Sie war die erste, die den Eindringling entdeckte.
Sie hatte einen formlosen Steinasteroiden untersucht, der jedoch zum größten Teil aus leerem Raum bestand. Eine frühere Kultur hatte Wohnräume und Kabinen, Tanks und Lager ausgehöhlt und aus dem Abfallmaterial die Wände von weiteren Kammern und Räumen geformt, bis der Asteroid zu einer steinernen Wabe geworden war. Das alles war vor sehr langer Zeit geschehen, doch dafür interessierte sie sich nicht.
In den darauffolgenden Zeitaltern hatten Meteoriten Dutzende von Löchern in die Wände geschossen. Nach und nach waren sie immer dünner geworden, als der Fels zur chemischen Luftgewinnung abgebaut worden war. Jetzt war keine Luft mehr in den Waben. Nirgends war Metall. Vertrocknete Mumien und Stein, überall Stein und nichts, was für eine Technikerin wichtig gewesen wäre. Sie verließ den Asteroiden durch ein Meteoritenloch. Die Luftschleusen waren sämtliche zugeschweißt worden. Lange danach hatte irgend jemand alle funktionierenden Metallteile entfernt.
Draußen sah sie ihn, sehr weit entfernt noch — ein winziger goldener Lichtpunkt vor der Schwärze des Kohlensacks. Das musste sie sich näher ansehen. Alles Ungewöhnliche musste sie sich näher ansehen.
Die Technikerin kehrte zu ihrem Schiff zurück.
Mit Teleskop und Spektrometer konnte sie anfangs nicht viel herausbekommen. Sie stellte fest, dass zwei von den goldenen Punkten vorhanden waren und dass der Lichtschimmer irgendeine Masse verbarg, aber was das war, zeigten die Instrumente nicht an. Geduldig machte die Technikerin sich an die Arbeit, entwarf, baute um, adaptierte, eichte neu, und ihre Hände bewegten sich mit der fantastischen Schnelligkeit, die ein in tausend Zyklen entstandener Instinkt ermöglichte. Kraftfelder mussten überwunden werden. Endlich hatte sie ein Instrument geschaffen, das so etwas konnte — nicht sehr gut, aber sie vermochte wenigstens große Gegenstände auszumachen.
Wieder studierte sie die fremden Objekte.
Metall. Überall Metall!
Sie startete sofort. Der Verlockung eines solchen Schatzes konnte sie nicht widerstehen. Eine Technikerin besaß wenig Willensfreiheit.
Blaine konnte die Vorgänge um sich herum nur durch einen roten Nebel wahrnehmen, während sein verräterischer Körper nach der Rückkehr in den Normalraum wieder die Herrschaft über sich selbst zu erlangen versuchte. Dann meldete ein Signal von der Lenin ›Alles klar‹, und Rod atmete auf. Es bestand keinerlei Gefahr, so dass er sich mit Muße umsehen konnte.
Das Auge war es, das seinen Blick als erstes anzog. Murchesons Auge war von hier aus gesehen ein ungeheurer, leuchtender Rubin, hundertmalheller als der Vollmond, ein einziges Juwel auf dem schwarzen Samt des Kohlensacks.
Auf der anderen Seite beherrschte der Splitter einen sternenübersäten Himmel. Beim Wiedereintritt waren alle Sensoren und Kameras nach dieser Seite gerichtet: zahllose Sterne und eine noch ferne Sonne. Steuerbords war ein heller Lichtfleck zu erkennen, die Lenin, deren Langston-Feld die im Auge gespeicherte Energie abstrahlte.
Admiral Kutuzov sondierte noch einmal die Umgebung und signalisierte dann Blaine.
Solange sich keine Gefahr bemerkbar machte, hatten die Wissenschaftler auf der Mac Arthur freie Hand. Rod bestellte Kaffee und wartete auf die ersten Daten.
Zunächst ergab sich ärgerlicherweise wenig, das er nicht schon wusste. Der Splitter war nur fünfunddreißig Lichtjahre von Neuschottland entfernt, und es war eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt worden; einige gingen sogar auf Jasper Murcheson zurück. Der Splitter war ein Stern des Spektraltyps G2, weniger heiß als Sol, kleiner und weniger dicht. Im Augenblick zeigte er fast keine Sonnenfleckenaktivität, und die Astrophysiker klassifizierten ihn als ziemlich langweiligen Stern.
Dass ein Planet, ein Gasriese, existieren musste, hatte Rod bereits vor dem Start gewusst. Die Astronomen hatten schon ziemlich früh aus Schwankungen in der Bahn des Splitters um das Auge darauf geschlossen. Sie hatten die Masse des Gasplaneten errechnet. Jetzt entdeckten sie ihn nahezu genau in der erwarteten Position, siebzig Grad hinter ihnen. Er war kleiner als Jupiter, doch viel dichter und besaß einen Kern aus radioaktiver Materie. Während die Wissenschaftler sich ihren Spezialmessungen widmeten, berechneten die Offiziere brauchbare Kurse zu dem Gasriesen, falls eines der beiden Kriegsschiffe Treibstoff aufnehmen musste. Wasserstoff aus der Atmosphäre eines Gasriesen zu schöpfen, indem man in einer Hyperbelbahn hindurchschoss, bedeutete für Schiff und Besatzung eine harte Beanspruchung, aber das war immer noch besser, als in einem fremden System festzusitzen.
»Wir überprüfen jetzt die Trojanischen Punkte[2], Kapitän«, meldete Buckman zwei Stunden nach dem Wiedereintritt in den Normalraum.
»Schon eine Spur von dem Split-Planeten?«
»Noch nicht.« Buckman hängte ein.
Warum interessierte sich Buckman für die Trojanischen Punkte? Sechzig Grad vor dem Riesenplaneten und sechzig Grad hinter ihm, von seiner Sonne aus gerechnet, gab es zwei Punkte auf seiner Bahn, in denen sich kleinere Himmelskörper in stabilem Gleichgewicht befanden. Aber weshalb kümmerte sich Buckman um so etwas?
»Schon eine Spur von dem Split-Planeten?«
»Noch nicht.« Buckman hängte ein.
Warum interessierte sich Buckman für die Trojanischen Punkte? Sechzig Grad vor dem Riesenplaneten und sechzig Grad hinter ihm, von seiner Sonne aus gerechnet, gab es zwei Punkte auf seiner Bahn, in denen sich kleinere Himmelskörper in stabilem Gleichgewicht befanden. Aber weshalb kümmerte sich Buckman um so etwas?
Buckman rief wieder an, als er die Trojanischen Punkte gefunden hatte. »Sie sind dicht besetzt!« triumphierte er. »Entweder wimmelt es in diesem System überall von Asteroiden, oder wir haben es hier mit einem neuen Effekt zu tun. In den Trojanischen Punkten von Splitter Beta gibt’s mehr Zeug, als je in irgendeinem anderen System gefunden wurde. Es ist ein Wunder, dass sich das alles nicht zu zwei Monden konsolidiert hat …« »Haben Sie schon den bewohnbaren Planeten gefunden?«
»Noch nicht«, sagte Buckman und verschwand vom Bildschirm. Das war drei Stunden nach dem Wiedereintritt. Eine halbe Stunde später meldete er sich nochmals. »Diese Trojanischen Asteroiden haben eine sehr hohe Albedo[3], Kapitän. Es muss eine Menge Staub in der Gegend geben. Das würde auch erklären, wie die größeren Körper eingefangen wurden. Die Staubwolken bremsen sie ab und polieren sie dann glatt …«
»Dr. Buckman! In diesem System gibt es eine von Intelligenzwesen bewohnte Welt, und es ist sehr wichtig, dass wir sie finden. Die ersten fremden Intelligenzen …«
»Verdammt, Kapitän, wir suchen ja! Wir suchen!« Buckman warf einen Blick zur Seite und verschwand vom Bildfeld. Einen Augenblick lang war der Schirm leer, bis auf die unscharfe Gestalt eines Technikers im Hintergrund.
Dann sah sich Blaine mit Wissenschaftsminister Horvath konfrontiert, der ruhig sagte:
»Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Kapitän. Wenn ich recht verstehe, sind Sie mit unseren Suchmethoden nicht einverstanden?«
»Dr. Horvath, ich habe nicht die Absicht, mich in Ihre Kompetenzen einzumischen. Aber Sie haben meine sämtlichen astronomischen Instrumente mit Beschlag belegt, und ich höre immer nur von Asteroiden. Ich frage mich, ob wir eigentlich nach derselben Sache suchen.«
Horvaths Antwort war unerwartet friedfertig. »Dies ist keine Raumschlacht, Kapitän.« Er schwieg einen Moment. »Bei einer Kriegsoperation würden Sie Ihr Ziel kennen. Sie würden wahrscheinlich die Ephemeriden sämtlicher Planeten aller wichtigen Systeme kennen …«
»Verdammt, die Vermessungsteams finden ja auch Planeten.«
»Waren Sie je bei einem dabei, Kapitän?«
»Nein.«
»Nun, überlegen Sie doch einmal, wie problematisch unsere Aufgabe ist. Bevor wir den Gasriesen und die Trojanischen Asteroiden fanden, hatten wir nur Vermutungen über die Lage der Hauptebene dieses Systems. Aus den Instrumenten der Sonde haben wir auf die Temperatur zu schließen versucht, die die Splits als angenehm empfinden, und daraus schließen wir, wie weit ihr Planet von ihrer Sonne entfernt sein müsste — aber damit bleibt uns immer noch ein Toroid mit einem Radius von rund hundert-zwanzig Millionen Kilometern zu durchsuchen. Ist Ihnen klar, was das bedeutet?«
Blaine nickte.
»Wir werden das gesamte Gebiet absuchen müssen. Wir wissen, dass der Planet nicht hinter der Sonne verborgen ist, weil wir uns über der Ebene des Systems befinden.
Wenn wir das System komplett fotografisch aufgenommen haben, müssen wir noch dieses riesige sternbesetzte Gebiet nach dem einen Lichtpunkt absuchen, den wir haben wollen.«
»Vielleicht habe ich zuviel erwartet.«
»Vielleicht. Wir warten alle so schnell wir können.« Horvath lächelte — ein Zucken, das sein gesamtes Gesicht einen Augenblick lang erhellte — und verschwand.
Sechs Stunden nach dem Wiedereintritt in den Normalraum meldete sich Horvath erneut. Von Dr. Buckman war nichts zu sehen. »Nein, Kapitän, wir haben den bewohnten Planeten noch nicht gefunden. Aber durch Dr. Buckmans zeitverschwendende Messungen ist es uns gelungen, eine Split-Zivilisation aufzuspüren.
In den Trojanischen Punkten.«
»Die Asteroiden sind besiedelt?«
»Ganz entschieden. Beide Trojanischen Punkte senden Mikrowellen aller möglichen Frequenzen aus. Wir hätten schon durch die hohe Albedo der größeren Objekte darauf kommen müssen. Polierte Oberflächen sind wohl meist das Produkt einer Zivilisation — ich fürchte, Dr. Buckmans Leute tendieren zu sehr dazu, das Universum als leblos anzusehen.«
»Danke, Doktor. Meinen Sie, dass unter diesen Mikrowellensignalen etwas ist, das uns gilt?« »Ich glaube nicht, Kapitän. Der uns nähere Trojanische Punkt liegt unter uns in der Ebene des Systems, etwa drei Millionen Kilometer entfernt. Ich würde vorschlagen, dass wir hinfliegen. Die anscheinend hohe Besiedlungsdichte in den Trojanern könnte bedeuten, dass der bewohnte Planet nicht das tatsächliche Zentrum der Split-Zivilisation ist. Er könnte ein Analogen zur Erde sein. Oder Schlimmeres.«
Rod erschrak. Er war auch über die Erde erschrocken, vor wenigen Jahren erst war es gewesen. New Annapolis, die Akademie der Kaiserlichen Weltraumflotte, war auf dem Heimatplaneten der Menschheit gegründet worden, damit jeder Offizier erkannte, wie lebenswichtig die große Aufgabe des Imperiums war.
Und hätten die Menschen nicht vor den letzten Kriegen der Erde den Alderson-Antrieb erfunden, und wäre der nächste Stern fünfunddreißig Lichtjahre entfernt gewesen statt vier … »Das wäre entsetzlich.«
»Ich stimme Ihnen zu, Kapitän. Aber es ist ja nur eine Vermutung. Auf jeden Fall befindet sich ganz in der Nähe eine florierende Zivilisation, und ich finde, wir sollten sie uns ansehen.«
»Ich — einen Augenblick, bitte.« Oberfunkmaat Lud Shattuck stand im Eingang zur Brücke und deutete aufgeregt auf Rods Bildschirm Nummer vier.
»Wir haben den Suchsender für modulierte Signale verwendet, Käptn«, rief Shattuck quer durch den Brückeraum. »Sehen Sie sich das an, Sir.«
Der Schirm zeigte mit Lichtpunkten übersätes Schwarz — aber ein Lichtpunkt war blaugrün und von einem Indikatorkreis umgeben. Rod beobachtete fasziniert, wie der Punkt zweimal aufblinkte.
»Wir haben den bewohnten Planeten gefunden«, sagte er voll Genugtuung. »Wir waren schneller als Sie, Doktor.«
Nach dem langen Warten schien es, als würde sich alles gleichzeitig ereignen.
Der Lichtpunkt war das erste. Er mochte eine erdähnliche Weltanzeigen, denn er befand sich innerhalb des Ringwulstes, den Horvath durchsuchte. Solange allerdings der Laser blinkte, war von dem Planeten nicht viel zu sehen. Es war kein Wunder, dass die Kommunikationsleute ihn zuerst gefunden hatten. Signale aufzuspüren, war ihre Aufgabe.
Cargills und Horvaths Leute taten sich zusammen, um die Lichtimpulse zu erwidern.
Eins, zwei, drei, vier blinkte das Licht, und Cargill antwortete mit den Buglasern fünf, sechs, sieben. Zwanzig Minuten später sendeten die Lichtimpulse drei eins acht vier elf, wiederholten diese Zahlenfolge, und das Gehirn des Schiffs meldete: Pi im Duodezimalsystem. Cargill ließ den Computer e in demselben System berechnen und blinkte diese Zahlenfolge zurück.
Die eigentliche Bedeutung der Signale aber war: Wir wollen mit euch reden. Und die Antwort der Mac Arthur lautete: Ja, gut. Details würden warten müssen.
Und das zweite Ereignis bahnte sich bereits an.
»Fusionslicht«, meldete Navigator Renner. Er beugte sich dicht über seinen Schirm.
Seine Finger spielten eine geheimnisvolle, stumme Musik auf den Eingabetasten. »Kein Langston-Feld, natürlich. Der eingeschlossene Wasserstoff wird verschmolzen und ausgestoßen. Eine Plasma-Flasche. Nicht so heiß wie unser Normalantrieb, also auch ein geringerer Leistungsgrad. Und rotverschoben, also von uns weg gerichtet, wenn ich die Spektrallinien richtig identifiziere.«
»Sie glauben, das ist ein Schiff, das uns entgegenkommt?«
»Ja, Sir. Ein ziemlich kleines. Geben Sie mir ein paar Minuten, dann kann ich Ihnen seine Beschleunigung angeben. Wenn wir vorläufig mal eine Beschleunigung von einem Ge annehmen …« Renners Finger beschäftigten sich unaufhörlich mit den Computertasten »… dann gäbe das eine Masse von dreißig Tonnen. Diesen Wert können wir später natürlich verbessern.« »Also zu groß für ein Geschoss«, meinte Blaine nachdenklich. »Sollten wir ihm entgegenfliegen, Mr. Renner?«
Renner zog die Brauen zusammen. »Da gibt’s ein Problem. Er hält auf unsere jetzige Position zu. Wir wissen nicht, wie viel Treibstoff er hat und wie gescheit er ist.«
»Nun, wir können ja mal fragen. Eyes! Verbinden Sie mich mit Admiral Kutuzov.«
Der Admiral war auf seiner Brücke. Verschwommene Gestalten hinter ihm ließen erkennen, dass auch auf der Lenin einiges los war. »Ich habe es geortet, Kapitän«, sagte Kutuzov. »Was wollen Sie unternehmen?«
»Ich möchte diesem Schiff entgegenfliegen. Falls es aber nicht imstande ist, seinen Kurs zu ändern, oder falls wir es nicht einholen können, wird es hierher kommen, Sir.
Die Lenin könnte es hier erwarten.«
»Und dann was tun, Kapitän? Meine Instruktionen sind klar, Lenin wird jeden wie immer gearteten Kontakt mit Fremden vermeiden.«
»Aber Sie könnten ein Boot hinschicken, ein Gig, das wir dann samt ihren Männern an Bord nehmen, Sir.«
»Was glauben Sie, wie viele Boote ich habe, Blaine? Ich will Ihnen meine Instruktionen wiederholen: Die Aufgabe der Lenin ist, das Geheimnis von Alderson-Antrieb und Langston-Feld zu schützen. Deshalb werden wir nicht nur keine Verbindung mit den Fremden aufnehmen, wir werden auch keine Verbindung mit Ihnen aufnehmen, wenn die geringste Chance besteht, dass die Nachricht abgefangen wird.«
»Jawohl, Sir.« Blaine starrte den stämmigen Mann auf seinem Bildschirm an. Besaß er nicht einen Funken Neugierde? Oder konnte ein Mensch wirklich so sehr zur Maschine werden? »Wir werden uns mit dem fremden Schiff treffen, Sir. Dr. Horvath möchte das ohnehin.«
»Sehr gut, Kapitän. Tun Sie das.«
»Ja, Sir.« Rod schaltete die Verbindung erleichtert ab und wandte sich an Renner.
»Also, dann wollen wir mal den ersten Kontakt mit einem fremden Wesen hinter uns bringen, Mr. Renner.«
»Ich finde, das haben Sie gerade eben getan«, meinte Renner und warf einen nervösen Blick auf die Bildschirme, um sich zu vergewissern, dass der Admiral nicht mehr zuhörte.
Horace Bury verließ eben seine Kabine — er hoffte, sich andernorts weniger zu langweilen —, als Buckmans Kopf im nächsten Durchgang auftauchte.
Bury änderte sofort seine Absicht. »Dr. Buckman! Darf ich Sie zum Kaffee einladen?«
Buckmans vorstehende Augen schwenkten zurück, blinzelten, erkannten sein Gegenüber. »Was? Oh. Ja, danke, Bury. Vielleicht macht er mich etwas munterer. Es gab so viel zu tun — ich kann nur einen Augenblick bleiben …«
Buckman ließ sich in Burys Besuchersessel fallen, schlaff wie das Demonstrationsskelett eines Mediziners. Seine Augen waren gerötet, die Lider geschwollen. Sein Atem ging rasch und laut. Das sehnige Muskelgewebe an seinen nackten Armen glich lockeren Tauen. Bury überlegte, was die Autopsie ergeben würde, sollte Buckman in diesem Augenblick sterben: Erschöpfung, Unterernährung oder beides.
Bury kam zu einem schwerwiegenden Entschluss. »Nabil, bring Kaffee. Mit Sahne, Zucker und Brandy für Dr. Buckman.«
»Ach, Bury, ich fürchte, dass ich während der Arbeit — Na schön. Danke, Nabil.«
Buckman nahm einen Schluck, trank dann gierig. »Ach, das ist gut! Danke, Bury, das sollte mich wohl aufwecken.«
»Sie schienen es nötig zu haben. Normalerweise würde ich guten Kaffee niemals mit Spirituosen verfälschen. Dr. Buckman, haben Sie etwas gegessen?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Also nicht. Nabil, einen Imbiss für unseren Gast. Rasch.«
»Bury, wir haben so viel zu tun, ich hab’ wirklich nicht die Zeit. Ein ganzes neues Sonnensystem muss erforscht werden, dann will die Flotte verschiedene Untersuchungen durchgeführt haben — Neutrinoemission messen, dieses verdammte Licht aufnehmen, analysieren …«
»Doktor, wenn Sie jetzt und hier tot umfielen, würden viele Ihrer Forschungsergebnisse niemals niedergeschrieben werden, nicht wahr?«
Buckman lächelte. »Warum so melodramatisch, Bury. Aber die paar Minuten könnte ich mir vielleicht wirklich gönnen. Im Moment warten wir ja vor allem darauf, dass dieses Signallicht erlischt.«
»Ein Signal vom Split-Planeten?«
»Von Splitter Alpha, ja. Zumindest stimmt die Richtung. Den Planeten können wir nicht sehen, solange sie nicht diesen Laser abschalten, und das tun sie nicht. Sie reden und reden und wozu? — Was können sie uns schon mitteilen, wenn wir doch keine gemeinsame Sprache haben?«
»Nun, Doktor, können sie uns überhaupt etwas mitteilen, bevor sie uns ihre Sprache beigebracht haben? Ich könnte mir vorstellen, dass sie eben das jetzt versuchen.
Beschäftigt sich jemand mit dieser Möglichkeit?«
Buckman knurrte empört. »Horvath hat sämtliche Instrumente mit Beschlag belegt, um Hardy und die Linguisten mit Informationen zu versorgen. Ich kann nicht mal ordentliche Messungen vom Kohlensack machen — dabei sind wir ihm noch nie so nahe gewesen!«
Seine Miene entspannte sich etwas. »Naja, wenigstens können wir die Trojanischen Asterioden studieren.«
In Buckmans Augen trat wieder jener Blick, der ins Unendliche sah. »Es sind viel zu viele. Und nicht genug Staub. Ich habe mich geirrt, Bury; es ist nicht genug Staub da, um so viele Steinbrocken einzufangen oder sie glatt zuschleifen. Wahrscheinlich haben die Splits sie poliert … sie müssen überall auf diesen Steinbrocken gewesen sein, die Neutrinoemissionen sind fantastisch. Aber wie konnten nur so viele Objekte eingefangen werden?«
»Neutrinoemissionen. Das würde eine Fusionstechnologie bedeuten.« Buckman lächelte. »Eine ziemlich fortgeschrittene. Denken Sie an Handelsmöglichkeiten?«
»Natürlich. Wozu sonst wäre ich hier?« Und ich wäre auch hier, wenn die Admiralität mir nicht mit der Alternative — offizieller Verhaftung — gedroht hätte … Doch davon weiß Buckman nichts. Nur Blaine. »Je fortschrittlicher ihre Zivilisation, um so mehr haben sie an Handelsgütern anzubieten.« Und um so schwerer würden sie übers Ohr zu hauen sein; aber derartige Aspekte interessierten Buckman wohl kaum.
»Wir könnten so viel tun, wenn die Flottenleute nicht unsere Teleskope verwendeten«, beschwerte sich Buckman. »Und Horvath unternimmt nichts dagegen! Ah, wunderbar.«
Nabil kam, ein Serviertischchen vor sich herschiebend, in die Kabine.
Buckman stürzte sich auf die Mahlzeit wie eine halbverhungerte Ratte. Zwischen den Bissen sagte er: »Nicht, dass diese Flottensachen alle uninteressant wären. Das fremde Schiff zum Beispiel …«
»Schiff?«
»Ein Split-Schiff kommt auf uns zu. Wussten Sie das nicht?«
»Nein.«
»Nun, gestartet ist es offenbar von einem großen Steinasteroiden aus, der abseits des Haupthaufens liegt. Seltsam ist nur, dass er eine sehr geringe Masse hat. Entweder ist seine Form sehr ungewöhnlich, oder der Fels ist durchsetzt mit Gasblasen, was wiederum bedeuten würde …«
Bury lachte. »Doktor, ein fremdes Raumschiff ist doch gewiss wichtiger und interessanter als ein Steinmeteorit!«
Buckman sah ihn überrascht an. »Weshalb?«
Die Flecken wurden rot, später schwarz. Es war klar, dass die Objekte abkühlten — aber wie waren sie überhaupt erst so heiß geworden?
Die Technikerin hatte es aufgegeben, sich darüber Gedanken zu machten, als einer der beiden Flecken sich auf sie zu bewegte. Die Metallhüllen enthielten also irgendeine Energiequelle. Und sie zeigten Eigeninitiative. Was waren sie? Waren es Techniker oder Meister? Oder hirnlose Maschinen? Ein Vermittler unterwegs zu irgendeiner undurchschaubaren Aufgabe? Sie mochte die Vermittler nicht, die so leichtfertig und unvernünftig wichtige Arbeiten behindern konnten.
Vielleicht waren Bastler in diesen Objekten. Wahrscheinlicher aber war, dass sie Meister enthielten. Die Technikerin erwog zu fliehen, aber das herannahende Objekt war zu stark. Es beschleunigte mit 1,14 Gran, was ihr Schiff kaum noch schaffte. So blieb der Technikerin nichts übrig, als das Riesending zu erwarten.
Außerdem … dieses viele Metall! In verwendbarer Form, so weit sie feststellen konnte.
Die Kleinen Welten waren voller Metallgegenstände, doch die meisten bestanden aus Legierungen, die zu hart zum Umformen waren.
Das viele Metall!
Doch es musste zu ihr kommen, nicht umgekehrt. Ihr Schiff besaß weder genug Treibstoff noch das nötige Beschleunigungsvermögen. Im Kopf berechnete sie mögliche Umschwenkpunkte. Der andere würde natürlich das gleiche tun. Glücklicherweise war die Lösung eindeutig, wenn man konstante Beschleunigung annahm. Kommunikation mit dem fremden Objekt war also nicht erforderlich.
Techniker wussten wenig von Kommunikation.
Das fremde Schiff war unregelmäßig geformt und stumpfgrau, wie ein Klumpen Modellierton, den man mit hohlen Händen zu-rechtgedrückt hat. Es hatte scheinbar willkürlich angeordnete Vorsprünge sowie einen Kreis von Haken an dem Ende, das Whitbread für das Heck hielt, einen schmalen, hellsilbrigen Gürtel in der Mitte, durchsichtige Buckel vorne und hinten, höchst fantasievoll geschwungene Antennen und in der Heckmitte eine Art von Stachel: rutenähnlich, von mehrfacher Rumpflänge, schmal, dünn und gerade.
Whitbread ließ sich langsam näher treiben. Er war mit einem sogenannten Raumtaxi unterwegs, einer Blase aus polarisierendem Plastik mit einem kurzen Rumpf, der mit Richtungsdüsen besetzt war. Das Gesichtsfeld eines solchen Gefährts war gewaltig, es war kindisch einfach zu steuern — und Whitbread war außerdem speziell im Umgang damit ausgebildet — es war billig, unbewaffnet, und sein Verlust war zu verschmerzen.
Und das fremde Wesen konnte Whitbread darin sehen. Wir kommen in Frieden, haben nichts zu verbergen, sollte das besagen, vorausgesetzt, die Augen des Fremden konnten durch klares Panzerplastik sehen.
»Dieser Stachel erzeugt das Magnetfeld für den Plasmaantrieb«, erklärte die Sprechanlage in der Kabine. Bildschirm gab es in dem winzigen Boot keinen, doch die Stimme war als die Cargills erkennbar. »Wir haben beim Abbremsmanöver zugeschaut.
Dieses nippelähnliche Ding unter dem Stachelansatz spuckt vermutlich den Wasserstoff in die magnetische Flasche.«
»Ich werde einen Bogen um dieses Ende machen«, versicherte Whitbread.
»Wird gut sein. Die Intensität des Feldes würde vermutlich Ihre Instrumente ruinieren.
Ihr Nervensystem könnte auch etwas abkriegen.«
Das fremde Schiff war jetzt sehr nahe. Whitbread bremste mit ein paar kurzen Düsenstößen weiter ab. Wenn die kleinen Richtungsdüsen feuerten, klang das in der Kabine wie aufplatzendes Popcorn.
»Sehen Sie etwas wie eine Luftschleuse?«
»Nein, Sir.«
»öffnen Sie Ihre eigene Luftschleuse. Vielleicht macht das Beispiel Schule.« »Aye, aye, Sir.« Whitbread konnte das fremde Wesen in seiner durchsichtigen Kabinenkuppel sehen. Es beobachtete ihn, ohne sich zu rühren, und es erinnerte sehr an die Fotos, die er von dem toten Wesen aus der Sonde gesehen hatte. Jonathon Whitbread sah ein Geschöpf mit einem schiefen, halslosen Kopf, weichem braunen Fell, einem muskulösen linken Arm, der irgend etwas festhielt, und zwei schlanken, rechten Armen, die sich ganz unglaublich schnell bewegten. Was sie taten, war nicht zu erkennen.
Whitbread öffnete seine Luftschleuse und begann zu warten.
Wenigstens hatte das Split noch nicht auf ihn geschossen.
Die Technikerin war fasziniert. Sie bemerkte das winzige Boot in ihrer Nähe kaum. Bei dem gab es nichts Neues zu erfahren. Das große Schiff dagegen! Es war von einem seltsamen Feld umgeben. Die Technikerin hatte nie gedacht, dass es so etwas geben könne. Das Feld wurde von einem halben Dutzend ihrer Instrumente registriert. Andere konnten die Energiehülle teilweise durchdringen. Die Technikerin wusste bereits genug über das Kriegsschiff, um Kapitän Blaine einen Herzschlag beizubringen, hätte er das ahnen können. Aber das war noch lange nicht genug, um eine Technikerin zufrieden zustellen.
Diese Geräte! Das Metall!
Die gewölbte Tür des kleinen Schiffs ging jetzt auf. Lichter blinkten. Muster elektromagnetischer Energie strömten zwischen den Schiffen hin und her. Die Signale waren für einen Techniker bedeutungslos.
Die Geräte des Schiffes waren es, was sie interessierte. Und das Feld, mit seinen rätselhaften Eigenschaften, dem nur vermuteten Prinzip, das ihm zugrunde lag. Die Technikerin war bereit, den Rest ihres Lebens der Lösung dieser Geheimnisse zu widmen. Für einen Blick auf den Generator wäre sie gerne gestorben. Der Antrieb des großen Schiffs war anders als jeder Fusionsantrieb, von dem die Technikerin je gehört hatte. Seine Funktionsweise hing anscheinend auch mit dem Grundprinzip jener rätselhaften Energiehülle zusammen.
Wie konnte sie an Bord kommen? Wie konnte sie durch diese Hülle kommen?
Intuition war für eine Technikerin ungewöhnlich, aber sie begann zu begreifen …
Dieses kleine Schiff … versuchte es mit ihr zu reden? Es war aus dem großen Schiff gekommen. Das hieß …
Das kleine Schiff war ein Verbindungsglied zu dem großen, es versprach Zugang zu den Geheimnissen jener Krafthülle, ihrer Technologie, ihrem plötzlichen Erscheinen.
Sie vergaß die Gefahr. Sie vergaß alles in dem brennenden Verlangen, mehr über dieses Feld zu erfahren. Die Technikerin öffnete ihre Luftschleuse und wartete ab, was geschehen würde.
