DAS KOMMEN DER MARTIER

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Zeit: Donnerstag, den 26. März 1964 in den frühen Abendstunden.

Ort: Eine Zweizimmer-Wohnhütte in dem Wüstengelände rings um Indio, Kalifornien, etwa eine Meile von der nächsten menschlichen Behausung entfernt und ungefähr hundertfünfzig Meilen östlich und etwas südlich von Los Angeles.

Auf der Bühne beim Aufgehen des Vorhangs: Luke Devereaux, allein.

Warum fangen wir mit ihm an? Warum nicht; irgendwo müssen wir schließlich anfangen. Und Luke, als Verfasser utopischer Romane, hätte auf die kommenden Ereignisse besser vorbereitet sein sollen als andere Leute.

Machen wir uns also mit ihm bekannt. Siebenunddreißig Jahre alt, etwa 1,65 groß und von entsprechendem Gewicht. Üppig wucherndes rötliches Haar, das nur durch Frisiercreme zu bändigen war. Er benützte jedoch nie welche. Unter dem Haar ziemlich hellblaue Augen, die häufig geistesabwesend in die Ferne starrten; Augen von der Sorte, daß man nie mit Sicherheit sagen konnte, ob sie einen wahrnahmen, auch wenn sie einen anblickten. Unter den Augen eine lange schmale Nase ziemlich genau in der Mitte eines nicht übermäßig langen Gesichts, auf dem ein Bartwuchs von achtundvierzig Stunden sproßte.

Im gegenwärtigen Augenblick (20.14 Uhr Pazifische Standardzeit) mit einem weißen T-Hemd bekleidet, auf dem in roter Farbe die Buchstaben Y. W. C. A. (Christlicher Verein junger Frauen) prangten, ausgeblichenen Hosen sowie schiefgetretenen Halbschuhen.

Man lasse sich nicht durch das Y. W. C. A. auf dem Hemd irritieren. Luke hat diesem Verein nie angehört und wird ihm nie angehören. Das Hemd stammte aus dem Besitz von Margie, seiner Frau oder früheren Frau. (Luke wußte selbst nicht genau, wie es sich damit verhielt; sie hatte sich vor sieben Monaten von ihm scheiden lassen, aber das Scheidungsurteil würde erst in weiteren fünf Monaten Rechtsgültigkeit erlangen.) Als sie sich von ihm getrennt hatte, mußte sie das Hemd zurückgelassen haben. In Los Angeles trug er selten derartige Hemden und hatte es erst diesen Morgen entdeckt. Da es ihm paßte — Margie war von kräftiger Statur — hatte er es angezogen und sich entschlossen, es in der Wüsteneinsamkeit hier draußen solange zu tragen, bis es schmutzig war und er es als Putzlappen verwenden konnte. Es zurückzubringen oder zurückzuschicken, lohnte nicht, selbst wenn er mit Margie auf besserem Fuße gestanden hätte. Margie war schon lange vor der Scheidung aus dem Y. W. C. A. ausgetreten und hatte es seitdem nicht mehr angehabt. Vielleicht hatte sie es aus Schabernack unter seine Hemden gesteckt, aber wenn er bedachte, in welcher Stimmung sie von ihm gegangen war, erschien ihm das zweifelhaft.

Wenn sie es hinterlassen hatte, um ihm einen Streich zu spielen — der Gedanke war ihm tagsüber flüchtig durch den Sinn gehuscht — so war ihr das mißlungen, weil er es zu einer Zeit entdeckt hatte, da er allein war und es tragen konnte. Und wenn sie es in der Absicht dagelassen hatte, damit er es finden, an sie denken und sich grämen sollte, so hatte sie sich auch darin geirrt. Hemd oder kein Hemd, er dachte selbstverständlich gelegentlich an sie, empfand aber nicht das geringste Bedauern. Er hatte sich aufs neue verliebt — in ein Mädchen, das in fast allem das genaue Gegenteil von Margie war. Sie hieß Rosalind Hall und arbeitete als Stenographin in den Paramount Studios. Er war regelrecht verknallt in sie. Verschossen und vernarrt.

Das war zweifellos auch einer der Gründe, weshalb er im Augenblick allein hier draußen in der Hütte war, Meilen entfernt von einer ordentlichen Straße. Die Hütte gehörte einem seiner Freunde, Carter Benson, der ebenfalls Schriftsteller war und sich während der kühleren Jahreszeit mitunter zu demselben Zweck hierher zurückzog, aus dem Luke jetzt hier weilte — um ungestört zu sein, eine Geschichte zu schreiben und Geld damit zu verdienen.

Es war Lukes dritter Tag hier draußen, und er hatte noch immer nichts geschrieben. An Einsamkeit hatte es nicht gefehlt. Kein Telefon, kein Briefträger, nicht einmal von weitem war ihm ein menschliches Wesen zu Gesicht gekommen.

Jetzt glaubte er endlich eine Idee gefunden zu haben, zwar noch viel zu vage und unbestimmt, um etwas davon zu Papier zu bringen, noch nicht einmal für kurze Notizen geeignet, aber doch so etwas wie einen Ansatzpunkt in einer bestimmten Gedankenrichtung. Das war ein Anfang, wie er hoffte, und, verglichen mit seinem Zustand in Los Angeles, ein gewaltiger Fortschritt.

Dort hatte er sich in der schlimmsten Krise seiner schriftstellerischen Laufbahn befunden und war fast buchstäblich wahnsinnig geworden darüber, daß er seit Monaten kein Wort mehr geschrieben hatte. Verschlimmernd war noch hinzugekommen, daß sein New Yorker Verleger ihm durch eine Anzahl Luftpostbriefe die Hölle heiß gemacht und zum mindesten einen T i t e l von ihm verlangt hatte, damit er das Buch ankündigen könnte. Wann er wohl damit fertig sein würde und mit welchem Erscheinungstermin man rechnen könnte? Da man ihm fünfhundert Dollars Vorschuß gezahlt hatte, besaßen die Leute ein Recht, sich danach zu erkundigen.

Endlich hatte ihn absolute Verzweiflung — und es gibt wenig Verzweiflungszustände, die so absolut sind, wie die eines Schriftstellers, der etwas schreiben möchte und nicht kann — dazu bewogen, sich die Schlüssel zu Carter Bensons Hütte auszuleihen, wo er sich solange aufzuhalten gedachte, wie ihm nötig schien. Glücklicherweise hatte Benson gerade einen Halbjahresvertrag mit einer Filmgesellschaft in Hollywood unterzeichnet und würde die Hütte zum mindesten solange nicht benutzen.

Und nun war er hier, und hier würde er bleiben, bis er den Plan zu einem Buch entworfen und mit der Niederschrift begonnen hatte. Beenden brauchte er es hier nicht; einmal im Gange damit, brauchte er keine Unterbrechung mehr zu befürchten und konnte beruhigt in seine Stadtwohnung zurückkehren und seine Abende mit Rosalind Hall verbringen.

Und nun lief er schon seit drei Tagen von früh um neun bis nachmittags um fünf im Zimmer auf und ab und versuchte sich zu konzentrieren. Nüchtern, mitunter fast an der Grenze des Wahnsinns. Da er wußte, daß er seinem Gehirn nicht noch mehr zumuten durfte, benützte er die Abende zur Entspannung und zur Lektüre und gönnte sich einen Schluck Alkohol. Fünf Gläser, um genau zu sein, eine Menge, von der er wußte, daß er sie ohne Nachwirkungen vertragen konnte. Er teilte sich die fünf Gläser so ein, daß er bis elf Uhr nachts damit auskam. Punkt elf war Schlafenszeit für ihn hier draußen in der Hütte. Es ging nichts über eine gewisse Ordnung und Regelmäßigkeit — nur daß es ihm bisher noch nicht viel genützt hatte.

Um 20.14 Uhr hatte er sich das dritte Glas eingegossen, das Glas, das bis neun reichen mußte, und hatte soeben zum zweiten Mal daran genippt. Er versuchte zu lesen, kam aber nicht recht voran damit, da seine Gedanken dauernd abschweiften, von seiner Lektüre zu dem, was er schreiben wollte. Gedanken haben das so an sich.

Und da er sich nicht dazu zwang, gelangte er so nahe an die Idee zu einer Geschichte heran wie seit langem nicht. Er dachte müßig darüber nach, was geschehen würde, wenn die Martier . . . Plötzlich klopfte es.

Verblüfft starrte er für einen Augenblick auf die Tür, setzte dann erst sein Glas ab und erhob sich aus seinem Stuhl. Der Abend war so still, daß ein Auto sich nicht genähert haben könnte, ohne daß er es gehört hätte, und zu Fuß kam bestimmt niemand hier heraus.

Wieder klopfte es, diesmal lauter.

Luke trat an die Tür, öffnete sie und blickte hinaus in das helle Mondlicht. Zuerst sah er niemand, dann senkte er den Blick.

„Nein, das ist ja wohl nicht möglich!" sagte er.

Es war ein grünes Männchen, ungefähr dreiviertel Meter groß.

„He, Mack", sagte es. „Ist dies die Erde?"

„Nein", wiederholte Luke Devereaux. „Das kann doch nicht möglich sein!"

„Warum nicht? Es muß. Schau mal." Das Männchen zeigte nach oben. „Ein einziger Mond und ungefähr von der richtigen Größe und in der richtigen Entfernung. Die Erde ist der einzige Planet mit einem Mond. Mein Planet hat zwei."

„O, Gott!" stöhnte Luke. Es gab im Sonnensystem nur einen Planeten mit zwei Monden.

„Komm zu dir, Mack. Ist dies die Erde oder nicht?"

Luke nickte stumm.

„Okay", sagte das Männchen. „Das hätten wir also klargestellt. Und jetzt sag mal, was ist eigentlich mit dir los?"

Luke stammelte etwas Unzusammenhängendes.

„Bist du blödsinnig? Und ist dies eure Art, Fremde zu empfangen? Willst du mich nicht auffordern, herein zu kommen?"

