Die Oberfläche

Westlich der Tonga-Inseln

Schon seit einer geraumen Weile bildete die Kimm eine eintönige, gerade, blaue Trennlinie zwischen dem Pazifik und dem Himmel. Der Navy-Hubschrauber flog mit Höchstgeschwindigkeit in niedriger Höhe über den Wellen. Trotz des Lärms und der von den Rotorblättern verursachten Erschütterungen schlief Norman Johnson ein. Er war müde; immerhin war er seit über vierzehn Stunden mit verschiedenen Militärflugzeugen unterwegs. Derlei war ein dreiundfünfzigj ähriger Psychologieprofessor nicht gewöhnt.

Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Als er aufwachte, war die Horizontlinie immer noch vollkommen plan; weit voraus sah er weiße Halbkreise - die Brandung um Korallenatolle. Über die Helmsprechanlage erkundigte er sich: »Was ist das da vorne?«

»Ninihina und Tafahi«, erklärte der Pilot. »Gehören zu den Tonga-Inseln, sind aber unbewohnt. Gut geschlafen?«

»Es geht.« Norman warf einen Blick auf die unter ihnen vorüberhuschenden Inseln: Eine geschwungene Uferlinie aus hellem Sand, eine Handvoll Palmen - vorbei. Wieder lag nichts als glatter Ozean vor ihnen.

»Von wo hat man Sie geholt?« wollte der Pilot wissen.

»Aus San Diego«, sagte Norman. »Bin gestern abgeflogen.«

»Dann sind Sie also über Honolulu, Guam und Pago gekommen?«

»Stimmt.«

»Ganz schön weit«, sagte der Pilot. »Was machen Sie, Sir?«

»Ich bin Psychologe«, sagte Norman.

»Seelenklempner?« Der Pilot grinste. »Warum nicht? Sie haben schon alle möglichen anderen zusammengetrommelt.«

»Wie darf ich das verstehen?«

»Seit zwei Tagen karren wir von Guam aus Leute ans Ende der Welt, hier mitten in den Pazifik: Physiker, Biologen, Mathematiker und weiß der Geier was noch.«

»Was ist denn los?« fragte Norman.

Der Mann warf ihm einen Blick zu. Hinter den dunklen Gläsern der Pilotenbrille waren seine Augen nicht zu erkennen. »Uns hat man nichts gesagt, Sir. Und Ihnen?«

»Mir wurde gesagt, ein Flugzeug sei abgestürzt«, antwortete Norman.

»Mhm«, sagte der Pilot. »Holt man Sie öfter zu so was?«

»Ist schon vorgekommen, ja.«

Seit einem Jahrzehnt stand Norman Johnson auf der Liste des amerikanischen Bundesluftfahrtamtes. Wenn ein Zivilflugzeug abstürzte, entsandte diese Behörde zur Untersuchung der näheren Umstände und der Unfallursache Expertenteams an die Absturzstelle. Deren Mitglieder mußten stets von einem Augenblick auf den anderen abrufbereit sein. Normans erster Einsatz war 1976 in der Nähe von San Diego gewesen, wo eine Maschine der United Airlines abgestürzt war; 1978 hatte man ihn nach Chicago und 1982 nach Dallas beordert. Jedesmal war es das gleiche gewesen - ein dringender Anruf, hastiges Pakken, dann war er eine Woche oder länger fortgeblieben. Als man ihn diesmal jedoch am 1. Juli holte, hatte seine Frau Ellen sich geärgert, denn das bedeutete, daß er zu der für den 4. Juli, dem Nationalfeiertag, geplanten Grillparty am Strand nicht zurück sein würde. Außerdem wollte Tim nach seinem zweiten Jahr an der Universität von Chicago auf dem Weg zu einem Ferienjob in den Cascades aus diesem Anlaß zu Hause vorbeischauen. Amy, inzwischen sechzehn, war gerade aus Andover zurückgekehrt; sie und Ellen vertrugen sich nicht besonders, wenn Norman nicht als Vermittler in der Nähe war. Da war noch so manches andere: der Volvo machte schon wieder eigentümliche Geräusche, ganz abgesehen davon, daß Norman möglicherweise in der kommenden Woche den Geburtstag seiner Mutter verpassen würde.

»Worum geht es überhaupt?« hatte Ellen wissen wollen. »Ich hab von keinem Absturz gehört.«

Während er packte, schaltete sie das Radio ein. Aber auch in den Nachrichten wurde mit keinem Wort ein Flugzeugabsturz erwähnt.

Der Wagen, der ihn abholte, gehörte, wie Norman voller Überraschung feststellte, zur Fahrbereitschaft der Navy. Der Fahrer trug eine Navyuniform.

»So einen Wagen haben sie noch nie geschickt«, sagte Ellen, während sie ihm die Treppe hinab zur Haustür folgte. »Ist eine Militärmaschine abgestürzt?«

»Ich weiß es nicht«, gab er zurück.

»Wann kommst du wieder?«

Er küßte sie zum Abschied. »Ich ruf dich an«, sagte er, »ganz bestimmt.«

Aber das hatte er nicht getan. Zwar war jedermann sehr freundlich und zuvorkommend zu ihm gewesen, aber an ein Telefon hatte man ihn nicht gelassen - weder am Stützpunkt Hickham Field auf Honolulu, noch bei den Marinefliegern auf Guam, wo er um zwei Uhr morgens angekommen war. Dabei wäre reichlich Zeit gewesen - er hatte dort bis zu seinem Weiterflug eine halbe Stunde in einem Raum verbringen müssen, in dem es nach Kerosin roch. Während er wartete, hatte er verdrossen in einem Exemplar des American Journal of Psychology geblättert, das er bei sich hatte. Als er bei Morgengrauen auf Pago Pago eintraf, hatte man ihn eilends an Bord eines wartenden Sea Knight-Hubschraubers gebracht, der unverzüglich von der Startbahn abgehoben und über Palmen und verrostete Wellblechdächer hinweg Westkurs in den Pazifik hinaus genommen hatte.

In diesem Hubschrauber saß er jetzt seit zwei Stunden. Einen Teil der Zeit hatte er vor sich hin gedöst. Ellen, Tim, Amy und der Geburtstag seiner Mutter schienen in weiter Ferne zu liegen.

»Wo sind wir hier eigentlich?«

»Im Südpazifik zwischen Samoa und den Fidschi-Inseln«, sagte der Pilot.

»Können Sie mir das auf der Karte zeigen?«

»Dazu bin ich nicht ermächtigt, Sir. Außerdem würden Sie nicht viel sehen. In einem Umkreis von zweihundert Meilen ist hier nichts als Wasser.«

Norman sah auf die Linie der Kimm, die nach wie vor blau und gerade vor ihnen lag. Das glaube ich glatt, dachte er. Er gähnte. »Finden Sie es nicht langweilig, immer nur das da zu sehen?«

»Ehrlich gesagt, nein, Sir«, sagte der Pilot. »Ich bin richtig froh, daß die See so ruhig ist. Dann haben wir wenigstens gutes Wetter. Es hält sich sowieso nicht mehr lange. Über den Admiralitätsinseln soll sich ein Zyklon zusammenbrauen, der bestimmt in ein paar Tagen hier ist.«

»Und was passiert dann?«

»Jeder rettet sich, so schnell er kann. Das Wetter kann in dieser Ecke ziemlich ekelhaft sein, Sir. Ich stamme aus Florida und hab schon als Junge ein paar Wirbelstürme miterlebt - aber im Vergleich zu einem pazifischen Zyklon war das eine leichte Brise.«

Norman nickte. »Wann kommen wir an?«

»Jeden Augenblick, Sir.«

Nach zwei Stunden Eintönigkeit wirkte der Anblick der kleinen Flotte beinahe aufregend. Mehr als ein Dutzend Schiffe verschiedener Typen waren annähernd konzentrisch angeordnet. Im äußeren Kreis zählte Norman acht graue Zerstörer der US-Navy. Näher zur Mitte lagen große Schiffe, die mit ihren ziemlich weit auseinander liegenden Doppelrümpfen aussahen wie schwimmende Trockendocks; dann kamen schwer klassifizierbare kastenförmige Schiffe mit Hubschrauberlandedecks, und in der Mitte stachen aus all dem Grau zwei weiße Schiffe hervor, beide mit einem Landedeck und einer Landemarkierung.

Der Pilot schnurrte herunter: »Außen bilden die Zerstörer einen Schutzring, und innerhalb liegen Fernversorger für die Roboter. Der Rest sind Versorgungs- und Nachschubschiffe, und in der Mitte OFUVs.«

»OFUVs?«

»Schiffe für Ozeanforschung und Vermessung. Sie liefern meereskundliche Daten.« Der Pilot wies auf die weißen Schiffe. »Da an Backbord liegt die John Hawes und an Steuerbord die William Arthur. Wir gehen auf der Hawes runter.« Er flog die Formation in einem Kreis ab. Norman sah zwischen den Schiffen Barkassen hin und her gleiten. Gegen das tiefblaue Wasser hob sich ihr weißes Kielwasser deutlich ab.

»Und all das für einen Flugzeugabsturz?« fragte Norman.

»Nee«, sagte der Pilot mit breitem Grinsen. »Von einem Absturz hab ich nichts gesagt. Sind Sie fest angegurtet, Sir? Wir landen.«

Barnes

Die rote Landemarkierung wurde größer und verschwand unter ihnen, als der Hubschrauber aufsetzte. Während Norman sich noch am Verschluß seines Sitzgurtes zu schaffen machte, kam ein uniformierter Angehöriger der Navy im Laufschritt heran and öffnete die Tür.

»Dr. Johnson? Norman Johnson?«

»Ja.«

»Haben Sie Gepäck, Sir?«

»Nur das hier.« Norman griff hinter sich und zog seinen

kleinen Übernachtungskoffer hervor. Der Offizier nahm ihn.

»Haben Sie wissenschaftliche Instrumente oder etwas in der Art?«

»Nein, das ist alles.«

»Bitte folgen Sie mir, Sir. Ziehen Sie den Kopf ein und gehen Sie nicht nach hinten, Sir.«

Norman stieg aus und duckte sich unter den Rotorblättern. Der Offizier ging voraus. Von der Hubschrauberlandeplattform ging es eine schmale Eisentreppe hinab. Das Geländer fühlte sich heiß an. Der Hubschrauber hob bereits wieder ab, und der Pilot winkte grüßend. Nachdem das Dröhnen der Rotoren verklungen war, wirkte die Luft über dem Pazifik still und entsetzlich heiß.

»Hatten Sie einen guten Flug, Sir?«

»Doch, ja.«

»Müssen Sie irgendwohin, Sir?«

»Bin doch gerade erst angekommen«, sagte Norman.

»Nun, ich meine: Müssen Sie austreten, Sir?«

»Nein«, sagte Norman.

»Gut. Die Klos sind nämlich alle verstopft.«

»Ach ja?«

»Seit gestern abend sind bei uns die sanitären Anlagen ausgefallen. Unsere Leute arbeiten daran, und wir hoffen, die Sache bald im Griff zuhaben.« Er sah zu Norman hinüber. »Wir haben im Augenblick eine ganze Reihe Frauen an Bord, Sir.«

»So«, sagte Norman.

»Für dringende Fälle gibt es eine chemische Toilette, Sir.«

»Nicht nötig, vielen Dank.«

»Dann möchte Captain Barnes Sie sofort sprechen, Sir.«

»Ich würde gern erst zu Hause anrufen.«

»Das können Sie Captain Barnes vortragen, Sir.«

Durch eine niedrige Tür traten sie aus der heißen Sonne in einen von Leuchtstoffröhren erleuchteten Gang. Dort war es merklich kühler. »Wenigstens hat uns in letzter Zeit die Klima-anlage nicht im Stich gelassen«, sagte der Offizier, »das ist immerhin schon etwas.«

»Kommt das denn oft vor?«

»Nur, wenn es heiß ist.«

Durch eine weitere Tür ging es in einen großen, werkstattähnlichen Raum mit Metallwänden und Werkzeugständern. Schneidbrenner sprühten Funken, Arbeiter beugten sich über Teile von Schwimmpontons und komplizierte Baugruppen. Kabel wanden sich über den Boden. »Hier werden die ROVs, die Unterwasserroboter, repariert«, schrie ihm der Offizier durch den Lärm zu. »Aber nur empfindliche Sachen, Elektronik und so weiter - die rein mechanische Schrauberei wird größtenteils auf den Versorgungsschiffen erledigt. Hier entlang, Sir.«

Sie gingen durch eine weitere Tür, folgten einem anderen Gang und betraten einen niedrigen Raum, der voller Monitore stand. Ein halbes Dutzend Techniker saß in schattigem Halbdunkel vor den Farbbildschirmen. Norman blieb stehen.

»Von hier aus überwachen wir die Roboterfahrzeuge«, sagte der Offizier. »Ständig sind drei oder vier von den ROVs da unten im Einsatz - außerdem natürlich unsere Klein-U-Boote und Taucher.«

Norman hörte es knistern und rauschen, leise Wortfetzen von Funkkontakten, die er nicht verstehen konnte. Auf einem der Bildschirme sah er in grellem Kunstlicht einen Taucher über den Meeresboden gehen. Er trug einen Taucheranzug, wie Norman ihn noch nie gesehen hatte: schweres, blaues Material und einen seltsam geformten, leuchtend gelben Helm.