»Mr. Whitbread, Ihr Fremdling da draußen versucht, die Mac Arthur mit Sondierstrahlen zu untersuchen«, sagte Kapitän Blaine. »Commander Cargill meint, er hätte sie blockiert. Wenn das den Fremden misstrauisch macht, ist das nicht zu ändern. Hat er bei Ihnen irgendeine Sondierung versucht?« »Nein, Sir.« Rod zog die Brauen zusammen und rieb sich die Nasenwurzel. »Sind Sie sicher?«
»Ich habe meine Instrumente im Auge behalten, Sir.«
»Das ist sonderbar. Ihr Boot ist kleiner, aber so viel näher. Man sollte meinen, dass er doch eher …«
»Die Luftschleuse!« rief Whitbread. »Sir, das Split hat seine Luftschleuse geöffnet.«
»Ich seh’s. Im Rumpf ist ein rundes Loch aufgegangen. Meinen Sie das?«
»Ja, Sir. Es kommt aber nichts heraus. Ich kann durch die Öffnung die ganze Kabine sehen. Das Split sitzt vor irgendwelchen Instrumenten — Sir, darf ich hinein?«
»Hmmm. Gut. Passen Sie auf sich auf. Bleiben Sie in Verbindung mit uns. Und alles Gute, Whitbread.« Jonathon blieb noch einen Augenblick lang sitzen, um sich zu fassen.
Er hatte beinahe gehofft, der Kapitän würde es als zu gefährlich verbieten. Aber natürlich waren Kadetten entbehrlich …
Whitbread hielt sich in der Öffnung seiner Luftschleuse fest. Das fremde Schiff lag sehr nahe. Und dann sahen alle auf der Mac Arthur, wie er sich abstieß und hinübertrieb.
Eine Region des Bootsrumpfes hatte sich wie eine Haut gedehnt, so dass eine Art nach innen führender Trichter entstanden war. Seltsame Art, eine Luftschleuse zu konstruieren, dachte Whitbread. Er bremste sich mit den kleinen Rückstoßdüsen seines Anzugs ab, als er in den Trichter hineinschwebte, geradewegs auf das Split zu, das wartend dastand.
Das fremde Wesen hatte nichts am Leib als seinen weichen, braunen Pelz und vier dicke, schwarze Haarpolster, eins unter jedem Arm und eins in der Leistengegend. »Ich seh nichts, was die Luft zurückhalten könnte, aber es muss einfach Luft da drinnen sein«, sagte Whitbread in sein Helmmikrofon. Einen Augenblick später wusste er es. Er war in unsichtbaren Honig geraten.
Hinter seinem Rücken schloss sich die Luftschleuse.
Er geriet beinahe in Panik. Wie eine Fliege in Bernstein gefangen, konnte er weder vor noch zurück. Er stak in einem hundert-dreißig Zentimeter hohen Loch, das gerade auf die Größe des fremden Wesens zugeschnitten war. Es stand vor ihm, auf der anderen Seite jener unsichtbaren Wand, und betrachtete ihn mit ausdruckslosem Gesicht.
Das Split. Es war kleiner als das andere, das tote aus der Sonde. Seine Färbung war anders — sein brauner Pelz wies keine weißen Flecken auf. Noch einen anderen, feineren, weniger offensichtlichen Unterschied gab es … vielleicht der Unterschied zwischen Lebendigem und Totem, vielleicht etwas anderes.
Das Split wirkte nicht abstoßend oder erschreckend. Sein glattes Fell sah aus wie das der Dobermann-Pinscher, die Whitbreads Mutter züchtete, aber dieses Wesen war nicht gefährlich. Whitbread hätte ihm gern über den Pelz gestreichelt.
Das Gesicht war für menschliche Begriffe eine abstrakte Maske, ausdruckslos bis auf die leichte Aufwärtskrümmung des lippenlosen Mundes, die wie ein leichtes, sardonisches Lächeln wirkte. Klein, plattfüßig, bepelzt, mit karikaturhaften Zügen — Es sieht aus wie ein Wesen aus so einem Zeichentrickfilm für Kinder, dachte Whitbread.
Wie konnte man sich vor einem solchen Wesen fürchten?
Aber Jonathon Whitbread kauerte in einem engen Loch, das viel zu niedrig für ihn war, und das fremde Wesen schien das ganz in Ordnung zu finden.
Die Kabine war ein unübersichtliches Durcheinander von vollgestopften Instrumentenborden, Geräten, Winkeln und Ritzen. Winzige Gesichter spähten aus den Schatten zu ihm herüber. Tiere! Ungeziefer? Ratten? Das Schiff wimmelte davon.
Waren sie eine Art Nahrungsvorrat? Das Split schien es nicht zu stören, dass eins der Tiere aus seinem Schlupfwinkel huschte, dann ein zweites, und sich in raschen Sprüngen näher wagte, um den Fremden neugierig zu begutachten.
Sie waren groß, viel größer als Ratten, erheblich kleiner als Menschen. Sie lugten aus allen Ecken hervor, neugierig, aber scheu. Eins huschte ganz nahe vorbei, so dass Whitbread es ziemlich deutlich sehen konnte. Es war ein winziges Split!
Die Situation war schwierig für die Technikerin. Das Hereinkommen des Fremden hätte ihr eine Antwort auf viele Fragen bringen sollen, aber es warf nur neue auf.
Was war das für ein Wesen? Groß, mit großem Kopf, symmetrisch wie ein Tier, aber mit einem eigenen Fortbewegungsmittel ausgestattet wie ein Techniker oder ein Meister.
Noch nie hatte es eine Kaste wie diese gegeben. Würde das Wesen gehorchen oder befehlen? Waren seine Hände wirklich so ungeschickt, wie sie aussahen? War es eine Mutation, ein Ungeheuer, eine Züchtung? Was war seine Aufgabe?
Sein Mund bewegte sich jetzt. Offenbar sprach es in irgendein Verständigungsgerät.
Das half auch nichts. Selbst Boten gebrauchten, wenn es erforderlich war, eine hörbare Sprache.
Techniker waren nicht dafür geschaffen, in undurchsichtigen Situationen Entscheidungen zu treffen; sie konnten jedoch immer auf weitere Informationen warten.
Techniker waren mit unendlicher Geduld ausgestattet.
»Hier ist Luft«, meldete Whitbread. Er beobachtete die Anzeigeinstrumente, die er über einen Spiegel in Augenhöhe sehen konnte. »Habe ich das schon erwähnt? Ich möchte sie nicht gern zu atmen versuchen. Etwa Normaldruck, Sauerstoff rund 18 Prozent, CO2 etwa 2 Prozent, gerade feststellbare Spuren von Helium, und …«
»Helium? Das ist sonderbar. Wie viel genau?«
Whitbread schaltete auf eine empfindlichere Skala um und wartete, bis der Analysator den Wert anzeigte. »Zirka ein Prozent. Etwas weniger.«
»Sonst noch etwas?«
»Giftiges Zeug. Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Ketone, Alkohole, und etliche andere Substanzen, die dieser Anzug nicht extra analysiert. Das Lämpchen blinkt gelb.«
»Also würde Sie das Zeug nicht so schnell umbringen. Sie könnten es eine Weile atmen und immer noch rechtzeitig Hilfe kriegen, um ihre Lungen zu retten.«
»Daran habe ich auch gedacht«, sagte Whitbread besorgt. Er begann, die Klammern zu öffnen, die sein Helmvisier festhielten.
»Was soll das heißen, Whitbread?«
»Nichts, Sir.« Jonathon war zu lange gebückt gestanden. Muskeln und Gelenke schrien nach Erlösung. Er wusste auch nicht mehr, was er von der fremden Kabine noch beschreiben sollte. Und das dreimalverdammte Split stand einfach da mit seinem sonderbaren Lächeln und starrte ihn an …
»Whitbread?«
Whitbread holte tief Luft und hielt den Atem an. Dann hob er das Visier ab — der Außendruck war ein klein wenig höher —, fixierte das fremde Wesen und brüllte in einem Atemzug »Um Gottes willen, schalt das verdammte Kraftfeld ab!« und riss das Visier herunter.
Das Split drehte sich zu seinen Instrumenten um und bewegte irgend etwas. Die elastische Barriere vor Whitbread verschwand.
Whitbread tat zwei Schritte vorwärts. Er richtete sich nur ganz langsam auf, weil seine überanstrengten Muskeln protestierten. Er hatte anderthalb Stunden in diesem engen Loch zusammengekauert gestanden — eingehend gemustert von einem halben Dutzend verhutzelter Kobolde und einem geduldigen, ausdruckslosen Split. Ihm tat jeder Knochen weh.
Etwas Kabinenluft war in seinen Helm geraten. Die Gasmischung brannte in seiner Kehle, so dass er wieder den Atem anhielt; dann schnupperte er vorsichtig, falls später irgend jemand wissen wollte, wie die Split-Luf t roch.
Sie roch nach Tieren und Maschinen, Ozon, Benzin, heißem öl, schlechtem Atem, glimmenden verschwitzten Socken, Leim und einer Reihe anderer Dinge, die Whitbread noch nie in die Nase bekommen hatte. Der Gestank war ungeheuerlich — aber sein Anzug filterte ihn Gott sei Dank weg.
Er erkundigte sich: »Haben Sie mich brüllen gehört?«
»Ja, und alle anderen auf diesem Schiff auch«, sagte Cargills Stimme. »Ich glaube nicht, dass irgend jemand an Bord Ihnen nicht zuhört, außer Buckman vielleicht.
Irgendwelche Resultate?«
»Es hat das Kraftfeld abgeschaltet. Sofort. Es hat offenbar nur darauf gewartet, dass ich’s ihm sage. Ich bin jetzt in der Kabine. Habe ich schon die Ausbesserungen erwähnt?
Es besteht alles aus Flickwerk, alles Handarbeit, selbst die Instrumentenkonsolen. Aber es ist alles recht geschickt gemacht, nichts ist im Wege — für ein Split natürlich. Ich bin zu groß, ich trau mich kaum, mich zu rühren.
Die kleinen Wesen sind alle verschwunden. Nein, da guckt eins aus einem Winkel. Das große wartet ab, was ich tun werde, und glotzt mich an. Ich wünschte, es ließe das sein.«
»Versuchen Sie, ob Sie es dazu bringen können, mit Ihnen ins Boot zu kommen …«
»Ich versuch’s, Sir.«
Das fremde Wesen hatte ihn vorhin verstanden — zumindest hatte es den Anschein gehabt — aber jetzt verstand es ihn nicht. Whitbread überlegte scharf. Zeichensprache?
Sein Blick fiel auf etwas, das ein Druckanzug für das Split sein musste. Er zog ihn aus der Halterung, registrierte, wie leicht er war — keine Waffen, keine Panzerung. Er reichte ihn dem Fremdling und deutete durch die Kabinenkuppel auf die Mac Arthur.
Das Split begann sofort, den Anzug anzulegen. Buchstäblich in Sekunden war es bereit.
Aufgeblasen schaute der Druckanzug wie zehn zusammengeklebte Wasserbälle aus.
Nur die Handschuhe waren etwas komplizierter ausgeführt.
Nun nahm das Wesen einen durchsichtigen Plastiksack von der Wand und langte blitzschnell nach einem der rund dreißig Zentimeter großen Miniexemplare. Es stopfte das zappelnde Geschöpf kopfüber in den Sack, drehte sich zu Whitbread um und stürzte sich unglaublich schnell auf ihn. Es hatte bereits mit den zwei rechten Händen hinter Whitbread gegriffen und zog sich zurück, als Whitbread reagierte. Der Kadett stieß unwillkürlich ein lautes lij! aus.
»Whitbread? Was ist passiert? Antworten Sie!« Eine zweite Stimme im Hintergrund sagte energisch: »Infanterie in Bereitschaft!«
»Nichts, Commander Cargill. Alles in Ordnung. Kein Angriff, meine ich. Ich glaube, das Split ist bereit zum Aufbruch — nein, Moment, noch nicht. Es hat zwei von diesen Parasiten oder was diese Dinger darstellen in einen Plastiksack gesteckt, und jetzt füllt es den Sack an einer Luftdüse. Eins von den kleinen Viechern ist auf meinem Rücken gesessen. Ich hab’ überhaupt nichts gespürt.
Jetzt baut das Split irgend etwas. Ich versteh nicht, warum es sich noch aufhält. Es weiß, dass wir zur Mac Arthur wollen — es hat einen Druckanzug angelegt.«
»Was macht es?«
»Es hat die Deckplatte von der Instrumentenkonsole abgenommen. Es ändert etwas an der Verdrahtung. Vorhin hat es einen Streifen silbriger Zahnpasta über eine gedruckte Schaltung gezogen. Ich kann natürlich nur schildern, wie die Sachen sich ansehen. Ajii!«
»Whitbread?«
Der Kadett wurde von einem Sturm herumgeschleudert. Wild um sich schlagend versuchte er, an irgend etwas Halt zu finden, irgendwo. Seine Hände rutschten über die Wand der Luftschleuse, fanden nichts zum Festhalten. Sekunden später schwebte er in einem Wirbel von Sternen und Schwärze.
»Das Split hat die Luftschleuse geöffnet«, berichtete er. »Ohne Warnung. Ich bin draußen, im Vakuum.« Er stoppte seine Rollbewegung mit den Rückstoßdüsen. »Ich glaube, es hat die ganze Luft ausströmen lassen. Ich bin von einem Nebel aus Eiskristallen umgeben, und — oh Gott, das Split! Nein, es ist’s nicht, es hat keinen Druckanzug an. Da ist noch eins!«
»Das müssen die kleinen Exemplare sein«, meinte Cargill.
»Richtig. Das große hat alle die Parasiten umgebracht. Vermutlich muss es das immer wieder mal tun. Es weiß nicht, wie lange es auf der Mac Arthur bleiben wird und möchte vielleicht nicht, dass sie sich frei in seinem Boot rumtreiben können. Deshalb hat es die Kabine evakuiert.«
»Es hätte Sie warnen sollen.«
»Verdammt, ja, hätte es! — Entschuldigung, Sir.«
»Alles in Ordnung, Whitbread?« Eine neue Stimme. Der Kapitän.
»Ja, Sir. Ich nähere mich jetzt dem fremden Boot. Aha, da kommt das Split. Es springt zum Taxi rüber.« Whitbread stoppte seinen Flug und beobachtete das Wesen. Es schwebte vorbei wie ein Haufen Wasserbälle, aber der Sprung war geschickt und genau angesetzt. In einer durchsichtigen Blase, die an seinem Rumpf befestigt war, zappelten zwei kleine Gestalten. Das Split kümmerte sich nicht um sie.
»Ein perfekter Sprung«, brummte Whitbread. »Aber knapp wird’s — uff!« Das fremde Wesen war schon ziemlich langsam geworden, als es durch die Schleusenöffnung des Taxis schwebte, genau in der Mitte, so dass es nirgendwo den Rand streifte. »Es muss eine fantastische Körperbeherrschung haben.«
»Whitbread, ist dieses Wesen jetzt in Ihrem Boot? Ohne Sie?«
Der gefährliche Unterton in der Stimme des Kapitäns ließ Whitbread zusammenzucken.
»Ja, Sir. Aber ich folge ihm sofort.«
»Tun Sie das, Mister!«
Das Split stand beim Pilotensitz und untersuchte die Steuerungsinstrumente eingehend.
Plötzlich griff es nach den Riegeln, die die Deckplatte festhielten, und begann sie zurückzuschieben. Whitbread japste entsetzt und stürzte hin, um das Split an der Schulter zu packen. Es beachtete ihn nicht.
Whitbread legte seinen Helm an den des fremden Wesens. »Lass das sofort sein!« brüllte er. Dann deutete er auf den Passagiersitz. Das Split richtete sich auf, drehte sich um und schwang sich auf den sattelförmigen Sitz. Es passte nicht recht darauf.
Whitbread wandte sich erleichtert dem Steuerpult zu und begann, das Taxi zurück zur Mac Arthur zu manövrieren.
Er stoppte das Boot genau vor dem sauberen Tunnel, den Sinclair im Feld der Mac Arthur geöffnet hatte. Das fremde Raumboot war jetzt durch den Rumpf des Kriegsschiffs verdeckt. Das Hangardeck lag genau jenseits des Tunnels, und der Kadett hätte brennend gern sein Boot selbst durchgeschleust, um dem zusehenden Fremden seine Steuerkünste zu demonstrieren, aber er wusste nur zu gut, dass er das nicht wagen durfte. Er wartete, und sein Passagier wartete.
Einige Männer in Raumanzügen schwebten vom Hangardeck herauf. Sie zogen Kabel hinter sich her. Sie winkten, als sie am Taxi angelangt waren, und Whitbread winkte zurück. Einen Augenblick später schaltete Sinclair die Winde ein, die das Boot in die Mac Arthur zog. Als es das Hangartor passiert hatte, wurden weitere Kabel an der Oberseite des Taxis befestigt. Als diese sich spannten, kam das Boot zum Stillstand, und die großen Hangartüren glitten zu.
Das Split beobachtete alles aufmerksam, wobei es den ganzen Körper von einer Seite auf die andere drehte. Whitbread wurde an eine Eule erinnert, die er einmal in einem Zoo auf Sparta gesehen hatte. Erstaunlicherweise schauten sich auch die kleinen Exemplare im Plastiksack alles aufmerksam an. Sie machten offensichtlich dem großen Split alles nach. Als das Taxi endlich in Ruheposition war, zeigte Whitbread auf die Luftschleuse. Durch das Panzerglas konnte er draußen Kelley und ein Dutzend bewaffnete Infanteristen sehen.
Rod Blaines Kommandoplatz zeichnete sich durch eine Reihe von zwanzig Bildschirmen aus, die im Halbkreis davor angeordnet waren, weswegen jeder Wissenschaftler an Bord der Mac Arthur unbedingt neben ihm sitzen wollte. Um die Streitereien zu beenden, blieb Rod nichts anderes übrig, als Gefechtsbereitschaft anzuordnen und alle Zivilisten von der Brücke zu weisen. Jetzt beobachtete er eben, wie sich Whitbread in sein Boot hineinzog.
Durch die Kamera, die in Whitbreads Helm eingebaut war, konnte Blaine das fremde Wesen sehen, wie es sich über die Steuerinstrumente beugte, wie es größer zu werden schien, als der Kadett zu ihm hinstürzte. Blaine drehte sich zu Renner um. »Haben Sie das gesehen?« »Mhm. Sir, dieses Wesen — also, Käptn, ich könnte schwören, es wollte die Steuerkonsole auseinandernehmen.«
»Das glaube ich auch.« Gespannt sahen die beiden Männer zu, wie Whitbread das Taxi zur Mac Arthur zurücksteuerte. Blaine konnte verstehen, dass der Junge sich nicht nach seinem Passagier umsah, während er mit der Steuerung zu tun hatte, aber … Nun, man ließ ihn am besten in Ruhe. Dann wurden die Kabel an dem Boot festgemacht, und es wurde in den Hangarraum gezogen.
»Kapitän!« Das war Staley, der wachhabende Kadett, doch Rod hatte es im gleichen Moment gesehen: Die meisten Kameras und etliche Geschütze waren auf das Raumtaxi eingestellt, alles übrige verfügbare Gerät zielte auf das fremde Boot — und es war aktiv geworden.
Ein blauer Lichtschweif war am Heck des Split-Bootes aufgeflammt — die Farbe deutete Cerenkov-Strahlung an. Das blaue Feuer strömte an dem schlanken Silberstachel am Heck entlang. Plötzlich entstand daneben ein sehr heller, weißer Lichtstreifen.
»Dieses Boot da nimmt Fahrt auf, Kapitän«, meldete Sinclair.
»Verdammt noch mal!« Rod sah das auch auf seinen eigenen Schirmen, und außerdem, dass die Geschütze seines Schiffs das fremde Boot im Visier behielten.
»Genehmigung zum Feuern?« fragte der Geschützoffizier an.
»Nein!« Aber wohin wollte das Boot? fragte sich Rod. Nun, darüber konnte man sich noch den Kopf zerbrechen, wenn Whitbread wieder an Bord war, sagte er sich. Das fremde Boot konnte nicht entkommen. Und das fremde Wesen noch viel weniger.
»Kelley!«
»Sir!«
»Ein Trupp zur Luftschleuse. Eskortieren Sie Whitbread und dieses Wesen zum Empfangsraum. Höflich, Kelley, höflich, aber achten Sie darauf, dass es nirgendwo sonst hinkommt.«
»Aye, aye, Käptn.«
»Erster?« rief Blaine.
»Ja, Sir«, antwortete Cargill.
»Sie hatten das Bild von Whitbreads Helmkamera die ganze Zeit, die er in diesem Boot war, auf Ihrem Schirm?«
»Ja, Sir.«
»Irgendeine Chance, dass noch ein zweites Wesen an Bord war?«
»Nein, Sir. Dazu war nicht genug Platz. Oder, Sandy?« »Aye, Käptn«, meldete sich Sinclair. Blaine hatte eine Verbindung zur Achterbrücke und zum Maschinenraum geschaltet. »Nicht, wenn dieses Viech noch Treibstoff an Bord hatte. Und Türen haben wir auch keine gesehen.«
»Wir haben auch die Luftschleuse nicht gesehen, bis sie aufging«, erinnerte ihn Blaine.
»Gab’s irgend etwas, das eine Waschkabine oder so was hätte sein können?«
»Käptn, wir haben doch die Toilette gesehen? Ich hab jedenfalls das Ding auf der Steuerbordseite in der Nähe der Luftschleuse dafür gehalten.«
»Hm. Dann ist dieses Boot auf Autopilot geschaltet — sind Sie beide auch dieser Meinung? Aber wir haben nicht gesehen, wie das Split ihn programmierte.«
»Nein, aber wie es praktisch die ganze Steuerkonsole umbaute, Kapitän«, sagte Cargill.
»Guter Gott! Glauben Sie, dass die Splits auf diese Weise ihre Steuerung …« »Kommt mir ziemlich umständlich vor, aber das Viech hat ja sonst nichts getan, was nach Autopilot-Programmieren ausgesehen hätt’«, überlegte Sinclair laut. »Und verdammt flink war’s damit, Sir. Käptn, glauben Sie, ’s hat ’n Autopiloten gebaut?«
Auf einem von Rods Schirmen flammte ein greller Lichtfleck auf. »Haben Sie das gesehen? Ein blauer Lichtblitz in der Luftschleuse des fremden Boots. Wozu war das wohl?«
»Um diese Parasiten wegzuputzen?« meinte Sinclair.
»Kaum. Das hätte das Vakuum schon besorgt«, wandte Cargill ein.
Whitbread kam auf die Brücke und nahm vor Blaines Kommandositz Haltung an. »Melde mich zurück, Sir.«
»Gut gemacht, Mr. Whitbread«, sagte Rod. »Äh — haben Sie eine Ahnung, wozu es diese zwei kleinen Tiere mit an Bord gebracht hat?«
»Nein, Sir — vielleicht ein Geschenk? Damit wir eins sezieren können?«
»Möglich. Wenn wir nur wüssten, was diese Tiere sind. Aber jetzt sehen Sie sich mal das an.« Blaine wies auf die Bildschirme.
Das fremde Boot wendete. Das grellweiße Licht seines Fusionsantriebs brannte einen Bogen in das Schwarz des Raums. Das Boot schien wieder Kurs auf die Trojanischen Asteroiden zu nehmen.
Und Jonathon Whitbread war der einzige Mensch, der je in seinem Innern gewesen war.
Als Blaine seine Leute von den Gefechtsstationen entließ, glaubte der rothaarige Kadett vermutlich, er hätte das Ärgste nun hinter sich.
Der Mund der Technikerin war breit, lippenlos und in den Winkeln leicht hochgezogen.
Das wirkte wie ein sanftes, zufriedenes Lächeln, doch das war es nicht. Es war ein Zug, der ihrem Clowngesicht angeboren war.
Trotzdem war die Technikerin glücklich.
Ihr Entzücken hatte immer mehr zugenommen. Es war eine wunderbare, neue Erfahrung gewesen, sich durch das Langston-Feld zu bewegen — als ob man eine schwarze Blase verlangsamter Zeit durchdringe. Selbst ohne ihre Instrumente hatte sie dadurch einiges über das Feld erfahren. Sie brannte jetzt mehr denn je darauf, den Generator zu sehen.
Das Schiff im Innern jener Blase erschien ihr unpraktisch, aber geradezu fantastisch luxuriös. Im Hangarraum gab es Teile, die anscheinend mit nichts anderem zusammenhingen, eine so überreiche Zahl an Mechanismen, dass sie ungenutzt bleiben konnten! Und viele Dinge konnte sie auf den ersten Blick gar nicht verstehen, vor allem weil sie die überflüssige penible Symmetrie fast aller Gegenstände irritierte.
Manches war vermutlich strukturelle Grundlage für das Feld oder jenen geheimnisvollen Antrieb, der mit dem Feld zusammenhing. Andere Sachen mussten echte Neuerfindungen sein, neue Schaltungen und Geräte, die bekannte Aufgaben erfüllten, aber für eine einfache Prospektor-Technikerin undurchschaubar waren. Sie erkannte jedoch Waffen — Waffen, die zu dem großen Schiff gehörten, Waffen an den Booten im Hangardeck, tragbare Waffen bei den Fremden, die die andere Seite der Luftschleuse umringten.
Das überraschte sie nicht. Sie hatte bald erkannt, dass diese neue Kaste Befehle gab, nicht Befehle empfing. Natürlich mussten die Wesen Waffen besitzen. Vielleicht hatten sie sogar Krieger.
Die doppeltürige Luftschleuse war zu kompliziert, zu leicht zu blockieren, primitiv und materialverschwenderisch. Sie begriff, dass man sie hier brauchte. Diese neue Kaste musste gekommen sein, um sie mitzunehmen, denn wenn man derartige Geräte verwendete, konnte kein Techniker an Bord sein. Sie begann, den Mechanismus zu zerlegen, doch der Fremde packte sie am Arm, also gab sie ihr Vorhaben auf. Sie hatte ohnehin nicht die geeigneten Werkzeuge, und sie wusste nicht, wovon es gestattet war, Werkzeuge zu machen. Aber für all das würde noch genug Zeit sein …
Eine Schar anderer, die dem ersten Fremden mehr oder weniger glichen, drängte sich um sie. Sie trugen seltsame Hüllen, die fast alle gleich aussahen, und Waffen, aber sie gaben keine Befehle. Der eine Fremde versuchte immer noch, mit ihr zu sprechen.
Konnten sie nicht sehen, dass sie kein Vermittler war? Allzu gescheit war sie anscheinend nicht, diese neue Kaste. Aber so primitiv diese Wesen auch waren, sie waren Befehlsgeber. Dieser eine Fremde hatte eindeutig einen Befehl geschrieen.
Sie konnten jedenfalls nicht die Sprache sprechen.
Die Situation erforderte angenehmerweise kaum Entscheidungen. Eine Technikerin brauchte nur mitzukommen, wohin sie geführt wurde, zu reparieren und umzubauen, wo es nötig war, und auf einen Vermittler zu warten. Oder auf einen Meister. Und hier gab es so viel zu tun, so viel …
Der Aufenthaltsraum der Unteroffiziere war in einen Empfangsraum für fremde Besucher umgewandelt worden. Die Unteroffiziere mussten sich mit dem einen Messeraum der Infanteristen begnügen, wodurch es bei den Soldaten im zweiten ziemlich eng wurde. Im ganzen Schiff gab es Umstellungen und Veränderungen, um der Schar von Zivilisten die Voraussetzungen für ihre Arbeit zu liefern.
Als Labor war der Aufenthaltsraum vielleicht nicht ideal, aber er war sicher, hatte fließendes Wasser, Steckkontakte, Kochplatten und Waschgelegenheiten zu bieten.
Zumindest erinnerte nichts an den Seziertisch.
Vor Beginn der Expedition war nach einigen Kontroversen entschieden worden, keine Möbel für die fremden Wesen zu bauen. Man hätte sie ja nur für den Insassen der Sonde entwerfen können, und von einem Toten auf eine ganze Rasse zu schließen, schien absurd. Der Raum war auch ausreichend mit Vidifonaugen bestückt, so dass nahezu jeder an Bord des Schiffes die Vorgänge beobachten konnte, wenn auch nur einige Bevorzugte tatsächlich hinein durften. Sally Fowler war bei den Wissenschaftlern, die das Split erwarteten, und sie war fest entschlossen, sein Vertrauen zu gewinnen. Wie sie das anstellen würde, und wie viele Leute ihr dabei zuschauen würden, das kümmerte sie nicht im geringsten.
Es stellte sich jedoch bald heraus, dass mit dem Split leicht auszukommen war. Es war zutraulich wie ein Kind. Das erste, was es tat, als es die Luftschleuse verlassen hatte, war, den Plastiksack mit den Miniexemplaren aufzureißen und dem ersten Menschen zu geben, der danach griff. Danach kümmerte es sich nie wieder um die beiden Geschöpfe.
Es kam überallhin mit, wo es hingeführt wurde — zuerst von den Infanteristen, dann von Sally, die es an der Tür des Empfangsraums bei der Hand nahm. Wo es auch war, es schaute sich aufmerksam um, den ganzen Oberkörper hin und her drehend. Wenn Sally losließ, blieb das Split einfach stehen, wartete auf weitere Anweisungen und beobachtete alle mit seinem starren, sanften Lächeln.
Gesten und Symbole schien es nicht zu verstehen. Sally und Horvath und einige andere versuchten, sich mit dem Split zu verständigen, aber ohne Erfolg. Dr. Hardy, der Kaplan und Linguist, zeichnete mathematische Diagramme. Das Split reagierte nicht darauf; es verstand nichts davon und interessierte sich nicht dafür.
Waffen dagegen zogen sein Interesse an. Kaum im Aufenthaltsraum angelangt, griff es nach Kelleys Handwaffe. Auf Befehl Dr. Horvaths entlud der Infanterieschütze widerstrebend seine Waffe und ließ das Split eine der Patronen untersuchen, bevor er ihm die Waffe selbst gab. Das Split nahm sie völlig auseinander, was Kelley ziemlich auf die Palme brachte und die Wissenschaftler verblüffte und amüsierte. Dann setzte es sie wieder zusammen, richtig, was wiederum Kelley verblüffte. Dann untersuchte es seine Hand, beugte die einzelnen Finger, so weit es ging, studierte die Gelenke, prüfte Muskeln und Knochen des Handgelenks, indem es mit den eigenen Fingern danach tastete. Schließlich untersuchte es zum Vergleich Sallys Hand in derselben Weise.
Das Split nahm darauf Werkzeuge aus seinem Gürtel und begann, am Griff der Pistole herumzubasteln, wobei es aus einer Tube eine Art Plastikmasse herausdrückte und den Griff damit ummodellierte.
»Die kleinen Exemplare sind weiblich«, verkündete einer der Biologen. »Wie das große.«
»Ein weiblicher Asteroidenprospektor?« fragte sich Sally. Sie beobachtete das Wesen nachdenklich. »Wenn sie Weibchen solche gefährlichen Arbeiten tun lassen, wird ihre Kultur wohl ganz anders als die des Imperiums aussehen.« Sie musterte das Split neugierig. Es starrte mit seinem ewigen Lächeln zurück.