Luke sagte: „B-bitte schön" und trat zurück.

Drinnen blickte der Martier sich um und runzelte die Stirn. „Was für eine vorsintflutliche Höhle!" sagte er. „Wohnt ihr alle so oder bist du nur so heruntergekommen? Teufel, was für geschmacklose Möbel!"

„Ich hab sie nicht ausgewählt", verteidigte sich Luke. „Sie gehören einem meiner Freunde."

„Dann hast du einen verdammt schlechten Geschmack, was die Auswahl deiner Freunde angeht. Bist du allein hier?"

„Das", sagte Luke, „frage ich mich eben. Ich bin mir noch nicht klar, ob ich dich für wirklich oder für eine Halluzination halten soll."

Der Martier vollführte einen Sprung und landete auf einem Stuhl, wo er mit herunter baumelnden Beinen sitzen blieb. „Wenn du mich für eine Halluzination hältst, hast du Sägespäne im Gehirn, Freundchen."

Luke sperrte den Mund auf und klappte ihn wieder zu. Plötzlich entsann er sich seines halbvollen Glases und griff hinter sich, wobei er es mit dem Handrücken umstieß. Es ging zwar nicht entzwei, aber der Inhalt floß über den Tisch und auf den Fußboden, ehe er es verhindern konnte. Er fluchte, doch dann fiel ihm ein, daß der Whisky ziemlich verdünnt gewesen war. Und unter den obwaltenden Umständen gelüstete es ihn nach einem unverdünnten, kräftigen Schluck. Er trat an den Ausguß, wo die Flasche stand, und schenkte sich einen halben Becher voll ein.

Langsam ließ er die brennende Flüssigkeit durch seine Kehle rinnen und erstickte beinahe daran. Als er sicher war, daß er sie bei sich behalten werde, kam er zurück, nahm wieder Platz und starrte seinen Besucher an.

„Möchtest dir wohl gern einen ansaufen, wie?" sagte der Martier.

Luke würdigte ihn keiner Antwort. Und ob er sich einen ansaufen würde! Langsam aber sicher. Er sah jetzt, daß sein Besucher zwar von menschlicher Gestalt aber ganz und gar nicht menschlich war. Damit zerstreute sich der leichte Verdacht, daß einer seiner Freunde einen Zirkuszwerg gemietet haben könnte, um ihm einen Streich zu spielen.

Martier oder nicht, sein Besucher hatte nichts Menschliches. Er konnte kein Zwerg sein, weil sein Rumpf sehr kurz war und in genauem Verhältnis zu seinen spindeldürren Armen und Beinen stand; Zwerge haben einen langen Rumpf und kurze Beine. Sein Kopf war verhältnismäßig groß und fast kreisrund, der Schädel völlig kahl. Es war auch nicht das geringste Anzeichen für einen Bart vorhanden, und Luke wurde das Gefühl nicht los, daß das Geschöpf am ganzen Körper unbehaart sein müsse.

Das Gesicht — nun, es wies alle Merkmale eines Gesichts auf, aber auch hier war alles außer Proportion. Der Mund war im Verhältnis doppelt so groß wie ein menschlicher Mund, die Nase ebenfalls; die Augen waren klein und durchdringend und standen ziemlich dicht beisammen. Auch die Ohren waren sehr klein und hatten keine Läppchen. Im Mondlicht hatte die Haut olivengrün ausgesehen; hier bei künstlicher Beleuchtung schimmerte sie smaragdgrün.

Jede Hand hatte sechs Finger. Das bedeutete, daß er vermutlich auch zwölf Zehen hatte, aber da er Schuhe trug, ließ sich das nicht mit Bestimmtheit feststellen.

Die Schuhe waren dunkelgrün, die übrigen Kleidungsstücke ebenfalls — enganliegende Hosen und ein lose sitzendes Wams, aus dem gleichen Material hergestellt — etwas, das wie Charmeuse aussah oder wie weiches Ziegenleder. Kein Hut.

„Langsam fange ich an, an dich zu glauben", sagte Luke und nahm noch einen Schluck.

Der Martier knurrte: „Sind alle Menschen so beschränkt wie du? Und so unhöflich? Trinkt man bei euch, ohne seinen Gästen etwas anzubieten?"

„Verzeihung", sagte Luke. Er erhob sich, um die Flasche und ein zweites Glas zu holen.

„Nicht, daß ich besonders scharf darauf wäre", erklärte der Martier. „Ich trinke nämlich nicht. Ekelhafte Angewohnheit. Aber du hättest mir wenigstens etwas anbieten können."

Luke setzte sich wieder und seufzte.

„Das hätte sich freilich gehört", sagte er. „Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Fangen wir also von vorn an. Ich heiße Luke Devereaux."

„Verdammt alberner Name."

„Deiner wird mir vielleicht auch komisch vorkommen. Darf man sich danach erkundigen?"

„Man darf."

Luke seufzte erneut. „Also schön. Wie heißt du?"

„Wir Martier verwenden keine Namen. Lächerlicher Brauch."

„Sie sind aber ganz nützlich, wenn man jemand rufen will. Sag mal, hast du mich nicht mit Mack angeredet?"

„Klar. Wir nennen jeden Mack oder so ähnlich. Kommt darauf an, in welcher Sprache wir sprechen. Warum soll man sich erst die Mühe machen, einen neuen Namen für jeden zu lernen, mit dem man redet?"

Luke setzte das Glas noch einmal an. „Hmm", machte er, „daran ist etwas, aber lassen wir das jetzt und kommen wir zu etwas Wichtigerem. Wie soll ich wissen, ob du wirklich da bist?"

„Mack, ich hab dir doch gesagt, du hast Sägespäne im Gehirn."

„Das ist es ja gerade", sagte Luke. „Hab ich wirklich welche? Wenn du tatsächlich da bist, muß ich dir zugestehen, daß du nicht menschlich bist, und wenn ich das zugebe, dann besteht kein Grund, warum ich dir deine Herkunft nicht glauben sollte. Bist du aber nicht vorhanden, dann bin ich entweder betrunken oder jemand macht mir etwas vor. Nun bin ich aber nicht betrunken, das weiß ich ganz genau; vor deinem Auftauchen hatte ich erst zwei Gläser getrunken, schwache noch dazu, die ich kaum gespürt habe."

„Wozu dann überhaupt erst?"

„Das gehört nicht zu unserem Thema. Es bleiben also nur zwei Möglichkeiten — du bist entweder wirklich vorhanden oder ich bin verrückt."

Der Martier gab ein unanständiges Geräusch von sich. „Und wieso glaubst du, daß diese Möglichkeiten sich gegenseitig ausschließen? Ich bin tatsächlich vorhanden, darauf kannst du dich verlassen. Aber ich weiß nicht, ob du verrückt bist oder nicht, und es ist mir auch völlig egal."

Luke seufzte. Es bedurfte anscheinend so manchen Seufzers, um mit einem Martier auszukommen. Oder so manchen Glases. Sein Glas war leer. Er ging und füllte es. Wiederum mit purem Whisky, nur daß er diesmal ein paar Eiswürfel hinzufügte.

Ehe er sich wieder hinsetzte, kam ihm ein Gedanke. Er stellte sein Glas ab, sagte: „Einen Augenblick, bitte", und ging ins Freie. Wenn der Martier wirklich war und tatsächlich vom Mars stammte, dann mußte draußen irgendwo ein Weltraumschiff liegen.

Aber was wäre damit bewiesen, fragte er sich? Wenn es ihm einen Martier vorgaukelte, konnte es ihm dann nicht ebenso gut ein Weltraumschiff vortäuschen?

Es war jedoch weit und breit kein Weltraumschiff zu sehen, weder ein eingebildetes noch ein wirkliches. Der Mond schien hell, das Land war flach und eben, man konnte ziemlich weit sehen. Er ging um die Hütte herum und umschritt seinen dahinter parkenden Wagen, so daß er nach allen Richtungen Ausschau halten konnte. Kein Weltraumschiff.

Er ging wieder hinein, machte es sich bequem, nahm einen tüchtigen Schluck und deutete mit ausgestrecktem Finger plötzlich anklägerisch auf den Martier. „Kein Weltraumschiff", sagte er.

„Selbstverständlich nicht."

„Wie bist du dann hergekommen?"

„Das geht dich einen Dreck an, aber ich will es dir verraten. Ich bin gekwimmt."

„Was heißt das?"

„Paß mal auf", sagte der Martier. Und war plötzlich aus seinem Stuhl verschwunden. Die Worte „paß mal" waren aus dem Stuhl gekommen und das Wort „auf1 erklang hinter Lukes Rücken.

Er fuhr herum. Der Martier saß auf der Kante des Gasherdes.

„Mein Gott!" sagte Luke. „Teleportation!"

„Teleportation, Unsinn", sagte der Martier. „Dazu bedarf es eines technischen Apparates. Kwimmen ist eine rein geistige Angelegenheit. Ihr könnt es nicht, weil ihr nicht genug Geist habt."

Luke nahm noch einen Schluck. „Und du bist die ganze Strecke vom Mars auf diese Weise hierher gekommen?"

„Klar. Den Augenblick, bevor ich hier anklopfte."

„Hast du hier schon einmal gekwimmt? Sag mal —" wieder deutete Luke mit dem Finger auf ihn, „ich möchte wetten, daß ihr, du und deinesgleichen, das schon öfter hier getan habt, was viele abergläubische Vorstellungen erklären würde."

„Unfug", sagte der Martier. „Eure abergläubischen Vorstellungen rühren daher, daß ihr Sägespäne im Gehirn habt. Ich bin noch nie hier gewesen. Keiner von uns war jemals hier. Wir haben die Technik des Lang-strecken-Kwimmens gerade erst gelernt. Vorher ging es nur über kurze Entfernungen. Um es im interplanetarischen Maßstab zu tun, muß man über Hokima Bescheid wissen."

Wieder streckte Luke den Finger aus. „Jetzt hab ich dich! Wie kommt es dann, daß du Englisch sprichst?"

