anmerken zu wollen, aber dann sah sie wohl selbst ein, daß sie sich sowieso nur mit jedem Wort tiefer in Widersprüche verwickelte, und beließ es bei einem Achselzucken. Ohne ein weiteres Wort ging sie an ihm vorbei und wandte sich nach links, zum Salon hin.

Einen Moment überlegte Mike ganz ernsthaft, ihr nachzugehen -natürlich nicht, weil er glaubte, daß sie tatsächlich etwas mit Trautman zu besprechen hatte, das war nichts als eine Ausrede gewesen und nicht einmal eine besonders kluge, sondern einfach, um zu sehen, wie sie sich aus der Situation herauswand. Aber dann drehte er sich statt dessen in die entgegengesetzte Richtung und ging in seine eigene Kabine zurück. Er tat tatsächlich, was Serena ihm geraten hatte, und ging wieder zu Bett.

»Was ist passiert?« Mike fuhr sich verschlafen mit den Fingerknöcheln über die Augen und versuchte vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken. Er hatte nicht besonders gut geschlafen, und was ihn schließlich so früh wieder geweckt hatte, das war keine Störung gewesen, sondern etwas, was nicht mehr da war: das Geräusch der Motoren, die die NAUTILUS während der letzten anderthalb Tage mit voller Kraft vorwärtsgetrieben hatten.

Er war wohl auch nicht der einzige, dem dies aufgefallen war: Auf dem Weg in den Salon kamen ihm Ben und Juan entgegen, und als er den großen Raum betrat, stieß er um ein Haar mit Serena zusammen, die im letzten Moment erschrocken beiseite trat. Ihr Anblick erinnerte ihn wieder an den kurzen Zwischenfall vom vergangenen Abend und sie wohl auch, denn sie senkte hastig den Blick und wandte sich um, so daß ihm gar keine Gelegenheit blieb, noch einmal die Sprache darauf zu bringen. Er hatte es ohnehin nicht vorgehabt. »Trautman hat mir befohlen, das Schiff anzuhalten«, antwortete Singh, der hinter den Kontrollinstrumenten stand. »Er ist oben im Turm, aber er -« Den Rest des Satzes hörte Mike schon gar nicht mehr. Er war auf der Stelle herumgefahren und lief auf die metallene Wendeltreppe zu, die nach oben führte. Singh rief ihm nach, er solle dableiben, aber das ignorierte er. Immer noch ein bißchen schlaftrunken, trotzdem aber so schnell er konnte, lief er die Metallstufen zum Turm der NAUTILUS hinauf. Er fand Trautman genau dort, wo Singh gesagt hatte: hoch aufgerichtet hinter einem der großen, runden Bullaugen, die den Turm an beiden Seiten flankierten und nicht zuletzt mit dazu beigetragen hatten, daß das Unterseeboot dort, wo immer es auftauchte, Legenden von Seeungeheuern und glotzäugigen Monstern hervorrief.

Trautman hatte ein Fernglas an die Augen gesetzt und blickte angestrengt hinaus. Mike sah in dieselbe Richtung, kniff jedoch sofort geblendet die Augen zusammen, denn die Sonne war gerade erst aufgegangen und stand als grellweißer, schier unerträglich heller Ball am Horizont, so daß Mike sich fragte, wie Trautman überhaupt in der Lage war, etwas zu sehen. Er mußte Mike bemerkt haben, denn er hatte sich keinerlei Mühe gegeben, leise heraufzukommen, wandte sich jedoch nicht zu ihm um und setzte auch den Feldstecher nicht ab. Trotzdem konnte Mike den besorgten Ausdruck auf seinem Gesicht deutlich erkennen und auch die angespannte Haltung, in der er dastand und nach Osten blickte. »Was ist los?« fragte er. Trautman setzte nun doch den Feldstecher ab, aber nur für einen ganz kurzen Moment, um hastig den Kopf in seine Richtung zu drehen und dann wieder aus dem Fenster zu blicken. »Ihr solltet unten auf mich warten«, sagte er in ungewohnt ungeduldigem, tadelndem Ton. Mike war jedoch viel zu aufgeregt, um das überhaupt richtig zu registrieren. Unaufgefordert trat er an dem großen Steuerruder in der Mitte des runden Raumes vorbei, stellte sich direkt neben Trautman und versuchte erneut, draußen mehr als blendende Helligkeit und spiegelndes Wasser zu erkennen. Nach einigen Augenblicken gelang es ihm sogar. Vor dem Horizont zeichneten sich zwei oder drei, vielleicht auch noch mehr verschwommene dunkle Umrisse ab; das mußte die Inselgruppe sein, die ihr Ziel war. Dies allein beantwortete jedoch nicht die Frage, warum Trautman so sichtlich beunruhigt war. »Was ist passiert?« fragte Mike noch einmal. Trautman setzte nach einem Augenblick das Fernglas ab, fuhr sich mit der Hand über das Kinn und reichte ihm den Feldstecher. »Sieh selbst«, sagte er.

Mike griff zögernd nach dem Glas, setzte es an und blinzelte in Erwartung des sicherlich noch grellerenSonnenlichtes. Überrascht stellte er fest, daß er nicht im mindesten geblendet wurde. Offenbar handelte es sich bei dem Feldstecher um ein weiteres Wunderwerk aus den schier unergründlichen Lagern der NAUTILUS, das jedem herkömmlichen Gerät um Jahrzehnte voraus war. So nahe, daß man glaubte, nur den Arm ausstrecken zu brauchen, sah er den weißen Sandstrand einer bewaldeten kleinen Insel vor sich. Und er entdeckte fast auf Anhieb das, weshalb sie hergekommen waren: Wie ein umgedrehter silberfarbener Teller lag das fremde Schiff auf diesem Strand, nur noch zu einem Drittel von der Brandung umspült. Aber er sah auch noch mehr. Und das jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.

Das Schiff war nicht allein auf dem Strand. Mindestens zwei, wenn nicht gar drei oder mehr Dutzend Menschen umstanden die Flugscheibe, und nicht wenige, selbst durch das starke Fernglas betrachtet winzige Gestalten krochen wie emsige Ameisen über seinen Rumpf, machten sich hier und da zu schaffen oder schienen gar in seinem Inneren zu verschwinden.

»Großer Gott!« flüsterte Mike entsetzt. »Sieh nach links«, sagte Trautman. Mike sah unsicher zu ihm hoch, setzte den Feldstecher dann wieder an und tat, wie Trautman ihn geheißen hatte. Im nächsten Moment machte sein Herz einen erschrockenen Sprung und schien direkt in seiner Kehle weiterzuklopfen, denn er gewahrte etwas, was ihn noch viel mehr erschreckte als der Anblick der menschlichen Gestalten, die über das Sternenschiff krochen: Ungefähr eine Meile vor der Küste der kleinen Insel lag ein gewaltiges Schlachtschiff, dessen Kanonen drohend auf das Meer hinaus gerichtet waren und scheinbar direkt auf Mike zu deuten schienen. Und es war nicht allein. Neben dem riesigen grauen Stahlkoloß ankerten zwei weitere Kriegsschiffe. »Aber wie... wie ist das nur möglich?« murmelte Mike.

»Wir sind zu spät gekommen«, antwortete Trautman. Seine Stimme klang bitter.

Langsam ließ Mike den Feldstecher sinken. »Aber das ist doch gar nicht möglich«, murmelte er kopfschüttelnd. »Ich meine... niemand hat gewußt, daß... « »Das Logbuch war anscheinend nicht vollständig«, unterbrach ihn Trautman. »Oder ich habe es nicht aufmerksam genug gelesen. Einige Seiten waren herausgerissen, einige sind unleserlich vom Wasser geworden. Sie müssen einen Funkspruch abgesetzt haben, ehe sie sanken. «

»Aber das... das darf nicht sein«, stammelte Mike. Plötzlich stieg hilfloser Zorn in ihm auf. »Es wird eine Katastrophe geben. Wir müssen irgend etwas tun!« Trautman antwortete nicht, aber es war gerade dieses Schweigen, das Mike noch mehr erschreckte. Hilflos drehte er sich vom Fenster weg, hob dann noch einmal den Feldstecher, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Es war so, wie Trautman sagte: Sie waren zu spät gekommen. Die Katastrophe ließ sich nun nicht mehr aufhalten.

Nach einer Weile seufzte Trautman tief, drehte sich herum und ging mit hängenden Schultern auf die Treppe zu. Er sagte nichts, sondern forderte Mike nur mit einer entsprechenden Handbewegung auf, ihm zu folgen, und er wirkte mit einem Mal sehr müde und zehn Jahre älter.

Als er die Hand nach dem Treppengeländer ausstrecken wollte, rief Mike ihn noch einmal zurück. »Trautman?«

»Jetzt nicht«, sagte Trautman, aber Mike folgte ihm mit zwei schnellen Schritten und ergriff ihn am Arm, um ihn zurückzuhalten. Trautman tat etwas völlig Unerwartetes: Er blieb tatsächlich stehen, fuhr jedoch mit einer blitzschnellen Bewegung herum und riß seinen Arm los in einer Art und Weise, die zweifellos der Ansatz dazu war, Mike von sich zu stoßen oder ihm eine schallende Ohrfeige zu versetzen. Im allerletzten Moment hielt er sich zurück, und auf seinem Gesicht erschien ein erschrockener, ja beinahe entsetzter Ausdruck. Eine Sekunde lang starrte er seine eigene Hand an, als wäre sie ein Fremdkörper oder als könne er einfach nicht glauben, was sie gerade fast im Begriff gewesen war, zu tun. Dann senkte er hastig den Arm, und auch Mike trat verlegen ein kleines Stück zurück.

Trautman räusperte sich. »Was... was ist denn noch?« fragte er. Der Moment war für sie beide sehr unangenehm. Mike wäre am liebsten davongerannt, aber er war schon viel zu weit gegangen, um noch einen Rückzieher machen zu können, und er spürte auch, daß er kein zweites Mal den Mut haben würde, Trautman auf das anzusprechen, was ihn schon seit dem vergangenen Abend quälte.

»Sie verschweigen uns etwas«, sagte er. Der Blick, mit dem Trautman ihn maß, was fast schon Antwort genug. Trotzdem schüttelte Trautman den

Kopf und versuchte zu lächeln. »Wie kommst du auf diese Idee?« fragte er.

»Ich weiß es«, behauptete Mike. »Sie sind kein besonders guter Lügner. «

Trautman preßte die Lippen zusammen. Wieder huschte ein Ausdruck von Zorn über sein Gesicht, und Mike spürte ganz genau, wie schwer es ihm fiel, sich zu beherrschen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf. »Du täuschst dich«, sagte er. »Was sollte ich euch verschweigen? Wir haben keine Geheimnisse voreinander. «

»Das war vielleicht bis jetzt so«, antwortete Mike. »Aber irgend etwas stimmt hier doch nicht. «

»Unsinn«, sagte Trautman. »Was soll hier nicht stimmen? Und mit wem?«

»Mit uns allen«, erwiderte Mike. »Mit dem Schiff, mit mir, mit den anderen, mit Ihnen... Was ist es?« »Selbst wenn du recht hättest -was du nicht hast -, woher sollte ich es wissen?«

Mike machte eine ärgerliche Handbewegung. »Das weiß ich nicht. Aber ich spüre genau, daß Sie uns etwas verheimlichen. Sie haben Angst. Und ich bin ziemlich sicher, nicht vor diesen Kriegsschiffen dort draußen. « Trautman antwortete nicht gleich. Er sah ihn mit einer Mischung aus Schrecken und Trauer an, und Mike war mit einem Mal ganz sicher, daß er ihm nun die Wahrheit sagen würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er es auch getan, doch genau in diesem Moment polterten unter ihnen Schritte die metallenen Stufen herauf, und Ben und Juan erschienen hintereinander auf der Treppe.

