Die Tiefe

Der Abstieg

Im Licht des Morgens tanzte das grellgelbe Klein-Tauchboot Charon V auf den Wellen. Es saß auf einer Pontonplattform und wirkte wie ein Kinderbadespielzeug auf zusammengebundenen Ölfässern.

Ein Schlauchboot brachte Norman hinüber. Er kletterte auf die Plattform und begrüßte den Führer des Tauchboots mit Handschlag. Er schien höchstens achtzehn zu sein, jünger als Normans Sohn Tim.

»Sind Sie bereit, Sir?« fragte der Mann.

»Klar«, sagte Norman.

Aus der Nähe sah das Tauchboot nicht mehr aus wie ein Spielzeug; es schien unglaublich massiv und kräftig gebaut zu sein. Die Bolzen, mit denen das einzige Bullauge aus konvexem Acrylglas befestigt war, hatten die Dicke einer Männerfaust. Er betastete sie.

Der andere lächelte. »Vor der Abfahrt noch 'n prüfender Tritt gegen die Reifen, Sir?«

»Ach was, ich vertraue Ihnen.«

»Der Einstieg ist hier, Sir.«

Norman stieg auf der schmalen Eisenleiter zum Dach des Tauchboots hinauf und sah, wie sich die kleine, kreisrunde Luke öffnete. Er zögerte.

»Am besten setzen Sie sich auf den Rand«, riet ihm der Mann, »und lassen die Beine reinhängen. Dann klettern Sie einfach hinterher. Notfalls machen Sie sich an den Schultern ein bißchen schmaler und ziehen Ihren . Na bitte, klappt doch.« Norman schob sich durch die enge Luke ins Innere, das so niedrig war, daß man darin nicht aufrecht stehen konnte. Das Tauchboot war mit Instrumenten und Ausrüstungselementen vollgestopft. Ted war bereits an Bord, hockte im hinteren Teil und grinste begeistert wie ein kleiner Junge.

»Ist das nicht toll?«

Norman beneidete ihn um seine unkomplizierte Begeisterungsfähigkeit. Er fühlte sich beengt und nervös. Über ihm schlug der Führer des Tauchboots das schwere Luk zu und ließ sich zu den Steuereinrichtungen hinabgleiten. »Alles in Ordnung?«

Die Männer nickten.

»Tut mir leid wegen der Aussicht«, sagte der Bootsführer mit einem Blick über die Schulter. »Die Herren werden vorwiegend mein Hinterteil zu sehen bekommen. Auf geht's ... Ist Ihnen Mozart recht?« Er drückte den Knopf eines Kassettengeräts und lächelte. »Bis wir unten sind, dauert es dreizehn Minuten; Musik wird uns die Zeit verkürzen. Falls Ihnen Mozart nicht zusagt, können wir Ihnen auch was anderes bieten.«

»Mozart ist in Ordnung«, sagte Norman.

»Mozart ist prima«, sagte Ted, »göttlich.«

»Nun gut, meine Herren.« Sie hörten ein Zischen, aus dem Funkgerät ertönte ein Knattern. Der Bootsführer sprach leise in seine Sprechkombination. Ein Froschmann wurde vor dem Bullauge sichtbar und winkte. Der Steuermann winkte zurück.

Man hörte ein Plätschern, darauf ein tiefes Grummeln, und das Boot bewegte sich abwärts.

»Wie Sie sehen, sinkt der ganze Ponton mit«, erklärte der Bootsführer. »An der Wasseroberfläche hat das Boot keine stabile Lage, deswegen wird es mit diesem Schwimmgestell die letzten Meter rauf- und runtergebracht. Wir koppeln uns in etwa dreißig Metern Tiefe ab.«

Durch das Bullauge sahen sie den Froschmann auf dem Ponton bis zur Hüfte im Wasser stehen. Dann versank das Bullauge im Wasser. Aus dem Atemgerät des Froschmanns stiegen Luftblasen auf.

»Wir sind jetzt eingetaucht«, sagte der Bootsführer. Er hantierte an Ventilen über seinem Kopf, und wieder hörten sie Luft zischen, diesmal bestürzend laut. Wasser gurgelte. Durch das Bullauge fiel wunderschön blaues Licht.

»Hinreißend«, sagte Ted.

»Jetzt lösen wir uns von dem Gestell«, kommentierte der Bootsführer sein Tun. Motoren sprangen an, das Tauchboot schob sich nach vorn, der Froschmann glitt seitlich vorbei. Durch das Bullauge war nichts mehr zu sehen als dunkelblaues Wasser. Der Bootsführer sagte etwas in sein Funkgerät und stellte die Musik lauter.

»Lehnen Sie sich gut an, meine Herren«, sagte er. »Abwärts mit sechsundzwanzig Metern pro Minute.«

Norman spürte, daß die Elektromotoren liefen, fühlte aber die Bewegung nicht wirklich. Es wurde nur immer dunkler.

»Eigentlich«, sagte Ted, »ist es ein richtiger Glücksfall, daß das Raumschiff gerade hier liegt. An den meisten Stellen ist der Pazifik so tief, daß wir nie in der Lage wären, es uns mit eigenen Augen anzusehen.« Er erklärte, daß die Durchschnittstiefe des Pazifischen Ozeans, der nahezu die Hälfte der Erdoberfläche einnimmt, dreitausend Meter beträgt. »Nur an wenigen Stellen liegt der Meeresboden deutlich höher - so zum Beispiel im vergleichsweise kleinen Rechteck zwischen Sa-moa, Neuseeland, Australien und Neuguinea. Es ist in Wirklichkeit eine große unterseeische Ebene, die den Ebenen des amerikanischen Westens gleicht, nur mit dem Unterschied, daß sie durchschnittlich sechshundertfünfzig Meter unter dem Meer liegt. Und auf diese Ebene tauchen wir jetzt runter.«

Ted sprach rasch. Ob er nervös war? Norman hätte es nicht sagen können: Er spürte, wie sein Herz hämmerte. Jetzt war es draußen vollständig dunkel; die Instrumentalbeleuchtung glomm grün. Der Steuermann schaltete die rote Innenbeleuchtung ein.

Sie gewannen immer mehr an Tiefe. »Hundertzwanzig Meter.« Das Boot schwankte leicht, schob sich dann vorwärts. »Wir sind jetzt im Fluß.«

»Im Fluß? Was für einem Fluß?« fragte Norman.

»Wir befinden uns in einer Strömung, die sich auf Grund eines anderen Salzgehalts und einer anderen Temperatur wie ein Fluß innerhalb des Ozeans verhält. Wir legen hier immer eine kleine Pause ein, Sir; das Boot wird von der Strömung ein Stückchen mitgetragen.«

»Ach ja, übrigens«, sagte Ted, griff in die Tasche und gab dem Bootsführer einen Zehndollarschein.

Norman sah ihn fragend an.

»Hat man Ihnen das nicht gesagt? Ein alter Brauch. Man gibt dem Bootsführer auf dem Weg nach unten etwas Geld - es soll Glück bringen.«

»Das kann ich brauchen«, sagte Norman. Er suchte in seiner Tasche, fand einen Fünfdollarschein, überlegte es sich anders und nahm statt dessen einen Zwanziger heraus.

»Vielen Dank, meine Herren, und guten Aufenthalt da unten«, sagte der Bootsführer.

Die Elektromotoren sprangen wieder an.

Es ging weiter abwärts. Das Wasser war dunkel.

»Hundertfünfzig Meter«, kam die Stimme. »Die Hälfte haben wir hinter uns.«

Plötzlich hörten sie ein lautes Knirschen und mehrere explosionsartige Geräusche. Norman erschrak.

»Ganz normaler Druckausgleich«, sagte der Bootsführer. »Hat nichts zu bedeuten.«

»Mhm«, murmelte Norman. Er wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Das Innere des Bootes schien jetzt geschrumpft, es kam ihm vor, als seien die Wände näher gerückt.

»Wenn ich mich recht erinnere«, begann Ted, »heißt dieser Teil des Pazifik das Lau-Becken. Stimmt das?«

»Es stimmt, Sir.«

»Es ist ein Plateau zwischen zwei unterseeischen Rücken, dem Süd-Fidschi-Rücken oder Lau-Rücken im Westen und

dem Kermadec-Tonga-Rücken im Osten.«

»Das stimmt, Dr. Fielding.«

Norman sah auf die Instrumente. Sie waren feucht. Der Bootsführer mußte sie mit einem Tuch abwischen. Drang etwa Wasser ins Boot? Nein, dachte er, es ist bloß Kondenswasser. Es wurde spürbar kälter. Ganz ruhig, ermahnte er sich.

»Zweihundertfünfzig Meter«, verkündete der Bootsführer.

Jetzt war es draußen vollständig schwarz.

»Haben Sie so was schon mal erlebt?« fragte Ted.

»Nein«, sagte Norman.

»Ich auch nicht«, sagte Ted. »Ich finde es echt spannend.«

Wenn der Kerl doch bloß den Mund hielte, dachte Norman.

»Wissen Sie«, sagte Ted, »wenn wir das Raumfahrzeug öffnen und den ersten Kontakt mit einer anderen Lebensform haben, wird das ein bedeutsamer Augenblick in der Geschichte der Menschheit sein. Ich habe mir überlegt, was wir bei dieser Gelegenheit sagen könnten.«

»Sagen?«

»Nun ja - ein paar passende Worte. Auf der Schwelle, während die Kameras laufen.«

»Werden denn Kameras da sein?«

»Bestimmt. Ich bin sicher, daß es alle möglichen Formen der Berichterstattung geben wird, ist ja auch nur recht und billig. Wir sollten also etwas sagen, irgendeinen griffigen Satz. Wie wäre es mit: >Das ist ein geschichtlicher Augenblick in der Menschheitsgeschichte^«

»>Geschichtlich< und >Geschichte

»Stimmt«, sagte Ted, »hört sich schwerfällig an. Vielleicht besser: >Ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit

Norman schüttelte den Kopf.

»Oder: >Eine Wegscheide in der Evolution des Menschen als Art

»Kann es bei der Evolution so etwas geben?« »Warum nicht?« gab Ted zurück.

»Nun, an einer Wegscheide treffen verschiedene Wege zusammen. Ist die Evolution einer? Ich denke nein. Bisher war ich der Ansicht, sie habe keine feste Richtung.«

»Sie nehmen das zu wörtlich«, sagte Ted.

»Signale vom Meeresboden«, sagte der Bootsführer. »Zwei-hundertfünfundsiebzig Meter.« Er nahm Fahrt zurück. Sie hörten in Abständen das >Pang< des Sonargeräts.

Ted machte einen neuen Anlauf. »>Eine Schwelle in der Evolution des Menschen als Art

»Klar. Halten Sie es denn für eine?«

»Eine was?«

»Eine Schwelle.«

»Warum nicht?« fragte Ted.

»Und was ist, wenn wir das Ding aufmachen und finden nichts als verrosteten Krempel statt wertvoller oder erhellender Erkenntnisse?«

»Da ist was dran«, sagte Ted.

»Zweihundertneunzig Meter. Außenscheinwerfer sind eingeschaltet«, sagte der Bootsführer.

Durch das Bullauge sahen sie helle Teilchen vorbei treiben. Der Bootsführer erklärte, daß es sich um im Wasser schwebende Kleinstlebewesen handelte.

»Sichtkontakt. Wir sind auf dem Grund.«

»Oh, das möchte ich sehen!« sagte Ted. Der Bootsführer machte bereitwillig Platz, und die beiden Männer sahen hinaus.

Man erkannte eine unbewachsene, eintönig braune Ebene, die sich bis zur Grenze des Lichtkegels vor ihnen erstreckte. Jenseits war alles schwarz.

»Viel zu sehen gibt es hier nicht, fürchte ich«, sagte der Bootsführer.

»Erstaunlich unbelebt«, sagte Ted, ohne eine Spur von Enttäuschung in der Stimme. »Ich hatte gedacht, daß sich hier allerlei Getier tummeln würde.« »Nun, es ist ziemlich kalt hier unten. Die Wassertemperatur liegt, äh, bei circa zwei Grad Celsius.«

»Fast beim Gefrierpunkt«, sagte Ted.

»Ja, Sir. Wollen mal sehen, ob wir Ihr neues Heim finden können.«

Die Motoren dröhnten. Schlammige Ablagerungen wurden vor dem Bullauge hochgewirbelt. Das Boot drehte, schob sich über den Boden. Einige Minuten lang sahen sie nur das Braun der Umgebung.

Dann Helligkeit. »Wir sind da.«

Eine Vielzahl im Rechteck angeordneter Lichter tauchte auf.

»Die Planquadrate des Meßgitters«, erläuterte der Bootsführer.

Das Boot stieg und glitt über die Scheinwerfer hinweg, die sich über mehr als einen halben Kilometer erstreckten. Durch das Bullauge sahen sie in den durch die Scheinwerfer begrenzten Planquadraten Taucher arbeiten. Sie winkten dem vorübergleitenden Boot zu. Der Bootsführer betätigte eine Spielzeughupe.

»Können die das denn hören?«

»Aber natürlich. Wasser leitet den Schall sogar ausgezeichnet.«

»Oh, mein Gott«, entfuhr es Ted.

Unmittelbar voraus erhob sich das riesige Titan-Leitwerksteil steil über den Meeresboden. So groß hatte Norman es sich nicht vorgestellt; als das Boot näher kam, versperrte es ihnen nahezu eine Minute lang das gesamte Gesichtsfeld. Das Metall war von stumpfem Grau und, mit Ausnahme weißer Flecken an Stellen, wo sich Meereslebewesen angesetzt hatten, völlig glatt.

»Keine Anzeichen von Korrosion«, sagte Ted.

»Nein, Sir«, sagte der Bootsführer. »Das ist allen aufgefallen. Es heißt, es liegt am Verbundwerkstoff aus Metall und Kunststoff, aber Genaueres scheint niemand zu wissen.«

Das Leitwerksteil verschwand achtern; erneut schwenkte das

Tauchboot herum. Unmittelbar voraus wurden weitere, in senkrechten Reihen angeordnete Lichter erkennbar. Norman sah einen einzelnen, gelb gestrichenen Stahlzylinder mit hell erleuchteten Bullaugen. Daneben befand sich eine niedrige Metallkuppel.

»Backbord ist das DH-7, das Tiefsee-Habitat der Taucher«, sagte der Bootsführer. »Es geht darin ziemlich spartanisch zu. DH-8, in dem Sie untergebracht sind, ist da schon viel behaglicher eingerichtet, das dürfen Sie mir glauben.«

Er drehte das Boot nach Steuerbord, und nach einem Augenblick absoluter Finsternis kamen wieder Lichter in Sicht. Während sie sich näherten, zählte Norman fünf verschiedene teils senkrecht, teils waagerecht angeordnete Röhren, die ein Gewirr von Verbindungselementen miteinander verband.

»Da haben Sie DH-8, Ihr Heim fern der Heimat«, sagte der Bootsführer. »Wir legen gleich an, es dauert nur eine Minute.«

Metall stieß gegen Metall; ein scharfer Ruck, dann blieben die Motoren stehen. Stille. Sie hörten Luft zischen. Der Bootsführer öffnete die Luke, und überraschend kalte Luft strömte herein.

»Die Luftschleuse ist offen, meine Herren«, sagte er und trat beiseite.

Bei einem Blick nach oben in die Schleuse sah Norman eine Vielzahl von roten Lichtern. Er stieg durch die Luke hinauf direkt in einen Stahlzylinder von etwa zweieinhalb Metern Durchmesser. Rundum an der Wand befanden sich Haltegriffe und eine schmale metallene Bank. Über ihnen leuchteten Heizstrahler, schienen aber nicht viel auszurichten.

Ted kletterte heraus und setzte sich Norman gegenüber auf die Bank. Es war so eng, daß sich ihre Knie berührten. Zu ihren Füßen schloß der Bootsführer die Luke. Als sich das Boot löste, ertönte ein laut hallendes Geräusch, schließlich surrten die Motoren, und das Boot entfernte sich.

Dann Stille.

»Und jetzt?« fragte Norman.

»Sie setzen uns unter Überdruck«, sagte Ted. »Wir werden auf eine Atmosphäre umgestellt, die mit Edelgasen verdünnt ist, denn normale Luft könnten wir hier unten nicht atmen.«

»Warum nicht?« wollte Norman wissen. Während er unverwandt die kalte Stahlwand des Zylinders ansah, wünschte er, er wäre bei der Besprechung nicht eingeschlafen.

»Weil die Erdatmosphäre hier unten tödlich wäre«, sagte Ted. »Sauerstoff verursacht Korrosion und ist ähnlich aggressiv wie Chlor und Fluor. Flußsäure aber, also Fluorwasserstoffsäure, ist die aggressivste aller bekannten Säuren. Der Bestandteil des Sauerstoffs, der einen angebissenen Apfel braun werden und Eisen rosten läßt, hat auf den menschlichen Körper eine unglaublich zersetzende Wirkung, wenn er davon zuviel bekommt. Sauerstoff in komprimierter Form und in hoher Konzentration ist giftig - in gesteigertem Maße. Also wird die Sauerstoffmenge, die wir einatmen, herabgesetzt. Oben enthält die Atmosphäre einundzwanzig Prozent Sauerstoff, hier unten

nur noch zwei. Aber Sie werden den Unterschied nicht merken

Aus einem Lautsprecher ertönte eine Stimme: »Wir beginnen jetzt mit der Druckanpassung.«

»Wer ist denn das?« wollte Norman wissen.

»Barnes«, sagte die Stimme. Doch sie klang nicht wie Barnes' Stimme, sondern brüchig und künstlich.

»Das muß am Sprecher liegen«, sagte Ted und lachte dann. Seine Stimme war merklich höher als sonst. »Das kommt vom Helium, Norman. Die pumpen hier Helium rein.«

»Sie hören sich jetzt an wie Donald Duck«, sagte Norman und begann seinerseits zu lachen. Es klang ebenfalls quiekend, wie in einem Zeichentrickfilm.

»Sie überhaupt nicht, Micky«, quäkte Ted.

»Ift daf komif«, sagte Norman. Beide bogen sich vor Lachen.

»Schluß damit, Leute«, kam Barnes' Stimme über den Lautsprecher. »Die Sache ist nicht zum Lachen.«

»Jawohl, Sir, Captain«, sagte Ted. Inzwischen war seine Stimme so piepsig, daß man sie kaum noch verstand, und erneut brachen beide in Gelächter aus. Ihre blechernen Stimmen hallten wie die von kichernden Schulmädchen durch die stählerne Röhre.

Das Helium wirkte sich jedoch nicht nur auf ihre Stimmen aus.

»Wird euch langsam kalt, Jungs?« fragte Barnes.

Kalt war es in der Tat. Norman sah, wie Ted zitterte, und er fühlte, daß seine Beine sich mit einer Gänsehaut überzogen. Es war, als wären ihre Körper einem kühlen Wind ausgesetzt -nur gab es hier keinen Wind. Die geringe Dichte des Heliums verstärkte die Verdunstung und entzog der Haut Wärme.

Ted sagte etwas quer durch den Zylinder, doch seine Stimme war jetzt so piepsig, daß sie unverständlich blieb. Norman hörte nur noch ein dünnes Quieken.

»Klingt wie Ratten«, sagte Barnes befriedigt.

Ted verdrehte die Augen zum Lautsprecher hin und piepste etwas.

»Wenn Sie was sagen wollen, hängen Sie sich eine Sprechkombination um«, sagte Barnes. »Sie finden sie in dem Kasten unter Ihrem Sitz.«

Norman zog einen Metallkasten hervor und klappte den Dek-kel hoch. Es quietschte laut, wie Kreide auf einer Tafel. Jedes Geräusch in der Kammer klang hoch und schrill. In dem Kasten fand er zwei schwarze Kunststoffstücke mit Bändern.

»Ziehen Sie sich das einfach über den Hals und legen Sie das flache Stück an die Kehle.«

»Wird gemacht«, sagte Ted und sah überrascht auf. Seine Stimme klang zwar etwas rauh, aber ansonsten wie immer.

»Die Dinger scheinen die Stimmbandfrequenzen zu verändern«, sagte Norman.

»Das kommt davon, wenn man bei der Besprechung nicht zuhört«, sagte Barnes. »Genauso ist es. Sie müssen die Geräte tragen, solange Sie hier unten sind - jedenfalls, wenn Sie wollen, daß Sie jemand versteht. Ist Ihnen immer noch kalt?«

»Ja«, sagte Ted.

»Noch einen kleinen Augenblick, dann haben wir vollen Druckausgleich.«

Ein Zischen ertönte, und eine Tür öffnete sich automatisch. Barnes erschien im Türrahmen, mit leichten Jacken über dem Arm. »Willkommen an Bord von DH-8«, sagte er.

DH-8

»Sie sind die letzten«, sagte Barnes. »Es bleibt gerade noch Zeit für eine kurze Besichtigung, bevor wir uns daranmachen, das Raumschiff zu öffnen.«

»Sind Sie denn schon soweit?« fragte Ted. »Wundervoll. Ich habe gerade mit Norman über die Bedeutsamkeit dieses Augenblicks gesprochen. Unser erster Kontakt mit außerirdischem Leben. Wir müßten uns eine kleine Ansprache für dieses denkwürdige Ereignis zurechtlegen.«

»Dafür bleibt noch genug Zeit«, sagte Barnes mit einem schwer zu deutenden Blick auf Ted. »Ich zeig Ihnen am besten zuerst Ihre Unterkunft. Hier entlang.«

Er erklärte, daß das Unterwasser-Habitat DH-8 aus fünf mit A bis E gekennzeichneten großen zylindrischen Röhren bestand. »Röhre A - in der befinden wir uns gerade - dient als Luftschleuse.« Er führte sie in einen anstoßenden Umkleideraum. Schwere Taucheranzüge hingen neben gelben, sonderbar geformten, futuristisch wirkenden Helmen, wie sie Norman schon an den Tauchern aufgefallen waren, schlaff an der

Wand. Mit den Knöcheln klopfte er gegen einen der Helme. Er war aus Kunststoff und überraschend leicht.

Über einem der Visiere stand in Druckschrift johnson.

»Die sind für uns?« fragte er Barnes.

»So ist es«, bestätigte dieser.

»Heißt das, wir gehen nach draußen?« fragte Norman alarmiert.

»Irgendwann sicher. Zerbrechen Sie sich darüber jetzt nicht den Kopf. Frieren Sie immer noch?«

Als sie das bejahten, wies Barnes sie an, enganliegende Kombinationen aus blauem Polyester anzuziehen, die Strampelanzügen verdächtig ähnlich sahen. Ted runzelte die Stirn. »Finden Sie die nicht ziemlich albern?«

»Schon möglich, daß sie nicht der letzte Schrei sind«, sagte Barnes, »aber sie verhindern Wärmeverlust durch das Helium.«

»Die Farbe schmeichelt mir ja nicht gerade«, sagte Ted.

»Zum Teufel mit der Farbe«, knurrte Barnes und gab ihnen die leichten Jacken, die er über dem Arm trug. Norman spürte in einer Tasche etwas Schweres und zog einen Satz Batterien heraus.

»In die Jacken sind Heizdrähte eingearbeitet«, sagte Barnes. »Sie werden elektrisch beheizt wie die Bettdecken, die Sie zum Schlafen bekommen. Folgen Sie mir.«

Sie betraten Röhre B, in der die Anlagen zur Stromerzeugung und die Versorgungseinrichtungen untergebracht waren. Auf den ersten Blick glich ihr Inneres einem großen Kesselraum: Vielfarbige Rohrleitungen und Anschlüsse für alle möglichen Versorgungssysteme waren zu sehen. »Hier erzeugen wir unsere Wärme, unseren Strom und unsere Atemluft«, sagte Barnes. Er schnurrte die Leistungsdaten herunter: »Stromerzeuger mit einem Verbrennungsmotor im geschlossenen Kreislauf, zweihundertvierzig/hundertzehn Volt. Brennstoffzellen auf Wasserstoff- und Sauerstoffbasis. LSS-Monitore. Die Wasseraufbereitungsanlage arbeitet mit Silber-Zink-Batterien.

Und das hier ist Chief Petty Officer Teeny Fletcher.« Eine grobknochige Gestalt, die sich mit einem schweren Schraubenschlüssel zwischen den Leitungen zu schaffen machte, wandte sich um und winkte munter lächelnd mit einer ölverschmierten Hand.

»Sie scheint ihre Arbeit zu verstehen«, sagte Ted lobend.

»Das tut sie«, sagte Barnes. »Aber da alle Hauptversorgungssysteme doppelt existieren und sich alle Systeme im Habitat selbst regeln, ist Alice Fletcher eigentlich nur an Bord, falls alle Stricke reißen sollten.«

Er heftete jedem einen schweren Anstecker an die Kombination. »Tragen Sie diese Melder sicherheitshalber überall und zu jeder Zeit bei sich - es löst sich automatisch ein Alarm aus, sobald die Versorgungswerte unter den Optimalwert absinken, was aber nicht passieren wird. In jedem Raum befinden sich Sensoren, und Sie werden sich daran gewöhnen, daß sich die Umgebung fortlaufend Ihrer Gegenwart anpaßt. Das Licht geht von selbst an und aus, Heizlampen schalten sich ein und aus, und Luftdüsen springen an, um den jeweiligen Ausgleich vorzunehmen. Alles funktioniert automatisch, Sie brauchen nichts zu befürchten, zumal, wie gesagt, jedes Hauptsystem in zweifacher Ausfertigung existiert. Auch wenn Strom-, Luftoder Wasserversorgung vollkommen zusammenbrechen sollten, passiert uns hundertdreißig Stunden lang nichts.«

Norman erschienen hundertdreißig Stunden nicht besonders lang. Er rechnete das im Kopf in Tage um und kam auf gut fünf. Auch fünf Tage fand er nicht besonders lang.

Jetzt ging es in die nächste Röhre. Bei ihrem Eintritt schaltete sich das Licht selbsttätig ein. Röhre C enthielt die eigentlichen Unterkünfte: Kojen, Toiletten, Duschen. »Sie werden sehen, Ihnen steht viel heißes Wasser zur Verfügung.« Stolz wies Barnes sie auf alles hin, als besichtigten sie ein Hotel.

Die Wohnräume waren stark isoliert. Teppichböden und weiches Schaumstoffmaterial an Wänden und Decken verlie-hen ihnen das Aussehen völlig überpolsterter Sofas. Doch trotz der leuchtenden Farben und der erkennbaren Mühe, die man sich mit der Ausstattung gegeben hatte, wirkten die Räume auf Norman eng und beklemmend. Die winzigen Bullaugen gaben lediglich einen Blick in die schwarze Dunkelheit des Ozeans frei. An den ungepolsterten Stellen erinnerte der Anblick kräftiger Bolzen und schwerer Stahlplatten daran, wo sie waren. Ihm kam es vor, als befinde er sich in einer riesigen Eisernen Lunge - eigentlich gar kein schlechter Vergleich, dachte er.

Durch enge Schotten, die sie dazu zwangen, sich zu bücken, erreichten sie Röhre D: Ein kleines Labor mit Tischen und Mikroskopen auf der oberen Ebene und einer kompakten elektronischen Rechen-, Steuer- und Beobachtungseinheit auf der darunter.

»Das ist Tina Chan«, sagte Barnes und stellte ihnen eine schweigsame Frau vor. Alle gaben sich die Hand. Norman gewann dabei den Eindruck, daß Tina Chan geradezu unnatürlich gelassen war, bis er merkte, daß sie zu den Leuten gehörte, die kaum je mit den Augen zwinkerten.

»Seien Sie nett zu Tina«, sagte Barnes. »Sie ist unsere einzige Verbindung zur Außenwelt, kümmert sich um die Nachrichtenleitungen und die Sensorsysteme - genaugenommen um die gesamte Elektronik.«

Tina Chan stand inmitten der größten Bildschirme, die Norman je gesehen hatte. Sie erinnerten ihn an Fernsehgeräte aus den fünfziger Jahren. Barnes erläuterte, daß gewissen Ausrüstungsteilen, unter anderem auch den Kathodenstrahlröhren, die Heliumatmosphäre nicht besonders gut bekam. In den Anfangstagen von Unterwasser-Habitats dieser Art hatte man diese Röhren täglich erneuern müssen. Jetzt waren sie auf komplizierte Weise beschichtet und abgeschirmt; das erklärte ihre Größe.

Neben Chan stand Jane Edmunds, die Barnes als die Archi-varin des Habitats vorstellte.

»Was ist Ihre Aufgabe?« fragte Ted sie.

»Petty Officer First Class, Datenverarbeitung, Sir«, sagte sie. Mit der Brille und ihrer steifen Haltung erinnerte sie Norman an eine Bibliothekarin.

»Datenverarbeitung ...« sagte Ted.

»Es ist meine Aufgabe, alle digitalen Aufzeichnungen und alles visuelle Material zu verwalten. Jeder Aspekt dieses historischen Ereignisses wird aufgezeichnet, und ich archiviere alles vorschriftsmäßig.« Sie ist tatsächlich eine Bibliothekarin, dachte Norman.

»Ausgezeichnet«, sagte Ted. »Das höre ich gern. Film oder Band?«

»Band, Sir.«

»Ich kenne mich mit Videoanlagen aus«, sagte Ted lächelnd. »Zeichnen Sie auf Halb- oder Dreiviertelzollband auf?«

»Das von uns verwendete Datascan-System hat pro Bild zweitausend Pixels, also Bildelemente mit jeweils einer Skala von zwölf Grautönen.«

»Oh«, sagte Ted.

»Ein wenig besser als die handelsüblichen Systeme, die Sie kennen dürften, Sir.«

»Ich verstehe«, sagte Ted. Aber er gewann seine Selbstsicherheit bald zurück und plauderte eine Weile mit Edmunds über technische Einzelheiten.

»Ted scheint sich sehr dafür zu interessieren, wie wir die Sache dokumentieren wollen«, sagte Barnes mit einem unbehaglichen Blick.

»Kommt mir auch so vor.« Es war Norman nicht klar, warum Barnes dieser Gedanke beunruhigte. Machten ihm die Bildaufnahmen Sorgen? Oder befürchtete er, Ted würde sich dabei in den Mittelpunkt drängen? Würde Ted das tun? Und wenn -befürchtete Barnes, das könne die Sache als ziviles Unternehmen erscheinen lassen?

»Nein, die Außenscheinwerfer sind mit HalogenQuarzlampen von hundertfünfzig Watt bestückt«, sagte Edmunds gerade. »Die Empfindlichkeit unseres Aufnahmematerials entspricht einer halben Million ASA, das ist reichlich. Das eigentliche Problem ist das Hintergrundrauschen, und dagegen kämpfen wir beständig an.«

»Mir fällt auf, daß die gesamte technische Besatzung aus Frauen bestehe«, bemerkte Norman.

»Ja«, sagte Barnes. »Alle Tieftauch-Unter suchungen haben gezeigt, daß Frauen bei solchen Einsätzen Männern überlegen sind. Da sie im Schnitt kleiner sind, verbrauchen sie weniger Nährstoffe und Luft, außerdem ist ihr Sozial verhalten besser ausgebildet, daher können sie das Leben in einer engen Gemeinschaft besser ertragen. Außerdem sind sie physiologisch zäher und ausdauernder. Die Navy weiß schon lange, daß eigentlich alle U-Boot-Besatzungen aus Frauen bestehen sollten.« Er lachte. »Aber versuchen Sie mal, das durchzusetzen.« Er sah auf die Uhr. »Wir müssen weiter. Ted?«

Die letzte Röhre, E, war geräumiger als die anderen. Sie enthielt Lagerräume, einen großen Aufenthalts- und einen Fernsehraum und auf der darunterliegenden Ebene eine Kantine mit einer leistungsfähigen Küche. Die rotgesichtige Köchin, Leichtmatrose Rose Levy, stand unter einem riesigen Dunstabzug. Mit einem breiten Südstaatenakzent fragte sie Norman, welchen Nachtisch er am liebsten esse.

»Nachtisch?«

»Ja, Sir, Dr. Johnson. Wenn ich kann, mache ich jedem gern die Freude. Was ist mit Ihnen, Dr. Fielding, haben Sie einen Lieblingsnachtisch?«

»Limetten-Samara-Kuchen«, sagte Ted, »eß ich für mein Leben gern.«

»Kein Problem«, sagte Levy und lächelte breit. Sie wandte sich erneut Norman zu. »Und Ihrer?«

»Erdbeertörtchen.«

»Geht ohne weiteres. Mit der letzten Lieferung sind wunderbare neuseeländische Erdbeeren gekommen. Wollen Sie vielleicht gleich heute abend welche?«

»Warum nicht, Rose?« sagte Barnes munter.

Norman sah aus dem Bullauge in die Dunkelheit des Ozeans. Man konnte das Rechteck des erleuchteten Planquadratgitters erkennen, das sich über achthundert Meter weit an dem korallenbedeckten Raumschiff dahinzog. Taucher, die durch das Licht der Scheinwerfer glitten, sahen aus wie Glühwürmchen.

Norman dachte: Da bin ich gut dreihundert Meter unter dem Meeresspiegel, und wir unterhalten uns darüber, ob es zum Nachtisch Erdbeertörtchen geben soll. Doch je länger er darüber nachdachte, desto vernünftiger schien es ihm. Man konnte es jemandem in einer neuen Umgebung am besten behaglich machen, wenn man ihm Gerichte vorsetzte, die er kannte.

»Von Erdbeeren krieg ich Ausschlag«, sagte Ted.

»Dann bekommen Sie eben Blaubeertörtchen«, sagte Levy prompt.

»Mit Schlagsahne?« fragte Ted.

»Tja ...«

»Man kann nicht alles haben«, sagte Barnes, »und dazu gehört hier unten, in einer Atmosphäre, die aus einem Gasgemisch von dreißig bar Druck besteht, Schlagsahne. Sie wird einfach nicht steif. Kommen Sie, gehen wir weiter.«

Beth und Harry warteten in dem unmittelbar über der Kantine gelegenen kleinen Besprechungsraum, dessen Decke und Wände gepolstert waren. Auch sie trugen beide die Kombination und die Heizjacke. Kopfschüttelnd fragte Harry, als die anderen eintraten: »Was sagen Sie zu unserer Gummizelle?« Er stieß einen Finger in das Wandpolster. »Man kommt sich vor wie in einer Vagina.«

»Sehnen Sie sich nicht nach dem Mutterleib zurück, Harry?« fragte Beth.

»Nein«, sagte Harry. »Da war ich schon. Einmal genügt.«

»Diese Strampelanzüge sind das letzte«, sagte Ted und zog an dem enganliegenden Polyestermaterial.

»Bringt den Bauch gut zur Geltung«, neckte ihn Harry.

»Setzen wir uns«, sagte Barnes.

»Noch ein paar Pailletten dran, und Sie sehen aus wie Elvis Presley«, witzelte Harry.

»Der ist tot.«

»Das ist Ihre Chance«, sagte Harry.

Norman sah sich um. »Wo ist Levine?«

»Er hat es nicht geschafft«, sagte Barnes munter. »Er hat in dem engen Tauchboot Platzangst gekriegt und mußte zurückgebracht werden. So was passiert nun mal.«

»Heißt das, wir haben keinen Meeresbiologen?«

»Wir kommen auch ohne ihn aus.«

»Abscheulich, diese verdammte Kombination«, sagte Ted. »Ich kann sie nicht leiden.«

»Beth steht sie.«

»Ja, sie ist fein raus.«

»Und feucht ist es hier drin«, sagte Ted. »Ist das immer so?«

Es war Norman schon aufgefallen, daß die Feuchtigkeit überall zu sein schien; alles fühlte sich naß, klamm und kalt an. Barnes wies sie auf die Gefahr von Infektionen und Erkältungen hin und teilte Fläschchen mit Hautlotion und Ohrentropfen aus.

»Sagten Sie nicht, die Technik sei auf dem letzten Stand?« ragte Harry.

