Mike suchte vergeblich nach einer Bezeichnung für das, was ersah.Es ähnelte nichts, was er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Mal schimmerte es wie Metall, dann schien es wie Stoff zu sein, etwas wie ein unendlich feines Gespinst vielleicht, gegen das selbst die kostbarste Seide wie grobes Sackleinen erschienen wäre, und es wirkte zugleich sehr zerbrechlich wie äußerst massiv. Nach dem, was Singh widerfahren war, wagte er es nicht, es zu berühren, aber er war sicher, daß dieser sonderbare Kokon so stabil wie Stahl war. »Das muß es sein, wonach sie gesucht haben«, sagte er überflüssigerweise. »Es scheint nicht beschädigt zu sein. Offensichtlich ist der Laderaum luftdicht geblieben. Die ganze Zeit über. Was... was kann das sein?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Singh. »Aber ich frage mich, wie wir es an Bord der NAUTILUS bekommen sollen. «

Mike sah ihn fragend an.

»Wir haben fast eine Stunde gebraucht, um hierherzukommen«, antwortete Singh mit einer erklärenden Geste. »Und wir brauchen garantiert länger für den Rückweg, selbst wenn diese Bündel so leicht sind, wie es scheint. Wißt Ihr, wie viele es sind?« Mike sah sich ratlos um und schüttelte den Kopf.

»Sehr viele«, sagte er kleinlaut. »Dutzende. « »Wohl eher Hunderte«, verbesserte ihn Singh. »Wir würden Wochen brauchen, um sie alle auf die NAUTILUS zu schaffen. Und so viel Zeit haben wir nicht. « Mike gestand sich ein, daß er auf diesen Gedanken noch gar nicht gekommen war. Bisher waren sie ja immer davon ausgegangen, nur einige Kisten aus dem Wrack der TITANIC holen zu müssen; eine Aufgabe, die mit zwei oder drei Expeditionen hier herunter sicher zu bewältigen gewesen wäre. Aber das hier... »Das ist unmöglich!« sagte er überzeugt. Singh nickte betrübt. Die Bewegung war hinter der Scheibe seines Helmes kaum zu erkennen, aber sie versetzte Mike trotzdem einen gewaltigen Schrecken. Seine Worte hatten keinen anderen Sinn gehabt, als Singh widersprechen zu lassen. Er hatte einfach vorausgesetzt, daß der Inder wie immer schon einen Ausweg parat haben würde. Diesmal schien es nicht der Fall zu sein. Und das bedeutete, daß sie ihre Aufgabe unmöglich in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen konnten.

Und das wiederum bedeutete, daß er Serena und Astaroth niemals wiedersehen würde. Verzweifelt sah er hoch und blickte sich nach Yasal um. Er entdeckte den Beduinen an der gegenüberliegenden Seite des Raums. Yasal hatte vor der Wand Aufstellung genommen und beide Arme in einer seltsamen, beinahe beschwörend anmutenden Geste erhoben. Er stand vollkommen reglos da. »Was tut er da?« murmelte Mike. Es sah beinahe aus, als wolle Yasal die Wand... beschwören? »Was um alles in der Welt -« Mike brach ab und schloß geblendet die Augen, aber es nutzte nicht viel. Zwischen Yasals Fingern war jäh ein grelles, bläulich-weißes Licht aufgeflammt; ein Schein, ganz ähnlich dem, den sie gerade beobachtet hatten, als er die Tür aufsprengte, nur ungleich heller. So rasch es in dem schwerfälligen Anzug möglich war, hob Mike beide Hände vor das Sichtfenster und wandte sich ab. Trotzdem blitzte und funkelte es weiterhin so grell und schmerzhaft vor seinen Augen, daß er absolut nichts sehen konnte. Erst nach einer ganzen Weile wagte er es wieder, den Kopf zu heben und vorsichtig in die Richtung zu blinzeln, wo Yasal gestanden hatte. Er war noch immer da, aber die Wand vor ihm war zum größten Teil verschwunden. Im ersten Moment glaubte Mike, seine geblendeten Augen würden ihm einen Streich spielen. Er blinzelte ein paarmal, aber es blieb dabei: Genau dort, wo der Beduine stand, gähnte ein gut zweieinhalb Meter messendes, kreisrundes Loch in der massiven Stahlwand des Rumpfes, dessen Ränder noch dunkelrot glühten. Kochendes Wasser und silberne Luftblasen stoben in einem wilden Sog nach draußen.

»Er... er hat ein Loch in die Wand gebrannt!« murmelte Mike fassungslos. »Aber... aber wie hat er das gemacht? Er hat doch nichts mit hierhergebracht. Ich meine, kein Werkzeug, kein... « Er sprach nicht weiter. Offensichtlich verfügte Yasal -und sicher auch Hasim -über Fähigkeiten und Kräfte, die an Zauberei grenzten.

Yasal winkte ihnen zu und bückte sich dann nach einem der weißen Kokons. Ohne sichtbare Anstrengung hob er ihn hoch und versetzte ihm einen sachten Stubs, so daß er durch das Loch in der Schiffswand hindurchglitt und sich draußen sanft auf den Meeresgrund herabsenkte. Eine Wolke aus beigeweißem Sand stob hoch und verteilte sich in weitem Umkreis im Wasser, ehe sie wieder zu sinken begann. Yasal deutete auf die übrigen Ballen, drehte sich dann herum und sprang nach draußen.

»Das war deutlich«, sagte Singh. »Offenbar hat er nichts mehr dagegen, daß wir die Dinger anfassen. Kommt, Herr -beeilen wir uns. « Mike und er machten sich wortlos an die Arbeit. Sie konnten von hier aus die NAUTILUS sogar sehen. Das Schiff lag wie ein stählerner Riesenfisch nicht weit entfernt, allerdings so, daß ihre Position und das, was sie taten, vom Salon aus oder auch dem Turm, der ja ebenfalls über Fenster verfügte, nicht zu sehen war. Mike glaubte keine Sekunde lang daran, daß das Zufall war. Sie bugsierten ein knappes Dutzend der sechseckigen weißen Behältnisse nach draußen, ehe Yasal ihnen bedeutete, daß es genug war, dann verließen sie die TITANIC auf dieselbe Weise wie der Beduine zuvor. Yasal mußte sie nicht eigens auffordern, jeweils eines der Bündel zu nehmen und zur NAUTILUS zu tragen. Zumindest dieser Teil der Bergungsaktion war Singh und Mike vollkommen klar. Mike war mittlerweile sicher, daß Yasal jeden Schritt und jeden Handgriff, den sie taten, genau vorausgeplant hatte.

Sie trugen die drei Behälter zur NAUTILUS und verstauten sie aufrecht nebeneinander in der Schleusenkammer, dann kehrten sie zurück, um die nächsten drei zu holen, und noch einmal und schließlich ein letztes Mal. Nachdem sie den Weg insgesamt viermal zurückgelegt hatten, bedeutete ihnen Yasal, daß es genug sei.

Mike konnte ihm nur beipflichten. Während sie darauf warteten, daß das Schleusentor sich wieder öffnete und sie selbst an Bord der NAUTILUS gehen konnten, sah er nervös auf die Uhr. Seiner Schätzung nach konnte der Sauerstoffvorrat in ihren Flaschen allerhöchstens noch für ein paar Minuten reichen. Ihre Nerven wurden auf eine harte Probe gestellt. Es schien endlos zu dauern, bis die Schleuse erneut geöffnet wurde, und noch länger, bis sie sich hineingequetscht hatten und das Wasser abzufließen begann. Die Luft, die in Mikes Helm strömte, war jetzt schlechter geworden; sie schmeckte bitter und verbraucht. Er wartete gerade so lange, bis das Wasser bis an seine Schultern abgesunken war, ehe er sich mit einer hastigen Bewegung den Helm vom Kopf riß und gierig ein-und ausatmete.

»Das war knapp«, keuchte er. »Noch eine Minute länger, und ich wäre erstickt. Mein Sauerstofftank ist vollkommen leer. «

»Meiner auch«, sagte Singh. Auch er hatte den Helm abgenommen, wenn auch wesentlich langsamer als Mike.

»Unsere Freunde stellen unser Glück ganz schön auf die Probe«, sagte Mike übellaunig. »Knapp vorbei ist zwar auch daneben, aber irgendwie habe ich keine Lust, ständig zu beten, daß es gerade noch einmal gutgehen könnte. «

Singh sah ihn auf sonderbare Weise an. »Ich glaube nicht, daß das etwas mit Glück zu tun hat«, sagte er. Mike schwieg. Wahrscheinlich hatte Singh Recht. Sie warteten, bis das Wasser völlig abgeflossen war, dann öffneten sie die obere Luke, kletterten vollends ins Schiff zurück und begannen, aus den Anzügen zu steigen. Nach einigen Augenblicken erschien Hasim und half ihnen. Mike ließ es widerspruchslos geschehen, obwohl ihm die Nähe des Beduinen jetzt mehr denn je unangenehm war. Aber er war viel zu erschöpft, um Einspruch zu erheben, und außerdem waren seine Finger so steifgefroren, daß er Mühe hatte, sie überhaupt noch zu bewegen, geschweige denn, richtig zu benutzen. Erst jetzt, als sie wieder im Schiff waren, spürte er wirklich, wie kalt das Wasser gewesen war.

Als sie in den Laderaum zurückkehrten, erlebte er eine weitere Überraschung. Hasim war während ihrer Abwesenheit nicht untätig gewesen. Er hatte die zwölf Behälter, die sie aus der TITANIC geborgen hatten, in den Laderaum geschafft und verstaut, und jetzt sah Mike endlich, welche Bewandtnis es mit der sonderbaren Wabenkonstruktion hatte, die die beiden Brüder in den letzten Tagen hier unten aufgestellt hatten: Sie entsprachen genau der Form der Kokons. Die seltsamen Behälter paßten so genau in die Gestelle, daß sie wahrscheinlich eine geschlossene Wand zu beiden Seiten bilden würden, wenn sie alle an Bord waren. Mikes Mut sank jedoch, als er sah, wie viele dieser Waben noch leer waren. Drüben, im Bauch der TITANIC, war die Zahl der Behälter unmöglich zu schätzen gewesen, aber jetzt sah er, daß es tatsächlich noch Hunderte sein mußten, und er fragte sich wieder, was sie wohl enthielten.

»Keine Toten?« fragte Ben ungläubig. »Ganz bestimmt kein einziger?«

Mike schloß zitternd die Hände um die Tasse mit brühheißem Tee, die Trautman ihm gebracht hatte. Seine Finger waren noch immer taub, aber die Wärme tat gut, und er fror jetzt nicht mehr ganz so erbärmlich wie vorhin.

»Nein, nicht einen«, antwortete er. »Ich bin froh, daß wir keinen gefunden haben. Nach vier Jahren bieten sie bestimmt keinen sehr schönen Anblick. « »Darum geht es nicht«, sagte Trautman. Er schüttelte den Kopf, setzte sich neben Ben und sah Mike sehr ernst an. »Ben hat recht, weißt du? Irgend etwas stimmt hier nicht. «

Was für eine scharfsinnige Bemerkung, dachte Mike, hütete sich aber, diesen Gedanken laut auszusprechen. »Und ihr habt keine Ahnung, was in diesen Bündeln ist?« fragte Juan.