Der Martier kräuselte die Lippen. Sie waren wie geschaffen dazu. „Ich spreche eure sämtlichen leichten und albernen Sprachen. Zum mindesten alle die, in denen eure Rundfunkstationen senden, und falls es noch andere geben sollte, so kann ich jede von ihnen innerhalb einer Stunde lernen. Kinderleicht. Unsere Sprache würdest du in tausend Jahren nicht erlernen."

„Der Teufel soll mich holen", sagte Luke. „Kein Wunder, daß ihr nicht viel von uns haltet, wenn eure Vorstellungen über uns aus unseren Rundfunksendungen stammen. Ich gebe zu, daß die meisten widerwärtig sind."

„Wie ihr alle, sonst würdet ihr sie nicht ausstrahlen."

Luke war nahe daran, seine Beherrschung zu verlieren und nahm noch einen Schluck. Jetzt zweifelte er nicht mehr an der Echtheit seines Besuchers und hielt ihn nicht länger für ein Produkt seiner Phantasie oder seiner Verrücktheit. Wenn er, Luke, wahnsinnig war, dann ließ sich nichts daran ändern, aber wenn dies ein wahrhaftiger Martier war, dann ließ er sich als Verfasser utopischer Romane eine einmalige Gelegenheit entgehen.

„Wie ist es denn auf dem Mars?" fragte er.

„Geht dich einen Dreck an, Mack."

Luke griff erneut zum Glase. Er zählte bis zehn und versuchte so ruhig und vernünftig zu bleiben, wie er konnte.

„Hör mal zu", sagte er. „Ich war zuerst unhöflich, weil ich überrascht war. Es tut mir leid, und ich bitte um Entschuldigung. Können wir nicht Freunde sein?"

„Warum sollten wir? Du gehörst einer minderwertigen Rasse an."

„Wenn schon aus keinem anderen Grunde, dann nur deswegen, damit es die Unterhaltung für uns beide etwas angenehmer macht."

„Nicht für mich, Mack. Ich habe es gern, wenn mir Leute mißfallen. Ich streite mich gern. Wenn du dich zieren und dich anstellen willst, dann such ich mir jemand anderen, mit dem ich schwatzen kann."

„Halt, warte doch." Luke sah plötzlich ein, daß er eine falsche Taktik anwendete, wenn er den Martier zum Bleiben bewegen wollte. Er sagte: „Dann scher dich gefälligst 'raus, wenn das deine Einstellung ist."

Der Martier grinste. „Das ist besser. So kommen wir schon eher weiter."

„Warum bist du auf die Erde gekommen?"

„Auch das geht dich nichts an, aber ich will dir mit Vergnügen einen Hinweis geben. Warum geht ihr Leute hier auf diesem lausigen Planeten in den Zoo?"

„Wie lange gedenkst du hier zu bleiben?"

Der Martier neigte den Kopf zur Seite. „Du bist schwer zu überzeugen, Mack. Ich bin aber nicht Aus -kunft, bitte. Was ich mache und warum, geht dich gar nichts an. Um einen Kindergarten aufzumachen, bin ich schon gar nicht hier."

Lukes Glas war wieder leer. Er füllte es.

Er starrte den Martier an. Wenn der Kerl Streit suchte, warum nicht? „Du kleine grüne Warze", sagte er, „man müßte dich —"

„Müßte was? Mir etwas antun? Du und wer noch?"

„Ich, eine Kamera und ein Blitzlicht", sagte Luke, verwundert, daß er nicht schon früher daran gedacht hatte. „Ich werde zum mindesten eine Aufnahme von dir machen. Und wenn ich sie dann entwickelt habe —"

Er stellte das Glas ab und ging in das Schlafzimmer. Zum Glück war ein Film in der Kamera und eine Patrone in der Blitzlichtlampe; er hatte sie in seinen Koffer gesteckt, keineswegs in der Erwartung, einen Martier zu fotografieren, sondern weil Benson ihm erklärt hatte, daß nachts oft Präriehunde um die Hütte herumstreunten und er gehofft hatte, einen auf die Platte zu bekommen.

Er eilte zurück, stellte die Kamera rasch ein, hob sie mit der einen Hand empor und die Blitzlichtlampe mit der anderen.

„Soll ich mich in Positur werfen?" fragte der Martier. Er steckte seine Daumen in die Ohren, schielte und streckte eine lange, grüngelbliche Zunge heraus.

Luke machte die Aufnahme.

Er steckte eine andere Patrone in die Lampe, schraubte den Film weiter und brachte die Kamera erneut in Anschlag. Aber der Martier war nicht mehr vorhanden. Seine Stimme kam aus einer anderen Zimmerecke: „Eine genügt, Mack. Gib dir weiter keine Mühe, es hat doch keinen Zweck."

Luke fuhr herum, richtete die Kamera, aber ehe er die Lampe emporgehoben hatte, war der Martier verschwunden. Und eine Stimme hinter seinem Rücken riet ihm, es genug sein zu lassen und einen nicht noch größeren Narren aus sich zu machen.

Luke gab es auf und stellte die Kamera beiseite. Schließlich war ihm eine Aufnahme gelungen. Wenn sie entwickelt war, würde entweder ein Martier darauf sein oder nicht. Nur schade, daß es kein Farbfilm war, aber alles Gute war eben nie beisammen.

Er nahm sein Glas wieder in die Hand. Setzte sich damit hin, weil der Boden unter seinen Füßen plötzlich ein wenig zu schwanken schien. Um ihn zu festigen, nahm er noch einen Schluck.

„Hör mal", sagte er. „Ihr empfangt unsere Radiosendungen. Was ist denn mit Fernsehen? Seid ihr hinter der Zeit zurück?"

„Was ist Fernsehen?"

Luke klärte ihn darüber auf.

„Derartige Wellen reichen nicht so weit", sagte der Martier. „Ein Glück! Es ist schon schlimm genug, euch zuzuhören. Seit ich einen von euch zu Gesicht bekommen habe und weiß, wie ihr ausseht —"

„Dummheit", sagte Luke. „Ihr habt das Fernsehen einfach nie erfunden."

„Natürlich nicht. Brauchen es nicht. Wenn sich irgendwo in unserer Welt etwas ereignet, was wir sehen möchten, kwimmen wir hin. Sag mal, bist du eigentlich eine Mißgeburt oder sind alle Leute hier so häßlich wie du?"

Luke nahm gerade einen Schluck, der ihm fast in der Kehle stecken blieb. „Ja, meinst du denn, d u wärst ein schöner Anblick!"

„Für irgendeinen anderen Martier schon."

„Ich wette, die kleinen Mädchen sind ganz verrückt nach dir", sagte Luke. „Das heißt, falls ihr bisexuell seid wie wir und es Marsmädchen gibt."

„Wir sind bisexuell, aber Gott sei Dank nicht so wie ihr. Macht ihr eigentlich in dem abscheulichen Stil weiter wie die Personen in euren Hörspielen? Und seid ihr in dem, was ihr Liebe nennt, mit einer eurer Frauen zusammen?"

„Das geht dich gar nichts an", erklärte Luke ihm.

„Das meinst du", sagte der Martier.

Und verschwand.

Luke erhob sich — ein wenig unsicher auf den Beinen — und blickte sich um, ob er in eine andere Ecke des Zimmers gekwimmt wäre. Er war nirgends zu sehen.

Luke setzte sich wieder, schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, und nahm noch einen Schluck, um seine Sinne erneut zu benebeln.

Zum Glück habe ich die Aufnahme, dachte er. Morgen früh würde er nach Los Angeles fahren und sie entwickeln lassen. Wenn nur ein leerer Stuhl darauf zu sehen war, würde er sich in die Behandlung eines Psychiaters begeben, aber schleunigst. Wenn ein Martier darauf war — nun, dann war immer noch Zeit zu überlegen, was man unternehmen könnte, wenn überhaupt etwas.

Sich in der Zwischenzeit so schnell wie möglich zu betrinken, schien ihm das einzig Vernünftige. Er war bereits zu betrunken, um noch in dieser Nacht zurückzufahren, und je schneller er sich in Schlaf trank, umso früher würde er am Morgen aufwachen.

Er schloß die Augen für einen Augenblick, und als er sie öffnete, saß der Martier wieder auf dem Stuhl.

Ihn angrinsend: „Ich war eben in deinem Schlafzimmer, diesem Saustall, und hab deine Korrespondenz gelesen. Puh! Was für Quatsch!"

Korrespondenz? Ich hab doch gar keine Korrespondenz hier, dachte Luke. Doch dann entsann er sich an das kleine Bündel mit drei Briefen von Rosalind, die sie ihm geschrieben hatte, als er vor drei Monaten in New York bei seinem Verleger gewesen war, um Vorschuß auf ein neues Buch zu bekommen. Er hatte sich eine Woche dort aufgehalten, hauptsächlich, um die Bekanntschaft mit Zeitschriftenredakteuren zu erneuern; er hatte täglich an Rosalind geschrieben, und sie hatte nur drei Mal geantwortet. Es waren die einzigen Briefe, die er je von ihr erhalten hatte, und er hatte sie sorgfältig aufbewahrt, sie in seinen Koffer verstaut, um sie hier draußen noch einmal durchzulesen, wenn es ihm zu einsam wurde.

„Gott, was für Schmus!" sagte der Martier.

„Herrgottsakrament!" sagte Luke. „Du hattest kein Recht, in meiner Post zu schnüffeln!"

„Beruhige dich", sagte der Martier. „Ich habe jedes Recht, das ich mir nehme, und du wolltest mir ja nichts über dein Liebesleben erzählen, Süßer, Liebling, Goldstück."

„Du hast also tatsächlich darin geschnüffelt, du kleine grüne Warze. Weißt du, was ich möchte — ?"

„Was denn?", sagte der Martier verächtlich.

„Dich packen und dich auf den Mars zurückfeuern, damit du's genau weißt."