Norman wies auf den Bildschirm. »In welcher Tiefe arbeitet er?«

»Genau weiß ich es nicht, aber ich denke, so an die dreihundert, dreihundertfünfzig Meter.«

»Und was hat man bis jetzt gefunden?«

»Ein großes Leitwerksteil aus Titan.« Der Offizier sah sich um. »Es ist gerade auf keinem der Bildschirme zu sehen. Bill, können Sie Dr. Johnson hier mal die Flosse zeigen?«

»Leider nein«, sagte der Techniker, »im Augenblick arbeitet das Hauptgerät nördlich davon, im Planquadrat sieben.«

»Mhm. Das liegt einen guten halben Kilometer von der Stelle entfernt«, sagte der Offizier zu Norman. »Schade. Die Sache ist sehr eindrucksvoll. Aber bestimmt werden Sie es später noch sehen. Hier geht's zu Captain Barnes.«

Während sie den Gang entlanggingen, fragte der Offizier: »Kennen Sie den Captain schon, Sir?«

»Nein, warum?«

»Er brennt darauf, Sie zu sehen. Hat stündlich bei den Nachrichtenfritzen angerufen, um zu erfahren, wann Sie kämen.«

»Nein«, sagte Norman, »ich kenne ihn nicht.«

»Er ist ganz in Ordnung.«

»Das glaube ich.«

Der Offizier sah sich über die Schulter zu Norman um. »Allerdings kursiert etwas über ihn«, erklärte er.

»So? Was denn?«

»Daß er schlimmer beißt, als er bellt.«

Es ging durch eine weitere Tür, die die Aufschrift >Projekt-kommandant< und darunter ein Wechselschild mit dem Namen >Capt. Harold C. Barnes, USN< trug. Der Offizier ließ Norman in einen getäfelten Repräsentationsraum eintreten. Ein dynamisch wirkender Mann in Hemdsärmeln erhob sich hinter einem mit Aktenbergen bedeckten Schreibtisch.

Captain Hal Barnes war der Typ des drahtigen Soldaten, neben dem Norman sich dick und schwerfällig vorkam. Barnes war Mitte Vierzig und hielt sich militärisch aufrecht. Er war schlank, trug die Haare kurz geschnitten, hatte ein waches Gesicht und einen betont festen Händedruck.

»Willkommen an Bord der Hawes, Dr. Johnson. Wie fühlen Sie sich?«

»Müde«, sagte Norman.

»Kann ich mir denken. Sie kommen aus San Diego?«

»Ja.«

»Also waren Sie an die fünfzehn Stunden unterwegs. Wollen Sie sich etwas ausruhen?«

»Ich wüßte gern, warum man mich gerufen hat«, sagte Norman.

»Verstehe ich vollkommen«, nickte Barnes. »Was hat man Ihnen gesagt?«

»Wer?«

»Die Männer, die Sie in San Diego abgeholt haben, die Piloten, die Sie hergeflogen haben, die Leute auf Guam, wer auch immer.«

»Keine Silbe.«

»Und Sie hatten keinen Kontakt mit Presseleuten oder sonstigen Reportern?«

»Nichts in der Art.«

Barnes lächelte. »Das höre ich gern.« Er bedeutete Norman mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Dankbar folgte Norman der Aufforderung. »Einen Schluck Kaffee?« fragte Barnes und trat zu einer Kaffeemaschine hinter seinem Schreibtisch. In diesem Augenblick gingen die Lampen aus. Mit Ausnahme des Lichtscheins, der durch ein Bullauge fiel, lag der Raum im Dunkeln.

»Verdammt noch mal!« sagte Barnes. »Nicht schon wieder. Emerson! Emerson!«

Eine Ordonnanz trat ein. »Sir! Wir arbeiten daran, Captain.«

»Was ist es diesmal?«

»Kurzschluß im Roboter-Steuerraum zwo, Sir.«

»Ich dachte, wir hätten zusätzliche Leitungen gelegt.«

»Trotzdem sind sie offenbar überlastet.«

»Ich erwarte, daß das sofort erledigt wird, Emerson!«

»Wir hoffen, den Fehler bald behoben zu haben, Sir.«

Die Tür schloß sich, und Barnes nahm wieder Platz. Norman hörte seine Stimme aus der Dunkelheit. »Die Leute können nichts dafür. Die Leitungen dieser Schiffe sind nicht für die hohe Stromaufnahme vorgesehen, mit der wir sie belasten, und - na bitte, schon erledigt.« Es wurde wieder hell. Barnes lächelte. »Wie sieht es aus, Dr. Johnson - Kaffee?«

»Gern, schwarz bitte«, sagte Norman.

Barnes goß ihm einen Becher voll. »Wie gesagt, ich bin sehr erleichtert, daß Sie mit niemandem geredet haben. In meinem Beruf ist Sicherheit das A und O, Dr. Johnson. Vor allem bei einer Sache wie dieser hier. Wenn jemand Wind von dem bekäme, was hier vor sich geht, hätten wir alle möglichen Schwierigkeiten am Hals. Immerhin hängt da jetzt schon eine ganze Reihe von Leuten mit drin ... Der CincComPac, also der Oberbefehlshaber der Pazifikflotte, wollte mir nicht mal die Zerstörer geben. Erst als ich sowjetische Spionage-U-Boote ins Gespräch brachte, hab ich vier bekommen, und dann sogar acht.«

»Sowjetische Spionage-U-Boote?« fragte Norman zurück.

»Das hab ich denen in Honolulu nur so erzählt«, grinste Barnes. »Was bleibt einem anderes übrig - man muß so handeln, wenn man kriegen will, was man für eine Operation wie diese braucht. Heutzutage muß man eben wissen, wie man sich bei der Navy sein Material organisiert. Natürlich ist weit und breit kein Russe zu sehen.«

»Nein?« Es kam Norman vor, als habe er irgendwie nicht verstanden, worum es sich bei dem Gespräch drehte, und er bemühte sich, dies nachzuholen.

»Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß die Russen hier aufkreuzen. Natürlich wissen sie, wo wir sind, bestimmt haben sie uns schon längst mit ihren Satelliten ausgemacht. Aber wir senden unaufhörlich entzifferbare Mitteilungen über unsere Such- und Rettungsübungen im Südpazifik. S- und R-Übungen interessieren die nicht besonders, obwohl sie garantiert annehmen, daß es in Wirklichkeit um die Bergung eines abgestürzten

Flugzeugs geht. Vielleicht glauben sie sogar, daß wir atomare Sprengköpfe zu bergen versuchen, wie 1968 vor der spanischen Küste. Aber sie werden uns zufriedenlassen - die Sowjetunion will nicht auf politischer Ebene in unsere atomaren Probleme verwickelt werden. Sie wissen, daß wir Schwierigkeiten mit Neuseeland haben.«

»Und das ist alles?« fragte Norman. »Atomare Sprengköpfe?«

»Nein«, gab Barnes zur Antwort. »Gott sei Dank nicht. Sobald es um Atomwaffen geht, fühlt sich im Weißen Haus jemand verpflichtet, die Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen. Von der Sache hier haben wir nicht mal die Vereinigten Stabschefs informiert. In Washington sind nur der Verteidigungsminister und der Präsident auf dem laufenden, und alle Mitteilungen gehen vom Minister unmittelbar persönlich an den Präsidenten.« Barnes klopfte mit den Knöcheln auf den Tisch. »So weit, so gut. Wir haben nur noch auf Sie gewartet, und jetzt, wo alle an Bord sind, machen wir den Laden absolut dicht. Nichts kommt mehr rein, und nichts geht mehr raus.«

Norman verstand immer noch nicht. »Aber wozu die Geheimhaltung, wenn es bei dem Absturz gar nicht um atomare Sprengköpfe geht?« fragte er.

»Nun«, sagte Barnes, »wir haben noch nicht alle Fakten.«

»Der Absturz ist über dem Ozean geschehen?«

»Ja. Mehr oder weniger da, wo wir jetzt sitzen.«

»Dann kann es keine Überlebenden geben.«

»Überlebende?« Barnes sah ihn überrascht an. »Nein, das denke ich auch nicht.«

»Und was tue dann ich hier?«

Barnes sah verständnislos drein.

»Gewöhnlich«, erläuterte Norman, »holt man mich, wenn es bei einem Absturz Überlebende gibt. Der Psychologe in dem Team ist zuständig für akute traumatische Erlebnisse überlebender Fluggäste - und bisweilen auch für den seelischen

Zustand ihrer Angehörigen. Für ihre Empfindungen und Ängste, für die immer wieder auftretenden Alpträume. Häufig haben Menschen, die einen Flugzeugabsturz überleben, allerlei Schuldgefühle und Beklemmungen. Sie fragen sich, warum sie überlebt haben und andere nicht. Da sitzt eine Frau mit Mann und Kindern im Flugzeug, und mit einemmal sind sie alle tot, nur sie lebt noch. Solche Fälle.« Norman lehnte sich zurück. »Aber hier - bei einem Flugzeug, das in dreihundert Meter tiefes Wasser gestürzt ist - dürfte es Schwierigkeiten dieser Art nicht geben. Was also soll ich hier?«

Barnes sah ihn unverwandt an. Ihm schien bei der Sache nicht recht wohl zu sein. Nervös schob er die Aktendeckel auf seinem Tisch hin und her.

»Hier ist kein Flugzeug abgestürzt, Dr. Johnson.«

»Sondern?«

»Ein Raumschiff.«

Eine kurze Pause trat ein. Norman nickte. »Ach so.«

»Überrascht Sie das nicht?« wollte Barnes wissen.

»Nein«, sagte Norman. »Es erklärt sogar eine Menge. Wenn ein Raumschiff der NASA in den Ozean gestürzt ist, begreife ich, warum darüber nichts im Radio zu hören war, die Sache geheimgehalten wurde und man mich auf diese Weise hergebracht hat . Wann war der Absturz?«

Barnes zögerte den Bruchteil einer Sekunde mit seiner Antwort: »Unserer Schätzung nach vor dreihundert Jahren.«

ULF

Beide schwiegen. Norman lauschte auf das Summen der Klimaanlage. Wie von ferne hörte er die Funksprüche, die im Nebenraum eingingen. Er sah auf den Kaffeebecher in seiner

Hand, und ihm fiel auf, daß aus dessen Rand ein Stück herausgebrochen war. Er versuchte sich klarzumachen, was er da eben gehört hatte, aber sein Geist reagierte träge, drehte sich im Kreise.

Vor dreihundert Jahren also. Ein dreihundert Jahre altes Raumschiff. Aber das Raumfahrtprogramm der Vereinigten Staaten war kaum dreißig Jahre alt - wie konnte das Raumschiff dann dreihundert Jahre alt sein? Unmöglich - Barnes mußte sich irren. Doch wie konnte Barnes sich irren? Die Navy würde doch nicht all die Schiffe und all die Menschen herschicken, wenn sie ihrer Sache nicht sicher war. Also lag da unten doch ein dreihundert Jahre altes Raumschiff.

Aber wie konnte das sein? Unmöglich. Es mußte etwas anderes sein. Norman grübelte immer wieder darüber nach, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Sein Denkvermögen war wie gelähmt.

»- völlig außer Frage«, sagte Barnes gerade. »Der Zeitpunkt läßt sich anhand des Korallenwachstums recht genau bestimmen. Immerhin bedeckt eine etwa vier Meter starke Korallenschicht das Objekt - was auch immer es sein mag. Es ist bekannt, daß Pazifikkorallen zweieinhalb Zentimeter pro Jahr wachsen - aber natürlich nicht in dreihundert Metern Tiefe. Also ist die Korallenbank irgendwann von weiter oben in eine größere Tiefe abgerutscht. Die Geologen sagen, das liege etwa hundert Jahre zurück, und damit kommen wir alles in allem auf etwa dreihundert Jahre. In einer Hinsicht allerdings können wir danebenliegen - das Raumschiff könnte ohne weiteres viel älter sein, zum Beispiel tausend Jahre.«

Barnes schob erneut Papiere auf seinem Tisch hin und her, ordnete sie zu Stapeln und richtete sie kantengenau aus.

»Ich verhehle Ihnen nicht, Dr. Johnson, daß mir das Ding da unten große Angst macht. Deswegen sind Sie hier.«

Norman schüttelte den Kopf. »Ich verstehe immer noch nicht.«

»Wir haben Sie geholt«, sagte Barnes, »weil Sie am Projekt ULF beteiligt waren.«

»ULF?« sagte Norman gedehnt. Beinahe hätte er hinzugefügt, aber das war doch ein Scherz! Da er jedoch sah, wie ernst Barnes es meinte, war er froh, sich rechtzeitig beherrscht zu haben.

Und dennoch - ULF war ein Scherz. Für ihn war von Anfang an alles im Zusammenhang mit ULF ein Scherz gewesen.

Im Jahre 1979, als die Regierung Carter in den letzten Zügen lag, war Norman Johnson Assistenzprofessor für Psychologie an der University of California in San Diego gewesen. Da Gruppendynamik und Angst seine Forschungsschwerpunkte waren, wurde er gelegentlich zu einer der Arbeitsgruppen hinzugezogen, die im Auftrag des Bundesluftfahrtamts Absturzstellen untersuchten. Damals waren seine Hauptsorgen gewesen, ein bezahlbares Haus für Ellen und die Kinder zu finden und weiterhin genug zu veröffentlichen, zumal es mehr als unsicher war, ob ihn die UCSD als ordentlichen Professor auf Lebenszeit anstellen würde. Zwar galten seine Forschungsleistungen als brillant, aber bekanntermaßen war die Psychologie allerlei intellektuellen Modeströmungen unterworfen, und das Interesse an der Angstforschung nahm in dem Maße ab, wie zahlreiche Wissenschaftler Angst für eine ausschließlich biochemische Störung hielten, die sich ohne weiteres medikamentös behandeln ließ. Einer hatte sogar erklärt: »An der Angst gibt es nichts mehr zu erforschen, sie ist für die Psychologie kein Problem mehr.« Ähnliches galt für die Gruppendynamik. Sie hatte ihren Höhepunkt in den frühen siebziger Jahren mit den kollektiven brainstorming-Sitzungen und den Erfahrungsgruppen der Gestalttherapie erlebt, jetzt war sie überholt und aus der Mode.