Mike schüttelte den Kopf. »Nein. Und ich werde auch bestimmt nicht nachsehen, wenn du darauf anspielst. Yasal hätte Singh fast den Arm abgerissen, als er eines der Dinger auch nur angefaßt hat. « »Mike übertreibt«, sagte Singh und trank einen Schluck Tee. »Aber er hat trotzdem Recht -was immer in diesen Behältern ist, es muß für die Schwarze Bruderschaft von großem Wert sein. Ich glaube nicht, daß sie uns gestatten, einen davon zu öffnen. « »Und es wäre auch nicht empfehlenswert, es heimlich zu tun«, fügte Mike mit einem Blick in Bens Richtung hinzu. »Ganz davon abgesehen, daß es dir kaum gelingen dürfte. «

Ben machte ein beleidigtes Gesicht. »Du unterschätzt mich mal wieder, scheint mir. «

»Nein«, sagte Singh. »Aberduunterschätzt Yasal und Hasim, Ben. Die beiden sind... « Er suchte einen Moment lang nach Worten, zuckte schließlich mit den Achseln und trank einen weiteren Schluck Tee, ehe er fortfuhr: »Auf jeden Fall nicht das, wofür wir sie bisher gehalten haben. «

»Wofürhabtihr sie denn gehalten?« wollte Chris wissen. Darauf antwortete niemand, aber Mike mußte plötzlich wieder an das denken, was Astaroth über den Fahrer des Lastwagens gesagt hatte -bei dem es sich ja um niemand anderen als Sulan, den dritten der Schwarzen Bruderschaft gehandelt hatte.Es war, als ob er überhaupt nicht gedacht hätte.

Das war natürlich vollkommener Unsinn -es gab kein lebendes Wesen, dasnicht dachte -,aber die bloße Erinnerung daran jagte Mike trotzdem schon wieder einen kalten Schauer über den Rücken. »Wahrscheinlich handelt es sich auch bei dem Schatz um etwas völlig anderes, als wir bisher angenommen haben«, knüpfte Trautman nach einer Weile an Singhs Worte an. »Ich möchte zu gerne wissen, was es ist. Nicht aus Neugier«, fügte er verteidigend hinzu, als Mike ihn fast betroffen ansah. »Aber es könnte sein, daß es sehr wichtig für uns wird. « »Wieso?«

»Noch sind wir nicht zurück«, gab Trautman zu bedenken. »Selbst wenn wir Tag und Nacht arbeiten, brauchen wir wahrscheinlich Tage, um alle Behälter zu verladen, wenn es wirklich so viele sind, wie ihr sagt. Und dann kommt noch die Rückfahrt. « Er schüttelte seufzend den Kopf. »Ich will ja nicht unken, aber ich habe Zweifel, daß wir es schaffen. Und ihr wißt, was passiert, wenn wir die Frist nicht einhalten. « Seltsamerweise beunruhigte Mike diese Vorstellung kaum. Nach alledem, was er heute mit Yasal und seinem Bruder erlebt hatte, war er ziemlich sicher, daß die beiden auch dies einkalkuliert hatten. »Wieviel Zeit haben wir noch?« fragte er. »Fünf Tage«, antwortete Trautmari. »Warum?« »Fünf Tage. Das wäre der... « Mike rechnete rasch in Gedanken nach. »Sechzehnte Februar, richtig?« »Stimmt«, antwortete Trautman. »Weshalb fragst du?« »Ohne besonderen Grund«, antwortete Mike. »Ich habe überlegt, ob an diesem Datum etwas Besonderes ist. « Da war eine Erinnerung, irgendwo tief in seinem Gedächtnis vergraben. Zu tief, um sie zu erkennen, aber nicht tief genug, um sie ganz zu vergessen. Irgend etwas, was irgend jemand gesagt hatte und das ihm plötzlich wichtig erschien. Aber was nur? »Oder war?« fragte Chris.

Mike sah ihn aus aufgerissenen Augen an. »Das ist es!« sagte er. »Erinnert ihr euch an das, was Lady Grandersmith gesagt hat?Wir können nicht noch einmal zweihundertfünfzig Jahre warten!Ich habe es für einen Versprecher gehalten, aber vielleicht war es gar keiner, sondern etwas, was ihr herausgerutscht ist, ohne daß sie es selbst wollte. «

»Zweihundertfünfzig Jahre?« Juan sah ihn kopfschüttelnd an. »Du willst doch nicht etwa behaupten, daß Yasal und die beiden anderen zweihundertfünfzig Jahre alt sein sollen? Warum nicht gleich fünfhundert?«

Er versuchte zu lachen. »Das ist unmöglich. Niemand wird so alt. «

»Jemand, der ohne Atemgerät eine Stunde unter Wasser Spazierengehen kann, vielleicht doch«, sagte Mike. Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß. Wir sollten jedenfalls einmal nachschlagen, was am sechzehnten Februar vor zweihundertfünfzig Jahren war. « »Das werden wir tun«, sagte Trautman. »Aber du nicht. Du gehst jetzt in deine Koje und schläfst dich gründlich aus. « Er machte eine entschiedene Handbewegung, als Mike protestieren wollte. »Keine Widerrede. Schau in den Spiegel, wenn du mir nicht glaubst. Du bist vollkommen erschöpft und total durchgefroren. Juan und ich werden als nächste mit Yasal zur TITANIC hinübergehen,

und dann sehen wir weiter. Vielleicht finden wir ja eine

Möglichkeit, den Transport irgendwie zu beschleunigen. «

»Wir könnten einen Flaschenzug bauen«, schlug Juan vor.

»Wie?« fragte Ben. »Wozu denn das?« »Um die Behälter auf diese Weise schneller zu transportieren, Schlaumeier«, antwortete Juan spöttisch. »Sie wiegen hier unten kaum etwas, aber nach Mikes Beschreibung sind sie ziemlich unhandlich. Wenn wir ein Seil zwischen der NAUTILUS und der TITANIC spannen und sie daran befestigen, geht es viel schneller. « »Hm«, machte Ben. Mike konnte ein Grinsen nicht völlig unterdrücken. Juans Idee war geradezu genial, und das mußte Ben wohl auch einsehen, aber so war er nun einmal -er fand prinzipiell erst einmal nichts gut, was nicht auf seinem Mist gewachsen war. »Ich frage mich, wiesosienoch nicht darauf gekommen sind«, sagte Singh.

»Vielleicht ist die Idee zu einfach«, witzelte Ben. »Wer weiß vielleicht sind sie ja nur Spezialisten für Unmögliches. «

Das Gespräch schleppte sich noch eine Weile dahin, aber es fiel Mike immer schwerer, ihm zu folgen. Er spürte erst jetzt richtig, wie anstrengend der Ausflug zur TITANIC hinüber gewesen war, und so stand er schließlich auf, verabschiedete sich von den anderen und ging zu seiner Kabine, um zu tun, was Trautman ihm geraten hatte: sich gründlich auszuschlafen.

Leider wurde es damit nichts. Mike hatte das Gefühl, die Augen noch nicht einmal richtig geschlossen zu haben, als er schon wieder geweckt wurde; von lauten Stimmen, die direkt vor seiner Tür erklangen. Mike preßte stöhnend den Handrücken gegen die Stirn, zählte in Gedanken bis fünf und

sah dann auf die Uhr. Er hatte nicht einmal zwei Stunden

geschlafen - kein Wunder, daß er fast müder war als zuvor.

Aus rotgeränderten Augen blickte er zur Tür. Sie war noch geschlossen, aber das Stimmengewirr wurde lauter. Er konnte die Worte nicht verstehen, aber der Klang war der eines Streites. Was war denn da draußen los?

Benommen richtete er sich vollends auf, schlurfte zur Tür und gähnte ausgiebig. Wahrscheinlich hat Ben wieder einmal über die Stränge geschlagen, dachte er, und nach den letzten Tagen war wohl auch Trautmans sprichwörtliche Geduld nicht mehr ganz so unerschöpflich wie sonst. Er öffnete die Tür -und vergaß schlagartig seine Müdigkeit. Es ging nicht um Ben. Er war auch draußen auf dem Gang -wie die gesamte Besatzung der NAUTILUS, einschließlich der beiden Beduinen -, aber Trautman redete in erregtem Ton aufYasalein, nicht auf Ben oder einen der anderen Jugendlichen. »Ich lasse das nicht zu!« sagte er zornig. »Was soll der Unsinn? Juan und ich können genausogut mitkommen. Wir können euch wahrscheinlich sogar noch besser helfen! Ich habe Erfahrung im Bergen gesunkener Schiffe!«

Yasal ging unerschütterlich weiter, und in Mike kam ein vager Verdacht hoch. »Was ist denn hier los?« murmelte er schlaftrunken.

»Deine Pause ist vorbei«, antwortete Ben, »das ist los. Die beiden wollen anscheinend wieder raus. « Mike blinzelte. Yasal steuerte geradewegs auf ihn zu, und das, zusammen mit Bens Worten und Trautmans sichtlicher Erregung, ließ eigentlich nur einen Schluß zu. »Das... das meint ihr doch nicht ernst«, sagte er. »Wir sollen weitermachen?Jetzt?«Die bloße Vorstellung, erneut und wahrscheinlich wieder für Stunden in die eisige Schwärze dort draußen hinauszugehen, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.

Yasal blieb einen Meter vor ihm stehen und nickte. Natürlich sagte er nichts.

»Aber ich kann das nicht«, beharrte Mike. »Ich bin völlig erschöpft. Laßt mich wenigstens noch ein paar Stunden ausruhen. «

Yasal machte eine auffordernde Geste, mit der er zugleich auch auf Singh deutete.

»Singh auch?« murmelte Mike. »Aber der ist genauso fertig wie ich. Wir wären euch keine Hilfe!« Diesmal beließ es Yasal nicht bei einer Geste. Er packte Mike kurzerhand an der Schulter und zerrte ihn aus seiner Kabine heraus.

»Schon gut, schon gut!« sagte Mike hastig. Sofort ließ Yasal seine Schulter los, doch allein die Art, wie er es tat, machte Mike klar, daß er sofort wieder zupacken würde, wenn er sich widersetzte. »Das ist doch Wahnsinn!« protestierte Trautman. »Ich lasse nicht zu, daß -«

»Lassen Sie's gut sein«, unterbrach ihn Mike resignierend. »Ich gehe mit. Wahrscheinlich werden wir ihn eher behindern als ihm helfen, aber wenn er darauf besteht... «

Er zog die Tür hinter sich zu, trat neben Yasal und nickte. »Ihr müßt ja wissen, was ihr tut. Wenn ich unterwegs einschlafe, trägst du mich aber zurück, ist das klar?«

Trautman blickte ihn an, als wäre er übergeschnappt, aber Ben lachte leise. »Die beiden scheinen einen echten Narren an euch gefressen zu haben«, sagte er. »Aber keine Sorge -ich komme mit nach unten und helfe dir wenigstens noch, den Anzug anzuziehen. « Doch dazu sollte es nicht kommen. Kurz bevor sie den Laderaum erreichten, blieb Yasal plötzlich stehen, wandte sich um und machte eine befehlende Bewegung mit beiden Armen. Trautman, Ben und die beiden anderen blieben unvermittelt stehen, und Trautmans Gesicht verdüsterte sich schon wieder vor Zorn. »Was hat denn das jetzt wieder zu bedeuten?« fragte er grollend.

»Ich glaube, sie wollen nicht, daß ihr den Laderaum betretet«, antwortete Singh.

»Wie bitte?« empörte sich Ben. »He -wem gehört dieses Schiff eigentlich?« Er machte eine herausfordernde Bewegung, wie um Yasal einfach beiseite zu schieben -und fand sich in der nächsten Sekunde mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden wieder. Yasal hatte blitzartig zugestoßen.

»Soviel zu deiner Frage«, sagte Mike. »War diese Antwort deutlich genug?«

Er grinste, aber im Grunde war ihm nicht nach Lachen zumute. Sie waren tatsächlich nicht mehr die Herren über ihr eigenes Schiff, aberdaranhatten sie sich ja schon fast gewöhnt. Was ihn erschreckte, war, daß Yasal es offenbar plötzlich nicht mehr zuließ, daß ein anderer als Singh oder er den Laderaum betrat. Was immer sie aus der TITANIC geborgen hatten, schien für die beiden noch sehr viel kostbarer zu sein, als er ahnte.