Der Martier lachte hämisch. „Schon' deine Lunge lieber für Rosalind, Mack. Ich wette, du glaubst, all das Gesäusel in ihren Briefen wäre aufrichtig gemeint. Ich wette, du glaubst, sie wäre genau so vernarrt in dich wie du in sie."

„Das ist sie auch — ich meine — Gottverdammt-nochmal —"

„Du wirst noch Magengeschwüre kriegen, wenn du dich so aufregst, Mack. Ihr Absender stand auf dem Umschlag. Ich werde mal rasch hinkwimmen und dir Gewißheit verschaffen. Los geht's!"

„Du bleibst hier-"

Luke war wieder allein.

Und da sein Glas leer war, torkelte er an den Ausguß und füllte es. Er war bereits betrunkener als seit Jahren, aber je schneller er sich bis zur Bewußtlosigkeit betrank, um so besser. Wenn möglich, noch ehe der Martier zurückkehrte oder -kwimmte, falls er überhaupt wieder auftauchte.

Weil er sich einfach nicht mehr bieten lassen konnte. Ob Halluzination oder Wirklichkeit, egal, er würde den Martier einfach zum Fenster hinauswerfen. Und damit vielleicht einen interplanetarischen Krieg anzetteln.

Auf seinen Stuhl zurückgekehrt, setzte er das Glas an. Dieses eine noch, und er würde endgültig . . .

„He, Mack, noch nüchtern genug, um dich zu unterhalten?"

Er öffnete die Augen, verwundert darüber, daß sie ihm zugefallen waren. Der Martier war wieder da.

„Mach, daß du wegkommst", sagte er. „Verschwinde. Morgen werde ich —"

„Komm zu dir, Mack. Ich hab Neuigkeiten für dich, direkt aus Hollywood. Deine kleine Freundin ist tatsächlich zu Hause und hat Sehnsucht nach dir."

„Hab ich dir nicht gesagt, daß sie mich gern hat. Du kleine grüne —"

„Sie sehnt sich so nach dir, daß sie zum Trost einen anderen bei sich hat. Einen großen Blonden. Sie nannte ihn Harry."

Für einen Augenblick wurde Luke nüchtern. Rosalind hatte tatsächlich einen Freund namens Harry, aber das war platonisch; sie waren befreundet, weil sie in derselben Abteilung bei Paramount arbeiteten. Wahrscheinlich schwatzte der Martier nur ungereimtes Zeug, und er machte einen Versuch, ihn zu überführen.

„Harry Sunderman?", fragte er. „Schlank, immer flott gekleidet, trägt meistens einen Sakko in grellen Farben -"

„Nein, dieser Harry war nicht jener Harry, Mack. Nicht, wenn er stets Sakkos in grellen Farben trägt. Dieser Harry hatte außer einer Armbanduhr gar nichts an."

Luke Devereaux sprang brüllend auf und stürzte sich auf den Martier. Mit ausgestreckten Händen griff er nach einer grünen Kehle.

Und beide Hände gingen glatt hindurch und verhakten sich ineinander.

Das grüne Männchen grinste und streckte ihm die Zunge heraus. Dann nahm es sie wieder herein. „Willst du wissen, was sie gemacht haben, Mack, deine Rosalind und ihr Harry?"

Luke gab keine Antwort. Er torkelte nach seinem Glas, ergriff es und leerte es in einem Zuge.

Das war das letzte, woran er sich erinnerte, als er am Morgen erwachte. Er lag auf dem Bett; irgendwie hatte er das noch geschafft. Aber er lag auf den Decken und nicht darunter und hatte noch sämtliche Sachen, sogar die Schuhe an.

Er hatte fürchterliche Kopfschmerzen und einen ekelhaften Geschmack im Munde.

Er richtete sich auf und blickte sich ängstlich um.

Kein grünes Männchen.

Trat an die Wohnzimmertür und lugte hindurch. Kam zurück, starrte den Herd an und fragte sich, ob es lohne, Kaffee zu kochen.

Kam zu der Überzeugung, daß es sich nicht erst lohne, da er unterwegs eine Tasse trinken konnte. Nur schnell raus hier. Er würde nicht einmal aufräumen oder packen. Er konnte später zurückkommen und seine Sachen holen. Oder jemand darum bitten, falls er längere Zeit in einer Anstalt zubringen sollte.

Er würde nicht einmal baden oder sich rasieren; das konnte er zu Hause nachholen; er hatte einen zweiten Rasierapparat in seiner Wohnung, und seine besseren Sachen befanden sich ohnehin noch dort.

Und danach, was?

Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. Bis dahin würde er wieder in besserer Verfassung sein, fähig, sich alles in Ruhe zu überlegen.

Als er das andere Zimmer durchquerte, sah er die Kamera stehen, zögerte kurz und ergriff sie, um sie mitzunehmen. Das Bild! Trotzdem seine Hände glatt durch ihn hindurchgegangen waren, bestand immer noch die Möglichkeit, daß ein wirklicher Martier und nicht nur eine Erscheinung auf dem Stuhl gesessen hatte. Vielleicht konnten Martier nicht nur kwimmen, sondern verfügten noch über andere seltsame Fähigkeiten.

Ja, falls sich ein Martier auf jener Fotografie befand, würde diese Tatsache sein ganzes Denken verändern, und so konnte er ebenso gut die Möglichkeit ausschließen, bevor er weitere Entscheidungen traf.

Und wenn nicht — nun, dann wäre es das Vernünftigste, alle Hemmungen zu überwinden und Margie anzurufen und sie nach dem Namen des Psychiaters zu fragen, zu dem sie ihn schon während ihrer Ehe hatte schicken wollen. Vor ihrer Hochzeit hatte sie als Pflegerin in verschiedenen Nervenkliniken gearbeitet und ihren alten Beruf wieder aufgenommen, nachdem sie sich getrennt hatten. Sie hatte ihm erzählt, daß sie hauptsächlich Psychologie studiert und selber gern Psychiaterin geworden wäre, wenn sie die Mittel dazu gehabt hätte.

Er trat ins Freie, versperrte die Tür und ging um das Haus herum zu seinem Wagen.

Das grüne Männchen hockte auf dem Kühler.

„He, Mack", sagte es. „Du siehst schauerlich aus. Kein Wunder. Trinken ist eine abscheuliche Angewohnheit."

Luke drehte sich um und kehrte ins Haus zurück. Er ergriff die Flasche, goß sich ein Glas voll ein und kippte es hinunter. Vorher hatte er der Versuchung dazu widerstanden. Aber wenn es ihm noch immer etwas vorgaukelte, hatte er einen Schluck nötig. Nachdem sich das Brennen im Halse gelegt hatte, fühlte er sich körperlich wohler. Nicht viel, aber etwas.

Er versperrte das Haus wieder und ging zurück zu seinem Wagen. Der Martier war noch da. Luke stieg ein und ließ den Motor an.

Dann lehnte er den Kopf zum Fenster hinaus. „He! Wie soll ich denn sehen, wohin ich fahre, wenn du dort vorn hockst! "

Der Martier warf einen Blick zurück und höhnte: „Mir ist das doch völlig egal, ob du was sehen kannst oder nicht. Wenn du einen Unfall hast, mir macht das nichts aus."

Luke seufzte, fuhr an und legte die primitive Wegstrecke bis zur Autobahn mit herausgestrecktem Kopf zurück. Halluzination oder nicht, der kleine Mann war nicht durchsichtig, und so mußte er notgedrungen an ihm vorbeischauen.

Er überlegte, ob er an irgendeiner Raststätte Halt machen sollte um Kaffee zu trinken und entschied sich dafür. Vielleicht blieb der Martier, wo er war. Aber auch wenn er das Lokal betrat, so würde ihn ohnehin niemand wahrnehmen können, es war also völlig gleichgültig. Er, Luke, mußte nur daran denken, nicht mit ihm zu reden.

Der Martier sprang herunter, als er den Wagen parkte und folgte ihm in das Lokal. Im Augenblick waren zufällig keine anderen Gäste anwesend. Nur ein hohlwangiger Kellner mit einer schmutzigen weißen Schürze.

Luke nahm auf einem Hocker Platz. Der Martier sprang auf den danebenstehenden Hocker und stützte die Ellenbogen auf die Theke.

Der Kellner wandte sich um und starrte an Luke vorbei. Er stöhnte: „Mein Gott, schon wieder einer!"

„Huh?" sagte Luke. „Schon wieder was?" Er klammerte sich so fest an die Thekenkante, daß seine Finger schmerzten.

„Schon wieder so ein gottverdammter Martier", sagte der Mann. „Sehen Sie ihn denn nicht?"

Luke schöpfte tief Luft und atmete langsam aus. „Wollen Sie damit sagen, daß es noch mehr von dieser Sorte gibt?"

Der Kellner starrte Luke fassungslos an. „Wo waren Sie denn gestern Nacht, Mister? Allein draußen in der Wüste, ohne Radio und Fernsehapparat? Heiland, es gibt Millionen von ihnen!"

Der Kellner irrte. Spätere Schätzungen ergaben, daß es sich um etwa eine Milliarde handelte.

Und jetzt wollen wir Luke Devereaux eine Weile sich selbst überlassen — wir werden später zu ihm zurückkehren — und einen Blick auf die Vorgänge werfen, die sich anderswo abspielten, während Luke in der Benson-Hütte in der Umgebung von Indio Besuch hatte.

Schätzungsweise eine Milliarde Martier. Das ergab auf die Gesamtbevölkerung der Erde — Männer, Frauen, Kinder — umgerechnet etwa einen Martier auf drei Menschen.