»Wir sollten uns lieber damit befassen, herauszubekommen, was dieses Wesen isst«, meinte Horvath. »Es scheint sich keinen Proviant mitgebracht zu haben, und Kapitän Blaine hat mir mitgeteilt, dass sein Boot sich mit unbekanntem Ziel entfernt.« Er warf einen Blick auf die Mini-Splits, die auf dem großen Tisch herumkrochen, der sonst für Pingpong und ähnliches verwendet wurde. »Falls die da nicht der Proviant sind«, fuhr er unbehaglich fort.
»Es wäre besser, wenn wir sie vorläufig noch nicht zu kochen versuchten«, erklärte Renner von der Tür her. »Es könnten Kinder sein. Unreife Splits.«
Sally fuhr herum und schnappte entsetzt nach Luft, bevor sie zu ihrem wissenschaftlichen Gleichmut zurückfand. Aber auch ohne diese Bemerkung hätte sie keinesfalls gebilligt, irgend etwas zu kochen, bevor sie wusste, was es war. »Mr. Renner, weshalb interessiert sich der Chefnavigator der Mac Arthur für Probleme extraterrestrischer Biologie?« erkundigte sich Horvath.
»Das Schiff hat keine Fahrt, der Kapitän hat lediglich allgemeine Bereitschaft angeordnet, und ich habe dienstfrei«, sagte Renner. Er fand es nicht nötig, die stehende Order des Kapitäns zu erwähnen, dass die Besatzung den Wissenschaftlern nicht in die Quere kommen sollte. »Weisen Sie mich hinaus?«
Horvath überlegte sich das. Auf der Brücke tat Rod Blaine dasselbe, aber er hatte für Horvath ohnehin nicht viel Sympathie übrig. Der Wissenschaftsminister schüttelte schließlich den Kopf. »Nein. Aber ich finde Ihre Bemerkung über die kleinen Wesen ziemlich unsinnig.«
»Wieso? Sie könnten den zweiten linken Arm später verlieren wie wir die Milchzähne.«
Einer der Biologen nickte zustimmend. »Welche Unterschiede gibt es sonst noch? Die Größe?« »Ontogenese rekapituliert die Phylogenese«, murmelte jemand. Jemand anderer sagte: »Ach, halten Sie doch den Mund.«
Das Split gab Kelley seine Waffe zurück und schaute sich um. Renner war der einzige Flottenoffizier im Raum. Die braunpelzige Fremde ging auf ihn zu und langte nach seiner Pistole. Renner entlud die Waffe und gab sie her, dann ließ er eine wiederum sehr gründliche Untersuchung seiner Hand über sich ergehen. Diesmal arbeitete das Split sehr viel schneller. Seine Hände bewegten sich so blitzartig, dass das Auge kaum folgen konnte.
»Nun, vielleicht sind die Kleinen eine Art Affen«, sagte Renner. »Ich meine, die Vorfahren der intelligenten Split-Spezies. Dann könnten Sie durchaus recht gehabt haben. Auf Dutzenden Planeten gibt es Menschen, die Affenfleisch essen. Aber wir riskieren es wohl lieber noch nicht.«
Das Split werkte an Renners Waffe herum und legte sie endlich auf den Tisch. Renner nahm sie in die Hand. Er runzelte die Stirn, als er merkte, dass der flache Griff jetzt gekrümmte Rillen aufwies, die bereits ebenso hart waren wie das ursprüngliche Plastik.
Selbst der Abzug war umgeformt worden. Renner legte die Finger um den Kolben, und auf einmal passte die Waffe in seine Hand wie nie zuvor. Sie war ein Teil seiner Hand und lag ganz von selbst richtig im Anschlag.
Er freute sich über dieses neuartige Gefühl und bemerkte dann, dass Kelley seine Waffe nach einem verwunderten Blick hastig geladen und wieder im Halfter verstaut hatte. Die Pistole war jetzt einfach perfekt, und Renner hätte sie nur äußerst ungern hergegeben.
Kein Wunder, dass der Infanterist nichts gesagt hatte. Der Navigator zeigte Horvath das Werk des Split.
Der Wissenschaftsminister nahm die Pistole in die Hand. »Unser Besucher scheint eine Menge von Werkzeugen zu verstehen«, sagte er. »Ich weiß natürlich wenig über Waffen, aber mir scheint, dass diese der menschlichen Hand besonders gut angepasst ist.«
Renner nahm seine Waffe zurück. Horvaths Bemerkung irritierte ihn irgendwie. Sie kam ihm viel zuwenig begeistert vor. Passte die Waffe vielleicht in seine eigene Hand besser als in die Horvaths?
Das Split schaute sich immer noch interessiert um, drehte seinen Rumpf einmal dahin, einmal dorthin, starrte die Wissenschaftler der Reihe nach an, dann die Einrichtung, es schaute und wartete. Eins der Miniaturexemplare saß mit gekreuzten Beinen vor Renner und schaute und wartete auch. Es schien nicht die geringste Angst zu haben. Renner bückte sich und kraulte es hinter dem Ohr, dem rechten Ohr. Wie das große Split besaß es kein linkes Ohr; die Schultermuskeln des oberen linken Arms zogen sich bis zum Scheitel hinauf. Es schien jedoch das Kraulen zu mögen; Renner vermied sorgfältig das Ohr selbst, das groß und dünn war.
Sally schaute zu und überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Sie überlegte auch, was sie an Renners Tun störte. Es war nicht der seltsame Anblick eines Flottenoffiziers, der eine recht sonderbare Sorte von Äffchen hinter dem Ohr kraulte, es war irgend etwas anderes, etwas an dem Ohr selbst …
Dr. Buckman hielt sich gerade im Observatorium auf, als der blendende Laserstrahl des Split-Signals erlosch.
Es war tatsächlich von einem Planeten gekommen, der etwa Erdgröße besaß und eine transparente Atmosphäre, wie der verschwommene Rand bewies. Buckman nickte befriedigt; selbst auf diese Entfernung waren eine Menge Einzelheiten festzustellen. Die Flotte besaß gute Geräte und wusste sie einzusetzen. Einige der Unteroffiziere hätten brauchbare Astronomieassistenten abgegeben — zu schade, dass sie sich ans Militär verschwendeten …
Wer von der Astronomieabteilung gerade verfügbar war, machte sich an die Analyse der Beobachtungsdaten von dem Planeten, und Buckman rief Kapitän Blaine an.
»Ich wünschte, Sie würden mir ein paar von meinen Leuten zurückschicken«, beschwerte er sich. »Sie stehen alle im Aufenthaltsraum herum und schauen sich das Split an.«
Blaine zuckte die Achseln. Er konnte den Wissenschaftlern kaum Befehle erteilen. Wie Buckman mit seiner Abteilung zurechtkam, war dessen Angelegenheit. »Tun Sie, was Sie können, Doktor. Alle interessieren sich eben für die fremden Wesen. Selbst mein Navigator, der da unten gar nichts zu suchen hätte. Was konnten Sie bisher feststellen?
Ist es ein erdähnlicher Planet?«
»Gewissermaßen ja. Ein wenig kleiner als die Erde, mit einer Wasser-Sauerstoff-Atmosphäre. Aber im Spektrum scheinen Spurenelemente auf, die mir Kopfzerbrechen machen. Die Heliumlinie ist sehr stark ausgeprägt, viel zu stark. Mir gefällt diese Messung nicht.«
»Eine starke Heliumlinie? Etwa einem Prozent entsprechend?«
»Ja, wenn die Messung in Ordnung ist, aber ehrlich gesagt … Warum wollen Sie das wissen?«
»Die Atemluft in dem Split-Boot enthielt ein Prozent Helium und noch einige recht seltsame Zusätze; ich glaube, Ihre Messung stimmt.«
»Aber, Kapitän, es ist unmöglich, dass ein erdähnlicher Planet so viel Helium halten kann! Es muss sich verflüchtigen. Einige der anderen Linien sind noch unerklärlicher.«
»Ketone? Kohlenwasserstoff komplexe?«
»Ja!«
»Dr. Buckman, ich würde Ihnen raten, sich Mr. Whitbreads Bericht über die Atmosphäre in dem Split-Boot anzusehen. Sie finden ihn im Computer gespeichert. Und bitte machen Sie eine Neutrino-Messung.«
»Das geht jetzt aber sehr schlecht, Kapitän.«
»Bitte tun Sie es trotzdem«, sagte Rod zu dem knochigen, starrsinnigen Gesicht auf seinem Bildschirm. »Es ist vielleicht wichtig, den Stand ihrer Technik zu kennen.«
»Wollen Sie ihnen etwa den Krieg erklären?« knurrte Buckman.
»Noch nicht«, antwortete Blaine kurz. »Ach, übrigens, solange Sie die Instrumente dafür eingerichtet haben, könnten Sie auch noch eine Neutrino-Messung von dem Asteroiden machen, von dem das Split-Boot kam. Er liegt ziemlich abseits des Trojanerschwarms, Sie werden also mit Hintergrundstrahlung kaum Schwierigkeiten haben.«
»Kapitän, das hält mich in meiner Arbeit auf!«
»Ich werde Ihnen einen Offizier als Aushilfe schicken.« Rod überlegte rasch. »Potter.
Sie können Mr. Potter als Assistenten haben.« Potter würde begeistert sein. »Hören Sie, Dr. Buckman, diese Daten sind wichtig. Je mehr wir über sie wissen, um so eher können wir uns mit ihnen verständigen. Und je eher wir mit ihnen reden können, um so eher können wir ihre eigenen astronomischen Beobachtungen verstehen.« Dieses Argument musste einschlagen. Buckman runzelte die Stirn. »Also, das — das ist richtig.
Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.«
»Gut also, Doktor.« Rod schaltete ab, bevor Buckman noch weitere Beschwerden äußern konnte. Dann drehte er sich zu Kadett Whitbread um, der in der Tür stand.
»Kommen Sie rein und setzen Sie sich, Mr. Whitbread.«
»Danke, Sir.« Whitbread setzte sich. Die Sessel im Dienstraum des Kapitäns bestanden aus Stahlrohr und Gurtengeflecht, was ebenso leicht wie bequem war. Whitbread saß ganz außen auf der Kante von einem. Cargill gab ihm eine Tasse Kaffee, die er mit beiden Händen umklammerte. Er schaute angespannt und nervös drein.
Cargill sagte: »Machen Sie sich’s bequem, Junge.«
Whitbread rührte sich nicht.
Rod sagte ruhig: »Whitbread, hören Sie jetzt mal gut zu. Jeder auf diesem Schiff möchte Sie nach Kräften ausquetschen, nicht später, sondern jetzt. Ich komme als erster dran, weil ich der Kapitän bin. Aber wenn wir miteinander fertig sind, schicke ich Sie zu Horvath und seinen Leuten. Wenn die dann mit Ihnen fertig sind, falls das je der Fall ist, haben Sie Freiwache. Sie denken wahrscheinlich, dass Sie dann zum Schlafen kommen.
Mitnichten. Der gesamte Geschützraum wird Ihr Abenteuer hören wollen. Die Männer werden schön in Intervallen vom Dienst kommen, so dass Sie Ihre Geschichte nicht einmal, sondern ein Dutzend mal erzählen werden müssen. Ist Ihnen die Situation nun klar?«
Whitbread war gebührend entsetzt über diese Aussichten.
»Gut also. Stellen Sie Ihre Tasse ab. So. Und jetzt rutschen Sie in diesen Sessel zurück, bis Sie sich anlehnen können. Ruhen Sie sich aus, verdammt! Machen Sie die Augen zu.«
Erstaunlicherweise tat Whitbread das alles. Nach einigen Augenblicken breitete sich ein seliges Grinsen über sein Gesicht. »Ich habe den Recorder abgeschaltet«, sagte Blaine nicht ganz wahrheitsgetreu. »Ihren offiziellen Bericht können wir später aufnehmen. Was ich jetzt brauche, sind Fakten, Eindrücke, alles, was Ihnen gerade einfällt. Mein dringlichstes Problem ist jetzt, ob ich dieses Split-Boot stoppen soll oder nicht.«
»Können wir das noch, Sir?«
Blaine blickte Cargill fragend an. Der Erste Offizier nickte. »Es ist erst eine halbe Stunde unterwegs. Wir könnten es jederzeit in den nächsten paar Tagen aufhalten. Es hat ja kein Schutzfeld. Und soweit wir durch Ihre Helmkamera erkennen konnten, ist der Rumpf nicht gerade massiv. Ein Zweiminutenbeschuss mit den Buglasern würde das ganze Boot in Dampf auflösen — ohne Schwierigkeiten.«
»Oder«, sagte Blaine, »wir könnten es einholen, seinen Antrieb demolieren und es in Schlepptau nehmen. Der Erste Maschinist würde einen Jahressold dafür geben, dieses elektromagnetische Fusionssystem untersuchen zu können. Und die Händlervereinigung hätte vermutlich noch viel mehr Interesse daran — dieses Boot ist ideal für Asteroidenaufschließung.«
»Ich würde nicht dafür stimmen«, sagte Whitbread mit geschlossenen Augen. »Wenn wir eine Demokratie wären, Sir.«
»Sind wir aber nicht, und der Admiral lechzt danach, dieses Split-Boot einzufangen. Ein paar von den Wissenschaftlern ebenfalls, aber Horvath ist dagegen. Warum sind Sie’s?«
»Es wäre ein erster feindseliger Akt, Sir. So etwas würde ich so lange vermeiden, bis die Splits tatsächlich die Mac Arthur angreifen.« Whitbread öffnete die Augen. »Selbst dann kämen sie wohl kaum gegen das Feld an, oder? Wir befinden uns in ihrem Heimatsystem, Kapitän, und wir sind doch hergekommen, um herauszufinden, ob wir uns mit ihnen verständigen können — zumindest dachte ich das, Sir.« »Er redet schon ganz wie Dr. Horvath, nicht, Käptn?« meinte Cargill grinsend.
»Außerdem, Sir, was könnte das Split-Boot tun, das gegen unsere Interessen wäre?«
»Heimfliegen, unter Umständen mit einer Botschaft.«
»Ich glaube nicht, dass es irgendeine Botschaft enthält, Sir. Der Pilot hat nichts getan, das nach Schreiben ausgesehen hätte, und gesprochen hat er überhaupt nicht.«
»Sie«, verbesserte Blaine. »Die Biologen sagen, das Split ist weiblich. Die beiden kleinen Exemplare ebenfalls, und eins ist schwanger.«
»Schwanger. Hätte ich das bemerken müssen, Sir?«
Blaine grinste. »An welchen Anzeichen denn? Sie haben im übrigen nicht mal bemerkt, dass die kleinen Splits alle vier Arme haben.«
»Vier …?«
»Machen Sie sich nichts draus, Mr. Whitbread. Sie sahen nicht, dass irgendeine Nachricht vorbereitet worden wäre, aber Sie wussten ja auch nicht, dass das Split einen Autopiloten programmierte — oder baute —, bis das Boot sich entfernte. Und ein leeres Schiff ist so viel wie eine Nachricht. Sind wir auf Besucher vorbereitet, Jack?«
Cargill nickte. »Und wenn nicht wir, dann todsicher die Lenin.«
»Wir sollten nicht auf all zuviel Hilfe von der Lenin rechnen, Erster. Kutuzov findet, es könnte interessant sein, festzustellen, wie die Mac Arthur sich gegen die Splits behaupten würde. Er tut vielleicht nichts weiter als zusehen und dann heim fliegen.«
»Ist das … das klingt aber gar nicht nach dem Admiral, Sir«, protestierte Cargill.
»Und ob. Sie hätten nur den Streit mitanhören sollen, den er mit Dr. Horvath hatte.
Unser Wissenschaftsminister sagt dem Admiral jeden Tag, er solle sich gefälligst nicht einmischen, und Kutuzov ist bald so weit, dass er ihm beim Wort nimmt.« Blaine warf seinem Kadetten einen Blick zu. »Sie brauchen das nicht im Geschützraum oder sonst wo verbreiten, Whitbread.«
»Nein, Sir.«
»Nun, da wir noch etwas Zeit haben, wollen wir einmal sehen, was Sie sich von dem Split-Boot gemerkt haben.« Blaine drückte auf einige Tasten, und die in die Wand eingelassenen Bildschirme zeigten verschiedene Ansichten des fremden Bootes. »So weit ist es dem Computer schon bekannt«, erklärte Rod. »Wir haben auch schon etliche Aufzeichnungen und Analysen des Innern. Es gab keinerlei Abschirmung gegen Sondierung, keine Geheimnisse. Verständlicher werden die Dinge dadurch nicht.«
Blaine nahm einen Lichtzeiger in die Hand. »Diese Region enthielt flüssigen Wasserstoff. Hier dagegen müssen schwere Maschinen liegen — haben Sie etwas davon gesehen?«
»Nein, Sir, aber diese Rückwand sah aus, als könnte man sie hinauf schieben.«
»Gut.« Blaine nickte, und Cargill zeichnete die Information mit dem Lichtstift auf dem Schirm ein.
»Etwa so?« fragte der Erste Offizier. »Gut.« Er drückte die Speicherungstaste. »Also, wir wissen, dass eine ziemliche Menge Wasserstoff in dem Boot untergebracht war. Und dass dieser Antrieb den Wasserstoff ionisiert, erhitzt und mit heißem Kohlenstoffdampf anreichert. Dazu sind recht umfangreiche Aggregate nötig. Wo sind die aber?«
»Sir, sollten wir nicht den Ersten Maschinisten dabeihaben?« »Richtig, Mr. Whitbread.
Aber unglücklicherweise ereignen sich auf diesem Schiff zehn Dinge zugleich, und Commander Sinclair wird andernorts gebraucht. Er wird Sie schon noch früh genug ausfragen — Jack, wir sollten nicht vergessen, wie die Splits bauen. Wir suchen nach verschiedenen Mechanismen für jeden Zweck, aber in dieser Sonde hatte alles vier oder fünf Aufgaben zugleich. Es könnte also sein, dass wir auch viel zuviel Maschinerie suchen.«
»Ja, Sir — aber, Käptn, wie man’s auch ansieht, dieses Boot musste eine bestimmte Mindestzahl an Funktionen erfüllen können. Es musste. Und wir finden nicht einmal für die Hälfte dieser unentbehrlichen Funktionen die zugehörigen Geräte.«
»Mit unseren Mitteln wohl nicht«, sagte Blaine nachdenklich. Dann grinste er. »Naja, wir suchen vielleicht nach einer Kombination von Mikrowellenherd, Treibstoffionisator und Sauna. Schön, befassen wir uns mit der Pilotin. Was für einen Eindruck hatten Sie, Whitbread? Ist sie wirklich so intelligent?«
»Sie hat nichts verstanden, was ich sagte. Außer einmal, als ich schrie ›Schalt das Kraftfeld ab!‹ Das hat sie sofort verstanden. Sonst überhaupt nichts.«
»Also in dieser Version klingt’s wesentlich zahmer, mein Junge«, sagte Cargill. »Egal.
Was glauben Sie? Macht uns dieses Wesen etwas vor? Versteht es unsere Sprache?«
»Ich weiß nicht. Sie hat nicht einmal meine Gesten verstanden — nur das eine Mal, als ich ihr den eigenen Druckanzug überreichte — und das ist wohl sehr deutlich, Sir.«
»Vielleicht ist sie nur dumm«, meinte Rod.
»Sie ist Asteroidenprospektor, Kapitän«, sagte Cargill bedächtig. »Das ist ziemlich sicher. Zumindest sieht ihr Boot danach aus. Diese Haken und Klammern am Heck dienen vermutlich zum Festhalten von unempfindlicher Ladung wie Erzbrocken oder lufthaltigem Gestein.«
»Und?« fragte Blaine.
»Ich habe Leute kennengelernt, die in der Asteroidenverwertung arbeiten, Käptn. Sie sind im allgemeinen zäh, selbständig, eigensinnig und schweigsam. Sie vertrauen anderen ihr Leben an, aber nicht ihre Frau oder ihren Besitz. Und draußen im Raum verlernen sie das Reden, scheint mir.«
Die beiden Männer sahen Whitbread erwartungsvoll an. Er sagte jedoch nur: »Ich weiß nicht, Sir. Ich weiß es einfach nicht. Sie ist bestimmt nicht dumm. Sie hätten sehen sollen, wie blitzartig sich ihre Hände im Inneren der Steuerkonsole bewegten, Drähte zogen, neue Schaltungen schufen, ein halbes Dutzend Dinge neu einstellten — so schaute es jedenfalls aus. Vielleicht — vielleicht ist unsere Zeichensprache nicht das richtige. Ich weiß auch nicht, warum.«
Rod legte einen Finger an den Buckel auf seiner Nase. »Es wäre ein Wunder, wenn sie funktionierte«, sagte er nachdenklich. »Schließlich, dieses Wesen ist nur ein Exemplar einer völlig fremden Rasse. Wenn wir die Fremden wären und einen Asteroidenprospektor träfen, welche Schlüsse würden wir dann über das Imperium ziehen?« Blaine schenkte erst sich, dann Whitbread Kaffee nach. »Nun, Horvaths Leute sollten eher etwas herausfinden als wir. Sie haben das Split.«
Sally Fowler beobachtete das Split irritiert und beinahe ärgerlich. »Ich weiß einfach nicht, ob sie blöd ist oder ich. Haben Sie gesehen, was passierte, als ich ihr die Zeichnung zum pythagoreischen Lehrsatz machte?«
»Mhm.« Renners Grinsen besänftigte Sally nicht ein bisschen. »Sie hat Ihren Taschencomputer auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Selber hat sie nichts gezeichnet. In mancher Hinsicht ist sie aber wirklich dumm«, sagte er ernster.
»Ohne unsere eminent vertrauenswürdigen Charaktere anzweifeln zu wollen, würde ich sagen, dass sie verdammt zu vertrauensselig ist. Vielleicht sind ihre Überlebensinstinkte ein bisschen schwach.«
Sally nickte und schaute dem Split bei der Arbeit zu.
»Wenn’s darum geht, etwas zu bauen, ist sie ein Genie«, meinte Renner. »Aber sie versteht weder Gesprochenes noch Zeichen- oder Bildersprache. Kann dieses komische Biest denn zugleich ein Genie und ein Idiot sein?«
»Ein idiot savant«, murmelte Sally. »Das kommt gelegentlich bei Menschen vor.
Schwachsinnige Kinder, die aber zum Beispiel im Kopf Kubikwurzeln ziehen oder Logarithmen berechnen können. Mathematische Genies, die sich nicht die Schuhe zubinden können.«
»Verschiedenes Auffassungsvermögen«, warf Horvath ein, der mit einer genauen Untersuchung der kleinen Splits befasst war. »Man muss lernen, dass ein Bild ein Bild ist. Ihre Zeichnungen … Himmel, was ist jetzt los?« Jemand an der Tür war in ein empörtes Gebrüll ausgebrochen.
Cargill hatte es für nötig befunden, Whitbread zu den Wissenschaftlern zu bringen.
Nicht, dass er bezweifelt hätte, dass Whitbread allein zu dem Messeraum gefunden hätte, in den man die Splits gebracht hatte, während im Freizeitraum der Unteroffiziere ein Käfig für die kleinen Exemplare gebaut wurde. Jack Cargill war jedoch neugierig.
Noch halb in der Tür stehend bekam er zum ersten Mal das fremde Wesen zu Gesicht.
Es zerlegte gerade die einzige Kaffeemaschine der Messe — eine Gemeinheit sondergleichen, die durch sein unschuldiges Lächeln noch teuflischer wirkte.
Cargills Gebrüll ließ es zusammenzucken — und der Erste Offizier musste feststellen, dass es bereits zu spät war. Schräubchen und winzige Teile waren über den halben Tisch verstreut. Das Split hatte die Heißwasserröhre zerbrochen, vermutlich, um die Löttechnik zu studieren. Der Zeitmechanismus war säuberlich in Einzelteilen ausgebreitet. Das zylindrische Gehäuse hatte das Split entlang der Schweißnaht aufgerissen.
Cargill merkte, dass der Wissenschaftsminister ihn am Arm gepackt hatte. »Sie erschrecken es«, sagte Horvath leise. »Gehen Sie, bitte.«
»Doktor, haben Sie die Güte, mir zu erklären …«
»Nicht hier!« zischte Horvath und schob ihn auf die andere Seite des Raums. Cargill entdeckte die kleinen Wesen auf einem Tisch, umringt von Vertretern der Biowissenschaften und Kostproben aus der Kombüse: Getreide, Brot, Karotten und Sellerie, aufgetautes rohes und gekochtes Fleisch. »Also«, sagte Horvath. »Was soll das heißen, so hereinzuplatzen …«
»Dieser hinterhältige Clown hat unsere Kaffeemaschine kaputtgemacht!«
»Da haben wir noch Glück gehabt«, stellte Kadett Whitbread ungerührt fest. »Sie war drauf und dran, die Vierer-Luftschleuse zu zerlegen, bevor ich sie davon abbrachte.«
»Sie interessiert sich nur für Geräte und Werkzeuge.« Horvath achtete demonstrativ nicht auf Cargills Empörung. »In diesem Fall bin ich sogar derselben Meinung wie Admiral Kutuzov. Dieses Wesen darf den Alderson-Antrieb oder die Feldgeneratoren nicht zu sehen bekommen. Es ist anscheinend imstande, in Sekundenschnelle zu erkennen, wozu ein Gegenstand dient und wie er funktioniert, ohne ihn auch nur zu berühren.« »Darum geht’s jetzt nicht!« erklärte Cargill ärgerlich. »Hätten Sie dem Split nicht was anderes zum Spielen geben können? Diese Kaffeemaschine war ohnehin schon recht zusammengeflickt. Niemand hat sich mehr damit ausgekannt, seit Sandy Sinclair sie repariert hat. Und jetzt hat das Split einige Teile ganz zerbrochen.«
»Wenn sie so leicht zerbrechen, kann man sie vermutlich auch wieder flicken«, sagte Horvath besänftigend. »Hören Sie, wir könnten Ihnen einen Kocher aus dem Labor geben, oder einer unserer Techniker könnte … Ah, Miss Fowler, hat sich die Fremde beruhigt? Nun, Mr. — Whitbread? Wir freuen uns, Sie hier zu haben; wir haben auf Sie gewartet, da Sie der einzige sind, der sich bis jetzt mit diesem Wesen verständigen konnte. Nein, Commander Cargill, bitte kommen Sie dem Split nicht zu nahe …«
Aber Cargill war bereits drüben. Das fremde Wesen wich ein wenig zurück, und Cargill blieb stehen, warf ihm aber einen erbitterten Blick zu. Dann besah er sich die Kaffeemaschine. Sie war wieder zusammengesetzt.
Das Split verließ Sally Fowler, suchte sich ein konisches Plastikgefäß, füllte es an der Wasserleitung und leerte es in die Kaffeemaschine. Einer der Messestewards kicherte.
Das Split goss zwei Behälter Wasser in die Kaffeemaschine, setzte den Behälter für das Kaffeemehl ein und wartete.
Der Steward warf Cargill einen belustigten Blick zu. Dieser nickte. Der Steward holte die Dose mit gemahlenem Kaffee hervor, füllte mit dem Messlöffel Kaffee in den Behälter und schaltete ein. Die Fremde sah die ganze Zeit aufmerksam zu. Eines der Miniexemplare tat desgleichen, obwohl ihm ein Biologe eine Karotte vor dem Gesicht hin und her schwenkte. »Das hat’s schon vorhin getan, mir beim Kaffeekochen zugeschaut, Sir«, sagte der Steward. »Ich dachte mir, vielleicht mag’s welchen, aber die Wissenschaftler haben ihm keinen gegeben.«
»Wir kriegen hier vielleicht in ein paar Minuten eine ganz verdammte Schweinerei, Ernie. Halten Sie sich mit einem Mopp bereit.« Cargill wandte sich an Sally. »Wie tüchtig ist dieser Clown beim Zusammensetzen von Sachen?«
»Sehr tüchtig«, sagte Sally. »Sie hat meinen Taschencomputer wieder hingekriegt.«
Im Kessel begann es zu gurgeln, und das Wasser in der Anzeigeröhre verfärbte sich braun. Cargill füllte zögernd eine Tasse und kostete. »Wirklich, ganz in Ordnung!« meinte er und reichte die Tasse dem Split.
Es nippte von dem schwarzen, bitteren Gebräu, kreischte und warf die Tasse an die Wand.
Sally führte Whitbread hinaus in die Messepantry. »Sie haben es fertigbekommen, dass das Split Sie verstand. Wie?«
»Das war nur einmal«, sagte Whitbread. »Ich frage mich schon, ob ich mich geirrt habe.
Hat es vielleicht, als ich meinen Helm öffnete und es anbrüllte, gerade beschlossen, mich doch hereinzulassen?«
Sally zog die Brauen zusammen. »Sie steht einfach nur so da. Sie scheint nicht einmal zu wissen, dass wir uns bemühen, mit ihr zu reden. Und selbst versucht sie es auch nie …« Sie sprach leise, beinahe mit sich selbst. »Es ist doch eine grundlegende Eigenschaft intelligenter Arten, sich um Verständigung zu bemühen. — Whitbread, wie heißen Sie mit Vornamen?«
Whitbread geriet etwas aus der Fassung. »Jonathon — Mylady.«
»Schön, Jonathon, ich heiße Sally. Von Mann zu Frau, Jonathon, sagen Sie mir — was zum Kuckuck mache ich falsch? Warum versucht sie nicht einmal, sich mit mir zu verständigen?«
»Nun, Sally«, sagte Whitbread versuchsweise. Der Name gefiel ihm. Und sie war auch nur ein paar Jahre älter als er — »Sally, da könnte man ein halbes Dutzend Gründe aufzählen. Vielleicht liest sie Gedanken?«
»Wie soll das zusammenhängen mit …«
»Sie würde dann nichts von gesprochener Sprache wissen, nicht? Sie könnte nicht verstehen, was Sie von ihr wollen. Vielleicht kann sie auch nur unsere Gedanken lesen, wenn wir zornig sind wie ich in dieser Luftschleuse.«
»Oder Commander Cargill vorhin …«, sagte Sally nachdenklich. »Sie hat sich tatsächlich von der Kaffeemaschine entfernt. Aber nicht für lange. Nein, ich kann das nicht glauben.«
»Ich auch nicht. Ich glaube, dass sie schwindelt.«
»Inwiefern?«
»Sie spielt dumm. Sie weiß nicht, was sie uns sagen soll, also sagt sie uns gar nichts.
Sie versucht, Zeit zu gewinnen. Unsere Maschinen und Geräte interessieren sie. So bekommt sie Zeit, alles zu studieren.«
Sally nickte langsam. »Einer der Biologen hatte einen ähnlichen Gedanken. Er meinte, dass sie auf Anweisungen wartete und inzwischen versuchte, soviel wie möglich zu lernen — Jonathon, wie könnten wir ihr dieses Spiel verderben?«
»Ich glaube nicht, dass das möglich ist«, meinte Whitbread zögernd. »Sehen Sie, wie sollte man einer intelligenten Maus, die sich dumm stellt, auf die Schliche kommen — wenn man noch nie vorher eine Maus gesehen hat?«
»Verdammt. Nun, wir müssen es eben weiter versuchen!« Sie runzelte die Stirn, als sie daran dachte, wie geschickt das Split mit der Kaffeemaschine umgegangen war. Dann musterte sie Whitbread eindringlich. »Sie sind ja erschöpft. Gehen Sie schlafen, es gibt doch nichts mehr, was wir jetzt gleich erfahren müssten, oder?«
»Nein.« Whitbread gähnte verstohlen. Plötzlich hörte er hinter sich ein leises Rascheln.