Mike hätte vor Enttäuschung am liebsten laut aufgeschrien. Trautman wirkte regelrecht erleichtert, und Mike wußte, daß er ihm seine Frage nun nicht mehr beantworten würde. Der Augenblick der Schwäche war vorbei und würde auch nicht wiederkommen.

»Was ist los?« fragte Ben aufgeregt. »Was habt ihr entdeckt?«

Trautman drehte sich vollends zu ihm und Juan herum und machte eine abwehrende Bewegung, die die beiden daran hinderte, die Treppe ganz hinaufzukommen und sich auch noch in die kleine Turmkammer zu quetschen. »Schlechte Neuigkeiten«, sagte er. »Aber geht wieder hinunter in den Salon. Dort erkläre ich euch alles. « Mit einem verlegen wirkenden Lächeln fügte er hinzu: »Ich habe keine Lust, alles mehrmals zu erzählen. «

»Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten«, sagte Ben zehn Minuten später, nachdem sie sich alle im Salon zusammengefunden und Trautman berichtet hatte, was es oben zu sehen gab. »Ich verstehe nicht, wo diese Schiffe herkommen. Europa ist Tausende von Meilen entfernt. Sie würden Wochen brauchen, um diesen Weg zurückzulegen. « »Es spielt überhaupt keine Rolle, wo sie hergekommen sind«, sagte Juan. »Sie sind nun einmal hier, und wir müssen sehen, wie wir mit ihnen fertig werden. « »Es spielt sehr wohl eine Rolle«, antwortete Ben scharf. »Das da oben sind deutsche Kriegsschiffe, und wir befinden uns nahezu am anderen Ende der Welt. Niemand kann mir erzählen, daß sie zufällig hier sind. Und ganz bestimmt hat sie kein Funkspruch hergelockt. Nicht in zwei Tagen. «

Juan setzte zu einer wütenden Antwort an, aber Trautman brachte die beiden Kampfhähne mit einer energischen Bewegung zum Verstummen. »Genug«, sagte er. »Keinen Streit. Ich fürchte, ihr habt beide recht. « »Beide?« Serena schüttelte verwirrt den Kopf. »Was meinen Sie damit?« »Daß ich derselben Meinung bin wie Ben«, antwortete

Trautman mit einem leichten Seufzen. »Auch ich glaube nicht, daß diese Schiffe zufällig hier sind. Aber auch Juan hat recht: Ob Zufall oder nicht, sie sind nun einmal hier, und wir müssen sehen, wie wir mit ihnen fertig werden. «

Serena riß die Augen auf. »Fertig werden? Aber es sind Kriegsschiffe!. Sie sind schwer bewaffnet, und wenn sie tatsächlich wissen, was auf dieser Insel ist -« »-dann werden sie zweifellos auf alles schießen, was sie sehen«, führte Ben den Satz zu Ende. »Und einem ausgewachsenen Schlachtkreuzer sind wir bestimmt nicht gewachsen. «

»Niemand hat davon gesprochen, die Schiffe anzugreifen«, sagte Mike.

Ben maß ihn mit einem fast abfälligen Blick. »Natürlich nicht«, sagte er höhnisch. »Wir werden uns ganz höflich vorstellen und sie um Erlaubnis bitten, uns ihren Fund einmal aus der Nähe betrachten zu dürfen. Sicher werden sie es uns erlauben. « Er tippte sich wütend mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Du spinnst ja. «

Serena wollte auffahren, aber wieder sorgte Trautman sofort für Ruhe. »Bitte, keinen Streit jetzt«, sagte er. »Das können wir uns wahrlich nicht erlauben. Wir haben genug andere Probleme. «

»Was denn für Probleme?« fragte Serena. »Wir können gar nichts mehr tun. Diese Kriegsschiffe werden auf uns schießen! Nicht einmal die NAUTILUS ist ihnen gewachsen. «

»Natürlich nicht«, antwortete Trautman. »Aber ich habe auch nicht vor, mich auf einen Kampf mit ihnen einzulassen. « Seine Stimme wurde etwas sanfter. »Du hast es nicht gesehen, aber Mike kann es dir bestätigen: Sie sind dabei, das Sternenschiff zu untersuchen. Ich fürchte sogar, einige von ihnen haben es betreten. Du weißt, was mit jedem geschieht, der dieses Schiff auch nur berührt. «

Serena schwieg einen Moment. Ihr Blick suchte den Mikes, und für einen Moment war etwas fast Verzweifeltes darin, ein Flehen um Beistand, das er nicht begriff. »Ich weiß«, sagte sie schließlich. »Aber auch daran können wir nichts ändern. Außerdem... erzählt ihr mir nicht seit zwei Jahren, daß die Deutschen unsere Feinde sind und die ganze Welt in den Krieg und ins Verderben stürzen wollen?«

Mike war regelrecht schockiert, und auch die anderen starrten Serena erschrocken an. Natürlich war das, was Serena sagte, zumindest zum Teil, die Wahrheit. Gerade sie war es ja gewesen, die immer wieder erklärt hatte, wie schrecklich und sinnlos Krieg war und wie wenig Recht sie hatten, über andere zu urteilen. Selbst aus Bens Mund hätten diese Worte Mike empört -aus dem Serenas entsetzten sie ihn regelrecht. Trautman mußte es wohl ganz ähnlich ergehen, denn wie sie alle schwieg er endlose Sekunden lang, und als er weitersprach, war seine Stimme hörbar kälter und befehlend: »Selbst wenn es so wäre«, sagte er, »ändert das nichts an den Tatsachen. Dieses Sternenschiff stellt eine ungeheure Gefahr dar, die wir nicht ignorieren dürfen und die weder in die Hände des Deutschen Kaiserreiches noch irgendeiner anderen Nation auf dieser Welt fallen darf. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber immerhin möglich, daß sie der Gefahr irgendwie Herr werden und dieses Schiff fortbringen. Das darf nicht geschehen. Wir müssen es zerstören. « »Aber wie denn?« fragte Serena. »Wir kommen ja nicht einmal an die Insel heran!«

»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte Trautman. »Aber wir werden einen Weg finden. Ich bin sicher, daß wir die Blockade nach Einbruch der Dunkelheit irgendwie durchbrechen können. Bis es soweit ist, werden wir die Insel aus sicherer Entfernung genau beobachten. «

Serena schien abermals widersprechen zu wollen, und sie hätte es zweifellos auch getan, hätte Trautman sie nicht so scharf und fast wütend angeblickt, daß es ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlug.

Einige Sekunden lang saß sie einfach da und starrte ihn an. Ihre Hände umschlossen die Tischkante so fest, daß das Blut aus ihren Fingern wich, dann stand sie mit einem Ruck auf, fuhr auf dem Absatz herum und rannte aus dem Salon.

»Was ist denn in die gefahren?« murmelte Ben. Mike erhob sich ebenfalls und wollte zur Tür gehen, aber Trautman sagte in diesem Moment: »Laß sie gehen. Etwas Ruhe wird ihr sicher guttun. Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. « Wie mit uns allen, fügte Mike in Gedanken hinzu. Aber er sprach es nicht aus, sondern setzte sich wieder.

Sie waren getaucht und hatten die Inselgruppe unter Wasser umrundet, um sich ihr ungesehen von der Rückseite her zu nähern, was sich als gar nicht so einfach erwiesen hatte. Trautman, Singh, Mike und Chris waren erneut in den Turm hinaufgegangen, während Ben und Juan die Aufgabe übernommen hatten, an den Kontrollinstrumenten zu bleiben und die NAUTILUS auf ihrer Position zu halten -was sich leichter anhörte, als es war, denn durch die Vielzahl unterseeischer Riffe Und Klippen herrschte unter der trügerisch ruhigen Meeresoberfläche ein Gewirr von Unterströmungen und Sogen, das beständig versuchte, die NAUTILUS gegen eine Klippe zu drücken oder in die Tiefe hinabzuzerren.

Trautman stand auf der Leiter, die zur Turmluke hinaufführte, und hatte wieder das Fernglas angesetzt. Nur Kopf und Schultern ragten aus dem Turm, der seinerseits gerade eine Handbreit aus der Meeresoberfläche hinausragte, so daß immer wieder etwas Wasser in das Schiff eindrang. Singh, Mike und Chris standen unter ihm und blickten gebannt zu ihm hoch und warteten darauf, von ihm zu erfahren, was sich draußen abspielte.

Trautman ließ sich jedoch gehörig Zeit, bevor er endlich den Feldstecher absetzte und dann vorsichtig über die nassen Metallsprossen zu ihnen in die Tiefe kletterte.

»Also?« fragte Mike aufgeregt.

»Es ist kein Schiff zu sehen. « Trautman schüttelte ein paarmal den Kopf, um seine Worte zu bekräftigen. »Aber das bedeutet nicht, daß keine Gefahr besteht«, fuhr er fort. »Die Insel ist dicht bewaldet. Wenn jemand im Unterholz steht und das Meer beobachtet, dann wird er uns sehen, sobald wir auftauchen. « »Warum sollten sie so etwas tun?« fragte Chris. Trautman seufzte. »Weißt du, ich wollte es vorhin nicht sagen, damit Juan und Ben nicht gleich wieder aufeinander losgehen, aber ich teile Bens Ansichten durchaus. Diese drei Schiffe sind ganz bestimmt nicht zufällig hier. Sie müssen in unmittelbarer Nähe gewesen sein, um auf den Funkspruch des Frachters zu reagieren und so schnell hierher zu gelangen. Es sollte mich nicht wundern, wenn sie wissen, daß wir in der Nähe sind -oder es zumindest ahnen - und nur auf uns warten. Wenn ich der Kapitän des Schlachtschiffes wäre, würde ich jedenfalls an allen Ecken dieser Insel Wachen aufstellen, die Tag und Nacht das Meer beobachten. «