»Also gut«, seufzte er. »Bringen wir es hinter uns. « Sie gingen weiter, durchquerten den Laderaum mit seiner seltsamen Fracht und stiegen mit Yasals Hilfe in die schweren Taucheranzüge. Mike war kein bißchen überrascht, als er feststellte, daß die Sauerstoffflaschen schon wieder gefüllt waren. Und nicht nur das -Yasal und Hasim hatten je eine zusätzliche Flasche an ihren Anzügen angebracht, was wohl bedeutete, daß sie diesmal noch länger draußen bleiben mußten. Aber zumindest blieb ihnen jetzt der kräftezehrende Weg durch das gesamte Wrack erspart. Sie kletterten in die Schleuse. Während sie darauf warteten, daß das Wasser höher stieg, wäre Mike beinahe eingeschlafen, aber das Wasser war so kalt, daß er regelrecht mit den Zähnen zu klappern begann. Die Schleuse war komplett geflutet. Mike trat aus demSchiff heraus, knipste seinen Scheinwerfer an -und erlebte eine gewaltige Überraschung. Dabei bestand das, was da im weißen Licht des Scheinwerferstrahles schimmerte, bloß aus zwei fingerdicken, aus Metall geflochtenen Drähten, die neben der Schleusentür am Rumpf der NAUTILUS verankert waren und in der ewigen Nacht verschwanden. Aber es war auch nicht die Konstruktion selbst, die Mike so erschütterte. Es war der Umstand, daß siedawar. Denn was sie vor sich sahen, war nichts anderes als ein Flaschenzug, und zwar... »Juans Flaschenzug!« Singh sprach es laut aus. Und so war es: Was sich da vor ihnen in Richtung der TITANIC in die Dunkelheit hinein erstreckte, das war genau die Konstruktion, die Juan vorgeschlagen hatte, um den Transport der Behälter zur NAUTILUS hinüber zu beschleunigen.

Die Konsequenz dieser Entdeckung war ihnen beiden sofort klar, aber diesmal wagte es nicht einmal Singh, den Gedanken in Worte zu kleiden. Yasal und Hasim wußten offenbar über jedes Wort Bescheid, das zwischen ihnen gesprochen wurde. Selbst wenn keiner von ihnen im Raum war. Was wiederum nur eines bedeuten konnte: Sie lasen ihre Gedanken. Und plötzlich war Mike klar,warumBen und die anderen den Laderaum nicht mehr betreten durften. Yasal wußte genau, daß sie die erste sich bietende Gelegenheit nützen würden, um einen der Behälter zu öffnen und hineinzusehen.

Hasim -der diesmal anstelle von Yasal mit nach draußen gekommen war -bedeutete ihnen ungeduldig, loszugehen, und sie gehorchten. Direkt unter dem glitzernden Metallseil hindurch marschierten sie zurTITANIC hinüber und kletterten durch die gewaltsam geschaffene Öffnung in den Laderaum. Das andere Ende des Seiles war unter der Decke befestigt worden, und Hasim hatte auch eine Anzahl von Haken mitgebracht, die er daran einklinkte; außerdem einige Seilschlaufen. Er demonstrierte Mike und Singh mit knappen Bewegungen, was sie zu tun hatten: nämlich die Kokons in jeweils zwei der Schlaufen hineinzulegen und ihnen einen leichten Stoß zu versetzen, so daß sie an dem schräg gespannten Tau entlang wie an einer Seilbahn zur NAUTILUS hinüberglitten. Mike vermutete, daß Yasal dort drüben wartete, um sie in Empfang zu nehmen.

Obwohl er so müde war, daß ihm jede Bewegung Mühe bereitete, machte er sich unverzüglich an die Arbeit, ebenso wie Singh. Wie es aussah, hatten Yasal und sein Bruder offensichtlich beschlossen, daß nur sie beide an Bord der TITANIC gehen durften, und wenn die Arbeit ohnehin allein an ihnen hängenblieb, konnten sie sie genausogut so schnell wie möglich erledigen. Es ging leichter, als er zu hoffen gewagt hatte. Schon nach wenigen Augenblicken fanden sie in einen Rhythmus, als hätten sie diese Art der Arbeit schon seit Jahren getan: Während Mike die Kokons herbeischaffte, befestigte Singh sie in den Seilschlaufen und schickte sie auf den Weg. Yasals Konstruktion erwies sich als höchst effektiv: Für jeden Behälter, den sie losschickten, trug das Seil zwei leere Schlaufen wieder zu ihnen heran, so daß sie rascher vorankamen, als Mike zu hoffen gewagt hatte. Er hörte bald auf, die Behälter zu zählen, die sie zur NAUTILUS hinüberschickten. Es mußten schon an die hundert sein. Mike und Singh arbeiteten bis zur Erschöpfung. Erst als die Luft in seinen Lungen schon wieder bitter zu schmecken begann und er begriff, daß ihre Tanks fast leer waren, hörte Mike auf und machte sich zusammen mit Singh auf den Rückweg; allerdings nicht zu Fuß. Jeder von ihnen ergriff kurzerhand eine der Seilschlaufen und glitt damit zur NAUTILUS zurück, wo sie von Hasim erwartet wurden.

Mike erinnerte sich hinterher nicht einmal, wie er in seine Koje zurückgekommen war. Er schlief auf der Stelle ein, und er hatte auch das Gefühl, auf der Stelle wieder geweckt zu werden, auch wenn ihm ein Blick auf die Uhr verriet, daß Yasal ihm diesmal vier ganze Stunden gegönnt hatte, um sich zu erholen.

Auf diese Weise verging mehr als ein Tag - sie arbeiteten drei Stunden, kehrten zur NAUTILUS zurück, um vier Stunden auszuruhen, und stiegen dann wieder in die Tauchanzüge. Die Zahl der Behälter nahm nur langsam ab, aber schließlich begann Mike doch Hoffnung zu schöpfen, daß sie es schafften -falls Singh und er bis dahin nicht vor lauter Erschöpfung einfach zusammengebrochen waren, hieß das.

Er hatte auch längst aufgehört, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was in diesen sonderbaren weißen Bündeln sein mochte. Er wollte seine Arbeit beenden und dann ungefähr acht Monate durchschlafen, das war alles, was ihn noch interessierte. Aber er sollte bald erfahren,wassie aus dem Wrack der TITANIC bargen. Die Katastrophe geschah, als sie beinahe fertig waren. Der Laderaum hatte sich geleert; vielleicht waren es noch dreißig, vielleicht vierzig Kokons, die zur NAUTILUS hinübergeschafft werden mußten, und dies war wahrscheinlich ihre letzte Schicht. Also blieben ihnen für die Rückfahrt noch vier Tage eine knappe Frist, aber wenn sie die Maschinen der NAUTILUS noch einmal bis an die Grenzen belasteten, konnte sie ausreichen. Siemußtenes einfach schaffen, wenn er Serena und Astaroth jemals wiedersehen wollte. Der Gedanke an die Atlanterin und den einäugigen Kater weckte etwas von dem alten Zorn in Mike. Er hatte mittlerweile begriffen, daß es für Yasal und die beiden anderen um etwas unvorstellbar Wichtiges ging und sie wirklichallestun würden, um ihr Ziel zu erreichen. Aber es machte ihn rasend, zu etwasgezwungenzu werden, von dem er nicht einmal wußte, wozu es gut war.

Mike war so sehr in seine Gedanken vertieft, daß er für einen Moment unaufmerksam war. Singh und er hatten ihre Aufgaben getauscht: Während Singh die Behälter herbeischaffte, befestigte Mike sie in den Schlaufen und gab ihnen einen leichten Stoß, und er mußte den letzten wohl nicht richtig befestigt haben, denn er hatte das Schiff noch nicht ganz verlassen, als er aus seinem Halt zu gleiten begann. Mike sah das Unglück kommen und wollte los, um den Kokon aufzufangen, aber in dem schweren Taucheranzug kam er natürlich zu spät: Der weiße Behälter glitt vollends aus der Seilschlaufe, prallte gegen diemesserscharfe Kante der Öffnung, die Yasal in den Schiffsrumpf geschweißt hatte, und verschwand sich überschlagend in der Dunkelheit draußen.

Mikes Herz machte einen entsetzten Sprung. Er war nicht sicher -aber er hatte den Eindruck, daß der Behälter aufgeplatzt war, und wenn das stimmte, dann würde Yasal ihm wahrscheinlich den Kopf abreißen, und das möglicherweise nicht nur im übertragenen Sinne! So schnell er konnte, durchquerte er den Raum, sprang aus dem Schiff und sah sich nach dem Behälter um. Im ersten Moment konnte er ihn nirgends entdecken.

Dort, wo er eigentlich hätte liegen müssen, war nur unberührter Sand. Dann sah er ihn -ein ganzes Stück weiter rechts und nicht auf dem Boden, sondern sich noch immer überschlagend in der Strömung dahintreibend. Und erwartatsächlich beschädigt. Eine Spur silberner Luftbläschen markierte den Weg, den er nahm, und Mike glaubte kleine, metallisch schimmernde Trümmerstücke zu sehen, die unter ihm zu Boden sanken.

»Singh!« rief er. »Schnell! Komm her! Hilf mir!« Er wartete Singhs Antwort nicht ab, sondern bewegte sich hinter dem Behälter her. Der Kokon war schon fast weiter entfernt, als der Scheinwerferstrahl reichte, und er entfernte sich ununterbrochen weiter. Mikes Schrecken wandelte sich in Entsetzen. Wenn die Strömung den Behälter ergriff und aus dem Licht trug, hatten sie keine Chance mehr, ihn je wiederzufinden. Für einen Moment war er nahe daran, aufzugeben. Was, wenn er einfach zurückgehen und so tun würde, als wäre nichts passiert? Es waren Hunderte von Behältern. Einer mehr oder weniger würde kaum auffallen, und selbst wenn, konnte er sich einfach dumm stellen. Aber er ahnte auch zugleich, daß das nicht klappen würde. Yasal und Hasim wußten ganz genau, wie viele Behälter sich an Bord der TITANIC befanden, und sie würden nicht eher Ruhe geben, bis auch der allerletzte geborgen war. Und außerdem war es schlichtweg unmöglich, jemanden zu belügen, der Gedanken lesen konnte wie andere ein offenes Buch. Er griff schneller aus, und er hatte ausnahmsweise Glück: Die Strömung schien nachzulassen, denn der Behälter entfernte sich jetzt nicht mehr weiter von ihm, sondern sank ganz langsam zu Boden, so daß der Abstand zwischen ihnen allmählich wieder kleiner zu werden begann. Als Mike ihn endlich eingeholt hatte und schweratmend stehenblieb, hatte er sich so weit von der NAUTILUS entfernt, daß das Schiff hinter ihm schon nicht mehr sichtbar war. Selbst die Scheinwerferstrahlen waren von der allgegenwärtigen Dunkelheit hier unten fast verschluckt worden. »Mike? Herr? Wo seid Ihr?«

Singhs Stimme erklang verzerrt und dünn in seinem Helm, und es dauerte eine ganze Weile, bis die Gestalt des Inders hinter Mike erschien. Er bewegte sich, so schnell der Taucheranzug dies zuließ. »Ich bin hier«, antwortete Mike. »Großer Gott, was ist in Euch gefahren?« keuchte Singh. »Seid Ihr verrückt geworden?« Mike wollte über diesen ungewohnt scharfen Ton auffahren, aber dann begriff er voller Schrecken, wie weit er dem Behälter gefolgt war. Wäre er auch nur noch ein Stück weitergelaufen, dann wäre er vielleicht in die ewige Nacht des Meeresgrundes hineingerannt, ohne es auch nur zu merken.