Beide fuhren herum, aber es war nichts zu sehen. »Naja, weil wir gerade von Mäusen sprachen«, sagte Whitbread.
»Wie können sie auf einem Schiff aus Stahl leben?« fragte Sally.
Whitbread zuckte die Achseln. »Sie kommen mit dem Proviant an Bord, sogar im persönlichen Gepäck. Von Zeit zu Zeit räumen wir Teile des Schiffs, bringen die Leute anderswo unter und öffnen die Schleusen — Vakuum zur Mäusevertilgung, aber wir erwischen niemals alle. Auf dieser Reise können wir das wegen der vielen zusätzlichen Leute an Bord überhaupt nicht machen.«
»Interessant.« Sally nickte. »Mäuse können überall leben, wo Menschen leben können — wissen Sie, dass es wahrscheinlich mindestens ebenso viele Mäuse wie Menschen in unserer Galaxis gibt? Wir haben sie auf fast jede neue Welt mitgenommen. Jonathon, sind die Miniexemplare vielleicht Mäuse?«
Whitbread grinste, meinte dann aber ernster: »Das große Split hatte jedenfalls nicht viel für sie übrig. Es hat alle bis auf zwei umgebracht — nur warum hat es die zwei hierher mitgenommen? Noch dazu zwei ganz willkürlich ausgewählte?« Sally nickte wieder. »Wir haben gesehen, wie es sie fing.« Sie lachte plötzlich. »Und Mr. Renner dachte allen Ernstes, es seien Baby-Splits! Gehen Sie schlafen, Jonathon. Wir sehen uns dann in zehn Stunden oder so.«
Kadett Jonathon Whitbread gelangte viel eher zu seiner Hängematte, als er erwartet hatte. Erleichtert ließ er sich in das Netz sinken und schloss die Augen … öffnete eins wieder, als er jemandes Blick spürte.
»Ja, Mr. Potter«, seufzte er.
»Mr. Whitbread, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal mit Mr. Staley reden würden.«
Er hatte alles, nur nicht so etwas erwartet. Whitbread machte auch das andere Auge auf. »Was?«
»Irgend etwas bedrückt ihn. Sie wissen ja, wie er ist, er würde lieber sterben, als jemandem sein Herz ausschütten. Aber er läuft herum wie ein Roboter, spricht kaum mit jemandem, außer die Höflichkeit verlangt es, er isst allein … Sie kennen ihn länger als ich, deshalb dachte ich, Sie könnten vielleicht herausbekommen, was er hat.«
»Also schön, Potter, ich werd’s versuchen. Wenn ich aufwache.« Er schloss die Augen.
Potter stand immer noch da. »In acht Stunden, Potter. So eilig wird’s ja doch wohl nicht sein.«
In einem anderen Teil der Mac Arthur wälzte sich Chefnavigator Renner unruhig in seiner Koje herum, die die winzige Kabine nahezu ausfüllte. Es war eigentlich das Quartier des Dritten Offiziers, aber da zwei Wissenschaftler in Renners Kabine eingezogen waren, musste der Dritte sich eine Kabine mit einem Infanterieoffizier teilen.
Unvermittelt setzte sich Renner im Dunklen auf, während sein Hirn fieberhaft einem flüchtigen Eindruck, einem Gedanken nachjagte, der nicht aus einem Traum stammte.
Dann schaltete er das Licht ein und versuchte, sich mit der unvertrauten Sprechanlage zurechtzufinden. Der Maat, der sich schließlich meldete, besaß bemerkenswerte Selbstbeherrschung — seine Miene blieb völlig unberührt. »Verbinden Sie mich mit Miss Fowler«, sagte Renner.
Der Maat gehorchte ohne Kommentar. Muss ein Roboter sein, dieser Knabe, dachte Renner. Er wusste sehr gut, welchen Anblick er bot. Sally hatte nicht geschlafen. Sie und Dr. Horvath waren gerade dabei, das Split in der Kabine des Geschützoffiziers einzuquartieren. Als sie »Ja, Mr. Renner?« sagte, entnahm Renner einem gewissen Etwas in ihrer Stimme, ihrem Gesicht, dass er aussehen musste wie eine Kreuzung von Mensch und Maulwurf — ein bemerkenswertes Beispiel wortloser Verständigung.
Renner überging die Gelegenheit, bei Sally Mitleid zu heischen. »Mir ist etwas eingefallen. Haben Sie Ihren Taschencomputer bei sich?«
»Natürlich.« Sie holte das Gerät hervor und zeigte es ihm.
»Bitte, testen Sie ihn.«
Sally schaute verblüfft drein, aber sie schrieb einige Buchstaben auf den Schirm des flachen Kästchens, löschte sie, kritzelte ein einfaches Problem, dann ein schwieriges, das die Hilfe des Schiffscomputers erforderte. Dann rief sie willkürlich einige Personaldaten aus dem Gedächtnisspeicher des Schiffs ab. »Er ist ganz in Ordnung.«
Renners Stimme klang belegt vor Schläfrigkeit. »Bin ich übergeschnappt, oder haben wir gesehen, wie das Split dieses Ding auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt hat?«
»Ja sicher. Wie auch Ihre Pistole.«
»Aber einen Taschencomputer?« Renners Blick verriet Erschrecken. »Sie wissen doch, dass das unmöglich ist?«
Sie hielt das für einen Scherz. »Nein, weiß ich nicht.«
»Nun, es ist unmöglich. Fragen Sie Dr. Horvath.« Renner hängte ein und legte sich endlich schlafen. Sally holte Dr. Horvath ein, als er eben in seine Kabine gehen wollte.
Sie berichtete ihm von dem Computer.
»Aber diese Geräte sind eine große, integrierte Schaltung. Wir versuchen nicht einmal, sie zu reparieren …« Horvath murmelte noch einiges andere vor sich hin.
Während Renner den Schlaf des Gerechten schlief, alarmierten Horvath und Sally das Physikerteam. Keiner von ihnen kam in dieser Nacht noch zu viel Schlaf.
›Morgen‹ auf einem Kriegsschiff gehört zu einer rein theoretischen Tageseinteilung.
Die sogenannte Morgenwache dauert von 0400 Uhr bis 0800 Uhr, also eine Zeit, die die menschliche Spezies normalerweise schlafend verbringt. Im Weltraum ist das natürlich nicht möglich. Auf der Brücke und in den Maschinenräumen ist volle Besetzung erforderlich, wie spät oder wie früh es auch sein mag. Als für den Wachturnus eingeteilter Offizier hatte Whitbread während einer von drei Wachen Dienst, doch die gewohnte, ordentliche Wacheinteilung der Mac Arthur war längst hoffnungslos durcheinandergeraten. Whitbread hatte die Morgen- und Vormittagswache frei, acht herrliche Stunden zum Schlafen, doch aus irgendeinem Grund war er bereits um neun wach und frühstückte in der Deckoffiziersmesse.
»Mir fehlt nichts«, protestierte Horst Staley. »Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Idee kommen. Kümmern Sie sich um was anderes.«
»Schon gut«, sagte Whitbread leichthin. Er nahm sich Obstsaft und Frühstücksflocken und stellte es auf sein Tablett. Er passierte gleich hinter Staley das Selbstbedienungsbuffet; vorhin war er ihm schon in die Messe gefolgt.
»Nicht, dass ich Ihre Besorgnis missverstehe«, meinte Staley einlenkend. Seine Stimme blieb völlig ausdruckslos.
Whitbread nickte friedfertig. Er nahm sein Tablett und hielt Kurs auf Staleys unnatürlich steifen Rücken. Staley wählte natürlich einen leerstehenden Tisch. Whitbread setzte sich zu ihm.
Im Imperium gab es eine Menge Welten, deren Bevölkerung vorwiegend aus arischen Weißen bestand. Auf solchen Welten sahen die Bilder auf den Rekrutierungspostern der Flotte immer wie Horst Staley aus. Er hatte ein energisches Kinn und eisblaue Augen.
Er besaß die sprichwörtlichen, wie aus Stein gemeißelten Züge, seine Miene war ausdruckslos. Er hatte einen geraden Rücken, breite Schultern und einen flachen, muskelharten Bauch. Er war der genaue Gegensatz zu Whitbread, der sein Leben lang gegen Übergewicht kämpfen musste und trotzdem immer leicht rundlich wirkte.
Die beiden frühstückten lange und schweigend. Endlich fragte Staley, so nebenbei, als wäre es nur eben eine höfliche Bemerkung: »Nun, und wie war Ihre Mission?«
Whitbread war darauf vorbereitet: »Anstrengend. Die scheußlichsten anderthalb Stunden meines Lebens wurde ich von dem Split angestarrt. Passen Sie mal auf.«
Whitbread stand auf. Er drehte den Kopf nach der Seite, ging etwas in die Knie und ließ die Schultern hängen, so dass man sich vorstellen konnte, er stecke in einem unsichtbaren, nur 130 Zentimeter langen Sarg. »So bin ich gestanden, eineinhalb Stunden lang.« Er setzte sich wieder. »Eine Tortur, sag ich Ihnen. Ich hab’ die ganze Zeit gewünscht, man hätte lieber Sie ausgewählt.
Staley wurde rot. »Ich habe mich ja gemeldet.«
Volltreffer. »Ich war eben an der Reihe. Sie haben dafür damals bei New Chicago die Kapitulation der Defiant entgegennehmen dürfen.«
»Und hab’ mir von diesem Irren meine Granate wegnehmen lassen!«
Whitbread ließ die Gabel sinken. »Was?«
»Wussten Sie das nicht?«
»Natürlich nicht. Meinen Sie, Blaine hätte so was im ganzen Schiff herumerzählt? Als Sie von der Mission zurückkamen, sahen Sie wohl ein bisschen erschüttert drein. Wir haben uns gefragt, warum.« »Jetzt wisst ihr’s. Irgendein Fanatiker wollte sich nicht ergeben. Der Kapitän der Defiant versuchte ihn zurückzuhalten, aber beinahe wäre ihm sein Vorhaben gelungen.« Staley presste krampfhaft die Hände gegeneinander. »Er entriss mir die Granate. Und ich tat nichts dagegen! Ich hätte alles für die Chance gegeben, ihn zu …« Staley stand abrupt auf, aber Whitbread konnte ihn noch beim Arm erwischen.
»Setzen Sie sich«, sagte er. »Ich könnte Ihnen verraten, warum Sie nicht ausgewählt wurden.«
»Vermutlich können Sie die Gedanken des Kapitäns lesen?« Beide Männer hatten in stummem Einverständnis ihre Stimme gesenkt. Die inneren Trennwände der Mac Arthur wirkten stark geräuschdämpfend, so dass man auch leise Gesprochenes deutlich genug verstand.
»Die Gedanken von Offizieren zu erraten ist eine recht praktische Übung für Kadetten«, meinte Whitbread.
»Warum also? Wegen der Sache mit meiner Granate?«
»Indirekt ja. Sie wären versucht gewesen, sich zu beweisen, nicht? Aber ganz abgesehen davon, Sie sind einfach zu sehr ein Heldentyp, Horst. Beste körperliche Kondition, gute Lungen — haben Sie je einen Admiral getroffen, der leise redete? — äußerste Pflichttreue und kein Sinn für Humor.«
»Ich habe durchaus Humor.«
»Nicht die Spur.«
»Nein?«
»Wirklich nicht. Schauen Sie, Horst, diese Situation erforderte keinen Helden. Sie erforderte jemanden, dem es nichts ausmachte, sich für einen guten Zweck lächerlich zu machen.«
»Soll das ein Witz sein? Verdammt, ich weiß nie, wann Sie etwas ernst meinen und wann nicht.«
»Jetzt mache ich bestimmt keinen Witz. Ich mache mich auch bei Gott nicht lustig über Sie, Horst. Es sollte gar nicht nötig sein, Ihnen das zu erklären. Sie haben doch die ganze Sache mitangesehen, nicht? Sally sagte mir, ich wäre auf allen Bildschirmen gewesen, live, in Farbe und dreidimensional.«
»Waren Sie.« Staley lächelte kurz. »Wir hätten nur gern Ihr Gesicht gesehen.
Besonders, als Sie zu fluchen anfingen. Sie haben uns völlig überrumpelt. Auf einmal wackelte das Bild, und Sie brüllten das Split an, und alle verloren die Nerven.«
»Was hätten Sie an meiner Stelle getan?«
»Das nicht Ich weiß nicht. Meine Befehle befolgt, nehme ich an.« Die blauen Augen verengten sich. »Ich hätte jedenfalls nicht versucht, mich aus der Klemme zu schießen, wenn Sie das denken.«
»Vielleicht eine Sekunde lang den Schneidlaser ins Steuerpult gefeuert? Um das Kraftfeld auszuschalten?«
»Nicht ohne Befehl.«
»Und was ist mit der Zeichensprache? Ich habe eine Zeitlang die verschiedensten Gesten gemacht in der Hoffnung, das Split würde mich verstehen. Nicht der geringste Erfolg.«
»Das konnten wir nicht sehen. Was war denn?«
»Ich hab’s Ihnen ja schon gesagt«, erklärte Whitbread. »Für diese Mission war jemand nötig, der nichts dagegen hatte, sich zum Narren zu machen. Denken Sie bloß mal daran, wie oft Sie die Leute über mich lachen hörten, während ich das Split an Bord brachte.«
Staley nickte grinsend.
»Und dann denken Sie mal an das Split. Wie steht’s mit seinem Sinn für Humor?
Würden Sie gern von so einem Clowngesicht ausgelacht werden, Horst? Man weiß nie, ob es über einen lacht oder nicht — wir haben ja keine Ahnung, wie das aussieht oder sich anhört …«
»Das ist doch Unsinn.«
»Alles, was wir wussten, war, dass irgend jemand herausfinden musste, ob diese fremden Wesen sich mit uns verständigen wollen. Es ging nicht um Ehre und Ansehen des Imperiums. Dafür ist noch genug Zeit, wenn wir die Splits einmal besser kennen. Es wird noch genügend Aufgaben für Helden geben, Horst. Die gibt’s immer.«
»Sehr beruhigend«, sagte Staley sarkastisch. Er war mit dem Frühstück fertig. Er stand auf und ging rasch davon, sehr aufrecht und kühl. Whitbread blieb sitzen und fragte sich, was er ausgerichtet hatte.
Nun, dachte er, zumindest hab ich’s versucht. Und vielleicht hat es doch gewirkt …
In einem Kriegsschiff ist Luxus etwas Relatives.
Die Kabine des Geschützoffiziers Crawford war so groß wie sein Bett. Wenn die Pritsche in die Wand geklappt war, hatte er gerade Platz, sich umzuziehen und an einem winzigen Becken die Zähne zu putzen. Wenn er das Bett zum Schlafen herunterklappen wollte, musste er auf den Gang hinaustreten. Und da er für einen Raumfahrer überdurchschnittlich groß war, hatte Crawford sich daran gewöhnen müssen, mit angezogenen Beinen zu schlafen.
Ein Bett und eine Tür mit einem Schloss anstelle einer Hängematte oder einer Koje neben vielen anderen: das war Luxus. Er wäre bereit gewesen, diesen Luxus zu verteidigen, aber er hatte beim Auslosen den kürzeren gezogen. Jetzt musste er im Kutter der Mac Arthur schlafen, während sich dieses fremde Scheusal in seinem Quartier breit machte.
»Sie ist nur etwas über einen Meter groß, natürlich hat sie Platz«, meinte Sally Fowler besorgt. »Aber es ist doch nur ein winziger Raum. Glauben Sie, dass sie es aushält?
Andernfalls müssen wir sie im Freizeitraum lassen.«
»Ich habe die Kabine von ihrem Boot gesehen, die war auch nicht größer. Und ob sie es aushalten wird«, sagte Whitbread. Es war jetzt schon zu spät, um im Geschützraum noch zu etwas Schlaf zu kommen, und er hatte schließlich die Pflicht, den Wissenschaftlern alles zu sagen, was er wusste: Das war zumindest eine gute Ausrede, wenn Cargill wissen wollte, warum er sich so viel in Sallys Nähe herumtrieb. »Ich nehme an, Sie haben ja jemanden beauftragt, sie übers Vidifon zu beobachten.«
Sally nickte. Whitbread folgte ihr in den Aufenthaltsraum, der zu einer Mischung von Labor und Zoo umfunktioniert worden war. Ein Teil des Raums war durch ein Drahtnetz abgetrennt worden. Die beiden Miniexemplare waren darin untergebracht. Eines knabberte an einem Kohlkopf, wobei es alle vier Arme zum Festhalten benutzte. Das andere, dessen Leib von der Schwangerschaft angeschwollen war, spielte mit einer Taschenlampe.
Ganz wie ein Äffchen, dachte Whitbread. Er hatte jetzt zum ersten Mal Gelegenheit, sich die kleinen Splits genauer anzuschauen. Ihr Pelz war dicker und braun und gelb gescheckt, während das große rein braun gefärbt war. Die vier Arme waren nahezu gleich, nur hatten die linken Hände fünf Finger, die rechten sechs. Die Gelenke waren jedoch auf beiden Seiten gleich gebaut, die Arme gleichermaßen schlank. Trotzdem waren die Muskeln der oberen linken Schulter an der Oberseite des Schädels verankert.
Wozu, wenn nicht für mehr Kraft und bessere Hebelwirkung?
Whitbread war entzückt, als Sally ihn zu einem kleinen Ecktisch abseits der diskutierenden Biologen führte. Er holte Kaffee für sie beide und stellte ihr Fragen über die seltsame Muskulatur der kleinen Exemplare; das war nicht gerade das, worüber er gern mit ihr gesprochen hätte, aber es war wenigstens ein Anfang …
»Wir glauben, dieser Schultermuskel ist rudimentär«, sagte sie. »Sie brauchen ihn offensichtlich nicht; die linken Arme sind sowieso nicht für schwerere Arbeiten gebaut.«
»Dann sind die kleinen Exemplare keine Affen! Dann sind sie Abkömmlinge der großen.«
»Oder beide Sorten sind Abkömmlinge von noch etwas anderem. Jonathon, wir haben schon mehr als zwei Sorten festgestellt. Sehen Sie.« Sie schaltete den Vidifon-Bildschirm ein. Die Kabine des Split wurde sichtbar.
»Der geht’s anscheinend recht gut«, sagte Whitbread. Als er sah, was das Split gemacht hatte, grinste er. »Mr. Crawford wird nicht gerade glücklich sein, wenn er merkt, was sie mit seiner Koje angestellt hat.«
»Dr. Horvath wollte sie nicht daran hindern. Sie kann an allem herumbasteln, solange sie nur die Vidifonanlage in Ruhe lässt.«
Crawfords Pritsche war verkürzt und mit Konturen versehen worden. Die Konturen waren recht sonderbar, nicht nur, weil sie die komplizierten Rückengelenke des Split berücksichtigten, sondern weil es offensichtlich auf der Seite liegend schlief. Die Matratze war aufgeschnitten und anders zusammengenäht worden, der Einsatz darunter war verbogen und ausgebeult. Die Pritsche hatte jetzt Furchen für die zwei rechten Arme, eine Mulde für einen vorstehenden Hüftknochen und eine abgerundete Erhöhung, die als Kopfstütze diente …
»Warum möchte sie wohl nur auf der rechten Seite schlafen?« fragte Whitbread.
»Vielleicht, weil sie sich mit der linken Hand besser verteidigen kann, wenn sie im Schlaf überrascht werden sollte. Die Linke ist ja viel stärker.«
»Könnte sein. Der arme Crawford. Vielleicht glaubt sie, dass er eines Nachts versucht, ihr die Kehle durchzuschneiden.« Er beobachtete, wie das Split an der Deckenlampe herumwerkte. »Ihr Hirn scheint ziemlich eingleisig zu funktionieren, nicht? Aber vielleicht haben wir noch einen Vorteil davon. Sie könnte irgendeine Verbesserung erfinden.«
»Vielleicht. Jonathon, haben Sie sich die Skizzen von dem sezierten Split genau angesehen?«
Sie redete wie eine Lehrerin. Dem Alter nach hätte sie auch eine sein können, aber nicht dem Aussehen, fand Whitbread. Er sagte: »Ja, Mylady.« »Sally. Welche Unterschiede sind Ihnen aufgefallen?«
»Die Farbe des Fells war anders — Sally. Aber das bedeutet nichts. Das Split aus der Sonde lag mehr als ein Jahrhundert im Kälteschlaf.«
»Und sonst nichts?«
»Das andere war größer, denke ich. Beschwören könnte ich’s nicht.«
»Schauen Sie sich den Kopf an.«
Whitbread runzelte die Stirn. »Mir fällt nichts auf.«
Sally nahm ihren Taschencomputer zur Hand. Ein leises Summen zeigte an, dass das Gerät mit dem Hauptspeicher des Schiffs in Verbindung stand. Irgendwo in der Mac Arthur erfasste ein Laserstrahl eine bestimmte holographische Information. Das Gedächtnis des Schiffs hatte alles gespeichert, was der Menschheit von den Splits bekannt war. Es fand die von Sally gewünschte Information und sendete sie an ihren Taschencomputer: Eine Zeichnung erschien auf dem Bildschirm des kleinen Geräts.
Whitbread studierte die Skizze und schaute sich dann das Split auf dem Schirm des Vidifons an. »Die Stirn! Bei dem hier ist sie flacher, fliehender!«
»Das fanden wir auch, Dr. Horvath und ich.« »Leicht ist das nicht zu erkennen. So ein Split-Kopf ist von vorneherein eine ziemlich schiefe Sache.«
»Ich weiß. Aber der Unterschied ist da. Wir glauben, dass auch die Hände leicht verschieden sind, aber das ist noch schwerer festzustellen.« Sally zog die Brauen zusammen, so dass drei kurze Fältchen oberhalb ihrer Nasenwurzel erschienen. Sie hatte sich für den Flug das Haar kurz schneiden lassen, und mit dieser praktischen Frisur, dem grübelnden Blick ihrer braunen Augen und den Fältchen wirkte sie wie eine tüchtige, sachliche Wissenschaftlerin. Whitbread fand das bedauerlich. »Wir haben also bereits drei verschiedene Sorten von Split«, fuhr sie fort. »Und nur vier Splits. Das würde auf eine sehr hohe Mutationsrate hindeuten, meinen Sie nicht?«
»Nun … es würde mich nicht überraschen.« Whitbread erinnerte sich an die geschichtlichen Vorträge, die Kaplan Hardy während der Reise für die Kadetten gehalten hatte. »Sie sitzen in ihrem System fest. Wie in einer Falle. Wenn sie einen Atomkrieg hatten, mussten sie hinterher alle Folgen davon tragen, nicht?« Er dachte schaudernd an die Erde.
»Wir haben keine Anzeichen von Atomkriegen entdeckt.«
»Außer dieser hohen Mutationsrate.«
Sally lachte. »Sie argumentieren ja im Kreis, Jonathon. Jedenfalls passt da etwas nicht.
Keines der vier Individuen ist ein Krüppel, alle sind gesund — ausgenommen das tote natürlich, aber man hätte wohl kaum einen Kranken oder Krüppel als Piloten der Sonde ausgewählt.«
»Das stimmt.«
»Sie sind als erster einem lebenden Exemplar begegnet. Nennen wir mal das eine aus der Sonde Typ A. Welche Beziehung besteht nun aber zwischen Typ B und Typ C?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie haben sie zusammen beobachtet.«
»Schon, aber ihr Verhalten ergibt keinen Sinn. Die kleinen Exemplare gingen anfangs dem großen aus dem Weg, und das große kümmerte sich nicht um sie. Dann machte ich dem großen verständlich, dass es mich zur Mac Arthur begleiten sollte. Im nächsten Moment klaubte sich das große Split die ersten zwei kleinen heraus, die ihm in die Finger gerieten, verpackte sie schön sicher und brachte die übrigen ohne jede Warnung um!«
Whitbread verstummte und dachte an den reißenden Luftstrom, der ihn aus dem Split-Boot gesogen hatte. »Erklären Sie mir das mal. Was sind die kleinen Exemplare?
Haustiere? Kinder? Aber sie wurden von dem großen getötet! Parasiten? Warum dann zwei davon verschonen? Als Nahrung dienende Tiere? Haben Sie’s damit schon versucht?«
Sally verzog das Gesicht; es war fast eine Grimasse, die gar nicht zu ihrem hübschen Gesicht passte, und die sie bei einem gesellschaftlichen Anlass ganz gewiss vermieden hätte. »Was versucht? Ein Ragout aus einem der kleinen Viecher zu kochen und dem großen vorzusetzen? Reden Sie doch keinen Unsinn.«
Das Wesen in Crawfords Kabine schüttete sich eine Art Samen in die Hand und begann sie zu verspeisen. »Popcorn«, erklärte Sally. »Wir haben es zuerst den kleinen Exemplaren gegeben. Vielleicht ist das ihre Aufgabe. Vorkoster für die großen.«
»Vielleicht.«
»Sie mögen auch Kohl. Na, verhungern wird keins, aber sie könnten an Vitaminmangel eingehen. Wir können nichts tun, als sie beobachten und warten — ich nehme an, wir werden ja bald ihren Heimatplaneten besuchen. Inzwischen, Jonathon, sind Sie immer noch unser Experte. Sie haben das Innere des Split-Bootes genauer gesehen. War der Pilotensitz mit Konturen versehen? Ich habe ihn durch Ihre Helmkamera nur flüchtig gesehen.«
»Ja, der Sitz hatte Konturen. Tatsächlich passte er der Pilotin wie ein Handschuh. Und noch etwas ist mir aufgefallen. Die Steuerkonsole war rechts vom Sitz — nur mit den rechten Händen zu bedienen …«
Es stellte sich heraus, dass ihm noch eine ganze Menge über das Prospektorboot einfiel.
Dadurch genoss er den Vorzug von Lady Sallys Gesellschaft, bis er wieder Dienst hatte.
Nichts davon war jedoch sonderlich brauchbar.
Whitbread hatte gerade seinen Platz auf der Brücke eingenommen, als Dr. Buckman anrief und den Kapitän verlangte.
»Ein Schiff, Blaine«, sagte Buckman. »Von der bewohnbaren Welt, Splitter Alpha. Wir haben es nicht früher entdeckt, weil dieses verdammte Lasersignal alles überdeckte.« Blaine nickte. Auf seinen eigenen Schirmen war das Split-Schiff bereits vor neun Minuten erschienen. Signalmaat Shattucks Leute legten Wert darauf, dass die Flotte nicht durch Zivilisten in den Schatten gestellt wurde. »Es wird uns in etwa einundachtzig Stunden erreichen«, fuhr Buckman fort. »Es beschleunigt mit 0,87 Ge, was wohl nicht zufällig exakt der Oberflächenschwere von Splitter Alpha entspricht. Es gibt Unmengen Neutrinos ab. Es gleicht generell dem ersten Schiff, nur dass seine Masse natürlich viel höher ist. Ich werde Sie benachrichtigen, wenn wir etwas Neues feststellen.«
»Ist gut. Behalten Sie es im Auge, Doktor.« Blaine nickte Whitbread zu, die Verbindung zu unterbrechen. Dann wandte er sich an seinen Ersten Offizier. »Wollen doch einmal Buckmans Angaben mit dem vergleichen, was wir wissen.«
»Aye, aye, Sir.« Cargill beschäftigte sich ein paar Minuten lang mit den Computertasten.
»Kapitän?«
»Ja?«
»Sehen Sie sich die Startzeit an. Dieses fremde Schiff ist nicht viel mehr als eine Stunde nach unserem Wiedereintritt in den Normalraum unterwegs gewesen.«
Blaine stieß einen leisen Pfiff aus. »Sind Sie sicher? Sagen wir mal, zehn Minuten, bis die Splits uns entdeckt haben, zehn Minuten, bis wir sie geortet haben, und vierzig Minuten für Startvorbereitungen und Start. Jack, welches Schiff kann in vierzig Minuten startklar gemacht werden?«
»Ich kenne keins. Gut, für die Flotte wäre es möglich, ein Schiff mit voller Besatzung in Dauerbereitschaft zu halten …«
»Genau. Ich glaube, was da auf uns zukommt, ist ein Kriegsschiff, Erster. Sie verständigen am besten den Admiral, dann Horvath. Whitbread, verbinden Sie mich mit Buckman.«
»Ja?« Der Astrophysiker wirkte erschöpft.
»Doktor, ich brauche sämtliche Informationen, die ihre Leute über das Split-Schiff besitzen. Jetzt gleich. Und könnten Sie sich einmal diese verdächtigen Flugdaten anschauen?«
Buckman studierte die Zahlen, die Blaine auf seinem Schirm erscheinen ließ. »Da sehe ich nichts Verdächtiges. Sie sind vierzig Minuten nach unserer Ankunft von Splitter Alpha oder einem nahen Mond gestartet. Was gefällt Ihnen daran nicht?«
»Wenn sie so schnell starten konnten, dann ist das nahezu sicher ein Kriegsschiff. Wir würden uns gerne vom Gegenteil überzeugen lassen.«
Buckman wurde ärgerlich. »Glauben Sie, was Sie wollen, Kapitän. Diese Daten kann man irgendwie interpretieren. Entweder sind sie vor vierzig Minuten gestartet, oder … nun, man könnte zum Beispiel annehmen, dass das Schiff von einem Punkt kommt, der, sagen wir, über zwei Millionen Kilometer näher zu uns liegt; damit hätten sie mehr Zeit für die Vorbereitungen gehabt … aber ich glaube das nicht.«
»Ich ebenso wenig. Dr. Buckman, ich möchte, dass Sie sich über diese Sache klar werden. Was könnte ihnen alles mehr Zeit für den Start verschafft haben? Welche Möglichkeiten gäbe es da?«
»Lassen Sie mich überlegen … Ich bin nicht gewohnt, mich mit Problemen der Raumfahrt zu befassen, wissen Sie. Gravitationsbeschleunigungen sind mehr mein Fall.
Hmmmm.« Buckmans Augen bekamen einen seltsam leeren Ausdruck. Einen Moment lang schaute er wie ein Schwachsinniger aus. »Man müsste eine Periode beschleunigungslosen Fluges annehmen. Und eine viel höhere Startbeschleunigung.