Norman allerdings verstand das nicht, denn er hatte den Eindruck, daß die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten zuneh-mend in Gruppen organisiert war und nicht mehr aus Einzelpersonen bestand; an die Stelle des draufgängerischen Individualismus waren endlose kollektive Sitzungen und Gruppenentscheidungen getreten. In dieser neuen Gesellschaft war seiner Ansicht nach das Gruppenverhalten wichtiger denn je. Auch teilte er die Meinung nicht, die Angst sei ein klinisches Problem, das sich mit Pillen erledigen ließ. Er hielt eine Gesellschaft, in der kein Medikament so häufig verschrieben wurde wie Valium, prinzipiell für eine Gesellschaft mit ungelösten Problemen.

Erst als man sich Anfang der achtziger Jahre näher damit befaßte, wie japanische Firmen ihre Unternehmensführung organisierten, wandte sich die Aufmerksamkeit der Fachwissenschaft erneut Normans Arbeitsgebiet zu. Etwa um dieselbe Zeit bekam die Valiumabhängigkeit in der Wissenschaft endlich den Stellenwert, der ihr gebührte, so daß die ganze Frage der medikamentösen Behandlung von Angstzuständen neu überdacht wurde. Bis dahin aber fühlte sich Johnson über mehrere Jahre hinweg von der Forschung abgekoppelt - so hatte man ihm nahezu drei Jahre lang kein Forschungsstipendium mehr zugesprochen. Es erwies sich als ausgesprochen schwierig, eine feste Anstellung zu bekommen und ein geeignetes Haus zu finden.

Ende 1979, als er an einem Tiefpunkt angelangt war, trat ein junger, ernsthaft wirkender juristischer Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats in Washington an ihn heran. Während er Norman gegenüber saß, ruhte sein rechter Knöchel auf seinem linken Knie. Er zupfte nervös an seiner Socke und teilte Norman mit, er sei gekommen, ihn um seine Mithilfe zu bitten.

Norman erklärte sich dazu bereit, sofern es etwas sei, das in seinen Kräften stand.

Unentwegt an seiner Socke zupfend sagte der Mann, er wolle mit Norman über eine »schwerwiegende Angelegenheit der nationalen Sicherheit« sprechen, mit der sich das Land konfrontiert sehe.

Norman wollte wissen, worum es dabei ging.

»Nun, wir sind in keiner Weise auf eine Invasion Außerirdischer vorbereitet - wirklich in keiner Weise.«

Da der Mann jung war und, während er sprach, unverwandt auf seine Socke blickte, hatte Norman zuerst angenommen, es sei ihm peinlich, eine so alberne Botschaft übermitteln zu müssen. Doch als der andere aufsah, erkannte Norman zu seiner Verblüffung, daß es ihm damit völlig ernst war.

»Eine Invasion durch Außerirdische könnte uns bös erwischen«, sagte der Mann.

Norman mußte sich auf die Lippe beißen, um ernst zu bleiben. »Stimmt wahrscheinlich«, sagte er.

»Die Regierung macht sich Sorgen.«

»Tatsächlich?«

»Man hat auf höchster Ebene den Eindruck, daß Pläne für ein solches Ereignis ausgearbeitet werden müssen.«

»Sie meinen Katastrophenpläne für den Fall einer Invasion aus dem Weltraum ...« Irgendwie gelang es Norman, ein ernstes Gesicht zu machen.

»Vielleicht ist das Wort Invasion zu stark«, sagte der Besucher. »Sagen wir vielleicht lieber >Kontakt<: Eine Kontaktaufnahme durch Außerirdische.«

»Ich verstehe.«

»Sie haben bereits mit Expertenteams an Absturzstellen von Zivilflugzeugen Erfahrungen gesammelt, Dr. Johnson, und wissen, worum es bei solchen Katastrophengruppen geht. Wir hätten gern von Ihnen Vorschläge darüber, wie ein Team, das außerirdischen Eindringlingen entgegentreten soll, optimal zusammengesetzt sein müßte.«

»Ich verstehe«, wiederholte Norman und überlegte, wie er sich taktvoll aus der Affäre ziehen konnte. In seinen Augen war die Sache einfach lächerlich, nichts als eine Verdrängungsreaktion der Regierung. Da es ungeheure Schwierigkeiten gab, mit denen sie nicht fertig wurde, hatte die Regierung beschlossen, sich anderen Aufgaben zuzuwenden.

Dann hüstelte der Besucher, schlug eine Untersuchung vor und nannte eine beachtliche Summe für die Finanzierung eines zweijährigen Forschungsauftrags.

Unverhofft bot sich Norman die Gelegenheit, ein Haus zu kaufen, und so sagte er zu.

»Ich bin froh, daß wir uns über die Bedeutung des Problems einig sind.«

»Durchaus«, sagte Norman und überlegte, wie alt sein Besucher sein mochte. Er schätzte ihn auf etwa fünfundzwanzig.

»Natürlich müssen wir bei Ihnen eine Sicherheitsüberprüfung durchführen«, sagte der Mann.

»Eine Sicherheitsüberprüfung?«

»Dr. Johnson«, sagte der andere und schloß seinen Aktenkoffer, »dieses Projekt unterliegt höchster Geheimhaltung.«

»Ist mir auch recht«, sagte Norman. Er meinte es ernst, denn nur allzu gut konnte er sich ausmalen, wie seine Kollegen reagieren würden, wenn sie von der Sache erführen.

Was als Jux begonnen hatte, nahm bald eine äußerst sonderbare Eigendynamik an. Im Verlauf des folgenden Jahres flog Norman fünfmal nach Washington zu Sitzungen, bei denen er sich mit hohen Beamten des Nationalen Sicherheitsrats über die unmittelbar bevorstehende Gefahr einer Invasion durch Außerirdische unterhielt. Seine Arbeit blieb streng geheim. Im Anfangsstadium war geplant, mit dem Projekt die dem Pentagon nachgeordnete Behörde zur Erforschung hochentwickelter Verteidigungssysteme zu betrauen, dann aber entschied man sich dagegen, und auch der später erwogene Plan, es der NASA zu unterstellen, wurde verworfen. Einer der Verwaltungsleute sagte: »Hier geht es nicht um Wissenschaft, Dr. Johnson, sondern um die nationale Sicherheit. Wir wollen den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich halten.«

Immer wieder war Norman verblüfft, wenn er sah, welch hohe Positionen die Männer bekleideten, mit denen er zusammentraf. Einmal schob ein Staatssekretär auf seinem Schreibtisch die Papiere beiseite, in denen es um die jüngste Krise im Mittleren Osten ging, um ihn zu fragen: »Wie groß schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, daß die Außerirdischen imstande sind, unsere Gedanken zu lesen?«

»Ich weiß nicht«, sagte Norman.

»Nun, ich frage mich, wie wir in dem Fall eine Verhandlungsgrundlage schaffen könnten.«

»Das könnte schwierig werden«, stimmte Norman zu und sah verstohlen auf die Uhr.

»Es ist schlimm genug, daß die Russen unsere verschlüsselten Depeschen abfangen. Wir wissen, daß die Japaner und die Israelis unsere sämtlichen Codes entschlüsselt haben, und wir beten, daß die Russen noch nicht so weit sind. Sie sehen sicher, daß die Sache mit dem Gedankenlesen ein Problem ist.«

»Natürlich.«

»Ihr Bericht muß auch diese Frage berücksichtigen.«

Norman versprach es.

Ein Mitarbeiter des Stabs im Weißen Haus erklärte ihm: »Sie verstehen, daß der Präsident persönlich mit den Außerirdischen sprechen möchte. So ist er nun mal.«

»Mhm«, sagte Norman.

»Das wäre eine großartige Publicity. Stellen Sie sich das vor: Der Präsident trifft in Camp David mit den Außerirdischen zusammen. Ein gefundenes Fressen für die Medien!«

»Überaus eindrucksvoll«, stimmte Norman zu.

»Also brauchen die Außerirdischen eine Vorausinformation darüber, wer der Präsident ist. Außerdem muß man ihnen die protokollarischen Einzelheiten bekanntgeben, die zu beachten sind, wenn sie mit ihm sprechen. Unmöglich kann der Präsident der Vereinigten Staaten mit einer Abordnung einer anderen Galaxie oder dergleichen im Fernsehen reden, ohne daß die darauf vorbereitet sind. Glauben Sie, daß die Außerirdischen Englisch sprechen?«

»Wohl kaum«, sagte Norman.

»Dann müßte jemand ihre Sprache lernen, richtig?«

»Schwer zu sagen.«

»Vielleicht würden die Außerirdischen lieber zuerst mit einem Abgesandten einer unserer ethnischen Minderheiten zusammentreffen«, sagte der Mann aus dem Weißen Haus. »Immerhin eine Möglichkeit. Denken Sie mal drüber nach.«

Norman versprach es.

Der Verbindungsoffizier im Verteidigungsministerium, ein Generalmajor, lud ihn zum Mittagessen ein und fragte beiläufig beim Kaffee: »Was glauben Sie, wie diese Außerirdischen bewaffnet sind?«

»Ich weiß nicht recht«, sagte Norman.

»Das ist genau der Haken, stimmt's? Und wo sind sie verwundbar? Ich meine, möglicherweise sind das ja nicht mal Menschen.«

»Das wäre denkbar.«

»Vielleicht sind es Rieseninsekten. Insekten können ziemlich viel radioaktive Strahlung vertragen.«

»Ja«, sagte Norman.

»Möglicherweise können wir ihnen nicht das geringste anhaben«, sagte der Mann aus dem Verteidigungsministerium düster. Dann leuchtete sein Gesicht auf. »Aber ich bezweifle, ob sie einen direkten Schlag mit einem Atomsprengkörper von mehreren Megatonnen aushalten könnten. Was meinen Sie?«

»Nein«, sagte Norman, »das könnten sie wohl nicht.«

»Sie würden verdampfen.«

»Bestimmt.«

»Gegen die Naturgesetze sind auch die machtlos.«

»So ist es.«

»Ihr Bericht muß diesen Punkt klar herausstellen. Die Verwundbarkeit der Außerirdischen gegenüber Atomwaffen.«

»Ja«, sagte Norman.

»Wir wollen keine Panik auslösen«, sagte der Mann aus dem Pentagon. »Es hat ja keinen Sinn, alle Welt kopfscheu zu machen, was? Bestimmt wird es die Vereinigten Stabschefs beruhigen zu hören, daß die Außerirdischen unseren Atomwaffen gegenüber verwundbar sind.«

»Ich werde daran denken«, versprach Norman.

Schließlich hörten die Sitzungen auf, und man ließ ihn seinen Bericht schreiben. Während er die bereits veröffentlichten Spekulationen über außerirdische Lebensformen durchging, ging es ihm durch den Sinn, daß der Generalmajor aus dem Pentagon eigentlich so unrecht nicht hatte. Das Hauptproblem bei einem Kontakt mit Außerirdischen - wenn es so etwas überhaupt geben konnte - war eine Panikreaktion in der Bevölkerung. Die einzige bedeutsame Erfahrung mit Außerirdischen hatte man 1938 bei Orson Welles' Rundfunksendung über den Krieg der Welten gemacht. Die Menschen hatten seinerzeit unmißverständlich reagiert: mit namenlosem Entsetzen.

Norman legte seinen Bericht vor. Er trug den Titel >Kontakt mit möglichen außerirdischen Lebensformenc. Der Nationale Sicherheitsrat schickte den Bericht mit der Anregung zurück, Norman möge den Titel so umarbeiten, daß er »technischer« klang, und »alle Hinweise entfernen, die den Eindruck erwek-ken, als handele es sich um eine bloß hypothetische Möglichkeit, da in manchen Regierungskreisen ein Kontakt mit Außerirdischen als sozusagen sicher gilt«.

Nach der Überarbeitung wurde sein Aufsatz, der nunmehr den Titel trug >Empfehlungen für die Kontaktgruppe zur Interaktion mit unbekannten Lebensformen (ULF)<, sogleich in die Geheimhaltungsliste der Regierung übernommen. Nach Normans Vorstellungen kamen als Angehörige der ULF-Kontaktgruppe ausschließlich besonders in sich ruhende und gefestigte Menschen in Frage. Dazu hieß es in seinem Bericht -

»Mal sehen«, sagte Barnes, während er einen Schnellhefter öffnete, »ob Sie das Zitat hier erkennen.«

»Kontaktgruppen, die mit einer unbekannten Lebensform (ULF) zu tun haben, müssen sich auf schwere psychische Belastungen einstellen. Nahezu mit Sicherheit werden extreme Angstreaktionen auftreten. Die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen, die extreme Angst zu ertragen vermögen, müssen festgelegt und solche Menschen für den Einsatz in der Gruppe ausgewählt werden.

Angst gegenüber unbekannten Lebensformen ist bisher nicht hinreichend untersucht worden. Es ist unbekannt, welche Ängste ein Zusammentreffen mit einer neuen Lebensform auslösen würde, und sie lassen sich auch nicht vollständig voraussagen. Die höchstwahrscheinliche Folge eines solchen Zusammentreffens dürfte blankes Entsetzen sein.«

Barnes klappte den Aktendeckel zu. »Wissen Sie, von wem das stammt?« »Ja«, sagte Norman.