Allein in den Vereinigten Staaten gab es nahezu sechzig Millionen und eine der Einwohnerzahl entsprechende Menge in allen anderen Ländern der Welt. Soweit man mit einigermaßen Bestimmtheit ermitteln konnte, tauchten sie überall gleichzeitig auf. In der Pazifischen Zeitzone war es 20.14 Uhr gewesen. Andere Zeitzonen, andere Tageszeiten. In New York war es drei Stunden später, 23.14 Uhr, als die Theater gerade zu Ende waren und es in den Nachtklubs geräuschvoll wurde. (Nach dem Kommen der Martier ging es dort noch bei weitem geräuschvoller zu.) In London war es morgens 4.14 Uhr — aber die Menschen wurden trotzdem munter; die Martier bereiteten ihnen ein fröhliches Er-wachen. In Moskau war es frühmorgens kurz nach sieben, als man sich gerade zur Arbeit rüstete — und die Tatsache, daß viele Leute sich tatsächlich auf den Weg machten, spricht für ihren Mut. Vielleicht war auch ihre Furcht vor dem Kreml größer als vor den Martiern. In Tokio war es 13.14 Uhr und in Honolulu 18.14 Uhr.

An jenem Abend starben viele Menschen. Oder an jenem Morgen oder Nachmittag, je nachdem, wo sie sich befanden.

Allein in den Vereinigten Staaten werden die Verluste auf dreißigtausend geschätzt, wobei die meisten Todesfälle sich unmittelbar bei oder kurz nach der Ankunft der Martier ereigneten.

Einige starben an Herzschlag aus reiner Angst. Andere erlitten Schlaganfälle. Viele erlagen ihren Schußverletzungen, weil viele Leute nach Flinten griffen, um die Martier niederzuschießen. Die Kugeln gingen jedoch glatt durch die Martier hindurch, ohne sie zu verwunden, und landeten nur allzu häufig in menschlichen Körpern. Viele Leute kamen bei Automobilunfällen ums Leben. Einige Martier hatten sich in fahrende Kraftwagen gekwimmt, gewöhnlich auf den Vordersitz neben den Fahrer. „Schneller, Mack, schneller" — wenn diese Worte von einem Sitz kommen, den der Fahrer für leer hält, so ist das nicht gerade geeignet, ihm eine größere Kontrolle über den Wagen zu verleihen, auch wenn er sich nicht umdreht.

Verluste unter den Martiern waren gleich Null, obwohl sie häufig angegriffen wurden — manchmal auf den ersten Anblick, aber öfter, wie im Falle Luke Devereaux, nachdem man sie dazu angestachelt hatte — mit Flinten, Messern, Äxten, Stühlen, Heugabeln, Geschirr, Hackmessern, Saxophonen, Büchern, Tischen, Schraubenschlüsseln, Hämmern, Sensen, Lampen und Rasenmähmaschinen, mit allem, was gerade greifbar war. Die Martier höhnten und schmähten.

Andere Leute versuchten sie freundschaftlich zu empfangen und sich mit ihnen auf guten Fuß zu stellen. Ihnen gegenüber waren die Martier noch ausfälliger.

Aber wo sie auch auftauchten und wie sie auch empfangen wurden — zu sagen, daß sie Unruhe und Verwirrung gestiftet hätten, wäre die größte Unterbewertung des Jahrhunderts.

Man denke beispielsweise an die bedauerliche Aufeinanderfolge der Ereignisse im Fernsehstudio KVAK, Chikago. Nicht daß sich dort etwas grundsätzlich anderes abspielte als in allen anderen Fernsehstationen, die gerade eine Direkt - Übertragung sendeten, aber wir können leider nicht auf a l l e eingehen.

Auf dem Programm stand eine für das Fernsehen bearbeitete Fassung von „Romeo und Julia" mit Richard Bretain, dem größten lebenden Shakespeare-Darsteller, und mit Helen Ferguson als Partnerin.

Das Schauspiel hatte um 22.00 Uhr begonnen und vierzehn Minuten später war es bis zu der Balkonszene des zweiten Aktes gediehen. Julia war soeben auf dem Balkon erschienen, und der unten stehende Romeo hielt mit sonorer Stimme gerade die berühmteste aller romantischen Ansprachen:

„Doch still, was schimmert durch das Fenster dort? Es ist der Ost, und Julia die Sonne! — Geh auf, du holde Sonn'! Ertöte Lunen, Die neidisch ist und schon vor Grame bleich, Daß du viel schöner bist... "

So weit war er gekommen, als plötzlich, etwas zur Linken von Helen Ferguson, ein grünes Männchen auf der Balkonbrüstung hockte.

Richard Bretain schluckte und geriet ins Stottern, faßte sich jedoch gleich wieder und spielte weiter. Schließlich hatte er keinen Beweis, daß noch jemand außer ihm die Erscheinung sah. Und das Stück mußte auf alle Fälle weitergehen. Tapfer fuhr er fort:

„ ... obwohl ihr dienend.

Oh, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht,

Nur Toren gehn in ihrer blassen grünen —"

Das Wort grün blieb ihm im Halse stecken. Er hielt inne, um Atem zu schöpfen, und vernahm in der kurzen Pause ein kollektives Gemurmel, das von überall her aus dem Studio zu kommen schien.

Und in dieser Pause sagte der kleine Mann mit lauter, vernehmlicher und hämischer Stimme: „Mack, das ist ganz großer Blödsinn, und du weißt es sehr genau."

Julia richtete sich auf, wandte sich um und erblickte das Männchen auf der Brüstung neben sich. Sie stieß einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht.

Der kleine Mann schaute ungerührt auf sie herunter. „Was zum Teufel ist denn in dich gefahren, Puppe?", wollte er wissen.

Der Regisseur des Stückes war ein tapferer, energischer Mann. Vor zwanzig Jahren war er Leutnant bei der Marineinfanterie gewesen und hatte seine Leute bei den Angriffen auf Tarawa und Kwajalein geführt; für Tapferkeit über die bloße Pflichterfüllung hinaus war er zu einer Zeit, als bloße Pflichterfüllung praktisch Selbstmord bedeutete, zweimal ausgezeichnet worden. Seitdem hatte er fünfzig Pfund zugenommen und bewohnte ein Haus mit Erkerfenstern, war aber immer noch ein tapferer Mann.

Er bewies es, indem er seinen Platz neben der Kamera verließ und nach vorn stürzte, um den Eindringling zu packen und hinauszubefördern.

Er packte zu, aber nichts geschah. Der kleine Mann ließ eine obszöne Bemerkung in waschechtem BrooklynStil fallen. Dann stellte er sich auf die Brüstung, und während der Regisseur sich vergeblich bemühte, ihn an den Fußknöcheln zu packen und nicht durch sie hindurch zu greifen, vollführte er eine Wendung nach der Kamera hin, hob seine rechte Hand und machte eine lange Nase.

In diesem Augenblick hatte der Mann im Kontroll-raum plötzlich soviel Geistesgegenwart, die Übertragung abzuschalten, und niemand außer den im Studio Anwesenden weiß, was danach geschah.

Von den fünfhunderttausend Zuschauern am Bildschirm war ohnehin nur ein geringer Bruchteil den Darbietungen bis zu diesem Punkt gefolgt. Die meisten von ihnen hatten selber Martier in ihren Wohnungen.

Oder man nehme den traurigen Fall jungvermählter Paare auf Hochzeitsreise — und in jedem gegebenen Augenblick, einschließlich des in Frage stehenden, befindet sich eine Anzahl von jungen Paaren auf Hoch-zeitsreise oder auf einem angemessenen, wenn auch weniger legalen Gegenstück zu Hochzeitsreisen.

Nehmen wir als erstbestes Beispiel Mr. und Mrs. William R. Gruder, fünfundzwanzig beziehungsweise zweiundzwanzig Jahre alt, die am selben Tage in Denver geheiratet hatten. Bill Gruder war Fähnrich bei der Marine und z. Zt. auf Treasure Island, San Franzisco, stationiert, wo er einen Schulungskursus leitete. Seine junge Frau, Dorothy Gruder, geborene Armstrong, hatte in der Annoncenexpedition der „Chicago Tribune" gearbeitet. Sie hatten sich kennengelernt und ineinander verliebt, als Bill zur Ausbildung in einem Lager in der Nähe Chikagos gewesen war. Nach seiner Versetzung nach San Franzisko hatten sie beschlossen, am ersten Tage eines Wochenurlaubs, der Bill zustand, zu heiraten, und sich zu diesem Zweck auf halbem Wege, in Denver, zu treffen. Und diese eine Flitterwoche in Denver zu verbringen und dann zusammen nach San Franzisko zurückzukehren.

Sie waren um vier Uhr an jenem Nachmittag getraut worden, und wenn sie geahnt hätten, was sich innerhalb weniger Stunden ereignen würde, wären sie schleunigst in ein Hotel gegangen, um etwas von ihrer jungen Ehe zu haben, ehe die Martier kamen. Aber sie waren natürlich ahnungslos.

Dabei konnten sie einesteils immer noch von Glück sagen. Sie hatten nicht sofort einen Martier auf dem Halse und Zeit, sich innerlich darauf vorzubereiten, ehe sie einen zu Gesicht bekamen.

Um 9.14 Uhr an jenem Abend, Gebirgszeit, hatten sie sich gerade in einem Hotel eingetragen (nachdem sie in aller Ausgiebigkeit zu Abend gegessen und danach bei ein paar Cocktails zusammen gesessen hatten, um sich gegenseitig zu beweisen, daß sie die Willenskraft besaßen, solange zu warten, bis es schicklich schien, zu Bett zu gehen und sie schließlich nicht nur deswegen geheiratet hätten), und der Page setzte ihre Koffer gerade im Zimmer ab.

Als Bill ihm ein ziemlich großzügiges Trinkgeld in die Hand drückte, hörten sie etwas, was sich als eine Reihe von Geräuschen erwies. In einem nicht weit abgelegenen Zimmer schrie jemand, und der Schrei wurde wie durch ein vielfältiges Echo aus verschiedenen Richtungen zurückgeworfen. Man vernahm wütende männliche Stimmen. Dann sechs Revolverschüsse in rascher Folge. Rennende Schritte auf dem Gang.