»Es ist ja nichts passiert«, sagte er hastig. »Das heißt -mir nicht. « Er deutete auf den aufgeplatzten Behälter, der vor ihm im Sand lag. Es kamen nun keine Luftblasen mehr aus ihm, aber irgend etwas Dünnes, Weißes hing heraus und bewegte sich träge in der Strömung. »Was ist los?« Singh klang erschrocken, und Mike konnte hören, wie er überrascht die Luft einsog, als er neben ihm anlangte und sah, was passiert war. »Ich habe nicht aufgepaßt«, gestand Mike. »Es tut mir leid. Komm -hilf mir. Vielleicht können wir irgend etwas tun, damit Yasal nicht merkt, was ich angerichtet habe. «

Singh schwieg vielsagend, ließ sich aber neben Mike in die Hocke sinken und half ihm, den Behälter herumzudrehen, so daß sie hineinblicken konnten. Und im selben Moment schrie Mike so laut auf, daß man es wahrscheinlich noch drüben auf der NAUTILUS hören konnte. Er wußte jetzt, was die sonderbaren Behälter enthielten, die sie aus dem Wrack geborgen harten. Das Geschöpf sah auf den ersten Blick aus wie ein Mensch -das hieß, es hatte zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf, aber damithörte die Ähnlichkeit mit einem Menschen auch schon wieder auf. Mike schätzte, daß es nicht größer als Chris war, also etwa so groß wie ein elf-oder zwölfjähriges Kind, aber sehr viel schlanker als ein normaler Mensch. Seine Arme und Beine waren so dünn, daß Mike sie bequem mit einer Hand hätte umschließen können, und seine Haut hatte eine fast weiße Farbe. Es hatte sechs Finger an jeder Hand, die viel schmaler und um einiges länger waren als die eines Menschen, und nicht ein einziges Haar, weder am Leib noch auf dem Kopf. Und dieser Kopf war das Unheimlichste an ihm. Das Gesicht lief in einem spitzen Kinn aus, in dem sich ein fast lächerlich kleiner Mund befand und keine sichtbare Nase. Dafür waren die Augen übergroß und von einer seltsamen Tropfenform. Sie standen weit offen, so daß Mike sehen konnte, daß sie weder Pupillen noch Iris hatten, sondern einfach nur schwarz waren. Und außerdem war das Geschöpf tot. »Großer Gott!« flüsterte Mike erschüttert.»Dasist also ihr großes Geheimnis!«

Singh ließ sich neben ihm auf ein Knie herabsinken und streckte die behandschuhte Rechte nach dem Wesen aus, wagte dann aber doch nicht, es zu berühren. »Was... was ist das?« flüsterte er. »So etwas... habe ich noch nie gesehen!«

»Ich glaube, das hat noch niemand«, antwortete Mike leise. »Mit Ausnahme von Lady Grandersmith vielleicht. « »Ihr meint -« Singh stockte und sah Mike verblüfft an.

»Yasal und die beiden anderen... ?« »Fällt dir eine bessere Erklärung ein?« antwortete Mike. »Ich weiß nicht, was die drei sind, aberMenschensind es bestimmt nicht. So wenig wie dieses Wesen hier. Vielleicht sind es ihre Brüder. « »Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte Singh kopfschüttelnd, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Warum sollten sie all diese Mühe auf sich nehmen, nur um ein paar hundert Särge aus einem Wrack zu bergen?« »Vielleicht, damit sie niemand findet«, antwortete Mike. Singh schüttelte erneut den Kopf. »Hier unten wären sie für alle Zeiten sicher gewesen«, behauptete er. »Sicherer als in der Cheopspyramide. Aber warum haben sie sie überhaupt auf das Schiff gebracht? Niemand kennt den geheimen Zugang zur Grabkammer. Sie wären dort unten kaum gefunden worden. « Das stimmte. Mike beugte sich wieder über das Geschöpf und betrachtete es eine Weile, und dann fiel ihm etwas ein, was er vorhin beobachtet hatte, ohne ihm vielleicht die entsprechende Bedeutung zuzumessen. »Luft«, sagte er. »Wie?«

»Luft«, wiederholte Mike. »Als der Behälter aufgeplatzt ist, kamen Luftblasen heraus. « Plötzlich war er sehr aufgeregt. »Vielleicht sind es gar keine Särge, Singh! Was, wenn... «

Der Gedanke war so phantastisch, daß es ihn hörbare Überwindung kostete, ihn auszusprechen. »Was, wenn sie alle nochleben?«

Singh starrte ihn aus aufgerissenen Augen an und wollte etwas erwidern, aber Mike fuhr hastig fort: »Das ist die Erklärung, Singh! Sie sind nicht tot, versteh doch! Dieses Geschöpf hier ist gestorben, weil der Behälter aufgeplatzt und es ertrunken ist, aberall die anderen sind vielleicht noch am Leben!«

Singh sagte nichts - Mikes Theorie war die einzige, die überhaupt Sinn ergab, und trotzdem warf ihre Entdeckung tausendmal mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Sie waren beide noch viel zu verblüfft und erschüttert, um einen klaren Gedanken zu fassen. Nach einer Weile stand Mike auf und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Gehen wir zurück«, sagte er. »Mit ein bißchen Glück hat Yasal noch nicht gemerkt, was passiert ist. Vielleicht fällt ihm gar nicht auf, daß einer der Behälter fehlt. « »Ihr wollt ihn einfach hier zurücklassen?« »Mir ist auch nicht wohl dabei«, antwortete Mike. »Aber hast du vielleicht eine bessere Idee? Ich weiß nicht, was er tut, wenn er herausfindet, was passiert ist, und ehrlich gesagt: Ich will es auch nicht wissen. « Aber er würde es herausfinden, das war ihnen beiden klar. Schließlich war es unmöglich, vor Yasal irgend etwas geheimzuhalten.

Als hätte es nur dieses Stichwortes bedurft, tauchte in diesem Moment eine schwarzgekleidete Gestalt aus der Dunkelheit hinter ihnen auf. Mikes Herz machte einen entsetzten Sprung. Yasal kam so schnell näher, daß an eine Flucht nicht einmal zu denken war. Mikes Gedanken überschlugen sich.

»Yasal!« sagte er. »Es tut mir leid. Es ist meine Schuld, ich... ich war einen Moment unaufmerksam, und -« Yasal ignorierte ihn. Mit zwei, drei raschen Schritten war er neben ihm, stieß ihn unsanft beiseite und ließ sich neben dem aufgeplatzten weißen Kokon auf die Knie sinken. Seine Hände streckten sich nach der reglosen Gestalt in seinem Inneren aus, aber wie Singh zuvor, stockte er kurz, bevor er sie wirklich berührt hätte.

Wie Yasal so im Sand kniete und sich über das leblose Geschöpf beugte, empfand Mike nichts anderes als ein plötzliches, sehr heftiges Mitleid mit ihm. Bisher hatte er nicht einmal gewußt, ob die unheimlichen Schwarzgekleideten überhaupt in der Lage waren, menschlicheGefühlezu empfinden (und um ehrlich zu sein, er hatte es bezweifelt), aber jetzt spürte er sehr deutlich, daß Yasal um das tote Wesen trauerte wie um einen Freund.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte er noch einmal. »Ich wollte

das nicht, das mußt du mir glauben. Es war ein Unfall. «

Yasal hob langsam den Kopf und sah ihn an. Mike konnte sein Gesicht auch jetzt nicht erkennen, aber plötzlich wußte er, wieso ihm die Augen immer so unheimlich und fremd vorgekommen waren. Es waren nicht die Augen eines Menschen. Was hinter dem schwarzen Tuch sichtbar war, das waren die gleichen, pupillenlosen Riesenaugen wie die des toten Geschöpfes vor ihnen. »Laß uns zurückgehen«, sagte Mike. »Wir müssen die anderen noch bergen. Ich schwöre dir, daß ich vorsichtiger sein werde. « Yasal rührte sich nicht. Mike hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, als er daran dachte, daß er noch vor ein paar Augenblicken ernsthaft vorgehabt hatte, das tote Wesen einfach so zurückzulassen. Und er schämte sich ein wenig. »Singh und ich bringen ihn zurück«, sagte er. Als Yasal nicht reagierte, beugte er sich herab und wollte das Geschöpf aus seinem Behälter nehmen. Yasal versetzte ihm einen Stoß, der ihn zurücktorkeln ließ. Er fiel, landete unsanft auf dem Rücken und sah noch im Fallen, wie Singh herumfuhr, um sich auf Yasal zu stürzen. »Nicht, Singh!« schrie er.

Tatsächlich hielt sich Singh im letzten Augenblick zurück wohl auch, weil ihm selbst klar wurde, wie wenig er hätte ausrichten können. Trotzdem fuhr Mike in hastigem Ton fort:

»Ich glaube, er will uns damit nur sagen, daß wir ihn nicht anrühren sollen. «

Er versuchte aufzustehen, schaffte es nicht und wälzte sich in dem klobigen Anzug umständlich auf den Bauch, um sich auf Hände und Knie hochzustemmen. Der Scheinwerfer, der an seinem Helm angebracht war, machte die Bewegung mit, und der weiße Strahl tastete noch ein Stück weiter in die Dunkelheit hinein. Und Mike erstarrte mitten in der Bewegung. Sie hatten den Bug des Schiffes fast erreicht, und über ihnen gähnte der gewaltige Riß, der die Flanke der TITANIC gespalten hatte. Aber es war nicht dieser Anblick, der Mike für endlose Sekunden einfach starr dasitzen und an seinem Verstand zweifeln ließ. Alles, was bisher rätselhaft und sinnlos erschienen war, wurde ihm mit einem Male ganz klar. »Was um alles in der Welt ist das?« keuchte Singh. Auch er hatte sich herumgedreht und starrte in dieselbe Richtung wie Mike.

Sie konnten das Gebilde im Licht ihrer Scheinwerfer nur zum Teil erkennen, denn es war sehr groß -Mike schätzte seinen Durchmesser auf sicherlich dreißig Meter, wenn nicht mehr. Es war von silberglänzender Farbe und mußte die Form einer großen Scheibe haben, wenn es sich nicht jenseits des Lichtstrahles plötzlich anders fortsetzte. Ein Teil davon war eingedrückt und zerfetzt -der Teil des messerscharfen Randes, der den Rumpf der TITANIC getroffen und wie eine Axtklinge aufgerissen hatte...

»Es war gar kein Eisberg«, flüsterte Mike. »Wie?« fragte Singh. Er begriff nicht, was Mike meinte. »Die TITANIC«, erklärte Mike, ohne den Blick auch nur eine Sekunde von dem unheimlichen Gebilde zu wenden. »Es wurde immer angenommen, daß sie mit einem Eisberg kollidiert ist. Aber das stimmt nicht. Es war dasda. «

»Aber was ist das?« fragte Singh verstört. »Ich... ich glaube, ich weiß es«, antwortete Mike stockend. Er kämpfte sich mühsam auf die Füße und warf einen Blick zu Yasal zurück, ehe er fortfuhr. Der vermeintliche Beduine hatte das tote Geschöpf mittlerweile aus seinem Kokon gelöst und trug es wie ein Kind auf beiden Armen. Er starrte Mike noch immer an, auf eine Weise, die ihm einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. »Ich glaube, es ist ihr Schiff«, sagte er. »Schiff?« Singh schüttelte heftig den Kopf. »Das ist kein Schiff. So etwas habe ich noch nie gesehen!« »Das hat vermutlich niemand auf der Erde«, antwortete Mike. »Ich glaube, sie stammen aus einer anderen Welt. Vielleicht von einem anderen Planeten. Und sie sind damit zu uns gekommen. «

»Niemand kann zu einem anderen Planeten fahren«, sagte Singh überzeugt.

»Wir nicht, aber vielleicht sie«, beharrte Mike. Gerade war es nur eine Idee gewesen, die ihm selbst ein bißchen verrückt vorgekommen war, aber je länger er Yasal ansah, desto überzeugter war er selbst davon. Es war plötzlich nicht nur eine bloße Idee. Es war, als erzählten ihm die unheimlichen Augen des Fremden eine Geschichte oder zumindest einen Teil davon. »Ich glaube, sie haben sie deshalb auf die TITANIC gebracht«, sagte er. »Damit sie von diesem Schiff abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden können. Aber irgend etwas ist schiefgegangen. Es ist mit der TITANIC zusammengestoßen und beide sind gesunken. « Er wandte sich ganz zu Yasal um. »War es so?« fragte er.