Er erinnerte sich auch, warum er es geschrieben hatte. Er hatte im Zusammenhang mit dem Forschungsauftrag des Nationalen Sicherheitsrats Untersuchungen zur Gruppendynamik in Fällen psychosozialer Angst durchgeführt. Analog zu den Verfahren von Asch und Milgram hatte er verschiedene Umgebungen geschaffen, in denen die Menschen nicht wußten, daß sie als Versuchspersonen dienten. So schickte man beispielsweise eine Gruppe mit dem Fahrstuhl in ein anderes Stockwerk unter dem Vorwand, daß dort ein Test stattfinden sollte. Der Fahrstuhl wurde zwischen zwei Stockwerken angehalten, und man beobachtete die Versuchspersonen durch verborgene Videokameras.

Dieser Versuch wurde in verschiedenen Abwandlungen durchgeführt: Mal hing ein Schild >Außer Betrieb< im Fahr-stuhl, mal hatte eine Gruppe telefonisch Verbindung mit dem >Fahrstuhltechniker<, eine andere nicht, mal stürzte die Decke des Fahrstuhls ein und das Licht erlosch, mal bestand der Boden des Fahrstuhls aus durchsichtigem Material.

Bei einer anderen Versuchsanordnung lud man Probanden in einen Kleinbus, den der >Versuchsleiter< in die Wüste steuerte. Dort ging das Benzin aus, und der >Versuchsleiter< erlitt einen >Herzanfall<, so daß die Leute völlig auf sich selbst gestellt waren.

Bei der schlimmsten Abwandlung des Versuchs saßen die Versuchspersonen in einem Privatflugzeug, dessen Pilot in der Luft Opfer eines >Herzanfalls< wurde.

Trotz der weithin bekannten Vorbehalte gegenüber solchen Versuchen - sie seien sadistisch, ihre Bedingungen seien künstlich, und die Versuchspersonen spürten, daß es sich um gestellte Situationen handelte - gewann Norman beachtliches Material über das Gruppenverhalten unter durch Angst ausgelöster Belastung.

Er stellte fest: Angstreaktionen waren auf ein Minimum reduziert, wenn die Gruppen aus höchstens fünf Personen bestanden; wenn die Gruppen aus Menschen verschiedenen Alters und beiderlei Geschlechts zusammengesetzt waren; wenn deren Mitglieder sich gut kannten; wenn sie Sichtkontakt miteinander hatten und nicht voneinander isoliert waren; wenn die Versuchspersonen festgelegte gemeinsame Ziele und vorgegebene Zeitgrenzen hatten; und wenn sie eine angstfeste Persönlichkeit entsprechend den LAS-Angst-Tests besaßen, wobei deren Ergebnisse wiederum mit dem körperlichen Zustand zusammenhingen.

Die Resultate seiner Untersuchung wurden in statistischen Tabellen voll eindrucksvoller Zahlenkolonnen zusammengefaßt, obwohl Norman wußte, daß er letztlich nur etwas verifiziert hatte, was der gesunde Menschenverstand schon immer gewußt hatte: Wer in einem Aufzug festsaß, blieb ruhiger, wenn sich darin nur wenige, noch dazu körperlich durchtrainierte Menschen befanden, das Licht anblieb und man wußte, daß jemand an der Befreiung arbeitete.

Manche seiner Ergebnisse allerdings standen im Widerspruch zu landläufigen Annahmen. So spielte beispielsweise die Gruppenzusammensetzung eine bedeutende Rolle, denn ausschließlich aus Männern oder aus Frauen bestehende Gruppen wurden mit Stressituationen weit schlechter fertig als gemischte, und auch Gruppen, die ausschließlich aus annähernd gleichaltrigen Menschen zusammengesetzt waren, schnitten weniger gut ab als solche, die aus Menschen unterschiedlichen Alters bestanden. Die ungünstigste Prognose mußte für Gruppen gestellt werden, die schon vor dem Versuch bestanden hatten und zu einem anderen Zweck gebildet worden waren. Als Norman einmal eine Basketballspitzenmannschaft psychischen Belastungen ausgesetzt hatte, waren deren Mitglieder beinahe sogleich seelisch zusammengebrochen.

Trotz seiner soliden Forschungsarbeit empfand Norman nach wie vor Unbehagen angesichts des Zwecks, dem sie ursprünglich hatte dienen sollen - der Vorbereitung auf ein Zusammentreffen mit Außerirdischen -, denn er persönlich hielt ihn für geradezu aberwitzig spekulativ. Daher reichte er seine Arbeit nur ausgesprochen ungern ein, besonders, nachdem er sie umgeschrieben hatte, damit sie bedeutender wirkte, als sie seiner eigenen Einschätzung nach war.

So empfand Norman echte Erleichterung, als sich herausstellte, daß sein Bericht Präsident Carters Regierungsstellen nicht zusagte. Keine seiner Empfehlungen wurde übernommen. Die Regierung konnte sich Dr. Norman Johnsons Ansicht nicht anschließen, daß Angst beim Zusammentreffen mit Außerirdischen ein Problem sein würde, und vertrat die Meinung, Staunen und Ehrfurcht würden bei den Menschen überwiegen. Darüber hinaus war der Regierung an einer großen Kontaktgruppe gelegen. Man dachte an dreißig Personen, unter ihnen

drei Theologen, ein Jurist, ein Arzt, je ein Vertreter des Außenministeriums und der Vereinigten Stabschefs, ausgewählte Angehörige der Legislative, ein Luftfahrtingenieur, ein Biologe, der sich auf außerirdische Lebensformen spezialisiert hatte, ein Kernphysiker, ein Kultur-Anthropologe und eine bekannte Fernsehpersönlichkeit.

Wie dem auch sei, Präsident Carter wurde 1980 nicht wiedergewählt, und Norman hörte sechs Jahre lang nichts von seinem ULF-Vorschlag.

Bis jetzt.

»Erinnern Sie sich noch daran, wie die ULF-Gruppe Ihrer Meinung nach zusammengesetzt sein sollte?« fragte Barnes.

»Selbstverständlich«, sagte Norman.

Sein Vorschlag sah vier Personen vor - je einen Astrophysiker, Zoologen, Mathematiker und Linguisten - sowie als fünftes Mitglied einen Psychologen, der Verhalten und Einstellung der Gruppe überwachen sollte.

»Sagen Sie mir, was Sie davon halten«, forderte ihn Barnes auf und gab Norman ein Blatt Papier:


ANOMALIE-FORSCHUNGSTEAM

DER US-NAVY/UNTERSTÜTZUNGSGRUPPE

1. Harold C. Barnes, Projektleiter, Captain der USN

2. Jane Edmunds, Datenverarbeitungstechnikerin, Unteroffizier P.O.1C der USN

3. Tina Chan, Elektronikerin, Unteroffizier P.O.1C der USN

4. Alice Fletcher, Leiterin Unterwasser-Wohn- und Arbeitseinheit Deepsat Habitat, Chief P.O. der USN

5. Rose C. Levy, Assistentin Unterwasser-Wohn- und Arbeitseinheit Deepsat Habitat, 2C der USN

ZIVILE MITGLIEDER

1. Theodore Fielding, Astrophysiker/Himmelskörpergeologe

2. Elizabeth Halpern, Zoologin/Biochemikerin

3. Harold J. Adams, Mathematiker/Logiker

4. Arthur Levine, Meeresbiologe/Biochemiker

5. Norman Johnson, Psychologe


Norman sah auf die Liste. »Mit Ausnahme Levines ist das die ursprünglich von mir vorgeschlagene zivile ULF-Gruppe. Ich habe ihre Mitglieder damals sogar einzeln befragt und getestet.«

»Stimmt.«

»Aber Sie haben doch selbst gesagt, daß es wahrscheinlich keine Überlebenden gibt. In dem Raumschiff dürfte niemand mehr am Leben sein.«

»Schon«, sagte Barnes, »aber was ist, wenn ich unrecht habe?«

Er sah auf seine Uhr. »Um elf Uhr werde ich die Gruppenmitglieder einweisen. Ich möchte, daß Sie mitkommen und mir sagen, was Sie von den Leuten halten«, sagte Barnes. »Schließlich haben wir die Empfehlungen Ihres ULF-Berichts befolgt.«

Ihr habt meine Empfehlungen befolgt, dachte Norman mit einem unguten Gefühl. Mein Gott, ich wollte doch damals nur mein Haus abzahlen.

»Ich wußte ja, daß Sie die Gelegenheit beim Schopf packen würden, sich davon zu überzeugen, wie Ihre Vorstellungen in die Praxis umgesetzt werden«, sagte Barnes. »Deswegen habe ich Sie auch als den Psychologen der Gruppe eingesetzt, obwohl ein jüngerer geeigneter wäre.«

»Ich weiß das zu schätzen«, sagte Norman.

»Das dachte ich mir«, sagte Barnes fröhlich lächelnd. Er streckte eine fleischige Hand aus. »Willkommen in der ULFGruppe, Dr. Johnson.«

Beth

Eine Ordonnanz brachte Norman zu seiner winzigen grauen Kabine, die viel mit einer engen Gefängniszelle gemein hatte. Sein Übernachtungsköfferchen lag auf der Koje. In der Ecke stand ein Datenendgerät mit einer Tastatur. Daneben ein dickes, blau eingebundenes Handbuch.

Norman setzte sich auf die Koje. Sie fühlte sich hart und unbequem an. Er lehnte sich gegen ein Leitungsrohr, das an der Wand entlanglief.

»Hallo, Norman«, sagte eine leise Stimme. »Schön zu sehen, daß sie dich hier auch mit reingezogen haben. Schließlich hast du uns die Suppe ja eingebrockt, nicht wahr?« Eine Frau stand im Türrahmen.

Beth Halpern, die Zoologin des Teams, schien aus lauter Gegensätzen zu bestehen. Sie war sechsunddreißig, hochgewachsen und kantig, doch trotz ihrer scharfen Züge und ihres beinahe männlich wirkenden Körpers konnte man sie hübsch nennen. Seit Norman sie vor einigen Jahren zuletzt gesehen hatte, schien sie ihre männliche Seite noch stärker betont zu haben. Als Ergebnis ihrer Bemühungen - sie hob Gewichte und machte Langstreckenläufe - traten Venen und Muskeln an Hals und Unterarmen sichtbar hervor. Auch ihre in Shorts steckenden Beine waren muskulös. Ihr kurzes Haar war kaum länger als das eines Mannes.

Gleichzeitig aber trug sie Schmuck und Make-up und konnte sich in betörender Weise bewegen. Ihre Stimme war sanft, und sie hatte große feuchte Augen, vor allem dann, wenn sie über die Lebewesen sprach, mit denen sie sich bei ihrer Forschungsarbeit beschäftigte. Bei solchen Gelegenheiten wirkte sie fast mütterlich. Einer ihrer Kollegen an der Universität von Chicago hatte sie als »muskelbepackte Mutter Natur« bezeichnet.

Norman erhob sich, und sie küßte ihn flüchtig auf die Wange.

»Ich bin gleich nebenan untergebracht und hab dich kommen hören. Wie lange bist du schon hier?«

»Etwa eine Stunde. Ich bin noch richtig benommen«, sagte Norman. »Glaubst du die Geschichte? Hältst du sie für wahrscheinlich?«

»Ich glaube, was ich sehe.« Sie wies auf das blaue Handbuch neben seinem Computerbildschirm.

Norman nahm es zur Hand: Verhaltensvorschriften bei geheimen militärischen Einsätzen. Er durchblätterte die zahlreichen Seiten mit juristischem Kauderwelsch.

»Im großen und ganzen läuft es darauf hinaus«, erklärte Beth, »daß du den Mund halten mußt, wenn du nicht eine ganze Weile in einem Militärgefängnis brummen willst. Da auch Telefonieren streng verboten ist, muß an der Sache wohl was dran sein.«

»Du meinst also, daß da unten tatsächlich ein Raumschiff liegt?«

»Irgend etwas liegt da unten. Ich finde es ziemlich aufregend.« Sie sprach jetzt rascher. »Allein schon für die Biologie eröffnet das überwältigende Möglichkeiten - alles, was wir über das Leben wissen, gründet sich auf Untersuchungen der Lebensformen unseres eigenen Planeten, die aber sind in gewisser Hinsicht alle gleich. Lebewesen, von Algen bis zum Menschen, folgen im Grunde demselben Bauplan, gehen auf dieselbe DNS zurück. Jetzt haben wir möglicherweise die Aussicht, auf Lebensformen zu stoßen, die ganz und gar anders sind, und zwar in jeder Beziehung. Das ist schon spannend.«

Norman nickte. Er dachte an etwas anderes. »Was hast du über Anrufe gesagt? Es gehen keine rein und keine raus? Ich habe Ellen versprochen, daß ich mich melde.«

»Nun, ich wollte meine Tochter anrufen, und sie haben behauptet, keine Nachrichtenverbindung zum Festland zu haben. Wer's glaubt ... Die Navy hat mehr Satelliten als Admirale, und trotzdem behaupten sie steif und fest, nach draußen sei keine Leitung frei. Barnes hat gesagt, gegen ein Telegramm hätte er nichts. Basta.«

»Wie alt ist Jennifer jetzt eigentlich?« erkundigte sich Norman, froh, daß ihm der Name noch rechtzeitig eingefallen war. Wie hieß ihr Mann noch gleich? Physiker, erinnerte sich Norman, jedenfalls etwas in der Art. Sandblondes Haar. Trug Bart und Fliege.