Und andere rennende Schritte auf der Straße draußen, wie es schien, ein plötzliches Aufquietschen von Bremsen, und wieder mehrere Schüsse. Und eine laute Stimme, die aus dem Zimmer nebenan zu kommen schien, zu gedämpft, als daß man die Worte hätte verstehen können. Es klang jedoch, als fluchte jemand kräftig.

Bill schaute den Pagen stirnrunzelnd an. „Ich dachte, dies wäre ein ruhiges Hotel, ein gutes. Früher war es das."

Das Gesicht des Pagen drückte Bestürzung aus. „Das ist es noch, Sir. Ich kann mir nicht vorstellen, was —"

Er trat rasch an die Tür, öffnete sie und schaute den Gang hinauf und hinunter. Aber wer immer dort entlang gerannt sein mochte, war inzwischen um eine Biegung verschwunden.

Er sagte über seine Schulter hinweg: „Es tut mir leid, Sir. Ich weiß nicht, was los ist, aber e t w a s stimmt nicht. Ich werde mal unten in der Anmeldung nachschauen — und Ihnen rate ich, die Tür fest zu verriegeln. Gute Nacht und vielen Dank."

Er zog die Tür hinter sich zu, und Bill ging hinüber und schob den Riegel vor. Dann wandte er sich zu Dorothy um. „Wahrscheinlich hat es nichts weiter auf sich, Liebling. Vergessen wir es."

Er trat einen Schritt auf sie zu und blieb stehen, als eine weitere Salve von Schüssen ertönte, diesmal unverkennbar von der Straße, und mehr rennende Schritte. Ihr Zimmer lag im dritten Stock, eines der Fenster stand einen Spalt offen, die Geräusche waren klar und unverwechselbar.

„Augenblick, Liebling", sagte Bill. „Es scheint tatsächlich etwas nicht zu stimmen."

Er näherte sich dem Fenster, schob es hoch, lehnte sich hinaus und blickte hinunter. Dorothy trat neben ihn.

Zuerst sahen sie nichts, nur eine leere Straße mit einigen parkenden Wagen. Dann kamen aus dem Eingang zu einem Apartment-Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mann und ein Kind gerannt. Aber war es ein Kind? Selbst in dieser Entfernung und bei dieser trüben Beleuchtung haftete ihm etwas Seltsames an. Der Mann blieb stehen und versetzte dem Kind, falls es sich um ein Kind handelte, einen kräftigen Fußtritt. Von ihrem Beobachtungsposten sah es aus, als ginge der Fuß des Mannes glatt durch das Kind hindurch.

Der Mann stürzte rücklings hin, erhob sich und rannte weiter, und das Kind rannte mit ihm mit. Einer von beiden redete, aber sie konnten die Worte nicht verstehen und wußten auch nicht wer redete, nur daß es sich nicht wie eine Kinderstimme anhörte.

Dann verschwanden sie um eine Ecke. Aus einer anderen Richtung peitschten von ferne erneut Schüsse durch die Nacht.

Zu sehen war im Augenblick jedoch nichts.

Sie zogen die Köpfe zurück und schauten sich an.

„Bill", sagte Dorothy, „etwas — könnte etwa eine Revolution ausgebrochen sein, oder — oder was?"

„Ach wo, nicht hier. Aber —" Sein Blick fiel auf einen Radioapparat auf dem Toilettentisch, der durch den Einwurf eines Geldstückes in Betrieb zu setzen war; er ging darauf zu und holte lose Münzen aus seiner Tasche. Er fand einen Vierteldollar darunter, steckte ihn in den Einwurf und drückte den Knopf. Das Mädchen war neben ihn getreten, und so standen sie, jeder den Arm um den andern gelegt, starrten auf den Apparat und warteten, bis er warm werden würde. Als er anfing zu summen, streckte Bill die freie Hand aus und drehte an der Einstellung, bis eine Stimme ertönte, eine laute, erregte Stimme.

„ . . . Martier, definitiv Martier", sagte die Stimme. „Aber behaltet um Gottes willen die Ruhe, Leute. Habt keine Angst, aber versucht nicht, sie zu attackieren. Es nützt gar nichts. Außerdem sind sie harmlos. Sie können Euch nichts anhaben, aus demselben Grunde, aus dem Ihr ihnen nichts anhaben könnt. Ich wiederhole, sie sind harmlos.

Ich wiederhole, man kann ihnen nichts anhaben. Die Hand geht glatt durch sie hindurch wie durch Rauch. Kugeln, Messer und andere Waffen sind aus demselben Grunde nutzlos. Und so weit wir informiert sind, hat auch noch keiner von ihnen versucht, einem Menschen ernsthaft Schaden zuzufügen. Also bewahrt die Ruhe und behaltet die Nerven."

Eine andere Stimme schaltete sich ein und gab in mehr oder weniger verstümmelter Form wieder, was gesagt worden war, aber die Stimme des Ansagers übertönte die neue Stimme: „Ja, es sitzt eben einer vor mir und redet auf mich ein, aber ich halte meinen Mund so dicht an das Mikrophon, daß —"

„Bill, das ist doch bloß Schwindel und Sensationsmache. Vor zwanzig Jahren oder so haben sie schon einmal etwas Derartiges gesendet, meine Eltern haben mir davon erzählt — Schalt' einen anderen Sender ein."

Bill sagte: „Damit hast du wahrscheinlich recht, Liebling", und drehte an dem Suchknopf.

Eine andere Stimme: „ . . . keine Aufregung, Leute. Es haben sich bereits eine ganze Anzahl von Menschen tödliche Verletzungen oder schwerere und leichtere Verwundungen beigebracht, indem sie versucht haben, Mar-tier umzubringen, die einfach nicht umzubringen sind. Also unterlaßt den Versuch. Bleibt ruhig. Ja, sie sind auf der ganzen Welt vorhanden, nicht nur hier in Denver. Wir stehen mit allen erreichbaren Sendern, die noch in Betrieb sind, in Verbindung, und alle melden Martier, selbst die von der anderen Seite des Erdballs.

Aber sie tun euch nichts. Ich wiederhole, sie tun euch nichts. Also keine Aufregung und Ruhe bewahren. Da sitzt eben einer auf meiner Schulter — er hat mir etwas zu sagen versucht, aber ich weiß nicht was, weil ich selber geredet habe. Aber ich werde ihm das Mikrophon hinhalten und ihn bitten, euch zu beruhigen. Hier bei uns waren sie ziemlich unverschämt — aber wenn er begreift, daß er zu einer Millionenhörerschaft spricht, wird er wohl — Hier, mein Lieber, möchtest du nicht unserer großen Hörerschaft ein beruhigendes Wort sagen?" Eine andere Stimme sprach, eine Stimme, die etwas schriller klang als die des Ansagers: „Danke, Mack. Ich wollte dir nur sagen, daß du mich — na, du weißt schon — und jetzt kann ich dasselbe all den lieben Hörern —"

Die Station schaltete ab.

Bill und Dorothy hatten sich gegenseitig losgelassen. Sie schauten sich ungläubig an. Dann sagte sie kaum hörbar: „Versuch es noch einmal mit einem anderen Sender. Das k a n n doch nicht —"

Bill Gruder streckte den Arm aus, gelangte aber mit der Hand nicht bis an den Suchknopf.

Hinter ihnen im Zimmer sagte eine Stimme: „He, Mack. He, Puppe."

Sie fuhren herum. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, was sie sahen; der Leser weiß es bereits. Er hockte mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Fensterbrett, über das sie sich vor einigen Minuten hinausgelehnt hatten.

Keiner von ihnen sagte etwas, und so verstrich eine volle Minute. Es geschah weiter nichts, als daß Bill Dorothys Hand fand und sie drückte.

Der Martier grinste sie an. „Hat es euch die Sprache verschlagen?"

Bill räusperte sich. „Sind wir hier im McCoy-Hotel und bist du — bist du wirklich ein Martier?"

„Mein Gott, bist du dumm! Diese Frage zu stellen, nach allem, was du gerade gehört hast!"

„Du elender kleiner —"

Als er ihre Hand losließ und sich auf das Männchen stürzen wollte, packte Dorothy ihren Mann am Arm. „Bill; laß dich nicht hinreißen. Denk daran, was das Radio gesagt hat."

Bill Gruder sank in sich zusammen, funkelte aber noch immer wild mit den Augen. „Schön", sagte er zu dem Martier. „Was willst du eigentlich?"

„Nichts, Mack. Was könntest d u mir schon bieten?"

„Dann mach, daß du fortkommst. Wir brauchen hier niemand."

„Oh, jungvermählt, wie?"

Dorothy sagte: „Wir haben diesen Nachmittag geheiratet." Sagte es sehr stolz.

„Ausgezeichnet", sagte der Martier. „Dann könnt ihr mir tatsächlich etwas bieten. Ich habe von euren ekelhaften Paarungsangewohnheiten gehört. Nun kann ich endlich einmal dabei zuschauen."

Bill Gruder riß sich von seiner jungen Frau los und durchquerte das Zimmer. Er streckte die Hand nach dem Martier auf dem Fensterbrett aus und griff glatt durch ihn hindurch. Er fiel so vehement vornüber, daß er fast zum Fenster hinausgestürzt wäre.

„Nicht so jähzornig", sagte der Martier. „Ruhe, Ruhe."

Bill kehrte zu seiner Dorothy zurück, legte den Arm beschützend um sie und rollte mit den Augen.

„Ich will verdammt sein", sagte er. „Er ist einfach nicht mehr d a."

„Das bildest du dir ein, du Narr", sagte der Martier.

Dorothy sagte: „Es ist genau, wie es durch's Radio gekommen ist, Bill. Aber denk daran, daß er uns auch nichts Ernsthaftes anhaben kann."

„Sein Vorhandensein ist gerade schlimm genug."

„Ihr wißt doch, worauf ich warte", sagte der Martier. „Wenn Ihr mich los werden wollt, fangt an. Ihr entkleidet Euch doch zuerst, nicht wahr? Also los, zieht Euch aus."