»Aber das würde ja bedeuten, daß sie wissen, daß wir hier sind«, sagte Mike kopfschüttelnd. »Das kann doch gar nicht sein. Niemand weiß von unserer Existenz. « »Vielleicht doch«, antwortete Trautman. »Vielleicht sind sie uns schon von Kairo aus gefolgt. Ich hatte ein paarmal das Gefühl, beobachtet zu werden, aber ich glaubte dann, es wären Hasim und seine Brüder gewesen. Schließlich hatten wir genug andere Dinge im Kopf. Doch wer weiß... vielleicht haben wir uns nach Winterfelds Tod einfach zu sicher gefühlt. « Er unterbrach sich, indem er sich in einer erschöpften Geste mit beiden Händen über das Gesicht fuhr und die Augen rieb. »So oder so«, fuhr er dann fort, »wir müssen auf diese Insel und uns überzeugen. Aber wir werden schwimmen müssen. Ich wage es nicht, weit genug aufzutauchen, um das Boot abzusetzen. Singh -ich bin müde, würdest du mir den Gefallen erweisen und hinuntergehen und einen Taucheranzug für mich -« »Ich gehe«, sagte Mike. Trautman blinzelte. Er widersprach nicht gleich, war aber von Mikes Vorschlag sichtlich nicht begeistert. »Es sind nur hundert oder zweihundert Meter bis zum Strand«, fuhr Mike fort. »Ich kann da sein, noch bevor Singh den Anzug geholt und Sie ihn angezogen haben. « »Das ist viel zu gefährlich«, widersprach Trautman. »Stimmt«, antwortete Mike. »Und für Sie noch viel gefährlicher als für mich. Sie haben es selbst gesagt: Sie sind müde, und... ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber ich glaube doch, daß jemand meines Alters für ein solches Abenteuer besser geeignet ist -« »-als ein alter Tattergreis wie ich?« fiel ihm Trautman ins Wort. Er gab sich Mühe, möglichst grimmig dreinzublicken, aber zum ersten Mal seit vielen Tagen wieder erkannte Mike auch ein Lächeln in seinen Augen, so daß er mit einem breiten Grinsen antwortete: »Wenn Sie den Deutschen in die Hände fallen, dann wird es übel für Sie enden. Nach allem, was ich gehört habe, machen sie kurzen Prozeß mit Spionen. « »Das stimmt«, antwortete Trautman. »Aber das gilt auch für dich. «

»Sie kriegen mich nicht«, sagte Mike zuversichtlich. »Und wenn doch, dann spiele ich das arme, verstörte

Kind, das seine ganze Familie bei einem Schiffbruch verloren hat und sich gar nicht so richtig erinnert, wie es hierher kommt. «

Trautman blickte ihn immer noch zweifelnd an, aber es war ihm zugleich auch deutlich anzusehen, wie sehr ihn der Gedanke erleichterte, nicht zu der Insel hinüberschwimmen zu müssen. »Also gut«, sagte er schließlich. »Aber du gehst nicht allem. Singh begleitet dich. Versucht herauszufinden, wie viele Soldaten sich auf der Insel aufhalten, wo sie sind und was sie tun. Aber nähert euch auf gar keinen Fall dem Sternenschiff. Ist das klar?«

»Ich bin doch nicht verrückt«, antwortete Mike. »Und auch nicht lebensmüde. «

»Das will ich hoffen«, erwiderte Trautman ernst. »Das ist nicht der richtige Moment für Heldentaten oder Abenteuer. Schaut euch um, und dann kommt wieder zurück. Redet mit niemandem und rührt nichts an, auch wenn die Gelegenheit vielleicht noch so verlockend erscheint. Wir werden wieder tauchen, um nicht zufällig entdeckt zu werden, aber jeweils genau zur vollen Stunde hierher zurückkehren. « Mike überlegte einen Moment, ob es nicht eine gute Idee wäre, Astaroth mitzunehmen. Der Kater mit seinen telepathischen Fähigkeiten wäre ihnen sicherlich eine unschätzbare Hilfe auf der Insel, aber er hatte ihn den ganzen Tag über noch nicht gesehen. Doch Mike zweifelte nicht daran, daß Astaroth in diesem Moment seine Gedanken und die Trautmans las und so ganz genau wußte, was vorging. Wenn er sie hätte begleiten wollen, dann wäre er längst hier. Stimmt! sagte eine wohlbekannte Stimme in seinen Gedanken. Sonst nichts.

Mike seufzte leise, trat an Trautman vorbei und begann, die Leiter hinaufzuklettern. Das Metall war glitschig vor Nässe, und als er oben angekommen war, verhielt er noch ein paar Sekunden und tat ein paar tiefe Atemzüge. Dann zog er sich mit einer entschlossenen Bewegung über den Rand der Turmluke und stieß sich von der oberen Leitersprosse ab. Die Strömung ergriff ihn sofort und trug ihn mit erstaunlicher Kraft von der NAUTILUS weg. Mike war ein geschickter Schwimmer, aber jetzt mußte er sich ganz darauf konzentrieren, die Richtung zur Insel einzuhalten. So verschwendete er keine Energie darauf, sich nach Singh herumzudrehen, sondern griff kräftig aus. Als Mike die Insel endlich erreichte und auf den schmalen Sandstreifen hinaufkroch, der das Meer vom Dschungel trennte, fühlte er sich sehr erschöpft. Unmittelbar hinter ihm richtete sich Singh in der Brandung auf und trat neben ihn. Der Dschungel war an dieser Stelle bis auf knappe zwei Meter ans Meer herangewachsen und trotz der Nähe des Salzwassers so dicht, daß man nur wenige Schritte weit in ihn hineinblicken konnte. Die Schatten zwischen den fünfzehn Meter hohen Palmen wirkten fast schwarz, vor allem, da Mikes Augen an das grelle Sonnenlicht gewöhnt waren und ein wenig vom Salzwasser brannten. Wenn irgendwo dort drin jemand stand und sie beobachtete, dann würde er ihn wahrscheinlich nicht einmal bemerken. SinghsÜberlegungen schienen wohl in dieselbe Richtung zu gehen, denn er ließ Mike keine Zeit, sich auszuruhen, sondern zog ihn unsanft auf die Füße und hinter sich her, in den Wald hinein. Mike protestierte schwach und versuchte, Singhs Hand abzustreifen, aber der Inder achtete nicht auf ihn. Er zerrte Mike noch ein gutes Stück weiter hinter sich her, obwohl sie bereits im Schutz des Unterholzes angelangt waren. »He!« protestierte Mike. »Nicht so schnell!« »Jemand beobachtet uns«, sagte Singh leise. Mike fuhr erschrocken zusammen und drehte den Kopf nach rechts und links, aber alles, was er sah, waren nachtschwarze Schatten und grüne Dunkelheit. Er hörte eine Vielzahl von Geräuschen, die jedoch in einem Dschungel durchaus normal waren. »Bist du sicher?« fragte er. Instinktiv hatte er die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, bevor ihm klar wurde, wie lächerlich das war. Wenn sie tatsächlich beobachtet wurden, dann war es auch nicht mehr nötig, zu flüstern. Singh nickte zögernd. »Ich glaube, ja«, sagte er. »Aber jetzt... « Er schüttelte den Kopf, drehte sich einmal im Kreis und sah dabei aus zusammengekniffenen Augen in den Wald hinein. Schließlich deutete er ein Achselzucken an. »Jedenfalls glaubte ich, sicher zu sein«, fuhr er nach einigen Sekunden fort.

Mike sah ihn verwirrt an. Normalerweise konnte man sich auf Singhs scharfes Gehör und seine noch schärferen Augen unbedingt verlassen; ebenso, wie er eigentlich niemals etwas aussprach, wenn er sich seiner Sache nicht vollkommen sicher war. Auch Singh benahm sich ungewöhnlich -wie sie alle. Mikeverscheuchte den Gedanken. »Kommt weiter, Herr«, sagte er -ein Überbleibsel aus der Anfangszeit ihrer Bekanntschaft, als er tatsächlich Mikes Diener gewesen war. Mike hatte ihm schon tausendmal gesagt, daß er diese Anrede nicht mochte, und Singh hatte es ebensooft ignoriert. »Wir müssen auf die andere Seite der Insel. Und wir brauchen bestimmt eine Stunde dazu. « Die Insel war zwar mehrere Meilen lang, aber nicht besonders breit. Dafür jedoch sehr gebirgig, und der Dschungel, der schon am Ufer dicht gewesen war, erwies sich als nahezu undurchdringlich, je tiefer sie ins Landesinnere vorstießen. Dazu kam, daß Singh immer wieder stehenblieb und sich nervös umsah und seine Nervosität natürlich auch Mike ansteckte. Sie brauchten so nicht eine, sondern mehr als zwei Stunden, bis sie den Strand auf der gegenüberliegenden Seite der Insel sahen.

Das Gelände lag hier etwas höher als drüben, und der Strand war sehr viel breiter, so daß sie ihn aus demSchutz des Unterholzes heraus gut überblicken konnten. Übervorsichtig, wie er nun einmal war, hatte Singh Mike befohlen, ein Stück zurückzubleiben, und war allein zum Waldrand gegangen. Er blieb sehr lange fort. Mike konnte ihn als dunklen Umriß am Waldrand erkennen, und er beobachtete ihn sicher zwei, drei Minuten lang, wie er einfach reglos dastand und auf das Meer hinausstarrte.

Schließlich hielt er die Untätigkeit nicht mehr aus, beschloß, Singhs Warnung in den Wind zu schlagen, und trat mit vorsichtigen Schritten neben ihn. Singh wandte nur flüchtig den Kopf und blickte dann weiter konzentriert auf den Strand und das Meer hinaus, doch obwohl Mike nur einen kurzen Blick auf sein Gesicht erhaschte, sah er sofort, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Singh wirkte sehr angespannt, ja, alarmiert. »Was ist los?« fragte Mike.

Singh hob die linke Hand und deutete auf den Strand hinunter. »Seht selbst!«

Mike gehorchte -was er sah, das ließ ihn erschrocken die Luft anhalten. Singhs Orientierungssinn mußte noch besser sein, als er bisher geglaubt hatte, denn sie waren tatsächlich beinahe unmittelbar über dem fremden Schiff herausgekommen und allerhöchstens noch zwanzig oder dreißig Schritte davon entfernt. Er konnte eine Anzahl dunkel gekleideter Gestalten erkennen, die sich an der silbernen Scheibe zu schaffen machten, sowie eine doppelte Reihe kniehoher Stäbe, die im Kreis rings um das Schiff in den Sand gesteckt und mit dünnen Drähten verbunden waren. Aber das war es nicht, was Singh gemeint hatte.

Es war auf dem Meer. Unweit des Strandes dümpelte ein schwerer, grauschwarz gestrichener Dampfer auf den Wellen, der am Morgen, als sie die Insel vom Meer aus beobachtet hatten, noch nicht dagewesen war. Dafür waren das deutsche Schlachtschiff und die beiden Zerstörer verschwunden. »Wo sind die Schiffe?« murmelte er. Singh zuckte mit den Schultern. Die drei deutschen Kriegsschiffe waren nicht mehr da, und an ihrer Stelle ankerte dieses sonderbare schwarze Dampfschiff vor der Insel. Es hatte keinerlei Flagge oder sonstige Nationalitätskennzeichen, und irgend etwas daran war... unheimlich. Mike konnte das Gefühl nicht in Worte kleiden, aber es war sehr deutlich. Mühsam löste er seinen Blick von den rostzerfressenen Flanken des schwarzen Frachters und konzentrierte sich wieder auf die Männer, die sich an dem Sternenschiff zu schaffen machten. »Was tun sie da?« murmelte er.

Wieder bestand Singhs Antwort nur in einem Achselzucken. Aber sein Gesichtsausdruck wurde noch besorgter. Obwohl sie nicht sehr weit von der silbernen Scheibe entfernt waren, konnten sie nicht genau erkennen, was die Männer dort eigentlich taten. Nach einer Weile sagte Singh: »Wir müssen näher heran. « Er überlegte einen weiteren Moment, dann drehte er sich herum und deutete mit einer entschlossenen Bewegung wieder in den Wald hinein. »Ihr bleibt hier, Herr. Ich werde versuchen, näher heranzukommen. « »Aber -« begann Mike, wurde aber sofort wieder von Singh unterbrochen.