»Ist sie auch«, sagte Barnes. »Sie können mir glauben, daß das hier im Vergleich mit den Habitats, die wir vor zehn Jahren hatten, der reine Luxus ist.«

»Vor zehn Jahren«, sagte Harry, »hat die Marine aufgehört, solche Dinger zu bauen, weil pausenlos Leute darin umgekommen sind.«

Barnes machte ein finsteres Gesicht. »Es hat nur einen einzi-gen Unfall gegeben.«

»Zwei«, sagte Harry. »Und insgesamt vier Menschen hat es erwischt.«

»Das waren besondere Umstände«, sagte Barnes. »Die Technik der Navy traf daran ebensowenig Schuld wie ihr Personal.«

»Großartig«, sagte Harry. »Und wie lange sollen wir hier unten bleiben?«

»Höchstens zweiundsiebzig Stunden«, antwortete Barnes.

»Ist das sicher?«

»So wollen es die Vorschriften«, sagte Barnes.

»Warum?« fragte Norman verwirrt.

Barnes schüttelte den Kopf. »Fragen Sie bei Dienstvorschriften der Navy nie nach dem Grund.«

Es knackte in der Sprechanlage, und Tina Chan sagte: »Cap-tain Barnes, wir haben ein Signal von den Tauchern. Sie bringen jetzt die Luftschleuse am Raumschiff an. Noch ein paar Minuten, und wir können mit dem Öffnen beginnen.«

Schlagartig änderte sich die Stimmung im Raum; die Erregung war deutlich spürbar. Ted rieb sich die Hände. »Ihnen allen ist natürlich klar, daß wir bereits eine wichtige Entdek-kung von großer Tragweite gemacht haben, auch ohne daß das Raumschiff geöffnet wurde.«

»Und die wäre?« fragte Norman.

»Daß jetzt die Hypothese von den Singularitäten vom Tisch ist«, sagte Ted mit einem Blick auf Beth.

»Die Hypothese von den Singularitäten?« fragte Barnes.

»Er bezieht sich«, erläuterte Beth, »darauf, daß Physiker und Chemiker gewöhnlich die Existenz von intelligentem Leben außerhalb der Erde für möglich halten, Biologen hingegen nicht. Viele von ihnen meinen, da für die Entwicklung intelligenten Lebens auf der Erde so viele spezifische Schritte nötig waren, sei Leben im Universum ein einzigartiges Ereignis, das sich zu keinem Zeitpunkt an einem anderen Ort wiederholt haben kann.«

»Würde denn Intelligenz nicht immer wieder auftreten?« wollte Barnes wissen.

»Nun, auch auf der Erde hat sie sich erst vor kurzem gezeigt«, sagte Beth. »Die Erde ist 4,5 Milliarden Jahre alt, und Leben in Form von Einzellern ist vor 3,9 Milliarden Jahren aufgetreten - geologisch gesprochen fast sofort nach der Entstehung des Planeten. Aber während der nächsten drei Milliarden Jahre blieb es auf Einzeller beschränkt, bis es im Kambrium vor etwa sechshundert Millionen Jahren geradezu zu einer Explosion differenzierter Lebensformen kam. Binnen hundert Millionen Jahren füllte sich der Ozean mit allen möglichen Arten von Wasserlebewesen. Als es ihnen dort zu eng wurde, wichen sie auf das Festland aus und bevölkerten später auch die Luft. Aber niemand weiß, was die Explosion ausgelöst hat. Da sie bei uns drei Milliarden Jahre lang auf sich warten ließ, besteht die Möglichkeit, daß sie auf anderen Planeten ganz ausbleibt.

Noch nach dem Kambrium schien die Kette der Entwicklungen, an deren Ende der Mensch steht, so einmalig und so zufällig, daß Biologen meinen, es hätte ebensogut nie dazu kommen können. Bedenken Sie doch nur: Wären nicht vor fünfundsechzig Millionen Jahren die Dinosaurier - durch einen Kometen oder sonstwas - von der Erde verschwunden, könnten auf unserem Planeten nach wie vor Reptilien die vorherrschende Lebensform sein, und nie hätten die Säuger eine Gelegenheit bekommen, ihre Rolle zu übernehmen. Ohne Säuger aber gäbe es keine Primaten, ohne diese keine Menschenaffen, und ohne sie keinen Menschen ... In der Entwicklungsgeschichte der Arten gibt es eine ganze Reihe unvorhersehbarer Faktoren und jede Menge Zufälle. Deswegen halten Biologen intelligentes Leben für etwas im Universum möglicherweise Einzigartiges, das nur hier aufgetreten ist.«

»Nur wissen wir jetzt«, sagte Ted, »daß es sich nicht um ein einzigartiges Ereignis handelt. Denn da draußen liegt ein verdammt großes Raumschiff.«

»Ich persönlich«, sagte Beth, »könnte darüber nicht glücklicher sein.« Sie biß sich auf die Lippe.

»Du siehst aber nicht danach aus«, sagte Norman.

»Ich will dir sagen«, sagte Beth, »was es ist - ich bin einfach nervös. Ich kann nichts dazu. Vor zehn Jahren hat Bill Jackson, kurz nachdem er den Chemie-Nobelpreis bekommen hatte, in Stanford eine Reihe von Wochenendseminaren über außerirdisches Leben veranstaltet. Er hat uns in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine mußte die außerirdische Lebensform gestalten und alles naturwissenschaftlich ausarbeiten, die andere hat versucht, sich die Lebensform vorzustellen und mit ihr Verbindung aufzunehmen. Jackson führte den Vorsitz als unnachgiebiger Naturwissenschaftler, er hat keinem irgendwelche gedanklichen Höhenflüge durchgehen lassen. Einmal haben wir ihm eine Zeichnung eines Geschöpfs vorgelegt, und er hat ganz einfach gesagt: >Schön, und wo ist der Anus?< Das war seine Kritik. Doch zahlreiche Tierarten auf der Erde haben keinen Anus. Es gibt alle möglichen Arten von Ausscheidungsmechanismen, die nicht auf eine bestimmte Körperöffnung angewiesen sind. Jackson hielt einen Anus für erforderlich, aber er irrte sich. Und jetzt ...« Sie zuckte die Schultern. »Wer weiß, was wir vorfinden werden.«

»Das werden wir sehr bald herausbekommen«, sagte Ted.

Die Sprechanlage meldete sich wieder. »Captain Barnes, die Taucher haben die Luftschleuse an Ort und Stelle, und der Roboter ist bereit, das Innere des Raumschiffs zu erkunden.«

Ted fragte: »Was für ein Roboter?«

Die Tür

»Ich halte das für vollkommen unangemessen«, sagte Ted ärgerlich. »Wir sind doch wohl hier unten, um uns persönlich Zutritt zu dem Raumschiff zu verschaffen, und ich finde, das sollten wir auch tun.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Barnes, »das ist viel zu riskant.«

»Sie müssen das als eine archäologische Fundstätte ansehen«, sagte Ted. »Die Sache ist doch bedeutender als Chichen Itza, Troja oder Tutenchamuns Grabkammer, zweifellos der bedeutendste archäologische Fund in der Menschheitsgeschichte. Und da wollen Sie wirklich so einen verdammten Roboter vorschicken? Wo haben Sie Ihr Gefühl für die Bestimmung des Menschen gelassen?«

»Und wo haben Sie Ihren Selbsterhaltungstrieb gelassen?« fragte Barnes zurück.

»Ich protestiere entschieden, Captain Barnes.«

»Protest zur Kenntnis genommen«, sagte Barnes und wandte sich ab, »wir machen weiter. Tina, spielen Sie uns die Videoaufnahmen ein.«

Ted verzichtete auf eine Entgegnung, weil in diesem Augenblick zwei große Bildschirme vor ihnen aufleuchteten. Auf dem linken sahen sie das komplizierte Rohrgerüst des Roboters mit offenliegenden Motoren und Antriebsbaugruppen. Man hatte ihn vor der gewölbten grauen Metallwand des Raumschiffs in Stellung gebracht.

In diese Wand war eine Tür eingelassen, die einer Flugzeugtür auffallend glich. Auf dem zweiten Bildschirm konnte man sie von nahem sehen, das Bild stammte von der Videokamera des Roboters.

»Sie sieht unseren Flugzeugtüren ziemlich ähnlich«, sagte Ted.

Norman sah zu Harry hin, der unergründlich lächelte, dann zu Barnes. Dieser schien in keiner Weise überrascht. Offenbar wußte er bereits von der Tür.

»Woher eine solche Ähnlichkeit in der Türkonstruktion wohl kommt?« überlegte Ted. »Die Wahrscheinlichkeit, daß sie zufällig auftritt, ist astronomisch gering. Die Tür hat genau die richtige Größe und Form für einen Menschen!«

»Stimmt«, sagte Harry.

»Unglaublich«, sagte Ted, »wirklich unglaublich.«

Harry lächelte und schwieg.

»Wir wollen nach Angriffsflächen suchen«, sagte Barnes.

Der Aufnahmekopf der Videoeinrichtung des Roboters schwenkte nach links und rechts über den Rumpf des Raumschiffs und hielt inne, als er eine kleine rechteckige Abdeckung links von der Tür erfaßte.

»Bekommen wir das da auf?«

»Wir versuchen es gerade, Sir.«

Mit einem Surren näherte sich die Klaue des Roboters der Abdeckung, fuhr aber nur ungeschickt über das Metall und ließ eine Reihe von glänzenden Kratzern zurück. Die Abdeckung blieb geschlossen.

»Das ist doch lachhaft«, beschwerte sich Ted. »Er ist so geschickt wie ein Säugling.«

Die Klaue kratzte weiter über die Abdeckung.

»Wir sollten das selbst tun«, sagte Ted.

»Probieren Sie es mit Unterdruck«, sagte Barnes.

Ein weiterer Arm wurde vorgestreckt, er hielt einen Gummisauger.

»Aha, des Klempners Freund«, spottete Ted.

Der Sauger wurde aufgesetzt, flachgedrückt, dann hob sich die Abdeckung mit einem Ruck.

»Na also.«

»Ich kann nichts sehen .«

Nur verschwommen sah man, was in der Vertiefung hinter der Abdeckung lag, das Bild war unscharf. Sie erkannten so etwas wie eine Reihe runder metallener Vorsprünge in den Farben Rot, Gelb und Blau. Darüber waren komplizierte schwarzweiße Zeichen zu erkennen.

»Seht nur«, sagte Ted, »rot, blau, gelb. Die Grundfarben. Das ist ein phantastischer Durchbruch.«

»Wieso?« fragte Norman.

»Weil es darauf hinweist, daß die Außerirdischen dieselben Sinne besitzen wie wir - vielleicht sehen sie das Universum genauso wie wir, in denselben Farben, nutzen denselben Teil des elektromagnetischen Spektrums. Das wird bei der Kontaktaufnahme ungeheuer hilfreich sein. Und diese schwarz-weißen Kennzeichnungen ... sicher ist das ihre Schrift! Wer hätte das gedacht! Eine außerirdische Schrift!« Er lächelte hingerissen. »Ein denkwürdiger Augenblick«, sagte er. »Ich empfinde es als großes Vorrecht, dabei zu sein.«

»Scharf stellen!« rief Barnes.

»Jawohl, Sir.«

Das Bild wurde noch verschwommener.

»Andersrum!«

»Ja, Sir.«

Die Konturen wurden allmählich scharf.

»Oho«, sagte Ted, den Blick auf den Bildschirm geheftet.

Sie sahen, daß die drei Vorsprünge tatsächlich farbige Knöpfe waren: gelb, rot, blau. Jeder maß etwa zweieinhalb Zentimeter im Durchmesser und hatte geriffelte Kanten. Die Symbole über ihnen entpuppten sich als eine Reihe deutlich erkennbarer Bezeichnungen.

Von links nach rechts konnte man lesen: »Emergency Rea-dy«, »Emergency Lock« und »Emergency Open«.

Einen Augenblick lang herrschte beklommenes Schweigen. Dann begann Harry Adams ganz leise zu lachen.

Das Raumschiff

»Das ist ja Englisch!« sagte Ted, der den Blick keine Sekunde vom Bildschirm nahm. »Englische Beschriftungen!«

»Ja«, sagte Harry, »so ist es.«

»Was wird hier gespielt?« fragte Ted, »soll das ein Witz sein?«

»Nein«, sagte Harry gelassen und seltsam unbeteiligt.

»Wieso kann ein dreihundert Jahre altes Raumschiff Anweisungen in modernem Englisch tragen?«

»Denken Sie mal drüber nach«, sagte Harry.

Ted runzelte die Stirn. »Vielleicht will sich das außerirdische Raumschiff uns in einer Weise darstellen, die uns freundlich stimmt.«

»Denken Sie noch ein bißchen weiter nach«, ermunterte ihn Harry.

Es entstand eine kurze Pause. »Nun, sofern es ein außerirdisches Raumschiff ist -«

»Es ist aber keins«, sagte Harry.

In das allgemeine Schweigen hinein sagte Ted: »Warum erzählen Sie uns nicht einfach, was es ist, wenn Sie Ihrer Sache so sicher sind?«

»Nun«, sagte Harry gedehnt, »es ist ein amerikanisches Raumschiff.«

»Ein amerikanisches Raumschiff? Achthundert Meter lang? Mit Techniken hergestellt, die wir noch nicht kennen? Und dreihundert Jahre lang hier im Meeresboden begraben?«

»Natürlich«, sagte Harry. »Das war von Anfang an klar. Stimmt's, Captain Barnes?«

»Wir hatten auch an diese Möglichkeit gedacht«, gab Barnes zu, »der Präsident hat sie immerhin erwogen.«

»Ja, und deswegen haben Sie den Russen nichts davon gesagt.«

»So ist es.«

Ted war grenzenlos enttäuscht. Er ballte die Fäuste, als wolle er auf jemanden losdreschen. Er sah von einem zum anderen. »Aber woher wußten Sie das?«

»Den ersten Hinweis«, sagte Harry, »liefert der Zustand des Schiffes, denn es weist keinerlei Beschädigungen auf, ist sozusagen fabrikneu. Ein Raumschiff aber, das aufs Wasser aufschlägt, wird auf jeden Fall beschädigt. Selbst bei einer relativ geringen Aufprallgeschwindigkeit - sagen wir mal, bei etwa dreihundert Stundenkilometern - ist die Wasserfläche so hart wie Beton. Ganz gleich, wie stabil das Schiff gebaut ist, der Aufschlag auf das Wasser kann nicht folgenlos geblieben sein. Aber es hat nicht den kleinsten Kratzer.«

»Und das heißt?«

»Daß es nicht auf dem Wasser aufgeschlagen ist.«

»Ich verstehe nicht. Es muß doch hierhergeflogen sein -«

»Es ist nicht hierhergeflogen, es ist hier eingetroffen.«

»Und von wo?«

»Aus der Zukunft«, sagte Harry. »Das ist ein irdisches Raumschiff, wie es in der Zukunft gebaut wurde - gebaut werden wird -, das in der Zeit rückwärtsgereist und vor ein paar hundert Jahren unter unserem Ozean aufgetaucht ist.«

»Warum sollten Menschen in der Zukunft das tun?« stöhnte Ted. Er war sichtlich unglücklich darüber, daß man ihm sein außerirdisches Raumschiff genommen hatte, seinen großen historischen Moment. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und sah stumpf auf die Bildschirme.

»Ich weiß nicht, warum die Menschen in der Zukunft das tun sollten«, sagte Harry. »Wir sind ja noch nicht da. Vielleicht war es ein Unfall, und sie wollten es gar nicht so.«

»Also vorwärts, aufmachen«, sagte Barnes.

»Wir öffnen, Sir.«

Die Roboterhand bewegte sich auf den Knopf mit der Bezeichnung >Öffnen< zu. Sie drückte mehrere Male. Man hörte ein Knacken, aber nichts geschah.

»Was ist los?« fragte Barnes.

»Sir, es gelingt uns nicht, auf den Knopf zu drücken. Der Arm ist für die Aussparung unter der Abdeckung zu groß.«

»Na großartig.«

»Soll ich es mit der Sonde probieren?«

»Tun Sie das.«

Die Klaue glitt zurück, und eine Sonde mit einer dünnen Nadel fuhr auf den Knopf zu. Sie schob sich vor, brachte sich genau in Position, berührte den Knopf, drückte - und glitt ab.

»Wir versuchen es noch mal, Sir.«

Wieder drückte die Sonde gegen den Knopf, und wieder rutschte sie ab.

»Sir, die Oberfläche ist zu glatt.«

»Versuchen Sie es weiter.«

»Wissen Sie«, sagte Ted nachdenklich, »es ist trotzdem eine ungewöhnliche Situation und in gewisser Hinsicht noch bemerkenswerter, als es ein Zusammentreffen mit Außerirdischen gewesen wäre. Ich war schon ganz sicher, daß im Universum außerirdisches Leben existiert. Aber eine Zeitreise! Als Astrophysiker hatte ich zugegebenermaßen meine Zweifel. Nach allem, was wir wissen, ist sie unmöglich, da ihr die Gesetze der Physik widersprechen. Und jetzt haben wir einen Beweis dafür, daß eine Zeitreise doch möglich ist - und daß unsere eigene Gattung sie einmal unternehmen wird!«

Ted lächelte mit weit geöffneten Augen; er war wieder glücklich. Bewundernswert, dachte Norman - ein richtiges Stehaufmännchen.

»Und hier«, sagte Ted, »stehen wir vor unserem ersten Zusammentreffen mit unseresgleichen aus der Zukunft! Man denke nur! Eine Begegnung mit unserem zukünftigen Selbst!«

Die Sonde versuchte es immer wieder, ohne Erfolg.

»Sir, wir bekommen es nicht auf.«

»Das sehe ich selbst«, sagte Barnes und erhob sich. »Schön, lassen Sie es gut sein und verschwinden Sie da. Ted, es sieht ganz so aus, als ob Ihr Wunsch doch noch in Erfüllung ginge. Wir müssen hin und es von Hand öffnen. In die Taucheranzüge!«

Ins Schiff hinein

Im Umkleideraum in der Röhre A stieg Norman in seinen Taucheranzug. Tina und Edmunds halfen ihm, den Helm aufzusetzen, und schlossen den Schnappring in seinem Nacken. Er spürte das schwere Gewicht der Atemluftflaschen auf seinem Rücken, die Gurte drückten in seine Schultern. Die Luft schmeckte nach Metall. Mit einem Knacken meldete sich die Gegensprechanlage in seinem Helm.

Die ersten Worte, die er hörte, waren: »Wie wäre es mit >Ein erhabener Augenblick für die Menschheit

»Finden Sie das komisch?« fragte Ted gekränkt.

Norman sah durch den Raum auf den Mann, dessen gelber Helm die Aufschrift fielding trug.

»Nein«, sagte er, »ich bin nur nervös.«

»Ich auch«, gab Beth zu.

»Hat gar nichts zu bedeuten«, sagte Barnes, »glauben Sie mir.«

»Was sind die drei größten Lügen in DH-8?« fragte Harry, und sie brachen erneut in Gelächter aus.

Sie drängten sich gemeinsam in die kleine Luftschleuse, so daß sie mit den behelmten Köpfen aneinanderstießen. Die Luke zur Linken wurde verschlossen, das Handrad drehte sich. Barnes sagte: »In Ordnung, Leute, ganz normal atmen.« Er öffnete die untere Luke. Das schwarze Wasser, das sichtbar wurde, stieg nicht in die Schleuse. »Die Anlage steht unter Überdruck«, erläuterte Barnes, »deswegen steigt es nicht hoch. Sehen Sie mir genau zu und machen mir alles nach. Passen Sie auf, daß Sie keinen Riß in Ihren Anzug bekommen.« Er bewegte sich schwerfällig unter dem Gewicht der Atemluftflaschen, ging an der Luke in die Hocke, faßte nach den seitlichen Haltegriffen, ließ los und verschwand mit einem leisen Platschen.

Einer nach dem anderen ließen sie sich auf den Meeresboden gleiten. Norman keuchte, als er das eiskalte Wasser durch seinen Anzug spürte; im selben Augenblick hörte er das Summen eines winzigen Ventilators, der sich zusammen mit der elektrischen Heizung des Anzugs einschaltete. Normans Füße berührten weichen, schlammigen Grund. Er sah sich in der Dunkelheit um. Er stand unter dem Habitat. Unmittelbar vor ihm, etwa dreißig Meter entfernt, lag das hellerleuchtete Gitternetz der Planquadrate. Barnes schritt bereits voran, beugte sich in die Strömung, bewegte sich langsam wie ein Astronaut auf dem Mond.

»Ist es nicht phantastisch?«

»Beruhigen Sie sich doch, Ted«, sagte Harry.

»Sonderbar, wie wenig Leben es hier unten gibt«, bemerkte Beth. »Ist euch das auch aufgefallen? Keine einzige Fächerkoralle, weder Schnecken, Schwämme, noch Fische. Nichts als unbelebter brauner Meeresboden. Das muß einer der toten Flecken im Pazifik sein.«

Hinter Norman erschien ein helles Licht; sein eigener Schatten fiel auf den Boden vor ihm. Er drehte sich um und sah Edmunds, die in einem druckfesten und wasserdichten Gehäuse eine Kamera und eine Filmleuchte hielt.

»Wird das alles aufgenommen?«

»Ja, Sir.«

»Paß auf, daß du nicht hinfällst, Norman«, lachte Beth.

»Bin schon dabei.«

Sie näherten sich den Planquadraten. Norman fühlte sich besser, als er die Taucher dort arbeiten sah. Rechts ragte das Leitwerksteil steil aus den Korallen empor, eine glatte, dunkle Fläche riesigen Ausmaßes, neben der sie sich wie Zwerge vorkamen.

Barnes führte sie daran vorbei und durch einen in die Korallen geschnittenen schmalen Tunnel. Er war etwa zwanzig Meter lang und hell beleuchtet. Sie gingen im Gänsemarsch. Es kam Norman vor, als beträten sie ein Bergwerk.

»Haben die Taucher diesen Gang geschlagen?«

»So ist es.«

Norman sah eine von Drucktanks umgebene kastenförmige Konstruktion aus Wellblech.

»Vor uns liegt die Luftschleuse. Wir sind fast da«, sagte Barnes. »Alles in Ordnung?«

»Bis jetzt schon«, gab Harry zurück.

Sie betraten die Luftschleuse, und Barnes schloß die Tür. Luft zischte laut. Norman beobachtete, wie das Wasser sank: erst wurde sein Visier frei, dann stand er bis zur Hüfte, dann bis zu den Knien im Wasser, schließlich sank es auf den Boden, und das Zischen hörte auf. Sie gingen durch eine andere Tür und verschlossen sie luftdicht hinter sich.

Norman wandte sich dem metallenen Rumpf des Raumschiffs zu. Den Roboter hatte man beiseite dirigiert. Es kam Norman ganz so vor, als stehe er vor einem übergroßen Düsenflugzeug: eine gekrümmte, metallene Fläche und eine bündig in sie eingepaßte Tür. Das stumpfe Grau des Metalls machte einen furchteinflößenden Eindruck. Norman war nervös. Er achtete auf den Atem der anderen und spürte, daß auch sie nervös waren.

»Alles in Ordnung?« fragte Barnes. »Haben wir alle?«

»Bitte einen Moment, Sir, die Videoaufnahmen sind noch nicht so weit«, sagte Edmunds.

»Schön, wir warten.«

Sie nahmen neben der Tür Aufstellung, hatten die Helme aber noch nicht abgesetzt. Die Aufnahmen werden wohl nicht besonders viel hergeben, dachte Norman.

Edmunds: »Kamera läuft.«

Ted: »Ich möchte gern einige Worte sagen.«

Harry: »Großer Gott, Ted, können Sie es denn nie lassen?«

Ted: »Es scheint mir wichtig.«

Harry: »Na gut, schießen Sie los.«

Ted: »Hallo! Hier spricht Ted Fielding an der Tür des unbekannten Raumschiffs, das entdeckt wurde -«

Barnes: »Augenblick, Ted. >Hier ... an der Tür des unbekannten Raumschiffs< klingt wie: >Hier, am Grab des unbekannten Soldaten.««

Ted: »Gefällt es Ihnen nicht?«

Barnes: »Ich finde, es weckt die falschen Assoziationen.«

Ted: »Ich dachte, es würde Ihnen gefallen.«

Beth: »Können wir jetzt weitermachen, bitte?«

Ted: »Schon gut, schon gut.«

Harry: »Was denn, schmollen Sie jetzt etwa?«

Ted: »Schon gut! Wir werden eben in diesem historischen Augenblick ohne Kommentar auskommen.«

Harry: »Okay, fein. Also machen wir das Ding auf.«

Ted: »Ich denke, daß jeder weiß, was ich empfinde. Ich meine, wir sollten ein paar Worte für die Nachwelt sprechen.«

Harry: »Nun, dann sprechen Sie endlich!«

Ted: »Hören Sie, Sie verdammter Mistkerl, ich habe genug von Ihrer hochnäsigen Besserwisserei.«

Barnes: »Kamera aus, bitte.«

Edmunds: »Kamera ist aus, Sir.«

Barnes: »Wir wollen uns doch bitte alle beruhigen.«

Harry: »Mir scheint das ganze feierliche Getue völlig unangebracht.«

Ted: »Es ist keineswegs unangebracht: es gehört sich einfach so.«

Barnes: »Also schön, ich mach es selbst. Kamera.«

Edmunds: »Kamera läuft.«

Barnes: »Hier spricht Captain Barnes. Wir stehen jetzt im Begriff, die Eingangstür zu öffnen. Mit mir gemeinsam erleben diesen historischen Augenblick Ted Fielding, Norman Johnson, Beth Halpern und Harry Adams.«

Harry: »Warum werde ich zuletzt genannt?«

Barnes: »Ich habe Sie von links nach rechts vorgestellt, Harry.«

Harry: »Immerhin merkwürdig, daß der einzige Schwarze als letzter dran kommt.«

Barnes: »Harry, es geht von links nach rechts. So, wie wir hier stehen.«

Harry: »Und nach der einzigen Frau. Ich bin Ordinarius, Beth ist nur Assistenz-Professorin.«

Beth: »Harry -«

Ted: »Wissen Sie, Hal, vielleicht sollte man uns mit allen Titeln und Funktionen vorstellen -«

Harry: »- was ist gegen die alphabetische Reihenfolge einzuwenden -?«

Barnes: »- Schluß! Feierabend! Keine Kamera!«

Edmunds: »Kamera ist aus, Sir.«

Barnes: »Großer Gott im Himmel.«

Barnes wandte sich von der Gruppe ab und schüttelte den behelmten Kopf. Er klappte die metallene Abdeckung hoch, legte die Knöpfe frei und drückte einen davon. Ein gelbes Licht blinkte auf: >bereit<.

»Alle bleiben auf Eigenluft«, sagte Barnes.

Sie würden weiterhin Luft aus ihren Flaschen atmen, für den Fall, daß die Gase im Raumschiff giftig waren.

»Sind alle bereit?«

»Bereit.«

Barnes drückte den mit öffnen bezeichneten Knopf.

Eine Leuchtschrift erschien: Atmosphäre wird angegli-chen. Dann glitt die Tür leise rumpelnd zur Seite - wie bei einem Flugzeug. Einen Augenblick lang konnte Norman außer tiefer Finsternis nichts dahinter erkennen. Sie tasteten sich behutsam vorwärts, leuchteten durch die offene Tür, sahen Träger, eine Anordnung von Metallrohren.

»Prüfen Sie die Luft, Beth.«

Beth zog am Kolben eines kleinen Gasmeßgeräts in ihrer Hand. Die Anzeige leuchtete.

»Helium, Sauerstoff, Spuren von CO2 und Wasserdampf. Im richtigen Verhältnis. Es ist Atemluft unter Überdruck.«

»Heißt das, das Schiff hat selbst für die jeweils richtige Atmosphäre gesorgt?«

»Sieht ganz so aus.«

»Okay. Einer nach dem anderen.«

Barnes nahm seinen Helm als erster ab und atmete die Luft. »Scheint in Ordnung. Hat einen kleinen metallischen Beigeschmack, ist aber sonst wohl in Ordnung.« Er atmete einige Male tief ein und nickte dann. Alle nahmen, seinem Beispiel folgend, die Helme ab und stellten sie am Boden ab.

»So ist es besser.«

»Gehn wir?«

»Warum nicht?«

Als die anderen kurz zögerten, trat Beth vor: »Damen haben den Vortritt.«

Die anderen folgten ihr. Norman blickte sich um und sah auf ihre gelben Helme am Boden. Edmunds hielt die Videokamera ans Auge und forderte ihn auf: »Nur zu, Dr. Johnson.«

Er wandte sich um und betrat das Raumschiff.

Im Inneren

Sie standen auf einem eineinhalb Meter breiten Steg hoch in der Luft. Norman richtete die Taschenlampe nach unten: ihr Strahl durchschnitt zwölf Meter Dunkelheit, bevor er auf den Boden des Rumpfes fiel. Sie selbst umgab, in der Finsternis nur schwach wahrnehmbar, ein dichtes Gitterwerk aus Streben und Trägern.

»Man kommt sich vor wie in einer Erdölraffinerie«, sagte Beth. Sie hielt ihre Lampe auf einen der Stahlträger. Er trug die Aufschrift »AVR-09«. Alle Beschriftungen waren englisch.

»Das meiste von dem, was Sie hier sehen, sind tragende Teile«, sagte Barnes. »Lastaufnehmende Stützen für den Außenrumpf. Eine solche Bauweise verstärkt die Belastbarkeit der Struktur in alle Richtungen enorm. Wie wir bereits angenommen haben, ist das Schiff außergewöhnlich stabil, für geradezu unvorstellbare Belastungen konstruiert. Wahrscheinlich gibt es noch einen kleineren Rumpf weiter innen.« Norman fiel ein, daß Barnes von Haus aus Luftfahrtingenieur war.

»Nicht nur das«, sagte Harry und ließ das Licht seiner Taschenlampe über die Rumpfhaut gleiten, »sehen Sie sich das mal an - eine Bleischicht.«

»Zur Strahlenabschirmung?«

»Anzunehmen. Sie dürfte etwa fünfzehn Zentimeter stark sein.«

»Also konnte das Schiff selbst einer starken Strahlung widerstehen.«

»Einer verdammt starken«, sagte Harry.

Feiner Dunst lag im Raumschiff, und die Luft roch leicht ölig. Vermutlich waren die Metallträger eingeölt. Als Norman sie aber prüfend berührte, blieb an seinen Fingern kein Öl haften. Ein ungewöhnliches Metall; es fühlte sich glatt und eher weich an, fast wie Gummi.

»Interessant«, sagte Ted. »Ein neues Material. In unserer Vorstellung verbindet sich Festigkeit mit Härte, aber das Metall hier - wenn es welches ist - verbindet Festigkeit mit Nachgiebigkeit.

Die Werkstofftechnik hat seit unserer Zeit offensichtlich Fortschritte gemacht.«

»Offensichtlich«, sagte Harry.

»Muß sie ja eigentlich auch«, sagte Ted. »Denkt man fünfzig Jahre zurück und vergleicht das Amerika von damals mit dem Amerika von heute, fällt vor allem auf, wie viele Kunststoffe und keramische Werkstoffe es gibt, an die man damals nicht einmal gedacht hat ...« Ted redete weiter, seine Stimme hallte in der höhlenartigen Dunkelheit. Norman hörte die Spannung, die in ihr mitschwang. Ein kleiner Junge, der im Dunkeln pfeift, dachte er.

Sie drangen tiefer in das Schiff ein. Es schwindelte Norman bei dem Gedanken, sich im Dunkeln in so großer Höhe zu bewegen. Vor ihnen verzweigte sich der Steg. Vor lauter Rohren und Trägern war kaum etwas zu erkennen - man kam sich vor wie in einem Wald aus Metall.

»Wohin jetzt?«

Barnes trug einen Armbandkompaß, dessen Beleuchtung grünlich schimmerte. »Nach rechts.«

Noch zehn Minuten lang folgten sie dem Netz aus Stegen. Allmählich stellte Norman fest, daß Barnes recht gehabt hatte: es gab einen Innenzylinder, den eine Unzahl von Stützen und Trägern in gleichmäßigem Abstand vom Außenzylinder hielten. Ein Raumschiff in einem Raumschiff.

»Warum die das Schiff wohl so gebaut haben?«

»Das müßte man sie fragen.«

»Die Gründe dafür dürften zwingend gewesen sein«, sagte Barnes. »Wenn man sich überlegt, welche Antriebsleistung für einen Doppelrumpf mit einer so dicken Bleiabschirmung nötig ist . der Motor, der so einen Brocken in die Luft bringen soll,

ist kaum vorstellbar.«

Nach weiteren drei oder vier Minuten fanden sie die Tür, die in den Innenrumpf führte und der Außentür aufs Haar glich.

»Müssen wir die Atemgeräte holen und wieder anlegen?«

»Ich weiß nicht. Können wir es darauf ankommen lassen?«

Ohne auf Barnes' Antwort zu warten, klappte Beth die Abdeckung über den Knöpfen hoch, drückte auf >öffnen<, und die Tür schob sich rumpelnd auf. Hinter ihr lag tiefe Finsternis. Sie traten ein. Norman spürte etwas Weiches unter den Füßen; das Licht seiner Taschenlampe fiel auf beigefarbenen Teppichboden.

Die durch den Raum hin- und herfahrenden Lichtfinger der Taschenlampen ließen eine große beigefarbene Steuertafel erkennen, in deren Mulden drei hochlehnige Polstersitze standen. Der Raum war offenkundig für den Aufenthalt von Menschen vorgesehen.

»Das hier dürfte die Kommandobrücke oder Steuerzentrale sein.«

Aber die geschwungene Tafel zeigte keinerlei Spuren von Instrumenten, und auch die Sitze waren leer. Der Raum weckte in Norman ein trostloses Gefühl.

»Sieht eher aus wie ein Modell in Originalgröße als wie ein echtes Raumschiff.«

»Ein Modell kann es nicht sein.«

»Es sieht aber so aus.«

Norman fuhr mit der Hand über die glatte Fläche der Steuerwand. Sie fühlte sich angenehm an. Er preßte seine Hand auf die Oberfläche. Sie gab nach, wieder ähnlich wie Gummi.

»Noch ein neuer Werkstoff.«

Der Schein seiner Taschenlampe fiel auf einige Gegenstände. Am anderen Ende der Steuerwand war mit Klebestreifen eine Karteikarte im DIN-A-6-Format befestigt. Norman las die handgeschriebene Notiz: >auf geht's, schätzchen!< Daneben stand eine Kunststoff-Statuette, die ein niedliches kleines Tier darstellte; es ähnelte einem lila Eichhörnchen. Ihre Grundplatte trug die Aufschrift: >Glücks-Lemontina< - was auch immer das bedeuten mochte.

»Sind die Sitze aus Leder?«

»Sieht ganz so aus.«

»Wo sind bloß die verdammten Steuereinrichtungen?«

Norman drückte mit der Hand immer wieder auf die leere beigefarbene Fläche der geschwungenen Steuerwand, bis sie mit einemmal Tiefe gewann. Sie schien Instrumente und Bildschirme zu enthalten. Aber alles lag irgendwie innerhalb der Oberfläche, wie eine optische Täuschung oder ein Hologramm. Norman las die Buchstaben über den Instrumenten: >Pos Schub< ... >F3 Laderkolben< ... >gleiten< ... >Siebe< ...

»Noch mehr neue technische Verfahren«, sagte Ted. »Erinnert an Flüssigkristall-Anzeigen, ist denen aber haushoch überlegen. Irgendeine Art fortschrittlicher Optoelektronik.«

Unvermittelt glommen alle Bildschirme der Steuerwand rot auf, und ein Pfeifen ertönte. Verblüfft sprang Norman zurück: die Steuerwand wurde lebendig.

»Aufpassen, Leute!«

Ein grellweißer Blitz füllte den Raum und hinterließ ein scharf umrissenes Nachbild.

»Großer Gott .«

Wieder ein Blitz - noch einer -, dann ging die Deckenbeleuchtung an und erhellte den Raum gleichmäßig. Norman sah verblüffte und erschreckte Gesichter. Er seufzte, wobei er langsam ausatmete.