Sehr viel höher.«
»Wie lange ohne Beschleunigung?«
»Etliche Stunden für jede Stunde, die Sie ihnen für die Vorbereitungen zubilligen möchten. Kapitän, ich verstehe nicht, wo Sie hier ein Problem sehen. Warum kann ein wissenschaftliches Forschungsschiff nicht in vierzig Minuten startbereit sein? Warum muss es ein Kriegsschiff sein? Die Mac Arthur ist schließlich gewissermaßen beides, und Sie brauchten unverständlich lange für den Start. Wir waren bereits Tage früher fertig.«
Blaine schaltete ab. Ich werd ihm seinen dünnen Hals umdrehen, nahm er sich vor. Sie werden mich zwar vors Kriegsgericht bringen, aber ich könnte auf provozierten Totschlag plädieren. Ich würde alle, die ihn kennen, als Zeugen vorladen lassen. Sie müssen mich freisprechen … Er drückte auf einige Tasten. »Erster, was haben Sie herausbekommen?«
»Das Schiff wurde in vierzig Minuten startklar gemacht.«
»Also ist es ein Kriegsschiff.«
»Das meint auch der Admiral, Sir. Dr. Horvath ist durchaus nicht überzeugt.«
»Ich ja auch nicht, aber wir müssen darauf vorbereitet sein. Und wir wollen auch mehr über die Splits erfahren, als Horvaths Leute von unserem Passagier herausfinden können. Erster, ich möchte, dass Sie den Kutter nehmen und zu diesem Asteroiden fliegen, von dem unser Split kam. Wir konnten keinerlei Anzeichen von Aktivität feststellen, also sollte es ungefährlich sein. Ich möchte nur herauskriegen, was das Split dort tat. Das könnte uns wichtige Hinweise liefern.«
Horace Bury schaute den kaum Knie hohen Splits hinter dem Drahtnetz beim Spielen zu. »Beißen sie?« fragte er.
»Bis jetzt noch nicht«, antwortete Horvath. »Nicht einmal, als ihnen die Biotechniker Blutproben abnahmen.« Er wurde sich über Bury nicht klar. Wissenschaftsminister Horvath hielt sich für einen guten Menschenkenner — als er sich der Politik zuwandte, hatte er das rasch lernen müssen — aber Burys Gedankengängen kam er nicht auf die Spur. Das freundliche Lächeln des Handelsmagnaten war nur eine Maske. Dahinter beobachtete ein emotionsloser Intellekt die Splits, wie Gott eine recht zweifelhafte Kreatur begutachten mochte. Bury dachte, nun, ziemlich hässlich sind die Biester.
Schade. Als Haustiere kamen sie wohl nicht in Frage, außer … Er kam zu einem Entschluss, trat an das Gitter und steckte einen Arm durch ein Loch, das dafür, aber für ein Minisplit zum Durchschlüpfen nicht groß genug war.
»Hinter dem Ohr«, riet Horvath.
»Danke.« Bury fragte sich, ob wohl eins herankommen würde, um seine Hand zu untersuchen. Das dünnere kam auch wirklich, und Bury kraulte es hinter dem Ohr — vorsichtig, denn das Ohr war dünn und empfindlich. Dem Split schien das Kraulen jedoch zu behagen.
Nicht gerade ideal als Haustier, dachte Bury, aber trotzdem würden die Leute Tausende für jedes bezahlen. Eine Weile wenigstens, solange der Reiz der Neuheit noch nicht abgeklungen war. Am besten, wenn man alle Planeten gleichzeitig belieferte … Wenn sie sich in Gefangenschaft vermehrten, und wenn man das geeignete Futter für sie fand, und wenn alle verkauft werden konnten, bevor die Kunden das Interesse verloren …
»Allah sei …! Es hat mir meine Uhr weggenommen!«
»Sie. Die beiden haben etwas übrig für Gebrauchsgegenstände. Wie Sie sehen, haben wir ihnen eine Taschenlampe gegeben.«
»Schon gut, Horvath. Nur, wie bekomme ich meine Uhr zurück? Allah, wie konnte überhaupt der Verschluss aufgehen?«
»Greifen Sie hinein und nehmen Sie sie. Oder lassen Sie’s mich versuchen.« Horvath gab sich Mühe, aber der Käfig war zu groß, und das kleine Split wollte die Uhr nicht hergeben. Horvath zauderte. »Ich möchte sie nicht zu sehr aufregen.«
»Horvath, diese Uhr ist achthundert Kronen wert! Sie zeigt nicht nur Zeit und Datum an, sondern …« Bury besann sich. »Nun, sie ist ja auch stoßsicher. In unserer Werbung heißt es, dass ein Stoß, der eine Chronos beschädigt, auch den Eigentümer umbringt.
Das Split kann ihr vermutlich nicht viel anhaben.«
Das kleine Wesen untersuchte die Armbanduhr eifrig und interessiert. Bury überlegte, ob andere Menschen dieses Verhalten vielleicht amüsant finden würden. Kein Haustier benahm sich so. Nicht einmal Katzen.
»Sie haben vermutlich Kameras, die alles aufnehmen.«
»Natürlich«, sagte Horvath.
»Meine Firma wird vielleicht diese Szenen kaufen wollen. Für Werbezwecke.« Das wäre eine interessante Sache, dachte Bury. Und jetzt ist ein Split-Schiff zu uns unterwegs, und Cargill fliegt mit dem Kutter irgendwohin. Aus Cargill würde kaum etwas herauszubekommen sein, aber schließlich flog Buckman mit. Vielleicht würde sich der Kaffee, den der Astrophysiker trank, doch noch bezahlt machen …
Seltsamerweise fand Bury den Gedanken irgendwie betrüblich.
Der Kutter war das größte der im Hangarraum liegenden Boote. Eine Rumpfseite war flach, um dicht an der einen Hangarwand anzuliegen. Der Kutter hatte nämlich eigene Einsteigluken, die seine Luftschleusen mit den begehbaren Regionen der Mac Arthur verbanden, weil auf dem Hangardeck üblicherweise Vakuum herrschte.
Dagegen gab es keinen Langston-Feldgenerator an Bord des Kutters, und er hatte auch keinen Alderson-Antrieb. Sein konventioneller Antrieb lieferte jedoch ausreichenden Schub, und selbst ohne Zusatztanks hatte er eine beträchtliche Reichweite. Der Hitzeschild um seine Nase überstand einen Wiedereintritt in eine Erdtyp-Atmosphäre mit bis zu 20 km/sek oder viele Wiedereintritte mit geringerer Geschwindigkeit. Er war für eine sechsköpfige Besatzung ausgelegt, bot aber zur Not mehr Personen Platz. Ein solcher Kutter konnte von einem Planeten zum anderen fliegen, war aber für interstellare Flüge nicht geeignet. Und doch waren immer wieder auch Raumfahrzeuge, die kleiner waren als der Kutter der Mac Arthur, in die Geschichte eingegangen. Zur Zeit hatte ein halbes Dutzend Männer darin Quartier bezogen. Einer hatte Crawford Platz machen müssen, als Crawford seine Kabine nicht ganz freiwillig einem dreiarmigen fremden Wesen zu Verfügung gestellt hatte. Cargill grinste, als er ihn sah. »Ich werde Crawford mitnehmen«, entschied er. »War’ schäbig, ihn schon wieder umzuquartieren.
Und Lafferty als Piloten. Drei Infanteristen …« Er beugte sich über seine Mannschaftsliste. »Und von den Kadetten Staley.« Der würde sich über eine Gelegenheit freuen, diese Scharte von damals auszuwetzen, und war recht tüchtig, wenn er jemanden hatte, der ihm Befehle gab.
Im Innern des Kutters war alles sauber und ordentlich, nur an der Backbordwand waren einige Spuren von Sinclairs exotischen Reparaturmethoden zu erkennen, wo die Laser der Defiant sich durch den Hitzeschild gebrannt hatten. Selbst über die beträchtliche Entfernung, aus der der Kutter ins Gefecht eingegriffen hatte, war erheblicher Schaden entstanden.
Cargill brachte seine Sachen in die einzige Kabine des Kutters und ging noch einmal seinen Flugplan durch. Über eine solche Strecke konnte der Kutter drei Ge halten. In der Praxis konnten es ein Ge hin und fünf Ge zurück werden: Die Tatsache, dass es auf diesem Felsbrocken keinen Fusionsreaktor gab, bedeutete noch lange nicht, dass er unbewohnt war.
Jack Cargill musste daran denken, wie fantastisch flink das Split die große Kaffeemaschine wieder zusammengebaut hatte. Ohne auch nur zu wissen, wie Kaffee schmecken sollte! Ob die Splits schon über Fusion hinaus waren? Schließlich legte er seinen Druckanzug an — ein hautenger, gewebter Overall, der gerade durchlässig genug war, um Schweiß nicht zurückzuhalten, eine natürliche, sich selbst regulierende Temperatursteuerung. Mit dem Schutz des sehr dichten Gewebes konnte die menschliche Haut für einige Zeit Weltraumbedingungen aushalten. Während eines Gefechts trug man darüber den schweren, gepanzerten Kampfanzug, aber mit dem dicht an den Kragenwulst anschließenden Helm war man für Vakuumausflüge genügend gerüstet.
An der Außenseite hatten die Reparaturarbeiten keine Spurenhinterlassen — kleinste Unebenheiten konnten ja schon das Verhalten in einer Atmosphäre beeinträchtigen. Ein Teil des Hitzeschilds ragte unter der Nase des Kutters weg wie eine Schaufel, so dass die gewölbten Panzerglasfenster des Cockpits und die Mündung der Hauptwaffe des Boots, einer Laserkanone, frei lagen.
In einem Gefecht war die wichtigste Aufgabe des Kutters, zu beobachten und Meldungen weiterzugeben. Manchmal gelang auch ein Torpedoangriff auf ein feindliches Kriegsschiff, dessen Sensoren ausgefallen waren. Gegen die Split-Schiffe ohne Schutzfeld war eine solche Kanone mehr als ausreichende Bewaffnung.
Cargill überprüfte sämtliche Waffen des Kutters mit mehr als der üblichen Sorgfalt.
Bereits in diesem Stadium fürchtete er die Splits. Er war damit einer von sehr wenigen, doch es sollten bald mehr werden.
Das zweite Schiff der Splits war größer als das erste, aber Schätzungen seiner Masse hatten einen hohen Unsicherheitsfaktor, weil sie auf ihrerseits etwas wackligen Werten beruhten: auf der Beschleunigung (bekannt), dem Treibstoffverbrauch (berechnet aus der Antriebstemperatur), der Antriebstemperatur (berechnet nach dem Strahlungsspektrum, dessen Maximum im Bereich der weichen Röntgenstrahlen lag), und dem Wirkungsgrad (reine Schätzung). Wenn man alles berücksichtigte, ergab sich eine Masse, die viel zu gering erschien: etwa die eines Dreimannboots.
»Aber das sind keine Menschen«, stellte Renner fest. »Vier Splits wiegen etwa soviel wie zwei Männer, aber sie brauchen weniger Platz. Wir wissen nicht, was dieses Schiff an Ausrüstung, an Bewaffnung, an Abschirmung mitführt. Dünne Wände scheinen sie nicht zu stören, so dass sie größere Kabinen bauen können …«
»Schon gut«, unterbrach ihn Rod. »Wenn Sie’s nicht wissen, dann sagen Sie es.«
»Ich weiß es nicht.« »Danke«, sagte Rod geduldig. »Gibt es irgend etwas, das Sie sicher wissen?«
»Komischerweise ja, Sir. Die Beschleunigung. Sie ist auf drei signifikante Stellen konstant geblieben, seit wir das Schiff geortet haben. Und das ist sonderbar«, sagte Renner. »Normalerweise spielt man sich mit dem Antrieb, um die Höchstleistung herauszuholen, oder man nimmt kleine Kurskorrekturen vor … und selbst wenn man nichts tut, gibt es immer noch geringe Schwankungen. Um die Beschleunigung derart konstant zu halten, müssen sie dauernd den Antrieb regulieren.« Rod rieb sich den Nasenrücken. »Das ist ein Signal. Sie wollen uns damit sagen, wohin genau sie kommen.«
»Ja, Sir. Hierher. Sie meinen damit, dass wir auf sie warten sollen.« Renner hatte wieder sein typisches, wissendes Grinsen aufgesetzt. »Oh, Käptn, wir wissen noch etwas: Das Querschnittprofil des Schiffs ist kleiner geworden, seit wir es geortet haben. Vermutlich haben sie ein paar leere Treibstofftanks abgeworfen.«
»Woher haben Sie das? Muss dafür das Ziel nicht vor der Sonne liegen?«
»Sonst schon, aber hier haben wir es vor dem Kohlensack, der immerhin genug Licht reflektiert, dass wir die Querschnittfläche dieses Schiffs mit recht guter Näherung bestimmen können. Haben Sie noch nie die Farben im Kohlensack gesehen, Kapitän?«
»Nein.« Blaine massierte wieder seine Nase. »Abwurftanks — das klingt mir eigentlich nicht sehr nach Kriegsschiff, oder? Aber sicher sein können wir nicht. Es verrät uns eigentlich nicht mehr, als dass sie es eilig haben.«
Staley und Buckman hatten die beiden hinteren Sitze in dem keilförmigen Cockpit zugewiesen erhalten. Der Kutter entfernte sich mit Standardbeschleunigung vom Mutterschiff, und Staley konnte zusehen, wie sich das Schutzfeld der Mac Arthur hinter ihnen schloss. Der Kreuzer schien von der Schwärze des Kohlensacks verschlungen zu werden. Bald sah man nichts mehr als dunkle Leere.
Mehr als die Hälfte des Himmels bedeckte der Kohlensack mit seinem sternlosen Schwarz, nur an einer Stelle glühte ein rosa Lichtfleck. Das Universum schien in dieser Schwärze zu enden. Wie eine dunkle Mauer, dachte Horst.
»Sehen Sie doch«, sagte Buckman, und Horst schrak auf. »Es gibt Leute auf Neuschottland, die nennen das Angesicht Gottes. Abergläubische Narren!«
»Ja«, sagte Horst. Aberglauben war dumm.
»Von hier sieht der Kohlensack überhaupt nicht mehr wie ein Kopf aus — dafür ist er zehnmal prächtiger! Ich wünschte, der Mann meiner Schwester könnte ihn so sehen. Er gehört der Kirche von Ihm an.«
Horst nickte nur.
Von allen bewohnten Welten sah der Kohlensack aus wie ein schwarzes Loch im Sternenhimmel. Auch hier hätte man Schwarz erwartet. Als Horsts Augen sich im Halbdunkel der Kabine nach und nach adaptierten, konnte er einen rötlichen Schimmer in dem Schwarz wahrnehmen. Wie dünne Schleier sah es aus, wie Blutschlieren in dunklem Wasser. Je länger er hinschaute, um so weiter konnte er in die Tiefe des Nebels blicken. Streifen, Wirbel und Spiralen zogen sich Lichtjahre weit durch die dünnen Staub- und Gaswolken.
»Stellen Sie sich das vor, ich mit einem Ihmisten als Schwager! Ich habe versucht, diesem Idioten etwas beizubringen«, sagte Buckman heftig, »aber er hört einem einfach nicht zu.«
»Ich glaube, ich habe noch nie einen so fantastischen Himmel gesehen. Dr. Buckman, stammt all dieses Licht von Murchesons Auge?«
»Kommt einem unwahrscheinlich vor, nicht? Wir haben versucht, andere Quellen zu finden — Fluoreszenz, ultraviolette Sterne irgendwo tief in dem Staubnebel, ähnliches.
Gäbe es irgendwelche Massen darinnen, so hätten wir sie mit den Massendetektoren aufgespürt. Staley, so unwahrscheinlich ist es vielleicht gar nicht. Das Auge ist nicht weit vom Kohlensack entfernt.«
»Etliche Lichtjahre.«
»Ja und? Das Licht legt weit größere Entfernungen zurück, wenn der Weg frei ist.«
Buckmans Zähne reflektierten einen Moment lang die vielfarbigen Lichter der Kontrollinstrumente. »Murcheson hat sich viel entgehen lassen, als er den Kohlensack nicht studierte, obwohl er Gelegenheit dazu hatte. Gewiss, er war auf der falschen Seite des Auges, und wahrscheinlich hat er sich nicht allzu weit vom Wiedereintrittspunkt fortgewagt … was jetzt uns zugute kommt, Staley! Noch nie hat es eine derartige Gelegenheit gegeben! Eine dichte interstellare Masse, und ein roter Superriese gleich daneben zur Beleuchtung. Da, schauen Sie in Richtung meines Arms, Staley: Sehen Sie, wo die Strömung eine Art Wirbel bildet? Wenn Ihr Kapitän aufhören wollte, Daumen zu drehen, und mir den Schiffscomputer zu Verfügung stellte, könnte ich beweisen, dass dieser Wirbel ein Protostern im Stadium der Kondensation ist! Oder dass er etwas anderes ist.«
Buckmans temporärer Rang war höher als der Staleys, aber er war ein Zivilist. Es gehörte sich jedenfalls nicht, dass er so über den Kapitän sprach. »Wir setzen den Computer für eine Menge anderer Dinge ein, Dr. Buckman.«
Buckman ließ Staleys Arm los. »Für verdammt viel zu viele.« In seinen Augen lag wieder dieser weltvergessene Blick; seine Seele streifte durch den ungeheuren Schleier rotschimmernder Dunkelheit. »Aber vielleicht brauchen wir ihn gar nicht. Die Splits müssen den Kohlensack studiert haben seit den Anfängen ihrer Zivilisation. Seit Hunderten, vielleicht Tausenden Jahren. Besonders, wenn sie irgendeine Pseudowissenschaft wie Astrologie entwickelt haben. Wenn wir uns mit ihnen verständigen können …« Er murmelte noch Worte vor sich hin und verstummte.
»Wir haben uns gefragt, warum Sie soviel Wert darauf legten, mit uns zu kommen«, sagte Staley.
»Was? Sie meinen, mit Ihnen diesen Ausflug zu dem Felsbrocken zu unternehmen?
Staley, es interessiert mich nicht, was das Split dort suchte. Ich will wissen, warum die Trojanischen Punkte so dicht besetzt sind.«
»Glauben Sie, wir werden auf irgendwelche Hinweise stoßen?«
»Vielleicht. Die Zusammensetzung des Gesteins könnte uns einiges sagen. Hoffen wir’s.«
»Dabei kann ich Ihnen vielleicht helfen«, sagte Staley zögernd. »Sauron — mein Heimatsystem — besitzt einen Asteroidengürtel mit einer Verwertungsindustrie. Ich habe einiges über Gesteinsverwertung von meinen Onkeln gelernt. Ich hatte mal vorgehabt, selbst Prospektor zu werden.« Staley verstummte abrupt in der Erwartung, das Buckman jetzt ein peinliches Thema zur Sprache bringen würde.
»Ich frage mich, was der Kapitän dort zu finden hofft?« sagte Buckman.
»Das hat er mir gesagt. Wir wissen nur eins über diesen Felsbrocken«, erklärte Staley.
»Ein Split hat sich dafür interessiert. Wenn wir wissen, warum, wissen wir etwas Neues über die Splits.«
»Ziemlich wenig«, knurrte Buckman.
Staley entspannte sich. Entweder wusste Buckman nicht, weshalb das Sauronische System einen so üblen Ruf hatte, oder — nein. Taktvoll? Buckman? Wohl kaum.
Fünf Stunden nachdem der Kutter der Mac Arthur zu dem Asteroiden aufgebrochen war, wurde das Split-Baby geboren. Die Geburt ging bemerkenswert ähnlich wie bei Hunden vonstatten — bemerkenswert, wenn man bedachte, wie wenig die Mutter mit Hunden verwandt war. Es war nur ein Junges, das etwa die Größe einer Ratte besaß.
Der Freizeitraum war an diesem Tag sehr belebt, denn Mannschaft, Offiziere, Wissenschaftler und selbst der Kaplan fanden irgendeinen Vorwand, um hineinzuschauen.
»Sehen Sie nur, um wie viel kleiner der untere linke Arm ist«, sagte Sally. »Wir hatten recht, Jonathon. Die kleinen stammen von den großen Splits ab.«
Jemand kam auf die Idee, das große Split in den Aufenthaltsraum zu bringen. Es interessierte sich nicht im mindesten für das neue Mini-Exemplar, aber zu den anderen beiden sagte es etwas in komischen Pfeif- und Schnalztönen. Das eine holte darauf Horace Burys Uhr unter einem Kissen hervor und gab es dem großen.
Rod schaute sich das Treiben um das Split-Junge an, so oft er konnte. Für ein Neugeborenes kam es ihm sehr weit entwickelt vor. Nur ein paar Stunden nach seiner Geburt knabberte es bereits an einem Kohlstück, und es schien auch gehen zu können, obwohl die Mutter es meist mit einem Armpaar trug. Sie bewegte sich flink wie eh und je und wurde durch das Junge offensichtlich überhaupt nicht behindert.
In der Zwischenzeit kam das Split-Schiff immer näher. Wenn seine Beschleunigung schwankte, dann war die Veränderung zu gering, als dass man sie auf der Mac Arthur hätte feststellen können.
»Sie werden in siebzig Stunden hier sein«, informierte Rod Cargill über Lasersignal.
»Ich möchte, dass Sie in sechzig wieder zurück sind. Lassen Sie Buckman nichts anfangen, was er in der festgesetzten Zeit nicht zu Ende bringt. Wenn Sie auf fremde Wesen stoßen, benachrichtigen Sie mich sofort — und versuchen Sie nicht, mit ihnen zu reden, außer Sie sehen keine andere Möglichkeit.«
»Aye, aye, Käptn.«
»Der Befehl ist nicht von mir, Jack. Von Kutuzov. Er ist nicht glücklich über diesen Ausflug. Schaut euch diesen Felsbrocken an und kommt zurück, das ist am besten.«
Der Steinasteroid war dreißig Millionen Kilometer von der Mac Arthur entfernt, das entsprach einer Flugzeit von fünfundzwanzig Stunden hin beziehungsweise zurück, bei genau einem Ge. Mit vier Ge dauerte es nur halb so lang. Das war nicht genug, dachte Staley, um vier Ge durchzustehen.
»Wir könnten doch auf 1,5 Ge hinaufgehen, Sir«, schlug er Cargill vor. »Wir würden damit nicht nur die Flugzeit verkürzen, sondern auch rascher müde werden und uns nicht so viel bewegen wollen. Der Kutter würde nicht mehr so überfüllt wirken.«
»Das ist genial«, sagte Cargill warm. »Ein genialer Vorschlag, Mr. Staley.«
»Dann machen wir es also?«
»Nein.«
»Aber — warum nicht, Sir?«
»Weil ich was gegen Überstandardbeschleunigungen habe. Weil dabei Treibstoff draufgeht, und wenn wir zuviel verbrauchen, muss die Mac Arthur vielleicht in den Gasriesen eintauchen, um uns zurückzuholen. Man soll niemals Treibstoff verschwenden. Man braucht ihn vielleicht noch. Und außerdem ist es eine verrückte Idee.«
»Jawohl, Sir.«
»Verrückte Ideen sind gut für Notfälle. Man verwendet sie, wenn man sich nicht anders zu helfen weiß. Wenn sie funktionieren, werden die verrückten Ideen offizielle Vorgangsweisen. Im übrigen aber hält man sich an die offizielle Vorgangsweise — die mit großer Wahrscheinlichkeit auch mal eine verrückte Idee war, die funktioniert hat.«
Cargill lächelte über Staleys entgeisterte Miene. »Ich werde Ihnen gelegentlich erzählen, wie ich mal eine offizielle Vorgangsweise kreiert habe …«
Ein Kadett konnte immer noch etwas lernen. Staley würde, wenn er die Fähigkeiten besaß und es erlebte, ja auch höhere Rangstufen erreichen.
Cargill sah nach der Zeit. »Schauen Sie, dass Sie jetzt zu etwas Schlaf kommen, Staley.
Sie übernehmen das Steuer nach dem Umschwenken.«
Aus einiger Entfernung sah der Asteroid dunkel, porös und rau aus. Er drehte sich einmal in einunddreißig Stunden um sich selbst, was laut Buckman eine auffallend langsame Rotation darstellte. Keinerlei Anzeichen von Aktivität waren zu erkennen: keine Bewegung, keine Strahlung, keine anomale Neutrinoemission. Horst Staley suchte nach Temperaturanomalien und fand keine. »Ich denke, das ist die endgültige Bestätigung«, stellte er fest. »Das Ding ist leer.
Jede Lebensform, die sich auf Splitter Alpha entwickelt hat, würde doch Wärme brauchen, nicht, Sir?«
»Ja.«
Der Kutter trieb langsam näher heran. Was aus der Entfernung wie Porosität ausgesehen hatte, wurde zu Pockennarben, dann zu klaffenden Löchern der verschiedensten Durchmesser. Meteoreinschläge offensichtlich. Aber so viele?
»Ich hab’ ja gesagt, die Trojanischen Punkte sind dicht besetzt«, sagte Buckman befriedigt. »Wahrscheinlich passiert dieser Asteroid regelmäßig den Haupthaufen der Trojaner … Moment, lassen Sie mich mal dieses große Loch dort näher ansehen, Cargill.«
Bei einer um zwei Stufen höheren Vergrößerung erfüllte der schwarze Fleck fast den Bildschirm. Rundherum lagen kleinere runde Löcher.
»Keine Spur von Kraterwall«, sagte Cargill.
»Ist Ihnen auch aufgefallen, was? Das verdammte Ding ist hohl. Deshalb bekamen wir eine so geringe Dichte heraus. Nun, jetzt ist es nicht mehr bewohnt, aber einmal muss es das gewesen sein. Sie haben ihm sogar eine angenehme Rotation verliehen.«
Buckman drehte sich um. »Cargill, wir müssen diesen Brocken durchsuchen.«
»Ja, aber nicht Sie. Unsere Leute werden auf den Felsen übersetzen.«
»Verdammt, das ist mein Fachgebiet, nicht Ihres!«
»Aber ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich, Doktor. Lafferty, fliegen Sie uns einmal rundherum.« Die Rückseite des Asteroiden bestand aus einem einzigen, ungeheuren, schalenförmigen Krater.
»Von kleinen Kratern zernarbt … und es sind Krater, nicht Löcher«, sagte Cargill.
»Doktor, was halten Sie davon?«
»Ich kann mir keine natürliche Entstehungsweise denken. Nicht, wenn …«
»Der Brocken wurde bewegt!« rief Staley.
»Es ist sonderbar, aber daran dachte ich auch eben«, sagte Cargill. »Dieser Asteroid wurde durch thermonukleare Explosionen bewegt, und zwar müssen die Bomben nacheinander in demselben Krater gezündet worden sein, um die Explosionskraft in eine Richtung zu lenken. So etwas wurde auch schon bei uns gemacht. Besorgen Sie mir eine Strahlungsmessung, Kadett.« »Jawohl, Sir.« Staley ging und kam in einer Minute wieder. »Nichts, Sir. Der Krater ist kalt.«
»Wirklich?« Cargill ging das selbst nachprüfen. Als er fertig war, schaute er stirnrunzelnd seine Instrumente an. »Kalt wie das Herz eines Piraten. Wenn sie tatsächlich Bomben eingesetzt haben, müssen es verdammt saubere gewesen sein.
Erstaunen würde mich das nicht.«
Der Kutter umrundete weiter den Felsbrocken.
»Das dort könnte eine Luftschleuse gewesen sein. Da.« Staley deutete auf eine herausragende runde Steinplatte, die mit zielscheibenähnlichen Ringen in verblasstem Gelbrot markiert war.
»Wahrscheinlich, aber ich bezweifle, dass wir sie aufkriegen würden. Wir werden am besten durch ein Meteorloch hineinkommen. Trotzdem … nun, wir werden sie uns ansehen. Lafferty, gehen Sie längsseits.«
Im Bericht wurde er später als der »Wabenasteroid« bezeichnet. Der Felsen war durchsetzt mit unregelmäßig geformten Kammern ohne eigentlichen Fußboden, die durch Röhren verbunden waren, welche für Menschen recht eng waren. Fast alle diese Kanäle waren von vertrockneten, asymmetrischen Mumien verstopft. Zu welchen technischen Wundern die Schöpfer dieser Wabenwelt auch fähig gewesen waren, künstliche Schwerkraft gehörte nicht dazu. Die Gänge verliefen in alle möglichen Richtungen; die größeren Kammern und Lagerräume waren überall mit Halteknöpfen, Verankerungen für Sicherungsleinen und Lagernischen versehen.
Überall schwebten Mumien, dünn, vertrocknet, mit klaffenden Mündern. Sie waren zwischen einem Meter und anderthalb Meter groß. Staley suchte mehrere aus und schickte sie zum Kutter zurück.
Sie fanden auch Maschinen und Geräte, die für Staley und seine Leute samt und sonders unverständlich waren. Staley ließ eine der kleineren Maschinen, die wie alles durch Vakuumzementierung eisenfest mit der Wand verbunden war, losreißen. Er wählte sie wegen ihres sonderbaren Aussehens, nicht wegen möglicher Verwendbarkeit. Keines der Geräte war vollständig. »Kein Metall«, berichtete Staley.
»Schwungräder aus Stein, dafür Sachen, die so aussehen, als könnten es integrierte Schaltungen sein. Keramikteile mit Verunreinigungen, oder etwas dieser Art. Aber sehr wenig Metall, Sir.«
Sie arbeiteten sich aufs Geratewohl voran. Endlich erreichten sie den Zentralraum: ein riesiger Saal, und ebenso gewaltig war die Maschine, die ihn fast ausfüllte. Kabel, die vielleicht Supraleiter waren, gingen davon aus, was Staley zu der Ansicht brachte, dass dies das Kraftwerk des Asteroiden gewesen sein musste. Die Messgeräte zeigten jedoch keinerlei Strahlung an.
Sie zwängten sich durch enge Durchgänge zwischen unverständlichen Steinkonstruktionen und fanden schließlich eine große Metallkiste.
»Schneiden Sie das auf«, befahl Staley.
Lafferty betätigte seinen Schneidlaser. Die anderen schauten zu, wie der schmale grüne Strahl über die silbrige Fläche strich und ihr nichts anhaben konnte. Staley fragte sich verwundert, wo all die Energie hinkam. Ob die Kiste sie irgendwie schluckte? Als er durch den Helm Wärmestrahlung in seinem Gesicht spürte, hatte er die Lösung.
Er maß die Temperatur mit einer Thermosonde. Das silbrige Gehäuse war überall fast glühend heiß. Als Lafferty den Laser ausschaltete, kühlte es rasch ab, zeigte aber weiterhin überall die gleiche Temperatur.
Ein Supraleiter für Wärme. Staley stieß einen Pfiff aus und sah sich nach einem kleineren Musterstück um. Dann versuchte er, mit einer Zange ein Stück von dem Gehäuse abzureißen — und das silbrige Metall gab nach wie Zinn. Ein Streifen ging mit der Zange mühelos ab. Sie begannen, mit den handschuhgeschützten Fingern größere Stücke loszureißen.
Es war unmöglich, den Wabenasteroiden mit seinen gekrümmten Gängen und aneinander geschachtelten Räumen genau zu vermessen und eine Karte davon herzustellen. Es war schwer genug, ihren jeweiligen Standort zu bestimmen, obwohl sie ihren Weg markierten und mit Protonensonden durch die Wände Entfernungen messen konnten.