»Neun. Sie spielt schon in der Baseballkinderliga. Nicht gerade eine große Leuchte in der Schule, aber eine ausgezeichnete Werferin.« Es klang stolz. »Und wie steht's bei dir zu Hause? Ellen .«

»Geht es gut, und den Kindern auch. Tim studiert seit zwei Jahren in Chicago, und Amy ist in Andover. Und was macht .«

»George? Wir sind seit drei Jahren geschieden«, sagte sie. »Er ist für ein Jahr zum CERN nach Genf gegangen, hat da nach exotischen Elementarteilchen gesucht, und er scheint gefunden zu haben, worauf er scharf war. Sie ist Französin. Er sagt, sie kocht gut.« Sie zuckte die Schultern. »Meine Arbeit läuft gut. Im vergangenen Jahr habe ich Kopffüßler untersucht - also Tintenschnecken wie zum Beispiel Kalmare und Tintenfische.«

»Und?«

»Die Sache macht Spaß. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man die freundliche Intelligenz dieser Geschöpfe erfaßt. Kraken sind klüger als Hunde - wußtest du das? Wahrscheinlich wären sie viel bessere Haustiere. Es sind unvorstellbar kluge und empfindsame Tiere, nur sehen wir sie nicht so.«

»Und ißt du noch Tintenfisch?« fragte Norman.

»O Norman«, gab sie lächelnd zurück, »denkst du immer noch bei allem ans Essen?«

»Soweit möglich, ja«, sagte Norman und klopfte sich auf den Bauch.

»Nun, hier wird es dir nicht zusagen. Es schmeckt abscheu-lich. Aber die Antwort heißt nein«, sagte sie und ließ die Knöchel ihrer Finger knacken. »Nach allem, was ich inzwischen über diese Tiere weiß, könnte ich nie und nimmer eins von ihnen essen. Übrigens: Was weißt du über Hal Barnes?«

»Nichts, warum?«

»Ich hab mich ein bißchen umgehört. Er soll gar nicht mehr aktiver Marineoffizier sein.«

»Also pensioniert?«

»Ja, seit '81. Er hat vor seiner Zeit bei der Navy Raumfahrttechnik am Cal Tech studiert und nach seiner Pensionierung eine Weile für den Flugzeughersteller Grumman gearbeitet. Danach war er im Wissenschaftsausschuß der Navy bei der Nationalen Akademie und später als Staatssekretär im Pentagon für die Beschaffung von Waffensystemen zuständig. Außerdem war er Mitglied im Wissenschaftsausschuß für Verteidigung, der die Vereinigten Stabschefs und den Verteidigungsminister berät.«

»Wobei berät?«

»Bei Waffenkäufen«, sagte Beth. »Er gehört zu den Leuten im Pentagon, die der Regierung. Empfehlungen für den Ankauf von Waffensystemen vorlegen. Was also hat er bei diesem Projekt zu suchen?«

»Keine Ahnung«, sagte Norman. Er hatte sich wieder auf seine Koje gesetzt und schleuderte die Schuhe von den Füßen. Mit einemmal war er müde. Beth lehnte sich gegen den Türrahmen.

»Du siehst aus, als ob du gut in Form wärst«, sagte Norman. Sogar ihre Hände wirken kräftig, dachte er.

»Ist doch unter diesen Umständen ganz gut«, sagte Beth. »Ich sehe dem Kommenden mit viel Zuversicht entgegen. Und du? Meinst du, du bist der Sache gewachsen?«

»Ich? Warum nicht?« Er sah auf seinen rundlichen Bauch hinab. Ellen drängte ihn immer, etwas dagegen zu unternehmen, und obwohl er von Zeit zu Zeit genug Energie aufbrachte, einige Tage lang ein bißchen Sport zu treiben, schien er seinen Bauch nicht loswerden zu können. Eigentlich lag ihm auch nicht besonders daran. Er war dreiundfünfzig und Lehrstuhlinhaber - wozu also?

Dann fiel ihm etwas ein: »Was meinst du damit, daß du dem Kommenden mit Zuversicht entgegensiehst? Was kommt denn?«

»Nun, bisher sind es nur Gerüchte. Aber deine Anwesenheit scheint sie zu bestätigen.«

» Was für Gerüchte?«

»Wir sollen da runter«, sagte Beth.

»Wo runter?«

»Auf den Meeresboden. Zu dem Raumschiff.«

»Aber das liegt doch in dreihundert Metern Tiefe. Sie erkunden es mit Tauchrobotern.«

»Heutzutage ist eine Tiefe von dreihundert Metern nichts Besonderes mehr«, sagte Beth, »technisch kein Problem. Augenblicklich sind Marinetaucher unten. Es heißt, sie richten da eine Art Wohn- und Arbeitsanlage ein, damit wir nach unten gehen und eine Woche oder so auf dem Meeresboden leben und das Raumschiff öffnen können.«

Mit einemmal lief Norman ein kalter Schauer über den Rük-ken. Bei seiner Arbeit für das Bundesluftfahrtamt hatte er Schrecken aller Art erlebt. So war er einmal bei der Untersuchung eines Absturzes in der Nähe von Chicago, bei dem die Trümmer über einen riesigen Acker verstreut lagen, auf etwas Weiches getreten. Zuerst hatte er es für einen Frosch gehalten, aber es erwies sich als abgetrennte Kinderhand, die mit der Innenfläche nach oben lag. Ein anderes Mal hatte er den verkohlten Körper eines Mannes gesehen, der mitsamt dem Sitz, in dem er noch angegurtet war, in den Garten eines Vorstadthauses geschleudert worden war, wo er aufrecht neben einem kleinen Gummischwimmbecken für Kinder saß. Und in Dallas hatte er gesehen, wie die Leute des Räumteams auf den

Dächern der Vorstadthäuser Leichenteile zusammengesucht und in Säcke verstaut hatten ...

Wer in einer Untersuchungsgruppe an Flugzeugabsturzstellen arbeitete, mußte sich psychisch stark gegen solche Augenblicke wappnen, um nicht davon überwältigt zu werden. Aber eine physische Gefährdung gab es dabei nie; was man riskierte, waren einzig und allein Alpträume.

Nun aber bestand die Aussicht, dreihundert Meter unter dem Meeresspiegel ein Raumschiffwrack zu untersuchen.

»Fehlt dir was?« fragte Beth. »Du siehst so blaß aus.«

»Ich hatte nicht gewußt, daß wir da runter sollen.«

»Nur unbestätigte Gerüchte«, sagte Beth. »Ruh dich aus, Norman. Ich glaube, du kannst es brauchen.«

Die Einweisung

Das ULF-Team traf sich kurz vor elf im Besprechungsraum. Norman war neugierig, zum erstenmal die Leute, die er vor sechs Jahren einzeln ausgewählt hatte, als Gruppe beisammen zu sehen.

Ted Fielding war ein gutaussehender vierschrötiger Mann, der mit vierzig Jahren noch recht jungenhaft wirkte und sich in Shorts und Polohemd wohl zu fühlen schien. Als Astrophysiker am LDT in Pasadena, dem Labor für Düsentriebwerke, hatte er wichtige Arbeit für die planetarische Stratigraphie des Merkur und des Mondes geleistet. Am bekanntesten aber war er durch seine Untersuchung der Marskanäle Mangala Vallis und Valles Marineris geworden. Diese am Marsäquator liegenden Schluchten waren mit einer Länge von viertausend Kilometern und einer Tiefe von viertausend Metern zehnmal so lang und doppelt so tief wie der Grand Canyon. Fielding hatte als einer der ersten daraus gefolgert, daß seiner Zusammensetzung nach keineswegs Mars der der Erde ähnlichste Planet war, wie man ursprünglich angenommen hatte, sondern der winzige Merkur, dessen Magnetfeld dem der Erde glich.

Fielding wirkte offen, munter und wichtigtuerisch. Da er am LDT bei jedem Vorbeiflug eines Raumfahrzeugs im Fernsehen aufgetreten war, genoß er eine gewisse Bekanntheit. Er hatte vor kurzem in zweiter Ehe eine beim Fernsehen tätige Wetteransagerin aus Los Angeles geheiratet; sie hatten einen kleinen Sohn.

Schon seit langem vertrat er mit Nachdruck die Ansicht, daß außerhalb unseres Universums Leben existiere, und so gehörte er zu den Befürwortern des SAI-Programms zur Suche nach außerirdischer Intelligenz. Andere Wissenschaftler sprachen im Zusammenhang damit von Zeitverschwendung und hinausgeworfenem Geld. Jetzt lächelte Ted glücklich zu Norman hinüber.

»Ich hab ja immer gewußt, daß es mal dazu kommen würde -früher oder später würden wir den Beweis für die Existenz intelligenten Lebens auf anderen Planeten in Händen halten. Endlich ist es soweit, Norman. Ein bedeutender Augenblick. Ich bin besonders angetan von der Form.«

»Von welcher Form?«

»Der des Objekts da unten.«

»Was ist denn damit?« Norman hatte nichts darüber gehört.

»Ich hab mir im Monitorraum die Videoaufnahmen der Roboter angesehen. Sie fangen langsam an, die Gestalt des unter den Korallen liegenden Objekts zu erfassen. Es ist nicht rund, also ist es schon mal keine fliegende Untertasse,« sagte Ted. »Gott sei Dank. Vielleicht stopft das den Geistersehern das Maul.« Er lächelte. »>Wer da harret und glaubet, wird gar köstlichen Lohn empfangen< - und jetzt ist es soweit.«

»Stimmt wohl«, sagte Norman. Er war nicht ganz sicher, worauf Ted sich gerade bezog, aber es war bekannt, daß er gern Literarisches zitierte. Ted begriff sich als eine Art Renaissancemensch, und gelegentlich in seine Rede eingestreute Zitate, zum Beispiel aus Werken Shakespeares, Rousseaus oder Lao-tses, sollten andere daran erinnern. Ted war dabei jedoch überaus gutmütig; jemand hatte ihn einmal als »Werbeonkel« bezeichnet. Das galt auch für seine Sprechweise. Ted Fielding war von einer ungespielten, geradezu naiven Schlichtheit des Gemüts, die andere für ihn einnahm. Norman mochte ihn.

Bei Harry Adams, dem reservierten Mathematiker aus Princeton, den er seit sechs Jahren nicht gesehen hatte, war er nicht so sicher. Harry war ein hochgewachsener, dürrer Farbiger, der über seiner Nickelbrille beständig ein mißbilligendes Stirnrunzeln zur Schau trug. Sein T-Shirt verkündete Mathematiker machen es richtig<. So etwas trugen eigentlich Studenten, und Adams wirkte in der Tat jünger als seine dreißig Jahre. Er war mit Abstand das jüngste Mitglied der Gruppe - und womöglich das wichtigste.

Viele Wissenschaftler behaupteten, eine Kontaktaufnahme mit Außerirdischen würde sich als unmöglich herausstellen, da die Menschen nichts mit ihnen gemein hätten. Sie wiesen darauf hin, daß nicht nur der Körper des Menschen das Ergebnis einer langwierigen Evolution sei, sondern auch sein Denken. Da sich beides ohne weiteres ganz anders hätte entwickeln können, sei die Art, wie wir das Universum betrachten, keineswegs die einzig mögliche.

Man dürfe keinesfalls vergessen, daß es dem Menschen bereits schwerfiel, in Beziehung zu intelligenten Geschöpfen auf der Erde zu treten, beispielsweise zu Delphinen, einfach weil diese in einer anderen Umgebung leben und sich ihr Sinnesapparat von unserem unterscheidet.

Dabei könnten Mensch und Delphin angesichts der ungeheuren Unterschiede zwischen irdischen und außerirdischen Geschöpfen als geradezu identisch erscheinen - immerhin wäre jene das Ergebnis einer in Milliarden Jahren unter den Verhält-nissen einer abweichenden planetarischen Umwelt vollzogenen anderen Entwicklung. Ein solches außerirdisches Geschöpf würde die Welt vermutlich nicht so sehen wie wir, wenn es sie überhaupt sah. Vielleicht wäre es blind und nahm die Welt vermittels eines hochentwickelten Geruchs-, Temperatur- oder Tastsinnes wahr, wenn es nicht sogar auf Druckunterschiede reagierte. Möglicherweise könnte man zu einem solchen Geschöpf keine Beziehung aufnehmen, gäbe es keinerlei Gemeinsamkeit. Wie sollte man beispielsweise einer blinden Wasserschlange das Gedicht >Füllest wieder Busch und Tal< erklären?

Doch ein Wissensgebiet hätten wir höchstwahrscheinlich mit den Außerirdischen gemeinsam, die Mathematik. Also würde der Mathematiker des Teams eine ausschlaggebende Rolle spielen. Norman war auf Adams verfallen, weil dieser trotz seiner Jugend bereits wichtige Ergebnisse auf verschiedenen Teilgebieten der Mathematik vorzuweisen hatte.

»Was halten Sie von der Geschichte?« fragte er und setzte sich neben ihn.

»Reine Zeitverschwendung«, sagte Harry.

»Und das Leitwerksteil, das sie da unten gefunden haben?«

»Ich weiß nicht, was es ist, aber was es nicht ist, weiß ich genau - ein Raumfahrzeug aus einer anderen Zivilisation.«

Ted, der in der Nähe stand, wandte sich verärgert ab. Offenkundig hatte Harry mit ihm bereits dieselbe Unterhaltung geführt.