Yasal nickte.

»So ist das also«, murmelte Singh. Mike fiel der veränderte Ton in seiner Stimme auf. Sie klang plötzlich sehr bitter.

»Was meinst du?«

»Was ich meine?« Singh lachte hart. »Ich meine die mehr als tausendfünfhundert Menschen, die hier ums Leben gekommen sind. «

»Aber es war ein Unfall!« antwortete Mike. »Du glaubst doch nicht, daß sie das absichtlich getan haben? « »Nein -aber es hat ihnen wahrscheinlich auch nicht viel ausgemacht«, erwiderte Singh. »Immerhin haben Sie auchunserLeben aufs Spiel gesetzt, um ihre Brüder zu retten. «

»Aber das ist doch etwas anderes!« protestierte Mike. Doch ganz sicher war er nicht. Der Anblick Yasals, der mit dem toten Geschöpf auf den Armen dastand und Singh und ihn wortlos ansah, rührte noch immer sein Herz, aber er mußte auch gleichzeitig wieder an die Szene im Lagerhaus denken. Hätte Serena Hasim nicht zurückgehalten, hätte er einen Wehrlosen getötet. Er schauderte plötzlich. Wenn diese Wesen über Gefühle und ein Moralempfinden verfügten, so schien es vollkommen anders zu sein als das eines Menschen. »Unsere Luft geht bald zu Ende«, sagte Singh plötzlich. »Wir müssen zurück. «

Er wollte losgehen, aber Yasal vertrat ihm den Weg. Mit einer raschen Bewegung verlagerte er das Gewicht des toten Geschöpfes auf den linken Arm und streckte die freigewordene Rechte in Singhs Richtung aus. Zwischen seinen Fingern blitzte und funkelte etwas Kleines, Weißes; wie ein winziges lebendiges Licht. »Was bedeutet das?« fragte Mike erschrocken. »Könnt Ihr Euch das nicht denken, Herr?« fragte Singh bitter.

Das Licht zwischen Yasals Fingern wurde heller -und plötzlich wußte es Mike. Es war der gleiche, blendendweiße Schein, mit dessen Hilfe er gestern ein Loch in den zentimeterdicken Stahl des Schiffsrumpfes geschnitten hatte.

»Yasal, was... was hast du vor?« fragte er unsicher. Plötzlich hatte er Angst.

»Wir kennen sein Geheimnis«, sagte Singh. »Ich glaube nicht, daß er zulassen wird, daß wir es weitererzählen. « Er machte eine Kopfbewegung zu der silbernen Scheibe zurück, die sich in den Rumpf der TITANIC verkeilt hatte.

»Das ist es doch, nicht? Nur zu. Bring uns um, wenn du willst. Wir können uns nicht wehren. Ein Menschenleben ist euch ja offensichtlich nicht viel wert. Geschweige denn das von tausendfünfhundert!« Das Licht flackerte heller, aber der tödliche Blitz, auf den Mike wartete, blieb aus. Für endlose Sekunden stand Yasal reglos da und zielte mit seiner furchtbaren Waffe auf Singh, aber dann senkte er den Arm ein wenig und sah Mike an.

»Wir werden es niemandem verraten«, sagte Mike. Und ermeintees so -nicht aus Angst, sondern weil er einfach wußte, daß dieses Geheimnis niemals gelüftet werden durfte. »Ich verspreche es dir, Yasal. Wenn du meine Gedanken wirklich lesen kannst, dann tu es, und du wirst sehen, daß ich es ehrlich meine. Niemand wird je erfahren, was hier passiert ist oder daß es euch gibt. «

Die Zeit schien stehenzubleiben. Das Licht richtete sich nun auf ihn, und zugleich schienen die unheimlichen Augen Yasals direkt in ihn hineinzublicken. Er konnte regelrecht spüren, wie etwas durch seinen Kopf tastete und seine geheimsten Gedanken ergründete. Und dann, nach einer Ewigkeit, senkte Yasal die Hand wieder, und das furchtbare Glühen zwischen seinen Fingern erlosch.

Selbst am nächsten Morgen begriff Mike noch nicht wirklich,warumSingh und er noch am Leben waren. Sie waren sofort auf die NAUTILUS zurückgekehrt, ohne die wenigen noch verbliebenen Behälter zu bergen, und Mike hatte sich fast unmittelbar darauf in seine Kabine zurückgezogen. Aber obwohl er hundemüde und zu Tode erschöpft war, hatte er noch lange auf seinem Bett gelegen und die Decke über sich angestarrt. Je länger er darüber nachgedacht hatte, desto unwahrscheinlicher war es ihm vorgekommen, daß Yasal ihm wirklich geglaubt hatte. Er hatte nicht gelogen -sein Versprechen war ehrlich gemeint gewesen, und zweifellos hatte Yasal dies in seinen Gedanken erkannt, aber das konnte nicht der einzige Grund sein. Er war ein Mensch, und Menschen ändern manchmal ihre Meinung, ganz davon abgesehen, daß in der Lebenszeit, die noch vor ihm lag, vielleicht der Tag kommen mochte, an dem ergezwungenwar, zu erzählen, was Singh und er auf dem Meeresgrund erlebt hatten. Singh hatte mit seinem Mißtrauen durchaus recht -die Wesen von den Sternen hatten den Tod von über tausend Menschen in Kauf genommen, um ihre Brüder zu holen, und sie hatten auch das Leben der NAUTILUS-Besatzung riskiert, um sie zu bergen und ihr Geheimnis zu wahren. All dies jetzt aufs Spiel zu setzen, nur weil Mike einVersprechengegeben hatte, das paßte einfach nicht.

»Wir sind soweit. « Trautmans Stimme drang in Mikes Gedanken. Er schrak hoch, blickte einen Moment lang völlig verständnislos in das bärtige Gesicht Trautmans und rettete sich dann in ein verlegenes Lächeln. »Schon?«

Trautman runzelte die Stirn. Sein Blick wurde wieder ein bißchen besorgt -Mike hatte gute zwölf Stunden ununterbrochen geschlafen, aber er war noch immer hundemüde, und wahrscheinlich sah er auch so aus. »Alles in Ordnung mit dir?« fragte er. Mike nickte hastig. »Ja. Entschuldigen Sie. « Er wollte aufstehen und zu seinem Platz am Steuerpult gehen, aber Trautman schüttelte den Kopf. »Ben wird das übernehmen«, sagte er. »Ruh dich aus. Du wirst deine Kräfte noch brauchen. « »Wieso?« fragte Mike.

»Weil wir ohne Pause durchfahren werden und uns am Ruder ablösen müssen«, antwortete Trautman. »Wir können es bis zum sechzehnten schaffen, aber es wird knapp. « Er zögerte einen Moment, dann setzte er hinzu: »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du bist irgendwie anders seit gestern. So nebenbei: Singh ebenfalls. « »Wir sind nur erschöpft«, antwortete Mike hastig. »Es war alles sehr anstrengend. Ich bin froh, daß es vorbei ist. Wann fahren wir los? Sofort?« »Noch nicht«, erwiderte Trautman. »Wir warten noch auf Yasal. «

»Ist er denn nicht an Bord?« fragte Mike verwundert. Er hatte von Trautman erfahren, daß Yasal und sein Bruder gestern noch einmal allein hinausgegangen waren, vermutlich, um die zurückgebliebenen Behälter zu holen. Aber es waren nur noch wenige gewesen, allerhöchstens ein Dutzend; eine Aufgabe, die in einer Stunde zu erledigen gewesen wäre.

»Er ist vor einer halben Stunde noch einmal hinausgegangen«, antwortete Ben an Trautmans Stelle. »Frag mich bloß nicht, warum. « Er lachte. »Vielleicht hat er seine Frühstücksdose drüben auf der TITANIC vergessen. « Mike fand das nicht sehr komisch. Er schenkte Ben einen giftigen Blick, stand auf und schlenderte zum Fenster. Der Anblick draußen hatte sich nicht verändert. Die TITANIC ragte noch immer wie ein stählerner Berg über ihnen empor, aber sie kam ihm jetzt unheimlicher und bedrohlicher denn je vor. Ganz automatisch wanderte sein Blick nach links, in die Dunkelheit vor dem Wrack hinein, und ein sonderbares Gefühl überkam ihn. Er konnte sie nicht sehen, aber für einen Moment erschien der Anblick der riesigen silbernen Scheibe ganz deutlich vor seinen Augen, und wieder spürte er dieselben einander widersprechenden Gefühle wie gestern. Zorn, Verwirrung, Mitleid und Ohnmacht. Singh hatte gewiß Recht, aber zugleich täuschte er sich auch. Die Katastrophe damals war viel gewaltiger -und viel tragischer gewesen, als die Menschen oben unter der Sonne glaubten. Und er konnte auch zugleich Yasal und seine Brüder verstehen. Sie hatten nichts anderes als nach Hause gewollt, und sie hatten ganz bestimmt nicht beabsichtigt, dabei irgend jemanden zu verletzen.

Aber trotzdem waren so viele Unschuldige ums Leben gekommen, daß sich Zorn in Mikes Mitleid mischte. Es war ein Unfall gewesen -letztendlich genau das, was auch ihm widerfahren war, als er den Behälter nicht richtig befestigt hatte -, und er durfte es Yasal und den anderen nicht vorwerfen. Aber er war auch nicht sicher, ob er es ihnen jemals wirklich verzeihen konnte... »Wo bleibt er nur?« fragte Trautman. Er war neben Mike getreten und sah wie er aus dem Fenster. »Jede Minute ist kostbar. Es macht mich rasend, hier herumzustehen und nicht zu wissen, warum. « Etwas leiser und in so beiläufigem Ton, daß Mike um ein Haar ganz automatisch geantwortet hätte, fügte er hinzu:»Duweißt es, nicht wahr?«

Mike fuhr zusammen, starrte Trautman betroffen an und biß sich auf die Unterlippe. Er schwieg.

»Was habt ihr dort draußen gefunden?« fragte Trautman nun.

»Nichts«, antwortete Mike. Er wich Trautmans Blick aus.

Trautman lachte. »Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, daß du ein miserabler Lügner bist?« Mike schwieg eine Weile, ehe er leise und ohne Trautman anzusehen antwortete: »Sie haben recht. Wirhabenetwas gefunden. Aber bitte fragen Sie mich nicht, was. Ich darf es Ihnen nicht sagen. « »Dudarfstnicht? «

»Ich habe es versprochen«, antwortete Mike. Trautmans Blick wurde eindringlich, und obwohl Mike ihn nicht direkt erwiderte, war er nicht sicher, wie lange er ihm wohl noch standhalten würde. Aber dann nickte Trautman. »Gut, ich respektiere das. Sie haben ihr Wort gehalten und uns bisher nichts getan, und so ist es nur richtig, daß auch du dein Wort hältst. Keine Angst ich werde den anderen nichts sagen. « Mike lächelte dankbar, und Trautman drehte sich ohne ein weiteres Wort herum und wollte zum Steuerpult zurückgehen, machte aber dann noch einmal kehrt. »Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte er. »Ich habe die halbe Nacht lang Bücher gewälzt, aber mir ist nichts untergekommen, was genau zweihundertfünfzig Jahre her sein könnte. Mit einer Ausnahme -aber sie ergibt keinen Sinn. « »Welche Ausnahme?« fragte Mike. »Eine ganz bestimmte Sternenkonstellation«, sagte Trautman. »Alle zweihundertfünfzig Jahre steht der Sirius in einem ganz bestimmten Winkel über der Erde. Zu Anfangdachte ich, das wäre die Lösung. Die alten Ägypter waren großartige Astronomen. Die Pyramiden sind nach den Sternen ausgerichtet, wußtest du das? Aber dann habe ich noch einmal genauer nachgesehen während dieser Konstellation ist der Sirius von den Pyramiden aus gar nicht sichtbar. « »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten«, sagte Mike.