Bill wollte sich erneut auf ihn stürzen. „Du kleiner grüner —"

Dorothy hielt ihn zurück. „Laß es mich einmal mit ihm versuchen." Sie trat hinter ihrem Mann hervor und schaute den Martier flehend an. „Du verstehst das nicht", sagte sie. „Wir lieben uns nur, wenn wir ungestört sind. Wir können und werden es nicht tun, bis du uns verläßt. Bitte geh."

„Das könnte dir so passen, Puppe. Ich bleibe."

Und er blieb.

Für dreieinhalb Stunden saßen sie Seite an Seite auf dem Bettrand und versuchten ihn zu ignorieren und hofften, daß er die Geduld verlieren würde.

Hin und wieder redeten sie ein paar Worte miteinander, oder versuchten es, aber es kam keine sehr geistvolle Unterhaltung dabei heraus. Hin und wieder schaltete Bill das Radio ein, in der Hoffnung, daß inzwischen jemand Mittel und Wege entdeckt hätte, wie mit Martiern umzugehen sei.

Aber ein Sender war wie der andere — sie hörten sich alle wie schlecht organisierte Irrenanstalten an — bis auf jene, die längst endgültig abgeschaltet hatten. Und niemand hatte ein Mittel entdeckt, wie man den Martiern wirksam entgegentreten konnte. Von Zeit zu Zeit kam ein Bulletin heraus, eine Verlautbarung des Präsidenten der Vereinigten Staaten, des Vorsitzenden der Atom-Energie-Kommission oder einer gleichbedeutenden Persönlichkeit. Alle rieten, die Ruhe zu bewahren und sich, wenn möglich, mit den Martiern anzufreunden. Aber kein Sender brachte auch nur ein einziges Beispiel dafür, daß es einem Menschen gelungen wäre, mit einem Martier Freundschaft zu schließen.

Der Martier würdigte die Gruders anscheinend überhaupt keiner Beachtung. Er hatte ein kleines querpfeifenähnliches Instrument aus seiner Tasche gezogen und blies darauf und entlockte ihm Töne, die klangen, als wäre ein Erdnußwagen verrückt geworden.

Mitunter setzte er das Instrument ab, blickte sie an, sagte jedoch kein Wort, was viel aufreizender war, als hätte er etwas gesagt.

Gegen ein Uhr morgens war Bill Gruders Geduld erschöpft. Er sagte: „Zum Teufel damit! Er kann in der Dunkelheit doch nichts sehen, und wenn ich die Jalousien herunterlasse, ehe ich das Licht ausmache —"

Dorothys Stimme klang besorgt. „Wir wissen doch gar nicht, ob er nicht auch im Dunkeln sehen kann, Liebster. Katzen und Eulen können."

Bill zögerte, aber nur einen Augenblick. „Verdammt noch mal, Liebstes, selbst wenn er im Dunkeln sehen kann, kann er nicht unter die Decken schauen. Wir können uns sogar unter den Decken ausziehen."

Er trat an das Fenster, schloß es, ließ den Vorhang herunter und machte sich ein Vergnügen daraus, bei beiden Verrichtungen mitten durch den Martier hindurch zu greifen. Tastete sich zum Bett zurück.

Und obwohl sie etwas gehemmt waren und es sich nicht eingestehen wollten, wurde es doch noch eine Hochzeitsnacht.

Sie wären etwas weniger glücklich gewesen (und waren es auch am nächsten Tage), hätten sie gewußt, wie man alsbald herausfand, daß Martier nicht nur im Dunkeln sehen, sondern mit ihren Blicken auch Decken durchdringen konnten. Sogar Wände. Sie schienen irgendeinen Röntgenblick zu haben, der alles durchdrang. Und konnten sogar die kleinste Schrift auf zusammengefalteten Dokumenten in verschlossenen Schubfächern oder Geldschränken entziffern. Sie waren imstande, Briefe und selbst Bücher zu lesen, ohne sie zu öffnen.

Als das publik wurde, wußte man, daß keinerlei Privatleben mehr möglich war, solange die Martier blieben. Selbst wenn sich kein Martier im Zimmer befand, konnte immer einer im nächsten Zimmer oder draußen hocken und alles mit ansehen.

Aber wir greifen voraus, da nur wenige Leute es in dieser ersten Nacht erfuhren oder ahnten. (Luke Deve-reaux hätte es ahnen sollen, da sein Martier Rosalinds Briefe, die in einem verschlossenen Koffer steckten, gelesen hatte — aber damals wußte Luke noch nicht, ob der Martier den Koffer nicht vielleicht geöffnet hatte. Und als Luke Bescheid wußte, war er nicht mehr in der Verfassung, die beiden Tatsachen in Verbindung zu bringen.) Und schon in der ersten Nacht, noch ehe man sich der Tragweite bewußt war, müssen die Martier eine Menge zu Gesicht bekommen haben. Besonders die vielen Tausende, die in bereits verdunkelte Zimmer kwimmten und von den Vorgängen, die sich dort abspielten, so hingerissen waren, daß sie für eine Weile den Mund hielten.

Amerikas zweitpopulärster Sport, zu dessen Ausübung man das Haus nicht zu verlassen braucht, erlitt an jenem Abend eine noch größere Schlappe und wurde danach völlig unmöglich.

Vergegenwärtigen wir uns, was den Männern zustieß, die jeden Donnerstag Abend in George Kellers Hause am Strand ein paar Meilen nördlich von Laguna Poker spielten. George war Junggeselle und lebte im Ruhestand; er verbrachte das ganze Jahr dort. All die anderen wohnten in Laguna und waren Angestellte oder Geschäftsleute.

An jenem fraglichen Donnerstag waren sechs von ihnen versammelt, einschließlich George. Gerade die richtige Anzahl für ein gutes Spiel, und sie spielten ein gutes Spiel, allesamt, mit Einsätzen, die gerade hoch genug waren, um es aufregend zu machen, aber nicht hoch genug, um die Verlierer ernsthaft zu schädigen. Für sie alle war Poker mehr eine Religion als ein Laster. Die Donnerstagabende von gegen acht bis gegen eins — mitunter bis um zwei — waren Glanzpunkte ihres Daseins, Stunden, auf die sie sich die ganze Woche freuten.

Als Fanatiker konnte man sie nicht gut bezeichnen, wohl aber konnte man sie leidenschaftliche Spieler nennen.

Ein paar Minuten nach acht saßen sie, bequem in Hemdsärmeln, die Schlipse gelockert oder abgelegt, um den großen Tisch im Wohnzimmer, bereit anzufangen, sobald George mit dem Durchmischen des neuen Decks fertig wäre. Sie hatten sämtlich Chips gekauft, und vor ihnen standen klirrende Gläser oder geöffnete Bierbüchsen. (Sie tranken stets, aber immer mäßig, nie soviel, als daß es das Spiel beeinträchtigt hätte.)

George war mit dem Mischen fertig und teilte die aufgedeckten Karten aus, um zu sehen, wer einen Buben bekäme und zuerst geben müßte; er ging an Gerry Dix, den ersten Kassierer in der Laguna Bank.

Dix gab und gewann das erste Spiel mit drei Zehnen. Es war jedoch nur ein kleiner Pot; nur George hatte auf Grund von einem Neunerpaar mitgehalten, seine Hand indes nicht verbessert.

Als nächster war Bob Trimble, der Eigentümer der örtlichen Schreibwarenhandlung, zum Geben dran. „Setzt, Jungens", sagte er. „Diesmal wird es besser. Jeder kriegt gute Karten."

Auf der anderen Seite des Zimmers erklang leise Musik aus dem Radio. George Keller liebte musikalische Untermalung und wußte genau, welche Stationen er Donnerstagabend einschalten mußte.

Trimble gab. George nahm seine Karten an sich und sah zwei Meine Paare, Sieben und Dreien. Etwas schwach zum Eröffnen, jemand würde wahrscheinlich drüber gehen. Wenn ein anderer eröffnete, konnte er mithalten und eine Karte ziehen. „Passe", sagte er.

Zwei weitere paßten und dann eröffnete Wainright — Harry Wainright, Geschäftsführer eines kleinen Warenhauses in Laguna-Süd — den Pot mit einer roten Spielmarke. Dix und Trimble hielten mit, und George tat dasselbe. Die Männer, die zwischen George und Wainright gepaßt hatten, paßten wiederum. Somit blieben vier Mann im Spiel, und wenn George Glück hatte und zu seinen beiden kleinen Paaren gut zufand, war er wahrscheinlich Gewinner.

Trimble sagte: „Karten, George?"

„Moment mal", sagte George plötzlich. Er hatte den Kopf nach dem Radio umgewandt. Es kam keine Musik mehr, schon seit einer Weile nicht, wie ihm jetzt erst bewußt wurde. Jemand redete, aber viel zu erregt, als daß es sich um eine Reklamesendung handeln konnte; die Stimme klang geradezu hysterisch. Außerdem war es gegen viertel neun, und wenn er den richtigen Sender eingeschaltet hatte, dann mußte jetzt die „Sternstunde" auf dem Programm stehen, die nur um halb neun durch eine Reklamesendung unterbrochen wurde.

Sollte es sich etwa um eine dringende Durchsage handeln — eine Kriegserklärung, die Warnung vor einem bevorstehenden Luftangriff oder etwas dergleichen?

„Moment mal, Bob", sagte er zu Trimble, legte die Karten aus der Hand und erhob sich. Er ging hinüber zu dem Radio und stellte es lauter.

„. . . kleine grüne Männer, Dutzende von ihnen, die im Studio und im ganzen Hause herumschwärmen. Sie behaupten, Martier zu sein. Sie werden von überall her gemeldet. Aber keine Aufregung deswegen — sie können niemand etwas anhaben — sind völlig harmlos — man kann sie nicht berühren — was man auch nach ihnen wirft, geht glatt durch sie hindurch, als wären sie gar nicht vorhanden — also keine —"

Es ging noch weiter.

Alle sechs hörten jetzt zu. Dann erklärte Gerry Dix: „Was zum Teufel, George? Willst du das Spiel bloß wegen einer utopischen Sendung aufhalten?"