»Mit ein bißchen Glück schaffe ich es. Es sind so viele, daß ein Mann mehr vielleicht gar nicht auffällt, und meine Kleider ähneln den ihren. Und ich gehe bestimmt kein Risiko ein. Keine Sorge. «»Meinetwegen«, murmelte Mike ohne rechte Überzeugung. Er bedauerte es mittlerweile zutiefst, nicht darauf bestanden zu haben, daß Astaroth sie begleitete. Der Kater mit seinen Fähigkeiten, die Gedanken der Menschen zu lesen, wäre in diesem Moment eine unschätzbare Hilfe gewesen.

Sie wichen wieder ein kleines Stück in den Wald zurück und bewegten sich ein Dutzend Schritte weit nach rechts, so daß sich Singh dem Schiff auf die kürzest mögliche Distanz nähern konnte. Mike suchte sich ein Versteck in einem gut mannshohen Farngestrüpp und sah mit klopfendem Herzen zu, wie der Inder auf den Strand hinaustrat und mit raschen, aber trotzdem sehr ruhigen Schritten auf das Sternenschiff zuging; ein Mann, der es eilig hatte, aber ganz genau wußte, was er tat und nicht im geringsten unsicher war. Dieses sichere Auftreten würde vielleicht dafür sorgen, daß keiner der Männer wirklich Notiz von Singh nahm. Mike sah, wie der Inder das Schiff halb umrundete und sich dann ganz selbstverständlich einer kleinen Gruppe von Männern anschloß, die auf eine Lücke in dem niedrigen Zaun zusteuerte. Einen Moment später waren sie und mit ihnen auch sein Freund und Leibwächter hinter der Scheibe und somit seinen Blicken entschwunden.

Mike blieb mit klopfendem Herzen in seinem Versteck zurück und wartete darauf, daß Singh wieder auftauchte. Natürlich wußte er, daß es unter Umständen lange dauern konnte. Singh würde sich umsehen, und er konnte schließlich nicht einfach irgendwann kehrtmachen und gemächlich in den Wald zurückmarschieren -das wäre aufgefallen, denn keiner der Fremden hatte sich dem Dschungel bisher auch nur genähert. Vermutlich, dachte Mike, wird Singh letzten Endes gar keine andere Wahl haben, als dieses Risiko einzugehen, und Mike tat wahrscheinlich gut daran, sich auf einen ziemlich überhasteten Rückzug vorzubereiten. Er löste seinen Blick für einen Moment vom Strand und sah den Wald in seinem Rücken an. Und plötzlich hatte er, genau wie vorhin auf der anderen Seite der Insel, das intensive Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Er sah nicht die geringste Bewegung, keinen Schatten, aber das Gefühl, angestarrt zu werden, war plötzlich so mächtig, daß er es fast wie eine körperliche Berührung empfand. Mike versuchte sich einzureden, daß es nur Einbildung war; eine Folge seiner eigenen Nervosität. Niemand war hier, der ihn beobachtete. Er mußte sich nur in Geduld fassen, bis Singh zurückkam. Die Zeit verging. Minute reihte sich an Minute, aber der Inder tauchte nicht wieder auf. Mike überlegte verzweifelt, was er nun tun sollte. Eigentlich war es klar: Sie hatten oft genug über Situationen wie diese gesprochen, und Trautman und auch Singh hatten ihnen immer wieder eingehämmert, daß niemandem damit gedient war, wenn einer von ihnen den Helden spielte. Das vernünftigste in dieser Situation wäre, zurück zur NAUTILUS zu gehen und gemeinsam mit Trautman und den anderen zu beraten, wie sie Singh am besten helfen konnten. Aber auch das war eine Eigenart von Situationen wie dieser: daß man selten das Vernünftigste tat. Mike mußte nicht lange überlegen, bis er wußte, was er zu tun hatte. Er würde Singh auf gar keinen Fall im Stich lassen, sondern entweder zusammen mit ihm oder gar nicht zurückkehren.

Aufmerksam beobachtete er den Strand und die riesige silberfarbene Scheibe, bis er glaubte, einen günstigen Moment abgepaßt zu haben, in dem keiner der Fremden in seine Richtung blickte. Rasch richtete er sich auf, trat aus dem Wald hervor und rannte geduckt auf das fremde Schiff zu.

Unbehelligt erreichte er die Scheibe und ließ sich unmittelbar vor dem niedrigen Zaun auf die Knie fallen. Für den Moment war er in Sicherheit. Die Rundung des gewaltigen Flugobjekts bildete einen zuverlässigen

Schutz, so daß ihn zumindest im Augenblick niemand sehen würde.

Mikes Herz klopfte bis zum Hals. Erfüllt von einem Gefühl banger Furcht, sah er sich noch einmal um und betrachtete dann das fremde Schiff aufmerksam aus unmittelbarer Nähe. Er war ihm noch nie so nahe gewesen wie jetzt, und ihm war noch nie zu Bewußtsein gekommen, wie... seltsam es war. Als er es das erste Mal gesehen hatte, damals, Tausende von Metern unter der Wasseroberfläche und wie ein vielzu groß geratener Bumerang in das Wrack der TITANIC verkeilt, war er starr vor Überraschung gewesen, daß er gar nicht richtig denken konnte.

Jetzt, als er unmittelbar vor ihm kniete, kam es ihm noch viel gewaltiger vor, aber er spürte auch, daß es weit mehr war als nur ein Fahrzeug. Mehr als eine Maschine. Irgend etwas ging von ihm aus, das er nicht in Worte fassen konnte: nicht einmal so sehr Gefahr oder Bedrohung, sondern vielmehr ein Gefühl von Fremdartigkeit. Es war etwas, was nicht von hier kam und vor allem nicht hierher gehörte. Da er, wie alle anderen, mit eigenen Augen erblickt hatte, welche Verheerung dieses gar nicht so gefährlich aussehende Fahrzeug anzurichten imstande war, empfand er natürlich Furcht davor, und er würde sich hüten, es zu berühren, ganz egal, was geschah. Aber viel stärker als diese erklärbare Angst war das andere Gefühl, das er hatte: das Gefühl, etwas vollkommen Fremdem gegenüberzustehen, dessen wahre Bedeutung er niemals wirklich begreifen konnte. Erst jetzt wurde ihm wirklich klar, was Serena gemeint hatte, als sie ihnen erzählte, daß alle Versuche ihres Volkes, mit den Erbauern dieser Schiffe Kontakt aufzunehmen, gescheitert waren oder in einer Katastrophe geendet hatten. Vielleicht waren sie gar nicht feindselig, vielleicht war es einfach nicht möglich, mit ihnen zu reden oder sich lange in ihrer Nähe aufzuhalten.

Mike richtete sich auf, musterte den sonderbaren, nur aus ein paar kniehohen Stäben und einem dazwischengespannten, hauchdünnen Draht bestehenden Zaun unmittelbar vor sich noch eine Sekunde lang spöttisch, hob dann den Fuß, um darüber hinwegzusteigen und sich so unmittelbar im Sichtschutz des Schiffes weiterzubewegen. Er konnte es nicht. Verwirrt senkte er den Fuß wieder, versuchte es noch einmal, mit demselben Ergebnis. Es war ihm nicht möglich, den Zaun zu übersteigen.

Mike ließ sich verwirrt zurücksinken. Zögernd streckte er die rechte Hand aus, und es geschah wieder: Sobald er versuchte, über den Zaun hinwegzugreifen, ging es einfach nicht, und er konnte nicht sagen, warum. Mike versuchte es noch ein paarmal, ehe er schließlich aufgab. Einige Augenblicke lang überlegte er, ob dieser Zaun vielleicht nur deshalb aufgestellt worden war, um die Grenze jener unsichtbaren, undurchdringlichen Barriere zu markieren, die das Schiff umgab. Mike stand auf, drehte sich herum -und hätte um ein Haar aufgeschrien. Hinter ihm stand ein Fremder. Es war einer der Männer, die Singh und er vom Waldrand aus beobachtet hatten. Er war sehr groß, dunkelhaarig und trug schwarze, grobe Hosen, gleichfarbige Stiefel und einen farblich dazu passenden Rollkragenpullover. Sein Gesicht war von seltsam fremdartigem Schnitt, und er hatte sehr dunkle, große Augen, die Mike an irgend etwas erinnerten, auch wenn er im ersten Moment nicht sagen konnte, was es war. Außerdem war er viel zu erschrocken, um darüber nachzudenken, denn der Blick dieser dunklen Augen war direkt auf ihn gerichtet.

Der Fremde war so lautlos näher gekommen, daß Mike ihn nicht gehört hatte. Mikes Gedanken rasten. Er zweifelte nicht daran, daß der Fremde ihn sofort packen oder ein lautes Alarmgebrüll anstimmen würde,und sah sich hastig nach der günstigsten Fluchtrichtung um -aber er erlebte eine Überraschung. Obwohl ihm der Mann direkt in die Augen blickte, schien er ihn gar nicht zu registrieren, sondern ging einfach an ihm vorbei; so dicht, daß seine Schulter Mike gestreift hätte, wäre dieser nicht hastig zur Seite getreten. Der Mann sah sich nicht einmal nach ihm um, sondern verschwand mit raschen Schritten um die Rundung des Schiffes.

Mike blickte ihm fassungslos nach. Träumte er? Wenn der Mann nicht blind war, dann mußte er ihn einfach gesehen haben. Die ganze Geschichte wurde immer rätselhafter.

Jetzt wurde es aber auch wirklich Zeit, daß er Singh fand und sie von hier verschwanden. Er wollte gar nicht mehr wissen, was hier wirklich vorging. Allmählich hatte er das Gefühl, in einen verrückten Traum geraten zu sein, in dem nichts mehr so war, wie es sein sollte.

Er wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und begann die gewaltige Silberscheibe zu umkreisen. Ein zweiter, genauso gekleideter Mann wie der erste kam ihm entgegen, und als Mike mit klopfendem Herzen stehenblieb und ihn ansah, wiederholte sich das seltsame Geschehen. Auch dieser Mann blickte Mike einmal direkt in die Augen, und auch er schien ihn nicht wahrzunehmen, sondern ging an ihm vorbei. Mike sah ihm kopfschüttelnd nach, faßte zugleich aber auch neuen Mut. Wenn all diese Fremden so reagierten, dann war Singh vielleicht doch nichts zugestoßen. Möglicherweise hatte er etwas entdeckt, was ihn die Zeit vergessen ließ.

Er ging weiter - und blieb nach ein paar Schritten abrupt wieder stehen. Er hatte das Schiff zur Hälfte umkreist und sah nun den Strand, das offene Meer dahinter und den Frachter wieder vor sich.

Aber er sah auch Singh und begriff, daß seine Hoffnung verfrüht gewesen war. Singh war entdeckt worden. Zwei der dunkel gekleideten Männer standen hinter ihm und hielten seine Arme gepackt, ein dritter Mann stand unmittelbar vor ihm und redete aufgeregt auf ihn ein. Der eine der Männer, die Singh hielten, blutete aus der Nase, der andere hatte ein dunkles Auge, das bereits zuzuschwellen begann, und ein Stück abseits standen zwei weitere, die sich die offenbar schmerzenden Rippen rieben.