Überall im Innern waren die Korridorwände eierschalendünn. Die Außenwände waren kaum viel dicker. Der Wabenasteroid musste ein recht unsicherer Ort zum Leben gewesen sein.
Die Wand unterhalb des großen Kraters auf der Rückseite war jedoch viele Meter dick.
Die Strahlung, sagte sich Staley. Es musste eine Reststrahlung gegeben haben. Sonst hätten sie auch diese Wand noch weiter ausgehöhlt, um mehr Raum zu gewinnen.
Diese winzige Welt musste eine gewaltige Bevölkerungsexplosion mitgemacht haben.
Und dann hatte irgend etwas die gesamte Bevölkerung umgebracht.
Und jetzt gab es überhaupt keine Strahlung mehr. Vor wie langer Zeit war das alles geschehen? Jede Oberfläche war mit kleinen Meteoritenlöchern übersät; Dutzende von Löchern in jeder Wand. Wie lange war diese Welt schon tot? Staley betrachtete nachdenklich das kleine, schwere Split-Gerät, das Lafferty und Sohl mit ihren Rückstoßpistolen durch den Gang dirigierten. Vakuumzementierung — und das Wandern von Elementarteilchen durch eine Grenzfläche. Dies würde den Zivilwissenschaftlern der Mac Arthur vielleicht verraten, seit wann der Wabenasteroid verlassen war. Eines wusste Staley bereits selbst — diese kleine Welt war sehr, sehr alt.
Kaplan David Hardy beobachtete die Mini-Exemplare nur per Vidifon, um nicht andauernd in die endlosen Spekulationen darüber verwickelt zu werden, was die Splits eigentlich waren. Für Horvath und seine Leute war diese Frage von wissenschaftlichem Interesse; für Kaplan Hardy stand mehr auf dem Spiel als die Befriedigung intellektueller Neugier. Er hatte die Aufgabe, festzustellen, ob die Splits menschlich waren — philosophisch gesehen. Horvaths Wissenschaftler fragten nur danach, ob sie intelligent waren.
Die Beantwortung dieser Frage musste natürlich der der ersten vorausgehen. Es war unwahrscheinlich, dass Gott Wesen mit Seelen, aber ohne Intelligenz geschaffen hatte; andererseits war es durchaus möglich, dass Er intelligente Wesen ohne Seele geschaffen hatte, oder Wesen, deren Erlösung auf vollkommen andere Art als bei den Menschen bewerkstelligt wurde. Vielleicht waren sie sogar eine Art Engel, obwohl man sich unwahrscheinlichere Exemplare von Engeln kaum vorstellen konnte. Hardy grinste über diesen Einfall und widmete sich wieder der Beobachtung seiner potentiellen Schäflein.
Das große Split schlief. Und die kleinen unternahmen im Augenblick auch nichts Interessantes. Es wäre nicht nötig gewesen, dass Hardy sie unablässig beobachtete. Es wurden ohnehin alle Vorgänge holographisch gefilmt, und als Linguist der Mac Arthur würde Hardy sofort informiert werden, wenn irgend etwas vorfiel. Er war inzwischen ziemlich sicher, dass die kleinen Exemplare weder intelligent noch ›menschlich‹ waren.
Er seufzte tief. Was ist der Mensch, dass Du ausgerechnet ihm Deine Beachtung schenkst, oh Herr? Und warum ist es meine Aufgabe, herauszufinden, welche Rolle die Splits in Deinem Plan spielen? — Die Gedanken Gottes zu erraten ist ein uraltes Spiel der Menschen. Theoretisch war er der beste Mann für diese Aufgabe, sicher der beste im Sektor Trans-Kohlensack.
Hardy war seit fünfzehn Jahren Priester und seit zwölf Jahren Kaplan der Flotte, aber er begann gerade erst, das als seinen Beruf anzusehen. Mit fünfunddreißig war er ordentlicher Professor an der Kaiserlichen Universität auf Sparta gewesen, ein Fachmann für alte und moderne menschliche Sprachen sowie jener esoterischen Kunst, die sich linguistische Archäologie nannte. Dr. David Hardy war recht zufrieden und glücklich damit gewesen, die Ursprünge neu entdeckter, seit Jahrhunderten vergessener Kolonien herauszufinden. Indem er ihre Sprachen studierte, die Wörter, die sie für dieselben Gegenstände hatten, konnte er feststellen, aus welcher Raumregion die ursprünglichen Kolonisten gekommen waren. Meistens konnte er auch den Planeten und sogar die Stadt bestimmen.
Am Universitätsleben gefiel ihm alles außer den Studenten. Er war nicht besonders religiös gewesen, bis seine Frau beim Absturz einer Raumfähre ums Leben kam; damals hatte der Bischof ihn aufgesucht, und Hardy hatte sein bisheriges Leben lange und gründlich erforscht. Dann war er — selbst jetzt wusste er noch nicht recht, wie das eigentlich gekommen war — in ein Priesterseminar eingetreten. Sein erster Posten nach der Weihe war an der Universität, als Studentenpfarrer. Die Sache verlief wenig zufriedenstellend, und er merkte bald, dass er zum Pfarrer nicht geeignet war. Aber in der Flotte konnte ein Kaplan und überdies Linguist immer gebraucht werden …
Jetzt, zweiundfünfzig Jahre alt, saß er vor einem Bildschirm und beobachtete fremdartige Kreaturen, die mit Kohlköpfen spielten. Ein lateinisches Kreuzworträtsel lag neben seiner Linken auf dem Schreibtisch, und Hardy beschäftigte sich nebenbei damit, Domine, non sum …?
»Dignis, natürlich.« Hardy lächelte. Genau das hatte er gesagt, als der Kardinal ihm den Auftrag erteilte, die Splitter-Expedition zu begleiten. »Mylord, ich bin nicht würdig …«
»Das ist keiner von uns, Hardy«, hatte der Kardinal geantwortet. »Aber dann sind wir auch nicht des Priesteramtes würdig, und das ist eine größere Anmaßung, als eine Reise zu machen, um sich fremde Wesen anzusehen.«
»Ja, Mylord.«
Hardy wandte sich wieder dem Kreuzworträtsel zu. Es war im Augenblick weit interessanter als die fremden Wesen.
Rod Blaine hätte das nicht gefunden, aber schließlich hatte der Kapitän nicht soviel Gelegenheit, die verspielten kleinen Geschöpfe zu beobachten, wie der Kaplan. Im Augenblick konnte er jedoch seine Arbeit einmal ein wenig vernachlässigen. Plötzlich summte sein Kabinenvidifon, und die Mini-Splits verschwanden vom Bildschirm, um dem glatten, runden Gesicht von Rods Sekretär Platz zu machen. »Dr. Horvath besteht darauf, sie zu sprechen, Sir.«
»Schalten Sie durch«, sagte Rod.
Horvath zeigte sich wie üblich von formeller Herzlichkeit. Anscheinend gewöhnte er sich daran, mit Leuten auskommen zu müssen, die abzulehnen er sich nicht leisten konnte.
»Guten Morgen, Kapitän. Wir haben die ersten Bilder von dem fremden Schiff machen können. Ich dachte, das würde Sie interessieren.« »Danke, Doktor. Welcher Code?«
»Sie sind noch nicht gespeichert. Ich habe sie hier.« Der Bildschirm teilte sich, zeigte Horvaths Gesicht auf der einen Hälfte, und einen verschwommenen Schatten auf der anderen. Die Silhouette war lang und schmal, ein Ende war breiter als das andere und schien durchsichtig zu sein. Das schmälere Ende lief in einen langen Dornfortsatz aus.
»Dieses Bild ist uns geglückt, als das fremde Schiff, wie zu erwarten, auf halber Strecke umschwenkte. Durch Vergrößerung und Ausfiltern von Störungen haben wir dieses Bild erhalten. Wir werden nichts Besseres bekommen, bis das Schiff längsseits liegt.«
Natürlich, dachte Rod, denn jetzt zielte die Antriebsdüse des fremden Schiffes auf die Mac Arthur.
»Der Dorn gehört wahrscheinlich zum Fusionsantrieb der Splits.« Ein kleiner Lichtpfeil huschte über den Bildschirm. »Und diese Objekte am vorderen Ende — Moment, ich zeige Ihnen ein Dichtemuster.«
In der Dichteverteilung zeigte sich ein stiftförmiger Schatten, der durch eine Reihe von dickeren, fast unsichtbaren Ringen oder Toroiden verlief. »Sehen Sie? Ein schmaler, starrer Rumpf, mit dem aus einer Atmosphäre heraus gestartet werden kann. Es ist leicht zu erraten, was sich darin befindet: das Fusionsaggregat, Luft- und Wasserregenerationskammer für die Besatzung. Wir nehmen an, dass dieser Teil mit hohem Schub gestartet wurde, vielleicht per Linearbeschleuniger.«
»Und die Ringe?«
»Aufblasbare Treibstofftanks. Einige sind jetzt leer, wie Sie sehen. Vielleicht werden sie jetzt als Aufenthaltsraum verwendet. Einige wurden zweifelsohne abgeworfen.«
»Mhm.« Rod studierte das Muster von Schatten, während Horvath ihn von der anderen Schirmhälfte her beobachtete. Schließlich sagte Rod: »Doktor, diese Tanks können aber nicht an dem Schiff gewesen sein, als es gestartet wurde.«
»Nein. Wahrscheinlich wurden sie dem Kernstück nachgeschickt. Ohne Passagiere konnte man sie mit viel höherer Beschleunigung starten.«
»Von einem Linearbeschleuniger aus? Die Tanks scheinen aber nicht aus Metall zu sein.«
»Äh — nein. Sie sind wahrscheinlich nicht aus Metall.«
»Der Treibstoff muss Wasserstoff sein, nicht? Wie können also diese Tanks von einem Linearbeschleuniger abgeschossen werden?«
»Wir … das wissen wir nicht.« Horvath zögerte. »Vielleicht hatten sie einen metallischen Kern. Der dann ebenfalls abgeworfen wurde.«
»Hm. Gut. Ich danke Ihnen.«
Nach kurzem Überlegen zeigte Rod die beiden Fotos in der Vidifonanlage des Schiffs.
Nahezu alles ging übers Vidifon, das als Bibliothek, Unterhaltungsmedium und Sprechanlage der Mac Arthur fungierte. Ein Kanal des Vidifons war für alles mögliche reserviert, für Unterhaltungsfilme, Schachpartien, Pingpongpartien zwischen den Champions der einzelnen Wachen. Selbst Theaterstücke wurden gezeigt, wenn die Mannschaft für eine Inszenierung Zeit frei hatte — was manchmal, etwa während eines Blockadedienstes, durchaus der Fall war.
In der Offiziersmesse war das fremde Schiff natürlich das Unterhaltungsthema Nummer eins.
»In diesen hohlen Ringen da sind Schatten«, stellte Sinclair fest. »Und sie bewegen sich.«
»Passagiere. Oder Ausrüstungsgegenstände«, sagte Renner. »Und das heißt, dass zumindest diese vier ersten Ringe als Kabinenraum dienen. Da hätten eine Menge Splits Platz.«
»Insbesondere«, sagte Rod beim Eintreten, »wenn sie’s so eng haben wie auf diesem Prospektorboot. Setzen Sie sich, meine Herren. Weitermachen.« Er winkte dem Steward, Kaffee zu bringen.
»Eins für jeden von uns«, sagte Renner. »Ist doch gut, dass wir auf der Mac Arthur so viel Platz übrig haben, nicht?«
Blaine runzelte die Stirn. Sinclair schaute drein, als würde das nächste Vidifon-Ereignis eine Begegnung über fünfzehn Runden zwischen dem Ersten Maschinisten und dem Chefnavigator sein …
»Sandy, was halten Sie von Horvaths Idee?« fragte Renner jedoch friedfertig. »Ich kann mich nicht mit seiner Theorie befreunden, dass diese Treibstoffkammern mit einem Metallkern abgeschossen wurden. Wären nicht Metallgehäuse für die Tanks viel praktischer? Viel widerstandsfähiger. Außer …«
»Ja?« drängte Sinclair. Renner sagte nichts.
»Was gibt’s, Renner?« fragte Blaine.
»Ach, nichts, Sir. Es war nur so eine aus der Luft gegriffene Idee. Ich sollte lernen, meine Gedanken besser im Zaum zu halten.«
»Raus damit, Mr. Renner.«
Renner war noch nicht lange in der Flotte, aber er hatte mittlerweile gelernt, diesen Tonfall zu beachten. »Jawohl, Sir. Mir fiel ein, dass Wasserstoff bei bestimmtem Druck und bestimmter Temperatur sich wie ein Metall verhält. Wenn diese Tanks unter Druck stünden, würde ein Strom im Wasserstoff fließen — aber dazu brauchte man Druck einer Größenordnung, die man im Inneren eines Gasriesenplaneten findet.«
»Renner, Sie glauben doch nicht wirklich …«
»Nein, natürlich nicht, Kapitän. War nur so ein Gedanke.« Renners verrückte Idee machte Sandy Sinclair noch während der nächsten Wache Kopfzerbrechen.
Maschinenoffiziere schieben normalerweise nicht Wachdienst auf der Brücke, aber Sinclairs Leute waren eben mit einer Überholung des Lufterneuerungssystems der Brücke fertig geworden, und er wollte die Anlage testen. Damit nicht ein anderer Wachoffizier den Raumanzug tragen musste, während im Brückenraum Vakuum herrschte, übernahm Sandy lieber die Wache selbst.
Alles funktionierte bestens, wie immer, wenn er dafür verantwortlich war. Nun konnte Sinclair den Raumanzug ablegen, es sich im Kommandosessel bequem machen und den Splits zuschauen. Das Split Programm war im ganzen Schiff populär, wobei sich das allgemeine Interesse ebenso auf das große Split in Crawfords Kabine richtete wie auf die Miniexemplare. Das große Split war eben mit dem Umbauen der Lampe in seinem Quartier fertig geworden. Jetzt strahlte sie ein diffuseres Licht mit höherem Rotanteil aus. Das Split war schon wieder an der Arbeit — es verkürzte eifrig Crawfords Pritsche, um rund einen Quadratmeter freien Platz zum Arbeiten zu bekommen. Sinclair staunte über die Geschicklichkeit des Split; jeder Handgriff saß, und sein Arbeitstempo war beachtlich. Sollen die Wissenschaftler nur weiterdiskutieren, dachte Sandy: dieses Geschöpf war intelligent.
Auf Kanal Zwei spielten die beiden kleinen Splits. Die Leute schauten ihnen sogar noch lieber zu als dem großen Split. Bury, der zusah, wie alle die Minis beobachteten, schmunzelte befriedigt.
Sinclairs Blick fiel auf den Bildschirm mit Kanal Zwei, und er wandte sich von dem großen Split ab. Plötzlich fuhr er hoch. Die beiden kleinen Exemplare befassten sich eindeutig mit Geschlechtsverkehr. »Nehmen Sie das aus der Leitung!« befahl Sinclair hastig. Der für das Vidifon verantwortliche Signalmaat war etwas erbittert, schaltete jedoch die entsprechende Kameraleitung ab, so dass der Bildschirm erlosch.
Augenblicke später war Renner auf der Brücke.
»Was ist mit dem Vidi los, Sandy?« erkundigte er sich.
»Gar nichts ist los mit dem Vidifon«, sagte Sinclair steif.
»Und ob. Kanal Zwei ist tot.«
»Jawohl, Mr. Renner. Und zwar auf meinen Befehl.« Es war ihm nicht ganz wohl in seiner Haut.
Renner grinste. »Und wer, glauben Sie, würde gegen das … äh … Programm etwas einzuwenden haben?« »Ma-ann, wir können doch nich’ ’n dreckigen Film auf diesem Schiff zeigen! Mit ’nem Kaplan an Bord! Gar nich’ zu reden von der Lady.«
Besagte Lady hatte ebenfalls Kanal Zwei eingeschaltet gehabt. Als das Bild verblasste, legte Sally Fowler die Gabel weg und verließ die Messe. Kaum war sie draußen, fiel sie in Laufschritt und kümmerte sich nicht um die erstaunten Blicke, die ihr folgten. Sie atmete heftig, als sie den Aufenthaltsraum erreichte — wo sich die kleinen Splits immer noch in flagrante delicto befanden. Sie trat an die Käfigwand und schaute fast eine Minute lang zu. Dann sagte sie zu niemandem im besonderen: »Das letzte mal, als wir sie untersuchten, waren sie beide weiblich.«
Niemand sagte etwas dazu.
»Sie ändern ihr Geschlecht!« rief sie. »Ich möchte wetten, dass es die Schwangerschaft ist, die das auslöst. Dr. Horvath, was meinen Sie?«
»Das ist durchaus denkbar«, sagte Horvath zögernd. »In der Tat ist … also, ich bin fast sicher, das obere da ist die Mutter des Jungen.« Er stotterte beinahe. Und wurde deutlich rot.
»Oh du lieber Himmel«, sagte Sally.
Ihr war gerade erst aufgegangen, wie ihr Verhalten für die anderen ausgesehen haben musste. Aus der Messe zu sausen, kaum dass die Szene im Vidifon verblasste. Außer Atem hier anzukommen … Die Kulturen jenseits des Kohlensacks hatten wie so viele abgelegenere Regionen ausgesprochen prüde Moralbegriffe entwickelt.
Und sie, eine Dame des kaiserlichen Hofs, rannte neugierig herbei, wenn zwei fremde Geschöpfe sich liebten, um es dezent auszudrücken.
Sie wollte schreien, erklären: Das ist wichtig! Diese Geschlechtsänderung, die muss es bei allen Splits geben. Sie wird ihre Lebensweise, ihre Persönlichkeit, ihre Geschichte beeinflussen. Die jungen Splits müssen offensichtlich in fantastisch niedrigem Alter nahezu selbständig werden … War das Kleine bereits entwöhnt, oder hatte die jetzt männliche ›Mutter‹ auch nach der Geschlechtsänderung noch Milch? Das wird sich auf alles im Leben der Splits auswirken, auf wirklich alles. Es ist ungeheuer wichtig. Deshalb bin ich so schnell …
Aber sie sagte nichts. Sie drehte sich plötzlich um und ging.
Ausnahmsweise war es im Geschützraum ruhig. Bei einer Einquartierung von drei jüngeren Leutnants und sechs Kadetten herrschte üblicherweise ein Chaos. Potter stellte mit einem dankbaren Seufzer fest, dass alle schliefen bis auf Jonathon Whitbread.
Trotz seiner Hänselei war Whitbread rasch einer von Potters Freunden auf der Mac Arthur geworden.
»Was tut sich in der Astronomie?« fragte Whitbread leise. Er hatte es sich in seiner Hängematte gemütlich gemacht. »Geh, bring mir ein Bier, Gavin, ja?«
Potter holte auch für sich eine der Beutelflaschen. »Das ist ein Irrenhaus da unten, Jonathon. Ich dachte, es würde besser werden, wenn sie erst Splitter Alpha entdeckt hätten, aber mitnichten.«
»Hm. Die kartographische Aufnahme eines Planeten ist für die Flotte eine reine Routinesache«, erklärte Whitbread.
»Für die Flotte vielleicht, aber für mich ist das die erste Sprungfahrt. Und ich muss den Großteil der Arbeit machen, während sie neue Theorien durchackern, von denen ich kein Wort verstehe. Ich nehme an, du würdest wieder mal sagen, das alles sei sehr lehrreich?«
»Es ist sehr lehrreich.«
»Danke.« Potter widmete sich seinem Bier.
»Und es ist sterbenslangweilig. Was habt ihr bis jetzt rausgekriegt?«
»Eine ganze Menge. Es gibt nur einen Mond, weißt du, deshalb war die Massebestimmung ziemlich einfach. Oberflächenschwere rund 870 Zentimeter pro Sekundenquadrat.«
»0,87 Standard-g. Genau die Beschleunigung des Split-Schiffs. Keine großartige Neuigkeit also.«
»Aber die Atmosphäre verrät uns viel«, sagte Potter eifrig. »Wir haben die Zivilisationszentren kartiert. Neutrinos, getrübte Luftsäulen über Fusionsreaktoren, elektromagnetische Strahlung jeder Wellenlänge — die Atmosphäre ist voll davon. Die Splits sind überall, auf jedem Kontinent und selbst auf den Meeren. Dieser Planet ist überfüllt!« Potter, der die dünne Besiedlung von Neuschottland gewöhnt war, berichtete das mit einem leichten Schauder. »Wir haben auch schon eine Karte. Als ich ging, wurde gerade der Globus fertig gestellt. Möchtest du ihn sehen?«
»Klar.« Whitbread gurtete sich los und sprang aus der Hängematte. Dann stiegen sie zwei Decks tiefer in den Arbeitsbereich der Wissenschaftler. Bei Rotation arbeiteten die meisten Zivilisten am liebsten in den Regionen weiter außen, in der Nähe der Rumpfwand, wo nahezu Normalschwere herrschte, während sie sich zum Schlafen ins ›leichtere‹ Innere des Schiffs zurückzogen.
Der Globus mit einem Durchmesser von 120 Zentimetern war in einem kleinen Aufenthaltsraum montiert, den zur Zeit die Astronomen benutzten. Während einer Gefechtsbereitschaft waren hier Reparaturtrupps stationiert, die den Raum auch für dringende Instandsetzungsarbeiten verwendeten. Jetzt stand er leer. Ein Gong verkündete drei Glasen der letzten Wache.
Die Planetenoberfläche war bis auf die Südpolregion dargestellt. Der Globus zeigte auch die korrekte Achsneigung des Planeten an. Die lichtverstärkenden Teleskope der Mac Arthur hatten das Bild einer Welt geliefert, die wie jeder erdähnliche Planet aussah: verschiedene Blau- und Türkistöne, mit weißen Wolken marmoriert, rötliche Wüsten, blitzend weiße Berggipfel. Die Aufnahmen waren zu den verschiedensten Tageszeiten und in vielen Wellenlängen gemacht worden, so dass die Wolkendecken kaum wesentliche Einzelheiten der Oberfläche verbergen konnten. Gelb markierte Industriezentren überzogen den Planeten wie ein Ausschlag.
Whitbread studierte den Globus eingehend, während Potter aus Dr. Buckmans Thermosflasche Kaffee einschenkte. Buckman hatte aus irgendeinem Grund immer den besten Kaffee des Schiffs — zumindest den besten, an den Kadetten herankamen.
»Potter, warum hab’ ich das Gefühl, dass diese Welt irgendwie marsähnlich ist?«
»Keine Ahnung. Was ist ein ›Mars‹?«
»Der Planet Sol Vier. Bist du nie in New Annapolis gewesen?«
»Du weißt doch, ich bin hinter dem Kohlensack zu Hause.«
Whitbread nickte. »Du wirst schon noch hinkommen. Aber ich glaube, bei Rekruten aus den Kolonien sparen sie sich einen Teil des üblichen Ausbildungsprogramms. Schade.
Vielleicht könnte der Käptn was für dich arrangieren. Das Tollste ist diese letzte Trainingsmission, wo man für eine Notlandung auf dem Mars den absoluten Mindesttreibstoffbedarf ausrechnen und dann auch tatsächlich landen muss — mit versiegelten Tanks. Man muss die Atmosphäre zum Bremsen benutzen, und nachdem verdammt wenig davon vorhanden ist, muss man beinahe über den Boden kratzen, um überhaupt eine Bremswirkung zu kriegen.«
»Das klingt wirklich unterhaltsam. Nur schade, dass ich an dem betreffenden Tag dringend zum Zahnarzt müsste …«
Whitbread starrte immer noch den Globus an, während sie Kaffee tranken. »Wirklich, Gavin, das beunruhigt mich. Komm, wir wollen mit irgend jemandem darüber reden.«
»Commander Cargill ist noch draußen beim Wabenasteroiden.« Als Erster Offizier war Cargill für die Ausbildung der Kadetten verantwortlich. Im Gegensatz zu vielen anderen Offizieren hatte er auch Geduld für die Sorgen und Nöte der jungen Burschen.
»Vielleicht ist sonst noch wer auf«, meinte Whitbread. Sie gingen nach vorn auf die Brücke, wo sie auf Renner stießen, der getrocknete Seife am Kinn hatte und — was sie nicht mitbekamen — leise vor sich hinfluchte, weil er jetzt die verfluchte Waschgelegenheit mit neun anderen Offizieren teilen musste.
Whitbread versuchte zu erklären, was ihm Kopfzerbrechen machte. »Die Welt sieht aus wie der Mars, Mr. Renner. Und ich weiß nicht, weshalb.«
»Keine Ahnung«, sagte Renner. »Bin nie auch nur in die Nähe von Sol gekommen.«
Handelsschiffe hatten wenig Ursache, über die Neptunbahn hinein in das System Sol vorzustoßen, obwohl Sol als ursprüngliche Heimat der Menschheit ein Knotenpunkt verschiedener Sprungrouten zu anderen, wichtigeren Systemen war. »Und über den Mars habe ich bis jetzt noch nichts Gutes gehört. Warum sollte das von Bedeutung sein?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist es unwichtig.«
»Aber Sie scheinen das nicht zu glauben.«
Whitbread sagte nichts.
»In gewisser Hinsicht ist Splitter Alpha ungewöhnlich, das stimmt. Der Planet sieht aus wie irgendeine Welt des Imperiums, nur — oder kommt mir das bloß so vor, weil ich weiß, dass diese Welt von fremden Kreaturen wimmelt? Hören Sie, ich bin in fünf Minuten beim Käptn auf ein Glas Wein eingeladen. Ich will nur meine Jacke holen, und dann kommen Sie mit mir. Fragen wir doch ihn.«
Renner war auf dem Weg in seine Kabine, bevor Whitbread und Potter abwehren konnten. Potter warf seinem Kameraden einen vorwurfsvollen Blick zu. In welches Schlamassel hatte er sie da gebracht?
Renner führte sie hinunter in den Überstandardschwere-Turm, in dem sich die Dienstkabine des Kapitäns befand. Ein gelangweilter Infanterist saß an einem Tisch bei der Tür. Whitbread erkannte ihn — es hieß, dass in Sergeant Maloneys Vakuumdestillerie (die sich vermutlich irgendwo vor dem Backbordtorpedoraum befand) der beste Irische Nebel der Flotte produziert wurde. Maloney legte Wert auf Qualität, nicht Quantität.
»Aber sicher, lassen Sie die Kadetten herein«, rief Blaine. »Bis der Kutter zurück ist, habe ich ohnehin nicht viel zu tun. Treten Sie ein, meine Herren. Wein, Kaffee, oder etwas Stärkeres?«
Whitbread und Porter entschieden sich für Sherry, obwohl Potter Scotch vorgezogen hätte. Er war dieses Getränk seit seinem elften Lebensjahr gewöhnt. Die Sitzgelegenheiten waren kleine Faltstühle, die in überall in das Deck eingelassene Klammern einrasteten. Die Sichtluken waren frei, das Schutzfeld war ausgeschaltet, so dass man das Gefühl hatte, an der Unterseite des gewaltigen Bauchs der Mac Arthur zu hängen. Blaine registrierte die nervösen Blicke der beiden Kadetten Und lächelte. Das erste Mal war jedem bei diesem Anblick unbehaglich zumute.
»Was haben Sie auf dem Herzen?« fragte Blaine aufgeräumt. Whitbread berichtete.
»Ich verstehe. Mr. Potter, würden Sie uns diesen Globus auf meinem Vidischirm zeigen? Danke.« Rod studierte das Bild auf dem Schirm eingehend. »Hm. Eigentlich ganz normal aussehende Welt. Die Farben sind ein bisschen merkwürdig. Die Wolken sind — nun, schmutzig vermutlich. Die Atmosphäre muss alle möglichen Arten von Abfallstoffen enthalten. Das kennen Sie ja, Mr. Whitbread. Sie haben das Zeug doch zu riechen bekommen.«
»Ja, Sir.« Whitbread rümpfte die Nase. »Ein grässlicher Gestank.«
»Anzunehmen. Aber es ist das Helium, das Buckman die Wände hochgehen lässt. Ich frage mich, ob er schon eine Erklärung gefunden hat. Er hatte ja etliche Tage Zeit …
Verdammt noch mal, Whitbread, Sie haben recht, das sieht wirklich wie der Mars aus.
Aber warum?«
Whitbread zuckte die Achseln. Er bedauerte inzwischen, mit der Sache überhaupt angefangen zu haben.
»Die Konturen sind verschwommen. Schlecht auszumachen.
Aber das ist meistens so.« Nachdenklich ging Rod mit seinem Kaffee samt Irischem Nebel zum Bildschirm hinüber. Offiziell hatte er natürlich keine Ahnung, woher der Irische Nebel stammte. Kelley und seine Leute sahen jedoch zu, dass der Kapitän immer gut versorgt war. Cziller hatte Slivowitz vorgezogen, was Maloneys Kunst auf eine schwere Probe gestellt hatte.
Blaine zog mit dem Finger den Umriss eines kleinen Meeres nach. »Land und Meer sind fast nicht zu unterscheiden, dafür sehen die Wolken wie permanente Gebilde aus …«
Er fuhr noch einmal die Grenzlinie entlang. »Dieses Meer ist beinahe kreisförmig.«
»Ja. Das hier auch.« Renner deutete auf einen undeutlich erkennbaren Ring kleiner Inseln, der viel größer als das Meer war, das Blaine sich angeschaut hatte. »Und das — man sieht nur einen Teil des Kreisbogens.« Diese Formation war auf dem Festland, ein Bogen niedriger Hügel.
»Fast alles ist kreisförmig«, stellte Blaine fest. »Wie auf dem Mars. Das ist es … Der Mars ist vier Milliarden Jahre lang mit dem Asteroidengürtel von Sol in Berührung gekommen. In diesem System hier gibt es allerdings nicht so viele Asteroiden, und sie haben sich alle in den Trojanischen Punkten gesammelt.«
»Sir, sind nicht die meisten Kreise ein bisschen klein für Einschlagkrater?« erkundigte sich Potter.
»Das sind sie, Mr. Potter. Das sind sie.«
»Aber was soll das dann bedeuten?« sagte Whitbread mehr zu sich selbst.
»Noch ein Geheimnis für Buckman«, meinte Blaine. »Er wird begeistert sein. — Aber sehen wir doch, ob wir nicht die Zeit etwas nutzbringender anwenden können. Ich bin froh, dass Sie die beiden mitgebracht haben, Mr. Renner. Ich darf wohl nicht annehmen, das Glück zu haben, dass Sie alle beide Bridge spielen?«
Glücklicherweise war das der Fall — für Rod, denn Whitbread hatte eine ausgesprochene Pechsträhne. Er verlor nahezu einen vollen Tagessold.
Die Rückkehr des Kutters setzte der Kartenpartie ein Ende. Cargill meldete sich sofort beim Kapitän, um über das Unternehmen zu berichten. Er brachte eine Menge Informationen mit sowie zwei unverständliche Split-Mechanismen, die gerade im Hangardeck ausgeladen wurden, und ein zerfetztes Stück Metallblech von eigenartig goldener Farbe, das er bei sich hatte, die Hände durch dicke Handschuhe geschützt. Blaine dankte Renner und den Kadetten für das Spiel, worauf ihnen nichts übrig blieb, als diesem recht deutlichen Wink zu folgen, obwohl Whitbread nur zu gerne geblieben wäre.