Trautman sah ihn scharf an, dann wandte er sich ab, und Mike drehte sich wieder dem Fenster zu. Er wußte nicht, wie lange er so dastand und in die Dunkelheit hinausstarrte. Irgendwann begannen die stählernen Planken unter seinen Füßen zu zittern, und der Rumpf der NAUTILUS vibrierte wieder im vertrauten Dröhnen und Hämmern der Maschinen. Während Singh und er die Ladung aus der TITANIC herübergebracht hatten, hatten Trautman und die anderen die Maschinen überholt und wohl das eine oder andere wieder in Ordnung gebracht.

»Jemand sollte hinausgehen und Yasal holen«, maulte Ben. »Er könnte wirklich allmählich kommen. « »Ich werde gehen und Hasim suchen«, sagte Juan. Doch bevor er seinen Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, öffnete sich die Tür, und Hasim trat ein. Er war völlig durchnäßt und hinterließ eine feuchte Spur auf dem Boden. Offenbar war auch er gerade erst von draußen zurückgekehrt.

»Hasim!« sagte Trautman. »Endlich. Wo ist Yasal? Wir können aufbrechen. «

Hasim blieb stehen und deutete auf das Fenster. »Noch draußen?« fragte Trautman. »Aber warum? Unsere Zeit ist knapp!«

Hasim machte eine Geste, deren Bedeutung Mike erst nach einer Sekunde begriff. Trautman offensichtlich sehr viel schneller, denn er blickte Hasim ungläubig an.

»Verstehe ich dich richtig? Wir sollen losfahren?« Hasim nickte. »Aber Yasal ist noch dort draußen!«

Hasim nickte wieder, dann deutete er mit einer Hand auf das Steuerpult, mit der anderen nach oben. »Das ist deutlich genug«, sagte Ben. »Warum tun wir ihm nicht den Gefallen und tauchen endlich auf?« »Weil ich nicht daran denke, jemanden hier zurückzulassen«, antwortete Trautman ärgerlich. »Was ist passiert? Hattet ihr einen Unfall, oder -« Hasims Geduld war offensichtlich zu Ende. Er ging rasch auf das Steuerpult zu, schob Trautman einfach beiseite und begann an den Instrumenten der NAUTILUS zu hantieren. Das Motorengeräusch veränderte sich, und nur einen Augenblick später begann das Wrack der TITANIC unter ihnen wegzugleiten. Mike konnte spüren, wie die NAUTILUS von der Strömung ergriffen wurde und gleichzeitig an Tempo zulegte. »He, was soll das?« fragte Trautman aufgebracht. »Wir können ihn doch nicht einfach hierlassen! Sagt uns doch, was geschehen ist! Wir holen deinen Bruder, wenn er verletzt ist!«

Hasim sagte nichts. Statt dessen schob er einen Hebel vor, und die NAUTILUS machte so einen Satz, daß es Mike fast von den Füßen gerissen hätte. Hastig streckte er die Hand aus, um sich an einem Stuhl festzuklammern, und drehte sich wieder zum Fenster herum. In der nächsten Sekunde schloß er geblendet die Augen, denn ein kleines Stück vor dem Bug der TITANIC flammte ein grellweißer Blitz auf. Nur einen Augenblick später erbebte die NAUTILUS wie unter einem Hammerschlag und legte sich spürbar auf die Seite. Diesmal verlor er endgültig das Gleichgewicht. Mike landete unsanft auf dem Boden und sah, wie auch Ben, Juan und Singh gerade noch irgendwo Halt fanden, während Chris vom Stuhl geschleudert wurde. Einzig Hasim stand wie ein Fels hinter dem Steuerpult. Einen Moment später blitzte es draußen ein zweites Mal auf, und eine weitere, noch heftigere Druckwelle traf das Schiff. Die NAUTILUS begann zu schaukeln. »Was war das?« keuchte Ben. Der Blick seiner weit aufgerissenen Augen war auf das Fenster gerichtet. »Da ist etwas explodiert!«

Das tobende Wasser beruhigte sich nur langsam. Die NAUTILUS beschleunigte noch immer, während sie zugleich der Meeresoberfläche entgegenstieg, aber sie schaukelte auch weiterhin so heftig, daß Mike Mühe hatte, wieder auf die Füße zu kommen. Alle redeten durcheinander und überboten sich gegenseitig in Mutmaßungen und Theorien, was dort unten geschehen sein mochte.

Die einzigen, die nichts sagten, waren Mike selbst und Singh.

Sie allein wußten, was dort draußen explodiert war. Mike sah Hasim an, und als er dem Blick seiner Augen begegnete, überkam ihn wieder jenes sonderbare Mitleid, das er sich selbst nicht so richtig erklären konnte. Er wußte, daß sie Yasal niemals wiedersehen würden. Hasims Bruder war zurückgeblieben, um zu tun, weshalb er wahrscheinlich von Anfang an gekommen war: dafür zu sorgen, daß - sollten irgendwann einmal wieder Taucher zum Wrack der TITANIC hinabsteigen -niemand mehr herausfinden würde, was damalswirklichgeschehen war. Das Schiff von den Sternen existierte nicht mehr.

Und ganz plötzlich hatte er wieder Angst. Vielleicht war seine Erleichterung etwas vorschnell gewesen, und vielleicht hatte Singh mit seiner Meinung über die Schwarze Bruderschaft recht und nicht er. Sie hatten sie zwar bisher am Leben gelassen, aber mit einem Mal war er nicht mehr so sicher, daß das auch so bleiben würde. Vielleicht waren sie nicht nur hierhergekommen, um Yasals Brüder aus dem Wrack zu bergen, sondern auch, um die Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen.

Und sie taten es sehr gründlich.

Die nächsten Tage wurden zu einem Wettrennen mit der Zeit. Sie gewannen es, aber buchstäblich um Haaresbreite. Die NAUTILUS fuhr fast die gesamte Zeit unter Wasser, so daß am Ende selbst ihr Sauerstoffvorrat knapp zu werden begann, und Trautmans Gesicht schien sich jedesmal, wenn Mike ihn anblickte, mehr zu verfinstern. Der Steuermann fürchtete um das Schiff. Er hatte die Maschinen, so gut er konnte, überholt, aber Hasim belastete sie bis weit über ihre Grenzen hinaus, und er gefährdete damit nicht nur die NAUTILUS, sondern auch das Leben ihrer Besatzung. Zwei Stunden vor Mitternacht des sechzehnten Februar neunzehnhundertsechzehn erreichten sie die Nilmündung und fuhren hinein, ohne aufzutauchen oder auch nur merklich zu verlangsamen. Hasim hatte wieder das Steuerpult übernommen, wogegen Trautman diesmal nichts einzuwenden hatte. Es war schon gefährlich genug gewesen, das Schiff in diesem Tempo durch das Mittelmeer mit all seinen Untiefen und Inseln zu steuern. Hier, in dem Fluß, der zwar breit, aber nicht besonders tief war, grenzte es an Selbstmord. Sie waren alle wieder im Salon zusammengekommen und blickten abwechselnd zu Hasim, der konzentriert hinter dem Steuer stand, und dem großen Aussichtsfenster. Das Wasser schoß nur so daran vorüber, aber ein paarmal glaubte Mike auch einen dunklen Schatten entlanghuschen zu sehen, und einmal konnten sie alle spüren, wie die NAUTILUS etwas streifte und daran entlangschrammte.

»Wir sind bald auf der Höhe der Pyramiden«, sagte Trautman plötzlich. »Wenn es diesen geheimnisvollen Kanal wirklich gibt, müßten wir ihn allmählich erreichen. «

Niemand antwortete -aber Mike war nicht der einzige, dem sich bei Trautmans Worten die Haare zu Berge stellten. Die Vorstellung, mit der riesigen NAUTILUS durch einen unterirdischen Kanal zu fahren, war schon schlimm genug; es in diesem mörderischen Tempo zu tun, das war etwas, was sich Mike gar nicht vorstellen wollte.

»Ich frage mich, was passiert, wenn wir zu spät kommen«, murmelte Juan.

Mike tauschte einen stummen Blick mit Singh und sah in dessen Augen die gleiche Furcht, die auch an ihm nagte. Offensichtlich dachte Singh an dasselbe wie er: Mike fragte sich nämlich nicht, was geschah, wenn sie es nicht schafften, sondern vielmehr, was passieren würde,wennsie es schafften, die Pyramiden rechtzeitig zu erreichen. Er hatte während der gesamten Fahrt an nichts anderes gedacht, aber keine Antwort auf diese Frage gefunden. Singh und er waren die einzigen Menschen, die das Geheimnis der Schwarzen Bruderschaft kannten.

»Wir werden langsamer«, sagte Trautman plötzlich. Alle wandten sich wieder dem Fenster zu. Das Wasser sprudelte noch immer daran vorüber wie ein Wildbach, doch sie verloren tatsächlich an Geschwindigkeit. Trotzdem schoß die NAUTILUS dreimal so schnell unter Wasser dahin, als es jedem anderen Schiff möglich gewesen wäre.

Und dann, ganz plötzlich, wurde es finster. Das bißchen Licht, das bisher durch das Wasser gedrungen war, erlosch schlagartig.

»Der Kanal«, flüsterte Trautman. »Wir sind drin. « Mike fuhr sich nervös mit dem Handrücken über die Lippen. Seine Hände und Knie zitterten ein wenig, und sein Magen zog sich zu einem schmerzenden Klumpen zusammen. Er konnte die Wände des unterirdischen Kanals nicht sehen, aber seine Phantasie gaukelte ihm ein wahres Labyrinth aus steinernen Speeren und Klingen vor, das nur darauf wartete, die NAUTILUS aufzuspießen. Dabei wußte er nicht einmal, wie groß dieser Kanal war.

»Wir sollten nach oben gehen«, sagte Trautman. »In den Turm. «

»Und wozu?« fragte Ben mit einem schiefen Grinsen. »Um eine bessere Aussicht zu haben?« »Nein«,antwortete Trautman. »Aber vielleicht eine winzige Überlebenschance, falls doch etwas passiert. « Er warf Hasim einen nervösen Blick zu. »Hast du etwas dagegen?«

Hasim sah nicht einmal von den Instrumenten auf, aber sein Schweigen war Trautman Antwort genug. Hastig scheuchte er sie alle aus dem Salon und deutete die schmale Wendeltreppe hinauf. »Beeilt euch!« sagte er. »Singh und ich holen die Taucheranzüge. « »Das ist nicht nötig«, sagte Juan. »Sie sind schon oben. « »Wie?« Trautman blinzelte verblüfft. »Ich war vor einer Stunde im Turm«, sagte Juan. »Jemand hat fünf Taucheranzüge dort hinaufgebracht. Ich dachte, Sie wären es gewesen. Ich wußte nur nicht, warum. «

»Hasim«, sagte Trautman. »Das muß Hasim gewesen sein. «

»Aber warum?«

»Vielleicht, weil er wußte, wie gefährlich es wird«, erwiderte Trautman. »Aber das ist jetzt auch egal kommt. Schnell jetzt. «

Sie rannten die Treppe hinauf, so schnell sie konnten, und kletterten hintereinander in den Turm. Tatsächlich lagen dort fünf Taucheranzüge bereit, ganz wie Juan gesagt hatte, und dazu auch fünf frisch gefüllte Sauerstoffflaschen. Sie legten sie an, so rasch sie konnten, was in der Enge der überfüllten Turmkammer nicht so einfach war. »Wieviel Zeit ist noch?« fragte Chris. Trautman sah auf die Uhr. »Eine halbe Stunde bis Mitternacht. Wenn der Kanal in direkter Linie bis zu den Pyramiden führt, müßten wir bald dort sein. Wir könnten es schaffen. Ich frage mich allerdings -« Der Rest des Satzes ging in einem überraschten Laut unter, als die NAUTILUS unter einem heftigen Schlag erzitterte. Wäre die Turmkammer nicht so eng gewesen, daß sie ohnehin alle aneinandergepreßt dastanden, wären sie wahrscheinlich von den Füßen gerissen worden.