Singh hatte sich sichtlich nach Kräften gewehrt, war aber der Übermacht am Ende nicht gewachsen gewesen. Er selbst war nicht verletzt, und er sah auch nicht besonders eingeschüchtert oder erschrocken drein, dafür aber sehr wütend.

Mike wich hastig wieder ein paar Schritte zurück, denn er war keineswegs sicher, daß auch die Männer, die Singh überwältigt hatten, durch ihn hindurchsehen würden, wenn sie sich zufällig in seine Richtung drehten. Und er war ziemlich ratlos. Er hatte nicht einmal eine Ahnung, wie er Singh helfen sollte. Sein Vater hatte den jungen Sikh-Krieger nicht von ungefähr zu seinem Leibwächter gemacht. Singh war zwar schlank und sah täuschend harmlos aus, aber Mike hatte einmal miterlebt, wie er ganz allein und waffenlos mit gleich vier Gegnern fertig geworden war. Wenn es diesen Männern gelungen war, ihn zu überwältigen, dann hatte er nicht die geringste Aussicht, Singh zu befreien. Sosehr ihm der Gedanke auch widerstrebte -er würde wohl doch allein an Bord der NAUTILUS zurückkehren müssen, um zusammen mit Trautman und den anderen einen Plan zur Befreiung des Inders auszuarbeiten.

Mike sah sich noch einmal nach allen Seiten um, dann huschte er geduckt zum Waldrand zurück, obwohl es wahrscheinlich gar nicht notwendig war, vorsichtig zu sein. Die schwarzgekleideten Männer nahmen immer noch keine Notiz von ihm.

Als er in das Unterholz eindrang, stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen eine Gestalt vor ihm. Sie gehörte ganz eindeutig nicht zu den schwarzgekleideten Männern, sondern es war einer der Eingeborenen, von denen sie im Logbuch gelesen hatten. Er war sehr groß, hatte schulterlanges schwarzes Haar und war nackt bis auf einen buntbestickten Lendenschurz. Sein Gesicht war von edlem Schnitt und wirkte sehr kraftvoll, aber der Ausdruck darauf war eher besorgt als wirklich drohend.

»Wer... wer sind Sie?« fragte Mike zögernd. Der Eingeborene sagte etwas in einer sonderbar dunkel klingenden, vollkommen unverständlichen Sprache, und einen Augenblick später traten zwei weitere Eingeborene aus dem Gebüsch hinter Mike heraus. Dann noch einmal drei, so daß er sich schließlich von einem halben Dutzend der hochgewachsenen, dunkelhäutigen Gestalten umringt sah. Also hatte er sich doch nicht getäuscht. Er war die ganze Zeit beobachtet worden. Der Mann, auf den Mike zuerst gestoßen war, begann schnell und in seiner unverständlichen Sprache auf ihn einzureden. Er zeigte dabei immer wieder zum Strand und auch zu dem schwarzen Frachter dahinter. Offenbar brachte er Mike mit diesem Schiff und den Männern in Verbindung. Und Mike hatte das Gefühl, daß die Schwarzgekleideten nicht unbedingt die Freunde der Eingeborenen waren.

»Ich nehme an, daß von euch keiner meine Sprache spricht«, sagte er, sehr langsam und mit übermäßiger Betonung, aber ohne große Hoffnung, irgendeine Antwort zu bekommen. Er bekam Antwort - allerdings keine, mit der er etwas anfangen konnte. Plötzlich redeten alle wild durcheinander auf ihn ein, und ihre Gesten wurden drohender.

Mike ließ sie eine Weile gewähren und beschloß dann, alles auf eine Karte zu setzen. Wenn die Eingeborenen mit den Männern auf dem Schiff gemeinsame Sache machten, dann war er ohnehin verloren. Also hob er den Arm, deutete erst auf die gewaltige Silberscheibe am Strand und schüttelte deutlich den Kopf, dann wies er auf den Frachter und wiederholte sein Kopfschütteln. »Ich weiß nicht, wer diese Männer sind«, sagte er, »aber ich glaube nicht, daß sie unsere Freunde sind. «

Wenn die Eingeborenen die Worte auch sicher nicht verstanden, die Bedeutung der Geste schien ihnen klar zu sein. Der drohende Ausdruck verschwand von den meisten Gesichtern, und ihre Stimmen klangen jetzt aufgeregter, wenn auch nicht unbedingt freundlicher -was aber möglicherweise einzig daran lag, daß ihre Sprache einen für europäische Ohren ungewohnt harten Klang hatte.

»Ihr müßt mich gehen lassen«, sagte Mike. »Ich muß Hilfe holen. Sie haben meinen Freund gefangen. « Er versuchte, die Worte mit entsprechenden Gesten und Handbewegungen auf den Strand und den Wald hin zu untermalen, zweifelte aber daran, daß es ihm gelang, diese komplizierte Botschaft durch reines Deuten und Gestikulieren zu übersetzen. Und als er einen Schritt tiefer in den Wald hinein machen wollte, da vertraten ihm zwei der Eingeborenen auch sofort den Weg. Mike stellte voller Unbehagen fest, daß er eines bisher übersehen hatte: Die Männer waren zwar ausnahmslos nackt bis auf ihren Lendenschurz oder eine bunte Vogelfeder, die sich der eine oder andere ins Haar gesteckt hatte, aber ebenso ausnahmslos bewaffnet: mit dünnen, fast mannslangen Blasrohren und wuchtigen Keulen aus Holz. Einer von ihnen deutete zum Strand hinab, und als Mikes Blick der Bewegung folgte, erkannte er, daß sich ein kleines Ruderboot vom Rumpf des großen Schiffes draußen gelöst hatte und nun auf die Insel zukam.

Zugleich traten Singh und seine fünf Bewacher aus dem Sichtschutz des fremden Schiffes heraus. Singh sträubte sich nach Kräften, wurde von den vier Männern aber einfach mitgezerrt. »Sie wollen ihn auf das Schiff bringen!« sagte Mike erschrocken. »Das darf nicht geschehen! Wenn sie ihn auf das Schiff bringen, können wir ihn bestimmt nicht mehr befreien!« Seine Aufregung entging den Eingeborenen keineswegs. Sie begannen wild durcheinanderzureden, und schließlich war es wieder der, den Mike als ersten gesehen hatte, der die Vermittlung übernahm. Schon nach kurzer Zeit glaubte Mike zu begreifen, was der Mann ihm klarmachen wollte: Er deutete immer wieder auf Singh und die fünf Fremden, schlug sich mit der geballten Faust in die geöffnete Linke und wies dazwischen auf das Schiff, wobei er heftig den Kopf schüttelte und eine Grimasse zog.

»Ihr wollt ihn befreien?« fragte Mike vorsichtig. Er versuchte die Frage mit Gesten zu begleiten, aber ihm fiel nichts ein. Schließlich deutete er auf Singh, dann auf sich, auf die sechs Eingeborenen und tat dann so, als würde er auf der Stelle laufen, und das schien der Mann zu verstehen. Er nickte heftig und schüttelte sein Blasrohr.

Der Anblick der Waffe erschreckte Mike. Er hatte davon gehört, wie vortrefflich viele südamerikanische Indianer mit diesen Blasrohren umzugehen wußten, aber auch, daß es sich um Waffen von absolut tödlicher Wirkung handelte. Und er wollte nicht, daß die Eingeborenen die Männer dort unten umbrachten. Das aber konnte er ihnen unmöglich begreiflich machen -davon einmal abgesehen, daß er ziemlich sicher war, daß sie darauf ohnehin keine Rücksicht genommen hätten. Trotzdem schüttelte er den Kopf, legte die flache Hand auf das Blasrohr des Mannes und wiederholte sein Kopfschütteln. Dann fuhr er sich mit dem Zeigefinger an der Kehle entlang und schüttelte ein drittes Mal den Kopf.

Der Eingeborene wirkte verwirrt und fast ein bißchen enttäuscht, ließ das Blasrohr dann aber zu MikesÜberraschung sinken und hob statt dessen die Keule. Nicht daß diese Waffe wesentlich ungefährlicher gewesen wäre als die Blasrohre, aber zumindest würden sie die Männer dort unten nicht gleich damit umbringen. Und irgendeine Art von Waffen würden sie vermutlich dringend brauchen, wollten sie Singh befreien. Mittlerweile hatte sich das Ruderboot der Küste schon mehr als zur Hälfte genähert, so daß ihnen nun ohnehin keine Zeit mehr für lange Diskussionen blieb. Mike signalisierte den Männern schweren Herzens mit einem Nicken seine Zustimmung, und alle sechs wandten sich auf der Stelle um und traten aus dem Wald hervor. Mike folgte ihnen.

Schon nach wenigen Schritten fiel ihm auf, daß sich das unheimliche Geschehen von vorhin zu wiederholen schien: Obwohl etliche der ganz in Schwarz gekleideten Männer, die sich an der Flugscheibe zu schaffen machten, auch auf dieser Seite des Gefährtes waren und zwei oder drei von ihnen direkt in ihre Richtung blickten, als Mike und seine Begleiter aus dem Wald heraustraten, schienen sie auch diesmal keinerlei Notiz von ihnen zu nehmen. Es war, als existierten Mike und die Eingeborenen für diese seltsamen Männer gar nicht. Unbehelligt legten sie gut die Hälfte der Distanz bis zum Strand und damit auch zu Singh und seinen Bewachern zurück. Auch die Männer, die den Inder gepackt hielten, bemerkten nichts von ihrer Annäherung -wohl aber die Besatzung des kleinen Bootes, das sich in raschem Tempo dem Strand näherte.

Einer der Männer an Bord begann plötzlich heftig mit beiden Armen zu winken, woraufhin sich der Fremde, der mit Singh gesprochen hatte, herumdrehte. Als er Mike und seine Begleiter sah, hob er in einer befehlenden Geste die Hand und deutete auf sie, und in der gleichen Sekunde drehten sich auch die anderen Männer zu ihnen herum, und diesmal nahmen sie Notiz von den so plötzlich aufgetauchten Eingeborenen. Von einer Sekunde auf die andere schien der Strand von schwarzgekleideten, dunkelhaarigen Männern nur so zu wimmeln. Es mußten mindestens zwei, wenn nicht drei Dutzend Gestalten sein, die urplötzlich hinter der Flugscheibe auftauchten und sich Mike und seinen neugewonnenen Freunden entgegenwarfen.