»Ich denk’, ich hau’ mich in die Koje«, verkündete Potter. »Oder …«
»Ja?« drängte Whitbread.
»Wie war’s, wenn wir uns das Vergnügen leisten und ausprobieren, was Mr. Crawford für ein Gesicht macht, wenn er seine Kabine in ihrem jetzigen Zustand sieht?« fragte Potter boshaft.
Langsam breitete sich ein Grinsen über Jonathon Whitbreads rundliche Züge. »Mensch, Potter, das wird ja ein Vergnügen. Machen wir schnell!«
Es wurde ein voller Erfolg. Der an das Hangardeck anschließende Besprechungsraum war auch gut besetzt, als ein Signalmaat auf ein Zeichen Whitbreads die Split-Kabine auf den Vidifon-Schirm schaltete.
Crawford enttäuschte sie nicht. Er hätte ein in der Geschichte der Menschheit einmaliges Verbrechen begangen, nämlich ein fremdes Intelligenzwesen umgebracht, hätten ihn nicht seine Freunde zurückgehalten. Er tobte so sehr, dass es dem Kapitän zu Ohren kam, was zur Folge hatte, dass Crawford nach dem Dienst im Kutter sofort für die nächste Wache eingeteilt wurde.
Buckman kam, um Potter abzuholen und ihn eilends in die Astronomieräume zu schleppen; er war überzeugt, dass der junge Kadett den Krawall angezettelt hatte. Über die inzwischen geleistete Arbeit war er allerdings angenehm überrascht. Auch der Kaffee, der ihn erwartete, freute ihn. Diese Thermosflasche war immer voll, und Buckman hatte sich an diese Annehmlichkeit schon gewöhnt. Er wusste, dass Horace Bury das irgendwie bewerkstelligte.
Binnen einer halben Stunde nach Eintreffen des Kutters hatte Bury von dem Stück goldfarbenen Metallblechs erfahren. Das war nun etwas sehr Interessantes — und unter Umständen höchst Wertvolles. Auch diese uralt wirkenden Split-Maschinen mochten wertvoll sein —, wenn er sich nur irgendwie Zugang zum Computer des Kutters verschaffen könnte! Aber Nabils Fertigkeiten schlossen das leider nicht ein.
Ein Kaffeeplausch mit Buckman würde ihm schließlich weitere Informationen liefern, aber das war vorläufig nicht so wichtig. Morgen jedoch würde das Split-Schiff eintreffen.
Keine Frage, dieser Ausflug würde äußerst lukrativ werden — und die Admiralität bildete sich ein, ihn zu bestrafen, weil er von seinen Geschäften ferngehalten wurde. Gut, Wachstum würde es natürlich keins geben, wenn Bury nicht da war, um alles zu beaufsichtigen und seine Untergebenen anzutreiben, aber allzu sehr leiden würde das Geschäft auch nicht. Und mit allem, was er auf dieser Reise lernen würde, konnte Autonetics die mächtigste Firma der Handelsvereinigung werden. Wenn die Admiralität der Ansicht war, die Handelsvereinigung bereite dem Imperium Schwierigkeiten, dann sollten die Herrschaften nur abwarten, bis Horace Bury die Vereinigung kontrollierte! Er lächelte boshaft. Nabil, der die Miene seines Herrn beobachtete, duckte sich nervös zusammen und versuchte unauffällig zu bleiben.
Unten im Hangardeck wurde Whitbread, wie jeder, der voll Neugier vorbeigekommen war, zum Ausladen abkommandiert. Cargill hatte eine Menge Gegenstände aus den steinernen Waben des Asteroiden mitgebracht, die noch in den Kisten lagen. Whitbread war jedoch schlau genug, sich freiwillig als Gehilfe für Sally zu melden, bevor Cargill ihm eine andere Aufgabe übertrug.
Sie luden Dutzende Skelette und Mumien für das Anthropologielabor aus. Es gab puppengroße Miniaturexemplare, die den lebenden Mini-Splits in der Unteroffiziersmesse glichen. Andere, nicht ganz so fragile Skelette, die laut Staley im Wabenasteroiden sehr zahlreich vorkamen, glichen der Split-Prospektorin, die jetzt in Crawfords Kabine hauste.
»Hah!« rief Sally aus. Sie schälten eben eine weitere Mumie aus der Verpackung.
»Was ist los?« fragte Whitbread.
»Dieses Exemplar da, Jonathon. Es sieht so aus wie das in der Split-Sonde. Oder doch nicht? Die Schräge der Stirn passt nicht ganz … aber sie haben natürlich das intelligenteste Individuum als Botschafter ihrer Rasse ausgesucht. Auch für die Splits muss das der erste Kontakt mit fremden Intelligenzen sein.«
Dann stießen sie auf eine kleine, kaum einen Meter lange Mumie mit kleinem Kopf und großen, feinknochigen Händen. Die langen Finger aller drei Hände waren gebrochen.
Dann stießen sie auf eine vertrocknete Hand, die Cargill einzeln im Vakuum schwebend gefunden hatte, und sie passte zu keinem der bisherigen Funde: die Knochen waren stark und gerade und dick, die Gelenke groß und kräftig. »Eine Arthritis-Form?« überlegte Sally. Sie packten die Hand vorsichtig wieder ein und inspizierten die nächste Kiste: Reste eines Fußes, der ebenfalls frei umhergeschwebt war. Er besaß einen kurzen, scharfen Dorn an der Ferse, und die Vorderkante des Fußes war hart wie ein Pferdehuf, ziemlich scharf und zugespitzt, völlig anders als die bisher bekannten Fußvarianten.
»Lauter Mutationen?« meinte Sally. Sie wandte sich an Staley, der ebenfalls zum Ausladen abkommandiert worden war. »Sie haben doch gesagt, es hätte keine Strahlung mehr gegeben?«
»Der Felsbrocken war sauber und kalt, äh — Sally«, sagte Staley. »Aber vor längerer Zeit muss die Strahlung fürchterlich gewesen sein.«
Sally schauderte. »Ich frage mich, von was für Zeitspannen wir eigentlich reden.
Tausende Jahre? Es hängt jedenfalls davon ab, wie sauber die Bomben waren, mit denen sie den Asteroiden bewegten.«
»Es gibt keine Möglichkeit, das noch festzustellen«, erklärte Staley. »Aber diese Wabenwelt wirkte alt Sally. Uralt. Das Älteste, mit dem man sie vergleichen könnte, ist die Große Pyramide auf der Erde. Mir kamen die Waben aber noch wesentlich älter vor.«
»Hm«, meinte sie. »Aber das ist kein Beweis, Horst.«
»Nein. Aber dieser Steinbrocken ist alt — ich hab’s gefühlt.«
Die genaue Untersuchung der Fundstücke würde warten müssen. Allein das Ausladen und sichere Verstauen dauerte bis in die erste Wache, und alle waren rechtschaffen müde. Es war ein Uhr dreißig, drei Glasen der ersten Wache, als Sally in ihre Kabine zurückkehrte und Staley in den Geschützraum. Jonathon Whitbread blieb allein zurück.
Er hatte während der Bridgepartie beim Kapitän zuviel Kaffee getrunken und war noch nicht müde. Schlafen konnte er später, würde es auch müssen, denn das Split-Schiff sollte während der Vormittagswache bei der Mac Arthur eintreffen — aber bis dahin waren es noch neun Stunden, und Whitbread war jung.
Die Gänge der Mac Arthur waren nur halb so hell beleuchtet wie während des Schiffstages. Sie waren nahezu leer, und alle Kabinentüren waren geschlossen. Das immerwährende Stimmengewirr, das ›tagsüber‹ jeden Korridor der Mac Arthur erfüllte, so dass man kaum mehr eine einzelne Stimme heraushören konnte, war der Stille gewichen.
Die Spannung, die den Tag erfüllte, war jedoch auch jetzt noch zu spüren. Solange sie sich in dem fremden System aufhielt, würde es keine echte Ruhe auf der Mac Arthur geben. Und draußen, in einiger Entfernung, lag unsichtbar hinter seinem Schutzfeld der mächtige Zylinder der Lenin, deren Besatzung mit Doppelposten Wache stand.
Whitbread musste an die riesigen Lasergeschütze des Schlachtschiffs denken: einige davon waren jetzt auf die Mac Arthur gerichtet. Whitbread hatte viel für die nächtlichen Wachen übrig. Man hatte Platz zum Atmen, Platz zum Alleinsein. Und wenn man wollte, konnte man auch Gesellschaft haben — wachhabende Besatzungsmitglieder, Wissenschaftler, die ihre Arbeit nicht unterbrechen wollten. Nur diesmal schien es, als ob alles schliefe. Nun gut, er konnte ein bisschen die Mini-Splits auf dem Vidi beobachten, sich noch einen letzten Drink genehmigen, ein bisschen lesen und dann schlafen gehen. Angenehm bei der ersten Wache war, dass man es sich in den leerstehenden Labors gemütlich machen konnte.
Als er auf dem Vidi die Verbindung zu den kleinen Splits herstellen wollte, blieb der Schirm dunkel. Whitbread runzelte die Stirn — dann grinste er und machte sich auf den Weg zur Unteroffiziersmesse.
Um es unumwunden festzustellen: Whitbread war spitz darauf, die beiden Mini-Splits bei sexueller Gymnastik zu erwischen. Ein Kadett musste schließlich sehen, wo er blieb in punkto Unterhaltung.
Er öffnete die Tür — und etwas gelbbraun Geschecktes schoss ihm zwischen den Füßen durch und davon. In Whitbreads Familie hatte man immer Hunde gehalten, wodurch er sich gewisse Reflexe erworben hatte. Er sprang blitzartig zurück und schlug die Tür zu, damit sonst nichts mehr entwischen konnte, und spähte dann den Korridor hinunter.
Er sah es einen Moment ganz deutlich, bevor es in Richtung der Mannschaftskombüse verschwand: eins der Mini-Splits, mit einem rucksackartigen Ding auf den Schultern, das das Junge sein musste.
Das zweite erwachsene Split musste noch im Messeraum sein. Einen Augenblick lang zögerte Whitbread. Er hatte junge Hunde eingefangen, indem er ihnen sofort nachsetzte. Das Split war in der Kombüse — aber es kannte ihn nicht, war nicht an seine Stimme gewöhnt und — es war kein Hund. Whitbread runzelte die Stirn. Das würde jetzt wenig angenehm werden. Er ging zu einem Vidifon und rief den wachhabenden Offizier an.
»Himmel noch mal!« sagte Crawford aus tiefstem Herzen.
»Na schön. Sie sagen also, eins von diesen verdammten Viechern ist noch in der Messe? Sind Sie sicher?«
»Nein, Sir. Ich hab’ ja nicht reingeschaut, aber gesehen hab’ ich nur eins.«
»Schauen Sie ja nicht rein«, befahl Crawford. »Bleiben Sie an der Tür und lassen Sie niemanden hinein. Ich muss den Kapitän verständigen.« Crawford zog die Brauen zusammen — der Kapitän würde ihn vermutlich zusammenstauchen, weil er aus dem Bett geholt wurde, bloß weil so ein exotisches Schoßtierchen entwischt war; die stehende Order lautete jedoch, bei jedem die Splits betreffenden Vorfall sofort den Kapitän zu benachrichtigen.
Blaine gehörte zu den begnadeten Menschen, die sofort und ohne viel Umstände hellwach werden können. Er hörte sich Crawfords Meldung aufmerksam an.
»Schön, Crawford, holen Sie sich ein paar Infanteristen, die Whitbread ablösen sollen, und sagen Sie dem Kadetten, dass ich ihn dann sprechen will. Ich möchte seine Version hören. Und dann scheuchen Sie noch einen Trupp Infanteristen aus den Kojen und wecken Sie die Köche. Sie sollen die Kombüsenräume durchsuchen.« Er schloss die Augen und überlegte. »Die Split-Messe bleibt verschlossen, bis Dr. Horvath zur Stelle ist.« Er brach die Verbindung ab und dachte, jetzt muss ich Horvath verständigen.
Und den Admiral. Aber das verschob er am besten, bis er genau wusste, was sich abgespielt hatte. Lange konnte er es allerdings nicht hinausschieben. Er zog seine Uniformjacke an, bevor er den Wissenschaftsminister anrief.
»Sie sind entkommen? Wie?« knurrte Horvath. Der Wissenschaftsminister gehörte nicht zu jenen begnadeten Menschen. Seine Augen glichen dem Nabel einer Wasserleiche.
Das schüttere Haar war zerzaust. Der Geschmack in seinem Mund verschlechterte sichtlich seine Laune. »Das wissen wir nicht«, erklärte Rod geduldig. »Die Kamera funktionierte nicht. Einer meiner Offiziere ging nachsehen.« Das musste den Wissenschaftlern genügen. Er hatte nicht die Absicht, eine Horde Zivilisten über den jungen Burschen herfallen zu lassen. Wenn man dem Jungen auf die Finger klopfen musste, dann würde er das selbst besorgen. »Doktor, es würde Zeit sparen, wenn Sie jetzt gleich zu dem Messeraum hinunterkommen könnten.«
Der Korridor vor dem ehemaligen Messe- und Aufenthaltsraum füllte sich rasch mit Menschen: Horvath in einem zerdrückten, rotseidenen Morgenmantel; vier Infanteristen, Leyton, der zweite Wachoffizier, Whitbread, Sally Fowler in einem unförmigen Morgenrock, aber mit frischgewaschenem Gesicht und einem hübschen Tuch um die Haare. Drei Köche suchten vor sich hinmurrend und mit Töpfen und Pfannen klappernd die Kombüse ab, während weitere Soldaten ihnen zuschauten und im Weg herumstanden.
Whitbread erklärte eben: »Also ich schlug die Tür zu und schaute den Gang hinunter.
Das zweite könnte nach der anderen Seite entwischt sein …«
»Aber Sie glauben, es ist noch hier drin.«
»Ja, Sir.«
»Gut, dann wollen wir mal sehen, ob wir hineinkommen, ohne dass es rauskann.«
»Äh — beißen sie, Käptn?« erkundigte sich ein Infanteriekorporal. »Wir könnten an die Männer Schutzhandschuhe ausgeben.«
»Das ist nicht nötig«, beruhigte ihn Horvath. »Sie haben noch nie jemanden gebissen.«
»Jawohl, Sir«, sagte der Korporal und salutierte. Einer seiner Männer knurrte: »Das wurde auch von den Schwarmratten behauptet«, aber niemand achtete darauf. Sechs Männer und eine Frau bildeten einen halbkreisförmigen Kordon um Horvath, der sich bereitmachte, die Tür zu öffnen. Alle zeigten ernste, angespannte Mienen, und die bewaffneten Infanteristen waren auf alles gefasst. Zum ersten Mal verspürte Rod einen fast unwiderstehlichen Lachreiz. Er unterdrückte ihn. Dieses winzige, lächerliche, arme Geschöpf …
Horvath drückte sich rasch durch den Türspalt. Heraus kam nichts. Alle warteten.
»In Ordnung«, rief der Wissenschaftsminister. »Ich kann es sehen. Kommen Sie rein, aber nur einer auf einmal. Es sitzt unter dem Tisch.«
Das Mini-Split beobachtete, wie einer nach dem anderen vorsichtig zur Tür hereinkam, bis es von Menschen eingekreist war. Wenn es auf eine Lücke hoffte, war das vergeblich. Als die Tür geschlossen war und sieben Männer und eine Frau ihm jeden Fluchtweg versperrten, gab es auf. Sally nahm es in die Arme.
»Ist ja gut, armes kleines Ding«, flüsterte sie beruhigend. Das Split schaute sich verängstigt um.
Whitbread untersuchte die Reste der Kamera. Irgendwie war ein Kurzschluss entstanden, der seltsamerweise so lange erhalten blieb, bis Metall und Plastik der Kamera geschmolzen waren. Die Lufterneuerungsanlage der Mac Arthur war mit dem Gestank noch nicht ganz fertig geworden. Das Drahtnetz unmittelbar hinter der Kamera war ebenfalls durchgeschmolzen, so dass ein großes Loch entstanden war. Blaine kam herüber und sah sich die Bescherung an.
»Sally«, fragte er, »könnten sie intelligent genug sein, so etwas zu planen?«
»Nein!« riefen Sally und Horvath unisono, und Horvath erläuterte: »Ihr Gehirn ist zu klein.«
»Aha«, sagte Whitbread zu sich selbst. Aber er hatte nicht vergessen, dass die Kamera innerhalb des Drahtnetzes gewesen war.
Zwei Techniker aus der Kommunikationsabteilung wurden geholt. Sie schweißten neue Drähte über das Loch, und Sally setzte das Mini-Split wieder in den Käfig. Die Techniker brachten eine andere Vidi-Kamera, die sie diesmal außerhalb des Drahtnetzes befestigten. Niemand machte eine Bemerkung darüber.
Die Suche wurde die ganze Wache über fortgesetzt. Niemand fand das Split-Weibchen mit dem Jungen. Man versuchte, das große Split zum Helfen zu bewegen, aber es verstand entweder nicht, was man von ihm wollte, oder es hatte keine Lust. Endlich kehrte Blaine in seine Kabine zurück, um ein paar Stunden zu schlafen. Als er erwachte, waren die beiden Minis immer noch auf freiem Fuß.
»Wir könnten ihnen die Frettchen nachhetzen«, schlug Cargill beim Frühstück in der Offiziersmesse vor. Einer der Torpedomaats hielt sich ein Paar der katzengroßen Tiere, um das Mannschaftsdeck von Mäusen und Ratten zu befreien, was die Frettchen recht wirkungsvoll besorgten.
»Die würden die Splits töten!« protestierte Sally. »Die Minis sind doch nicht so gefährlich! Auf keinen Fall gefährlicher als Ratten — wir dürfen sie nicht umbringen!«
»Wenn wir sie nicht sehr bald finden, wird der Admiral mich umbringen«, knurrte Rod, gab aber nach. Die Suche wurde fortgesetzt, und Blaine begab sich schweren Herzens auf die Brücke.
»Verbinden Sie mich mit dem Admiral«, wies er Staley an.
»Aye, aye, Sir.« Der Kadett sprach kurz mit der Kommunikationszentrale.
Einige Augenblicke später erschien Admiral Kutuzovs bärtiges Gesicht auf dem Bildschirm. Der Admiral war auf der Brücke und trank Tee aus einem Glas. Rod konnte sich nicht erinnern, je mit Kutuzov gesprochen zu haben, wenn er nicht auf der Brücke war. Wann schlief der Mann? Blaine berichtete kurz von den entflohenen Splits.
»Sie haben immer noch keine Ahnung, was diese Miniaturexemplare sind, Kapitän?« fragte Kutuzov. »Nein, Sir. Es gibt mehrere Theorien. Die am meisten vertretene behauptet, dass sie mit den Splits in analoger Weise verwandt sind wie die Affen mit den Menschen.«
»Interessant, Kapitän. Ich nehme an, diese Theorien haben auch eine Erklärung dafür, warum sich Affen auf einem Asteroidenprospektorsboot befinden? Und warum dieser weibliche Prospektor zwei Affen mit an Bord Ihres Kriegsschiffs brachte? Mir ist nichts bekannt, dass wir Affen mitführen, Kapitän Blaine.«
»Nein, Sir.«
»Das Split-Schiff wird in drei Stunden hier sein«, brummte Kutuzov. »Und die Minis sind letzte Nacht entflohen. Dieses Zusammentreffen ist interessant, Kapitän. Ich glaube, diese Miniaturexemplare sind Spione.«
»Spione, Sir?«
»Spione! Es heißt, dass sie nicht intelligent sind. Vielleicht stimmt das, aber das heißt nicht, dass sie kein Gedächtnis haben. Sie haben berichtet, das große Fremdwesen sei mechanisch sehr begabt. Es hat den kleinen Exemplaren befohlen, die Uhr dieses Kaufmanns zurückzugeben. Kapitän, unter keinen Umständen darf dem großen Fremden ein Kontakt mit den entflohenen kleinen Splits erlaubt werden. Dem zweiten erwachsenen Mini-Split ebenso wenig. Ist das klar?«
»Ja, Sir …«
»Sie möchten den Grund wissen?« erkundigte sich der Admiral. »Wenn auch nur die allergeringste Chance besteht, dass diese Kreaturen das Geheimnis unseres Antriebs und des Schutzfeldes erfahren, Kapitän …«
»Ja, Sir. Ich verstehe schon. Ich werde mich darum kümmern.«
»Tun Sie das, Kapitän.«
Blaine blieb noch einen Augenblick lang sitzen und starrte den leeren Schirm an, dann drehte er sich zu Cargill um. »Jack, Sie sind doch mal unter dem Admiral gefahren, nicht? Wie ist er wirklich unter dieser Maske des eisernen Soldaten?« Cargill ließ sich in einem Sessel in der Nähe von Blaines Kommandositz nieder. »Ich war bloß ein Kadett, als er schon Kapitän war. Da kommt man sich nicht allzu nahe, Käptn. Eins ist sicher, wir hatten alle Respekt vor ihm. Er ist der härteste Offizier der ganzen Flotte — er hat mit niemandem Nachsicht, aber am wenigsten mit sich selbst. In einem Gefecht allerdings hat man bessere Chancen, lebend davonzukommen, wenn der Zar das Kommando hat.«
»Das habe ich auch gehört. Er hat mehr Einzelaktionen gewonnen als irgendein anderer Kommandant, aber Herrgott noch mal, er ist schon ein hartgesottener Teufel.«
»Ja, Sir, das ist er.« Cargill musterte seinen Kapitän vorsichtig. Vor gar nicht langer Zeit waren sie beide Leutnants gewesen — auf jeden Fall ließ es sich mit Blaine leichter reden als mit einem älteren Kommandanten. »Sie waren noch nie auf St. Ekaterina, Käptn?«
»Nein.«
»Mehrere von unserer Besatzung stammen von dort. Auf der Lenin gibt es natürlich noch mehr. Der Prozentsatz von Katerinern in der Flotte ist verdammt hoch, Käptn.
Wissen Sie, warum?«
»Nur ungefähr.«
»Das System wurde von den russischen Verbänden der alten Condominiumsflotte besiedelt«, sagte Cargill. »Als die CD-Flotte sich aus dem System Sol absetzte, brachten die Russkis ihre Frauen und Kinder nach St. Ekaterina. In den Gründungskriegen haben sie viel abgekriegt. Und dann begannen die Sezessionskriege, als Sauron St. Ekaterina ohne Warnung überfiel. Das System blieb loyal, nur …«
»Wie Neuschottland«, sagte Rod.
Cargill nickte heftig. »Genau, Sir. Verbissene Imperiumsanhänger. Bei ihrer Geschichte ist das zu verstehen. Die einzigen Friedenszeiten, die sie erlebt haben, verdankten sie einem starken Imperium.«
Rod nickte nachdenklich und wandte sich wieder seinen Bildschirmen zu. Es gab nur eine Möglichkeit, den Admiral zufrieden zustellen. »Staley«, befahl Blaine energisch, »verständigen Sie Kelley: er hat sämtliche Infanteristen auf die Suche nach den entflohenen Splits anzusetzen. Sie sollen sofort schießen. Wenn möglich nur auf die Beine, aber auf jeden Fall schießen. Und lassen Sie diese Frettchen im Kombüsenbereich los.«
Als das Split-Schiff näher kam, verbarg die grelle Flamme seines Fusionsantriebs alles, was auf seine Bauweise hätte schließen lassen. Die Mac Arthur wartete hinter eingeschaltetem Schutzfeld. Hundert Kilometer entfernt lag die Lenin auf Beobachtungsposten.
»Schiff klar zum Gefecht, Mr. Staley«, befahl Blaine ruhig.
Staley ergriff den großen roten Hebel, der jetzt auf Bereitschaftszustand wies, und schwang ihn im Uhrzeigersinn herum. Sirenen schrillten, dann ertönte von einer Bandaufnahme das Trompetensignal ›Zu den Waffen!‹ Kurz und klar hallten die Töne durch die stählernen Gänge.
»Achtung, Achtung! Alle Mann auf Gefechtsstationen! Alle Mann auf Gefechtsstationen!
Alarmzustand Rot Eins!«
Offiziere und Besatzungsmitglieder eilten auf ihre Posten — Geschützmannschaften, Ortungsfachleute, Torpedomaats, Flotteninfanteristen. Techniker und Köche und Magazineure wurden zu Reparaturarbeitern. Überall im Schiff bemannten Sanitäter Erste-Hilfe-Stationen. Alles ging rasch und lautlos. Rod fühlte heißen Stolz in sich aufsteigen. Cziller hatte ihm ein gut geführtes Schiff übergeben, und das war es bei Gott immer noch. »Kommunikationszentrale meldet Zustand Rot Eins«, verkündete der Brückensprecher. Der Steuermannsmaat Dritter Klasse sprach nur aus, was ihm ein anderer vorsagte, und im ganzen Schiff gehorchten Männer seiner Stimme, aber er gab nie eigene Befehle. Er wiederholte nur Worte, die die Mac Arthur in die Tiefe des Weltraumsspringen ließen, die Lasergeschütze feuern lassen, Torpedos starten, Angriff oder Rückzug befehlen konnten, und er meldete Resultate, die Blaine meistens bereits von seinen Bildschirmen und Instrumenten bekannt waren. Er ergriff nie die Initiative, durfte es nicht, aber durch ihn wurde das Schiff kommandiert. Er war ein allmächtiger, hirnloser Roboter.
»Geschützräume melden Zustand Rot Eins.«
»Infanteriekommandant meldet Zustand Rot Eins.«
»Staley, die Infanteristen, die nicht für Wachposten eingeteilt sind, sollen die Suche nach diesen entflohenen Splits fortsetzen«, befahl Blaine.
»Aye, aye, Sir.«
»Reparaturzentrale meldet Zustand Rot Eins.«
Das Split-Schiff bremste mit auf die Mac Arthur gerichtetem Antrieb ab. Die Glut verschmelzenden Wasserstoffs flammte wie eine kleine Sonne auf den Bildschirmen des Kreuzers. Rod studierte sie besorgt. »Sandy, wie lange können wir uns von diesem Antrieb anpusten lassen?«
»Is’ nich’ sehr heiß, Käptn«, meldete Sinclair über das Vidifon. »Das Feld wird zwanzig Minuten oder länger gut damit fertig. Die Flamme is’ auch ziemlich breit, so dass das Feld kaum überhitzte Stellen kriegen wird.«
Blaine nickte. Er war zu demselben Schluss gekommen, aber es war immer besser, auch noch die Meinung eines anderen einzuholen. Er beobachtete, wie der grelle Lichtfleck immer größer wurde.
»Scheinen ganz friedlich zu sein«, meinte Rod zu Renner. »Selbst wenn das ein Kriegsschiff sein sollte.«
»Ich glaube nicht, dass es eins ist, Kapitän.« Renner wirkte recht unbeteiligt. Auch im Falle eines Angriffs durch das Split-Schiff würde er wahrscheinlich mehr Zuschauer als Betroffener sein. »Zumindest zielen sie mit ihrem Antrieb nicht genau auf uns.
Höflichkeit ist alles.« »Leider nicht. Der Feuerstrahl verbreitert sich, und ein Teil streift unser Langston-Feld: damit können sie seine Wirkung gut beobachten.« »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Infanterieposten melden Zivilisten in Korridoren von B-Deck, Schott zwanzig.«
»Verdammt nochmal!« brüllte Blaine. »Das ist die Astronomieabteilung. Machen Sie diese Gänge frei!«
»Wird wohl Buckman sein«, meinte Renner grinsend. »Die Männer werden’s nicht leicht haben, ihn in seine Kabine zu kriegen …«
»Ja. Mr. Staley, sagen Sie den Soldaten, dass Buckman in seine Kabine zu bringen ist, selbst wenn sie ihn hinschleifen müssen.«
Whitbread grinste in sich hinein. Die Mac Arthur befand sich in freiem Fall, ihre Rotation war aufgehoben. Wie schleifte man jemanden bei absoluter Schwerelosigkeit?
»Torpedoräume melden Zustand Rot Eins. Torpedos scharf und abschussbereit.«
»Einer von den Köchen glaubt, eben ein Mini-Split gesehen zu haben«, sagte Staley.
»Die Infanteristen sind schon unterwegs.«
Das fremde Schiff schob sich näher, unsichtbar hinter der grellweißen Glut seines Antriebs. Sie manövrieren aber verdammt knapp, dachte Blaine. Der negative Beschleunigungswert hatte sich nicht um einen Bruchteil verändert. Offensichtlich verließen sie sich hundertprozentig auf alles — auf Antrieb, Computer, Sensoren …
»Maschinenraum meldet Zustand Rot Eins. Feld auf Maximalstärke.«
»Die Infanteristen haben Dr. Buckman in seine Kabine geschafft«, berichtete Staley.
»Dr. Horvath ist am Vidifon. Er wünscht sich zu beschweren.«
»Hören Sie sich an, was er zu sagen hat, Staley. Aber nicht zu lange.«
»Geschützmannschaft meldet alle Batterien auf fremdes Schiff ausgerichtet.
Visierautomatik mit Nachlauf eingeschaltet.« Die Mac Arthur war nun in vollem Alarmzustand. Alle Mann warteten auf ihren Posten. Sämtliche nicht benötigten Ausrüstungsgegenstände und Geräte, die sonst nahe der Bordwand lagen, waren ins Schiffsinnere geschafft worden.
Der Turm, in dem Blaines Dienstkabine lag, ragte wie eine dicke Flosse aus dem Rumpf des Kreuzers. Bei Rotationsschwere herrschte dort etwas mehr als ein Ge, da der Raum weit genug von der Hauptachse des Schiffs entfernt war. In einem Gefecht allerdings war der Turm das erste, was weggeschossen wurde. Blaines Kabine war jetzt nur noch ein leeres Gehäuse — sein Schreibtisch und die wichtigeren Sachen waren längst automatisch ins Innere gezogen worden, in einen der Null-Ge-Freizeiträume.
Jeder nicht benutzte Raum im Innern des Schiffs war mit Menschen und Geräten vollgestopft, während die äußeren Decks leer waren, um den Reparaturmannschaften Platz zum Arbeiten zu schaffen.
Das Split-Schiff näherte sich rasch. Noch immer war von ihm nicht mehr zu erkennen als ein greller, anwachsender Lichtfleck, der heiße Plasmastrahl eines Fusionsantriebs, der im Langston-Feld der Mac Arthur verging.
»Geschützraum meldet Bremsbeschleunigung des fremden Schiffs null Komma acht sieben null Grav.«
»Nichts Neues«, murmelte Renner.
Der Lichtfleck wuchs an, bis er die Bildschirme erfüllte — und erlosch. Im nächsten Augenblick glitt das fremde Schiff zentimetergenau längsseits, und die Flamme seines Antriebs war nicht einmal mehr ein dumpfes Glimmen.