Mikes erster Gedanke war, daß sie gegen ein Hindernis geprallt waren, aber der furchtbare Laut von zerreißendem Stahl, auf den er mit angehaltenem Atem wartete, kam nicht. Statt dessen machte er eine andere, viel unheimlichere Feststellung. Die NAUTILUS stand still.

»Das ist doch unmöglich!« murmelte Trautman. »Wir würden mindestens eine Meile brauchen, um bei dem Tempo anzuhalten! Das kann überhaupt nicht sein!« Mike sah konzentriert durch eines der beiden großen Bullaugen nach draußen. Nicht weit entfernt vor ihnen schimmerte ein blasses Licht; ein dreieckiger, zitternder Streifen hoch oben unter der Decke des Kanals. »Dort!« sagte er. »Das muß die Höhle sein!« »Warum fahren wir dann nicht weiter?« wunderte sich Ben.

Bevor jemand antworten konnte, hörten sie ein seltsames Scharren und Knirschen -und plötzlich schrie Trautman, so laut er nur konnte.»Die Helme! Um Gottes willen, setzt die Helme auf!«

Kaum hatte Mike das getan, öffnete sich die Turmluke über ihnen, und ein Sturzbach von eiskaltem Wasser sprudelte herein. Mike hörte Chris schreien, fuhr herum und sah, daß dieser vor lauter Aufregung die Scharniere seines Helmes nicht zubekam. Hastig griff Mike zu, ließ den Helm einrasten und öffnete auch noch das Ventil der Sauerstoffflasche auf Chris' Rücken.

Keine Sekunde zu früh. Die Turmkammer füllte sich rasend schnell mit Wasser. Mike fand kaum noch Zeit, seinen eigenen Helm richtig zu befestigen, da schloß sich das Wasser bereits über ihnen. »Was geht hier vor?« keuchte Ben. »Will er uns ersäufen?«

Mike hob den Blick und sah nach oben. Der schwere Lukendeckel war mittlerweile fast ganz aufgeschwungen, und ein hinter schwarzem Tuch verhülltes Gesicht lugte zu ihnen herein.

»Hasim?« murmelte Ben. »Aber wie kommt der denn hierher?«

Es kann nicht Hasim sein, dachte Mike, es wird sein Bruder Sulan sein. Der Schwarzgekleidete machte keinen Versuch, zu ihnen hereinzukommen, sondern hob statt dessen die Hand und gab ihnen einen eindeutigen Wink.

»Was will er denn?« murmelte Chris. »Das ist doch wohl deutlich«, grollte Ben. »Wir sollen aussteigen. «

Sulan wiederholte seine Bewegung diesmal voller Ungeduld.

»Wir tun besser, was er verlangt«, sagte Trautman. »Ich glaube, ich weiß, was sie vorhaben. « »Ja, uns ersäufen wie junge Katzen!« grollte Ben. »Unsinn!« widersprach Trautman streng. »Es ist allerhöchstens noch eine Meile bis zum See. Wir haben mehr als genug Luft, um dorthin zu schwimmen. Wenn sie uns hätten umbringen wollen, hätten sie es längst getan. «

»Aber warum denn schwimmen?« beschwerte sich Ben. »Das ist doch vollkommen verrückt!« »Sie wollen nicht, daß wir sehen, was dort geschieht«, antwortete Trautman. »Also kommt

- ehe er es sich anders überlegt und uns um unsere Helme bittet... « Das wirkte. Niemand widersprach mehr. Selbst Ben kletterte gehorsam hinter Trautman die Leiter empor und verschwand in dem kalten Wasser. Doch als Singh und als letzter Mike den Turm verlassen wollten, schüttelte Sulan den Kopf. Singh protestierte lautstark, doch es nutzte nichts. Sulan

schloß die Turmluke über ihm. »Mike, Singh!« klang

Trautmans Stimme in Mikes Helm. »Wo bleibt ihr?«

»Er hat uns nicht hinausgelassen«, antwortete Mike. »Was?! Aber -«

»Keine Angst«, unterbrach ihn Singh. »Sie werden uns nichts tun. Wahrscheinlich brauchen sie nur unsere Hilfe. Sie haben auch auf der TITANIC niemand anderen bei sich geduldet. «

»Also gut«, antwortete Trautman. Seine Stimme wurde bereits leiser, und Mike sah, daß nun der helle Fleck vor ihnen zu wachsen begonnen hatte. Das Schiff hatte wieder Fahrt aufgenommen, ohne daß sie es gemerkt hatten. »Aber paßt auf euch auf. Wir kommen nach, so rasch wir können. «

Damit riß die Verbindung ab. Sie waren offensichtlich schon zu weit voneinander entfernt. Ihr Ziel kam jetzt schnell näher. Der helle Fleck, dem sich die NAUTILUS in rasendem Tempo näherte, wurde schnell größer, und nach kaum einer Minute brachen der Turm und der zackengekrönte Rücken des Schiffes durch die schäumende Oberfläche des Sees, der in Cheops' geheimer Grabkammer lag. Das Schiff schaukelte wild hin und her, so daß Mike sich hastig am Steuer festklammerte.

Kaum hatte er seinen festen Halt wiedergefunden und einen Blick nach draußen geworfen, da schrie er überrascht auf.

Die große Höhle war hell erleuchtet, und sie war nicht mehr leer. Am Ufer des Sees drängten sich Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von schwarzgekleideten Gestalten.

»Was ist das?« murmelte er. »Die Schwarze Bruderschaft«, antwortete Singh. »Aber... aber Lady Grandersmith hat doch gesagt, daß es nur noch diese drei gibt!«

Singh machte eine Geste, die wohl andeuten sollte, daß er das

auch nicht verstand, dann deutete er nach draußen. »Schau! Dort ist sie. Lady Grandersmith. « »Und Serena!« fügte Mike aufgeregt hinzu. »Und Astaroth!«

Tatsächlich stand Lady Grandersmith zwischen den schwarzgekleideten Gestalten, die sich am Ufer drängten. Und unmittelbar neben ihr war Serena, auf deren Schulter der riesige schwarze Kater hockte. Sie waren zu weit entfernt, um etwas genau zu erkennen, aber eigentlich, dachte Mike verblüfft, sehen sie nicht wie Gefangene aus.

»Komm!« sagte er. Voller Ungeduld fuhr er herum, schwamm in dem noch immer mit Wasser gefüllten Turm nach oben und öffnete die Luke. Mike stemmte sich mit einer kraftvollen Bewegung hinaus, trat rasch zwei Schritte zur Seite, um Platz für Singh zu machen, und nahm dann seinen Helm ab. Mittlerweile hatten Lady Grandersmith und Serena das Ufer ebenfalls erreicht, und er sah jetzt, daß er sich nicht getäuscht hatte: Serena wirkte ausgesprochen fröhlich und sehr erleichtert. Vielleicht hatte sie ebenso wie er nicht mehr damit gerechnet, daß sie sich jemals wiedersehen würden. »Serena!« schrie Mike. »Geht es dir gut?« »Ja!« rief sie zurück. »Kommt heraus. Schnell! Sie haben keine Sekunde mehr zu verlieren!«Sie?dachte Mike verblüfft. Wovon sprach Serena da? So rasch er konnte, kletterte er den Turm hinab, lief über das Deck der NAUTILUS nach hinten und watete die letzten Meter zum Ufer.

Währenddessen bewegte sich die kleine Armee aus Schwarzgekleideten rasch auf die NAUTILUS zu. Mike beobachtete verblüfft, wie einige von ihnen tauchten und unter dem Rumpf des Schiffes verschwanden. Er machte sich aber deswegen keine Gedanken, hastete ans Ufer und schloß Serena so kräftig in die Arme, daß ihr die Luft wegblieb.

»Serena! Gott sei Dank! Ich dachte schon, ich sehe dich niemals wieder. «

Serena machte sich aus seinem Griff los und holte übertrieben mühsam Luft. »Kein Grund, mich zu erwürgen!« beschwerte sie sich.

Mike lachte und umarmte sie abermals, tat es aber diesmal entsprechend vorsichtiger. Erst nach langen Sekunden löste er sich wieder von ihr und wandte sich dem Kater zu, der zu Boden gesprungen war und ihn mißtrauisch beäugte.

»Und du, Mäuseschreck? Alles in Ordnung?«Selbstverständlich,antwortete Astaroth.Was regst du dichauf? Und was soll diese Frage? Wo ich bin, istimmeralles in Ordnung.

Mike antwortete nicht darauf, sondern lachte nur laut und wurde sofort wieder ernst, während er sich an Serena wandte. »Geht es dir gut?« fragte er. »Haben sie dir etwas getan?«

»Getan? Mir?« Serena sah ihn an, als hätte er soeben die dümmste Frage gestellt, die sie in ihrem ganzen Leben gehört hatte. »Natürlich hat mir niemand etwas getan. Aber wir waren in großer Sorge um euch. Ich hatte schon Angst, ihr schafft es nicht mehr rechtzeitig. « »Beinahe hätten wir es auch nicht«, gestand Mike. »Aber jetzt erzähle -wo bist du gewesen, und was geht hier vor? Wo kommen all diese Männer her?« »Es sind Hasims und Sulans Brüder. « Es war Lady Grandersmith, die die Frage beantwortete, nicht Serena. Sie war näher

gekommen und betrachtete Mike auf eine so freundliche Art,

daß es ihm schwerfiel, ihr Lächeln nicht zu erwidern.

»So?« fragte er. »Haben Sie nicht selbst gesagt, daß sie die letzten sind?«

»Die letzten derer, die sich Al Achawwiya al sauda' nennen«, korrigierte ihn Lady Grandersmith mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Nicht die letzten ihrer Art. Du wärst überrascht, wenn du wüßtest, wie viele es von ihnen gibt. «

»Wo?« fragte Mike. »Auf dem Sirius?« Lady Grandersmith starrte ihn an. »Aber du... woher... « Sie fing sich wieder. »Wie kommst du nur auf diese Idee, mein Junge? Der Sirius ist ein Stern, der unendlich weit von der Erde entfernt ist, weißt du das denn nicht?«

»Doch«, antwortete Mike. »Und ich weiß auch, daß er alle zweihundertfünfzig Jahre in einer ganz bestimmten Konstellation zur Erde steht. Wie heute, zum Beispiel. « Lady Grandersmith war nun fassungslos, aber Serena lachte. »Sagte ich Ihnen nicht, daß wir ihm trauen können?« fragte sie. Zu Mike gewandt, fügte sie hinzu: »Du weißt also alles. Aber das ist ja eigentlich klar -sonst hätte Hasim dich niemals hierhergebracht. Wo sind die anderen?«

»Singh ist noch an Bord«, antwortete Mike. »Und Trautman und die anderen kommen... äh... etwas langsamer nach. Ich fürchte, sie werden eine Stunde brauchen. «

»Das ist mehr als genug Zeit«, sagte Lady Grandersmith.

»Zeit? Wofür?«

Ihr Mißtrauen schien noch nicht völlig überwunden zu sein, denn sie sah ihn einige Sekunden lang nachdenklich an, ehe sie

antwortete. »Um sie wegzubringen. Zurück nach Hause. «

»NachHause?«Jetzt war Mike verblüfft. Er hatte angenommen, daß Hasim die Behälter mit den Schlafenden in irgendein Versteck bringen würde. »Nach Hause? Von hier aus? Aber... aber wie denn?« »Nur Geduld«, sagte Serena. »Sieh hin!« Sie deutete zum Ufer. Von der NAUTILUS her näherte sich ihnen eine zweite Gestalt in einem Taucheranzug -Singh, der Mike wesentlich langsamer folgte. Und jetzt tauchten auch die Schwarzgekleideten einer nach dem anderen wieder auf, wobei jeder einen der sechseckigen weißen Behälter in den Armen trug. Sie mußten durch die geöffnete Bodenschleuse in das Schiff hineingeschwommen sein.