Sie waren nicht bewaffnet, und der erste, der das Pech hatte, den Weg eines der Eingeborenen zukreuzen, machte eine recht unsanfte Bekanntschaft mit dessen Keule, aber die Übermacht war erdrückend. Binnen Sekunden brach rings um Mike ein wildes Handgemenge aus, in dem die Eingeborenen einzig deshalb nicht sofort überwältigt wurden, weil ihre Gegner vollkommen unbewaffnet waren, während sie ihre Keulen mit großer Geschicklichkeit schwangen -und, wie Mike mit einem Gefühl von Unbehaglichkeit registrierte, noch größerer Wut. Er fragte sich, was zwischen den Ureinwohnern dieser Insel und den Männern in Schwarz vorgefallen sein mochte, um bei den Eingeborenen einen solchen Zorn auszulösen. Der Kapitän des gesunkenen deutschen Frachters hatte sie in seinem Logbuch als friedlich und kontaktscheu beschrieben. Aber von friedlich konnte keine Rede sein. Obwohl sich die Eingeborenen mit erstaunlicher Tapferkeit hielten, waren sie binnen Sekunden vonder gewaltigen Übermacht der

Schwarzgekleideten eingekreist. Drei, vier, schließlich fünf der Angreifer sanken reglos zu Boden, als die Eingeborenen ihre Keulen kreisen ließen, aber die anderen rückten mit einer Verbissenheit weiter vor, die Mike an das seelenlose Tun von Maschinen erinnerte. Die Eingeborenen wurden einer nach dem anderen niedergerungen und überwältigt, und schließlich streckten sich auch nach Mike starke Hände aus, um ihn zu packen und festzuhalten. Etwas Winziges, Dunkles sirrte an Mikes Ohr vorbei und traf den vordersten Angreifer in die Brust. So abrupt, als wäre er vor ein unsichtbares Hindernis gelaufen, blieb er stehen, erstarrte für einen Moment zur Reglosigkeit und sah dann mit fast verblüfftem Gesichtsausdruck auf den winzigen, gefiederten Pfeil herab, der aus seiner Brust ragte. Dann brach er ganz langsam in die Knie, schwankte noch einen Moment hin und her und fiel schließlich zur Seite. Und diesem ersten Blasrohrpfeil folgten weitere. Plötzlich erhob sich aus dem Waldrand hinter Mike und den anderen ein wahrer Hagel von kleinen gefiederten Geschossen, die mit fast unheimlicher Sicherheit ihr Ziel fanden. Schon nach wenigen Augenblicken waren die meisten Angreifer niedergestreckt, und die wenigen Davongekommenen suchten ihr Heil in der Flucht. Auch die Situation am Strand hatte sich grundlegend geändert: Singh hatte seine Chance natürlich sofort erkannt und bereits zwei seiner Bewacher überwältigt. Die anderen versuchten ihn zu packen und erneut festzuhalten, doch auch auf sie regneten plötzlich Blasrohrgeschosse herab. Mike hielt den Atem an, denn er rechnete fest damit, daß auch Singh von einem der tödlichen Geschosse getroffen werden mußte: Doch obwohl es vollkommen unmöglich erschien, bekam Singh nicht einmal einen Kratzer ab,

sondern stand inmitten Dutzender der winzigen Pfeile, die rings um ihn herumschwirrten, vollkommen unbeschadet da. Aber die Gefahr war noch keinesfalls vorüber: Vom Meer her näherte sich das Boot. Singh fuhr auf der Stelle herum und hetzte mit gewaltigen Sprüngen auf Mike zu, während sich ringsum die Eingeborenen benommen erhoben und sich die schmerzenden Schädel rieben. Alle bis auf einen. Jener Eingeborene, den Mike als ersten im Wald getroffen hatte, lag noch immer reglos im Sand. Er lebte, doch als Mike neben ihm niederkniete, stellte er fest, daß er aus einer üblen Platzwunde an der Stirn blutete und ohne Bewußtsein war. »Herr!« Singh langte schweratmend neben ihm an, deutete hastig zum Waldrand hin und dann zum Strand zurück. Mike sah, daß sich zwischen den Bäumen am Waldrand über ein Dutzend weiterer halbnackter Gestalten aufgerichtet hatten, die aufmerksam zu ihnen her sahen, aber keine Anstalten machten, ihnen oder wenigstens ihrem verwundeten Kameraden zu Hilfe zu kommen.

In der Zwischenzeit hatte das Boot den Strand beinahe erreicht, und die Männer an Bord machten sich bereit, an Land zu gehen. Mike sah, daß jeder von ihnen einen kleinen, glitzernden Gegenstand in der Hand hielt. Er vermutete, daß es sich dabei um Waffen handelte. »Hilf mir!« keuchte er. Er versuchte verzweifelt, den bewußtlosen Eingeborenen in die Höhe zu zerren, aber der Mann war viel zu schwer für ihn. Und Singh zögerte, mit zuzupacken. »Verdammt noch mal, Singh!« schrie Mike. »Ohne ihn wärest du jetzt vielleicht schon tot!«

Das wirkte. Kurz entschlossen hob Singh den bewußtlosen Eingeborenen hoch, warf ihn sich über die Schulter und begann auf den Waldrand zuzulaufen. Mike folgte ihm, allerdings nicht, bevor er noch einen letzten Blick zum Strand zurückgeworfen hatte. Das schwarze Boot war ein gutes Stück auf den Sand hinaufgeglitten, und seine Besatzung kletterte hastig von Bord. Mike war jetzt sicher, daß die winzigen silbernen Stäbe, die sie in den Händen hielten, Waffen waren.

Als sie noch zehn Meter vom Waldrand entfernt waren, wurde aus dieser Vermutung Gewißheit. Ein dünner Faden aus weißem Licht zuckte plötzlich zwischen Singh und ihm hindurch und schlug in den Waldrand ein, und seine Wirkung war verheerend. Eine der gewaltigen Palmen loderte auf und zerfiel in einem Sekundenbruchteil zu Asche, und das Unterholz ringsum ging in einem Bereich von sicherlich fünf oder auch sechs Metern schlagartig in Flammen auf. Singh fluchte lauthals in seiner Muttersprache, schlug einen Haken nach links und schrie Mike zu, in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. Eine Sekunde später züngelte ein zweiter Lichtblitz in Singhs Richtung, der ihn diesmal nur um Haaresbreite verfehlte und einen weiteren Bereich des Waldrandes in ein Flammenmeer verwandelte.

Die Eingeborenen waren längst im Dickicht verschwunden. Mike hoffte, daß sie bereits in Sicherheit gewesen waren, als der Blitz den Waldrand traf. Hakenschlagend erreichte auch er den Waldrand, brach rücksichtslos durch das Geäst und stolperte noch ein halbes Dutzend Schritte weiter, ehe er stehenblieb und sich schweratmend umsah. Singh kämpfte sich ein gutes Stückweit links von ihm ins Gebüsch, und von den Eingeborenen war keine Spur mehr zu sehen. Vom Strand her zuckten keine weiteren Blitze mehr zu ihnen herauf, so daß Mike allmählich die Hoffnung zu fassen begann, daß sie in Sicherheit waren. Die Männer, die mit dem Boot gekommen waren, hatten nicht nur das Feuer eingestellt, sondern unternahmen auch keinen Versuch, sie zu verfolgen. Allerdings auch keinen, ihren Kameraden zu Hilfe zu eilen. Nach einigen Augenblicken sah Mike auch, warum das so war: Die Männer, die von den Blasrohrgeschossen getroffen worden waren, begannen sich langsam wieder zu rühren. Sie waren nicht tot, stellte er erleichtert fest, sondern offenbar nur kurz bewußtlos gewesen. Die Pfeile hatten kein Gift enthalten, sondern nur ein Betäubungsmittel.

Er ging weiter und traf nach einigen Augenblicken auf Singh, der soeben den reglosen Eingeborenen zu Boden sinken ließ. Während er versuchte, ihn wachzurütteln, fragte er: »Verfolgen sie uns?«

Mike schüttelte den Kopf: »Nein. Anscheinend wollten sie uns nur in die Flucht schlagen. Was waren das für Männer?«

»Keine Ahnung«, gestand Singh. »Und ich glaube fast, ich will es auch gar nicht wissen. Sie waren... unheimlich. «

»Die Männer, die von den Eingeborenen niedergeschlagen wurden«, fügte Mike hinzu, »sind nicht tot, weißt du? Ich konnte sehen, daß sie wieder aufstehen. « Er beugte sich herab und zog nachdenklich einen der winzigen gefiederten Pfeile aus dem kleinen Köcher, den der Bewußtlose am Gürtel trug. »Ich dachte immer, diese Dinger wären gefährlicher. «

»Das sind sie auch«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Die Spitzen sind in Curare getaucht, das tödlichste Gift der Welt. «

Mike und Singh fuhren im gleichen Moment herum und sahen sich einem mittelgroßen, sehr schlanken Mann gegenüber, der vollkommen lautlos aus dem Dickicht herausgetreten war. Er ähnelte ein wenig den Gestalten, auf die sie am Strand getroffen waren; auch er hatte dunkles Haar und ein scharf geschnittenes Gesicht und vor allem die gleichen dunklen und großen Augen. Aber der Mann gehörte nicht zu den Fremden am Strand. Er trug die dunkelblaue Uniform der deutschen Handelsmarine, die schon ein bißchen mitgenommen aussah. Das mußte wohl der Offizier sein, von dem sie im Logbuch des untergegangenen Schiffes gelesen hatten.

Mit einer raschen Bewegung trat er näher, nahm Mike sehr behutsam den Pfeil aus der Hand und fuhr fort: »Schon ein winziger Kratzer, und du bist tot, bevor du auch nur deinen Namen buchstabieren kannst. Also sei besser vorsichtig damit. «

Mike trat einen Schritt zurück und sah erschrocken auf seine Hände herab, während der Offizier den Pfeil wieder in den Köcher zurückschob. Dann begann er den bewußtlosen Eingeborenen zu untersuchen: Er hob seine Lider an, tastete nach seinem Puls und befühlte seine Stirn. Obwohl seine Bewegungen sehr schnell waren, hatte Mike das Gefühl, daß er ganz genau wußte, was er da tat. »Kommt er wieder in Ordnung?« fragte er.

»Ich denke schon«, antwortete der Fremde. »Er hat ganz schön was abgekriegt, aber diese Eingeborenen sind recht zäh. « Er stand auf und streckte Mike die Hand entgegen, und nach kurzem Zögern griff dieser auch danach. »Vielen Dank, daß ihr ihm geholfen habt. Mein Name ist Weisser. Stefan Weisser. Ihr seid von dem Tauchboot, das draußen vor der Insel kreuzt?« Mike starrte Weisser aus aufgerissenen Augen an. »Woher... wissen Sie das?«

Der dunkelhaarige Mann mit den sonderbaren Augen lächelte. »Hier passiert nicht viel, wovon ich nichts weiß«, antwortete er geheimnisvoll. »Es ist eine kleine Insel.

Aber nun kommt, wir müssen fort, ehe sie doch noch auf die Idee kommen, nach uns zu suchen, oder kurzerhand den ganzen Wald niederbrennen. « Auf ein Zeichen Weissers hin erschien wie aus dem Boden gewachsen ein halbes Dutzend weiterer Eingeborener im Unterholz. Zwei von ihnen hoben ihren bewußtlosen Kameraden hoch, während die anderen eine Art Eskorte bildeten, die wohl zu ihrem Schutz dienen sollte. Zumindest versuchte sich Mike dies einzureden.