»Herr im Himmel .«

»Wie zum Teufel ist das passiert?« fragte Barnes.

»Das war ich«, sagte Beth. »Ich hab hier auf den Knopf gedrückt.«

»Wir wollen bitte keine weiteren Knöpfe mehr drücken«, sagte Barnes ärgerlich.

»Aber es steht doch >Innenbeleuchtung< drunter. Ich hielt es

für eine gute Idee.«

»Bitte keine Extratouren mehr«, sagte Barnes.

»Nun, lieber Gott, Hal -«

»Lassen Sie bitte Ihre Finger von allen weiteren Knöpfen, Beth!«

Sie gingen weiter durch die Kabine, betrachteten interessiert die Sitze und Einzelheiten der Instrumententafel. Nur Harry stand regungslos in der Mitte des Raumes und sagte: »Hat jemand irgendwo ein Datum gesehen?«

»Nein.«

»Es muß aber eins da sein«, sagte Harry plötzlich angespannt. »Und wir müssen es finden. Denn dies ist mit Sicherheit ein amerikanisches Raumschiff aus der Zukunft.«

»Und was tut es dann hier?« wollte Norman wissen.

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß«, sagte Harry. Er zuckte die Schultern.

Norman runzelte die Stirn.

»Ist was, Harry?«

»Ach, nichts.«

»Bestimmt?«

»Klar doch.«

Er hat was rausgekriegt, was ihm Sorgen macht, aber er will es uns nicht verraten, überlegte Norman.

»So also sieht eine Zeitmaschine aus«, sagte Ted versonnen.

»Ich weiß nicht«, sagte Barnes. »Wenn Sie mich fragen, die Instrumententafel sieht aus, als wär das Ding zum Fliegen bestimmt, und der ganze Raum wirkt auf mich wie eine Pilotenkanzel.«

Auch Norman erinnerte alles in dem Raum an eine Flugzeugkanzel: die drei Sitze für den Piloten, den Kopiloten und den Navigator, die Anordnung der Instrumente. Mit Sicherheit war das eine Flugmaschine, aber irgend etwas stimmte nicht.

Er nahm in einem der körperangepaßten Sessel Platz. Das weiche, lederähnliche Material war beinahe zu bequem. Er

hörte es glucksen. Eine Wasserfüllung?

»Sie wollen das Ding doch hoffentlich nicht fliegen?« lachte Ted.

»Aber nein.«

»Was ist das für ein Surren?«

Der Sessel umschloß Norman. Mit einemmal erfaßte ihn panische Angst. Die Lederpolsterung umschloß seinen ganzen Körper, drückte ihm die Schultern zusammen und griff nach seinen Hüften. Sie legte sich ihm um den Kopf, bedeckte seine Ohren, schob sich vor seine Stirn. Er sank tiefer, verschwand in dem Sessel, wurde förmlich von ihm aufgesogen.

»O Gott .«

Schließlich ruckte der Sessel nach vorn und blieb unmittelbar vor der Steuerwand stehen. Das Surren hörte auf.

Dann Stille.

»Vermutlich nimmt der Sessel an«, sagte Beth, »daß du die Maschine fliegen willst.«

»Hmm«, sagte Norman und versuchte, seine Atmung und seinen jagenden Puls in die Gewalt zu bekommen. »Ich wüßte gern, wie ich hier wieder rauskomme.«

Nur noch seine Hände waren frei. Er ertastete einige in die Sessellehne eingelassene Knöpfe und drückte auf einen.

Der Sessel schob sich zurück, öffnete sich wie eine weiche Muschel und gab ihn frei. Norman erhob sich, drehte sich um und sah, wie der Abdruck seines Körpers allmählich verschwand, während der Sessel surrend in seine alte Stellung zurückkehrte.

Harry betastete eines der Lederpolster und lauschte auf das Gluckern darin. »Das ist tatsächlich Wasser.«

»Eine vernünftige Lösung«, lobte Barnes. »Da sich Wasser nicht komprimieren läßt, kann man in einem solchen Sessel ungeheuren Beschleunigungskräften standhalten.«

»Auch das Schiff ist so gebaut, daß es extreme Belastungen aushaken kann«, sagte Ted. »Vielleicht unterwirft eine Zeitrei-se die Bauteile einer harten Belastungsprobe?«

»Möglich.« Norman zweifelte. »Aber ich glaube, Barnes hat recht - das Ding hier ist tatsächlich geflogen.«

»Das sieht vielleicht nur so aus«, sagte Ted. »Zwar ist die Reise im Raum für uns ein alter Hut, aber die Reise in der Zeit ist noch völlig unerforschtes Gebiet. Bekannt ist nur, daß Raum und Zeit nichts anderes sind als zwei Aspekte derselben Sache, Raumzeit. Vielleicht fliegt man in der Zeit genauso wie im Raum. Kann sein, daß Zeitreise und Raumfahrt einander ähnlicher sind, als wir heute annehmen.«

»Übersehen wir dabei nicht etwas?« mischte sich Beth ein. »Wo sind die Leute? Wenn sie das Ding hierher geflogen haben, ganz gleich, ob durch den Raum oder durch die Zeit, wo sind sie?«

»Wahrscheinlich woanders im Schiff.«

»Dessen bin ich nicht so sicher«, sagte Harry. »Sehen Sie sich die Lederpolster der Sitze mal an. Sie sind fabrikneu.«

»Vielleicht war es ein ganz neues Schiff.«

»Nein, ich meine buchstäblich fabrikneu. An dem Leder sind keinerlei Kratzer, Schnitte, Kaffeeflecke oder so was zu sehen. Nichts weist darauf hin, daß jemals ein Mensch darin gesessen hat.«

»Vielleicht hat es keine Besatzung gegeben.«

»Und wofür sind dann die Sitze vorgesehen?«

»Möglicherweise wurde die Besatzung im letzten Augenblick von Bord genommen, weil man sich wegen der Strahlung Sorgen machte. Immerhin hat der Innenrumpf auch einen Bleimantel.«

»Was hat Strahlung mit der Zeitreise zu tun?«

»Ich hab's«, sagte Ted. »Wenn nun das Schiff versehentlich gestartet worden ist? Angenommen, es stand auf der Startrampe und jemand hat den Knopf gedrückt, bevor die Mannschaft an Bord gehen konnte. Dann ist es eben leer losgeflogen.«

»Sie meinen: Huch, falscher Knopf?« »Das wäre aber ein scheußlicher Fehler«, sagte Norman.

Barnes schüttelte den Kopf. »Daran glaube ich nicht. Erstens könnte man ein Schiff von dieser Größe nie von der Erde aus starten. Es muß auf einer Umlaufbahn gebaut, zusammengesetzt und im Weltraum gestartet worden sein.«

»Was halten Sie davon?« sagte Beth und wies auf eine weitere Instrumentenwand nahe der Rückwand der Steuerzentrale. Dort war ein vierter Stuhl dicht an den Instrumententräger gerückt.

Das Leder umschloß eine menschliche Gestalt.

»Das gibt's doch nicht ...«

»Sitzt da ein Mann drin?«

»Sehen wir es uns doch einmal an.« Beth drückte auf den Knopf in der Armlehne. Der Sessel fuhr vom Instrumententräger zurück und öffnete sich. Sie sahen einen Mann, der mit weit aufgerissenen Augen vor sich hinstarrte.

»Mein Gott, erstklassig erhalten, nach all den Jahren«, sagte Ted.

»Damit«, sagte Harry, »muß man bei einer Puppe rechnen.«

»Sie wirkt so lebensecht -«

»Warum sollen unsere Nachkommen keine Fortschritte gemacht haben?« sagte Harry. »Schließlich sind sie uns um geraume Zeit voraus.« Er schob die Puppe nach vorn, dabei zeigte sich auf dem Rücken in Höhe der Hüften eine Art Nabel.

»Drähte ...«

»Keine Drähte«, sagte Ted. »Glasfaserleitungsbündel. Das ganze Schiff ist mit optischer Technik und nicht mit Elektronik ausgerüstet.«

»Jedenfalls ist damit eins der Geheimnisse gelüftet«, sagte Harry und hielt den Blick auf die Puppe gerichtet. »Ganz offenkundig hat man das Schiff hier als bemanntes Raumschiff gebaut, es aber unbemannt gestartet.«

»Warum nur?«

»Wahrscheinlich war die vorgesehene Reise zu gefährlich.

Sie haben, sozusagen zur Erkundung, erst mal ein unbemanntes Schiff vorausgeschickt, um ihm später ein bemanntes folgen zu lassen.«

»Und wohin?« fragte Beth.

»Bei einer Zeitreise fragt man nicht nach dem Wohin, sondern nach dem Wann.«

»Also gut. Zu welchem Wann haben sie es geschickt?«

Harry zuckte die Schultern. »Dafür haben wir bisher keine Anhaltspunkte«, sagte er.

Er weicht wieder aus, dachte Norman. Was geht ihm wirklich durch den Kopf?

»Nun, das Schiff ist neunhundert Meter lang«, sagte Barnes, »da gibt es für uns noch viel zu sehen.«

»Ich überlege, ob sie wohl einen Flugschreiber hatten«, sagte Norman.

»Sie meinen, wie ein Verkehrsflugzeug?«

»Ja, irgend etwas, das die Flugbewegungen des Schiffs unterwegs aufgezeichnet hat.«

»Bestimmt«, sagte Harry. »Folgen Sie der Leitung, die aus der Puppe kommt, und Sie finden am anderen Ende den Flugschreiber. Ich würde ihn selbst gern sehen. Ehrlich gesagt, halte ich das für unbedingt notwendig.«

Norman sah auf die Steuerwand und hob eine Tastaturabdek-kung. »Sehen Sie mal«, sagte er. »Hier ist ein Datum.«

Sie drängten sich um ihn. In den Kunststoff unterhalb der Tastatur war eingestanzt: >Intel Inc. Made in USA. Seriennummer: 98004077 5/8/43<.

»5. August 2043?«

»Sieht ganz so aus.«

»Wir gehen hier also durch ein Raumschiff, rund fünfzig Jahre, bevor es gebaut wird .«

»Die Vorstellung bereitet mir Kopfschmerzen.«

»Sehen Sie nur, hier.« Beth war von der Steuerwand in einen Raum gegangen, der wie eine Mannschafts-Unterkunft aussah.

Zwanzig Kojen standen darin.

»Eine Besatzung von zwanzig Leuten? Wenn nur drei nötig waren, um das Ding zu fliegen, welche Aufgabe hatten dann die anderen siebzehn?«

Darauf wußte niemand eine Antwort.

Als nächstes stießen sie auf eine große Küche, einen Waschraum und Wohnräume. Alles wirkte neu und zweckmäßig trotz des eleganten Designs. Sie konnten jedem Gegenstand seine Aufgabe zuordnen.

»Das hier ist viel behaglicher als in DH-8, Hal.«

»Ja, vielleicht sollten wir hierher ziehen.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Barnes. »Wir untersuchen das Schiff, aber wir bewohnen es nicht. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, bevor wir überhaupt nur ansatzweise wissen, was hier gespielt wird.«

»Wir könnten viel mehr erreichen, wenn wir hier wohnten, während wir das Schiff erforschen.«

»Ich will hier nicht wohnen«, sagte Harry. »Es ist mir unheimlich.«

»Mir auch«, bekräftigte Beth.

Sie waren seit etwa einer Stunde an Bord, und Normans Füße schmerzten. Daß man auf der Exkursion durch ein großes Raumschiff, das aus der Zukunft kam, wehe Füße bekommen konnte, hätte er vorher auch nicht gedacht. Aber Barnes war nicht zu bremsen.

Sie verließen die Mannschafts-Unterkünfte und betraten einen Bereich, in dem ein weitläufiges Netz schmaler Gänge große, voneinander abgeschottete Abteile miteinander verband. Sie erstreckten sich, so weit das Auge reichte und erwiesen sich als ungeheuer große Lagerräume. Das Team betrat einen davon und fand ihn voll schwerer Kunststoffbehälter, ähnlich den Containern, mit denen Frachtflugzeuge beladen werden, nur um ein Vielfaches größer. Barnes öffnete einen.

»Das soll wohl ein Witz sein«, sagte er, als er hineinblickte.

»Was ist drin?«

»Lebensmittel.«

Sie waren in Lagen aus Blei- und Kunststoffolie eingewik-kelt, ähnlich wie Raumfahrerrationen der NASA. Ted nahm ein Päckchen zur Hand. »Lebensmittel aus der Zukunft!« sagte er und schmatzte mit den Lippen.

»Wollen Sie das etwa essen?« fragte Harry.

»Unbedingt«, sagte Ted. »Ich hab zwar schon mal eine Flasche Dom Perignon 1897 genossen, aber noch nie eine Mahlzeit, die aus der Zukunft, aus dem Jahr 2043 stammt.«

»Und trotzdem dreihundert Jahre alt ist«, sagte Harry.

»Vielleicht sollten Sie filmen«, sagte Ted zu Edmunds, »wie ich das esse.«

Bereitwillig hielt Edmunds den Sucher ihrer Videokamera ans Auge und schaltete die Leuchte ein.

»Nicht jetzt«, sagte Barnes, »wir haben Wichtigeres zu tun.«

»Aber das ist doch für den Zuschauer interessant«, beharrte Ted.

»Nicht jetzt.« Barnes blieb fest.

Er öffnete einen zweiten und dann einen dritten Container -alle enthielten Lebensmittel. Sie gingen in den nächsten Lagerraum und öffneten dort weitere Container.

»Lauter Lebensmittel, nichts als Lebensmittel.«

Das Schiff hatte eine ungeheure Proviantmenge an Bord. Selbst einer zwanzigköpfigen Besatzung mußte dieser Vorrat auf Jahre hinaus genügen.

Alle spürten mittlerweile die Strapazen dieser Exkursion. Da entdeckte Beth wieder einen Knopf. »Mal sehen, was der tut -«

»Beth -« sagte Barnes noch warnend.

Und dann spürten alle zur Erleichterung ihrer müden Glieder, wie der Gang sich unter ihren Füßen zu bewegen begann; ein gummiartiges Gewebe schob sich leise summend vorwärts.

»Beth, ich möchte, daß Sie aufhören, jeden verdammten

Knopf zu drücken, den Sie zu Gesicht bekommen.«

Aber niemand außer ihm erhob Einwände. Es war angenehm, mit dem Rollsteig an Dutzenden völlig gleicher Lagerräume vorbeizugleiten. Schließlich kamen sie weit vorn in einen neuen Abschnitt des Schiffs. Norman schätzte, daß sie jetzt etwa vierhundert Meter von der Steuerzentrale entfernt waren, die im Heck des Schiffs lag, also mußten sie etwa dessen Mitte erreicht haben.

Hier fanden sie einen Raum mit Lebenserhaltungs-Systemen, in dem zwanzig Raumanzüge hingen.

»Volltreffer«, sagte Ted. »Eins ist jetzt klar: Das Schiff sollte zu den Sternen fliegen.«

Die anderen murmelten Zustimmung, von der Aussicht erregt. Mit einemmal ergab alles einen Sinn: die ungeheure Größe des Schiffs, die komplexen Steuereinrichtungen ...

»Ach was«, sagte Harry, »es kann unmöglich für eine Raumfahrt zu den Sternen gemacht sein. Es handelt sich ganz offenkundig um ein herkömmliches Raumschiff, immerhin ein sehr großes. Bei herkömmlichen Geschwindigkeiten ist der nächstgelegene Stern zweihundertfünfzig Jahre entfernt.«

»Vielleicht hatten sie ein neues Antriebsverfahren.«

»Wo ist es? Ich sehe keinerlei Anzeichen dafür.«

»Nun, vielleicht -«

»Sehen wir den Tatsachen ins Auge«, sagte Harry. »Selbst bei dieser Größe hat das Schiff Vorräte für lediglich fünfzehn oder bestenfalls zwanzig Jahre an Bord. Wie weit kommt es in dieser Zeit? Es kann kaum das Sonnensystem verlassen, stimmt's?«

Ted nickte verdrießlich. »Das stimmt. Die Voyager-Sonde hat fünf Jahre bis zum Jupiter und neun bis zum Uranus gebraucht. In fünfzehn Jahren . Vielleicht wollten sie zum Pluto.«

»Was könnte jemand da wollen?«

»Das wissen wir noch nicht, aber -«

Ihr Funkgerät quäkte. »Captain Barnes, Sie werden wegen einer geheimen verschlüsselten Mitteilung von oben verlangt, Sir«, sagte Tina Chans Stimme.

»In Ordnung«, sagte Barnes. »Es ist ohnehin Zeit umzukehren.«

Sie machten sich auf den Rückweg durch das riesige Schiff.

Raum und Zeit

Sie saßen im Aufenthaltsraum von DH-8 und sahen durch die Bullaugen den Tauchern zu, die in den Planquadraten arbeiteten. Barnes befand sich in der Röhre nebenan und sprach mit oben. Levy kochte das Mittagessen - oder war es das Abendessen? Alle hatten das Gefühl für die wirkliche Zeit verloren, die bei den Navy-Angehörigen >Obenzeit< hieß.

»Obenzeit spielt hier keine Rolle«, sagte Edmunds mit ihrer exakten Bibliothekarinnenstimme. »Tag und Nacht haben hier unten keine Bedeutung mehr. Man gewöhnt sich daran.«

Sie nickten müde. Allen war die Erschöpfung deutlich anzusehen. Die Belastung und die Anspannung bei der Erkundung forderten jetzt ihren Tribut. Beth war bereits eingeschlafen. Sie hatte die Füße auf den Kaffeetisch gelegt und die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt.

Über den Planquadraten schwebten jetzt drei kleine Tauchboote. Einige Taucher umdrängten sie, während andere eilig ihrem Habitat DH-7 zustrebten.

»Sieht aus, als ob da was los wäre«, sagte Harry.

»Ob das mit dem Anruf für Barnes zu tun hat?«

»Möglich.« Harry wirkte immer noch abgelenkt und beunruhigt. »Wo ist Tina Chan?«

»Sie müßte bei Barnes sein. Warum?« »Ich muß mit ihr reden.«

»Worüber?« wollte Ted wissen.

»Privat«, sagte Harry.

Ted hob die Brauen, sagte aber nichts mehr. Harry verließ die beiden und verschwand in Röhre D; Norman und Ted waren jetzt allein.

»Merkwürdiger Bursche«, sagte Ted.

»Finden Sie?«

»Das wissen Sie doch selbst, Norman. Überheblich obendrein - vermutlich kompensiert er damit, daß seine Hautfarbe schwarz ist. Finden Sie nicht auch?«

»Ich weiß nicht.«

»Ich würde sagen, er hat Komplexe«, sagte Ted. »Er scheint alles an diesem Unternehmen abzulehnen.« Er seufzte. »Alle Mathematiker sind natürlich schräge Vögel. Wahrscheinlich hat er kein Privatleben, mit Frauen und dergleichen. Wissen Sie eigentlich schon, daß ich wieder geheiratet hab?«

»Ich muß es irgendwo gelesen haben«, sagte Norman.

»Sie ist beim Fernsehen«, sagte Ted, »großartige Frau.« Er lächelte. »Zur Hochzeit hat sie mir einen tollen Sportwagen geschenkt, eine 58er Corvette. Kennen Sie noch das hübsche Feuerwehrrot, das die Firma in den fünfziger Jahren im Programm hatte? Genau in der Farbe.« Ted durchmaß den Raum mit großen Schritten und warf dabei einen Blick auf Beth. »Ich finde das alles so unglaublich aufregend, daß ich jetzt unmöglich schlafen könnte.«

Norman nickte. Interessant, wie unterschiedlich sie auch hier unten alle sind, dachte er. Der immer muntere und optimistische Ted mit der überschäumenden Begeisterungsfähigkeit eines Kindes; Harry mit der unterkühlten kritischen Haltung, der eiskalten Logik, dem starren Blick. Beth, kein so intellektueller oder zerebraler Typ, sondern vielmehr körperbewußt und gefühlsbetont. Deshalb wohl konnte auch nur sie schlafen, obwohl sie alle hundemüde waren.

»Übrigens, Norman«, begann Ted erneut, »Sie hatten doch gesagt, daß eine solche Geschichte ziemlich gruselig werden könnte.«

»Das hatte ich auch angenommen«, bestätigte Norman.

»Nun«, sagte Ted, »ich bin richtig froh, daß ausgerechnet Sie derjenige sind, der sich in bezug auf die Expedition geirrt hat.«

»Ich auch.«

»Obwohl ich einfach nicht verstehe, wie Sie für diese Gruppe nur auf einen Mann wie Harry Adams verfallen konnten? Niemand bestreitet seine Verdienste, aber .«

Norman wollte nicht über Harry sprechen. »Ted, erinnern Sie sich, daß Sie drüben im Schiff gesagt haben, Raum und Zeit seien zwei Aspekte derselben Sache?«

»Raumzeit, ja.«

»Das habe ich nicht ganz verstanden.«

»Wieso, ist doch ganz einfach.«

»Könnten Sie es mir erklären?«

»Natürlich.«

»In einer mir geläufigen Sprache?« fügte Norman hinzu.

»Sie meinen, ohne Mathematik?«

»Ja.«

»Ich will es versuchen.« Ted runzelte die Stirn, aber Norman wußte, daß er sich in seiner Rolle wohl fühlte; Ted dozierte gern. Er überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Schön, mal sehen, wo wir anfangen müssen. Ihnen ist der Gedanke vertraut, daß die Schwerkraft nichts anderes ist als ein geometrisches Problem?«

»Nein.«

»Krümmung von Raum und Zeit?«

»Sagt mir eigentlich nicht viel.«

»Mhm. Einsteins allgemeine Relativitätstheorie?«

»Tut mir leid«, sagte Norman.

»Macht nichts«, beruhigte ihn Ted. Auf dem Tisch stand eine Schale mit Obst. Ted leerte sie und legte die Früchte daneben.

»Schön. Dieser Tisch ist der Raum. Hübscher, glatter Raum.«

»Okay«, sagte Norman.

Ted begann, das Obst zu ordnen. »Die Apfelsine hier ist die Sonne, und das sind die Planeten auf ihren Umlaufbahnen, die sie umkreisen. Damit haben wir das Sonnensystem hier auf dem Tisch.«

»Aha.«

»Weiter«, sagte Ted. »Die Sonne -« dabei wies er auf die Apfelsine in der Mitte des Tisches - »ist sehr groß, besitzt also eine hohe Gravitation oder Schwerkraft.«

»Verstehe.«

Ted gab Norman eine Kugel, die wohl aus einem Kugellager stammte. »Das ist ein Raumschiff. Schicken Sie es so durch das Sonnensystem, daß es in der Nähe der Sonne vorbeikommt. Klar?«

Norman nahm die Kugel und rollte sie ganz nah an der Apfelsine vorbei. »Klar.«

»Sie werden bemerkt haben, daß sie in einer geraden Bahn über den ebenen Tisch gerollt ist.«

»Allerdings.«

»Was würde aber in Wirklichkeit mit Ihrem Raumschiff geschehen, wenn es in der Nähe der Sonne vorbeikäme?«

»Es würde in die Sonne hineingezogen.«

»Ja. Wir sagen dazu >in die Sonne fallen<. Das Raumschiff würde die Gerade verlassen und mit der Sonne kollidieren. Ihres hat das aber nicht getan.«

»Nein.«

»Wir wissen also, daß der ebene Tisch ein falsches Modell ist«, sagte Ted. »Wirklicher Raum kann nicht so eben sein.«

»Kann er nicht?«

»Nein«, sagte Ted.

Er nahm die leere Schale und legte die Apfelsine auf deren Boden. »Jetzt rollen Sie Ihre Kugel einmal in gerader Linie an der Sonne vorbei.«

Norman gab der Kugel einen Schubs, so daß sie an der Innenseite der Schale in einer Spirale abwärts lief, bis sie auf die Orange traf.

»Gut«, sagte Ted. »Das Raumschiff ist auf die Sonne geprallt, genau wie in der Wirklichkeit.«

»Aber wenn ich der Kugel genug Geschwindigkeit mitgegeben hätte«, wandte Norman ein, »würde sie daran vorbeirollen. Sie würde auf dieser Seite runter- und auf der anderen Seite der Schale wieder raufrollen und dann über den Rand.«

»Stimmt«, sagte Ted. »Auch wie in der Wirklichkeit. Sofern seine Geschwindigkeit hoch genug ist, kann das Raumschiff dem Gravitationsfeld der Sonne entkommen.«

»Aha.«

»Also zeigen wir«, sagte Ted, »daß sich ein an der Sonne vorbeifliegendes Raumschiff so verhält, als trete es in einen um die Sonne herum gekrümmten Raum ein. Denn der Raum um die Sonne ist gekrümmt wie diese Schale hier.«

»Verstehe ...«

»Und wenn Ihre Kugel die richtige Geschwindigkeit hätte, würde sie nicht über den Rand der Schale hinausrollen, sondern endlos an ihm entlang kreisen. Genau das tun die Planeten. Sie kreisen endlos in der vom Gravitationsfeld der Sonne geschaffenen Schale.«

Er legte die Apfelsine wieder auf den Tisch. »Eigentlich müssen Sie sich vorstellen, daß die Tischplatte aus Gummi ist und von den Planeten, die auf ihr liegen, eingebeult wird. So sieht Raum in Wirklichkeit aus; er ist gekrümmt - und der Grad der Krümmung ändert sich mit dem Betrag der Schwerkraft.«

»Ah ja .«

»Also«, fuhr Ted fort, »wird Raum durch die Einwirkung der Schwerkraft gekrümmt.«

»Verstehe.«

»Das heißt, Schwerkraft ist nichts anderes als die Krümmung des Raumes. Die Erde besitzt eine Schwerkraft, weil sie den Raum um sich herum krümmt.«

»Verstehe.«

»Nur, daß es nicht ganz so einfach ist«, sagte Ted.

Norman seufzte. »Das hatte ich auch nicht angenommen.«

Harry kam wieder herein, warf einen Blick auf das auf dem Tisch angeordnete Obst, sagte aber nichts.

»Wenn Sie jetzt«, fuhr Ted fort, »Ihre Kugel durch die Schüssel laufen lassen, fällt Ihnen sicherlich auf, daß sie sich nicht nur auf einer immer engeren Kreisbahn nach unten bewegt, sondern auch schneller wird, stimmt's?«

»Ja.«

»Wenn ein Objekt schneller wird, vergeht die Zeit auf ihm langsamer. Das hat Einstein schon zu Beginn unseres Jahrhunderts nachgewiesen. Es bedeutet, daß man sich die Krümmung des Raumes zugleich als eine Krümmung der Zeit vorstellen kann. Je stärker die Krümmung der Schale, desto langsamer vergeht die Zeit.«

»Na ja ...« sagte Harry.

»Laienhaft ausgedrückt«, sagte Ted, »sonst versteht er das nicht.«

»Ja«, sagte Norman, »sonst verstehe ich es nicht.«

Ted hielt die Schale hoch. »Wenn Sie all das jetzt mathematisch berechnen, stellen Sie fest, daß die gekrümmte Schale weder Raum noch Zeit ist, sondern eine Kombination aus beidem, eben das, was wir Raumzeit nennen. Diese Schale ist Raumzeit, und alles, was sich in ihr bewegt, bewegt sich in der Raumzeit. Zwar stellen wir uns Bewegung so nicht vor, aber genau so läuft die Sache ab.«

»O ja?«

»Natürlich. Denken Sie nur an Baseball.«

»Ein Idiotenspiel«, sagte Harry. »Ich hasse Mannschaftsspiele.«

»Aber Sie kennen es doch?« wandte sich Ted an Norman.

»Ja«, sagte Norman.

»Gut. Stellen Sie sich einmal vor, der Schläger treibt einen Ball in direkter Linie zum Mittelfeldspieler. Dann hat der Ball eine fast gerade Flugbahn und braucht, sagen wir, eine halbe Sekunde.«

»Ja.«

»Jetzt stellen Sie sich vor, er schlägt den Ball in einem hohen Bogen zu demselben Mittelfeldspieler. Diesmal steigt der Ball in die Luft, und es dauert sechs Sekunden, bis ihn der Mittelfeldspieler fängt.«

»Gut.«

»Die Wege, die der Ball in beiden Fällen zurücklegt, scheinen uns sehr unterschiedlich, aber in der Raumzeit haben sich beide völlig gleich bewegt.«

»Nein«, sagte Norman.

»Doch«, sagte Ted. »Und eigentlich ist Ihnen das auch schon bekannt. Stellen Sie sich vor, ich will, daß Sie dem Mittelfeldspieler einen Ball in hohem Bogen zuspielen, aber so, daß er ihn statt nach sechs Sekunden bereits nach einer Sekunde bekommt.«

»Das ist unmöglich«, sagte Norman.

»Wieso? Sie müssen ihn doch nur fester schlagen.«

»Wenn ich das tue, fliegt er noch höher und braucht noch länger.«

»Gut, dann schlagen Sie ihn flach, aber so, daß er erst nach sechs Sekunden im Mittelfeld ankommt.«

»Auch das geht nicht.«

»Richtig«, sagte Ted. »Sie sagen mir damit nichts anderes, als daß Sie den Ball nicht dazu bringen können zu tun, was Sie wollen. Eine feste Beziehung bestimmt seinen Weg durch Raum und Zeit.«

»Klar, wegen der Schwerkraft der Erde.«

»So ist es«, sagte Ted, »und wir sind uns bereits darüber einig, daß die Schwerkraft eine Krümmung der Raumzeit

darstellt, so, wie hier diese Schale gekrümmt ist. Jeder auf der Erde geschlagene Baseball muß dieselbe Krümmung der Raumzeit durchlaufen, so, wie die Kugel hier durch die Schale läuft.« Er legte die Apfelsine wieder in die Schale. »Sehen Sie: Das ist die Erde.« Er faßte sie mit zwei Fingern an gegenüberliegenden Seiten. »Das hier ist der Schläger und das hier der Feldspieler. Wenn Sie jetzt die Kugel von einem Finger zum anderen über die Apfelsine laufen lassen, sehen Sie, daß Sie die Krümmung der Schale einbeziehen müssen. Entweder stoßen Sie sie nur leicht an, dann rollt sie in die Nähe der Apfelsine, oder Sie stoßen sie kräftig an, dann läuft sie erst an der Wandung der Schale hinauf, bevor sie auf der anderen Seite wieder herunterrollt. Aber Sie können der Kugel nicht in allem Ihren Willen aufzwingen, denn sie bewegt sich in der Krümmung der Schale. Und genau das tut auch der Baseball in Wirklichkeit: Er bewegt sich in der gekrümmten Raumzeit.«

»In etwa verstehe ich das jetzt. Aber was hat das mit der Zeitreise zu tun?« fragte Norman.

»Nun, zwar haben wir den Eindruck, daß die Erde über ein starkes Gravitationsfeld verfügt - wenn wir hinfallen, tut es weh -, in Wirklichkeit aber ist es sehr schwach, eigentlich kaum existent. Mithin ist die Raumzeit um die Erde längst nicht so stark gekrümmt wie um die Sonne. In anderen Teilen des Universums ist die Krümmung so stark, daß sie eine Art Berg- und Talbahn bildet und alle möglichen Zeitverzerrungen auftreten können. Wenn man sich beispielsweise ein Schwarzes Loch vorstellt -«

Er unterbrach sich.

»Ja, Ted? Ein Schwarzes Loch?«

»O Mann«, sagte Ted leise.

Harry schob seine Brille auf der Nase zurecht und sagte: »Ted, dies eine Mal könnten Sie recht haben.« Beide griffen nach Papier und stellten eifrig Berechnungen an.

»Ein Schwartzschild-Loch könnte es nicht sein -« »- nein, es müßte sich drehen -«

»- dafür würde der Drehimpuls sorgen -«

»- und man käme nicht an die Singularität heran -«

»- nein, denn die Gezeitenkräfte -«

»- würden alles in Fetzen reißen.«

»Aber wenn man nur soeben unter den Ereignishorizont tauchte ...«

»Ist das möglich? Ob die das wirklich gewagt haben?« Die beiden versanken in Schweigen, rechneten und murmelten gelegentlich vor sich hin.

»Was ist denn nun mit dem Schwarzen Loch?« fragte Norman, aber keiner von beiden hörte hin.

In der Sprechanlage knackte es. Barnes sagte: »Achtung, hier spricht der Captain. Alle sofort in den Besprechungsraum.« »Da sind wir doch schon«, sagte Norman. »Sofort.«

»Wir sind bereits da, Hal.«

»Ende«, sagte Barnes, und erneut knackte es in der Sprechanlage.

Die Besprechung

»Ich habe soeben auf der Codeleitung mit Admiral Spaulding vom CincComPac in Honolulu gesprochen«, gab Barnes bekannt. »Er hatte kurz zuvor erfahren, daß ich für ein Projekt, über das er nicht informiert war, Zivilisten in eine saturierte Tiefe mitgenommen habe. Er war nicht eben entzückt, als er davon hörte.« Schweigend sahen alle auf Barnes.

»Er verlangt, daß ich alle Zivilisten wieder nach oben schik-ke.«

Das war Norman nur recht. Ihn enttäuschte, was sie bisher gefunden hatten. Die Aussicht, weitere zweiundsiebzig Stunden in dieser feucht-kühlen Umgebung eingesperrt zu verbringen, während sie ein leeres Raumfahrzeug untersuchten, sagte ihm in keiner Weise zu.

»Ich dachte«, meldete Ted sich zu Wort, »wir seien vom Präsidenten selbst dazu ermächtigt worden.«

»Sind wir auch«, sagte Barnes, »aber es geht um den Sturm.«

»Was für ein Sturm?« fragte Harry.

»Der Wetterbericht meldet südöstliche Winde Stärke neun und hohen Wellengang an der Wasseroberfläche. Es hat ganz den Anschein, als sei ein pazifischer Zyklon unterwegs, der binnen vierundzwanzig Stunden hier sein wird.«

»Hier?« fragte Beth.

»Nicht hier«, sagte Barnes. »Hier unten merken wir nichts davon, aber oben wird es rauh zugehen. Es könnte erforderlich sein, alle Versorgungsschiffe geschützte Häfen auf den TongaInseln anlaufen zu lassen.«

»Dann wären wir hier unten ganz auf uns gestellt?«

»Jedenfalls für vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden. Ein Problem wäre das nicht - wir sind in jeder Hinsicht autark -, aber Spaulding macht sich Sorgen darüber, daß die Versorgungsschiffe abgezogen werden, während Zivilisten hier unten sind. Ich möchte Ihre Meinung hören. Wollen Sie bleiben und das Raumschiff weiter erkunden oder gehen?«

»Bleiben. Unbedingt«, sagte Ted.

»Beth?«

»Ich bin gekommen, um unbekannte Lebensformen zu untersuchen«, sagte Beth, »aber in dem Schiff gibt es keinerlei Leben. Es ist einfach nicht das, was ich mir vorgestellt -erhofft hatte. Ich bin dafür zu gehen.«

»Norman?«

»Seien wir doch ehrlich«, sagte Norman. »Wir sind für den Aufenthalt in einer Umgebung wie dieser nicht ausgebildet und fühlen uns darin auch nicht wohl. Jedenfalls ich nicht. Außerdem sind wir kaum die geeigneten Fachleute, das Raumschiff zu untersuchen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre die Navy mit einem Team von NASA-Ingenieuren weit besser bedient. Es ist besser, wir gehen.«

»Harry?«

»Weg hier, so schnell wie möglich«, sagte Harry.

»Haben Sie einen bestimmten Grund dafür?« fragte Barnes.

»Nennen wir es Intuition.«

»Ich kann es nicht glauben, Harry. Gerade jetzt, wo wir diesen bestechenden neuen Einfall bezüglich des Schiffs hatten -« sagte Ted.

»Das ist jetzt unerheblich«, sagte Barnes steif. »Ich werde veranlassen, daß man uns in den nächsten zwölf Stunden raufholt.«

»Gott verdammt noch mal!« fluchte Ted.