George sagte: „Wenn es eine ist! Ich hatte die verdammte ,Sternstunde' eingeschaltet. Musik."

„Stimmt", sagte Walt Grainger. „Noch vor ein paar Minuten spielten sie einen Strauß-Walzer. Geschichten aus dem Wiener Wald, glaube ich."

„Versuch es doch mal mit einem anderen Sender, George", schlug Trimble vor.

Aber ehe George dazu kam, setzte der Apparat aus.

„Verdammt", sagte George und drehte an den Knöpfen. „Eine Röhre muß versagt haben. Man kriegt nicht mal mehr einen Summton heraus."

Wainright sagte: „Vielleicht waren es die Martier. Spielen wir weiter, George, ehe die Karten kalt werden."

George zögerte und warf einen Blick auf Walt Grain-ger. Alle fünf Männer waren in Graingers Wagen von Laguna herausgekommen.

„Walt", sagte George, „hast du ein Radio in deinem Wagen?"

„Nein."

„George sagte: „Pech! und kein Telefon, weil die lausige Telefongesellschaft so weit heraus keine Maste setzen lassen will — Ach, was, vergessen wir's."

„Wenn du dir wirklich Sorgen machst, George", sagte Walt, „können wir rasch einmal in die Stadt fahren. Entweder du oder ich, und die anderen können inzwischen weiter spielen, oder wir fahren alle sechs und sind in einer knappen halben Stunde wieder hier. Viel Zeit verlieren wir nicht dabei und können zum Ausgleich vielleicht etwas länger spielen."

„Wenn wir nicht unterwegs mit einem Weltraumschiff voller Martiern zusammenstoßen", sagte Gerry Dix.

„Unsinn", sagte Wainright. „Dein Radio, der alte Kasten, war einfach abgenutzt, George, und mußte ja eines Tages aufhören zu funktionieren."

„Der Meinung bin ich auch", sagte Dix. „Und wenn beim Teufel dreist Martier in der Gegend sind, so sollen sie gefälligst herkommen, wenn sie uns sehen wollen. Heute ist unser Poker-Abend, meine Herren. Spielen wir also Karten und lassen wir die Chips fallen, wohin sie wollen."

George Keller seufzte. „Also schön", sagte er.

Er nahm seinen Platz am Tisch ein und schaute in seine Karten, um sich ins Gedächtnis zu rufen, was er gehabt hatte. Ach, ja, Siebenen und Dreien. Und er war dran zu kaufen.

„Karten?" erkundigte sich Trimble.

„Eine für mich", sagte George und legte seine fünfte Karte ab.

Aber Trimble kam nie dazu, ihm eine zu geben.

Plötzlich sagte der gegenübersitzende Walt Grainger in einem Ton, daß sie alle für einen Augenblick erstarrten: „Heiland Gott!" Sie starrten ihn an und drehten sich dann um, um festzustellen, was er anstarrte.

Es waren zwei Martier. Einer saß auf einer Stehlampe, der andere stand auf dem Radioapparat.

George Keller, der Gastgeber, erholte sich als erster von seinem Schreck, wahrscheinlich weil er derjenige war, der die kurze Durchsage von vorhin nicht völlig als Witz aufgefaßt hatte.

„H-hello", sagte er mit leicht bebender Stimme.

„Hi, Mack", sagte der Martier auf der Lampe. „Hör mal, schmeiß deine Karten lieber weg, nachdem du zugekauft hast."

„Was? Wieso?"

„Ich sag's dir doch, Mack. Mit deinen Siebenen und Dreien kriegst du eine volle Hand, weil die oberste Karte auf dem Deck eine Sieben ist."

Der andere Martier sagte: „Das stimmt, Mack. Und du würdest dein Hemd damit verlieren, weil der da —" er deutete auf Harry Wainwright, der den Pot eröffnet hatte — „drei Buben in der Hand hat und der vierte Bube die zweite Karte von oben ist. Damit hat er vier in der Hand."

„Spielt nur, und ihr werdet schon sehen", sagte der erste Martier.

Harry Wainright erhob sich und warf seine Karten, unter denen sich drei Buben befanden, aufgedeckt auf den Tisch. Er beugte sich über den Tisch, nahm Trimble das Deck aus der Hand und deckte die beiden obersten Karten auf. Es waren eine Sieben und ein Bube.

Wie vorausgesagt.

„Hast du etwa geglaubt, wir hätten nur Spaß gemacht, Mack?" sagte der erste Martier.

„Wart nur, du verdammter —" Wainwrights Schultermuskulatur wölbte sich unter dem Hemd, als er An-stalten traf, sich auf den nächsten Martier zu stürzen.

„Nicht!" rief George Keller. „Denk an die Durchsage, Harry. Man kann sie nicht hinauswerfen, wenn man sie nicht einmal anrühren kann."

„Stimmt, Mack", sagte der Martier. „Damit macht ihr euch nur lächerlicher, als ihr es ohnehin schon seid."

Der andere Martier sagte: „Warum nehmt ihr euer Spiel nicht wieder auf? Wir sind gern bereit, euch zu helfen, allen."

Trimble stand auf. „Nimm du dir den dort vor, Harry", sagte er ingrimmig. „Ich nehm diesen hier. Wenn das Radio recht hatte, können wir sie nicht hinauswerfen, aber verflucht noch mal, ein Versuch kann nichts schaden."

Es schadete nichts, half aber auch nichts.

In allen Ländern waren die Verluste in jener Nacht — oder, auf der anderen Erdhälfte, an jenem Tage — beim Militär am höchsten.

In allen militärischen Anlagen machten die Posten von der Schußwaffe Gebrauch. Manche feuerten erst nach Anruf; die meisten feuerten jedoch blindlings drauflos, solange, bis die Magazine leer waren. Die Martier höhnten und lachten sie aus.

Soldaten, die kein Gewehr bei sich hatten, liefen, um sich zu bewaffnen. Einige holten sogar Handgranaten. Offiziere machten von ihren Handfeuerwaffen Gebrauch.

Mit dem Erfolg, daß es ein fürchterliches Gemetzel unter der Truppe gab. Die Martier hatten ihr helles Vergnügen daran.

Am schlimmsten erging es jedoch den Offizieren, die „Geheime Kommandosachen" zu verwahren hatten. Weil sie, je nachdem wie klug sie waren, sehr rasch oder sehr langsam einsahen, daß er keine Geheimnisse mehr gab. Nicht vor den Mardern.

Nicht, daß sie, außer der Lust daran, alles durcheinander zu bringen, irgendein Interesse an militärischen Dingen an sich gehabt hätten. Sie waren sachlich nicht im geringsten beeindruckt von all den geheimen RaketenAbschuß-Basen, den geheimen A- und H-Bomben Vorräten, den Geheimakten und Geheimplänen.

„Alles Quatsch, Mack", sagte einer von ihnen, der auf dem Schreibtisch eines Generals hockte, dem die Abteilung Anton, das Geheimste vom Geheimen unterstand. „Alles Quatsch. Damit könntet ihr nicht einmal einen Eskimo-Stamm besiegen, wenn die Eskimos wüßten, wie man vahrt. Und spaßeshalber könnten wir es ihnen beibringen."

„Was zum Teufel ist vahren?" brüllte der General.

„Das geht dich gar nichts an, Mack." Der Martier wandte sich an einen der anderen Martier im Zimmer; es waren im ganzen vier. „He", sagte er. „Kwimmen wir doch rasch mal 'rüber und schauen nach, was die Russen aufzuweisen haben. Und vergleichen die Notizen mit ihnen."

Die beiden verschwanden.

„Hör dir bloß diesen Blödsinn an!" sagte einer der beiden zurückgebliebenen Martier zum anderen. Und er fing an, aus einem in dem Panzerschrank in der Ecke aufbewahrten Geheimdokument vorzulesen.

Der andere Martier lachte spöttisch.

Auch der General lachte, allerdings nicht spöttisch. Er lachte solange, bis zwei Adjutanten ihn wortlos hinausführten.

Das Pentagon glich einer Irrenanstalt, desgleichen der Kreml. Dabei waren im Verhältnis dort nicht mehr Martier vorhanden als anderswo. Die waren ebenso unparteiisch wie allgegenwärtig. Kein Ort interessierte sie mehr als der andere. Weißes Haus oder Irrenhaus, ihnen war das völlig gleichgültig.

Sie machten keine Unterschiede und interessierten sich genauso für die Konstruktion von Weltraumstationen in Neu Mexiko wie für das Geschlechtsleben des einfachsten Kulis in Schanghai. Sie spotteten über beides.

Und überall und auf alle Arten und Weisen drangen sie in die Sphäre des Allerprivatesten ein. Sagte ich des Allerprivatesten? Etwas Derartiges gab es nicht mehr.

Und schon in jener ersten Nacht wurde offenbar, daß es für die Dauer ihres Bleibens nichts Privates oder Geheimes mehr geben würde, weder im Leben des Einzelnen noch in den Machenschaften der Nationen.

Alles, was uns als Individuen oder Kollektivwesen angeht, interessierte und amüsierte sie und stieß sie ab.

Das wahre Studium der Martier war offenbar der Mensch. Tiere als solche interessierten sie nicht, obwohl sie auch Tiere ärgerten und hänselten, wenn sie indirekt einem Menschen Verdruß bereiten konnten.

Insbesondere Pferde hatten Angst vor ihnen, und das Reiten wurde zu einem lebensgefährlichen Sport.

Solange die Martier da waren, wagten nur ganz tollkühne Naturen eine Kuh zu melken, deren Füße nicht fest zusammengebunden waren und die nicht an einem Pfahl festgemacht war.

Hunde wurden rasend; viele bissen ihre Herren und mußten getötet werden.

Nur Katzen, jede anfänglich mißtrauisch, gewöhnten sich an sie und nahmen sie ruhig und mit Fassung hin. Aber Katzen waren halt schon immer anders.

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