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Norman.

»Eine einfache Berechnung«, sagte Harry mit einer lässigen Handbewegung. »Geradezu banal. Kennen Sie die Drake-Gleichung?«

Norman kannte sie. Es war eins der berühmten Konzepte in der Literatur über außerirdisches Leben. Doch er sagte: »Helfen Sie mir auf die Sprünge.«

Ergeben seufzend nahm Harry ein Blatt Papier zur Hand. »Es

ist eine Wahrscheinlichkeitsgleichung.« Er schrieb:

w = fpZbffifv

»Das bedeutet«, erläuterte er, »die Wahrscheinlichkeit w dafür, daß in irgendeinem Sternensystem intelligentes Leben entsteht, hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, daß das System über Planeten verfügt, von der Zahl der davon bewohnbaren Planeten, von der Wahrscheinlichkeit, daß sich auf einem von ihnen einfache Lebensformen herausbilden, von der Wahrscheinlichkeit, daß daraus intelligentes Leben entsteht und schließlich von der Wahrscheinlichkeit, daß intelligente Lebensformen im Verlauf von fünf Milliarden Jahren versuchen, mit anderen Sternensystemen Verbindung aufzunehmen. Das ist alles.«

»Mhm«, sagte Norman.

»Aber der Haken bei der Sache ist, daß wir keine Fakten zur Hand haben«, sagte Harry. »Über jede einzelne dieser Wahrscheinlichkeiten lassen sich nur Vermutungen anstellen. Man kann dabei natürlich, wie Ted, eine Richtung wählen, der Phantasie die Zügel schießen lassen und dann zu dem Schluß kommen, daß es wahrscheinlich Tausende intelligenter Zivilisationen gibt. Ebenso leicht kann man, wie ich, vermuten, daß es wohl nur eine einzige Zivilisation gibt - unsere.« Er schob das Blatt beiseite. »In dem Fall aber stammt das Ding da unten, was immer es auch sein mag, nicht von einer fremden Zivilisation. Also vergeuden wir alle unsere Zeit hier.«

»Und was liegt Ihrer Ansicht nach da unten?« beharrte Norman.

»Eine absurde Manifestation romantischer Hoffnung«, sagte Adams und rückte sich die Brille zurecht. Sein ungehaltenes Benehmen verwunderte Norman. Noch vor sechs Jahren war Harry Adams ein ehemaliger Straßenjunge gewesen, den seine auffallende Begabung aus einer zerrütteten Familie in den Slums von Philadelphia auf Princetons kurzgeschorenen grünen Rasen katapultiert hatte. Damals war Harry zu Spaßen aufgelegt gewesen, die plötzliche Wende in seinem Leben hatte ihn belustigt. Warum war er jetzt so schroff?

Harry Adams war ein ungewöhnlich begabter Wissenschaftler. Sein Ruf gründete sich auf WahrscheinlichkeitsDichtefunktionen in der Quantenmechanik. Adams hatte diese komplizierten Berechnungen bereits mit siebzehn Jahren durchgeführt - für Norman waren sie böhmische Dörfer, doch den Mann, der dahintersteckte, verstand er durchaus, und dieser Harry Adams wirkte jetzt angespannt und empfindlich. Er schien sich hier unbehaglich zu fühlen.

Vielleicht hatte es damit zu tun, daß er einer Gruppe angehörte. Norman hatte sich besorgt gefragt, wie das Wunderkind Harry sich einfügen würde.

Eigentlich gab es nur zweierlei Wunderkinder - mathematische und musikalische. Einige Psychologen behaupteten wegen der engen Verwandtschaft zwischen Mathematik und Musik sogar, es gebe nur eine Art. Zwar waren manche frühreife Kinder auch auf Gebieten wie Schriftstellerei, Malerei und Sport hochbegabt, doch nur in der Mathematik und der Musik vermochten Kinder die Leistungen von Erwachsenen zu erreichen. Psychologisch gesehen waren solche Kinder komplexe Fälle: häufig Einzelgänger, von ihresgleichen und ihrer Familie durch ihre Begabung getrennt, deretwegen man sie zugleich bewunderte und zurückwies. In bezug auf Fähigkeiten, die im Sozialisationsprozeß erworben werden, blieben sie oft zurück, was eine Mitarbeit in Gruppen schwierig gestaltete. Da Harry aus einem Elendsviertel stammte, dürften diese Probleme bei ihm eher noch verstärkt hervorgetreten sein. Er hatte Norman einmal erzählt, als er sich die FourierTransformationen aneignete, hätten sich seine Altersgenossen auf der Straße herumgeprügelt. Gut möglich, daß Harry sich in der Gruppe nicht wohl fühlte.

Doch da gab es offenbar noch etwas anderes ... Harry wirkte beinahe wütend.

»Warten Sie's ab«, sagte er jetzt. »In einer Woche wird sich zeigen, daß alles ein falscher Alarm war. Ein Sturm im Wasserglas.«

Wunschdenken, dachte Norman und überlegte erneut, was der Grund für Harrys Ärger sein mochte.

»Also ich finde es aufregend«, sagte Beth Halpern und lächelte strahlend. »Für mich hat selbst die geringste Aussicht, neues Leben zu entdecken, etwas Spannendes.«

»Das sehe ich auch so«, sagte Ted. »Immerhin, Harry, gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.«

Norman warf einen Blick auf das letzte Mitglied der Gruppe, den Meeresbiologen Arthur Levine. Er war rundlich, hatte ein blasses Gesicht und wirkte zurückgezogen, als sei er ausschließlich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Norman wollte gerade Levine nach seiner Meinung fragen, als Captain Barnes mit einem Stapel Akten unter dem Arm hereinkam.

»Willkommen am Ende der Welt«, begrüßte sie Barnes, »wo Sie nicht mal die Toiletten benutzen können.« Alle lachten nervös. »Es tut mir leid, daß ich Sie warten lassen mußte«, fuhr er fort, »und da wir nicht viel Zeit haben, sollten wir uns gleich an die Arbeit machen. Könnte mal jemand das Licht ausschalten?«

Das erste Dia zeigte ein großes Schiff mit einem komplizierten Heckaufbau.

»Die Rose Sealady«, sagte Barnes. »Ein von der Transpac Communications gecharterter Kabelleger, der eine Unterwassertelefonleitung von Honolulu nach Sydney legen sollte. Sie ist am 29. Mai von Hawaii ausgelaufen und hatte am 16. Juni West-Samoa in der Mitte des Pazifiks erreicht. Auf der Trommel hatte sie ein neues Glasfaserkabel, das zwanzigtausend Telefongespräche gleichzeitig übertragen kann. Es ist mit einer ungewöhnlich zähen und bruchfesten Metall- und Kunststoffhülle ummantelt. Bereits mehr als viertausendsechshundert Seemeilen Kabel waren ohne Zwischenfälle im Pazifik verlegt worden. Nächstes Bild.«

Eine Karte des Pazifik wurde sichtbar, auf der ein großer roter Fleck prangte.

»Am 17. Juni befand sich das Schiff um zehn Uhr abends hier, halbwegs zwischen Pago Pago auf Amerikanisch-Samoa und Viti Levu auf den Fidschi-Inseln, als ein Ruck es durchfuhr. Alarm ertönte, und die Besatzung stellte fest, daß sich das Kabel irgendwo verhakt hatte und gerissen war. Sofort suchten die Leute auf der Seekarte nach Unterwasserhindernissen, konnten aber keine finden. Sie holten das Kabelende herauf, was mehrere Stunden dauerte, da sie zur Zeit des Unfalls schon mehr als eine Seemeile über die Rißstelle hinaus verlegt hatten. Bei näherer Inaugenscheinnahme zeigte sich, daß das Kabel glatt durchtrennt worden war - >wie mit einer riesigen Scherec, war der Kommentar eines Besatzungsmitgliedes. Nächstes Bild.«

Die rauhe Hand eines Seemanns hielt ein Stück Glasfaserkabel vor die Kamera.

»Sie können sehen, daß die Art des Bruchs ein künstliches Hindernis annehmen läßt. Die Rose ist nordwärts über die Stelle zurückgefahren, an der es passiert ist. Nächstes Bild.«

Es zeigte eine Vielzahl gezackter schwarz-weißer Linien mit einem Bereich kleiner Spitzen.

»Das ist die vom Schiff aus gemachte Original-Sonarortung. Für jemanden, der so was nicht lesen kann, läßt sie sich schwer erläutern, aber man kann hier das schmale, messerscharfe Hindernis erkennen. Eine scharfe metallene Kante von einem gesunkenen Flugzeug oder Schiff könnte das Kabel durchtrennt haben.

Also hat sich die Charterfirma Transpac Communications, wie es in solchen Fällen üblich ist, an die Navy gewandt, um zu erfahren, ob wir etwas über das Hindernis wüßten. Immerhin könnte es sich dabei ja um ein gesunkenes Schiff mit Sprengstoff an Bord handeln, und natürlich möchten die Leute von der Kabellegegesellschaft das wissen, bevor sie mit der Reparatur anfangen. Aber die Navy hatte nichts über das Hindernis in den Unterlagen, und gerade das hat die Sache für uns interessant gemacht.

Wir haben sofort unser nächstes Suchschiff in Marsch gesetzt, die Ocean Explorer. Sie lag zu jener Zeit in Melbourne und war am 21. Juni vor Ort. Der Grund für das Interesse der Navy war die Möglichkeit, daß es sich bei dem Hindernis um ein gesunkenes, mit SY-2-Raketen ausgerüstetes chinesisches Atom-U-Boot der Wuhan-Klasse handeln könnte, denn im Mai 1984 haben die Chinesen in etwa jenem Gebiet ein solches U-Boot verloren. Beim Abtasten des Meeresbodens mit einem seitwärts suchenden Unterwasser-Ortungsgerät hat die Ocean Explorer dies Bild hier geliefert.«

Die farbige Abbildung wirkte in ihrer Schärfe nahezu dreidimensional.

»Wie Sie sehen, ist der gesamte Meeresboden eben, mit Ausnahme einer einzigen dreieckigen Leitwerkflosse, die etwa neunzig Meter über ihn emporragt. Sie sehen sie hier«, sagte er und wies darauf. »Sie ist erheblich größer als jedes Trag-werksteil eines in den Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion hergestellten Flugzeugtyps, und wir haben zuerst gerätselt, was es sein könnte. Nächstes Bild.«

Man sah, wie von einem Kran ein UnterwasserRoboterfahrzeug an der Seite eines Schiffs ins Wasser gelassen wurde. Es schien aus einer Vielzahl waagerecht verlaufender Rohre zu bestehen, in deren Mitte Kameras und Scheinwerfer installiert waren.

»Am 24. Juni hatte die Navy Neptun IV an Ort und Stelle; sie hat ferngesteuerte Tauchroboter an Bord. FF Scorpion, das Sie hier sehen, wurde hinabgelassen, um das Leitwerksteil zu fotografieren. Es lieferte ein Bild, das deutlich eine Art Steuerfläche zeigt. Hier sehen Sie es.«

In der Gruppe erhob sich Gemurmel. Auf einem grell ausgeleuchteten Farbbild ragte von einer ebenen Korallenfläche eine graue Flosse auf. Sie war scharfkantig und sah aus wie ein Flugzeugteil, lief spitz zu und war deutlich erkennbar ein Artefakt.

»Sie werden bemerken«, sagte Barnes, »daß der Meeresboden in diesem Gebiet aus dichten, abgestorbenen Korallen besteht. Der Flügel oder das Leitwerksteil verschwindet darin, und das legt die Vermutung nahe, daß darunter der eigentliche Flugkörper liegen muß. Wir haben mit einem Seitensuchsonar mit besonders hoher Auflösung den Meeresboden an dieser Stelle erkundet, um unterhalb der Korallen den Umriß zu erkennen. Nächstes Bild.«

Ein weiteres farbiges Sonarbild, diesmal nicht aus Linien, sondern aus kleinen Punkten zusammengesetzt.

»Wie Sie sehen, scheint das Leitwerksteil an einem zylindrischen Gegenstand angebracht zu sein, der unter den Korallen liegt. Das Objekt hat einen Durchmesser von zweiundsechzig Metern und erstreckt sich über neunhundert Meter nach Westen, bevor es in einer Spitze zuläuft.«

Erneut ertönte Gemurmel aus der Zuhörerschaft.

»Ja, Sie haben richtig gehört«, bestätigte Barnes, »der zylindrische Gegenstand ist fast einen Kilometer lang. Seine Gestalt entspricht nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen der einer Rakete oder eines Raumschiffs; dennoch haben wir es vorsichtshalber von Anfang an als >die Anomalie< bezeichnet.«

Norman sah zu Ted hinüber, der zur Projektionswand emporlächelte. Neben Ted runzelte Harry Adams in der Dunkelheit die Stirn und schob seine Brille zurecht.

Dann erlosch die Projektionslampe. Der Raum lag im Dunkeln. Man hörte ein Aufstöhnen, und Barnes schimpfte: »Verdammt noch mal, nicht schon wieder!« Jemand tastete sich zur

Tür, ein helles Rechteck wurde sichtbar.

Beth beugte sich zu Norman und sagte: »Denen fällt hier dauernd der Strom aus. Ist doch beruhigend, nicht?«

Augenblicke später wurde die Projektionswand wieder hell, und Barnes fuhr fort. »Am 25. Juni trennte ein ferngesteuertes Fahrzeug der Klasse SCARAB ein Stück aus dem Leitwerksteil und brachte es an die Oberfläche. Die Untersuchung ergab, daß es aus einer Titanlegierung in einer Epoxydharz-Wabenstruktur bestand. Die zur Herstellung einer Verbindung von Metall und Kunststoffen erforderlichen technischen Verfahren waren bisher auf der Erde unbekannt.