Aber Norman sah Barnes an. Er schien nicht verärgert zu sein. Barnes will auch weg, dachte er. Er sucht nach einem Vorwand, und den liefern wir ihm.

»Bis dahin«, fuhr Barnes fort, »können wir noch ein-, zweimal ins Schiff rübergehen. Erst ruhen wir uns zwei Stunden aus, und dann gehen wir noch mal los. Das ist im Augenblick alles.«

»Ich möchte noch etwas sagen -«

»Das ist alles, Ted. Die Gruppe hat abgestimmt. Ruhen Sie sich lieber aus.«

Auf dem Weg zu den Unterkünften wandte Barnes sich an Beth: »Ich möchte gern mit Ihnen sprechen, Beth.«

»Worüber?«

»Ich wünsche nicht, daß Sie jeden Knopf drücken, an dem Sie vorbeikommen, wenn wir wieder in dem Schiff sind.«

»Ich hab doch nur Licht gemacht, Hal.«

»Das wußten Sie aber nicht, als Sie -«

»- natürlich wußte ich es. Schließlich war der Knopf ja mit >Innenbeleuchtung< beschriftet. Das ist doch wohl eindeutig.«

Im Fortgehen hörten sie Beth noch sagen: »Ich bin keins von Ihren Marineweibern, die Sie herumkommandieren können, Hal -« Man hörte Barnes darauf antworten, dann wurden die Stimmen immer leiser.

»Verdammt noch mal«, sagte Ted. Er trat gegen eine der Stahlwände, daß es hallte. Auf dem Weg zu ihren Unterkünften durchquerten sie Röhre C. »Mir will nicht in den Kopf, daß Sie hier weg wollen«, sagte Ted. »Wie kann man sich nur eine so spannende Entdeckung entgehen lassen? Vor allem Sie, Harry. Was für mathematische Möglichkeiten! Die Theorie des Schwarzen Lochs -«

»Ich werde es Ihnen sagen«, erwiderte Harry. »Ich will hier weg, weil auch Barnes weg will.«

»Will er doch gar nicht«, sagte Ted. »Er hat drüber abstimmen lassen -«

»Weiß ich selbst. Aber das war Theater - ich durchschaue ihn. Er will vor seinen Vorgesetzten weder als jemand dastehen, der eine falsche Entscheidung getroffen hat, noch als einer, der den Schwanz einkneift. Also hat er die Entscheidung uns überlassen. Ich sage Ihnen: Er will hier weg.«

Norman war verblüfft. Mathematiker galten als Menschen, die in einer anderen Welt lebten, den Kopf in den Wolken trugen und keinen Sinn für Alltagsdinge hatten. Aber Harry war wachsam, ihm entging nichts.

»Aber warum sollte er?« fragte Ted.

»Ich denke, das ist klar«, sagte Harry. »Wegen des Sturms da oben.«

»Der ist noch nicht hier«, sagte Ted.

»Nein«, sagte Harry. »Und keiner weiß, wie lange er dauert, wenn er erst da ist.«

»Barnes meinte, an die vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden -«

»Niemand kann das im voraus wissen«, sagte Harry. »Und wenn er nun fünf Tage dauert?«

»So lange können wir es aushaken. Wir haben Luft und Vorräte für fünf Tage. Worüber machen Sie sich bloß solche Sorgen?«

»Ich mache mir keine«, sagte Harry, »aber ich glaube, Barnes macht sich welche.«

»Lieber Gott, es wird schon nichts schiefgehen«, sagte Ted. »Ich finde, wir sollten bleiben.« Mit einemmal hörten sie einen schmatzenden Laut. Sie sahen auf den widerstandsfähigen Teppichläufer unter ihren Füßen. Er war dunkel, naß.

»Was ist das?«

»Ich würde es für Wasser halten«, sagte Harry.

»Salzwasser?« fragte Ted, bückte sich, berührte mit dem Finger die nasse Stelle und leckte ihn ab. »Schmeckt nicht salzig.«

»Ist ja auch Urin«, sagte eine Stimme über ihnen.

Sie sahen nach oben. Auf einer Plattform inmitten eines Gewirrs aus Rohren nahe der gekrümmten Decke von Röhre C stand Teeny Fletcher. »Alles in bester Ordnung, meine Herren. Nur eine kleine undichte Stelle in der Abwasserleitung, die zur Wasser-Aufbereitungsanlage führt.«

»Aus der Toilettenanlage?« Ted schüttelte den Kopf.

»Wirklich nur ein kleines Leck«, sagte Fletcher. »Es besteht kein Grund zur Besorgnis, Sir.« Sie besprühte eine der Rohrleitungen mit weißem Schaum aus einer Sprühdose. »Wenn wir solche Stellen entdecken, besprühen wir sie mit Urethan-schaum, der härtet schnell aus und dichtet einwandfrei ab.«

»Wie oft kommt so was vor?« fragte Harry.

»Aus der Toilettenanlage?« wiederholte Ted.

»Schwer zu sagen, Dr. Adams. Aber Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen.«

»Mir ist schlecht«, sagte Ted.

Harry schlug ihm auf den Rücken. »Es wird Sie schon nicht umbringen. Wir wollen uns jetzt aufs Ohr legen.«

»Ich glaub, ich muß mich übergeben.«

Sie gingen in den Ruheraum. Ted lief sofort zum Bad. Man hörte ihn keuchen und würgen.

»Armer Ted«, sagte Harry kopfschüttelnd.

»Was hat die Sache mit dem Schwarzen Loch auf sich?« fragte Norman.

»Ein Schwarzes Loch«, erklärte Harry, »ist ein toter verdichteter Stern. Im Grunde ist ein Stern so etwas wie ein großer Gummiball, den die atomaren Explosionen in seinem Inneren aufgeblasen haben. Wenn er alt wird und sein atomarer Brennstoff zur Neige geht, fällt er auf eine weit geringere Größe zusammen, von einem bestimmten Zeitpunkt an hat er eine so hohe Dichte und Schwerkraft, daß er sich selbst immer mehr zusammendrückt, bis er sehr dicht und sehr klein ist und nur noch einen Durchmesser von ein paar Kilometern hat. Dann ist er ein Schwarzes Loch. Nichts im Universum hat eine so hohe Dichte wie ein Schwarzes Loch.«

»Und diese Löcher sind schwarz, weil sie tot sind?«

»Nein, sie sind schwarz, weil sie alles Licht aufsaugen. Schwarze Löcher haben eine so hohe Gravitation, daß sie wie ein Staubsauger alles in sich hineinziehen - sämtliche interstellaren Trümmer, alles an interstellarem Gas und Staub um sie herum, und sogar das Licht. Sie saugen es einfach auf.«

»Sie saugen Licht auf?« fragte Norman. Er konnte sich das nicht so recht vorstellen.

»Ja.«

»Und warum waren Sie beide vorhin bei den Berechnungen so aufgeregt?«

»Nun, das ist eine lange Geschichte und außerdem reine Spekulation.« Harry gähnte. »Wahrscheinlich hat es sowieso nichts zu bedeuten. Können wir später darüber reden?«

»Klar«, sagte Norman.

Harry drehte sich um und schlief ein. Ted war noch immer im Bad; man hörte ihn würgen und spucken. Norman ging zurück in Röhre D, zu Tinas Arbeitsplatz.

»Hat Harry Sie gefunden?« fragte er. »Er wollte mit Ihnen sprechen.«

»Ja. Sir. Und ich habe mich inzwischen erkundigt. Warum fragen Sie? Wollen Sie auch Ihr Testament machen?«

Norman runzelte fragend die Stirn.

»Dr. Adams hat gesagt, er habe kein Testament hinterlassen und wolle das nachholen. Es schien ihm dringend zu sein. Ich habe oben nachgefragt - es geht von hier aus nicht. Damit es gültig ist, muß es eigenhändig abgefaßt sein. Man darf seinen letzten Willen nicht über elektronische Leitungen erklären.«

»Verstehe.«

»Tut mir leid, Dr. Johnson. Soll ich es den anderen auch sagen?«

»Nein«, sagte Norman, »Nicht nötig. Wir kehren bald an die Oberfläche zurück - sobald wir uns das Schiff noch einmal angesehen haben.«

Der große Glaswürfel

Diesmal teilten sie sich im Raumschiff in zwei Gruppen. Barnes, Ted und Edmunds wollten die bugwärts gelegenen riesigen Frachträume und die bisher unerforschten Teile des Raumschiffs erkunden. Norman, Beth und Harry dagegen blieben in der Steuerzentrale, um den Flugschreiber zu suchen.

Ted fand, bevor die beiden Gruppen sich trennten, die Abschiedsworte: »Nie bin ich zu größeren und besseren Taten aufgebrochen.« Dann machte er sich mit Barnes und Edmunds auf den Weg.

Edmunds ließ der Gruppe in der Steuerzentrale einen kleinen

Videomonitor zurück, damit sie den Weg der anderen weiter vorn im Schiff verfolgen konnten. Über die Tonleitung bekamen sie mit, wie Ted unaufhörlich auf Barnes einredete und ihm seine Ansichten über die Bauweise des Schiffs mitteilte. Die großen Laderäume erinnerten ihn an die Arbeit mykeni-scher Steinmetze, insbesondere an das Löwentor der Stadt Mykene auf dem Peloponnes.

»Ich kenne keinen Menschen, der so viel irrelevantes Wissen herunterrasseln kann, wie Ted«, sagte Harry. »Können wir das wohl leiser stellen?«

Gähnend drehte Norman die Lautstärke zurück. Er war müde. Die Kojen in DH-8 waren feucht, die heizbaren Decken schwer und lastend. An Schlaf war kaum zu denken gewesen. Außerdem war Beth nach ihrem Gespräch mit Barnes wutschnaubend hereingestürmt.

Sie hatte sich auch jetzt noch nicht beruhigt. »Der Teufel soll den Mann holen«, schimpfte sie. »Für wen hält der sich eigentlich?«

»Er tut sein Bestes, wie wir alle«, sagte Norman besänftigend.

Sie fuhr wütend zu ihm herum. »Weißt du, Norman, manchmal bist du mir zu psychologisch und einfühlsam. Barnes ist ein Hornochse, ein Vollidiot.«

»Wollen wir nicht nach dem Flugschreiber suchen?« schlug Harry vor. »Das ist jetzt wichtig.« Er folgte der Nabelschnur, die aus dem Rücken der Puppe in den Fußboden lief. Er hob Abdeckungen vom Boden, um festzustellen, wohin die Leitung führte.

»Einem Mann gegenüber«, Beth ließ nicht locker, »würde er sich das nicht herausnehmen. Warum zum Beispiel läßt er Ted gewähren? Der reißt die ganze Sache an sich, und ich sehe überhaupt nicht ein, warum man ihm das durchgehen lassen soll.«

»Was hat Ted damit zu tun -« begann Norman.

»- ein Schmarotzer ist er, bemächtigt sich der Ideen anderer und stellt sie als seine eigenen hin. Dazu seine Angewohnheit, uns an seiner Bildung teilhaben zu lassen, indem er pausenlos zitiert - das ist einfach unerträglich.«

»Du hast den Eindruck, daß er sich die Ideen anderer aneignet?« fragte Norman.

»Na weißt du! Oben hab ich noch zu ihm gesagt, es wäre doch schön, ein paar passende Worte zu sagen, wenn wir das Ding aufmachen - und schon klopft er Sprüche auf Teufel komm raus und spreizt sich vor der Kamera.«

»Nun ...«

»Nun was? Norman, komm mir nur nicht so. Es war mein Einfall, und er hat ihn einfach geklaut.«

»Hast du mit ihm darüber gesprochen?« fragte Norman.

»Nein. Er hätte sich nicht dran erinnert, sondern gesagt: >Tat-sächlich, Beth? Möglich, daß du was in der Art gesagt hast, doch .. .<«

»Ich finde, du solltest mit ihm reden.«

»Norman, du hörst mir ja gar nicht zu.«

»Hättest du mit ihm gesprochen, wärest du jetzt nicht so aufgebracht.«

»Psychologengewäsch«, sagte sie kopfschüttelnd. »Sieh mal, Ted tut bei dieser Unternehmung, was ihm gerade einfällt. Er quatscht dummes Zeug und macht, was er will. Aber kaum gehe ich als erste durch die Tür, blafft Barnes mich an. Warum eigentlich? Was ist dagegen einzuwenden, daß ein einziges Mal in der Geschichte der Wissenschaft eine Frau den ersten Schritt tut?«

»Beth -«

»Und dann hatte ich die Frechheit, das Licht anzumachen. Weißt du, was Barnes dazu gesagt hat? Ich hätte einen Kurzschluß verursachen und uns damit alle in Gefahr bringen können. Ich hätte nicht gewußt, was ich tat. Er sagte, ich sei impulsiv. Gott im Himmel. Impulsiv. Dieser steinzeitliche

Kommißheini.«

»Von mir aus können Sie den Ton wieder lauter stellen«, sagte Harry, »da hör ich mir doch lieber Teds Gequassel an.«

»Sie haben es gerade nötig!«

»Wir stehen alle unter einem erheblichen Druck, Beth«, sagte Norman. »Jeder reagiert anders darauf.«

Sie warf Norman einen wütenden Blick zu. »Willst du damit sagen, daß Barnes recht hatte?«

»Ich sage, daß wir alle unter Druck stehen. Auch er. Auch du.«

»Lieber Gott, ihr Männer haltet doch immer zusammen. Weißt du auch, warum ich immer noch Assistenzprofessorin bin, und nicht Ordinaria?«

»Wegen Ihres freundlichen und umgänglichen Wesens?« mutmaßte Harry.

»Auf solche Kommentare kann ich wirklich verzichten.«

»Beth«, sagte Harry, »sehen Sie die Leitungen? Die laufen auf das Schott zu. Sehen Sie doch mal nach, ob sie auf der anderen Seite der Tür die Wand hochlaufen.«

»Wollen Sie mich loswerden?«

»Wenn es geht, ja.«

Sie lachte und löste damit die Spannung. »Na schön, ich seh mal nach.«

Als sie fort war, sagte Harry: »Mann, ist die sauer.«

»Kennen Sie die Geschichte mit Ben Stone?« fragte Norman.

»Welche?«

»Beth hat die Versuche zu ihrer Examensarbeit an seinem Institut gemacht.«

»Oh.«

Benjamin Stone war Biochemiker in Berkeley. Zwar hatte er ein charmantes und gewinnendes Wesen und einen guten Ruf als Wissenschaftler, doch war auch allgemein bekannt, daß er seine Examenskandidaten als Laborhelfer ausbeutete und deren Forschungserträge als seine eigenen ausgab. Damit stand er zwar in der akademischen Welt nicht allein da, indessen ging er dabei noch etwas rücksichtsloser vor als seine Kollegen.

»Außerdem hat sie mit ihm zusammengelebt.«

»Mhm.«

»Das war Anfang der Siebziger. Sie hat, wie es scheint, eine Reihe wichtiger Experimente über den Energiehaushalt von Basalkörpern gemacht. Dann haben sie sich furchtbar gestritten, und Stone hat die Beziehung mit ihr abgebrochen. Obwohl sie seither keinen Fuß mehr in sein Labor gesetzt hat, sind danach noch fünf Aufsätze von ihm erschienen - einer wie der andere mit Ergebnissen ihrer Arbeit, ohne daß er ihren Namen auch nur erwähnt hätte.«

»Ein angenehmer Zeitgenosse«, sagte Harry. »Und jetzt stemmt sie Gewichte?«

»Nun, sie fühlt sich schlecht behandelt, und das, wie ich finde, mit Recht.«

»Ja«, sagte Harry. »Aber Sie wissen ja, wer sich mit Hunden schlafen legt, steht mit Flöhen auf.«

»Mein Gott«, sagte Beth, die gerade wieder hereinkam. »Das hört sich so an wie >Eine Frau, die vergewaltigt wird, hat es nicht anders gewollte Wollten Sie das damit sagen?«

»Nein«, sagte Harry, der nach wie vor Fußbodenabdeckungen anhob und dem Verlauf der Leitungen nachspürte, »so meine ich das nicht. Aber manchmal fragt man sich doch im stillen, was sie um drei Uhr morgens in einer dunklen Gasse eines verrufenen Stadtviertels zu suchen hat.«

»Ich habe ihn geliebt.«

»Bleibt noch das verrufene Stadtviertel.«

»Ich war zweiundzwanzig.«

»Wie alt muß man denn sein?«

»Sie können mich mal.«

Harry schüttelte den Kopf. »Na, hat das Mannweib die Leitung gefunden?«

»Es hat. Sie führt zu einer Art Glasgitter.«

»Sehen wir uns das doch mal an«, sagte Norman und ging nach nebenan. Er wußte, wie Flugschreiber aussehen: längliche rechteckige Metallkästen, ähnlich wie Kassetten in BankSchließfächern, nur daß sie rot oder leuchtend orange lackiert waren. Wenn das hier -

Er blieb stehen.

Sein Blick war auf einen durchsichtigen Glaswürfel von dreißig Zentimetern Kantenlänge gefallen. In seinem Inneren konnte er ein verwickeltes Gitternetz aus schwach glimmenden, blauen Linien erkennen. Zwischen ihnen blitzten in Abständen blaue Lichter auf. Zwei Manometer saßen auf dem Würfel, außerdem drei Kolben; auf der linken Außenseite war eine Reihe silberner Streifen und Rechtecke zu erkennen. Nie zuvor hatte er etwas Ähnliches gesehen.

»Interessant.« Harry spähte in den Würfel hinein. »Vermutlich so etwas wie ein optoelektronischer Speicher. Über Vergleichbares verfügen wir bisher nicht.« Er berührte die silbernen Streifen auf der Außenseite. »Das ist keine Farbe, sondern irgendein Kunststoffmaterial. Wahrscheinlich maschinenlesbar.«

»Für wen? Sicherlich nicht für uns.«

»Nein. Vermutlich für einen Bergungsroboter oder dergleichen.«

»Und die Manometer?«

»Der Würfel ist mit einem Gas gefüllt, das unter Druck steht. Vielleicht enthält er irgendwelche biologischen Bestandteile, sonst wäre er wohl nicht so kompakt. Auf jeden Fall möchte ich wetten, daß es sich bei diesem großen Glaskörper um eine Speichereinheit handelt.«

»Ein Flugschreiber?«

»Etwas mit entsprechender Funktion, ja.«

»Wie kommen wir da ran?«

»Paßt mal auf«, sagte Beth und ging zur Steuerzentrale zurück. Sie begann, auf beliebige Sektoren der Steuerwand zu drücken, wodurch sie sie aktivierte. »Sagt bloß Barnes nichts davon«, sagte sie über die Schulter.

»Woher wissen Sie, welche man drücken muß?«

»Ich glaube, das spielt keine Rolle«, sagte sie. »Ich nehme an, daß die Steuerwand spürt, wo man gerade ist.«

»Die Steuereinheit weiß, wo sich der Pilot aufhält?«

»So in der Art.«

Vor ihnen leuchtete ein Ausschnitt der Steuerwand auf, ein Bildschirm mit gelber Schrift auf schwarzem Grund wurde sichtbar.

RV-LHOOQ DCOM1 U.S.S. STAR VOYAGER Weiter nichts.

»Und jetzt kommt die schlechte Nachricht«, sagte Harry.

»Was für eine schlechte Nachricht?« erkundigte sich Norman. Er hätte zu gern gewußt, warum Harry dageblieben war, um nach dem Flugschreiber zu suchen, statt mit Ted und Barnes das Schiff weiter zu erforschen. Was fesselte ihn so an der Vergangenheit dieses Raumschiffs?

»Vielleicht ist sie ja gar nicht schlecht«, sagte Harry.

»Warum glauben Sie, sie könnte es sein?«

»Weil in diesem Schiff etwas von lebenswichtiger Bedeutung fehlt, wenn man logisch darüber nachdenkt -«

In diesem Augenblick füllte sich der Bildschirm mit Spalten:

schiffssysteme

lebenssysteme

datensysteme

steuerstand

flugdaten

zentraloperationen

decksteuerung

integration (direkt)

lss test l .0 antriebssystem abfallbeseitigung (v9) status om2 (aussen) status om3 (innen) status om4 (vorn) status dv7 (achtern) status v (gesamt) status comrec (2) leitung a9-11

leitung a12-bx stabilix

lss test 2.0 lss test 3.0

»Was darf es sein?« fragte Beth, die Hände auf der Steuerwand.

»Flugdaten«, sagte Harry. Er biß sich auf die Lippe.

flugdaten - zusammenfassungen rv lhooo

fdz 01/01/43 bis 31/12/45

fdz 01/01/46 bis 31/12/28

fdz 01/01/49 bis 31/12/31

fdz 01/01/52 bis 31/12/33

fdz 01/01/54 bis 31/12/34

fdz 01/01/55 bis 30/06/35

fdz 01/07/55 bis 31/12/35

fdz 01/01/56 bis 31/01/36

fdz 01/02/56-eintritt

fdz eintritt

fdz eintritt zusammenfassung 8&6!!oz/010/ungerade-000/xxx/x f$s xxx/x%a/xxx-x@x/x!x/x

»Was bedeutet das?« fragte Norman.

Harry sah angestrengt auf den Bildschirm. »Man kann sehen, daß die frühesten Aufzeichnungen in Abständen von jeweils drei Jahren erfolgt sind. Dann werden die Abstände kürzer: ein Jahr, sechs Monate und schließlich nur noch einen Monat. Dann kommt die Sache mit dem Eintritt.«

»Das heißt, sie haben immer sorgfältiger aufgezeichnet«, sagte Beth, »je näher das Schiff dem Eintritt kam, was auch immer das gewesen sein mag.«

»Ich habe eine ziemlich klare Vorstellung davon, was es war«, sagte Harry. »Ich kann es nur einfach nicht glauben -aber fangen wir doch mal an. Wie wäre es mit >Eintritt Zusammenfassung^«

Beth betätigte verschiedene Knöpfe.

Auf dem Bildschirm erschien ein Himmelssektor mit Sternen, und um dessen Ränder herum eine Vielzahl von Ziffern. Die Abbildung war dreidimensional und vermittelte die Illusion der Tiefe.

»Ist das eine holographische Darstellung?«

»So was Ähnliches.«

»Hier sind verschiedene lichtstarke Sterne ...«

»Oder Planeten.«

»Was für Planeten?«

»Ich weiß nicht. Dafür ist Ted zuständig«, sagte Harry. »Vielleicht kann er das Bild zuordnen. Machen wir weiter.«

Er legte die Hand auf die Steuerwand, die Bildschirmanzeige sprang um.

»Noch mehr Sterne.«

»Ja, und noch mehr Zahlen.«

Die Ziffern an den Rändern des Bildschirms flackerten, änderten sich rasch. »Die Sterne scheinen sich zwar nicht zu bewegen, aber die Zahlen ändern sich.«

»Nein, sehen Sie, auch die Sterne bewegen sich.«

In der Tat strebten alle Sterne dem Rand des Bildschirms zu, die Mitte war jetzt schwarz und leer.

»In der Mitte sind keine Sterne, und alles drängt nach außen ...«, sagte Harry nachdenklich.

Die Sterne am Rand bewegten sich sehr rasch, und die schwarze Mitte dehnte sich aus.

»Warum ist es in der Mitte so leer, Harry?« fragte Beth.

»Ich glaube nicht, daß es leer ist.«

»Ich kann aber nichts sehen.«

»Trotzdem ist es nicht leer. In etwa einer Minute sehen wir bestimmt - da!«

Plötzlich tauchte in der Bildschirmmitte ein dichter weißer Sternhaufen auf und dehnte sich vor ihren Augen aus.

Eine seltsame Erscheinung, dachte Norman. Noch immer war deutlich ein schwarzer Ring zu sehen, der sich ausdehnte. An seinem Innen- und Außenrand saßen Sterne. Es kam ihm vor, als flögen sie durch einen riesigen schwarzen Zuckerkringel.

»Großer Gott«, sagte Harry leise. »Wissen Sie, was Sie da sehen?«

»Nein«, sagte Beth. »Was ist der Sternhaufen da in der Mitte?«

»Ein anderes Weltall.«

»Ein was?«

»Nun, von mir aus, wahrscheinlich ein anderes Weltall. Vielleicht ist es auch nur ein anderer Teil unseres eigenen Universums. Genau weiß das niemand.«

»Und was ist der schwarze Kringel da?« fragte Norman.

»Das ist kein Kringel, sondern ein Schwarzes Loch. Was Sie hier sehen, ist die Aufzeichnung, die das Raumschiff gemacht hat, als es durch ein Schwarzes Loch geflogen ist und in ein anderes Weltall - ruft da nicht jemand?«

Harry wandte sich um und lauschte. Sie schwiegen, hörten aber nichts.

»Was meinen Sie mit: >Ein anderes Weltall< -«

»- Psssst.«

Ein kurzes Schweigen. Dann hörten sie leise rufen: »Haal-looo .«

»Wer ist das?« fragte Norman und bemühte sich, genau hinzuhören. Die Stimme war ganz leise, klang aber wie die eines Menschen. Es konnten auch mehrere Stimmen sein. Die Rufe kamen von irgendwo aus dem Raumschiff.

»Huhu! Ist da jemand? Hallooo.«

»Meine Güte«, sagte Beth. »Das sind die anderen, da, auf dem Bildschirm.«

Sie drehte am Lautstärkeregler des kleinen Monitors, den Edmunds ihnen dagelassen hatte. Auf dem Bildschirm sahen sie Ted und Barnes, die in einem Raum irgendwo im Raumschiff standen und riefen. »Hallooo ... Hallooooo.«

»Können wir mit ihnen reden?«

»Ja. Einfach den Knopf an der Seite drücken.«

»Wir hören Sie«, sagte Norman.

»Wird auch höchste Zeit!« Das war Ted.

»Na denn«, sagte Barnes. »Sperren Sie Ihre Ohren auf.«

»Was macht ihr bloß dahinten?« fragte Ted.

»Hören Sie gut zu«, sagte Barnes. Er trat zur Seite, so daß ein bunter Ausrüstungsgegenstand sichtbar wurde. »Wir kennen die Bestimmung des Schiffs jetzt.«

»Wir auch«, sagte Harry.

»Wir auch?« fragten Beth und Norman wie aus einem Munde.

Aber Barnes hörte nicht hin. »Es scheint unterwegs etwas an Bord genommen zu haben.«

»An Bord genommen? Was denn?«

»Ich weiß nicht«, sagte Barnes. »Jedenfalls ist es außerirdischen Ursprungs.«

Außerirdisches

Der Rollsteig brachte sie an einer scheinbar endlosen Reihe riesiger Frachträume vorbei. Sie wollten vorn im Schiff zu Barnes, Ted und Edmunds stoßen und deren außerirdische Entdeckung in Augenschein nehmen.

»Warum könnte jemand ein Raumschiff durch ein Schwarzes Loch schicken wollen?« fragte Beth.

»Wegen der Schwerkraft«, sagte Harry. »Die Schwerkraft Schwarzer Löcher ist nämlich so ungeheuer, daß sie Raum und Zeit in geradezu unglaublicher Weise verzerren. Erinnern Sie sich, wie Ted gesagt hat, daß Planeten und Sterne Ausbuchtungen im Gewebe der Raumzeit erzeugen? Nun, Schwarze

Löcher machen Risse hinein. Manche Leute glauben nun, man könne durch diese Risse in ein anderes Weltall fliegen, in einen anderen Teil unseres Universums oder in eine andere Zeit.«

»Andere Zeit!«

»Darum geht es«, bekräftigte Harry.

»Wo bleiben Sie denn bloß?« tönte Barnes' Stimme blechern aus dem Lautsprecher des Monitors.

»Wir sind unterwegs«, sagte Beth und warf dem Bildschirm einen wütenden Blick zu.

»Er kann dich nicht sehen«, sagte Norman.

»Mir egal.«

Sie kamen an weiteren Lagerräumen vorbei. »Ich bin mal gespannt, was für ein Gesicht Ted macht, wenn wir es ihm erzählen«, sagte Harry.

Schließlich erreichten sie das Ende des Rollsteigs und traten durch eine aus Streben und Trägern bestehende Abschottung in den großen, im Bug gelegenen Raum, den sie zuvor auf dem Bildschirm gesehen hatten. Mit seiner nahezu dreißig Meter hohen Decke wirkte er gewaltig.

Hier paßt glatt ein sechsstöckiges Haus hinein, überlegte Norman. Als er den Kopf hob, sah er einen leichten Dunst oder Nebel.

»Was ist das?«

»Eine Wolke«, sagte Barnes kopfschüttelnd. »Der Raum ist so groß, daß er sein eigenes Klima zu haben scheint. Würde mich gar nicht wundern, wenn es hier drin von Zeit zu Zeit sogar regnete.«

Der Raum enthielt riesige Maschinen. Auf den ersten Blick schien es sich um in leuchtenden Grundfarben lackierte übergroße Erdbaumaschinen zu handeln, auf denen eine Art Öl-überzug glänzte. Dann erkannte Norman Einzelheiten: riesige Klauen, mächtige Arme, Antriebszahnräder und eine Vielzahl von Eimern und anderen Gefäßen.

Mit einemmal fiel ihm die Ähnlichkeit mit den Greifern und

Klauen an der Bugseite des Tauchboots Charon V auf, das ihn am Vortag heruntergebracht hatte. War das tatsächlich erst gestern gewesen? Oder war es gar noch derselbe Tag? Welches Datum schrieben sie? War heute womöglich der 4. Juli? Wie lange waren sie schon hier unten?

»Wenn Sie gut hinsehen«, sagte Barnes gerade, »erkennen Sie, daß diese Gerätschaften zumindest teilweise gigantische Waffen zu sein scheinen. Andere, wie der lange ausfahrbare Arm oder die verschiedenen Ansatzstücke zum Aufnehmen von Gegenständen lassen vermuten, daß es sich bei dem Raumschiff um einen riesigen Erkundungsroboter handelt.«

»Ein Roboter .«

»Nicht zu fassen«, sagte Beth.

»Dann wäre es doch richtig gewesen, es von einem Roboter öffnen zu lassen«, sagte Ted nachdenklich, »vielleicht sogar angemessen.«

»Sie meinen, so von Roboter zu Roboter?« fragte Harry, »nach der Masche: >Ein Angebinde fürs Gewinde

»He«, sagte Ted, »ich spotte nicht mal dann über Ihre Kommentare, wenn sie bescheuert sind.«

»Ich fand sie eigentlich bislang gar nicht so schlecht«, sagte Harry.

»Sie sagen manchmal törichte, gedankenlose Dinge.«

»Kinder«, sagte Barnes, »können wir uns wieder unserer Aufgabe zuwenden?«

»Sagen Sie mir beim nächsten Mal rechtzeitig Bescheid, Ted.«

»Darauf können Sie sich verlassen.«

»Ich möchte gern wissen, wenn ich was Törichtes sage.«

»Wird erledigt.«

»Etwas, das Ihnen töricht vorkommt.«

»Wissen Sie was«, wandte sich Barnes an Norman, »wenn wir rauf gehen, lassen wir die beiden am besten hier unten.«

»Denken Sie etwa noch ernsthaft daran, jetzt nach oben zu

gehen?« fragte Ted.

»Wir haben bereits abgestimmt.«

»Aber das war, bevor wir das Objekt gefunden haben.«

»Wo ist es?« fragte Harry.

»Hier drüben, Harry«, sagte Ted mit boshaftem Grinsen. »Mal sehen, was Ihre eindrucksvollen analytischen Fähigkeiten damit anfangen können.«

Sie gingen zwischen den gewaltigen Greifarmen hindurch tiefer in den Raum hinein. Dort lag in der ausgepolsterten Kralle einer mechanischen Hand eine riesige, glattpolierte Silberkugel mit einem Durchmesser von etwa zehn Metern. Sie wies ansonsten keinerlei Kennzeichen oder Merkmale auf.

Als sie um die Kugel herumgingen, warf das polierte Metall ihr Spiegelbild zurück. Norman fiel an der Metalloberfläche ein merkwürdiges Irisieren auf, schwache bläuliche und rötliche Regenbogentöne.

»Man könnte denken, sie stammt aus einem überdimensionalen Kugellager«, sagte Harry.

»Weitergehen, Schlaumeier.«

An der gegenüberliegenden Seite bildete eine Vielzahl tiefer, spiralig gewundener Furchen ein verwickeltes Muster auf der Kugel ob erfläche. Dieses Muster war faszinierend, obwohl Norman nicht so recht zu sagen gewußt hätte, warum. Weder war es geometrisch noch amorph, und es stellte auch keine organischen Formen dar. Es war schwer zu sagen, was es eigentlich war. Noch nie zuvor hatte Norman dergleichen gesehen, und je länger er hinsah, desto größer wurde seine Gewißheit, daß ein solches Muster nirgendwo auf der Erde zu finden war. Kein Mensch konnte so etwas geschaffen, kein menschlicher Geist es ersonnen haben.

Ted und Barnes hatten recht. Dessen war er sicher.

Diese Kugel war außerirdischen Ursprungs.

Prioritäten

»Hm«, sagte Harry nach langem Schweigen.

»Bestimmt wollen Sie uns was darüber erzählen«, neckte ihn Ted. »Wo sie herkommt, und so weiter.«

»Zufällig weiß ich das sogar.« Harry berichtete über die Aufzeichnungen vom Sternenflug und über das Schwarze Loch.

»Ich vermute schon eine ganze Weile«, sagte Ted, »daß dies Schiff für die Reise durch ein Schwarzes Loch gebaut wurde.«

»Ach ja? Was hat Sie darauf gebracht?«

»Die massive Strahlenabschirmung.«

Harry nickte. »Stimmt. Wahrscheinlich haben Sie deren Funktion vor mir richtig erkannt.« Er lächelte. »Aber gesagt haben Sie keinem was davon.«

»Sie irren«, entgegnete Ted, »ich war der erste, der das Schwarze Loch zur Sprache gebracht hat.«

»Tatsächlich?«

»Aber ja, gar keine Frage. Wissen Sie nicht mehr, wie ich im Besprechungsraum Norman die Raumzeit erklärt und mit den Berechnungen für das Schwarze Loch angefangen habe? Dann sind Sie dazu gekommen. Norman, erinnern Sie sich nicht? Es war meine Theorie.«

»Er hat recht, der Hinweis stammt von ihm«, bestätigte Norman.