Mike beobachtete neugierig, was weiter geschah. Die Männer trugen ihre Last ans Ufer, legten sie aber nicht ab, sondern näherten sich der gegenüberliegenden Wand der Höhle, auf der sich das sonderbare Relief befand, das Mike bei seinem ersten Besuch hier entdeckt hatte.

»Gib acht!« sagte Serena aufgeregt. »Jetzt geschieht es!«»Wasgesch-« begann Mike.

Zuerst war es nur ein seltsamer, schwingender Ton, der aus dem Nirgendwo zu kommen schien und den er viel weniger zu hören als mehr zuspürenschien; und es war ein Ton, wie er ihn noch nie zuvor vernommen hatte. Er war unglaublich schön; ein sphärisches, an-und abschwellendes Geräusch, das etwas in ihm berührte und ebenfalls zum Klingen brachte. Es war, als hörte er die Stimmen der Sterne. Dann sah er das Licht. Es glomm im Zentrum des in den Stein gemeißelten Kreises auf und breitete sich rasch darin aus, wie leuchtende Tinte in bewegtem Wasser. Die gezackten Linien, die vom äußeren Rand des Kreises ausgingen, begannen ebenfalls zu leuchten, und dann loderte das gesamte Gebilde in einem so hellen, strahlenden Licht auf, daß Mike geblendet die Hand vor die Augen hob und nur noch durch die Finger hindurchblinzeln konnte. »Was ist das?« fragte er.

»Der Weg nach Hause«, antwortete Lady Grandersmith. Ihre Stimme zitterte. »Sie haben es geschafft. Nach all den Jahren haben sie endlich den Weg zurück gefunden!«

Mike sah sie an und stellte fest, daß ihr die Tränen über das Gesicht liefen. »Sieh doch nur!« sagte Serena.

Mikes Blick folgte ihrer Geste wieder zum Licht. Die gleißende Helligkeit trieb ihm die Tränen in die Augen, aber was er erblickte, das war so unglaublich, daß er es kaum spürte.

Die schwarzgekleideten Gestalten traten mit ihrer Last einer nach der anderen in das Zentrum dieses lodernden Lichtes hinein -und verschwanden darin. Ihre Körper schienen sich aufzulösen, wie Eiskristalle, die direkt in die Sonne hineingefallen waren, aber es war nichts Zerstörerisches an diesem Anblick, er spürte keine Angst, sondern ein Gefühl des Glücks und der Erleichterung, das nicht aus ihm selbst kam, sondern von außen auf ihn einstürmte.

»Das... das ist... «

»Der Weg nach Hause«, führte Lady Grandersmith den Satz zu Ende. »Sie haben so lange auf diesen Tag gewartet, so unvorstellbar lange. Und nun ist es ihnen endlich vergönnt. «

Ja,dachte Mike.Aber um welchen Preis.Lady Grandersmith schien seine Gedanken zu spüren. »Was hast du?« fragte sie.

»Nichts«, sagte Mike. Um das Thema zu wechseln, drehte er sich zu Serena um. »Ich bin nur erleichtert, daß es vorbei ist. Und daß es dir gut geht. Wohin haben sie dich gebracht?«

»An einen Ort, über den ich nicht reden darf«, antwortete Serena, und es klang so einfach und zugleich so überzeugend, daß Mike diese Antwort ebenso akzeptierte, wie Trautman seine Antwort an Bord der NAUTILUS. »Aber warum weichst du Lady Grandersmith aus? Sie ist nicht deine Feindin. Im Gegenteil. Sie wollte nur helfen. «

»Das glaube ich Ihnen«, sagte Mike. »Es ist nur... «

»Was?« fragte Lady Grandersmith. »Keine Angst. Du kannst ganz frei sprechen. Sie würden niemals einem Menschen ein Leid antun. «

»So?« fragte Mike. »Und was war vor vier Jahren auf der TITANIC?«

Lady Grandersmith schwieg eine ganze Weile. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, und als sie endlich antwortete, klang ihre Stimme verändert und traurig. »Ich muß dir ihre Geschichte erzählen, glaube ich«, sagte sie. »Du weißt nun schon so viel, daß du wohl ein Recht dazu hast, und ich glaube, ich kann dir vertrauen. Sie kamen vor sehr langer Zeit hierher, weißt du? Vor Tausenden und aber Tausenden von Jahren, lange bevor es uns gab, ja bevor es Serenas Volk gab. Sie waren Reisende, Forscher. Das Schiff, mit dem sie kamen, stürzte ab, so daß ihnen der Weg nach Hause verwehrt blieb. Sie werden sehr alt, mußt du wissen, aber auch ihr Leben ist begrenzt, und die Zeit, die ihr Hilferuf nach Hause brauchte, war hundertmal länger, als sie zu leben hatten. Also versetzten sie sich in einen Schlaf, von dem nur einige wenige ausgenommen blieben. Die Wächter, die über die Schlafenden wachten. Niemand wußte, daß sie hier waren - außer einiger weniger Eingeweihten, zu denen auch mein Mann und ich gehörten. Das Schiff, das vor vier Jahren kam, sollte sie abholen, aber es kam anders. Alles war vorbereitet, die Kokons in aller Heimlichkeit, nachts und auf hoher See, zu übernehmen. Aber das Schicksal hat es nicht so gewollt. Weder Yasal noch Hasim oder Sulan wissen, was in jener Nacht wirklich geschehen ist -ob der Pilot des Schiffes einen Fehler beging, der Kapitän der TITANIC, und wahrscheinlich wird es auch niemand je herausfinden. Das Schiff kollidierte mit der TITANIC, und beide sanken, das ist alles, was wir wissen. « »Ja, und tausendfünfhundert Menschen fanden den Tod«, sagte Mike traurig. »Ich weiß, daß es keine Absicht war, Lady Grandersmith. Es war nur ein Unfall. Aber es... ich kann es einfach nicht vergessen. « »Und jetzt glaubst du, es wäre ihnen gleich?« fragte Lady Grandersmith sanft.

Mike zuckte mit den Achseln. »Ich... weiß einfach nicht, was ich glauben soll«, gestand er. »Und du hast immer noch Angst vor ihnen«, stellte Lady Grandersmith fest. »Weil du glaubst, daß ihnen ein Menschenleben nichts gilt. «

»Yasal hat sich selbst geopfert, um alle Spuren zu verwischen«, sagte Singh. »Und Mike und ich -und nun auch Serena und Sie selbst, Lady Grandersmith, das sollten Sie bedenken, sind die einzigen Menschen, die überhaupt von ihrer Existenz wissen. «

Lady Grandersmith' Miene wurde ernst. »Ich verstehe«, sagte sie. »Ihr habt Angst, daß sie uns alle töten, jetzt, wo sie am Ziel sind. « Sie schüttelte den Kopf. »Ja, ich glaube, ich kann euch verstehen. Aber da ist etwas, was ihr nicht wissen könnt. « »Und was?« fragte Singh.

Statt direkt zu antworten, stellte Lady Grandersmith eine Frage: »Ist euch nicht aufgefallen, daß es an Bord der TITANIC keine Toten gab?«

»Doch«, antwortete Mike überrascht. »Aber woher wissenSiedavon?«

Lady Grandersmith lächelte flüchtig. »Weil ich an Bord war«, antwortete sie. »Ich habe erlebt, was geschah. Das Schiff, das mit der TITANIC zusammenstieß, hatte eine ähnliche Apparatur wie dies an Bord«, sagte sie mit einer Geste auf das lodernde Lichttor. »Als sein Kapitän sah, was geschehen war, da nutzte er all seine Macht und alle Möglichkeiten seines Schiffes, um das Schlimmste zu verhindern. EsgabTote, ja, aber nur einige wenige. Die meisten konnte er retten. « »Retten?« fragte Mike ungläubig. »Aber... aber wie denn?«

Lady Grandersmith deutete abermals auf das Lichttor und fuhr fort. »Auf diesem Wege. Die Maschine und auch das Sternenschiff wurden zerstört, als sie auf dem Meeresboden aufschlugen, und all seine Besatzungsmitglieder fanden den Tod, aber zuvor konnten Hasims Brüder die allermeisten Passagiere retten. « Ihre Stimme wurde leise und traurig. »Die Zeit reichte, um die menschliche Besatzung der TITANIC in Sicherheit zu bringen, aber nicht mehr für ihre Ladung. « Mike begriff nun, was Lady Grandersmith damit gesagt hatte. »Sie... Sie meinen, Sie haben sich selbst geopfert und ihre Aufgabe nicht erfüllt -« »-um das Leben unschuldiger Menschen zu retten, ja«, sagte Lady Grandersmith. Sie lächelte wieder, aber plötzlich sah Mike, daß dieses Lächeln gar nicht ihm galt, sondern auf einen Punkt hinter ihnen gerichtet war. Er drehte sich herum.

Der Zug der Schwarzgekleideten war fast zu Ende. Aus dem Wasser erschienen keine weiteren Gestalten mehr, und auch die Reihe, die auf das leuchtende Tor durch Raum und Zeit zugingen, wurde bereits kürzer. Es mußte fast Mitternacht sein. Nur eine einzelne Gestalt näherte sich Mike, und obwohl sie sich äußerlich nicht von all den anderen unterschied, erkannte Mike sie sofort. Es war Hasim. In einigen Schritten Entfernung blieb er stehen und blickte Mike aus seinen grundlosen, schwarzen Augen an. »Es tut mir leid«, sagte Mike. »Bitte glaube mir. Ich... ich habe dir mißtraut, aber das war ein Fehler. Denkt nicht zu schlecht über uns, wenn ihr nach Hause kommt. «

Hasim blickte ihn weiter an, dann drehte er sich ohne irgendeine sichtbare Reaktion herum und näherte sich als letzter dem leuchtenden Tor.

Als letzter seiner Art, hieß das. Kurz bevor er in das Licht hineintrat, folgte ihm Lady Grandersmith. »Aber was tun Sie denn da?« rief Mike überrascht. »Um Gottes willen, Lady Grandersmith!« Lady Grandersmith blieb noch einmal stehen und sah lächelnd zu Serena, Singh und ihm zurück. »Habt keine Angst um mich«, sagte sie. »Ich begleite sie. Das ist meine Belohnung für meine Hilfe. Ich habe all die Jahre davon geträumt. Und nun lebt wohl!« Mike setzte dazu an, sie noch einmal zurückzurufen, aber Serena legte ihm rasch die Hand auf den Arm. »Laß sie«, sagte sie. »Sie weiß, was sie tut. Und sie wird sehr glücklich sein, dort, wo sie ist, glaub mir. « Nebeneinander verschwanden die beiden Gestalten in dem lodernden Licht, und sie hatten es kaum getan, da begann der Schein schon wieder zu verblassen. Aber eine Sekunde, bevor es endgültig geschah, hörte Mike zum ersten Mal in seinem Leben etwas, von dem er gar nicht gewußt hatte, daß es existierte: Hasims Stimme. Sie erklang direkt in seinem Kopf, und was sie sagte, das sollte er niemals wieder vergessen, denn es war ein Versprechen, das so ehrlich und so fest war wie das, das er Yasal gegeben hatte und ebenso sicher eingehalten werden würde.

Es gibt nichts, was ich dir verzeihen müßte. Du bist, wie deine Art ist, so wie wir sind, wie unsere Art ist. Leb wohl, Menschenkind.

Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, denn wir kommen zurück.

Irgendwann. Wir können so viel voneinander lernen - wir von euch und ihr von uns.

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