Fachleute haben bestätigt, daß das Leitwerksteil keinesfalls auf unserem Planeten entstanden sein kann - wir wären wohl erst in zehn oder zwanzig Jahren so weit, etwas in der Art herzustellen.«

Harry Adams knurrte, beugte sich vor und notierte etwas auf seinem Block.

Unterdessen, erläuterte Barnes, brachten weitere Roboterfahrzeuge Sprengladungen auf dem Meeresboden an. Die Auswertung des durch Fernzündung künstlich hervorgerufenen Seebebens hat gezeigt, daß die im Meeresboden verborgene Anomalie aus Metall bestand, hohl war und über einen komplexen inneren Aufbau verfügte.

»Nach zwei Wochen gründlicher Untersuchung«, sagte Barnes, »sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich bei der Anomalie um eine Art Raumfahrzeug handeln mußte.«

Die endgültige Bestätigung kam am 27. Juni von den Geologen. Die von ihnen untersuchten Bohrkernproben aus dem Meeresgrund zeigten, daß der Boden dort ursprünglich deutlich höher gelegen hatte, vielleicht in einer Tiefe von fünfundzwanzig oder dreißig Metern. Das würde den Korallenbewuchs erklären, der das Fahrzeug durchschnittlich vier Meter hoch bedeckt. Daher, sagen die Geologen, müsse das Objekt mindestens dreihundert Jahre und vielleicht auch weit länger dort gelegen haben, wobei alles zwischen fünfhundert bis hin zu fünftausend Jahren möglich ist.

»Äußerst zögernd«, fuhr Barnes fort, »hat sich die Navy zu der Schlußfolgerung durchgerungen, daß wir da in der Tat auf ein Raumfahrzeug aus einer anderen Zivilisation gestoßen waren. Der Präsident hat bei einer Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrats entschieden, daß es geöffnet werden soll, und so hat man am 29. Juni die ULF-Gruppe einberufen.

Am 1. Juli wurde in der Nähe der Fundstelle das Unterwas-serhabitat DH-7 auf den Meeresboden hinabgelassen. In ihm arbeiten sieben Marinetaucher in einer saturierten EdelgasAtmosphäre. Sie haben Bohrarbeiten zur weiteren Erkundung durchgeführt. So, damit wären Sie über den gegenwärtigen Stand der Dinge im Bilde«, schloß Barnes. »Noch Fragen?«

Ted meldete sich. »Weiß man schon etwas über den inneren Aufbau des Raumfahrzeugs?«

»Bisher noch nicht. Es scheint so gebaut zu sein, daß Druckwellen um die Außenschale herumgeleitet werden, die ungewöhnlich kräftig und zweckmäßig gestaltet ist. Daher haben die seismischen Versuche kein klares Bild über das Innere ergeben.«

»Und was ist mit passiven Verfahren? Haben die einen Blick ins Innere ermöglicht?«

»Wir haben alles versucht«, sagte Barnes. »Gravitometrische Analyse - ergebnislos. Thermographie - ergebnislos. Genaue Resistivitätsuntersuchung - ergebnislos. Protonen-Präzisionsmagnetometer - ergebnislos.«

»Und Horcheinrichtungen?«

»Vom ersten Tag an hatten wir Hydrophone auf dem Meeresboden. Aus dem Objekt sind bisher keinerlei Geräusche gekommen.«

»Was ist mit anderen ferngesteuerten Erkundungsverfahren?«

»Die meisten arbeiten mit radioaktiver Strahlung, und wir zögern gegenwärtig noch, das Objekt einer solchen Strahlung auszusetzen.«

Harry sagte: »Captain Barnes, wie ich sehe, ist das Leitwerksteil offenbar unbeschädigt, wie auch der Rumpf ein vollkommener Zylinder zu sein scheint. Sind Sie der Überzeugung, daß dies Objekt in den Ozean gestürzt ist?«

»Ja«, sagte Barnes, wobei er unbehaglich dreinsah.

»Das würde doch bedeuten, daß das Objekt einen Aufschlag auf das Wasser mit hoher Geschwindigkeit ohne Kratzer oder Beulen überstanden hat?«

»Nun, es ist ungewöhnlich stabil gebaut.«

Harry nickte. » Das müßte es auch sein ...«

»Was tun die Taucher eigentlich, die jetzt da unten sind?« fragte Beth.

»Sie suchen den Eingang«, lächelte Barnes. »Es blieb uns zunächst nichts anderes übrig, als auf die Verfahren der klassischen Archäologie zurückzugreifen. Wir durchziehen die Korallen mit Gräben, um eine Öffnung zu finden, durch die man hinein kann, eine Luke oder dergleichen. Wir hoffen, innerhalb der nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden Erfolg damit zu haben. Sobald es soweit ist, gehen Sie rein. Noch etwas?«

»Ja«, sagte Ted. »Wie haben die Russen auf diese Entdek-kung reagiert?«

»Wir haben es ihnen noch nicht gesagt«, gab Barnes zur Antwort.

»Sie haben es ihnen noch nicht gesagt?«

»Nein.«

»Aber es handelt sich doch hier um ein geradezu unglaubliches Ereignis in der Menschheitsgeschichte, einen Fall, der nicht seinesgleichen hat. Es geht nicht um die amerikanische Geschichte, sondern um die der ganzen Menschheit. Eine solche Sensation müssen wir doch mit allen Völkern der Erde teilen; das ist die Art Entdeckung, die die ganze Menschheit einigen könn -«

»Sagen Sie das dem Präsidenten«, unterbrach ihn Barnes. »Ich kenne seine Gründe nicht, aber so hat er entschieden. Weitere Fragen?«

Niemand sagte etwas. Die Mitglieder der Gruppe sahen einander an.

»Das wär's dann wohl«, schloß Barnes.

Das Licht ging an. Stühle wurden gerückt, die Zuhörer standen auf und streckten sich. Dann sagte Harry Adams: »Captain Barnes, ich muß sagen, daß ich erhebliche Einwände gegen diese Art der Einweisung habe.«

Barnes zeigte sich überrascht. »Was meinen Sie damit, Harry?«

Die anderen hielten inne und sahen Adams an. Er saß nach wie vor, sein Gesicht zeigte einen ärgerlichen Ausdruck. »Ist es Ihre Absicht, uns die Sache schonend beizubringen?«

»Wovon sprechen Sie?«

»Von der Tür.«

Barnes lachte unbehaglich. »Harry, ich habe doch gerade laut und deutlich gesagt, daß die Taucher Gräben ziehen, um sie zu suchen -«

»Ich würde sagen, daß Sie schon vor drei Tagen, als Sie die ersten von uns hierherbringen ließen, ziemlich genau wußten, wo sie zu suchen war, und ich gehe sogar so weit zu behaupten, daß Sie ihre Lage inzwischen wahrscheinlich genau kennen. Habe ich recht?«

Barnes sagte nichts. Er stand da, ein gefrorenes Lächeln auf dem Gesicht.

Großer Gott, dachte Norman und sah Barnes an. Harry hat recht. Zwar war bekannt, daß Harry ein außergewöhnlich logisch arbeitendes Gehirn besaß und über eine erstaunliche Fähigkeit zur Deduktion verfügte, aber Norman hatte ihn noch nie in Aktion gesehen.

»Ja«, sagte Barnes schließlich. »Sie haben recht.« »Die Lage der Tür ist also bekannt?«

»Ja.«

Nach einem Augenblick des Schweigens sagte Ted: »Aber das ist doch wunderbar, einfach großartig! Wann gehen wir runter, um uns das Raumschiff von innen anzusehen?«

»Morgen«, sagte Barnes, ohne seine Augen von Harry abzuwenden. Dieser hielt seinerseits den Blick unverwandt auf Barnes gerichtet. »Die Tauchboote bringen Sie morgen früh ab acht Uhr nach unten, immer zwei auf einmal - sie sind sehr klein.«

»Wie aufregend!« sagte Ted. »Phantastisch! Unglaublich.«

»Sie sollten also«, sagte Barnes, den Blick immer noch auf Harry geheftet, »alle zusehen, daß Sie sich ordentlich ausschlafen - wenn Sie können.«

»Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen, das zwingt uns stillzustehn«, bemühte Ted noch einmal Hamlet. Er hüpfte vor Aufregung buchstäblich auf seinem Stuhl auf und ab.

»Den Rest des Tages wird das technische und Versorgungspersonal bei Ihnen maßnehmen und Sie mit allem ausstaffieren, was Sie brauchen. Falls jemand weitere Fragen hat«, schloß Barnes, »finden Sie mich in meinem Büro.«

Er ging hinaus, und die anderen folgten ihm. Norman blieb mit Harry Adams zurück, der immer noch auf seinem Stuhl saß. Er sah dem Techniker zu, der die Leinwand zusammenrollte und einklappte.

»Das war eine eindrucksvolle Demonstration«, sagte Norman.

»Tatsächlich? Wieso?«

»Sie haben schließlich aus alldem abgeleitet, daß Barnes uns das mit der Tür verschwiegen hat.«

»Es gibt noch viel mehr, was er uns verschweigt«, sagte Adams kalt. »Er enthält uns alle wichtigen Informationen vor.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel«, sagte Harry und erhob sich, »ist es Captain

Barnes sehr wohl bekannt, warum der Präsident beschlossen hat, die Sache geheimzuhalten.«

»Wirklich?«

»Unter den gegebenen Umständen hatte er keine Wahl.«

»Was für Umstände sind das?«

»Der Präsident weiß, daß das Objekt da unten kein außerirdisches Raumschiff ist.«

»Sondern?«

»Das ist doch eigentlich völlig klar.«

»Mir nicht«, sagte Norman.

Adams lächelte zum erstenmal. Es war ein dünnes Lächeln, und es lag keinerlei Humor darin. »Sie würden es nicht glauben, wenn ich es Ihnen sagte«, sagte er und verließ den Raum.

Untersuchungen

Arthur Levine, der Meeresbiologe, arbeitete am ozeanographi-schen Institut in Wood's Hole in Massachusetts und war das einzige Mitglied des Teams, das Norman Johnson noch nicht kannte. Auch so etwas, das wir damals nicht bedacht haben, überlegte er. Er hatte seinerzeit angenommen, zu Kontakten mit unbekannten Lebensformen werde es an Land kommen, und die eine Möglichkeit, die eigentlich auf der Hand lag, nicht erwogen - daß ein Raumflugkörper, der ohne bestimmtes Ziel irgendwo auf der Erde niedergeht, am ehesten auf dem Wasser landen würde, da Ozeane immerhin siebzig Prozent der Erdoberfläche bedecken. Im Rückblick war es offensichtlich, daß das Expertenteam einen Meeresbiologen brauchen würde.

Was sich wohl im nachhinein noch alles als offensichtlich erweisen wird? grübelte er.

Levine lehnte sich über die Backbord-Reling. Als Norman ihm die Hand schüttelte, fühlte sie sich feucht an. Levine sah sehr ungesund aus und gestand Norman schließlich, daß er seekrank sei.

»Sie als Meeresbiologe sind seekrank?« fragte Norman.

»Gewöhnlich arbeite ich im Labor«, gab Levine zurück. »Auf festem Boden, wo sich nicht alles ständig bewegt. Was ist daran so lustig?«

»Entschuldigung«, sagte Norman.

»Sie halten wohl einen seekranken Meeresbiologen für eine komische Figur?«

»Es scheint irgendwie widersinnig.«

»Viele von uns werden seekrank«, sagte Levine. Sein Blick glitt über die See. »Sehen Sie nur dort hinaus: Tausende von Kilometern nichts.«

»Der Ozean.«

»Er ist mir unheimlich«, sagte Levine.

»Nun?« fragte Barnes, als er mit Norman wieder in seinem Arbeitsraum saß, »was halten Sie davon?«

»Wovon?«

»Von der Gruppe, zum Kuckuck.«

»Es ist die, die ich ausgewählt habe, nur eben sechs Jahre später. Im großen und ganzen eine gute Gruppe, bestimmt sehr tüchtig.«

»Ich möchte wissen, wer davon zusammenbrechen wird.«

»Warum sollte das passieren?« fragte Norman. Er sah Barnes an und bemerkte auf dessen Oberlippe einen dünnen Schweißfaden. Der Mann schien selbst unter großem Druck zu stehen.

»Nun, immerhin sollen sie dreihundert Meter unter dem Meeresspiegel unter äußerst beengten Verhältnissen leben und arbeiten«, gab Barnes zu bedenken. »Das ist ja wohl nicht dasselbe, als wenn ich mit Navytauchern da runtergehe - die sind dafür ausgebildet und haben sich in der Gewalt. Mein Gott, das da ist doch ein Haufen Wissenschaftler, reine

Zivilisten. Ich möchte nicht nur sicher sein, daß sie alle kerngesund und topfit sind, sondern auch, daß keiner von denen durchdreht.«

»Ich weiß nicht, ob Ihnen das klar ist, Captain, aber ein Psychologe kann nicht besonders genau voraussagen, wer durchdrehen wird.«

»Nicht mal, wenn es um Angst geht?«

»Ganz gleich, worum es geht.«

Barnes runzelte die Stirn. »Ich dachte, Angst sei Ihr Spezialgebiet.«

»Es ist einer meiner Forschungsschwerpunkte. Ich kann Ihnen zwar recht genau sagen, wer auf Grund seines Persönlichkeitsprofils unter Belastung starke Angst empfinden wird, nicht aber, wer dieser Belastung standhält und wer nicht.«

»Und wozu sind Sie dann nütze?« fragte Barnes gereizt. Er seufzte. »Es tut mir leid. Wollen Sie nicht einfach mit ihnen reden oder ein paar Tests mit ihnen machen?«

»Es gibt keine«, sagte Norman, »zumindest keine, die in dieser Hinsicht aussagekräftig wären.«

Barnes seufzte erneut. »Was ist mit Levine?«

»Der ist seekrank.«

»Unter Wasser gibt es keinerlei Bewegung, das spielt also keine Rolle. Was ist mit ihm persönlich?«

»An Ihrer Stelle würde ich mir da Sorgen machen«, sagte Norman.