Harry lächelte breit. »Da war es aber noch keine richtige Theorie, sondern eher eine Vermutung.«

»Oder bloße Spekulation. Harry«, sagte Ted, »Sie verdrehen die Tatsachen. Es gibt Zeugen.«

»Nun, wenn Sie uns anderen schon so weit voraus sind«, sagte Harry, »warum teilen Sie uns dann nicht Ihre Theorie über die Art dieses Objekts da mit?«

»Mit Vergnügen«, sagte Ted. »Es handelt sich hier um eine polierte metallene Hohlkugel von annähernd zehn Metern

Durchmesser, die aus einer dichten Legierung bisher unbekannter Zusammensetzung besteht. Die kabbalistischen Zeichen hier auf dieser Seite -«

»- Sie nennen diese Linien kabbalistisch?«

»Darf ich ausreden? Diese kabbalistischen Zeichen hier sind eindeutig künstlerische oder kultische Ornamente und rufen einen gewissen feierlichen Eindruck hervor - ein Hinweis darauf, daß das Objekt für seine Verfertiger von großer Bedeutung war.«

»Ich glaube, das dürfen wir als sicher voraussetzen.«

»Ich persönlich vermute, daß über die Kugel mit uns, Besuchern von einem anderen Stern, aus einem anderen Sonnensystem, eine Art Kontakt hergestellt werden soll. Sie ist eine Art Gruß, Botschaft oder Trophäe. Ein Beweis dafür, daß es im Weltall noch eine andere Form höher entwickelten Lebens gibt.«

»Alles gut und schön, nur hat das mit der Kugel nichts zu tun«, wandte Harry ein. »Was macht sie Ihrer Ansicht nach?«

»Ich bin nicht sicher, ob sie überhaupt was macht. Ich glaube, sie ist einfach. Sie ist, was sie ist.«

»Klingt nach Zen.«

»Nun, haben Sie einen anderen Vorschlag?«

»Wir wollen uns an das halten, was wir wissen«, sagte Harry, »und uns nicht unseren Phantasievorstellungen hingeben. Wir haben es hier mit einem Raumfahrzeug aus der Zukunft zu tun, das aus verschiedenen Werkstoffen und mit Hilfe technischer Verfahren gebaut wurde, über die wir bisher nicht verfügen, auch wenn wir kurz vor ihrer Entwicklung stehen. Unsere Nachkommen haben es durch ein Schwarzes Loch in ein anderes Weltall oder einen anderen Teil unseres Universums geschickt.«

»Ja.«

»Es ist unbemannt, aber mit Roboter-Greifarmen ausgerüstet, die ganz offenkundig dazu gedacht sind, Dinge an Bord zu nehmen, auf die es unterwegs stößt. Wir können uns also dies Raumschiff aus der Zukunft als riesige Variante der unbemannten Mariner-Sonde vorstellen, die wir in den siebziger Jahren zum Mars geschickt haben, wo sie erkunden sollte, ob es dort Leben gibt. Es ist weit größer und sehr viel komplizierter als die Mariner, stellt aber im wesentlichen dieselbe Art von Maschine dar, eine Raumsonde.«

»Schon ...«

»Es fliegt also in ein anderes Universum und stößt dort auf diese Kugel. Wahrscheinlich treibt sie frei im Raum, oder aber sie wurde dem Raumschiff entgegengeschickt.«

»Genau das ist meine Theorie«, sagte Ted. »Sie ist ihm entgegengeschickt worden, sozusagen als Bote.«

»Auf jeden Fall kommt unser Roboter-Raumschiff auf Grund der ihm mitgegebenen Entscheidungskriterien zu dem Ergebnis, daß die Kugel interessant ist, packt sie automatisch mit seiner Klaue da, holt sie ins Schiff und nimmt sie mit nach Hause.«

»Nur, daß es auf dem Heimweg über das Ziel hinaus fliegt und in der Vergangenheit landet.«

»In seiner Vergangenheit«, sagte Harry. »Die unsere Gegenwart ist.«

»Genau.«

Barnes schnaubte ungeduldig. »Also schön, das Raumschiff geht her, schnappt sich eine silberne außerirdische Kugel und bringt sie zur Erde zurück. Kommen Sie zur Sache: Was hat es damit auf sich?«

Harry trat an die Kugel heran, legte ein Ohr an das Metall und klopfte mit den Knöcheln dagegen. Es klang hohl. Er berührte die Furchen. Sie waren so tief, daß seine Hände darin verschwanden. Norman konnte in der glattpolierten Kugel Harrys von der Krümmung des Metalls verzerrtes Gesicht sehen. »Ganz wie ich es mir gedacht habe. Diese kabbalistischen Zeichen, wie Sie sie nennen, tragen keineswegs dekora-tiven Charakter, sondern haben einen ganz und gar anderen Zweck - sie sollen eine schmale Öffnung in der Kugeloberfläche verbergen. Mithin ist hier eine Tür.« Harry trat zurück.

»Was hat es mit der Kugel auf sich?«

»Ich will Ihnen sagen, was ich glaube«, sagte Harry. »Meines Erachtens dient sie als Behälter. Ich denke, daß sich etwas darin befindet, und ich denke, daß dieses Etwas mir verdammt unheimlich ist.«

Erste Einschätzung

»Nein, Herr Minister«, sagte Barnes ins Telefon. »Wir sind ziemlich sicher, daß es sich um ein Objekt außerirdischen Ursprungs handelt. Daran scheint kein Zweifel zu bestehen.«

Während Barnes auf die Antwort des Verteidigungsministers lauschte, sah er Norman an, der ihm gegenüber saß. »Ja, Sir«, sagte Barnes, »in der Tat äußerst aufregend.« Sie waren wieder ins Habitat zurückgekehrt, wo Barnes unverzüglich Verbindung mit Washington aufgenommen hatte. Er wollte einen Aufschub für das Auftauchen der Gruppe erwirken.

»Nein, noch nicht. Es war bisher nicht möglich, die Tür zu öffnen. Sie hat eine äußerst ungewöhnliche Form, und ihre Ränder sind sehr präzise gearbeitet . Nein, einen Keil bekommt man in die Fuge nicht hinein.«

Er sah wieder Norman an und verdrehte die Augen.

»Nein, auch das haben wir versucht. Es scheint keine äußeren Betätigungseinrichtungen zu geben. Nein, auch keine Mitteilung auf der Außenseite. Nein, weder Schilder noch Aufkleber. Es ist einfach eine auf Hochglanz polierte Kugel mit einigen spiralig gewundenen Furchen auf einer Seite. Was? Aufsprengen?«

Norman wandte sich ab. Sie befanden sich in Röhre D, in der Tina Chan unterstehenden Kommunikationsabteilung. Tina stellte, gelassen wie immer, ein Dutzend Überwachungsmonitore ein. »Sie wirken von allen hier am ruhigsten«, sagte Norman.

Sie lächelte. »Sagen wir undurchschaubar, Sir.«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Muß wohl so sein, Sir«, sagte sie und stellte den Bildfang an einem Monitor so ein, daß die abwärts laufenden Zeilen zum Stillstand kamen. Jetzt sah man die polierte Kugel. »Denn in Wirklichkeit spüre ich, wie mein Herz klopft, Sir. Was glauben Sie, was da drin ist?«

»Keine Ahnung«, sagte Norman.

»Meinen Sie, da sitzt ein Außerirdischer drin? Sie wissen schon, irgendeine Art Lebewesen?«

»Vielleicht.«

»Und wir versuchen sie aufzumachen? Vielleicht sollten wir lieber nicht rauslassen, was immer da drin ist.«

»Sind Sie nicht neugierig?« wollte Norman wissen.

»So neugierig auch wieder nicht, Sir.«

»Ich sehe nicht, wie wir sie aufsprengen könnten«, sagte Barnes gerade ins Telefon. »Doch, wir haben UnterwasserSprengladungen. In verschiedenen Größen. Aber ich glaube nicht, daß wir das Ding damit aufkriegen würden. Nein. Nun, Sie würden es verstehen, wenn Sie die Kugel sähen. Sie ist vollkommen. Doch, wie ich es sage - buchstäblich vollkommen.«

Tina stellte einen zweiten Bildschirm ein. Sie sahen die Kugel jetzt aus zwei Blickwinkeln und würden bald über einen dritten verfügen, denn Edmunds brachte um die Kugel herum Videokameras in Stellung. Der Vorschlag stammte von Harry. Er hatte gesagt: »Überwachen wir das Ding. Vielleicht tut es von Zeit zu Zeit was, äußert irgendeine Art von Aktivität.«

Auf dem Bildschirm sah Norman ein ausgeklügeltes Lei-tungsnetz, das gekoppelt war mit einer Reihe verschiedener Meßfühler, die man an der Kugel befestigt hatte: Schallmesser und Sensoren, die das gesamte elektromagnetische Spektrum von Infrarot- bis zu Gamma- und Röntgenstrahlen abdeckten. Die von ihnen aufgenommenen Werte wurden auf den links neben den Bildschirmen stehenden Instrumenten angezeigt.

Harry kam herein. »Schon irgendwelche Ergebnisse?«

Tina schüttelte den Kopf. »Bisher nichts.«

»Ist Ted zurück?«

»Nein«, sagte Norman. »Er ist noch im Schiff.«

Ted war im Frachtraum zurückgeblieben, angeblich, um Edmunds beim Aufstellen der Kameras zu helfen. In Wirklichkeit, das war jedem klar, wollte er versuchen, die Kugel zu öffnen. Auf dem zweiten Bildschirm sahen sie ihn jetzt in den Furchen herumstochern, zerren und drücken.

Harry lächelte. »Aussichtslos.«

»Harry, erinnern Sie sich, daß Sie in der Steuerzentrale gesagt haben, etwas von lebenswichtiger Bedeutung würde hier fehlen?« fragte Norman.

»Ach das«, sagte Harry. »Vergessen Sie es. Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«

Barnes sagte gerade: »Nein, Herr Minister, es dürfte unmöglich sein, die Kugel nach oben zu bringen - nun, Sir, gegenwärtig befindet sie sich in einem Frachtraum des Raumschiffs, mehrere hundert Meter vom Eingang entfernt. Das ganze Schiff liegt unter einer vier Meter starken Korallenschicht, und die Kugel hat an die zehn Meter Durchmesser, ist also so groß wie ein zweistöckiges Haus .«

»Ich frage mich nur, was in dem Haus drin ist«, sagte Tina.

Auf dem Bildschirm sah man, wie Ted der Kugel einen wütenden Tritt versetzte.

»Aussichtslos«, wiederholte Harry, »so kriegt er die nie auf.«

Beth kam herein. »Und wie bekommen wir sie auf?«

Harry sagte: »Ja, wie?« Er betrachtete gedankenvoll die auf dem Bildschirm schimmernde Kugel. Langes Schweigen trat ein. »Vielleicht gar nicht.«

»Sie meinen, wir können sie nicht öffnen? Nie?«

»Mit der Möglichkeit muß man rechnen.«

Norman lachte. »Ted würde sich vor Kummer umbringen.«

Barnes telefonierte immer noch: »Nun, Herr Minister, wenn Sie der Navy die nötigen Mittel für eine Bergungsaktion dieser Größenordnung aus dreihundert Metern Tiefe zur Verfügung stellen, könnten wir in sechs Monaten damit anfangen, sobald hier vier Wochen lang mit anhaltend gutem Wetter gerechnet werden kann. Ja ... Im Südpazifik ist jetzt Winter. Ja.«

»Das sehe ich schon richtig vor mir«, sagte Beth. »Die Navy holt mit Wahnsinnskosten eine geheimnisvolle außerirdische Kugel rauf und bringt sie zu einer streng geheimen Regierungsanlage in Omaha. Experten aller Fachgebiete kommen und versuchen, sie zu öffnen, aber keiner schafft es.«

»Wie die Sache mit König Artus' Schwert Excalibur«, sagte Norman.

»Sie probieren immer stärkere Mittel aus und versuchen es schließlich mit einer kleinen Kernexplosion«, fuhr Beth fort. »Immer noch nichts. Keinem fällt mehr was ein. Die Kugel steht da. Jahrzehnte vergehen. Sie wird nie geöffnet.« Sie schüttelte den Kopf. »Eine Ohrfeige für die Menschheit .«

Norman wandte sich an Harry. »Glauben Sie wirklich, daß es so kommen wird? Daß wir sie nie aufbekommen?«

»>Nie< ist ein großes Wort.«

»Nein, Sir«, sagte Barnes gerade, »angesichts dieser neuen Situation bleiben wir bis zum letzten Augenblick hier unten. Das Wetter hält sich - ja, laut Angaben der Wettersatelliten mindestens noch sechs Stunden. Ja, auf diese Einschätzung muß ich mich verlassen. Selbstverständlich, Sir. Stündlich; jawohl, Sir.«

Er legte auf und wandte sich zu den Anwesenden um. »Okay. Wir dürfen hier unten bleiben, solange das Wetter sich hält.

Das dürften noch sechs bis zwölf Stunden sein. In dieser Zeit wollen wir versuchen, die Kugel zu öffnen.«

»Ted ist schon dabei«, spottete Harry.

Auf dem Bildschirm sahen sie, wie Ted Fielding mit der flachen Hand auf die polierte Kugel schlug und rief: »Öffne dich! Sesam, öffne dich! Geh schon auf, du verdammtes Miststück!«

Die Kugel reagierte nicht.

»Das Problem der Anthropomorphie«

»Im Ernst«, sagte Norman, »ich denke, einer muß die Frage stellen: Sollten wir erwägen, die Kugel ungeöffnet zu lassen?«

»Wieso das?« ereiferte sich Barnes. »Hören Sie, ich habe gerade extra telefoniert -«

»Ich weiß«, sagte Norman. »Aber vielleicht sollten wir uns das noch einmal gründlich überlegen.« Aus dem Augenwinkel sah er, wie Tina heftig Zustimmung nickte. Harry sah skeptisch drein. Beth rieb sich schläfrig die Augen.

»Haben Sie Angst, oder gibt es ein stichhaltiges Argument für Ihre Ansicht?« fragte Barnes.

»Ich könnte mir vorstellen«, sagte Harry, »daß Norman gleich aus seinem Bericht zitiert.«

»Nun ja«, gab Norman zu, »in der Tat habe ich das fragliche Problem darin angesprochen.«

In seinem Aufsatz hatte er es als »das Problem der Anthro-pomorphie« bezeichnet. Im großen und ganzen hatte es damit zu tun, daß jeder, der sich jemals mündlich oder schriftlich über außerirdische Lebensformen geäußert hatte, sich diese als im wesentlichen menschenähnlich vorstellte. Mochte es sich dabei um Reptilien, große Insekten oder intelligente Kristalle handeln - sie zeigten immer menschliche Verhaltensformen, auch wenn sie äußerlich nichts Menschliches an sich hatten.

»Sie reden übers Kino«, hielt Barnes Normans Ausführungen entgegen.

»Gewiß. Aber ich rede auch von wissenschaftlichen Forschungsberichten. Jede bisher publik gemachte Vorstellung außerirdischen Lebens, ob von einem Filmproduzenten oder einem Universitätsprofessor, ging ihrem Wesen nach auf das Menschenbild zurück, gründete sich auf menschliche Werte, arbeitete nach menschlichem Verständnis und betrachtete auf menschliche Weise ein von Menschen erfaßbares Universum. Im allgemeinen sahen diese Wesen auch wie Menschen aus, hatten zwei Augen, Nase, Mund und so weiter.«

»Das heißt?«

»Das heißt«, sagte Norman, »daß das offensichtlich Unsinn ist. Zum einen existieren genügend Unterschiede im menschlichen Verhalten, die das gegenseitige Verstehen innerhalb unserer eigenen Art bereits erheblich erschweren. Man denke nur an die großen Unterschiede zwischen uns Amerikanern und den Japanern. Diese beiden Völker betrachten die Welt keineswegs auf die gleiche Weise.«

»Ja, ja«, sagte Barnes ungeduldig, »daß Japaner anders sind, ist allgemein bekannt -«

»- Zum anderen können die Unterschiede bei bisher unbekannten und für uns neuen Lebensformen buchstäblich unser Verständnis übersteigen. Ihre Werte und ihre ethischen Vorstellungen sind möglicherweise völlig anders als die unsrigen.«

»Sie meinen, die halten vielleicht das Leben nicht für heilig und glauben nicht an >Du sollst nicht töten

»Das nicht«, erwiderte Norman. »Ich meine, daß dieses Geschöpf eventuell nicht getötet werden kann und seinem Wesen nach den Begriff des Tötens in keiner Weise zu erfassen vermag.« »Sie denken, dieses Geschöpf kann möglicherweise nicht getötet werden?« fragte Barnes betroffen.

Norman nickte. »Wie mal jemand gesagt hat: Man kann keinem Geschöpf die Arme brechen, das keine Arme hat.«

»Es kann nicht getötet werden? Heißt das, es ist unsterblich?«

»Keine Ahnung«, sagte Norman. »Das ist es ja gerade.«

»Großer Gott, etwas, das man nicht töten kann«, sagte Barnes nachdenklich. »Wie würden wir es dann töten?« Er biß sich auf die Lippe. »Ich möchte nicht gern die Kugel aufmachen und etwas freilassen, das man nicht umbringen kann.«

Harry lachte. »Für so was gibt's keine Beförderung, Hal.«

Nach einem Blick auf die Bildschirme mit den verschiedenen Ansichten der polierten Kugel sagte Barnes schließlich: »Ach was. Lächerlich. Kein Lebewesen ist unsterblich. Hab ich recht, Beth?«

»Nicht unbedingt«, gab diese zur Antwort. »Man könnte den Standpunkt vertreten, daß bestimmte Lebewesen, die auf unserem Planeten existieren, unsterblich sind. Beispielsweise scheinen einzellige Organismen wie Bakterien und Hefepilze ewig leben zu können.«

»Hefepilze«, schnaubte Barnes. »Wir reden doch nicht von Hefepilzen.«

»Auch Viren könnte man als unsterblich bezeichnen.«

»Viren?« Barnes ließ sich auf einen Stuhl fallen. Daran hatte er nicht gedacht. »Aber wie wahrscheinlich ist das? Harry?«

»Ich nehme an«, sagte Harry, »daß die Möglichkeiten weit über das Maß dessen hinausgehen, was wir bisher angesetzt haben. Wir haben uns lediglich dreidimensionale Geschöpfe von der Art vorgestellt, wie sie in unserem dreidimensionalen Universum vorkommen - oder, genauer gesagt, in dem von uns als dreidimensional wahrgenommenen Universum. Manche vertreten die Ansicht, daß es neun oder elf Dimensionen hat.«

Barnes sah müde aus.

»Nur seien die anderen sechs Dimensionen so winzig, daß wir sie nicht erfassen können.«

Barnes rieb sich die Augen.

»Daher könnte ein solches Geschöpf«, fuhr Harry fort, »viel-dimensional sein und in den uns vertrauten drei Dimensionen buchstäblich nicht - oder zumindest nicht vollständig - existieren. Nehmen wir den einfachsten Fall: Hätte es vier Dimensionen, würden wir jeweils nur einen Teil von ihm sehen, weil es in erster Linie in der vierten Dimension existierte. Ein solches Geschöpf ließe sich augenscheinlich nur schwer umbringen. Und wenn es fünf Dimensionen hätte -«

»Augenblick mal. Warum hat keiner von Ihnen vorher was davon gesagt?«

»Wir dachten, Sie wüßten das«, sagte Harry.

»Ich sollte wissen, daß es fünfdimensionale Geschöpfe gibt, die man nicht töten kann? Kein Wort davon ist mir bekannt.« Er schüttelte den Kopf. »Diese Kugel zu öffnen könnte unvorstellbar gefährlich sein.«

»Wohl richtig.«

»So was Ähnliches wie die Büchse der Pandora.«

»Könnte man sagen.«

»Mal sehen«, sagte Barnes. »Spielen wir doch mal die ungünstigsten Möglichkeiten durch. Was könnten wir schlimmstenfalls darin finden?«

»Das ist doch klar«, sagte Beth. »Ganz gleich, ob es vieldi-mensional, ein Virus oder sonst was ist, ob es unsere Moralbegriffe teilt oder gar keine Moral hat, der schlimmste Fall wäre, daß es uns einen Tiefschlag versetzt.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, daß es durch sein Verhalten die Grundlagen unserer Lebensmechanismen angreifen könnte. Ein deutliches Beispiel dafür ist das AIDS-Virus. Die Gefährlichkeit von AIDS beruht nicht etwa darauf, daß das Virus neu ist. Neue Viren treten ständig auf - jedes Jahr, jede Woche, und sie verhalten sich alle auf die gleiche Weise: Sie greifen Zellen an und gestalten deren Stoffwechsel so um, daß diese gezwungen werden, weitere Viren zu produzieren. Was nun gerade das AIDS-Virus so besonders gefährlich macht, ist, daß es gerade die Zellen angreift, mit deren Hilfe wir uns normalerweise gegen den Angriff von Viren zur Wehr setzen. Es legt unser Immunsystem lahm, es hintergeht uns, und deshalb können wir uns nicht dagegen wehren.«

»Und wenn nun«, fragte Barnes, »in der Kugel da ein Lebewesen säße, das es auf unser körpereigenes Abwehrsystem abgesehen hätte - wie sähe ein solches Lebewesen aus?«

»Es könnte gewöhnliche Luft ein- und Blausäuregas ausatmen«, sagte Beth.

»Radioaktive Stoffe ausscheiden«, sagte Harry.

»Unsere Gehirnwellen stören und damit unsere Denkfähigkeit beeinträchtigen«, sagte Norman.

»Oder«, kam es wieder von Beth, »einfach die Kontraktion des Herzmuskels behindern, so daß unser Herz aufhören würde zu schlagen.«

»Es könnte Schallwellen aussenden, deren Resonanzen unsere Skelettknochen zerstören«, sagte Harry. Er lächelte den anderen zu. »Der Gedanke gefällt mir.«

»Raffiniert«, sagte Beth. »Aber wie immer denken wir nur an uns selbst. Es wäre auch ohne weiteres denkbar, daß das Lebewesen überhaupt nichts tut, das uns unmittelbar schädigt.«

»Aha«, machte Barnes.

»Vielleicht atmet es einfach einen Giftstoff aus, der Chloro-plasten tötet. Dann wären die Pflanzen nicht mehr zur Photosynthese in der Lage und würden alle absterben. Die Folge wäre der Tod jeglichen Lebens auf der Erde.«

»Aha«, wiederholte Barnes.

»Wissen Sie«, sagte Norman, »ursprünglich hatte ich angenommen, die Frage der Anthropomorphie - also die Tatsache, daß wir uns außerirdisches Leben seinem Wesen nach eigent-lich nur als menschlich vorstellen können - habe ihren Grund in einem Versagen der Vorstellungskraft. Alles Wissen des Menschen bezieht sich auf ihn selbst, und er kann sich im Grunde nur vorstellen, was er weiß. Doch diese Annahme ist falsch, wie Sie sehen. Wir sind imstande, uns viel mehr vorzustellen - nur tun wir es nicht. Also muß es einen anderen Grund dafür geben, daß wir uns außerirdische Lebensformen ausschließlich als dem Wesen nach menschlich vorstellen. Ich vermute, es liegt daran, daß wir in Wirklichkeit außergewöhnlich verletzliche Tiere sind, aber nicht gern an diese Verletzlichkeit erinnert werden. Wir wollen nicht daran denken, wie empfindlich das Gleichgewicht der verschiedenen Systeme in unserem Körper ist, wie kurz unser Dasein auf der Erde, und wie leicht sich ihm ein Ende setzen läßt. Also flüchten wir uns in die Vorstellung, daß andere Lebensformen uns ähnlich sind, damit wir uns nicht der echten - der furchterregenden - Bedrohung stellen müssen, die von ihnen ausgehen kann, ohne daß es deren Absicht wäre.«

Schweigen trat ein.

»Natürlich dürfen wir auch eine andere Möglichkeit nicht ausschließen«, sagte Barnes. »Die Kugel könnte etwas enthalten, das für uns von ungeheurem Nutzen ist. Ein wunderbares neues Wissen, eine verblüffende neue Erkenntnis oder Technik, die das Leben der Menschheit auf eine Weise verbessern würden, die unsere kühnsten Träume übersteigt.«

»Nur ist die Chance ziemlich groß«, sagte Harry, »daß es sich um neue Erkenntnisse handelt, die uns keinen großen Nutzen bringen.«

»Warum?« fragte Barnes.

»Nehmen wir doch einmal an, die Außerirdischen seien uns tausend Jahre voraus, so wie wir dem Mittelalter. Stellen Sie sich vor, Sie tauchten im Europa des 10. Jahrhunderts mit einem Fernseher auf - es gäbe nirgendwo eine Steckdose dafür.«

Barnes sah lange von einem zum anderen. »Tut mit leid«, sagte er, »aber die Verantwortung ist für mich allein zu groß. Ich kann hier nichts unternehmen, ohne mit Washington Rücksprache zu halten.«

»Das wird Ted aber gar nicht gefallen«, sagte Harry.

»Zum Teufel mit Ted«, sagte Barnes. »Das soll der Präsident entscheiden. Solange wir von ihm nichts gehört haben, versucht mir niemand, die Kugel aufzumachen.«

Barnes ordnete eine Ruhezeit von zwei Stunden an. Harry ging in ihre Unterkünfte und legte sich hin. Beth verkündete zwar auch, sie wolle schlafen, blieb aber mit Tina Chan und Norman bei den Bildschirmen. Im Computer-Arbeitsraum gab es bequeme Drehsessel mit hohen Lehnen, und Beth fuhr auf einem davon Karussell, ließ die Beine baumeln und starrte vor sich hin. Gedankenverloren wand sie über ihren Ohren Haarsträhnen um ihren Finger.

Müde sind wir alle, dachte Norman. Er sah Tina zu, die sich ruhig und gleichmäßig bewegte, routiniert Bildschirme einstellte, von den Meßfühlern übermittelte Werte prüfte und die bespielten Videokassetten auswechselte. Da Edmunds noch mit Ted im Raumschiff war, mußte Tina nicht nur ihre eigene Arbeit erledigen, sondern sich auch um die Aufzeichnungsgeräte kümmern. Sie schien weniger müde als die anderen. Allerdings hatte sie an der Exkursion durch das Raumschiff nicht teilgenommen. Für sie war es etwas Abstraktes, eine Art Fernsehprogramm, das sie auf den Bildschirmen verfolgte. Sie hatte sich der Wirklichkeit der neuen Umgebung nicht von Angesicht zu Angesicht stellen müssen, nicht die kräftezehrenden Augenblicke miterlebt, in denen die anderen versucht hatten zu ergründen, was da vor sich ging, was das Ganze bedeutete.

»Sie sehen müde aus, Sir«, sagte sie jetzt.

»Ja, das sind wir wohl alle.«

»Es hängt mit dem Heliox zusammen, das wir hier atmen«, erklärte Tina, »das Leben in einer Helium-SauerstoffAtmosphäre ermüdet den Organismus.«

So viel taugen also meine psychologischen Erklärungen, dachte Norman.

»Die Dichte des Gemischs, das wir hier unten atmen«, fuhr Tina fort, »macht sich bemerkbar. Immerhin beträgt der Druck dreißig bar. Normale Luft wäre unter diesem Druck fast so dick wie eine Flüssigkeit. Zwar ist Heliox leichter als die Atmosphäre, die wir von der Erde kennen, aber auch weit dichter. Man merkt es gewöhnlich nicht, aber das Atmen von Heliox strengt die Lunge ungeheuer an.«

»Sie sehen aber gar nicht müde aus.«

»Nun, ich war schon früher gelegentlich in einer saturierten Umgebung.«

»Tatsächlich? Wo?«

»Das darf ich nicht sagen, Dr. Johnson.«

»Arbeitsaufträge der Navy?«

Sie lächelte. »Ich darf darüber nicht sprechen.«

»Ist das Ihr undurchdringliches Lächeln?«

»Das hoffe ich, Sir. Finden Sie nicht, daß Sie versuchen sollten, etwas Schlaf zu bekommen?«

Er nickte. »Wohl richtig.«

Er überlegte, ob er schlafen gehen sollte, aber die Aussicht auf seine feuchte Koje lockte ihn nicht. Statt dessen ging er in die Küche, wo er einen von Rose Levys Nachtischen zu finden hoffte. Rose war nicht da, aber unter einem Kunststoffsturz lag etwas Kokoskuchen. Er nahm einen Teller, schnitt sich ein Stück ab und ging damit zu einem der Bullaugen, um hinauszusehen. Draußen war alles schwarz; die Beleuchtung der Planquadrate war abgeschaltet, kein Taucher zu sehen. Lichtschein fiel aus den Bullaugen des ein paar Dutzend Meter entfernt stehenden Habitats der Taucher DH-7. Vermutlich machten sich die Männer für den Aufstieg fertig, wenn sie nicht schon oben waren.

Er betrachtete sein eigenes Gesicht, das von dem Bullauge reflektiert wurde. Es wirkte abgespannt und alt. »Das ist hier nichts für einen Mann von dreiundfünfzig Jahren«, sagte er zu seinem Spiegelbild.

Wieder richtete er den Blick nach draußen und erkannte in der Ferne einige sich bewegende Lichter, dann einen gelben Blitz. Eines der kleinen Tauchboote schob sich unter die niedrige Metallkuppel neben DH-7. Wenige Augenblicke später legte ein zweites Tauchboot daneben an. Die Lichter im ersten Boot erloschen, nach kurzer Zeit schob sich das zweite Boot ins schwarze Wasser und ließ das erste zurück.

Was da wohl los ist, überlegte er, merkte aber gleichzeitig, daß es ihn nicht wirklich interessierte. Er war viel zu müde. Da war ihm der Kuchen schon wichtiger. Wie er wohl schmecken mochte? Er sah auf den Teller. Leer. Nur noch einige Krümel lagen darauf.

Müde, dachte er, übermüdet. Er legte die Füße auf den Tisch und den Kopf gegen die kühle Wandpolsterung.

Er mußte eingedöst sein, denn er erwachte im Dunkeln und wußte nicht, wo er war. Kaum setzte er sich auf, ging das Licht an, und er erkannte, daß er sich immer noch im Eßraum befand.

Barnes hatte erklärt, wie die Räume auf die Anwesenheit von Menschen reagierten. Wenn die Bewegungssensoren keine Signale mehr empfingen, beispielsweise nachdem jemand eingeschlafen war, schalteten sie automatisch die Innenbeleuchtung ab. Bewegte sich jemand beim Erwachen, ging das Licht wieder an. Er überlegte: Ob es wohl anblieb, wenn man schnarchte? Wer das konstruiert haben mochte? Hatten die Ingenieure beim Entwurf des Navy Habitats das Schnarchen einkalkuliert? Gab es einen Schnarchsensor?

Er hatte noch Appetit auf Kuchen.

Er stand auf und ging in die Küche, um sich etwas von dem Kuchen zu holen. Mehrere Stücke fehlten. Hatte er etwa alles aufgegessen? Er war sich nicht sicher, konnte sich nicht erinnern.

»Eine ganze Menge Videobänder«, sagte Beth. Norman wandte sich suchend um.

»Ja«, bestätigte Tina. »Wir zeichnen alles auf, was hier drin vor sich geht, und auch drüben im Schiff. Das gibt jede Menge Material.«

Unmittelbar über seinem Kopf entdeckte er einen Bildschirm. Er zeigte Beth und Tina oben im Nachrichtenraum. Sie aßen Kuchen.

Aha, die beiden also.

»Alle zwölf Stunden werden die Bänder zum Tauchboot gebracht«, sagte Tina.

»Wozu?« fragte Beth.

»Damit es, falls hier unten was passiert, sofort mit dem Material auftauchen kann.«

»Großartig«, sagte Beth. »Besser nicht dran denken. Wo ist Dr. Fielding jetzt?«

»Er hat seine Versuche, die Kugel zu öffnen, aufgegeben und ist mit Edmunds zur Steuerzentrale gegangen«, sagte Tina.

Norman sah auf den Bildschirm. Tina war außer Reichweite des Kameraobjektivs. Beth saß mit dem Gesicht zur Kamera und aß Kuchen. Auf dem Monitor hinter Beth konnte er deutlich die schimmernde Kugel sehen. Bildschirme, auf denen man Bildschirme sieht, dachte er. Die Marineleute, die das Zeug auswerten, müssen ja verrückt dabei werden.

»Glauben Sie, daß man die Kugel je aufkriegt?« fragte Tina.

Beth kaute ihren Kuchen. »Möglich«, sagte sie. »Ich weiß nicht.«

Zu seinem Entsetzen sah Norman auf dem Monitor hinter Beth, daß die Tür der Kugel lautlos beiseite glitt und die Schwärze des Inneren preisgab.

Offen

Bestimmt hielten sie ihn für verrückt, als er durch das Schott in Röhre D gestürzt kam und immer wieder brüllte: »Sie ist offen! Sie ist offen!«

Beth wischte sich gerade die letzten Kokoskrümel vom Mund. Sie legte ihre Gabel hin. »Was ist offen?«

»Die Kugel!«

Beth fuhr in ihrem Sessel herum und Tina stürzte von den Videorekordern herbei. Beide sahen auf den vor Beth stehenden Monitor. Ein unbehagliches Schweigen entstand.

»Sieht eigentlich zu aus, Norman.«

»Sie war aber offen. Ich hab es selbst gesehen.« Er berichtete, wie er über den Bildschirm im Eßraum Beths Monitor beobachtet hatte. »Es ist erst ein paar Sekunden her. Die Kugel hat sich ganz bestimmt geöffnet. Sie muß sich wieder geschlossen haben, während ich hierher unterwegs war.«

»Bist du sicher?«

»Der Bildschirm da unten im Eßraum ist ziemlich klein ...«

»Ich habe es gesehen«, sagte Norman. »Spielen Sie doch einfach das Band ab, wenn Sie mir nicht glauben.«

»Guter Gedanke«, sagte Tina und ging zu den Rekordern hinüber.

Schwer atmend versuchte Norman zur Ruhe zu kommen. Es war das erste Mal, daß er sich in dieser dichten Atmosphäre angestrengt hatte, und er spürte die Wirkung deutlich. DH-8 war nicht der richtige Ort für körperliche Anstrengungen, befand er.

Beth sah ihn an. »Fehlt dir auch nichts, Norman?«

»Mir geht's gut. Ich sag dir, ich hab es gesehen. Sie ist aufgegangen. Tina?«

»Sekunde.«

Harry kam gähnend herein. »Tolle Betten hier, was?« spotte-te er. »Als schliefe man in einem Sack mit nassem Reis, 'ne Art Mischung aus Schlafstatt und kalter Dusche.« Er seufzte. »Es wird mir das Herz brechen, diesen gastlichen Ort zu verlassen.«

»Norman glaubt, daß sich die Kugel geöffnet hat«, sagte Beth.

»Wann?« fragte Harry und gähnte erneut ausgiebig.

»Vor ein paar Sekunden.«

Er nickte nachdenklich. »Ist ja mächtig interessant. Jetzt ist sie zu, wie ich sehe.«

»Wir lassen gerade das Videoband zurücklaufen, um uns das anzusehen.«

»Mhm. Ist noch was von dem Kuchen da?«

Harry scheint ja sehr gelassen zu sein, dachte Norman, als ob ihn diese doch immerhin wichtige Neuentwicklung völlig kalt ließe. Was mag der Grund dafür sein? Ob auch er es nicht glaubt? Ist er noch nicht ganz wach? Oder gibt es da noch etwas?

»Jetzt geht's los«, sagte Tina.

Auf dem Bildschirm sah man erst Zackenmuster, dann ein scharfes Bild. Tinas Stimme sagte vom Band: »... Stunden werden die Bänder zum Tauchboot gebracht.«

Beth: »Wozu?«

Tina: »Damit es, falls hier unten was passiert, sofort mit dem Material auftauchen kann.«

Beth: »Großartig. Besser nicht dran denken. Wo ist Dr. Fielding jetzt?«

Tina: »Er hat seine Versuche, die Kugel zu öffnen, aufgegeben und ist mit Edmunds zur Steuerzentrale gegangen.«

Auf dem Bildschirm trat Tina aus dem Bild, und man sah nur noch Beth, die ihrem Monitor den Rücken zuwandte und Kuchen aß.

»Glauben Sie, daß man die Kugel je aufkriegt?« kam Tinas Stimme vom Band.

Beth aß. »Möglich«, sagte sie. »Ich weiß nicht.«

Eine kurze Pause trat ein, dann schob sich auf dem Monitor hinter Beth die Tür der Kugel auf.

»Ha! Tatsächlich! Sie ist aufgegangen!«

»Das Band weiterlaufen lassen!«

Die Beth auf dem Bildschirm sah nicht, was auf dem Monitor vor sich ging. Tina, immer noch außerhalb des Bildes, sagte: »Mir macht sie angst.«

Beth: »Ich glaube nicht, daß es einen Grund gibt, sich zu ängstigen.«

Tina: »Es ist das Unbekannte.«

»Schon«, sagte Beth, »aber etwas muß nicht gleich gefährlich oder angsteinflößend sein, bloß weil es unbekannt ist. Höchstwahrscheinlich ist es nur einfach unerklärlich.«

»Wie können Sie das so einfach sagen.«

»Haben Sie Angst vor Schlangen?« fragte die Beth auf dem Bildschirm.

Während dieser Unterhaltung blieb die Kugel offen.

»Wirklich schade, daß wir nicht reinsehen können«, sagte Harry.