Während der nächsten halben Stunde kamen sie kaum dazu, etwas über ihren sonderbaren neuen Freund zu erfahren oder gar mit ihm zu reden, denn die Eingeborenen legten ein solches Tempo vor, daß sie ihre Mühe hatten, mit ihnen Schritt zu halten. Und Weisser ging auch jeder Möglichkeit, ihn etwa in ein Gespräch zu verwickeln, sehr geschickt aus dem Weg. Nach einer guten halben Stunde erreichten sie das Dorf der Eingeborenen, das auf einer Lichtung mitten im Dschungel lag. Knapp zwei Dutzend Hütten, in denen kaum mehr als hundert Menschen leben konnten. Die Eingeborenen kamen ihnen mit großem Hallo und aufgeregtem Geschnatter entgegen, von dem Mike und Singh natürlich kein Wort verstanden. Weisser jedoch antwortete zu Mikes nicht geringem Erstaunen in der gleichen Sprache darauf und das, wie es schien, sogar fließend. Wenn man bedachte, daß er erst seit einigen Tagen auf dieser Insel war, dann war das eigentlich unmöglich. Doch an dieser Insel -und vor allem an diesem Dorf -war sowieso einiges sonderbar. Mike fiel auf, daß einige der Hütten leerzustehen schienen und sich in ihrer Farbe von den anderen unterschieden. Außerdem machten die Eingeborenen einen großen Bogen um sie, denn obwohl auf dem Dorfplatz ein ziemliches Gedränge herrschte, kam doch niemand auch nur in die Nähe der betreffenden Gebäude. Mike wollte schon eine entsprechende Frage stellen, aber Weisser ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern deutete auf eine Hütte auf der anderen Seite des Platzes und sagte: »Wartet dort drüben auf mich. Ich komme so rasch zu euch, wie es mir möglich ist. « »Aber « begann Singh, doch Weisser unterbrach ihn mit einer befehlenden Geste:

»Sie haben wirklich nichts zu befürchten. Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen tausend Fragen auf der Zunge brennen, Herr Singh, aber im Moment habe ich leider ein paar sehr wichtige Dinge zu erledigen.

Unaufschiebbare Dinge. Ich verspreche Ihnen aber, bald zu Ihnen zu kommen. «

Singh sagte nichts, aber er wurde blaß, was vielleicht auch daran lag, daß bei Weissers Worten zwei Eingeborene hinter ihn traten und sich in ganz eindeutig drohender Haltung rechts und links von ihm aufbauten. »Sind wir Ihre Gefangenen?« fragte Mike. Weisser schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht«, antwortete er. »Aber die armen Leute hier haben in den letzten Tagen ziemlich schlechte Erfahrungen mit Fremden gemacht. Es ist nur zu eurem eigenen Schutz, wenn ihr die Hütte nicht verlaßt. Ich rede mit dem Häuptling, aber bis es soweit ist, lauft bitte nicht auf eigene Faust herum. Euch könnte etwas zustoßen. « Das ist deutlich, fand Mike. Sie waren Gefangene. Ohne ein weiteres Wort drehten Singh und er sich herum und folgten den beiden Eingeborenen zu der Hütte, die Weisser ihnen zugewiesen hatte. Sie war fast vollkommen leer. Es gab nur einige Bastmatten auf dem Boden sowie einen großen Holzkrug mit Wasser. Kein Fenster und vor allem keine weiteren Ausgänge. Ihre Begleiter folgten ihnen nicht in die Hütte hinein, sondern nahmen rechts und links vom Eingang Aufstellung. »Ich bin gar nicht mehr so sicher, daß wir einen guten Tausch gemacht haben«, sagte Mike. Singh antwortete nicht darauf, aber nach einer Weile sagte er: »Dieser Mann ist nicht das, was zu sein er scheint. « »Stell dir vor, das habe ich auch schon gemerkt«, sagte Mike spitz.

»Er hat mich mit meinem Namen angesprochen«, fuhr Singh fort. »Und?«

»Ich habe ihn nicht genannt«, erklärte Singh. »Und Ihr auch nicht. Nicht in seiner Gegenwart. « Mike starrte Singh einige Sekunden lang betroffen an, während er angestrengt nachdachte. Aber Singh hatte recht: Keiner von ihnen hatte seinen Namen genannt, als sie sich vorstellten, nur Weisser. »Und er wußte von der NAUTILUS«, fügte Singh nachdenklich hinzu.

»Du meinst, er ist... vielleicht gar nicht der Offizier, von dem im Logbuch des gesunkenen Schiffes die Rede war?«

Singh hob die Schultern. »Ich wollte, ich wüßte es«, sagte er. »Ich weiß nicht, wer er ist oder was. Aber wir können unmöglich hierbleiben und einfach abwarten, welche Pläne er mit uns hat. Trautman und die anderen werden sich Sorgen machen. « »Aber sie werden uns nicht so einfach gehen lassen«, erwiderte Mike.

Anstatt einer Antwort ging Singh zur Tür, aber es geschah genau das, was sie beide erwartet hatten: Kaum versuchte er die Hütte zu verlassen, vertraten ihm die beiden Eingeborenen den Weg. Singh wandte sich mit einem Seufzer um und kam wieder zu Mike zurück. »War das Antwort genug?« Er lächelte aufmunternd, als er Mikes Enttäuschung sah, und fügte in bewußt optimistischem Ton hinzu: »Keine Sorge. Spätestens wenn es dunkel ist, hole ich uns hier schon heraus. « Das bezweifelte Mike gar nicht, aber bis es dunkel wurde, vergingen noch Stunden, die sie einfach nicht hatten. Ihre Kameraden an Bord der NAUTILUS würden sich ihre Gedanken machen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen kam, um zu sehen, wo sie blieben -und vielleicht in die gleiche Falle tappte wie Singh und er. »Ich frage mich, was hier los ist«, murmelte er. »Diese Männer am Strand... ich habe gesehen, wie sie wieder aufgestanden sind. « »Und?« fragte Singh.

Mike machte eine heftige Geste mit beiden Händen. »Hast du nicht gehört, was Weisser über das Pfeilgift gesagt hat? Es tötet in Sekunden. Und sie sind nach ein paar Augenblicken einfach wieder aufgestanden, als wäre nichts passiert. Ganz davon abgesehen, wie komisch sie sich benommen haben. Ich hatte das Gefühl, es wären gar keine Menschen, sondern... Maschinen. « »Ich habe einen von ihnen niedergeschlagen«, wandte Singh ein. »Er hat geblutet. «

»Ich weiß«, seufzte Mike. »Ich meinte ja auch keine Maschinen aus Eisen und Gummi, sondern... « Er führte den Satz nicht zu Ende. Etwas mit diesen sonderbaren Männern stimmte nicht, das spürte er genau, aber er konnte das Gefühl nicht in Worte kleiden. Sie berieten noch eine geraume Zeit, wie sie am schnellsten hier heraus kämen, aber keiner ihrer Pläne war so, daß er Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, so daß sie schließlich gar keine andere Wahl mehr hatten, als sich in Geduld zu fassen.

Es vergingen annähernd zwei Stunden, bis sie aus ihrem Gefängnis geholt wurden. Ein junger Eingeborener in Mikes Alter erschien vor dem Eingang und wechselte einige Worte mit den beiden Männern, die sie bewachten. Einer von ihnen wandte sich daraufhin um und winkte ihnen. »Er will, daß wir ihm folgen«, sagte Singh. Mike nickte. Kommentarlos folgten sie den beiden Kriegern aus der Hütte zu einem größeren Gebäude, das auf der anderen Seite des Dorfplatzes lag. Sie kamen dabei dicht an den anderen Hütten vorbei, die Mike schon vorhin aufgefallen waren. Er sah jetzt, daß sich ihre Farbe tatsächlich von der der übrigen Gebäude hier unterschied. Sie waren aus Holz, Palmblättern und anderen natürlichen Baustoffen errichtet, die die Insel bot, aber alle Farben waren blasser und wirkten irgendwie... grau. Mike wäre gerne stehengeblieben, um die Hütten genauer in Augenschein zu nehmen, aber ihre beiden Begleiter ließen das nicht zu. Sie wurden rasch weiter zu dem Haus am anderen Ende des Platzes hingeführt und unsanft durch die Tür gestoßen.

Die Hütte war wesentlich größer als die, in der sie die vergangenen Stunden verbracht hatten, wenn auch fast ebenso spartanisch eingerichtet. Auf dem Boden lagen auch hier kunstvoll geflochtene Bastmatten, auf denen Mike zwei reglos und offenbar schlafend ausgestreckte Gestalten gewahrte. Ein gutes Dutzend weiterer Eingeborener stand im Halbkreis um eine Art gewaltigen, aus Bambus und Palmblättern erbauten Thron, auf dem ein uralter Mann mit einem prachtvollen Federkopfschmuck saß. Als einziger hier war er nicht nur mit einem Lendenschurz bekleidet, sondern trug einen kunstvoll gewobenen Mantel.

Wahrscheinlich der Häuptling des Stammes, überlegte Mike. Allmählich wurde ihm doch etwas mulmig zumute. Er hatte damit gerechnet, zu Weisser gebracht zu werden, und fragte sich nun, was er hier sollte. Außerdem waren die Blicke, mit denen der alte Mann ihn und Singh musterte, nicht unbedingt freundlich. »Keine Angst«, sagte Singh. Mikes Besorgnis war ihm offensichtlich nicht entgangen. Aber auch seine Stimme klang nervös, als er fortfuhr: »Weisser hat gesagt, daß er mit dem Häuptling über uns reden würde. « »Ja«, murmelte Mike. »Aber er hat auch gesagt, daß diese Leute hier nicht besonders gut auf Fremde zu sprechen sind. Wo bleibt er nur?« Einer der Eingeborenen, die sie hergebracht hatten, versetzte Singh einen Stoß, der ihn mehr auf den Thron des Häuptlings zu stolpern ließ, als er ging. Mike beeilte sich, ihm zu folgen, bevor ihm einer der Männer die gleiche Behandlung zukommen ließ. Der alte Mann musterte ihn und Singh sehr lange, und Mike begann sich unter seinem Blick noch unwohler zu fühlen. Dabei hatte er eigentlich sehr freundliche Augen und ein nicht unbedingt unsympathisches Gesicht. Aber in seinem Blick war auch etwas Lauerndes und eine kaum verhohlene Feindseligkeit, so daß sich Mike innerlich zur Vorsicht gemahnte. Weisser hatte ganz offensichtlich noch nicht mit dem Häuptling über sie gesprochen; und wenn doch, so nicht mit dem erhofften Ergebnis.

Nachdem er sie hinlänglich gemustert hatte, deutete der Alte mit einer fordernden Geste auf Singh und begann sehr schnell und mit schriller Stimme in seiner unverständlichen Sprache auf ihn einzureden. Dabei wies er immer wieder auf die schlafenden Gestalten am Boden, und als Singh und Mike seiner Aufforderung offenbar nicht schnell genug nachkamen, packte einer der Männer Singh grob bei der Schulter und stieß ihn neben einer der Bastmatten auf die Knie herab. Gleichzeitig erhob sich der alte Mann von seinem Thron und kam mit kleinen, mühsam trippelnden Schritten näher. Er redete ununterbrochen und mit immer schriller werdender Stimme, wobei er abwechselnd auf Singh, Mike und die schlafende Gestalt auf der Bastmatte deutete.

»Seht Euch das an!« flüsterte Singh plötzlich. Obwohl er sehr leise sprach, klang seine Stimme so entsetzt, daß Mike ein eisiger Schauer über den Rücken lief und er rasch näher trat. Sein Herz begann heftig zu pochen, und ein zweites, noch eisigeres Prickeln lief sein Rückgrat entlang, als er auf die reglose Gestalt vor Singh hinabblickte.