»Ist zur Kenntnis genommen. Und Harry Adams? Er ist anmaßend.«

»Ja«, bestätigte Norman. »Aber das ist unter den von Ihnen genannten Bedingungen wahrscheinlich von Vorteil.« Untersuchungen hatten gezeigt, daß mit Belastungen am besten Menschen fertig wurden, die anderen nicht sympathisch waren -solche, die als arrogant, hochnäsig oder aufreizend selbstsicher eingestuft wurden.

»Schon möglich«, sagte Barnes. »Aber was ist mit seinem berühmten Forschungsbericht? Vor ein paar Jahren hat er zu den glühendsten Befürwortern der Suche nach außerirdischer Intelligenz gehört, und jetzt, wo wir was gefunden haben, steht er der Sache völlig ablehnend gegenüber. Erinnern Sie sich an seinen Aufsatz?«

Norman kannte ihn nicht und wollte das gerade sagen, als eine Ordonnanz hereinkam. »Captain Barnes, hier ist die neueste Aufnahme. Sie hatten sie angefordert.«

»In Ordnung«, sagte Barnes. Er warf einen Blick auf das Bild und legte es hin. »Was ist mit dem Wetter?«

»Unverändert, Sir. Die Satellitenberichte bestätigen, daß wir hier mit hundert bis hundertvierzig rechnen müssen, Sir.«

»Hol's der Teufel«, sagte Barnes.

»Schwierigkeiten?« wollte Norman wissen.

»Schlechtes Wetter«, sagte Barnes. »Vielleicht müssen wir die Versorgungsschiffe abziehen.«

»Heißt das, das Tauchunternehmen wird abgeblasen?«

»Nein«, sagte Barnes. »Das findet wie geplant morgen statt.«

»Warum nimmt Harry eigentlich an, daß es sich nicht um ein Raumschiff handelt?« fragte Norman.

Mit angespanntem Gesicht schob Barnes die Papiere über seinen Tisch. »Ich will Ihnen was sagen«, begann er, »er ist Theoretiker, aber mir geht es um nackte Tatsachen. Theorien sind gut und schön, aber daß da unten was verdammt Altes und verdammt Sonderbares liegt, ist die Wirklichkeit. Ich will wissen, was es ist.«

»Aber was kann es sein, wenn es kein außerirdischer Flugkörper ist?«

»Warten wir ab, bis wir unten sind, einverstanden?« Barnes warf einen Blick auf die Uhr. »Das zweite Unterwasser-Habitat müßte inzwischen auf dem Meeresboden verankert sein. In fünfzehn Stunden gehen wir runter. Bis dahin haben wir alle eine Menge zu tun.« »Bitte halten Sie einen Augenblick still, Dr. Johnson.« Norman spürte, wie zwei Meßspitzen seine Arme hinten unmittelbar über den Ellbogen erfaßten. »Nur ganz kurz ... in Ordnung. Sie können jetzt in das Bassin steigen.«

Der junge Marinearzt trat beiseite, und Norman, der völlig nackt war, kletterte die kurze Leiter zu dem randvoll mit Wasser gefüllten Bassin empor, das wie die militärische Ausführung eines Beckens für Unterwassermassage aussah. Als er sich hineingleiten ließ, lief es über.

»Wozu ist das gut?« erkundigte sich Norman.

»Entschuldigung, Dr. Johnson. Tauchen Sie bitte vollständig unter .«

»Was?«

»Nur für einen Augenblick, Sir .«

Norman atmete ein, tauchte unter, kam wieder herauf.

»In Ordnung, Sie können jetzt wieder herauskommen«, sagte der Arzt und hielt ihm ein Handtuch hin.

»Wozu ist das gut?« fragte Norman erneut, während er die Leiter hinabstieg.

»Wir müssen den genauen Fettgehalt Ihres Körpers kennen«, sagte der Arzt, »um Ihre Sat-Werte zu berechnen.«

»Meine Sat-Werte?«

»Ihre Saturationswerte, die Stickstoffaufnahme.« Der Arzt notierte etwas auf seinem Schreibbrett.

»Ach je«, sagte er. »Sie gehen über die Kurve hinaus.«

»Wieso?«

»Bewegen Sie sich viel, Dr. Johnson?«

»Mäßig.« Allmählich fühlte er sich in die Defensive gedrängt. Außerdem war das Handtuch zu klein und ließ sich nicht um die Hüften winden. Warum nur hatte die Marine so winzige Handtücher?

»Trinken Sie?«

»Mäßig.« Jetzt hatte er entschieden das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Kein Zweifel.

»Darf ich fragen, wann Sie zuletzt ein alkoholisches Getränk zu sich genommen haben, Sir?«

»Ich weiß nicht. Vor zwei, drei Tagen.« Es fiel ihm schwer, seine Erinnerung auf San Diego zu konzentrieren. Es schien lange her zu sein. »Warum?«

»In Ordnung, Dr. Johnson. Irgendwelche Schwierigkeiten mit den Gelenken, den Hüften oder den Knien?«

»Nein, warum?«

»Schwindel, Ohnmachtsanfälle, Bewußtseinsstörungen?«

»Nein .«

»Setzen Sie sich doch bitte kurz hierher, Sir.« Der Arzt wies auf einen Hocker neben einem elektronischen Gerät an der Wand.

»Es wäre mir wirklich lieb, wenn Sie meine Fragen beantworten würden«, sagte Norman.

»Sehen Sie einfach auf den grünen Punkt. Machen Sie beide Augen weit auf .«

Er spürte einen kurzen Luftzug an den Augen und blinzelte instinktiv. Ein Papierstreifen schob sich aus dem Gerät. Der Arzt riß ihn ab und warf einen Blick darauf.

»In Ordnung, Dr. Johnson. Folgen Sie mir bitte ...«

»Ich möchte, daß Sie mir sagen, was hier vor sich geht«, sagte Norman.

»Das verstehe ich, Sir, aber ich muß fertig werden. Um siebzehn Uhr ist Ihre nächste Einweisung.«

Norman lag auf dem Rücken, medizinische Helfer stachen Nadeln in beide Arme und eine weitere in die Leistenbeuge. Er schrie vor plötzlichem Schmerz auf.

»Das ist der schlimmste Teil, Sir«, sagte der Arzt und bedeckte die Spritzen mit Eisstückchen. »Halten Sie jetzt einfach die Watte da drauf .«

Auf seinen Nasenlöchern saß eine Klemme, zwischen den Zähnen hatte er ein Mundstück.

»Damit messen wir Ihr CO2«, sagte der Arzt. »Atmen Sie ganz normal aus. So ist es richtig. Tief einatmen, jetzt wieder ausatmen .«

Norman atmete aus. Er sah, wie sich eine Gummimembran hob und eine Nadel auf einer Skala emporschob.

»Versuchen Sie es noch einmal, Sir. Das können Sie bestimmt besser.«

Das glaubte Norman zwar nicht, aber er versuchte es trotzdem.

Ein weiterer Marinearzt betrat den Raum, in der Hand ein mit Zahlen bedecktes Blatt. »Das sind seine KW's«, sagte er.

Der andere Arzt machte ein bedenkliches Gesicht. »Hat Barnes das gesehen?« »Ja.«

»Und was hat er gesagt?«

»Es wäre in Ordnung. Wir sollen weitermachen.« »Von mir aus. Er ist der Boss.« Der erste Arzt wandte sich wieder Norman zu. »Bitte versuchen Sie es noch einmal, Dr. Johnson, tief einatmen .«

Metallene Meßspitzen berührten sein Kinn und seine Stirn. Ein Band legte sich um seinen Kopf. Jetzt maßen die Spitzen den Kiefer vom Ohr zum Kinn. »Wozu dient das?« wollte Norman wissen. »Wir passen Ihnen einen Helm an, Sir.« »Müßte ich den nicht aufprobieren?« »Wir machen das auf diese Weise, Sir.«

Zum Abendessen gab es angebrannte überbackene Makkaroni. Norman schob den Teller nach wenigen Bissen von sich.

Der Arzt erschien an der Tür zu seiner Kabine. »Zeit für die Siebzehn-Uhr-Einweisung, Sir.«

»Ich gehe nirgend wohin«, sagte Norman, »bevor ich nicht ein paar Antworten habe. Was zum Teufel hat all das zu

bedeuten, was Sie da mit mir anstellen?«

»Routinemäßige Ermittlung der Tiefensaturation, Sir. Die Vorschriften der Navy verlangen das, bevor Sie nach unten gehen.«

»Und was bedeutet es, daß ich über die Kurve hinausgegangen bin?«

»Was meinen Sie, Sir?«

»Sie sagten: >Sie gehen über die Kurve hinausc.«

»Ach das. Sie sind etwas schwerer, als die Tabellen der Navy vorsehen, Sir.«

»Gibt es Schwierigkeiten mit meinem Gewicht?«

»Wohl nicht, Sir.«

»Und was haben die anderen Untersuchungen ergeben?«

»Sir, für Ihr Alter und Ihre Lebensweise sind Sie bemerkenswert gesund.«

»Meinen Sie, ich kann da runter?« fragte Norman und hoffte insgeheim, er müsse oben bleiben.

»Da runter? Ich habe mit Captain Barnes gesprochen. Das dürfte keinerlei Schwierigkeiten bereiten, Sir. Folgen Sie mir bitte zur Einweisung, Sir .«

Die anderen saßen bereits im Besprechungsraum und hielten Styroporbecher mit Kaffee in den Händen. Norman freute sich, sie zu sehen. Er ließ sich auf einen Stuhl neben Harry fallen. »Großer Gott, haben Sie auch die verdammte Untersuchung mitgemacht?«

»Klar«, sagte dieser, »schon gestern.«

»Die haben mich mit 'ner Nadel ins Bein gestochen.«

»Tatsächlich? Mich nicht.«

»Und die Atemübung mit der Klammer auf der Nase?«

»Mußte ich auch nicht machen«, sagte Harry. »Das klingt ja ganz so, als nähme man Sie besonders ran, Norman.«

Das mußte Norman auch denken, und ihm mißfiel die Folgerung, die sich daraus ergab. Mit einemmal fühlte er sich müde.

»Schön, Leute, wir haben eine Menge zu tun und nur drei Stunden Zeit dafür«, sagte eine forsche Stimme von der Tür her. Das Licht ging aus, und so konnte sich Norman den Mann nicht einmal richtig ansehen. »Sie alle wissen, daß Daltons Gesetz Teildrücke von Gasgemischen bestimmt. Hier haben wir es in algebraischer Form ausgedrückt ...« Das erste Dia erschien auf der Projektionswand.

ppa = ptot x % Vola

»Wir wollen jetzt noch einmal durchgehen, wie man Partial-drücke in absoluten Atmosphären, also bar, berechnet, was bei uns das gebräuchlichste Verfahren ist -«

Norman sagte das nichts. Er versuchte aufzupassen, aber je mehr Kurven gezeigt wurden und je länger die Stimme aus der Dunkelheit eintönig weitersprach, desto schwerer wurden ihm die Lider. Er schlief ein.

»- im Tauchboot nach unten gebracht, und sobald Sie sich im Habitat befinden, wird der Druck auf dreiunddreißig bar gesteigert. Es handelt sich dabei um ein Gasgemisch, da die Erdatmosphäre oberhalb von achtzehn bar nicht atembar ist -« Norman hörte nicht mehr zu. All diese technischen Einzelheiten machten ihm nur angst. Er schlief erneut ein und schreckte von Zeit zu Zeit hoch.

»Da ein Hyperoxieschaden nur dann eintritt, wenn der Parti-aldruck des Sauerstoffs pO2 über längere Zeit hin 70 Kilopascal übersteigt -«

»- zu einer Stickstoffnarkose, bei der sich der Stickstoff wie ein Anästhetikum verhält, kommt es in einer aus einem Edelgasgemisch bestehenden Atmosphäre, sobald der Partialdruck 150 Kilopascal übersteigt -«

»- im allgemeinen ist ein dem Bedarfsfall angepaßtes offenes System vorzuziehen, aber Sie werden in einem halbgeschlossenen Kreislauf arbeiten, bei dem die Einatemdruck-Schwankungen zwischen sechshundertacht und siebenhundert-sechzig Millimetern liegen -«

Erneut nickte er ein.

Auf dem Rückweg zu den Kabinen fragte Norman: »Hab ich was verpaßt?«

»Eigentlich nicht.« Harry zuckte die Schultern. »Nur jede Menge Physik.«

In seiner winzigen grauen Kabine ließ sich Norman auf die Koje fallen. Die Leuchtanzeige der Uhr an der Wand zeigte die Zahl 2300. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, daß das elf Uhr abends bedeutete. In neun Stunden beginne ich mit dem Abstieg, dachte er.

Dann schlief er ein.

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