»Vielleicht kann ich dem abhelfen«, sagte Tina. »Ich kann das Bild mit dem Computer ein bißchen deutlicher herausholen.«

»Sieht fast so aus, als gäbe es da kleine Lichter«, sagte Harry. »Kleine bewegliche Lichter innerhalb der Kugel ...«

Tina kam wieder ins Bild. »Nein, vor Schlangen nicht.«

»Nun, mir sind sie zuwider«, sagte Beth. »Schleimige, kalte Geschöpfe - ich kann sie nicht ausstehen.«

»Aha«, sagte Harry zu Beth, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, »wohl Schlangenneid?«

Die Beth auf dem Bildschirm sagte: »Wäre ich ein Marsmensch, der auf die Erde kommt und eine Schlange sieht - eine sonderbare, kalte, sich windende Lebensform -, ich wüßte nicht, was ich davon halten sollte. Aber die Wahrscheinlich-keit, daß ich auf eine Giftschlange stoße, ist sehr gering. Weniger als ein Prozent aller Schlangen sind giftig. Also würde mir als Marsmensch von meiner Entdeckung keine Gefahr drohen; ich wäre nur verblüfft. Das steht uns wahrscheinlich auch bevor. Wir werden verblüfft sein.«

Sie fuhr fort: »Jedenfalls glaube ich nicht, daß wir die Kugel je aufkriegen.«

Tina: »Hoffentlich nicht.«

Hinter Beth schloß sich die Kugel auf dem Monitor.

»Nanu!« sagte Harry. »Wie lange war sie offen?«

»Dreiunddreißig Komma vier Sekunden«, antwortete Tina. Sie hielt das Band an. »Möchte jemand es noch mal sehen?« Tinas Gesicht war bleich.

»Nicht jetzt«, sagte Harry. Er trommelte mit den Fingern auf die Lehne seines Sessels, starrte vor sich hin und überlegte.

Niemand sagte etwas, alle warteten geduldig, daß Harry fortfahren würde. Deutlich erkennbar zollte die Gruppe Harry Respekt. Er ist derjenige, der für uns denkt, dachte Norman. Wir brauchen ihn, verlassen uns auf ihn.

»Schön«, sagte Harry schließlich. »Schlußfolgerungen sind nicht möglich. Dafür haben wir zu wenig Daten. Die Frage ist, ob die Kugel auf etwas in ihrer unmittelbaren Umgebung reagiert hat, oder ob sie sich einfach so geöffnet hat, aus Gründen, die nur ihr bekannt sind. Wo ist Ted?«

»Zurück in der Steuerzentrale.«

»Er ist hier«, sagte Ted und grinste, »mit tollen Neuigkeiten.« Keiner hatte ihn kommen hören.

»Wir auch«, sagte Beth.

»Die können warten«, sagte Ted.

»Aber -«

»— ich weiß, wohin das Schiff geflogen ist«, sagte Ted aufgeregt. »Ich habe die Zusammenfassungen der Flugdaten in der Steuerzentrale analysiert, mir die Sternenfelder näher angesehen und weiß jetzt, wo das Schwarze Loch liegt.«

»Ted«, sagte Beth, »die Kugel hat sich geöffnet.«

»Was? Wann?«

»Vor ein paar Minuten. Dann hat sie sich wieder geschlossen.«

»Was hat man auf den Bildschirmen gesehen?«

»Keine biologische Gefahr. Soweit scheint alles in Ordnung zu sein.«

Ted sah auf den Schirm. »Was zum Teufel tun wir dann noch hier?«

Barnes kam herein. »Die zwei Stunden Ruhezeit sind um. Sind alle bereit, zu einer letzten Besichtigung des Schiffs mitzukommen?«

»Das ist sehr gelinde ausgedrückt«, sagte Harry.

Die Kugel war glatt, stumm, geschlossen. Alle umstanden sie und sahen einander gedankenvoll an. Niemand sprach.

»Mir kommt es vor, als wäre das ein Intelligenztest, und ich falle durch«, sagte Ted schließlich.

»Sie meinen, wie bei der Davies-Botschaft?« fragte Harry.

»Ach die«, sagte Ted.

Norman kannte die Geschichte der Davies-Botschaft. Es war eine Episode, die die Initiatoren des SAI-Programms am liebsten vergessen würden. In Rom hatte 1979 eine Tagung aller an der Suche nach außerirdischer Intelligenz beteiligten Wissenschaftler stattgefunden. Im wesentlichen war die SAI daran interessiert, den Himmel mit radioastronomischen Mitteln zu erkunden. Jetzt versuchten die Wissenschaftler zu entscheiden, nach welcher Art von Botschaft sie suchen sollten.

Emerson Davies, ein englischer Physiker aus Cambridge, entwickelte eine Botschaft, die auf festen physikalischen Konstanten gründete - wie zum Beispiel der Wellenlänge angeregten Wasserstoffs, von denen man annahm, daß sie im gesamten Universum gleich seien - und ordnete diese Konstanten in binären Zahlen so an, daß ein Bild entstand.

Da Davies annahm, eine außerirdische Intelligenz würde genau diese Art von Botschaft aussenden, glaubte er, sie sei für die SAI-Forscher ohne weiteres zu entschlüsseln. Er verteilte sein Bild an alle Kongreßteilnehmer.

Keiner konnte die Aufgabe lösen.

Als Davies die Sache erklärte, gaben alle zu, daß der Einfall sehr gut und die Botschaft erstklassig sei - genau das, was Außerirdische senden würden. Das änderte jedoch nichts daran, daß keiner von ihnen imstande gewesen war, diese erstklassige Botschaft zu entschlüsseln.

Einer von denen, die es versucht und versagt hatten, war Ted.

»Nun, wir haben uns eben nicht besonders ins Zeug gelegt«, sagte Ted jetzt. »Bei dem Kongreß war so viel los. Und wir hatten Sie nicht dabei, Harry.«

»Sie waren wahrscheinlich einfach auf einen kostenlosen Flug nach Rom aus«, spottete Harry.

»Bilde ich mir das ein, oder sieht das Muster der Tür jetzt anders aus?« fragte Beth.

Norman sah genauer hin. Auf den ersten Blick schienen die tiefen Furchen dieselben zu sein. Vielleicht aber hatte sich das Muster tatsächlich verändert. In diesem Fall war die Veränderung jedoch sehr gering.

»Wir können es mit den alten Videobändern vergleichen«, sagte Barnes.

»Ich sehe keinen Unterschied«, sagte Ted. »Außerdem bezweifle ich, daß Metall sich verändern kann.«

»Was wir Metall nennen, ist nichts als eine Flüssigkeit, die bei Zimmertemperatur langsam fließt«, sagte Harry. »Es ist also durchaus möglich, daß das Material, aus dem die Kugel besteht, seine Gestalt verändert.«

»Daran zweifle ich«, sagte Ted.

»Ihr Jungs seid doch die Fachleute hier«, sagte Barnes. »Wir wissen, daß das Ding zu öffnen ist, weil es schon mal offen war. Wie kriegen wir es jetzt wieder auf?«

»Wir bemühen uns, Hal.«

»Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie was tun.«

Von Zeit zu Zeit sahen sie zu Harry hinüber. Dieser aber stand einfach da und sah die Kugel an. Er hatte dabei die Hand am Kinn und klopfte mit einem Finger nachdenklich auf seine Unterlippe.

»Harry?«

Er reagierte nicht.

Ted trat näher und schlug mit der flachen Hand auf die Kugel. Es hallte dumpf, aber nichts geschah. Er hämmerte mit der Faust dagegen, zuckte vor Schmerz zusammen und rieb sich die Hand.

»Ich glaube nicht, daß wir den Zugang erzwingen können. Ich glaube, sie muß einen reinlassen«, sagte Norman. Niemand griff den Gedanken auf.

»Und das nennt sich nun ein handverlesenes hochkarätiges Expertenteam«, sagte Barnes, um sie anzustacheln, »und alles, was sie können, ist herumstehen und das Ding ratlos anstarren.«

»Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun, Hal? Etwa eine Atombombe zu Hilfe nehmen?«

»Andere werden das irgendwann tun, wenn Sie es nicht schaffen, die Kugel zu öffnen.« Er sah auf seine Uhr. »Haben Sie bis dahin noch irgendwelche klugen Vorschläge?«

Alle schwiegen.

»Schön«, sagte Barnes. »Unsere Zeit ist um. Wir kehren zum Habitat zurück und machen uns zum Auftauchen fertig.«

Aufbruch

Norman zog die kleine Tasche, die er von der Navy bekommen hatte, unter seiner Koje in Röhre C hervor, holte sein Rasierzeug aus der Badekabine, suchte Notizbuch und Reservesocken zusammen und zog den Reißverschluß zu. »Ich bin soweit.«

»Ich auch«, sagte Ted unglücklich. Er wollte nicht fort. »Wir können es wohl nicht länger hinauszögern. Das Wetter wird schlechter. Sie haben schon alle Taucher von DH-7 abgezogen, nur wir sind noch da.«

Norman lächelte bei der Vorstellung, wieder oben zu sein. Ich hätte nie gedacht, daß ich mich einmal auf den Anblick marinegrauer Schiffe freuen würde, aber ich tu's.

»Wo sind die anderen?« fragte er.

»Beth hat bereits gepackt. Ich glaube, sie ist mit Barnes im Nachrichtenraum, und Harry ist wohl auch da.« Ted zupfte an seiner Kombination. »Eins will ich Ihnen sagen - ich bin heilfroh, daß ich das Ding jetzt nicht mehr sehen muß.«

Sie verließen die Unterkünfte und gingen zum Nachrichtenraum. Unterwegs drückten sie sich an Teeny Fletcher vorbei, die der Röhre B zustrebte.

»Bereit zum Aufbruch?« fragte Norman.

»Ja, Sir. Alles ist aufgeräumt«, sagte sie, aber ihre Züge waren angespannt. Sie schien in Eile zu sein, unter Druck zu stehen.

»Gehen Sie nicht in die falsche Richtung?« fragte Norman.

»Ich kontrolliere nur noch mal die Reserve-Diesel.«

Nanu? dachte Norman. Warum jetzt die Reservegeneratoren überprüfen, wo sie das Habitat verlassen wollten?

»Wahrscheinlich muß sie was abschalten«, sagte Ted kopfschüttelnd.

Im Nachrichtenraum war die Stimmung niedergeschlagen. Barnes telefonierte mit den Versorgungsschiffen. »Wiederho-len Sie das«, sagte er. »Ich möchte hören, wer das angeordnet hat.« Er machte ein wütendes Gesicht.

Sie sahen zu Tina hin. »Wie ist das Wetter oben?«

»Wird offenbar zusehends schlechter.«

Barnes wandte sich zu ihnen um. »Ruhe, verdammt noch mal!«

Norman ließ seine Tasche zu Boden fallen. Beth, die bei den Bullaugen saß, wirkte müde und rieb sich die Augen. Tina schaltete die Bildschirme ab, einen nach dem anderen, hielt dann plötzlich inne.

»Seht mal!«

Auf einem Bildschirm war die polierte Kugel zu sehen.

Daneben stand Harry.

»Was tut er da?«

»Ist er nicht mit uns zurückgekommen?«

»Ich dachte, ja.«

»Ich habe nicht drauf geachtet, nahm es aber an.«

»Zum Kuckuck! Hatte ich nicht gesagt, daß alle -« begann Barnes und unterbrach sich. Wortlos starrte er auf den Monitor.

Sie sahen, wie Harry sich der Videokamera zuwandte und sich kurz verbeugte.

»Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Ich glaube, das wird Sie interessieren.«

Er wandte sich der Kugel wieder zu und stand mit entspannt herabhängenden Armen da, ohne sich zu rühren oder etwas zu sagen. Er schloß die Augen und holte tief Luft.

Die Tür der Kugel öffnete sich.

»Nicht schlecht, was?« sagte Harry und grinste plötzlich.

Dann trat er in die Kugel. Die Tür schloß sich hinter ihm.

Mit einemmal begannen alle durcheinanderzureden. Barnes überschrie sie alle, forderte Ruhe, aber niemand hörte auf ihn, bis plötzlich das Licht im Habitat erlosch. Dunkelheit umgab sie.

»Was ist passiert?« wollte Ted wissen.

»Der Strom ist weg ...«

»Das wollte ich Ihnen ja die ganze Zeit sagen«, erklärte Barnes.

Ein Surren ertönte, das Licht flackerte, ging wieder an. »Jetzt laufen unsere Dieselaggregate.«

»Warum?«

»Da«, sagte Ted und wies aus einem der Bullaugen.

Draußen sank etwas herab, das wie eine sich windende silberne Schlange aussah. Dann begriff Norman: Dort sank in großen Windungen das Kabel, das sie mit den Versorgungsschiffen verband, langsam zu Boden.

»Sie haben uns abgeschnitten!«

»So ist es«, sagte Barnes. »Oben herrscht Sturm, und die Versorger können die Strom- und Nachrichtenverbindung nicht länger aufrechterhalten. Auch die Tauchboote können nicht mehr eingesetzt werden. Sie haben die Taucher alle nach oben gebracht, aber uns können sie nicht mehr holen. Jedenfalls so lange, bis sich die See beruhigt hat.«

»Heißt das, wir sitzen jetzt hier fest?«

»Genau das.«

»Für wie lange?«

»Ein paar Tage«, sagte Barnes.

»Für wie lange genau?«

»Vielleicht eine Woche.«

»Gott im Himmel«, sagte Beth.

Ted warf seine Tasche auf eine Liege und sagte: »Das nenn ich ausgesprochenes Glück.«

Beth fuhr zu ihm herum. »Ja, sind Sie denn noch ganz bei Trost?«

»Wir wollen bitte die Ruhe bewahren«, sagte Barnes. »Wir haben alles unter Kontrolle. Es handelt sich doch nur um eine Verzögerung, also besteht kein Grund zur Aufregung.«

Norman regte sich gar nicht auf, er fühlte sich nur mit ei-nemmal erschöpft. Beth schmollte, war wütend, sie kam sich hintergangen vor. Ted plante voller Hochgefühl den nächsten Besuch im Raumschiff und sortierte bereits mit Edmunds Ausrüstungsgegenstände.

Norman aber war einfach müde. Seine Lider waren so schwer, er hätte im Stehen vor den Bildschirmen einschlafen können. Er entschuldigte sich daher rasch, kehrte in den Schlafraum zurück und legte sich in seine Koje. Mochten die Laken feucht sein und das Kissen kalt, mochten die Diesel in der Röhre nebenan dröhnen und ihre Vibrationen überall spürbar sein. Er dachte noch: Eine erstaunlich starke Verdrängungsreaktion. Dann schlief er ein.

Jenseits des Pluto

Norman wälzte sich aus der Koje. Da er sich abgewöhnt hatte, hier unten eine Uhr zu tragen, hatte er keine Ahnung, wie spät es war oder wie lange er geschlafen hatte. Er sah zum Bullauge hinaus, doch dort draußen war nichts als schwarzes Wasser. Die Planquadrat-Beleuchtung war nach wie vor ausgeschaltet. Er legte sich wieder hin und starrte auf die grauen Leitungen unmittelbar über seinem Kopf; sie wirkten näher als zuvor, als hätten sie sich, während er schlief, dichter an ihn herangepirscht. Alles kam ihm enger vor, erdrückender, beängstigender.

Noch mehr Tage hier unten, dachte er. Großer Gott.

Hoffentlich würde die Navy wenigstens seine Angehörigen benachrichtigen. Bestimmt machte Ellen sich nach so vielen Tagen ohne ein Wort von ihm Sorgen. Er stellte sich vor, wie sie zuerst beim Bundesluftfahrtamt und dann bei der Navy anrief, um zu erfahren, was geschehen war. Natürlich würde niemand etwas wissen, weil das Projekt geheim war; Ellen würde sich schrecklich aufregen.

Dann verdrängte er den Gedanken an seine Frau. Es war einfacher, sich um seine Familie Sorgen zu machen, als um sich selbst. Aber dazu bestand kein Anlaß. Ellen würde zurechtkommen, genau wie er. Es war nur eine Frage der Geduld. Ruhe bewahren und das Abflauen des Sturms abwarten.

Er ging unter die Dusche. Ob wohl heißes Wasser zur Verfügung stand, während Notstromaggregate die Versorgung aufrechterhielten? Es gab heißes Wasser, und nachdem er geduscht hatte, fühlte er sich weniger steif. Wie merkwürdig, dachte er, dreihundert Meter unter dem Meeresspiegel die beruhigende Wirkung einer heißen Dusche zu genießen.

Er zog sich an und machte sich auf den Weg nach Röhre C. Dort hörte er Tinas Stimme: »- daß man die Kugel je aufkriegt?«

Beth: »Möglich. Ich weiß nicht.«

»Mir macht sie angst.«

»Ich glaube nicht, daß es einen Grund gibt, sich zu ängstigen.«

»Es ist das Unbekannte«, sagte Tina.

Als Norman den Raum betrat, fand er Beth vor, die sich ihre Unterhaltung mit Tina auf dem Video noch einmal anhörte. »Schon«, sagte Beth, »aber etwas muß nicht gleich gefährlich oder angsteinflößend sein, bloß weil es unbekannt ist. Höchstwahrscheinlich ist es nur einfach unerklärlich.«

Tina: »Wie können Sie das so einfach sagen.«

Beth: »Haben Sie Angst vor Schlangen?«

Beth schaltete den Rekorder ab. »Ich wollte nur mal sehen, ob ich herauskriege, warum sie sich geöffnet hat«, sagte sie.

»Und, hast du was erreicht?« fragte Norman.

»Bis jetzt nicht.« Ein anderer Monitor zeigte das Bild der Kugel selbst. Sie war geschlossen.

»Ist Harry noch drin?« fragte Norman.

»Ja«, sagte Beth.

»Wie lange schon?«

Sie sah auf die Geräte. »Etwas über eine Stunde.«

»Dann hab ich nur eine Stunde geschlafen?«

»Ja.«

»Ich habe Hunger«, sagte Norman und ging in die Küche. Vom Kokoskuchen war nichts mehr da. Er suchte nach etwas zu essen, als Beth auftauchte.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Norman«, sagte sie mit gerunzelter Stirn.

»Inwiefern?«

»Sie belügen uns«, sagte sie.

»Wer?«

»Barnes. Die Navy. Alle. Die haben die Lage künstlich geschaffen, Norman.«

»Na hör mal, Beth. Komm mir jetzt nicht mit einer Verschwörungstheorie. Wir haben auch so schon genug Sorgen, ohne -«

»Dann sieh dir das mal an«, sagte sie. Sie führte ihn in den Computerraum, schaltete ein Gerät ein und machte sich an den Knöpfen zu schaffen.

»Ich hab es mir zusammengereimt, als Barnes telefonierte«, sagte sie. »Er hat bis zu dem Augenblick, als das Kabel runterkam, mit jemandem telefoniert. Das ist aber gut dreihundert Meter lang, also hätte die Verbindung schon mehrere Minuten vorher unterbrochen sein müssen.«

»Wahrscheinlich, ja .«

»Mit wem also hat er bis zum letzten Augenblick geredet? Mit niemandem - er hat nur so getan.«

»Beth ...«

»Sieh her«, sagte sie und wies auf den Bildschirm.


NACHR. ZUSAMMENF. DH-OBERFL. KOM/1 0910 BARNES AN OBERFL/ 1:

ZIVILISTEN UND USN-ANGEHÖRIGE HABEN ABGESTIMMT. TROTZ HINWEIS AUF DIE GEFAHREN WOLLEN ALLE FÜR DIE DAUER DES STURMS UNTEN BLEIBEN, UM DIE UNTERSUCHUNG DER AUS SERIRDISCHEN KUGEL UND DES ZUGEHÖRIGEN RAUMSCHIFFES FORTZUSETZEN.

BARNES, USN.


»Du machst Witze«, sagte Norman. »Ich dachte, Barnes wollte weg.«

»Wollte er auch, aber er hat es sich anders überlegt, als er den letzten Raum gesehen hatte. Er hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, es uns mitzuteilen. Umbringen könnte ich den Schweinehund«, sagte Beth. »Du weißt, worum es hier geht, Norman, nicht wahr?« Er nickte. »Er hofft, eine neue Waffe zu finden.« »Richtig. Als einer der Beschaffungsleute im Pentagon ist er dauernd auf der Suche nach neuen Waffensystemen.« »Aber die Kugel kann doch kaum -«

»Um die geht es nicht«, sagte Beth. »Die ist Barnes ziemlich egal. Ihm liegt nur am zugehörigen Raumschiff:, denn davon ist am ehesten anzunehmen, daß es sich entsprechend der Kongruitätstheorie auszahlt. Die Kugel spielt dabei keine Rolle.«

Die Kongruitätstheorie war für Menschen, die über außerirdisches Leben nachdachten, eine problematische Angelegenheit. Um es einfach zu formulieren: Astronomen und Physiker, die die Möglichkeit eines Kontakts mit außerirdischen Lebewesen in ihre Erwägungen einbezogen, stellten sich vor, die Menschheit werde aus diesem Zusammentreffen wundersamen Nutzen ziehen, während Geisteswissenschaftler wie zum Beispiel Philosophen und Historiker darin keinerlei Nutzen zu sehen vermochten.

So glaubten die Astronomen, ein solches Zusammentreffen mit Außerirdischen werde die Menschheit so stark beeindruk-ken, daß es auf der Erde keine Kriege mehr geben und ein neues Zeitalter der friedlichen Zusammenarbeit zwischen den Völkern einbrechen würde.

Diese Ansicht hielten die Historiker für baren Unsinn. Sie machten darauf aufmerksam, daß die Europäer nach der Entdeckung der Neuen Welt (ein Ereignis von ähnlich welterschütternder Bedeutung) keineswegs ihre unaufhörlichen Zwistig-keiten eingestellt hatten - im Gegenteil, sie bekämpften einander noch heftiger als zuvor. Da sie die Neue Welt einfach als Außenposten in die bereits bestehenden Feindseligkeiten mit einbezogen, wurde sie lediglich ein zusätzliches Gebiet, auf dem und um das man kämpfen konnte.

Des weiteren stellten sich die Astronomen vor, ein solcher Kontakt werde einen Austausch von Informationen und technischem Wissen bewirken, der die Menschheit einen beachtlichen Schritt voranbringen würde.

Wissenschaftshistoriker hielten auch das schlichtweg für Unsinn. Sie wiesen darauf hin, daß alles, was wir als >Wissen-schaft< bezeichnen, in Wirklichkeit vom Universum ein eher willkürliches Bild liefert, das von anderen Geschöpfen kaum geteilt werden dürfte. Was wir unter Wissenschaft verstehen, hieß es, entspringe den Vorstellungen am Gesichtssinn orientierter affenähnlicher Geschöpfe, die gern ihren Standort wechseln. Wären beispielsweise die Außerirdischen blind und würden über den Geruchssinn mit ihrer Umwelt kommunizieren, so sei anzunehmen, daß sie eine ganz und gar andere Wissenschaft entwickelt hätten, die ein deutlich anderes Universum beschriebe. Auch wäre es durchaus möglich, daß sie gänzlich andere Entscheidungen hinsichtlich der Richtungen getroffen hätten, in die ihre Wissenschaft forschte. Beispielsweise könnten sie die physikalische Welt vollkommen ignorieren zugunsten einer hochentwickelten Wissenschaft des Geistes - mit anderen Worten, das genaue Gegenteil dessen, was die Naturwissenschaft auf der Erde hervorgebracht habe. Das technische Wissen der Außerirdischen wäre möglicherweise nur in ihren Köpfen vorhanden, ohne daß irgendwelche Gegenstände davon Zeugnis ablegten.

Dieser Streitpunkt trifft den Kern der Kongruitätstheorie, die besagt, daß ein Zusammentreffen mit Außerirdischen zu keinerlei Informationsaustausch führen werde, es sei denn, sie wären uns bemerkenswert ähnlich. Selbstverständlich kannte Barnes diese Theorie und wußte, daß ihm die außerirdische Kugel vermutlich kein verwertbares technisches Wissen liefern konnte. Das traf aber nicht auf das Raumschiff selbst zu, da es von Menschenhand hergestellt und daher von sehr hoher Kongruität war.

Außerdem hatte er sie alle belogen, um sie hier unten festzuhalten. Um die Suche fortzusetzen.

»Was sollen wir mit dem Schweinehund anstellen?« fragte Beth.

»Im Augenblick nichts«, sagte Norman.

»Du willst ihm seine Hinterhältigkeit nicht ins Gesicht schleudern? Ich schon. Worauf du dich verlassen kannst.«

»Es würde nichts nützen«, sagte Norman. »Ted wird es gleichgültig sein, und die Marineweiber tun, was ihnen befohlen wird. Hättest du übrigens Harry in der Kugel zurückgelassen, wenn unser Aufbruch nach Plan abgelaufen wäre?«

»Nein«, gab Beth zu.

»Na also. Es sind rein theoretische Erwägungen.«

»Lieber Gott, Norman ...«

»Ich weiß. Aber jetzt sind wir hier. In den nächsten Tagen können wir überhaupt nichts tun. Wir sollten versuchen, mit dieser Realität so gut wie möglich fertig zu werden. Den anklagenden Finger können wir später immer noch auf ihn richten!«

»Das tue ich auch! Verlaß dich drauf!« »Nur zu. Aber nicht jetzt.« »Na schön«, seufzte sie. »Nicht jetzt.« Sie ging wieder nach oben in ihr Labor.

Norman war jetzt allein und sah auf die Steuertafel. Seine Aufgabe lag klar vor ihm; er mußte in den nächsten Tagen dafür sorgen, daß alle ruhig blieben. Er hatte sich bisher nicht um das Computersystem gekümmert, jetzt drückte er verschiedene Tasten. Bald fand er eine als ULF KONTAKTGRUPPE BIOG gekennzeichnete Datei und holte sie sich auf den Bildschirm.

zivile mitglieder

1. theodore fielding, astrophysiker/himmelskörpergeologe

2. elizabeth halpern, zoologin/biochemikerin

3. harold j. adams, mathematiker/logiker

4. arthur levine, meeresbiologe/biochemiker

5. john f. thompson, psychologe bitte feldnr. wählen:

Ungläubig sah er auf die Liste.

Er kannte John F. Thompson, genannt Jack, einen dynamischen jungen Psychologen aus Yale. Seine Untersuchungen zur Psychologie primitiver Völker hatten ihm Anerkennung auf der ganzen Welt eingetragen. Seit etwa einem Jahr war er irgendwo auf Neuguinea und erforschte dort Eingeborenenstämme. Norman drückte auf weitere Knöpfe.

ULF-GRUPPE, PSYCHOLOGE: REIHENFOLGE DER AUSWAHL

1. JOHN F. THOMPSON, YALE - EMPFOHLEN

2. WILLIAM L. HARTZ, UCB - EMPFOHLEN

3. JEREMY WHITE, UT - EMPFOHLEN (FREIGABE VORAUSGESETZT)

4. NORMAN JOHNSON, SDU - ABGELEHNT (ALTER)

Er kannte sie alle. Bill Hartz aus Berkeley war schwerkrank; er hatte Krebs. Jeremy White war zur Zeit des Vietnamkriegs nach Hanoi gegangen und würde nie und nimmer die erforderliche Freigabe bekommen. Damit blieb Norman übrig.

Jetzt wurde ihm klar, warum man ihn als letzten zur Teilnahme aufgefordert hatte, und er verstand auch, warum man ihn besonderen Prüfungen unterzogen hatte. Kalte Wut gegen Barnes stieg in ihm auf, gegen das ganze System, das ihn trotz seines Alters und ohne Rücksicht auf seine Sicherheit hier herunter gebracht hatte. Mit dreiundfünfzig Jahren hatte Norman Johnson in einer unter Überdruck stehenden EdelgasAtmosphäre nichts zu suchen - und das wußte die Navy.

Ein Skandal, dachte er. Er wollte nach oben gehen und Barnes ohne Umschweife sagen, was er von ihm hielt. Dieser verlogene Mistkerl -

Er umkrallte die Lehnen seines Sessels und rief sich ins Gedächtnis, was er Beth gesagt hatte. An dem, was bisher geschehen war, konnte jetzt niemand mehr etwas ändern. Er würde Barnes die Hölle heiß machen - das schwor er sich -, aber erst, wenn sie wieder oben waren. Bis dahin hatte es keinen Sinn, Unfrieden zu stiften. Er schüttelte den Kopf und fluchte. Dann schaltete er das Gerät ab.

Die Stunden schlichen dahin. Harry war noch immer in der Kugel.

Mit Hilfe des Bildverstärkers versuchte Tina auf dem Bandabschnitt, der die offene Kugel zeigte, Einzelheiten im Inneren zu erkennen. »Leider steht uns hier unten nur eine begrenzte Rechnerleistung zur Verfügung«, sagte sie. »Wenn ich eine feste Leitung nach oben hätte, ließe sich eine ganze Menge machen, aber so ...« Sie zuckte die Schultern.

Sie zeigte ihnen einige vergrößerte Standbilder, die sie in Ein-Sekunden-Abständen durchlaufen ließ, doch waren diese von schlechter Qualität und wiesen starkes Bildrauschen auf.

»Das einzige, was wir in dem dunklen Innenraum der Kugel erkennen können«, sagte Tina, auf die Öffnung zeigend, »ist diese Vielzahl punktförmiger Lichtquellen. Sie scheinen von einem Bild zum anderen ihre Position zu verändern.«

»Als wäre die Kugel voller Glühwürmchen«, sagte Beth.

»Nur, daß sie viel schwächer leuchten als Glühwürmchen und nicht blinken. Es sind ziemlich viele. Man hat den Eindruck, daß sie sich in bestimmten Mustern gleichzeitig bewegen .«

»Ein ganzer Schwarm von Glühwürmchen?«

»So in der Art.« Das Band stoppte. Der Bildschirm wurde dunkel.

»Ist das alles?« erkundigte sich Ted.

»Leider ja, Dr. Fielding.«

»Armer Harry«, sagte Ted mit Trauer in der Stimme.

Von den Gruppenmitgliedern beunruhigte Ted Harrys Schicksal am meisten. Unentwegt starrte er auf das Bild der geschlossenen Kugel und sagte immer wieder: »Wie hat er das nur gemacht?« Um dann hinzuzufügen: »Hoffentlich passiert ihm da drin nichts.«

Er wiederholte es so oft, daß Beth schließlich sagte: »Ted, ich glaube, wir verstehen alle, was Sie empfinden.«

»Ich mache mir ernsthaft Sorgen um ihn.«

»Ich auch. Das tun wir alle.«

»Sie denken, ich neide ihm den Erfolg, Beth? Ist es nicht

so?«

»Warum sollte jemand das denken, Ted?«

Norman wechselte das Thema. Es war wichtig, Zusammenstöße zwischen Gruppenmitgliedern zu vermeiden. Er fragte Ted nach seiner Analyse der Flugdaten an Bord des Raumschiffs.

»Das ist wahnsinnig interessant.« Ted ergriff dankbar die Gelegenheit, von seiner Entdeckung zu berichten. »Die genaue Untersuchung der frühesten Flugdatenbilder«, sagte er, »hat mich davon überzeugt, daß sie drei Planeten zeigen - Uranus, Neptun und Pluto - sowie, sehr klein im Hintergrund, die Sonne. Da also die Aufnahmen von irgendwo hinter der Umlaufbahn des Pluto gemacht worden sein müssen, liegt die Annahme nahe, daß sich das Schwarze Loch nicht weit außerhalb unseres Sonnensystems befindet.«

»Ist das denn möglich?« fragte Norman.

»Natürlich. Schon seit etwa zehn Jahren vermuten manche Astrophysiker, daß es unmittelbar außerhalb unseres Sonnensystems ein Schwarzes Loch gibt - kein großes, aber immerhin, ein Schwarzes Loch.«

»Das war mir nicht bekannt.«

»Doch, doch. Es gibt sogar Leute, die gesagt haben, wenn es klein genug sei, könnten wir in ein paar Jahren hinfliegen, es holen, auf einer Erdumlaufbahn parken und seine Energie zur Versorgung unseres Planeten nutzen.«

Barnes lächelte. »Mit dem Lasso einfangen?«

»Theoretisch gibt es keinen Grund, warum der Plan undurchführbar sein sollte. Überlegen Sie nur: die Erde wäre nicht mehr von fossilen Brennstoffen abhängig ... Die gesamte Menschheitsgeschichte würde eine andere Wendung nehmen.«

»Wahrscheinlich wäre es auch eine entsetzliche Waffe«, sagte Barnes.

»Selbst ein noch so winziges Schwarzes Loch hätte für einen Einsatz als Waffe zu viel Energie.«

»Und Sie meinen also, das Schiff ist ausgezogen, um ein Schwarzes Loch einzufangen?«

»Wohl nicht«, sagte Ted, »es ist so kräftig gebaut und so stark gegen Strahlung abgeschirmt, daß ich eher vermute, es sollte ein Schwarzes Loch durchfliegen. Und das hat es ja auch getan.«

»Ist das der Grund, weshalb es in der Vergangenheit zurückgekehrt ist?« fragte Norman.

»Da bin ich nicht sicher«, sagte Ted. »Wissen Sie, eigentlich kennzeichnet ein Schwarzes Loch den Rand des Universums. Kein Lebender weiß, was da geschieht. Allerdings denken manche, daß man ein Schwarzes Loch nicht wirklich durchfliegt, sondern gewissermaßen drüber hinweghüpft, ähnlich wie ein flacher Kiesel über das Wasser springt, und daß man auf diese Weise in eine andere Zeit, einen anderen Raum oder ein anderes Universum geschleudert wird.«

»Und das ist mit diesem Schiff geschehen?«

»Ja. Möglicherweise sogar mehrfach. Als es dann hierher zurückkam, hat es sein Ziel verfehlt und ist um ein paar hundert Jahre vor dem Zeitpunkt seiner Abreise wieder hier eingetroffen.«

»Und bei einem seiner Hüpfer hat es das da an Bord genommen?« fragte Beth und wies mit der Hand auf den Monitor.

Aller Augen folgten ihrer Bewegung. Immer noch war die Kugel geschlossen. Aber neben ihr lag in einer merkwürdigen Haltung, Arme und Beine breit ausgestreckt, Harry Adams.

Einen Augenblick lang hielten sie ihn für tot. Dann hob er den Kopf und stöhnte.

Die beobachtete Person

Norman notierte: Die beobachtete Person ist ein dreißigjähriger farbiger Mathematiker, der nach einem dreistündigen Aufenthalt in einer Kugel unbekannter Herkunft Anzeichen von Benommenheit aufwies und auf Ansprache nicht reagierte. Er war vollkommen desorientiert und konnte keine Angaben zu seinem Namen, derzeitigen Aufenthaltsort und Datum machen. Ins Habitat zurückgebracht, schlief er eine halbe Stunde, erwachte dann unvermittelt und klagte über Kopfschmerzen.

»O Gott.«

Harry saß auf seiner Koje und hielt sich stöhnend den Kopf.

»Tut's weh?« fragte Norman.

»Entsetzlich. Ich hab rasende Kopfschmerzen.«

»Sonst noch was?«

»Durst. Gott im Himmel.« Er leckte sich die Lippen. »Ich habe Durst.«

Auffälliger Durst, schrieb Norman.

Rose Levy kam mit einem Glas Limonade herein, und Norman reichte es Harry. Dieser leerte es in einem Zug und gab es zurück.

»Noch mal.«

»Am besten bringen Sie gleich den ganzen Krug«, sagte Norman. Levy ging und Norman wandte sich Harry zu, der sich nach wie vor stöhnend den Kopf hielt. »Ich möchte Sie etwas fragen.«

»Was?«

»Wie heißen Sie?«

»Norman, ich brauche jetzt keine Psychoanalyse.«

»Sagen Sie mir einfach Ihren Namen.«

»Harry Adams, verdammt noch mal. Was ist bloß in Sie gefahren? Oh, mein Kopf.«

»Vorhin, als wir Sie gefunden haben, erinnerten Sie sich nicht«, sagte Norman.

»Als Sie mich gefunden haben?« wiederholte Harry. Erneut schien er verwirrt.

Norman nickte. »Erinnern Sie sich daran?«

»Das muß dann ja wohl ... draußen gewesen sein.«

»Draußen?«

Harry, plötzlich wütend, sah ihn mit zornfunkelnden Augen an. »Ja, draußen. Außerhalb der Kugel, verdammter Idiot! Was glauben Sie, wovon ich rede?«

»Regen Sie sich doch nicht auf, Harry.«

»Ihre Fragerei treibt mich zum Wahnsinn!«

»Schon gut, schon gut. Immer mit der Ruhe.«

Emotional labil. Wütend und reizbar, notierte Norman.