Der Mann lag auf der Seite und war an Händen und Füßen gefesselt, und in seinem Gesicht prankte eine große, sehr häßlich verheilte Narbe. Er schlief nicht, wie Mike anfangs vermutet hatte, sondern schien hohes Fieber zu haben, denn er bewegte sich leicht, und manchmal kam ein leises Stöhnen über seine Lippen. Das alles aber war es nicht, was Mike so erschreckte:

Es war der Anblick seiner Arme. Seine schweißnasse Haut hatte überall den goldbraunen Farbton der Eingeborenen, seine Arme jedoch waren vom Bizeps an abwärts bis zu den Fingerspitzen hin grau. Die Arme des Mannes waren versteinert! »Der arme Kerl muß der Flugscheibe zu nahe gekommen sein«, murmelte Singh. »Wahrscheinlich hat er sie berührt. «

»Aber wie kann das sein?« wunderte sich Mike. »Die Männer am Strand haben sie doch auch angefaßt. Sie sind sogar hineingegangen!«

Singh kam nicht zu einer Antwort, denn in diesem Moment versetzte ihm der Häuptling einen weiteren Stoß und begann wieder mit schriller Stimme auf ihn einzureden. Gleichzeitig deutete er erneut auf den fiebernden Mann und auch auf den anderen, der auf der Bastmatte daneben lag.

Mike betrachtete auch ihn. Sein Anblick war fast noch schlimmer, doch ihm fiel auf, daß auch er an Händen und Füßen gefesselt war und seine Haut dort, wo sie noch nicht zu grauem Stein erstarrt war, eine Anzahl kleiner, aber offensichtlich frischer Verletzungen aufwies.

Die Stimme des Häuptlings wurde immer schriller und fordernder, und die Gesten, mit denen er sie begleitete, immer herrischer. Die Krieger in seiner Umgebung begannen allmählich zu murren und sich unruhig zu bewegen.

Mike und Singh tauschten einen nervösen Blick. »Ich verstehe nicht, was er von uns will«, sagte Mike. »Ich glaube, ich schon«, antwortete Singh. »Offenbar erwartet er, daß wir ihnen irgendwie helfen. « »Aber wie?« murmelte Mike hilflos. Wie konnte er jemandem helfen, wenn er nicht einmal wußte, was wirklich mit ihm los war? »Wir können nichts für deine Brüder tun«, sagte Singh langsam und sehr betont und mit einer übertrieben ausgeführten Gestik, mit der er versuchte, dem Häuptling die Bedeutung seiner Worte irgendwie klarzumachen. Offenbar erreichte er jedoch eher das Gegenteil damit, denn der alte Mann wurde immer zorniger und ballte nun die Hand zur Faust, um sie drohend zu schütteln. Einer der Krieger in seiner Begleitung hob seine Keule.

In diesem Moment erschien wie ein rettender Engel Weisser unter der Tür der Hütte. Er wirkte sehr aufgebracht, und er fuhr den Häuptling in scharfem Ton an, offenbar hatte er bereits gewußt, was hier vorging, noch ehe er die Hütte betrat.

Der Häuptling drehte sich zu ihm herum und antwortete im gleichen, schrillen Tonfall. Seine Augen sprühten vor Zorn, und seine ganze Haltung verriet, daß er sich am liebsten auf den Offizier gestürzt hätte. Auch einige seiner Krieger scharten sich drohend um ihn, aber Mike fiel auch auf, daß es längst nicht alle waren: Eine fast ebenso große Anzahl von Männern stellte sich auf Weissers Seite, und etliche schienen noch unentschlossen und sahen immer wieder verwirrt von dem alten Mann zu Weisser und zurück.

Der Offizier trat mit ein paar raschen Schritten zwischen Mike, Singh und den Häuptling. Ohne den Alten aus den Augen zu lassen, sagte er, nun wieder auf englisch: »Keine Sorge, ich lasse nicht zu, daß er euch etwas antut. «

»Ich... ich verstehe nicht, was er will«, sagte Mike hilflos. »Wir können nichts für diese Leute tun. « »Ich weiß«, antwortete Weisser. Er machte eine befehlende Geste, still zu sein, und wandte sich dann wieder an den Häuptling.

Der alter Mann wurde immer zorniger. Er schüttelte wütend die Fäuste und deutete immer wieder auf Mike, Singh und die beiden reglosen Gestalten am Boden, und Weisser antwortete in ebenso scharfem, trotzdem aber merklich ruhigerem Ton. Obwohl Mike kein Wort verstand, begriff er doch sehr wohl, daß zwischen den beiden ein Streit im Gange war, der möglicherweise über ihr Leben entscheiden konnte. Nachdem sie sich eine geraume Weile gegenseitig angriffen hatten, beendete Weisser die Auseinandersetzung, indem er auf eine Gruppe von Eingeborenenkriegern vor der Tür wies und dann auf die beiden Männer am Boden.

Die Eingeborenen setzten sich gehorsam in Bewegung, blieben aber sofort wieder stehen, als der Häuptling sie anfuhr. Weisser wiederholte seinen Befehl, und sie kamen zögernd wieder näher. Das Spielchen wiederholte sich noch drei- oder viermal, bis die Männer schließlich die beiden Kranken hochhoben und rasch aus der Hütte trugen. Mike fiel auf, daß sie sorgsam darauf achteten, ihre zu Stein gewordenen Körperteile nicht zu berühren.

»Kommt mit«, sagte Weisser ohne jede Hast. »Und ganz ruhig. Zeigt auf keinen Fall Unsicherheit oder Angst. « Das war leichter gesagt als getan. Mike konnte fast körperlich fühlen, wie angespannt die Atmosphäre war. Ein einziges falsches Wort, vielleicht nur ein falscher Blick, und es würde zu einer Katastrophe kommen. Aber irgendwie gelang es ihm, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen und ganz ruhig hinter Weisser und Singh aus der Hütte zu treten.

Als sie sich einige Schritte entfernt hatten, atmete Weisser hörbar auf, und ein erleichterter Ausdruck erschien auf seinem bisher so scheinbar ruhig gebliebenen Gesicht. »Das war knapp«, sagte er. »Wenn ich nur einen Moment später gekommen wäre... « Er führte nicht aus, was dann vielleicht passiert wäre, aber das war auch nicht nötig, Mikes Phantasie reichte durchaus, es sich auszumalen.

»Was war denn da drinnen los?« wollte Singh wissen. »Wieso war der Häuptling so aufgebracht?« »Er ist nicht der Häuptling«, erwiderte Weisser. »Der Häuptling war einer der ersten, der der Steinpest zum Opfer fiel. Der Alte ist der Medizinmann des Stammes. « »Er macht nicht unbedingt den Eindruck, als ob er Ihr bester Freund wäre«, sagte Mike. Weisser lächelte flüchtig. »Er hat Angst vor mir«, sagte er. »Und er haßt mich. Ich bringe seine Position in Gefahr. Bisher war er der unumstrittene Herrscher über den ganzen Stamm. Selbst der Häuptling beugte sich seinem Willen. Aber seit das Unglück diese armen Leute getroffen hat, schwindet seine Macht. « »Weil er ihnen nicht helfen kann«, vermutete Singh.

Weisser nickte, und Singh fügte hinzu: »Können Sie es?«

»Nicht annähernd so, wie ich es gerne täte«, antwortete Weisser. »Aber doch ein bißchen besser als er. « »Ich verstehe«, sagte Mike. »Er hat gehofft, daß wir diese Krankheit heilen können... «

»... damit er mich auf diese Weise los wird, ja«, bestätigte Weisser. Er schüttelte den Kopf. »Als ob es mir darum ginge, ihn zu entmachten und seine Stellung einzunehmen!«

»Warum sagen Sie ihm das nicht?« wollte Mike wissen. »Das habe ich, aber er glaubt mir nicht. Ich weiß noch nicht alles über diese Leute, aber in einem bin ich mir ganz sicher -sie fürchten den Alten und würden ihn wohl lieber heute als morgen loswerden. « Mittlerweile hatten sie den Dorfplatz überquert und waren vor den Hütten angekommen, die sich in ihrer Farbe so sonderbar von den restlichen Gebäuden unterschieden. Die Männer luden die beiden Kranken vor dem Eingang einer der Hütten ab und traten hastig zurück, und als Mike und Singh ihm folgen wollten, schüttelte Weisser den Kopf und machte eine abwehrende Geste. »Nein. Es ist besser für euch, wenn ihr nicht dort hineingeht. Ich werde mich um die beiden kümmern. Wartet bitte hier auf mich. « Mike und Singh sahen verblüfft zu, wie Weisser die beiden Eingeborenen ganz allein in eine der Hütten trug. »Wer ist dieser Mann?« murmelte Mike. »Ich verwette Astaroths Halsband, wenn er wirklich nur Offizier der deutschen Handelsmarine ist. « »Seine Uniform stimmt jedenfalls«, sagte Singh. Mike schnaubte. »Ja«, sagte er grimmig. »Aber das ist auch schon das einzige, was stimmt. « Etwas Seltsames geschah: Für einen ganz kurzen Moment hatte er das sichere Gefühl, die Antwort auf seine Frage zu kennen. Er hatte irgend etwas gesehen oder gehört, das alle Fragen beantwortete, aber es gelang ihm einfach nicht, dieses Wissen festzuhalten. Es verschwand wieder, ehe er es in Worte kleiden konnte, und hinterließ ein Gefühl tiefer Enttäuschung und leiser, nagender Furcht. Auf dieser Insel geschah etwas Unheimliches, das viel bedeutungsvoller war und viel weitreichendere Folgen haben mochte, als sie alle jetzt schon begriffen. Sie warteten darauf, daß Weisser zurückkam, aber in der Hütte rührte sich nichts.

Statt dessen jedoch begann am anderen Ende des Dorfplatzes mit einem Male Unruhe aufzukommen. Mike hörte einen zornigen Ruf, und als er sich herumdrehte und in die entsprechende Richtung blickte, sah er, daß zwei der Eingeborenen offensichtlich miteinander in Streit geraten waren. Sie schrien sich an, stießen sich gegenseitig mit den flachen Händen vor die Brust und versuchten sich an den Haaren zu ziehen. Schließlich stürzte sich der eine auf den anderen, und beide begannen mit den Fäusten aufeinander einzuschlagen. Mike wollte sofort hingehen, aber Singh legte ihm rasch die Hand auf den Arm und schüttelte wortlos den Kopf. Mike gehorchte. Es war wirklich besser, wenn er sich nicht in einen Streit einmischte, von dem er nicht einmal wußte, weshalb er ausgebrochen war. Außerdem bemühte sich bereits fast ein Dutzend Männer, die beiden Kampfhähne voneinander zu trennen. Jedenfalls dachte Mike das im ersten Moment. Dann jedoch sah er zu seinem Schrecken, daß sie nichts dergleichen taten, sondern die Partei des einen oder anderen ergriffen und ebenfalls aufeinander loszugehen begannen. Schon nach wenigen Augenblicken war die wüsteste Rauferei im Gange, und aus der Menge, die ringsum einen Kreis gebildet hatte und die Kämpfenden mit schrillen Rufen anfeuerte, warfen sich immer wieder weitere Männer ins Gewühl.

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