»Müssen Sie eigentlich solchen Krach machen?«

Erstaunt sah Norman auf.

»Ihr Stift«, sagte Harry. »Er klingt wie die Niagarafälle.«

Norman hörte auf zu schreiben. Es mußte eine Art Migräne oder etwas Ähnliches sein. Harry hielt sich den Kopf so vorsichtig, als sei er aus Glas.

»Wieso krieg ich kein Aspirin, verdammt noch mal?«

»Wir wollen Ihnen vorsichtshalber erst mal nichts geben. Falls Sie sich verletzt haben, müssen wir den Schmerz lokalisieren können.«

»Der Schmerz, Norman, ist in meinem Kopf. In meinem verdammten Kopf! Warum also geben Sie mir kein Aspirin?«

»Barnes wünscht es nicht.«

»Ist er noch hier?«

»Wir sind alle noch hier.«

Harry sah langsam auf. »Aber Sie sollten doch nach oben gehen.«

»Ich weiß.«

»Und warum sind Sie nicht gegangen?«

»Das Wetter hat sich verschlechtert, und sie konnten die Tauchboote nicht runterschicken.« »Nun, Sie sollten gehen. Es ist nicht gut, daß Sie hier sind, Norman.«

Levy kam mit der Limonade. Während Harry trank, sah er die junge Frau an.

»Sie sind auch noch hier?«

»Ja, Dr. Adams.«

»Wie viele Leute sind es insgesamt?«

»Neun, Sir.«

»Großer Gott.« Er gab das Glas zurück, und Levy füllte es erneut aus dem Krug. »Sie sollten alle gehen. Wirklich, Sie sollten gehen.«

»Harry«, sagte Norman. »Wir können nicht.«

»Sie müssen.«

Norman setzte sich Harry gegenüber auf die Koje und beobachtete ihn, während er trank. Harry zeigte eine ausgesprochen typische Schockreaktion. Die nervöse Reizbarkeit, die erregten, manisch anmutenden Gedankensprünge, die unerklärte Angst um die Sicherheit anderer - all das war kennzeichnend für unter Schock stehende Opfer schwerer Unfälle, wie zum Beispiel schlimmer Autozusammenstöße oder Flugzeugabstürze. Nach einem solch tiefgreifenden Ereignis versucht das Gehirn, mit der neuen Situation fertig zu werden, indem es sich bemüht, darin einen Sinn zu erkennen, die Welt der Seele zusammenzuhalten, während die wirkliche Welt um es herum in Stücken liegt. Es schaltet eine Art Schnellgang ein und versucht eilig, Dinge wieder zusammenzusetzen, Ordnung zu schaffen, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Im Grunde ist dies jedoch nur eine verworrene Phase des Leerlaufs.

In solchen Fällen muß man einfach das Ende abwarten.

Harry hatte ausgetrunken und gab das Glas zurück.

»Noch mehr?« fragte Levy.

»Nein, das ist genug, danke. Die Kopfschmerzen haben auch schon nachgelassen.«

Vielleicht war es ja nur Flüssigkeitsmangel, dachte Norman.

Aber warum sollte Norman nach drei Stunden in der Kugel unter Flüssigkeitsmangel leiden?

»Harry .«

»Sagen Sie mir, sehe ich verändert aus, Norman?«

»Nein.«

»Genau wie vorher?«

»Aber ja.«

»Sind Sie sicher?« beharrte Harry. Er sprang auf, stellte sich vor einen Spiegel und betrachtete aufmerksam sein Gesicht.

»Was glauben Sie denn, wie Sie aussehen?« fragte Norman.

»Ich weiß nicht. Anders.«

»Inwiefern anders?«

»Ich weiß es nicht!« Harry schlug so heftig mit der Faust gegen die gepolsterte Wand, daß sein Spiegelbild erzitterte. Er wandte sich ab, setzte sich wieder auf die Koje und seufzte. »Einfach anders.«

»Harry .«

»Was?«

»Erinnern Sie sich, was geschehen ist?«

»Natürlich.«

»Was denn?«

»Ich bin reingegangen.«

Norman wartete, aber Harry sprach nicht weiter, sondern starrte nur auf den teppichbelegten Boden.

»Wissen Sie noch, wie Sie die Tür aufbekommen haben?«

Harry sagte nichts.

»Wie haben Sie sie aufbekommen, Harry?«

Harry sah zu Norman auf. »Von Rechts wegen sollten Sie alle weg sein. Zurück an der Oberfläche. Es war nicht geplant, daß Sie bleiben.«

»Wie haben Sie die Tür aufbekommen, Harry?«

Es folgte ein langes Schweigen. »Ich habe sie aufbekommen.« Er setzte sich gerade auf, die Hände auf die Matratze gestützt. Er schien sich alles wieder ins Gedächtnis zu rufen, noch einmal zu durchleben.

»Und dann?«

»Bin ich reingegangen.«

»Was ist dort geschehen?«

»Es war schön .«

»Was war schön?«

»Der Schaum«, sagte Harry. Dann verfiel er wieder in Schweigen und sah mit leerem Blick vor sich hin.

»Der Schaum?« half Norman nach.

»Die See. Der Schaum. Schön ...«

Ob er die Lichter meint? überlegte Norman. Das wirbelnde Lichtmuster?

»Was war schön, Harry?«

»Sagen Sie mir die Wahrheit«, sagte Harry. »Versprechen Sie mir das?«

»Ich verspreche es.«

»Finden Sie wirklich, daß ich noch genauso aussehe wie vorher?«

»Ja.«

»Sie meinen nicht, daß ich mich verändert habe?«

»Nein. Jedenfalls sehe ich nichts. Glauben Sie denn, daß Sie sich verändert haben?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich - vielleicht ...«

»Ist in der Kugel etwas geschehen, was Sie hätte verändern können?«

» Sie verstehen die Sache mit der Kugel nicht.«

»Dann erklären Sie sie mir«, sagte Norman.

»Da ist nichts geschehen.«

»Sie waren immerhin drei Stunden lang da drin ...«

»Es ist nichts geschehen. In der Kugel geschieht nie etwas. Da ist es immer gleich.«

»Was ist immer gleich? Der Schaum?«

»Der Schaum ist immer anders. Die Kugel ist immer gleich.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Norman.

»Ich weiß«, sagte Harry. Er schüttelte den Kopf. »Was kann ich tun?«

»Erzählen Sie mir mehr.«

»Da ist nichts mehr zu erzählen.«

»Dann erzählen Sie's mir noch mal.«

»Das wird nichts nützen«, sagte Harry. »Meinen Sie, daß Sie bald nach oben gehen?«

»Barnes sagt, es dauert noch ein paar Tage.«

»Sie sollten bald gehen. Sagen Sie es den anderen. Überzeugen Sie sie. Sorgen Sie dafür, daß alle gehen.«

»Warum, Harry?«

»Ich kann nicht - ich weiß nicht.«

Harry rieb sich die Augen und lehnte sich zurück. »Sie müssen entschuldigen«, sagte er, »aber ich bin fürchterlich müde. Vielleicht können wir ein anderes Mal weitermachen. Sprechen Sie mit den anderen, Norman. Sorgen Sie dafür, daß sie verschwinden. Hier zu bleiben ist ... gefährlich.«

Dann legte er sich auf die Koje und schloß die Augen.

Veränderungen

»Er schläft«, sagte Norman zu den anderen. »Er steht unter Schock und ist verwirrt. Aber weiter scheint ihm nichts zu fehlen.«

»Hat er Ihnen gesagt, was er in der Kugel erlebt hat?« erkundigte sich Ted.

»Zur Zeit ist er ziemlich durcheinander«, sagte Norman, »aber er erholt sich. Als wir ihn aufgefunden haben, wußte er nicht mal mehr seinen Namen. Jetzt erinnert er sich wieder, hat mich erkannt und weiß auch, wo er ist. Er erinnert sich, daß er in die Kugel hineingegangen ist, und ich denke, er weiß auch, was dort vorgefallen ist. Aber er sagt es nicht.«

»Ist ja toll«, sagte Ted.

»Er hat von der See und von Schaum gesprochen. Nur ist mir nicht ganz klar, was er damit meinte.«

»Sehen Sie hinaus«, forderte Tina sie auf und wies auf das Bullauge.

Augenblicklich gewann Norman den Eindruck großer Helligkeit - Tausende von Lichtern inmitten der Finsternis des Ozeans - und seine erste Reaktion war besinnungsloses Entsetzen: Die Lichter aus der Kugel kamen, um sie alle zu holen ... Dann aber erkannte er, daß jedes Licht eine Gestalt besaß, und daß diese Gestalten sich bewegten und wanden.

Alle preßten ihre Gesichter an die Bullaugen und sahen hinaus.

»Kalmare«, sagte Beth schließlich. »Leuchtende Kalmare.«

»Tausende.«

»Viel mehr«, sagte sie. »Ich schätze, mindestens eine halbe Million um das ganze Habitat herum.«

»Wunderschön.«

»Ein verblüffend großer Schwarm«, sagte Ted.

»Eindrucksvoll, aber nicht wirklich ungewöhnlich«, sagte Beth. »Verglichen mit der Fruchtbarkeit des Landes ist die des Meeres unvorstellbar. Hier hat das organische Leben seinen Ausgang genommen und der erste richtige Überlebenskampf zwischen Tieren stattgefunden. Eine Möglichkeit, dabei siegreich zu bleiben, besteht darin, eine ungeheure Nachkommenschaft hervorzubringen. Viele Meereslebewesen tun das. Wir halten es zwar gewöhnlich für einen Evolutionsschritt nach vorn, daß die Tiere an Land gekommen sind, in Wahrheit aber wurden die ersten Landtiere buchstäblich aus dem Ozean vertrieben. Sie haben einfach versucht, dem Überlebenskampf auszuweichen. Man kann sich richtig vorstellen, wie die ersten fischähnlichen Amphibien den Strand emporgekrochen sind, den Kopf gehoben und einen riesigen Lebensraum entdeckt haben, in dem es keinerlei futterneidische Konkurrenten gab. Es muß ihnen vorgekommen sein wie das gelobte -«

Beth unterbrach sich mitten im Satz und wandte sich an Barnes. »Rasch, wo haben Sie Ihre Kescher?«

»Ich wünsche nicht, daß Sie da hinausgehen.«

»Ich muß«, sagte Beth. »Die Kalmare da draußen haben sechs Tentakeln.«

»Und?«

»Sechsarmige Kalmare sind noch unbekannt, diese Spezies ist bisher nicht beschrieben worden. Ich muß unbedingt ein paar Exemplare haben.«

Barnes erklärte ihr, wo die Ausrüstung aufbewahrt wurde, und Beth verschwand. Norman sah mit neuem Interesse auf den Kalmarschwarm.

Die Tiere waren etwa dreißig Zentimeter lang und schienen durchsichtig zu sein. Ihre großen Augen waren in den blaßblau leuchtenden Körpern deutlich zu erkennen.

Nach wenigen Minuten erschien Beth draußen, stellte sich mitten in den Schwarm und schwang ihr Netz, um einige der Tiere einzufangen. Mehrere stießen aufgebracht Tintenwolken aus.

»Raffinierte kleine Biester«, sagte Ted. »Überaus interessante Sache, die Entwicklung der Tinte -«

»- wie wäre es mit Tintenfisch zum Abendessen?« fiel ihm Levy ins Wort.

»Bloß nicht«, sagte Barnes. »Wenn das eine unbekannte Art ist, kommt mir die nicht auf den Tisch. Das fehlte noch, daß wir uns alle eine Lebensmittelvergiftung holen.«

»Sehr vernünftig«, sagte Ted. »Ich esse Tintenfisch sowieso nicht gern. Die Tiere haben zwar einen interessanten Antriebsmechanismus, aber auch eine gummiartige Konsistenz.«

In diesem Augenblick ertönte ein Summen, als einer der Bildschirme sich von selbst einschaltete. Vor ihren Augen füllte er sich rasch mit Zahlen:

0003312626272530192201220305452343171914012 2030545230110053330192203221923230515104319 160303221923232203311414323300033126262725 3019220122030545234317191401220305452301100 5333019220322192323051510431916030322192323 2203311414323300033126262725301922012203054 5234317191401220305452301100533301922032219 2323051510431916030322192323220331141432330 0033126262725301922012203054523431719140122 0305452301100533301922032219232305151043191 6030322192323220331141432333000331262627253 0192201220305452343171914012203054523011005 3330192203221923230515104319160303221923232 2033114143233000331262627253019220122030545 2343171914012203054523011005333019220322192

»Wo kommt denn das her?« fragte Ted. »Von oben?«

Barnes schüttelte den Kopf. »Die direkte Verbindung nach oben ist unterbrochen.«

»Dann wird es auf irgendeine Weise unter Wasser gesendet?«

»Nein«, sagte Tina, »dafür ist die Zeichenfolge viel zu schnell.«

»Gibt es hier im Habitat noch einen Computerraum? Nein? Und nebenan, in DH-7?«

»Da ist niemand. Alle Taucher sind oben.«

»Woher könnte es dann stammen?«

»Auf mich wirkt es willkürlich und zufällig«, sagte Barnes.

Tina nickte zustimmend. »Vielleicht entleert sich irgendwo im System ein Pufferspeicher. Als wir auf Dieselstrom umgestellt haben .«

»Das wird es sein«, sagte Barnes. »Pufferentladung beim Umschalten.«

»Wir sollten es vorsichtshalber aufzeichnen«, sagte Ted, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. »Für den Fall,

daß es sich doch um eine Mitteilung handelt.«

»Und woher soll die kommen?«

»Von der Kugel.«

»Ach was«, sagte Barnes, »eine Mitteilung kann es nicht sein.«

»Woher wollen Sie das so genau wissen?«

»Weil es keine Möglichkeit gibt, eine zu übermitteln. Wir haben nirgendwohin eine Verbindung, schon gar nicht zur Kugel. Also muß es sich um eine Speicherentladung irgendwo in unserem eigenen Computersystem handeln.«

»Welche Speicherkapazität hat der Computer?«

»Ganz ordentlich. So etwa zehn Gigabyte.«

»Vielleicht vertragen die Speicherbausteine das Helium nicht«, überlegte Tina, »als Auswirkung der Saturierung.«

»Sie sollten es trotzdem aufzeichnen«, sagte Ted.

Norman hatte auch auf den Bildschirm gesehen. Obwohl er kein Mathematiker war, hatte er doch im Laufe seines Berufslebens eine ganze Anzahl von Statistiken vor Augen gehabt und in ihnen Muster zu erkennen versucht. Dazu eignet sich das menschliche Gehirn von Natur aus gut - Muster in visuellem Material zu erkennen. Norman konnte zwar nicht genau sagen, was es war, aber er spürte intuitiv, daß es hier ein Muster gab. »Mir kommt es nicht so vor, als ob es willkürlich oder zufällig wäre«, sagte er.

»Zeichnen wir es also auf«, willigte Barnes ein.

Tina trat zum Computerarbeitsplatz. Sie wollte gerade die Tasten berühren, als die Anzeige vom Bildschirm verschwand.

»Dann eben nicht«, sagte Barnes. »Jetzt ist es weg. Schade, daß Harry nicht da war, um es sich anzusehen.«

»Ja«, sagte Ted düster, »wirklich schade.«

Analyse

»Sieh mal«, sagte Beth, »dieser hier lebt noch.«

Norman befand sich mit ihr in dem kleinen biologischen Labor auf der oberen Ebene von Röhre D. Seit ihrer Ankunft hatte niemand das Labor benutzt, weil sie nichts Lebendes gefangen hatten. Jetzt sah Norman mit Beth bei ausgeschalteter Beleuchtung zu, wie sich der Kalmar im Aquarium bewegte.

Das Geschöpf wirkte zerbrechlich. Streifen an seinem Rük-ken und den Seiten strahlten den blauen Lichtschein aus, der Norman erst so mit Entsetzen erfüllt hatte.

»Ja«, sagte Beth, »die biolumineszierenden Strukturen scheinen dorsal konzentriert zu sein. Sie sind natürlich nichts anderes als eine Ansammlung von Bakterien.«

»Was sind Bakterien?«

»Diese biolumineszierenden Flächen. Kalmare können selbst kein solches Leuchten erzeugen, wohl aber Bakterien. So haben biolumineszierende Meerestiere diese Bakterien in ihre Körper aufgenommen, deren Leuchten man durch die Haut der Tiere sieht.«

»Es ist also eine Art Infektion?«

»Ja, sozusagen.«

Der Kalmar blickte starr. Er bewegte die Tentakeln.

»Und man kann alle inneren Organe sehen«, sagte Beth. »Das Gehirn liegt hinter dem Auge. Das sackförmige Gebilde da ist die Mitteldarmdrüse, dahinter liegt der Magen, und darunter - siehst du, wie es schlägt? - das Herz. Das große Ding da vorne ist die Gonade, die Keimdrüse, und vom Magen nach unten zieht sich eine Art Trichter - durch ihn verspritzt er die Tinte, und indem er aus ihm Wasser herauspreßt, bewegt er sich nach dem Rückstoßprinzip.«

»Und es ist wirklich eine neue Spezies?« fragte Norman.

Sie seufzte. »Ich weiß nicht recht. Im Inneren ist er völlig wie andere Arten auch. Aber schon wegen der geringeren Zahl der Tentakeln wäre es eine neue.«

»Und wie wirst du ihn nennen - Calmarus bethus?« fragte Norman.

Sie lächelte. »Architeuthis bethis«, sagte sie. »Klingt nach der Diagnose eines Zahnproblems; etwa: >Du brauchst eine Wurzelbehandlung.««

»Wie wäre es mit einem kleinen Imbiß, Dr. Halpern?« fragte Levy, die den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Ich hab schöne Tomaten und Paprikaschoten da. War doch eine Sünde und Schande, sie verkommen zu lassen. Sind die Tiere da tatsächlich giftig?«

»Das glaube ich nicht«, sagte Beth. »Davon ist bei Tintenfischen und Tintenschnecken nichts bekannt. Nur zu«, sagte sie zu Levy, »ich nehme an, daß man sie essen kann.«

Als Levy gegangen war, sagte Norman: »Ich dachte, du ißt keine mehr?«

»Nur Tintenfische nicht«, sagte Beth, »denn sie sind niedlich und klug. Kalmare hingegen finde ich ziemlich ... unsympathisch.«

»Unsympathisch?«

»Nun, sie sind Kannibalen und überhaupt ziemlich widerwärtig ...« Sie hob eine Braue. »Soll das etwa eine Psychoanalyse sein?«

»Nein, reine Neugier.«

»Zoologen müssen objektiv sein«, sagte Beth, »aber wie jeder andere Mensch habe auch ich Tieren gegenüber Empfindungen. Tintenfische mag ich nun mal, es sind intelligente Tiere. Einmal hatte ich einen in einem Beobachtungstank, der hatte gelernt, Kakerlaken umzubringen und als Köder zum Fangen von Krabben zu benutzen. Eine Krabbe ist gekommen, hat sich neugierig mit der toten Kakerlake beschäftigt, und der Tintenfisch hat sich aus seinem Hinterhalt heraus über die Krabbe hergemacht.

Tintenfische sind so klug, daß wohl nur ihre kurze Lebensdauer sie daran hindert, etwas so Kompliziertes wie eine Kultur oder eine Zivilisation zu errichten. Die drei Jahre, die diese Tiere leben, genügen dazu einfach nicht. Vielleicht hätten sie längst die Macht auf der Welt übernommen, wenn sie so lange lebten wie wir. Aber mit Kalmaren ist das etwas ganz anderes. Ihnen gegenüber empfinde ich nichts als Abscheu.«

Norman lächelte. »Nun, immerhin hast du hier unten endlich was Lebendes entdeckt.«

»Eigentlich seltsam«, sagte sie. »Weißt du noch, wie unbelebt es da draußen war? Keinerlei Meeresboden-Fauna?«

»Natürlich. Es fiel richtig auf.«

»Nun, ich bin um das Habitat herumgegangen, um diese Kalmare zu fangen. Jetzt wimmelt es da von den verschiedensten Oktokorallen, sogenannte Seefächer, in den herrlichsten Farben - Blau-, Lila- und Gelbtöne. Manche von ihnen sind sogar ziemlich groß.«

»Glaubst du, daß die da auf die Schnelle gewachsen sind?«

»Nein. Sie müssen schon immer dort gewesen sein, nur waren wir nie da hinten. Ich muß mir das nachher noch genauer ansehen. Ich wüßte zu gern, warum sie sich ausgerechnet da gleich neben dem Habitat angesiedelt haben.«

Norman trat ans Bullauge. Er hatte die Außenbeleuchtung eingeschaltet und richtete einen der drehbaren Scheinwerfer auf den Meeresboden. Tatsächlich konnte er eine große Zahl sich sacht in der Strömung wiegender Seefächer sehen, lila, rosa und blau. Sie bedeckten den Boden, so weit der Lichtkegel reichte, und noch darüber hinaus in die Finsternis hinein.

»In gewisser Hinsicht ist das beruhigend«, sagte Beth. »Wir sind hier eigentlich zu tief für einen Großteil der marinen Lebensformen, die in den ersten dreißig Metern Wassertiefe zu finden sind. Nichtsdestoweniger liegt unser Habitat in der artenreichsten und belebtesten unterseeischen Umwelt der Erde.« Wissenschaftler hatten festgestellt, daß es nirgendwo

auf der Welt so viele Korallen- und Schwammarten gibt wie im Südpazifik.

»Ich bin so froh, daß wir endlich etwas gefunden haben«, sagte sie. Sie ließ den Blick über die Reihen von Röhrchen mit Chemikalien und Reagenzien laufen. »Und daß ich endlich was zu tun habe.«

Harry aß in der Küche Schinken mit Eiern. Die anderen standen um ihn herum und sahen ihm zu, erleichtert, daß er sich offensichtlich von seinem Schock erholt hatte. Sie teilten ihm alle Neuigkeiten mit; er hörte interessiert zu, bis sie auf den riesengroßen Kalmarschwarm zu sprechen kamen.

»Kalmare?«

Er sah jäh auf und ließ fast die Gabel fallen.

»Ja, jede Menge«, sagte Levy. »Ich mach ein paar zum Abendessen.«

»Sind sie noch da?« fragte Harry.

»Nein.«

Er entspannte sich, ließ die Schultern sinken.

»Ist was, Harry?« fragte Norman.

»Mir sind Kalmare zuwider«, sagte Harry. »Ich kann sie nicht ausstehen.«

»Ich bin auch nicht besonders scharf drauf«, sagte Ted.

»Abscheulich«, sagte Harry und nickte. Er machte sich wieder über die Eier her. Die Spannung legte sich.

Dann rief Tina aus Röhre D herüber: »Ich hab sie wieder! Ich hab die Zahlen wieder!«

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»Was halten Sie davon, Harry?« fragte Barnes und wies auf den Bildschirm.

»Ist das dieselbe Anzeige wie beim vorigen Mal?«

»Sieht so aus, nur sind diesmal Lücken dazwischen.«

»Weil das mit Sicherheit keine zufällige Zahlenfolge ist«, sagte Harry. »Es ist eine einzige Sequenz, die sich immer wiederholt. Sehen Sie hier. Da fängt es an, geht bis hier, dann kommt die Wiederholung.«

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»Er hat recht«, sagte Tina.

»Toll«, sagte Barnes. »Unglaublich, wie Sie das sofort sehen.«

Ted trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Computergehäuse.

»Elementar, mein lieber Barnes«, sagte Harry. »Das ist noch einfach. Schwierig wird es herauszufinden, was es bedeutet.«

»Bestimmt ist es eine Mitteilung«, sagte Ted.

»Möglicherweise«, sagte Harry. »Es könnte auch eine Störung im Computer sein, das Ergebnis eines Programmierfehlers oder ein nicht näher bekannter Defekt in der Maschinenausrüstung. Es kann sein, daß man stundenlang an der Entschlüsselung arbeitet und dann rauskriegt: >Copyright Acme Computer Systems Silicon Valley< oder so was.«

»Nun ...« sagte Ted.

»Höchstwahrscheinlich liefert der Computer selbst diese Zahlenreihe«, sagte Harry. »Aber ich will es mal probieren.«

Tina druckte den Bildschirminhalt für ihn aus.

»Ich würde es auch gern versuchen«, sagte Ted rasch.

»Gewiß, Dr. Fielding«, sagte Tina und machte einen zweiten Ausdruck.

»Wenn es eine Mitteilung ist«, sagte Harry, »handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um einen einfachen Ersetzungscode, beispielsweise um einen ASCII-Code. Es wäre nützlich, wenn wir auf dem Computer ein Entschlüsselungsprogramm laufen lassen könnten. Kann jemand das Ding hier programmieren?«

Alle schüttelten den Kopf. »Sie?« fragte Barnes.

»Nein. Und eine Möglichkeit, etwas nach oben zu senden, haben wir vermutlich auch nicht? Die NSA-DechiffrierComputer in Washington würden das in fünfzehn Sekunden erledigen.«

Barnes schüttelte den Kopf. »Wir haben keinen Kontakt. Ich würde nicht mal riskieren, einen Funkballon aufsteigen zu lassen. Nach dem letzten Wetterbericht gibt es da oben vierzehn Meter hohe Wellen, und die würden die Haltelitze des Ballons glatt durchreißen.«

»Wir sind also abgeschnitten?«

»So ist es.«

»Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als zum guten alten Papier und Bleistift zu greifen. Ich sag's ja immer, es gibt nichts besseres als Großvaters Werkzeug - vor allem, wenn nichts anderes da ist.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.

»Er scheint ja guter Laune zu sein«, sagte Barnes.

»Sogar sehr guter«, sagte Norman.

»Vielleicht ein bißchen zu gut«, sagte Ted. »Etwas manisch?«

»Glaube ich nicht«, sagte Norman, »er ist einfach gut aufgelegt.«

»Ich fand ihn ein bißchen überspannt«, sagte Ted. »Von mir aus kann er so bleiben, wenn es ihm hilft, den Code zu knak-ken.«

»Ich probier es auch«, erinnerte ihn Ted.

»Fein«, sagte Barnes. »Sie auch.«

Ted

»Ich sage Ihnen, es ist verkehrt, Harry so zu vertrauen.« Ted ging unruhig im Raum auf und ab und sah zu Norman hinüber. »Er ist manisch, und er übersieht Dinge, die ganz offen zutage liegen.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel, daß der Ausdruck unmöglich irgendein Speicherüberlauf aus dem Computer sein kann.«

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Norman.

»Der Computer hat einen 68090er Prozessor«, erklärte Ted, »und das bedeutet, daß jeder Speicherüberlauf Hex wäre.«

»Was heißt Hex?«

»Es gibt eine ganze Anzahl von Möglichkeiten, Zahlen darzustellen«, sagte Ted. »Das System, mit dem der Prozessor 68090 arbeitet, basiert auf der Zahl sechzehn, ist also >hexade-zimal<, kurz Hex. Es weicht vom herkömmlichen Dezimalsystem ab, die Zahlen sehen zudem ganz anders aus.«

»Aber die Mitteilung verwendet die Ziffern von null bis neun«, sagte Norman.

»Genau das sag ich ja«, sagte Ted. »Also kommt sie nicht aus dem Computer. Ich bin überzeugt, sie stammt von der Kugel. Außerdem halte ich sie für eine unmittelbare bildliche Darstellung, auch wenn Harry meint, es sei ein Ersetzungscode.«

»Sie meinen, ein Bild?«

»Ja«, sagte Ted, »und zwar eine Abbildung des Geschöpfes selbst!« Er suchte in seinen Blättern. »Damit habe ich angefangen.«

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»Hier habe ich die Mitteilung binär umgeformt«, sagte Ted. »Man erkennt doch sogleich das Bildmuster, oder nicht?« »Ehrlich gesagt .« sagte Norman.

»Aber es springt doch ins Auge«, sagte Ted. »Ich sage Ihnen, wer wie ich bei der Arbeit am LTD jahrelang Planetenbilder ansieht, entwickelt ein Auge dafür. Als nächstes habe ich dann in der ursprünglichen Mitteilung die Leerräume ausgefüllt und das hier bekommen.«

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»Mhm .« machte Norman.

»Ich gebe zu, es sieht nach nichts aus«, sagte Ted. »Aber durch eine Veränderung der Bildschirmbreite bekommt man

das.«

Stolz hielt er das nächste Blatt hoch.

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»Ja?« fragte Norman.

»Sagen Sie bloß nicht, Sie sehen das Muster nicht«, sagte Ted.

»Aber es ist so - ich erkenne tatsächlich keins«, sagte Norman.

»Kneifen Sie die Augen zusammen«, forderte ihn Ted auf. Norman gehorchte. »Tut mir leid.«

»Aber es ist ganz deutlich ein Bild des Geschöpfes«, sagte Ted. »Sehen Sie hier - da ist der aufgerichtete Rumpf mit drei Beinen und zwei Armen. Es hat keinen Kopf, wahrscheinlich liegt der im Rumpf selbst. Das müssen Sie doch sehen, Norman.« »Ted ...«

»Diesmal hat Harry total daneben gehauen! Die Mitteilung ist nicht nur ein Bild, sondern sogar ein Selbstporträt!« »Ted .«

Ted setzte sich und seufzte. »Wahrscheinlich sagen Sie mir jetzt, daß ich zu verbissen an die Sache herangehe.« »Ich will Ihre Begeisterung nicht dämpfen«, sagte Norman. »Aber Sie sehen das außerirdische Lebewesen nicht?« »Eigentlich nicht, nein.«

»Zum Teufel mit ihm.« Ted schleuderte die Blätter beiseite.

»Wie ich diesen Schweinehund hasse. Seine Arroganz bringt mich noch zur Raserei ... Und außerdem ist er jung!«

»Sie gehören mit Ihren Vierzig doch noch lange nicht zum alten Eisen«, versuchte Norman ihn zu beschwichtigen.

»Als Physiker schon«, sagte Ted. »Biologen können auch in späteren Lebensjahren noch wichtige Arbeit leisten. Darwin war fünfzig, als er Über die Entstehung der Arten veröffentlichte. Auch Chemiker bringen bisweilen Beachtliches zustande, wenn sie schon älter sind. Aber wer in der Physik den Durchbruch nicht mit fünfunddreißig geschafft hat, schafft ihn wahrscheinlich nie.«

»Aber Ted, Sie sind doch jemand auf Ihrem Gebiet.«

Ted schüttelte den Kopf. »Ich habe nie etwas Beachtliches geleistet, immer nur Daten analysiert. Dabei bin ich zwar zu einigen interessanten Ergebnissen gekommen, habe aber nie Grundlegendes geschaffen. Diese Expedition hier hat mir die Gelegenheit gegeben, wirklich etwas zu tun, wirklich . bekannt zu werden.«

Norman sah jetzt Teds Begeisterung und Energie, seine beständig demonstrierte Jugendlichkeit mit anderen Augen. Ted war nicht emotional zurückgeblieben, sondern besessen. Er klammerte sich an die Jugend, weil er den Eindruck hatte, daß die Zeit verstrich, ohne daß es ihm gelungen war, etwas Großes zu leisten. Ted war kein unangenehmer Mensch, sondern ein trauriger Fall.

»Nun«, sagte Norman, »die Expedition ist noch nicht abgeschlossen.«

»Nein«, sagte Ted plötzlich munterer. »Sie haben recht. Na klar. Uns erwarten noch weitere wunderbare Enthüllungen. Das spüre ich. Sie werden kommen, nicht wahr?«

»Ja, Ted«, sagte Norman. »Das werden sie.«

Beth

»So ein Mist, nichts klappt!« Beth wies auf ihren Labortisch. »Nichts von all dem hier taugt was - keine einzige Chemikalie, keins der Reagenzien.«

»Was haben Sie ausprobiert?« fragte Barnes gelassen.

»Alles mögliche: Zenker-Formalin, LichtempfindlichkeitsPrüfung, Färbeproben, proteolytische Extraktionen, enzymati-sche Katalyse - ohne Ergebnis. Allmählich glaube ich, daß man das Labor hier mit überlagertem Material ausgerüstet hat.«

»Nein«, sagte Barnes, »es liegt an der Zusammensetzung der Atmosphäre. Chemische Reaktionen sind hier unvorhersagbar. Sehen Sie sich gelegentlich mal Levys Kochrezepte an. So was haben Sie in Ihrem Leben noch nicht gesehen. Was auf den Tisch kommt, sieht völlig normal aus, aber Sie sollten ihr mal beim Kochen zusehen - Sie würden staunen.«

»Und das Labor?«

»Als es ausgerüstet wurde, wußte niemand, in welcher Tiefe wir arbeiten würden. Wären wir nicht so tief, würden wir Druckluft atmen, und alle Ihre chemischen Reaktionen würden funktionieren - nur eben sehr schnell. Aber bei Heliox sind sie nicht vorhersagbar. Wenn es nicht klappt, kann man eben nichts machen.« Er zuckte die Schultern.

»Was soll ich tun?« fragte sie.

»Ihr Bestes geben«, riet ihr Barnes, »wie alle anderen auch.«

»Nun, ich kann lediglich anatomische Grobanalysen durchführen. Die ganze Ausrüstung hier ist für mich wertlos.«

»Dann machen Sie Ihre Grobanalysen.«

»Wenn das Labor bloß besser ausgestattet .«

»Sie haben nun mal das hier«, sagte Barnes, »also geben Sie sich damit zufrieden, und machen Sie weiter.«

Ted kam herein. »Werfen Sie mal einen Blick raus«, sagte er und wies auf die Bullaugen. »Wir haben wieder Besuch.«

Die Kalmare waren fort. Einen Augenblick lang sah Norman nichts als das Wasser und die im Lichtschein aufschimmernden weißen Schwebstoffe.

»Unten am Boden.«

Der Meeresboden lebte buchstäblich, es wimmelte, krabbelte und wogte darauf, so weit der Blick im Lichtschein reichte.

»Was ist denn das?«

Beth erklärte: »Es sind Garnelen. Jede Menge Garnelen.« Sie lief, um den Kescher zu holen.

»Die sollten wir zu Abend essen«, sagte Ted. »Garnelen mag ich, und die da scheinen genau die richtige Größe zu haben. Wahrscheinlich schmecken sie köstlich. Ich weiß noch, wie ich mal mit meiner zweiten Frau in Portugal phantastische Langusten gegessen habe .«

»Was tun die hier?« fragte Norman unbehaglich.

»Ich weiß nicht. Was tun Garnelen schon? Wandern sie?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß«, sagte Barnes. »Ich kauf sie immer tiefgefroren. Meine Frau pult sie nicht gerne selbst.«

Normans Unbehagen schwand nicht, obwohl er keinen Grund dafür hätte angeben können. Er sah deutlich, daß der Meeresboden mit Garnelen bedeckt war; sie waren überall. Warum sollte ihn das beunruhigen?

Er trat vom Bullauge zurück und hoffte, daß sein Unbehagen nachlassen würde, wenn er sich mit etwas anderem beschäftigte. Aber den Gefallen tat es ihm nicht, es blieb als kleiner harter Knoten in seiner Magengrube. Ihm gefiel das Gefühl ganz und gar nicht.

Harry

»Harry.«

»Oh, hallo, Norman. Ich hab den Grund für die Aufregung mitbekommen. Jede Menge Garnelen da draußen, was?«

Harry saß auf seiner Koje, den Computerausdruck mit den Zahlen auf den Knien. Er hatte eine Seite eines Schreibblocks mit Berechnungen, Symbolen und Pfeilen gefüllt.

»Harry«, fragte Norman, »was ist hier los?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Ich überlege nur, wieso hier mit einemmal jede Menge Leben auftritt - erst die Kalmare, jetzt die Garnelen -, und vorher war nichts da. Nicht das geringste.«

»Ach das. Das ist doch nicht schwer zu erraten.«

»Nicht?«

»Natürlich. Was ist der Unterschied zwischen damals und jetzt?«

»Sie waren in der Kugel.«

»Ach was - ich meine, was hat sich an der Umgebung draußen geändert?«

Norman runzelte die Stirn. Er verstand nicht, worauf Harry hinaus wollte.

»Sehen Sie doch mal raus«, forderte ihn Harry auf. »Was gab es da vorher zu sehen, jetzt aber nicht mehr?«

»Das Meßgitter mit den Planquadraten?«

»Genau. Die und die Taucher. Viel Unruhe - und viel Elektrizität. Vermutlich hat beides zusammen die hier ansässige Fauna vertrieben. Hier im Südpazifik müßte es normalerweise von Lebensformen wimmeln.«

»Und jetzt, wo die Taucher verschwunden sind, kehren die Tiere zurück?«

»Das vermute ich.«

»Und das ist alles?« sagte Norman stirnrunzelnd.

»Warum fragen Sie mich?« gab Harry zurück. »Fragen Sie Beth, sie kann Ihnen bestimmt eine genaue Antwort geben. Aber ich weiß, daß Tiere auf alle möglichen Umweltreize reagieren, die wir gar nicht mitbekommen. Man kann nicht Gott weiß wie starke elektrische Ströme durch Unterwasserleitungen jagen, um ein Gitternetz aus Planquadraten von einem Kilometer Kantenlänge in einer Umwelt zu beleuchten, die noch nie Licht gesehen hat, und annehmen, daß das ohne Auswirkungen bliebe.«

Etwas an diesem Argument hallte in Normans Bewußtsein wider. Es gab etwas, das dazu gehörte ... aber es fiel ihm nicht ein.

»Harry.«

»Ja, Norman. Sie scheinen sich Sorgen zu machen. Wissen Sie, dieser Ersetzungscode ist ganz schön schwer. Um die Wahrheit zu gestehen, ich bin nicht sicher, ob ich ihn knacken kann. Der Haken dabei ist, falls es sich um eine Buchstabeneinsetzung handelt, wird jeweils ein anderer Buchstabe durch eine zweistellige Zahl wiedergegeben, weil das Alphabet aus sechsundzwanzig Buchstaben besteht - Satzzeichen nicht gerechnet, von denen wir nicht einmal wissen, ob sie hier verwendet wurden. Wie soll ich da wissen, wenn ich eine Zwei neben einer Drei sehe, ob es sich um den zweiten Buchstaben des Alphabets handelt, auf den der dritte folgt, oder um den dreiundzwanzigsten? Es kostet Zeit, bis alle Permutationen durchgespielt sind. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Harry.«

»Ja, Norman.«

»Was ist in der Kugel vorgefallen?«

»Ach, das ist es, was Ihnen Sorgen macht?« fragte Harry.

»Wieso meinen Sie, ich machte mir um etwas Sorgen?« fragte Norman.

»Ihr Gesicht«, sagte Harry, »spricht Bände.«

»Vielleicht haben Sie recht«, sagte Norman. »Aber was diese

Kugel betrifft .«

»Wissen Sie, ich habe mich sehr lange mit ihr beschäftigt.«

»Und?«

»Es ist wirklich erstaunlich. Ich kann mich einfach nicht erinnern, was passiert ist.«

»Harry.«

»Mir geht es gut - es geht mir jeden Augenblick besser, Hand aufs Herz. Meine Energie ist zurückgekehrt, die Kopfschmerzen sind weg. Noch vor kurzem konnte ich mich an alles erinnern, was mit der Kugel zusammenhängt, und auch an das, was drin war. Diese Erinnerung scheint mit jedem Augenblick, der vergeht, zu verblassen. Sie wissen doch, es ist wie bei einem Traum - wenn man aufwacht, erinnert man sich genau, und eine Stunde später ist er weg.«

»Harry.«

»Ich weiß noch, daß es wunderschön war. Es hatte mit Lichtern, wirbelnden Lichtern, zu tun. Das ist aber alles, woran ich mich erinnere.«

»Wie haben Sie die Tür aufbekommen?«

»Ach das. In jenem Augenblick war es mir völlig klar; ich erinnere mich, daß ich es mir genau überlegt hatte und haargenau wußte, was zu tun war.«

»Was haben Sie getan?«

»Bestimmt fällt es mir wieder ein.«

»Sie wissen nicht mehr, wie Sie die Tür geöffnet haben?«

»Nein, ich erinnere mich nur noch an diese plötzliche Erkenntnis, diese Gewißheit, wie es zu tun war. Aber nicht an Einzelheiten. Will denn sonst jemand rein? Bestimmt Ted.«

»Ich bin sicher, daß Ted gern da hineingehen würde -«

»Ich weiß nicht, ob das klug wäre. Ich bin offen gesagt nicht der Ansicht, daß Ted das tun sollte. Überlegen Sie nur, was für langweilige Reden er anschließend halten würde. >Ich war in der außerirdischen Kugel< von Ted Fielding. Er würde uns die Geschichte bis zum Erbrechen immer wieder auftischen.«

Er kicherte.

Ted hat recht, dachte Norman. Harry ist ganz offenkundig manisch. Er wirkte aufgedreht, und an die Stelle seines gemächlichen Sarkasmus war ein offenes, umgängliches und einnehmendes Wesen getreten. Hinzu kam eine Art belustigter Gleichgültigkeit allem und jedem gegenüber, eine Unausgewogenheit seines Empfindens für Prioritäten. Er hatte gesagt, er könne den Code nicht knacken und sich weder an das erinnern, was in der Kugel vorgefallen war, noch daran, wie er sie geöffnet hatte. Man hatte nicht den Eindruck, daß ihm das eine oder das andere irgendwie wichtig war.

»Harry, Sie schienen besorgt, als Sie aus der Kugel kamen.«

»Tatsächlich? Ich hatte wahnsinnige Kopfschmerzen, das jedenfalls weiß ich noch.«

»Sie haben immer wieder gesagt, wir müßten nach oben zurückkehren.«

»So?«

»Ja. Warum?«

»Weiß der Himmel. Ich war so durcheinander.«

»Sie haben auch gesagt, es sei gefährlich für uns, hier unten zu bleiben.«

Harry lächelte. »Norman, Sie können das unmöglich besonders ernst nehmen. Ich wußte doch gar nicht, was los war.«

»Harry, es ist unbedingt nötig, daß Sie sich erinnern. Werden Sie es mir sagen, wenn Ihnen die Erinnerung wiederkommt?«

»Aber klar, Norman. Auf jeden Fall. Sie können sich auf mich verlassen; ich gebe Ihnen sofort Bescheid.«

Das Labor

»Nein«, sagte Beth. »Das ergibt alles keinen Sinn. Erstens nehmen Fische, die noch nie mit Menschen zusammengetroffen sind, in der Regel keine Notiz von ihnen, es sei denn, sie werden gejagt. Die Marinetaucher haben sie aber nicht gejagt. Zweitens müßte der Boden hier noch mehr Tiere anlocken, weil das Aufwirbeln der Ablagerungen durch die Taucher Nährstoffe freigesetzt hat. Drittens fühlen sich zahlreiche Tierarten vom elektrischen Strom angezogen. Also hätten die Garnelen und andere Tierarten schon vorher kommen müssen, angelockt durch die Elektrizität, nicht aber jetzt, wo der Strom abgeschaltet ist.«

Sie untersuchte die Garnelen unter dem RasterElektronenmikroskop mit geringer Vergrößerung. »Was für einen Eindruck macht er auf dich?«

»Wer, Harry?«

»Ja.«

»Ich weiß nicht.«

»Ist er okay?«

»Ich weiß nicht recht. Eigentlich schon.«

Ohne das Auge vom Okular zu nehmen, fragte sie: »Hat er dir gesagt, was in der Kugel vorgefallen ist?«

»Noch nicht.«

Sie stellte das Mikroskop neu ein und schüttelte den Kopf. »Der Teufel soll mich holen.«

»Was ist los?« fragte Norman.

»Zusätzliche Dorsalschuppen.«

»Was bedeutet das?«

»Noch eine neue Art«, sagte sie.

»Garnelus bethus? Du machst hier unten ja eine Neuentdek-kung nach der anderen, Beth«, sagte Norman.

»Mhm ... Ich habe mir auch die Seefächer draußen angese-hen, weil sie merkwürdige radiale Wachstumsmuster aufzuweisen schienen. Auch sie sind bisher nicht bekannt.«

»Ist doch großartig, Beth.«

Sie wandte sich um und sah ihn an. »Nein. Nicht großartig, sondern unheimlich.« Sie schaltete eine helle Lampe ein und schnitt eine der Garnelen mit einem Skalpell auf. »Dacht ich's mir doch.«

»Was ist?«

»Norman«, sagte sie, »wir haben tagelang hier unten keinerlei Leben gesehen - und mit einemmal sollen wir in den letzten paar Stunden drei völlig neue Arten finden? Das ist nicht normal.«

»Woher wissen wir, was in einer Tiefe von dreihundert Metern normal ist?«

»Ich sage dir, es ist nicht normal.«

»Aber Beth, du hast doch selbst gesagt, daß wir vorher die Seefächer übersehen haben. Was die Kalmare und Garnelen betrifft - kann es nicht sein, daß die einfach wandern, durch dieses Gebiet ziehen oder so? Barnes hat gesagt, noch nie hätten sich Wissenschaftler so tief auf dem Meeresboden aufgehalten. Vielleicht sind diese Wanderungen normal, und wir wissen einfach nichts darüber.«

»Nein«, sagte Beth. »Als ich mir draußen diese Garnelen geholt habe, ist mir aufgefallen, daß ihr Verhalten untypisch war. Zum einen waren sie viel zu dicht beisammen. Garnelen halten am Meeresboden gewöhnlich einen Abstand von gut einem Meter. Die aber saßen dicht an dicht. Außerdem haben sie sich bewegt, als ob sie fräßen, aber es gibt hier unten für sie gar nichts zu fressen.«

»Unseres Wissens nicht.«

»Nun, die hier können nicht gefressen haben.« Sie wies auf das zerschnittene Tier auf dem Labortisch. »Sie haben keinen Magen.«

»Machst du Scherze?«

»Sieh doch selbst.«

Norman sah hin, aber der Anblick der sezierten Garnele sagte ihm nicht viel. Es war einfach eine Masse rosafarbenen Fleisches, das diagonal mit einem gezackten, unsauberen Schnitt durchtrennt war. Sie ist müde, dachte er. Sie arbeitet nicht mehr besonders geschickt. Wir brauchen Schlaf. Wir müssen hier raus.

»Das Äußere ist genau wie bei anderen Garnelen auch, mit Ausnahme einer zusätzlichen Dorsalschuppe am Schwanz«, sagte sie. »Aber im Inneren stimmt nichts. Die Tiere können überhaupt nicht leben. Kein Magen, keine Fortpflanzungsorgane. Das hier ist die schlechte Nachahmung einer Garnele.«

»Dennoch leben sie«, sagte Norman.

»Ja«, sagte sie, »sie leben.« Das schien ihr nicht zu gefallen.

»Und die Kalmare waren innen völlig normal .«

»Waren sie nicht. Dem Exemplar, das ich seziert habe, fehlten verschiedene wichtige Bestandteile - beispielsweise ein als Stellarganglion bezeichnetes Nervenzentrum.«

»Nun .«

»Und es hatte keine Kiemen, Norman. Kalmare besitzen lange Kiemen für den Gasaustausch, aber der hatte keine. Er konnte überhaupt nicht atmen, Norman.«

»Er muß aber doch eine Möglichkeit dazu gehabt haben.«

»Ich sage dir, er hatte keine. Wir sehen hier unten völlig unmögliche Tiere. Von einem Augenblick auf den anderen tauchen lauter unmögliche Lebewesen auf.«

Beth wandte sich von der Lampe ab, und er sah, daß sie den Tränen nahe war. Ihre Hände zitterten, und sie legte sie rasch in den Schoß. »Du machst dir ja richtig Sorgen«, sagte er.

»Du etwa nicht?« Sie sah ihm prüfend ins Gesicht. »Norman«, sagte sie, »all das ist passiert, seit Harry die Kugel verlassen hat, nicht wahr?«

»Vermutlich hast du recht.«

»Harry kommt aus der Kugel, und mit einemmal haben wir unmögliche Meerestiere ... Es gefällt mir nicht. Ich wollte, wir könnten hier raus. Ehrlich.« Ihre Unterlippe zitterte.

Er drückte sie an sich und sagte sanft: »Das geht aber nicht.«

»Ich weiß«, sagte sie. Sie umschlang ihn, legte ihr Gesicht an seine Schulter und begann zu weinen. Er legte den Arm um sie.

»Ich kann es selber nicht ausstehen, wenn ich so bin«, sagte sie. »Ich hasse dieses Gefühl.«

»Weiß ich doch .«

»Und ich hasse diesen Ort hier. Ich hasse alles daran. Ich hasse Barnes, ich hasse Teds Vorträge, und ich hasse Levys blöde Nachtische. Ich wünschte, ich wäre nicht hier.«

»Ich weiß .«

Sie schniefte noch einen Augenblick, dann stieß sie Norman mit ihren kräftigen Armen unvermittelt zurück. Sie wandte sich ab und wischte sich die Augen. »Jetzt geht es wieder«, sagte sie, »danke.«

»Schon gut«, sagte er.

Sie hielt ihm den Rücken zugewandt. »Wo sind die verdammten Papiertaschentücher?« Sie fand eins und schneuzte sich. »Du sagst doch ... den anderen nichts?«

»Natürlich nicht.«

Das Läuten einer Glocke ließ sie zusammenzucken. »Gott im Himmel, was ist das?«

»Es heißt wohl, daß es Abendessen gibt«, sagte Norman.

Abendessen

»Mir unverständlich, wie Sie die Dinger essen können«, sagte Harry und wies auf die Kalmare.

»Tintenfische sind delikat«, sagte Norman, »in wenig Fett kurz angebraten - mmh, ein Hochgenuß.« Kaum hatte Norman am Tisch Platz genommen, da merkte er, wie hungrig er war. Er fühlte sich besser, wenn er aß; es hatte etwas beruhigend Normales an sich, mit Messer und Gabel in der Hand am Tisch zu sitzen. Man konnte fast vergessen, wo man war.

»Ich hab sie am liebsten fritiert«, sagte Tina.

»Fritierte calamari«, schwärmte Barnes, »mein Leibgericht.«

»So mag ich sie auch sehr gern«, sagte Edmunds, die Archivarin. Wie sie so steif aufgerichtet dasaß und kleine, genau abgemessene Häppchen zum Munde führte, wirkte sie sehr altjüngferlich. Norman fiel auf, daß sie stets zwischen jeweils zwei Bissen das Messer ablegte.

»Warum sind die hier nicht fritiert?« fragte er.

»Das geht hier unten nicht«, sagte Barnes. »Das siedende Öl bildet eine Suspension, und die verstopft die Luftfilter. Aber leicht angebraten ist doch auch nicht schlecht.«

»Nun, ich weiß nicht, wie die Kalmare schmecken, aber die Garnelen sind hervorragend«, sagte Ted. »Stimmt's, Harry?« Ted und Harry aßen Garnelen.

»Große Klasse«, sagte Harry, »phantastische Garnelen.«

»Wissen Sie, wie ich mir vorkomme?« fragte Ted. »Wie Kapitän Nemo. Der, der in seinem U-Boot vom Überfluß des Meeres lebt.«

»ZwanzigtausendMeilen unter dem Meer«, sagte Barnes.

»James Mason«, sagte Ted. »Wissen Sie noch, wie er Orgel spielt? Dah-dah-dah, da da da daaaaah da! Bach, Toccata und Fuge in d-moll.«

»Und Kirk Douglas.«

»Kirk Douglas war großartig.«

»Erinnern Sie sich, wie er gegen den Riesenpolypen gekämpft hat?«

»Das war toll.«

»Er hatte nur eine Axt.«

»Ja, und damit hat er dem Biest einen Arm abgehauen.«

»Der Film«, sagte Harry, »hat mir eine Heidenangst einge-jagt. Ich hab ihn als Junge gesehen, und ich habe mich entsetzlich gefürchtet.«

»Ich fand ihn nicht besonders schrecklich«, sagte Ted.

»Sie waren älter als ich«, gab Harry zu bedenken.

»So viel älter nun auch wieder nicht.«

»Doch. Für ein Kind war es abscheulich. Wahrscheinlich mag ich deswegen heute noch keine Tintenfische. Die sind ja genau wie Polypen, nur kleiner.«

»Bestimmt mögen Sie die nicht«, sagte Ted, »weil sie gummiartig und ekelhaft sind.«

»In mir hat der Film den Wunsch geweckt, zur Navy zu gehen«, sagte Barnes.

»Kann ich mir vorstellen«, sagte Ted. »So romantisch und aufregend. Und was für eine Vision der Wunder angewandter Naturwissenschaft. Wer hat noch mal den Professor gespielt?«

»Den Professor?«

»Ja, erinnern Sie sich nicht an ihn?«

»Undeutlich. So 'n alter Knacker.«

»Was ist mit Ihnen, Norman? Wissen Sie, wer den Professor gespielt hat?«

»Nein, keine Ahnung«, sagte Norman.

»Sitzen Sie da und beobachten uns, Norman?« fragte Ted.

»Wie kommen Sie darauf?« fragte Norman.

»Bestimmt analysieren Sie uns. Sehen, ob wir durchdrehen.«

»Ja«, sagte Norman lächelnd. »Das tue ich.«

»Und wie halten wir uns?« fragte Ted.

»Ich würde sagen, es ist äußerst bezeichnend, daß sich eine Gruppe von Naturwissenschaftlern nicht daran erinnern kann, wer den Naturwissenschaftler in einem Film gespielt hat, der ihnen allen gefallen hat.«

»Nun, er war nicht der Held, das war Kirk Douglas.«

»Franchot Tone?« schlug Barnes vor. »Claude Rains?«

»Nein, ich glaube nicht. War es nicht Fritz Soundso?«

»Fritz Weaver?«

Sie hörten ein Knacken und ein Rauschen, dann spielte eine Orgel Bachs Toccata und Fuge in d-moll.

»Mensch«, sagte Ted. »Ich wußte gar nicht, daß wir hier unten Musik haben.«

Edmunds kehrte zum Tisch zurück. »Wir haben Tonbänder, Ted.«

»Paßt das denn zum Abendessen?« fragte Barnes.

»Mir gefällt es«, sagte Ted. »Jetzt fehlt nur noch Tangsalat. Hat nicht Kapitän Nemo Tangsalat auftragen lassen?«

»Wie wäre es mit was Leichterem?« sagte Barnes.

»Leichter als Tang?«

»Als Bach.«

»Wie hieß Nemos U-Boot noch mal?« fragte Ted.

»Nautilus«, sagte Edmunds.

»Ach ja, richtig.«

»Wie unser erstes Atom-U-Boot, das wir 1954 in Dienst gestellt haben«, fügte Edmunds hinzu und schenkte Ted ein strahlendes Lächeln.

»Genau«, sagte dieser, »genau.«

Norman dachte, da hat der Topf seinen Deckel gefunden -zwei wahre Meister des nichtssagenden Geplauders.

Edmunds trat ans Bullauge und sagte: »Oh, schon wieder Besuch.«

»Was ist es diesmal?« fragte Harry und sah rasch auf.

Ob er wohl Angst hat? überlegte Norman. Nein, er reagierte nur schnell, manisch und interessiert.

»Sie sind wunderschön«, sagte Edmunds. »Eine Art kleine Quallen. Überall um das Habitat herum. Wir müßten sie filmen. Was meinen Sie, Dr. Fielding? Sollten wir sie filmen?«

»Ich glaube, ich esse weiter, Jane«, sagte Ted abweisend.

Edmunds schien getroffen, fühlte sich wohl düpiert. Die muß ich im Auge behalten, dachte Norman. Sie wandte sich ab und ging hinaus. Die anderen sahen zum Bullauge hinüber, aber niemand erhob sich vom Tisch.

»Haben Sie schon mal Quallen gegessen?« fragte Ted. »Sie sollen ja eine wahre Delikatesse sein.«

»Manche sind giftig«, sagte Beth. »Der Giftstoff sitzt in den Tentakeln.«

»Essen nicht die Chinesen Quallen?« fragte Harry.

»Ja«, bestätigte Tina. »Zum Beispiel in einer Suppe. Meine Oma in Honolulu hat immer so eine gemacht.«

»Stammen Sie von da?«

»Mozart würde besser zum Abendessen passen«, sagte Barnes. »Oder Beethoven. Irgendwas mit Streichern. Diese Orgelmusik ist schwermütig.«

»Dramatisch«, sagte Ted und schlug im Takt zur Musik auf imaginäre Tasten. Dabei wiegte er den Oberkörper wie James Mason.

»Schwermütig«, wiederholte Barnes.

In der Sprechanlage knackte es. »Das müßten Sie sehen«, sagte Edmunds über die Sprechanlage. »Es ist wunderschön.«

»Wo ist sie?«

»Wohl draußen«, sagte Barnes und ging zu einem Bullauge.

»Wie rosa Schnee«, sagte Edmunds.

Alle standen auf und traten an die Bullaugen.

Edmunds mitsamt ihrer Videokamera war durch die dichten Wolken von Quallen hindurch kaum zu erkennen. Die Tiere waren winzig, nicht größer als ein Fingerhut, und von feinem glänzendem Rosa. Es sah wirklich aus wie ein Schneegestöber. Einige kamen ziemlich dicht an die Bullaugen, man konnte sie gut sehen.

»Sie haben gar keine Tentakeln«, sagte Harry. »Es sind einfach kleine pulsierende Säckchen.«

»Das hängt mit ihrem Antriebssystem zusammen«, sagte Beth. »Durch Muskelkontraktion stoßen sie das Wasser aus und bewegen sich entgegen der Stoßrichtung durchs Wasser.«

»Wie Kalmare«, sagte Ted.

»Das stimmt, nur haben sie das System nicht ganz so weit entwickelt.«

»Sie sind klebrig«, sagte Edmunds über die Sprechanlage. »Sie kleben an meinem Anzug.«

»Das Rosa ist hinreißend schön«, sagte Ted. »Wie Schnee bei Sonnenuntergang.«

»Sehr poetisch.«

»Finde ich auch.«

»Kann ich mir vorstellen.«

»Jetzt kleben sie auch an meinem Visier«, sagte Edmunds. »Ich muß sie abziehen. Sie hinterlassen schmierige Streifen -«

Unvermittelt brach sie ab, man hörte nur noch ihren Atem.

»Kann jemand sie sehen?« fragte Ted.

»Nicht sehr deutlich. Sie ist da hinten links.«

Über die Sprechanlage meldete sich Edmunds wieder: »Sie scheinen warm zu sein. Ich spüre Hitze an Armen und Beinen.«

»Das ist nicht der Grund«, sagte Barnes. Er wandte sich an Tina. »Sagen Sie ihr, sie soll zurückkommen.«

Tina lief zur Kommunikationszentrale hinüber.

Norman konnte Edmunds kaum noch sehen. Er nahm undeutlich eine dunkle Gestalt wahr, Arme, die heftig um sich schlugen • • •

Über die Sprechanlage sagte sie: »Die Schmierstreifen auf dem Visier - gehen nicht weg - sie scheinen das Material anzugreifen - und meine Arme - das Gewebe ist -«

Tina forderte Edmunds auf: »Jane, Jane, komm da weg.«

»So schnell wie möglich«, rief Barnes. »Sagen Sie ihr: So schnell wie möglich!«

Edmunds' Atem kam abgehackt. »Die Schmierspuren - ich kann nicht gut sehen - ich spüre - Schmerz - meine Arme brennen - Schmerz - sie haben sich durchgefressen -«

»Jane. Komm zurück, Jane. Hörst du mich? Jane.«

»Sie ist gestürzt«, sagte Harry. »Da liegt sie -«

»Wir müssen sie retten«, sagte Ted und sprang auf.

»Keiner rührt sich von der Stelle«, sagte Barnes.

»Aber sie ist-«

»Niemand geht da raus, Mister.«

Edmunds atmete rasch und keuchend. Sie stieß hervor: »Ich kann nicht - ich kann nicht - o Gott -«

Dann begann sie zu schreien.

Der Schrei war schrill, nur unterbrochen, wenn sie keuchend nach Atem rang. Man konnte sie durch die Quallenschwärme nicht mehr sehen. Alle sahen einander an, dann Barnes. Dieser lauschte mit zusammengebissenen Zähnen und unbewegtem Gesicht auf die Schreie.

Und dann, plötzlich, Stille.

Die nächsten Mitteilungen

Eine Stunde später verschwanden die Quallen auf ebenso geheimnisvolle Weise, wie sie gekommen waren. Jetzt konnten sie Edmunds draußen sehen, sie lag auf dem Rücken, ihr Körper wurde von der Strömung sanft hin und her gewiegt. Im Material ihres Taucheranzugs waren kleine Löcher mit gezackten Rändern zu erkennen.

Sie beobachteten durch die Bullaugen, wie Barnes und die kräftige Teeny Fletcher mit zusätzlichen Atemluftflaschen im grellen Flutlicht über den Meeresboden auf Edmunds zuschritten. Als sie ihren Körper aufhoben, fiel der Kopf mit dem Helm lose zurück, das aufgerauhte Kunststoff-Visier schimmerte stumpf im Licht.

Niemand sprach. Norman bemerkte, daß Harry sein manisches Verhalten abgelegt hatte; er saß reglos da und starrte aus dem Bullauge.

Draußen hielten Barnes und Fletcher noch immer die Leiche. Zahlreiche silbrige Blasen stiegen rasch nach oben.

»Was tun sie?«

»Sie pumpen ihren Taucheranzug auf.«

»Warum? Bringen sie Edmunds nicht zurück?«

»Das geht nicht«, sagte Tina. »Wir können sie nirgendwo unterbringen. Die Zerfallsprodukte würden unsere Atemluft verseuchen.«

»Aber es muß doch eine Art hermetisch verschließbaren Behälter geben -«

»Nein«, sagte Tina. »Organische Überreste im Habitat aufzubewahren ist nicht vorgesehen.«

»Heißt das, man hat die Möglichkeit nicht einkalkuliert, daß jemand ums Leben kommt?«

»Genau das.«

Jetzt stiegen zahlreiche dünne Fäden von Luftblasen aus den Löchern in Edmunds' Taucheranzug nach oben. Er war gebläht und prall. Barnes ließ die Leiche los, und sie trieb langsam aufwärts, wie von den silbrigen Bläschen gezogen.

»Steigt der Körper bis an die Oberfläche?«

»Ja. Das Gas dehnt sich in dem Maße aus, wie der Außendruck abnimmt.«

»Und dann?«

»Haie«, sagte Beth, »vermutlich.«

Nach wenigen Augenblicken war die Leiche in der Finsternis verschwunden, war außerhalb der Reichweite der Scheinwerfer. Barnes und Fletcher sahen ihr mit in den Nacken gelegten Köpfen nach, Fletcher schlug ein Kreuz, dann gingen sie schweren Schrittes zum Habitat zurück.

Eine Glocke ertönte von irgendwo im Inneren. Tina eilte in Röhre D und rief Augenblicke später: »Dr. Adams! Schon wieder Zahlen!«

Harry erhob sich und ging nach nebenan. Die anderen folgten ihm. Niemand wollte mehr hinaussehen.

Norman betrachtete den Bildschirm, ohne zu wissen, was er von der Sache halten sollte.

Aber Harry schlug vor Begeisterung die Hände zusammen. »Ausgezeichnet«, sagte er. »Das ist ungeheuer hilfreich.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Das gibt mir eine Ansatzmöglichkeit.«

»Sie meinen, den Code zu entschlüsseln?«

»Ja, natürlich.«

»Warum?«

»Erinnern Sie sich an die ursprüngliche Zahlensequenz? Das ist sie wieder.«

»Wirklich?«

»Natürlich«, sagte Harry. »Nur eben binär dargestellt.«

»Binär«, sagte Ted und stieß Norman an. »Hatte ich Ihnen nicht gesagt, daß eine binäre Darstellung wichtig ist.«

»Wichtig ist«, sagte Harry, »daß hier die ursprüngliche Ziffernfolge in Buchstaben zerlegt ist.«

»Hier ist die ursprüngliche Folge«, sagte Tina und gab ihnen ein Blatt.

00033126262725 301922 01220305452343 171914 012203054523 0110533 301922 03221923 2305 151043 191603 032219232322 033114143233 0003 3126262725 301922 01220305452343 171914 0122

»Gut«, sagte Harry. »Jetzt können Sie mein Problem sofort erkennen. Sehen Sie sich das Wort Null-null-null-drei-drei-eins-zwo und so weiter an. Die Frage ist: Wie zerlege ich das in einzelne Buchstaben? Dazu hatte ich vorher keine Möglichkeit, aber jetzt weiß ich es.«

»Wie?«

»Nun, es heißt ganz offensichtlich drei, einunddreißig, sechsundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig ...«

Norman verstand nicht. »Aber woher wissen Sie das?«

»Sehen Sie doch, Norman«, sagte Harry ungeduldig. »Es ist wirklich ganz einfach. Es ist eine Spirale, die man von innen nach außen lesen kann. Sie gibt uns die Zahlen in -«

Schlagartig sprang die Anzeige des Bildschirms erneut um.



»Da, ist das für Sie klarer?«

Norman runzelte die Stirn.

»Sehen Sie doch, es ist genau dasselbe«, sagte Harry. »Hier: von innen nach außen: Null-null-null-drei-einunddreißig-sechsundzwanzig-sechsundzwanzig . Es hat eine Spirale gemacht, die von innen nach außen zu lesen ist.«

»Es?«

»Vielleicht tut ihm leid, was mit Edmunds geschehen ist«, sagte Harry.

»Warum sagen Sie das?« fragte Norman und sah Harry neugierig an.

»Weil es sich ganz offensichtlich große Mühe gibt, mit uns Verbindung aufzunehmen«, sagte Harry. »Es probiert verschiedenes aus.«

»Wer ist es?«

»Möglicherweise ist es kein Wer«, sagte Harry.

Der Bildschirm wurde schwarz, ein neues Muster erschien.



»Na bitte«, sagte Harry. »Ist doch ausgezeichnet.«

»Woher kommt das?«

»Offensichtlich aus dem Raumschiff.«

»Aber wir sind doch gar nicht mit ihm verbunden. Wie kann es unseren Computer einschalten und das hier auf den Bildschirm bringen?«

»Das wissen wir nicht.«

»Nun, müßten wir es nicht wissen?« fragte Beth.

»Nicht unbedingt«, sagte Ted.

»Sollten wir nicht zumindest versuchen, es herauszubekommen?«

»Nicht unbedingt. Wissen Sie, eine hinreichend weit fortgeschrittene Technik wirkt auf den naiven Zuschauer zweifellos wie Zauberei. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie würden irgendeinem berühmten Wissenschaftler aus der Vergangenheit - Aristoteles, Leonardo da Vinci oder Isaac Newton - einen ganz gewöhnlichen Farbfernseher zeigen. Er würde schreiend davonlaufen und behaupten, es sei Zauberei, weil er das Funktionsprinzip nicht verstünde. Der Punkt ist«, fuhr Ted fort, »man könnte es ihm nicht erklären, jedenfalls nicht ohne weiteres. Sogar ein Newton wäre nur dann imstande, einen Fernseher zu verstehen, wenn er sich ein paar Jahre lang mit der heutigen Physik beschäftigt hätte. Er müßte alle der Sache zugrunde liegenden Denkmodelle erlernen: Elektromagnetismus, Wellenlehre, Teilchenphysik. All das wären für ihn völlig neue Vorstellungen, eine neue Sichtweise der Natur. Bis er das verstanden hätte, bliebe das Fernsehen für ihn Zauberei. Für uns aber ist es etwas Alltägliches - eben Fernsehen.«

»Wollen Sie damit sagen, daß es uns hier geht wie Isaac Newton?«

Ted zuckte die Schultern. »Wir bekommen eine Mitteilung, und wir wissen nicht, wie.«

»Und wir sollten uns auch keine Gedanken darüber machen?«

»Wir müssen uns wohl mit der Möglichkeit anfreunden«, sagte Ted, »daß wir nicht imstande sind, es zu verstehen.«

Norman fiel auf, mit welcher Heftigkeit die Diskussion geführt wurde: Es war eine Gelegenheit, die Tragödie zu verdrängen, deren Zeugen sie vor so kurzer Zeit geworden waren. Intellektuelle, dachte er. Ihr üblicher Abwehrmechanismus ist Intellektualisierung. Reden. Gedanken. Abstraktionen. Begriffe. Sie boten ihnen eine Möglichkeit, sich dem Gefühl der Trauer, der Furcht und der Vorstellung zu entziehen, daß man eingesperrt war. Norman verstand den Impuls, auch er wollte diesen Empfindungen entkommen.

Harry betrachtete stirnrunzelnd die Spirale. »Vielleicht verstehen wir nicht, wie es funktioniert, aber die Absicht ist klar. Es versucht, mit uns Verbindung aufzunehmen, indem es verschiedene Darstellungsformen ausprobiert. Möglicherweise ist von Bedeutung, daß es auf die Spirale verfallen ist. Vielleicht glaubt es, daß wir in Spiralen denken oder schreiben.«

»Stimmt«, sagte Beth. »Wer weiß schon, was für merkwürdige Geschöpfe wir sind?«

»Wenn es mit uns Verbindung aufnehmen will, warum versuchen wir nicht unsererseits, eine Botschaft abzuschicken?« sagte Ted.

Harry schnalzte mit den Fingern. »Guter Gedanke!« Er stellte sich vor die Tastatur. »Ein erster Schritt bietet sich von selbst an«, sagte Harry. »Wir schicken einfach die ursprüngliche Meldung zurück. Fangen wir mal mit der ersten Zifferngruppe an und beginnen mit der doppelten Null.«

»Ich möchte darauf hinweisen«, sagte Ted, »daß die Anregung, eine Verbindung mit dem Außerirdischen aufzunehmen, von mir stammt.«

»Klar, Ted«, sagte Barnes, der sich inzwischen wieder zu ihnen gesellt hatte.

»Harry?« sagte Ted.

»Ja, Ted«, sagte Harry. »Schon gut, es ist Ihr Einfall.«

Über die Tastatur gab Harry ein: 00033126262725

Die Ziffern erschienen auf dem Bildschirm. Eine Pause trat ein. Man hörte das Summen der Entlüftungsanlage, das gedämpfte Dröhnen des Dieselgenerators. Alle sahen gespannt auf den Bildschirm.

Nichts geschah.

Dann wurde der Bildschirm schwarz, und auf ihm erschien:

00232226022214 033126262733

Norman spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.

Es war zwar nichts weiter als eine Reihe von Zahlen auf einem Computerbildschirm, trotzdem jagte es ihm einen Schauer über den Rücken. Tina, die neben ihm stand, zitterte. »Er hat geantwortet.«

»Großartig«, sagte Ted.

»Ich versuche jetzt die zweite Gruppe«, sagte Harry. Trotz seiner scheinbaren Gelassenheit vertippte er sich immer wieder. Es dauerte einige Augenblicke, bis er imstande war einzugeben: 00301922

Die Antwort kam sofort zurück: 0030221905221433

»Nun«, sagte Harry. »Sieht ganz so aus, als hätten wir unsere Nachrichtenverbindung eröffnet.«

»Ja«, sagte Beth. »Nur schade, daß wir nicht verstehen, was wir einander mitteilen.«

»Vermutlich weiß es, was es sagt«, sagte Ted. »Aber wir tappen noch im dunkeln.«

»Vielleicht können wir es dazu bringen, daß es Erklärungen liefert.«

»Was ist dieses Es, von dem hier dauernd geredet wird?« fragte Barnes ungeduldig.

Seufzend schob sich Harry die Brille auf der Nase hoch. »Ich denke, daran kann kein Zweifel bestehen. Es«, sagte er, »ist etwas, das ursprünglich in der Kugel war, jetzt aus ihr herausgekommen und imstande ist zu handeln. Das ist Es.«

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