Es war, als wäre das Schiff in einem vor sechs Tagen angepeilten Dock gelandet.
Relativ zur Mac Arthur lag es vollkommen still. Rod bemerkte sich bewegende Schatten in den dünnhäutigen Ringwülsten am Bugende. Renner stieß ein erbittertes Knurren aus.
Sein Gesicht war verzerrt. »Gottverdammte Angeber!«
»Beherrschen Sie sich, Mr. Renner.«
»Tut mir leid, Sir. Das war das erstaunlichste Kunststück in Astrogation, das mir je zu Ohren gekommen ist. Wenn mir jemand so etwas erzählen wollte, würde ich ihn einen Lügner nennen. Wofür halten die sich?« Renner war echt zornig. »Wenn ein Astrogationsschüler etwas so Närrisches versuchen würde und er die Kollision überlebte, würde man ihn hochkant hinausschmeißen.«
Blaine nickte. Der Split-Pilot hatte nicht den geringsten Spielraum für Irrtümer gelassen.
Und — »Ich hatte unrecht. Das könnte niemals ein Kriegsschiff sein. Schauen Sie es sich an.«
»Mhm, ja. Dünn und zerbrechlich. Man könnte es mit bloßen Händen zerdrücken.«
Rod überlegte einen Augenblick lang und traf dann seine Anordnungen. »Fragen Sie nach Freiwilligen. Wir brauchen jemanden, der den ersten Kontakt mit diesem Schiff aufnimmt — allein, in einem unbewaffneten Taxi. Und … Alarmzustand Rot Eins bleibt aufrecht.«
Es gab eine Menge Freiwillige.
Selbstverständlich war Kadett Whitbread einer von ihnen. Und Whitbread hatte eine solche Aufgabe schon einmal übernommen …
Er saß im Raumtaxi und wartete. Durch das polarisierende Helmvisier sah er, wie die Hangartore auf schwenkten.
Das letzte mal war alles gut gegangen. Diese Split-Prospektorin hatte ihn schließlich nicht umgebracht, oder?
Er sah, wie das absolute Schwarz draußen auseinander floss. Plötzlich funkelten Sterne durch ein Loch im Langston-Feld.
»Das ist weit genug«, sagte Cargills Stimme neben seinem rechten Ohr. »Sie können starten, Mr. Whitbread. Viel Glück — und Gott mit Ihnen.«
Whitbread ließ eine Batterie von Richtungsdüsen feuern. Das Taxi stieg auf, schwebte durch die Öffnung hinaus in den sternerfüllten Raum. Das misslaunige rote Auge von Murchesons Sonne begrüßte ihn. Hinter ihm Schloss sich das Langston-Feld. Whitbread war auf sich selbst gestellt.
Die Mac Arthur war eine scharf umrissene Silhouette aus unnatürlichem Schwarz.
Whitbread umkreiste sie langsam. Der Splitter leuchtete über dem schwarzen Rand auf, dann erschien das fremde Schiff.
Whitbread ließ sich Zeit. Das Schiff wurde langsam größer. Sein Kernstück war schmal wie ein Speer. An den Flanken waren Markierungen angebracht: Luken, Instrumentöffnungen, Antennen? Eine einzelne, schwarze eckige Flosse ragte etwa in der Mitte aus dem schlanken Rumpf — möglicherweise eine Abstrahlfläche.
In den dicken, durchsichtigen Ringwülsten, die das vordere Ende umgaben, konnte er sich bewegende Schatten erkennen. Sie waren deutlich genug, um einen seltsamen Schauder in ihm zu erwecken: verzerrte, halbmenschliche Gestalten, Gnome, vielarmige Monstren …
Vier Ringe, und in allen waren Schatten zu sehen. Whitbread meldete an die Mac Arthur: »Sie verwenden die Treibstofftanks als Kabinenraum. Ohne unsere Hilfe können sie also nicht mehr nach Hause.«
Die Stimme des Kapitäns: »Sind Sie sicher?«
»Ja, Sir. In diesem Rumpf könnte zwar noch ein Tank sein, aber der wäre dafür kaum groß genug.«
Er hatte jetzt fast das fremde Raumfahrzeug erreicht. Er ließ sein Boot sachte herantreiben, so dass es längsseits der bemannten Treibstofftanks zum Stillstand kam.
Dann öffnete Whitbread seine Luftschleuse.
Augenblicklich ging nahe dem vorderen Ende des Metallrumpfs eine Luke auf. Ein Split trat in die ovale Öffnung; es trug eine durchsichtige Hülle und wartete.
Whitbread sagte: »Bitte um Erlaubnis, das Taxi verlassen …«
»Genehmigt. Berichten Sie, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Ansonsten müssen Sie Ihr eigenes Urteilsvermögen gebrauchen. Die Infanterie steht in Bereitschaft, Whitbread, also rufen Sie nicht um Hilfe, außer es ist ernst. Eine Rettungsmannschaft ist in Augenblicken drüben. Und jetzt alles Gute.«
Als Cargill verstummte, meldete sich wieder die Stimme des Kapitäns. »Riskieren Sie nicht zu viel, Whitbread. Denken Sie daran, wir wollen, dass Sie zurückkommen und berichten können.«
»Aye, aye, Sir.«
Das Split wich geschickt zur Seite, als Whitbread zu der fremden Luftschleuse hinüberschwebte. Es wirkte irgendwie komisch, wie das Split so im Vakuum stand und sich mit der großen linken Hand an einem Ring festhielt, der aus dem Rumpf ragte.
»Überall gibt’s hier Vorsprünge und herausragende Gegenstände«, sagte Whitbread in sein Mikrofon. »Dieses Ding kann einfach nicht aus einer Atmosphäre gestartet worden sein.«
Er bremste in der ovalen Öffnung ab und nickte dem sanft lächelnden Fremden zu. Er meinte es nicht einmal sardonisch, als er förmlich sagte: »Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.«
Das fremde Wesen verbeugte sich aus der Taille — oder war das ein Nicken? Das zum Nicken geeignete Gelenk lag unterhalb der Schultern, und Hals gab es keinen. Das Split deutete mit den zwei rechten Armen in das Schiff.
Die Luftschleuse war eng, auf Split-Größe zugeschnitten. Whitbread entdeckte an der Wand drei versenkte Knöpfe, von denen ein Netz silbriger Streifen ausging. Eine Schaltung. Das Split bemerkte sein Zögern; nach einigen Augenblicken langte es an ihm vorbei und drückte zuerst auf einen, dann auf einen zweiten Knopf.
Die Schleuse schloss sich hinter ihnen.
Die Vermittlerin stand im Nichts und wartete, dass die Schleuse in Gang gesetzt wurde.
Sie wunderte sich über den seltsamen Körperbau des fremden, seine Symmetrie und die komisch hervortretenden Knochen. Dieses Wesen war ganz offensichtlich nicht mit der bekannten Fauna verwandt. Und sein Mutterschiff war in einem Punkt aufgetaucht, den die Vermittlerin als den Närrischen Punkt kannte.
Noch mehr erstaunte sie aber, dass das Wesen nicht imstande war, ohne Hilfe die Schleusenschaltung zu begreifen.
Es musste als Vermittler gekommen sein, und es musste intelligent sein. Musste es das? Würde man ein Tier vorschicken? Nein, gewiss nicht. Das wäre in jeder Kultur eine tödliche Beleidigung gewesen.
Die Schleuse ging auf. Sie zog sich hinein und betätigte den Schließmechanismus. Der fremde wartete im Gang, den er ausfüllte wie ein Korken den Flaschenhals. Die Vermittlerin nahm sich die Zeit, ihre Druckhülle abzustreifen. Darunter war sie nackt. Ein so fremdartiges Wesen wie dieses konnte sonst leicht annehmen, sie sei ein Krieger.
Sie musste ihm beweisen, dass sie unbewaffnet war.
Sie ging voran zu den geräumigeren Tankwülsten. Das große, schwerfällige Wesen kam ungeschickt nach. Es war offensichtlich nicht an Schwerelosigkeit gewöhnt. Immer wieder machte es halt, um durch die Sichtplatten in einzelne Abteile des Schiffs zu spähen, und untersuchte auch Geräte, die die Braunen im Gang montiert hatten … weshalb tat ein intelligentes Wesen so etwas?
Die Vermittlerin hätte den fremden gern weitergezogen, aber das hätte dieser als Angriff auffassen können. Sie musste alles vermeiden, was missverstanden werden konnte.
Sie würde das Wesen zunächst als Meister behandeln.
Ein Abteil war eine Beschleunigungskammer: sechsundzwanzig verbeulte Andruckliegen in drei Reihen übereinander, alle der modifizierten Pritsche in Crawfords Kabine ähnlich und doch nicht alle gleich. Das Split schnellte geschickt voran, elegant wie ein Delphin in seinem Element. Sein kurzes Fell zeigte ein Muster von weißen und braunen Streifen und Ringeln. Nur die vier dicken Pelzpolster unter den Armen und in der Leistenbeuge waren rein weiß. Whitbread fand es hübsch und sympathisch. Jetzt war es stehen geblieben, um auf ihn zu warten — es war ungeduldig, glaubte Whitbread jedenfalls.
Er versuchte nicht daran zu denken, in was für einer Mausefalle er steckte. Der Korridor war unbeleuchtet und so eng, dass man Platzangst bekommen konnte. Weiter hinten sah er eine Reihe von Tanks, die durch Pumpen verbunden waren — vermutlich ein Kühlsystem für den Wasserstoff. Diese einzelne schwarze Flosse außen am Rumpf gehörte sicher dazu.
Das Split erreichte eine hellere Region.
Das Licht fiel durch eine Öffnung, die selbst für Whitbread groß genug war. Jenseits davon herrschte gedämpftes Licht, trüb wie durch Gewitterwolken geschwächtes Sonnenlicht. Whitbread folgte dem Split hinaus in den hellen Raum, der Teil eines der Toroide sein musste. Einen Augenblick später war er von fremden Wesen eingekreist.
Sie sahen alle gleich aus. Das scheinbar zufällige Muster von Braun und Weiß wiederholte sich bei jedem einzelnen von ihnen. Mindestens ein Dutzend unsymmetrische, lächelnde Gesichter starrten ihn aus höflichem Abstand an. Sie schnatterten in raschen, hohen Tönen miteinander.
Abrupt verstummte das Geschnatter. Eines der Splits näherte sich Whitbread und sprach mehrere kurze Sätze, die vielleicht dasselbe in verschiedenen Sprachen ausdrückten, für Whitbread aber allesamt Chinesisch hätten sein können.
Whitbread breitete bedauernd die Hände aus und zuckte theatralisch mit den Achseln.
Das Split wiederholte die Geste augenblicklich und in unfassbar genauer Nachahmung.
Das gab Whitbreads ziemlich angespannten Nerven den Rest. Er schwebte hilflos im Raum, hielt sich den Bauch und lachte gackernd wie ein aufgeregtes Huhn. Blaines trockene, kühle Stimme in seinem Ohr brachte ihn wieder zu Besinnung. »Schon gut, Whitbread, wir haben es auch komisch gefunden. Aber was jetzt …«
»Oh nein! Sir, bin ich schon wieder im Vidi?« »Was jetzt wichtiger ist — wie werden die Splits Ihr Verhalten auffassen?«
»Ja, Sir. Ich — dieser dritte Arm war einfach zuviel.« Whitbread hatte sich beruhigt. »Es ist Zeit für meinen Striptease-Auftritt, Kapitän. Bitte schalten Sie wenigstens jetzt die Vidileitung ab …«
Das Kontrolllicht vor seinem Kinn leuchtete wieder gelb. Die Luft war langsames Gift, wenn man einmal vom Gestank absah, aber diesmal würde er sie nicht atmen müssen.
Er holte tief Atem, löste den Helm und hob ihn ab. Er hielt weiter den Atem an, bis er aus einer Außentasche seines Anzugs einen Atemschlauch herausgeholt und das Mundstück zwischen die Zähne geklemmt hatte. Dann drehte er das Ventil am Druckluftbehälter auf. Alles funktionierte prächtig.
Langsam begann er sich auszuziehen. Zuerst kam der unförmige Raumanzug dran, in dem die ganzen notwendigen Geräte eingebaut waren. Dann löste er die Plastikstreifen, die die Reißverschlüsse schützten, und öffnete den enganliegenden Druckanzug. Arme und Beine waren mit Reißverschlüssen versehen, vor der Brust war ein weiterer. Ohne sie hätte es Stunden gedauert, so einen hautengen Anzug anzulegen. Das elastische Gewebe legte sich eng um jeden einzelnen Muskelstrang, und das war auch nötig, sonst wäre er im Vakuum durch seinen Körperdruck explodiert. So aber war seine eigene Haut, unterstützt durch das fest anliegende Gewebe, gewissermaßen ein natürlicher Druckanzug, und seine Schweißdrüsen lieferten die Temperaturregulierung.
Der Drucklufttank schwebte frei vor ihm, als er sich aus dem Anzug schälte. Die Splits kamen mit langsamen Bewegungen näher, und eines — ein braunes ohne weiße Streifen, das dem Prospektor auf der Mac Arthur glich — machte vor ihm halt, als wolle es ihm helfen.
Er benutzte den Allzweckkleber aus seiner Werkzeugtasche, um seinen Helm an die durchsichtige Plastikwand zu kleben, damit er nicht entschwebte. Erstaunlicherweise hielt es nicht. Das braune Split erfasste das Problem sofort. Es (sie, er?) holte ein Röhrchen und tupfte etwas von dem Inhalt auf Whitbreads Helm; jetzt hielt er an der Wand. Jonathon richtete die Kamera auf sich und klebte den Raumanzug daneben.
Menschen hätten sich alle nach einer gemeinsamen Orientierung gerichtet, als müssten sie sich erst über Oben und Unten einigen, bevor sie sich wohl fühlten. Die Splits schwebten irgendwie in der Luft, kopfüber, kopfunter; es war ihnen sichtlich gleichgültig.
Sie warteten, und alle sahen aus, als ob sie lächelten.
Whitbread streifte den letzten Teil seines Anzugs ab. Nun hatte er überhaupt nichts mehr an.
Die Splits kamen heran, um ihn zu untersuchen.
Unter all den braun-weiß-gemusterten fiel das eine braune Split besonders auf. Es war etwas kleiner als die anderen, hatte ein wenig größere Hände und einen Kopf, der irgendwie anders war. Soweit Whitbread es beurteilen konnte, glich es dem Asteroidenprospektor. Die anderen schauten alle genau so aus wie das tote Split aus der Lichtsegelsonde.
Das braune untersuchte seinen Anzug und hantierte am Inhalt seiner Werkzeugtasche herum. Die anderen jedoch interessierten sich nur für ihn, betasteten ihn, fühlten nach Muskeln, Sehnen und Gelenken und suchten nach Stellen, an denen ein Druck eine Reflexbewegung auslöste.
Zwei untersuchten seine um das Mundstück gekrampften Zähne, so gut es ging. Andere tasteten seine Knochen mit den Fingerspitzen ab: Rippen, Rückgrat, Schädelknochen, Becken, Fußknochen. Sie beklopften seine Hände und bogen seine Finger, so weit es die Gelenke erlaubten. Obwohl sie ihn mit Vorsicht behandelten, war das alles sehr unangenehm.
Das Geschnatter schwoll an. Einige Töne waren so hoch, dass sie wie ein fast schon unhörbares schrilles Pfeifen klangen, aber die meisten Laute hatten doch eine angenehme mittlere Tonlage. Eine bestimmte Phrase in anscheinend aufgeregtem Tonfall wurde mehrmals wiederholt. Auf einmal waren sie alle hinter ihm und zeigten einander sein Rückgrat. Whitbreads Wirbelsäule schien sie wirklich aufs höchste zu interessieren. Ein Split lenkte seinen Blick auf sich und begann, sich vorzubeugen und wieder aufzurichten. Dabei ragten seine beiden Rückengelenke ganz schrecklich heraus, so als ob sein Rückgrat an zwei Stellen gebrochen wäre. Whitbread wusste, dass dem nicht so war, aber er fand den Anblick doch nicht sehr angenehm. Er begriff jedoch, was man von ihm wollte, und rollte sich zur Fötus-Stellung ein, streckte sich aus, rollte sich wieder ein. Ein Dutzend kleine fremde Hände betasteten seinen Rücken.
Endlich ließen sie von ihm ab. Ein Split kam heran und schien Whitbread aufzufordern, nun seine (ihre?) Anatomie zu untersuchen. Whitbread schüttelte den Kopf und blickte betont zur Seite. Das war eine Aufgabe für die Wissenschaftler.
Er holte sich seinen Helm und sprach ins Mikrofon. »Bereit zum Berichterstatten, Sir. Ich weiß nicht recht, was ich nun anfangen soll. Soll ich versuchen, ein paar dazu zu bewegen, mit mir auf die Mac Arthur zu kommen?«
Kapitän Blaines Stimme hatte einen gepressten Unterton. »Auf keinen Fall. Können Sie aus dem Schiff hinaus?«
»Ja, Sir, wenn ich muss.«
»Es wäre günstig. Melden Sie sich dann über eine abgesicherte Verbindung, Whitbread.«
»Äh — jawohl, Sir.« Whitbread machte den Splits Zeichen, deutete auf seinen Helm, dann auf die Luftschleuse. Das eine, das ihn hereingebracht hatte, schien die Geste zu begreifen. Mit Hilfe des braunen Splits legte er wieder seinen Anzug an, sah die Verschlüsse nach und befestigte den Helm. Das braun-weiße Split führte ihn zur Luftschleuse.
Draußen fand er nichts, woran er seine Sicherheitsleine hätte festmachen können. Sein Split-Begleiter hatte das Problem mit einem Blick erfasst und klebte eine Art Haken an die Rumpfwand. Der Haken sah nicht gerade vertrauenerweckend aus, und Jonathon machte sich einen Moment lang Sorgen. Dann runzelte er die Stirn. Wo war eigentlich der Ring, an dem sich das Split festgehalten hatte, als Whitbread zum Schiff kam? Er war verschwunden. Weshalb?
Nun, die Mac Arthur war schließlich nicht weit entfernt. Wenn der Haken abbrach, würde man ihn schon an Bord holen. Vorsichtig stieß er sich von dem Split-Schiff ab, bis er frei im Raum schwebte. Über das Fadenkreuz in der Sichtscheibe seines Helms visierte er präzis die Antenne an, die aus dem vollkommenen Schwarz ragte, in dem sich die Mac Arthur verbarg. Dann berührte er mit der Zunge die Sensortaste für abgesicherte Verbindung.
Ein enger Strahl kohärenten Lichts schoss von seinem Helm zur Mac Arthur hinüber. Ein zweiter kam vom Schiff zurück, an seinem eigenen entlang, und traf das winzige Laser-Empfangsgerät, das in seinen Helm eingelassen war. Der Ring rund um den Empfänger blieb dunkel. Wäre Licht darauf gefallen, hätte der Peilmechanismus auf der Mac Arthur den Fehler korrigiert oder, wenn die Streuung auch noch einen weiteren Ring um Whitbreads Empfänger erfasste, die Verbindung ganz abgebrochen.
»Abgesichert, Sir«, meldete Whitbread. Er ließ einen milde irritierten, erstaunten Unterton durchklingen. Schließlich, dachte er, können sie mir diesen Rest von freier Meinungsäußerung nicht gut verwehren, oder?
Blaine ging tatsächlich darauf ein. »Mr. Whitbread, der Grund für die Absicherung ist nicht einfach, dass wir Ihnen Schwierigkeiten machen wollen. Die Splits verstehen unsere Sprache jetzt noch nicht, aber sie können Gespräche aufnehmen, und irgendwann einmal werden sie Anglic verstehen. Begreifen Sie jetzt?«
»Ja — ja, Sir.« Himmel nochmal, der Alte dachte wirklich voraus.
»Weiters, Mr. Whitbread, können wir kein Split an Bord lassen, solange wir nicht das Problem der Minis bereinigt haben. Wir werden auch die Splits in keiner Weise wissen lassen, dass wir ein solches Problem haben. Ist das klar?«
»Ja, Sir.«
»Ausgezeichnet. Ich schicke Ihnen übrigens eine Bootsladung Wissenschaftler hinüber, nachdem Sie sozusagen Fühlung aufgenommen haben … Sie haben das sehr gut gemacht. Bevor ich Ihnen die anderen schicke — haben Sie noch etwas zu berichten?«
»Hm, ja, Sir. Erstens, es sind zwei Kinder an Bord. Sie klammerten sich an den Rücken von Erwachsenen. Sie sind größer als die Minis und haben die gleiche Fellfärbung wie die Erwachsenen.«
»Ein weiterer Hinweis auf ihre friedlichen Absichten«, meinte Blaine. »Was noch?«
»Also, ich hatte zwar keine Gelegenheit, sie zu zählen, aber mir kam vor, es waren dreiundzwanzig vom braun-weißen Typ und zwei braune Prospektor-Typen. Die beiden Kinder hielten sich an den braunen Splits fest. Ich wüsste gerne, weshalb.«
»Vielleicht werden wir sie einmal fragen können. Gut also, Whitbread — die Wissenschaftler werden bald drüben sein. Sie bekommen den Kutter. Renner, sind Sie in der Leitung?«
»Ja, Sir.«
»Berechnen Sie einen Kurs: ich möchte die Mac Arthur in eine Position fünfzig Kilometer entfernt vom Split-Schiff bringen. Ich weiß nicht, wie die Splits es auffassen, wenn wir das Schiff bewegen, aber der Kutter wird auf jeden Fall vorher drüben sein.« »Sie wollen die Position ändern?« fragte Renner ungläubig. Whitbread empfand ähnlich, wollte aber das Recht der freien Meinungsäußerung nicht zu sehr strapazieren und hielt den Mund.
»Ja.«
Einen langen Moment herrschte bedeutsames Schweigen.
»Na gut«, seufzte Blaine. »Sie kriegen eine Erklärung. Der Admiral ist sehr besorgt wegen der Mini-Exemplare. Er meint, sie könnten imstande sein, etwas über unser Schiff auszuplaudern. Wir haben Befehl, darauf zu achten, dass die entkommenen Minis keinerlei Verbindung mit anderen Splits aufnehmen können, und dazu ist mir ein Kilometer ein bisschen zu nahe.«
Wieder sagte niemand etwas.
»Das ist alles, meine Herren, Danke, Mr. Whitbread«, sagte Rod. »Mr. Staley, benachrichtigen Sie Dr. Hardy, dass er jederzeit an Bord des Kutters gehen kann.«
»Nun wird es ernst«, dachte Kaplan Hardy. Er war ein rundlicher, verträumt wirkender Mann mit nachdenklichen Augen und rotem Haar, in dem sich die ersten grauen Strähnen zu zeigen begannen. Außer um den Sonntagsgottesdienst abzuhalten, war er die meiste Zeit absichtlich in seiner Kabine geblieben.
David Hardy war kein ungeselliger Mensch. Jeder konnte ihn in seiner Kabine besuchen, um Kaffee oder einen Drink angeboten zu bekommen, Schach zu spielen, lange Gespräche zu führen. Viele taten das. Er mochte nur einfach das Gedränge nicht, die Menschenmenge. In der Menge konnte er niemanden richtig kennenlernen.
Er hielt auch an seiner berufsbedingten Abneigung fest, mit Laien über seine Arbeit zu sprechen, oder Ergebnisse zu veröffentlichen, bevor er genügend Beweise gesammelt hatte. Das, sagte er sich, würde in Zukunft schwierig sein. — Was waren diese fremden Wesen wirklich? Kein Zweifel, dass sie intelligent waren. Kein Zweifel, dass sie einen Platz im göttlichen Schema aller Dinge hatten. Aber welchen? Männer der Besatzung brachten Hardys Ausrüstung in den Kutter. Eine Bandbibliothek, mehrere Stöße Bilderbücher, Nachschlagwerke (wenige nur, da der Bordcomputer des Kutters Verbindung zum Hauptspeicher des Schiffes aufnehmen konnte — aber Hardy liebte richtige Bücher, so unpraktisch sie auch waren). Weiters nahm er mit: zwei Bildröhrengeräte mit Tonumsetzern, Frequenzanalysatoren und elektronischen Filtern, die Sprachlaute erzeugen, die Tonhöhe variieren, Phase und Obertöne ändern konnten.
Er hatte versucht, die Geräte selbst an Bord zu bringen, aber der Erste Offizier hatte ihm das ausgeredet. Die Infanteriesoldaten hatten mehr Erfahrung bei dieser Arbeit, und Hardys Sorgen bezüglich unsachgemäßer Behandlung waren nichts gegen die der Männer: wenn sie etwas beschädigten, würden sie es mit Kelley zu tun bekommen.
Hardy traf Sally erst in der Luftschleuse. Auch sie reiste nicht gerade mit leichtem Gepäck. Wäre es nach ihr gegangen, dann hätte sie alles mitgenommen, selbst die Knochen und Mumien aus dem Wabenasteroiden; der Kapitän genehmigte jedoch nur Holographien davon, und selbst die musste sie verbergen, bis sie wusste, wie die Splits zu Grabräuberei standen. Aus Cargills Beschreibung des Wabenasteroiden hätte man schließen können, dass die Splits keinerlei Begräbnisbrauche kannten, aber das war absurd. Jede Kultur hatte Begräbnisbräuche, auch die allerprimitivste menschliche.
Sie durfte auch nicht die Split-Prospektorin mitnehmen, oder das zweite Miniexemplar, das inzwischen wieder weiblich geworden war. Frettchen und Infanteristen suchten immer noch nach dem zweiten Mini-Split und dem Jungen (warum war nur das Junge mit diesem Mini davongelaufen und nicht bei seiner Mutter geblieben?). Sie überlegte, ob ihre recht massiven Proteste wegen Rods Befehlen an die Infanteristen vielleicht der Grund waren, dass sie so erstaunlich leicht die Genehmigung erhalten hatte, im Kutter mitzukommen. Sie wusste, dass sie Rod genau genommen unrecht tat. Er musste die Befehle des Admiralsbefolgen. Aber es war nicht richtig! Die Minis taten niemandem etwas zuleide. Man musste schon an Verfolgungswahn leiden, um sie zu fürchten.
Sie folgte Kaplan Hardy in die Hauptkabine des Kutters. Dr. Horvath war bereits da. Er, Hardy und sie würden die ersten Wissenschaftler sein, die das fremde Schiff betraten; sie fühlte Begeisterung in sich aufsteigen — es würde so viel, so unendlich viel zu lernen geben!
Eine Anthropologin — sie betrachtete sich nun als voll qualifiziert, und kaum jemand hätte das bestreiten mögen —, ein Linguist und Horvath, der ein ausgezeichneter Physiker gewesen war, bevor er sich der Bürokratie zuwandte. Horvath war das einzige nutzlose Mitglied der Gruppe, aber sein Rang verschaffte ihm natürlich überall einen Platz. Sie war selbstredend nicht der Ansicht, eine derartige Klassifizierung könnte auch für sie zutreffen, im Gegensatz zur Hälfte der Wissenschaftler auf der Mac Arthur.
Drei Wissenschaftler, ein Bootsmann, zwei Maate und Jonathon Whitbread. Keine Soldaten, keine Waffen. Sallys Aufregung und Begeisterung vermochten nicht ganz die leise Furcht zu verdrängen, die sie manchmal beschlich. Natürlich mussten sie unbewaffnet sein, aber sie hätte sich trotzdem sicherer gefühlt, wenn Rod Blaine mitgekommen wäre. Das aber war natürlich unmöglich.
Mit der Zeit würden mehr Menschen an Bord des Kutters kommen. Buckman mit einer Million Fragen, sobald Hardy erst einmal das Verständigungsproblem gelöst hätte. Die Biologen würden in Scharen anrücken. Ein Flottenoffizier, vermutlich Crawford, um die Waffen der Splits zu studieren. Ein Maschinenoffizier. Kurz, jeder außer dem Kapitän.
Es war höchst unwahrscheinlich, dass Kutuzov Rod Blaine gestatten würde, sein Schiff zu verlassen, wie friedlich die Splits sich auch zeigen mochten.
Mit einemmal verspürte sie Heimweh. Auf Sparta besaß sie eine Villa, Charing Close, die nur wenige Minuten von der Hauptstadt entfernt war. Sparta war das Zentrum der Zivilisation — und sie lebte in letzter Zeit anscheinend nur in einer Reihe zusehends kleinerer Raumfahrzeuge, mit der einzigen Abwechslung des Gefangenenlagers. Bei ihrem Abgang von der Universität hatte sie den Entschluss gefasst, eine eigene Persönlichkeit zu werden, nicht nur eine Art Verbrämung für die Karriere irgendeines Mannes. Im Augenblick allerdings hätte sie gar nicht soviel dagegen gehabt, ein bisschen Verbrämung zu sein, natürlich nur für den richtigen Mann — nein. Sie musste und wollte auf eigenen Füßen stehen.
Am einen Ende der Hauptkabine des Kutters befand sich eine Andruckliege und ein halbrundes Instrumentenpult davor. Das war die Feuerleitbrücke. Eine ziemlich armselige ›Brücke‹. Natürlich waren auch noch Klapptische und Sitze zum Essen oder für Unterhaltungsspiele vorhanden.
»Haben Sie sich dieses Boot genau angeschaut?« fragte sie Horvath.
»Wieso?« antwortete Sally.
»Haben Sie’s angeschaut? Überall Geschützbettungen. Das gefährliche Zeug wurde zwar abmontiert, aber es ist genug zurückgelassen worden, dass jeder sehen kann; hier waren Geschütze. Für die Torpedos gilt das gleiche. Sie wurden rausgeholt, aber die Torpedorohre sind noch da und unverkennbar. Und das soll ein friedliches Gesandtenschiff sein?«
Hardy riss sich von seinen privaten Gedanken los und meinte: »Was hätten Sie denn anstelle des Kapitäns getan?«
»Ich hätte ein unbewaffnetes Boot genommen.«
»Haben wir keine«, antwortete Hardy sanft. »Keines, in dem man leben könnte, wie Sie sehr wohl wissen könnten, wären Sie je aufs Hangardeck gekommen.« Die Andacht wurde auf dem Hangardeck abgehalten, und Horvath hatte nie teilgenommen. Das war zwar seine Angelegenheit, aber es schadete auch nicht, wenn man ihn ein wenig daran erinnerte.
»Aber das ist so offensichtlich ein abgerüstetes Kampfboot!« Hardy nickte. »Die Splits würden früher oder später ohnehin unser schändliches Geheimnis entdecken. Wir sind eine kriegerische Spezies, Anthony. Das ist ein Teil unserer Natur. Und trotzdem kommen wir in einem vollständig entwaffneten Kampfboot. Glauben Sie nicht, dass das ein recht bedeutungsvoller Hinweis für die Splits ist?«
»Aber diese Begegnung ist ungeheuer wichtig für das Imperium!«
David Hardy nickte nur stumm. Der Wissenschaftsminister hatte recht, aber der Kaplan fand, dass er sich aus den falschen Gründen Sorgen machte.
Ein leichter Ruck zeigte an, dass der Kutter sich vom Mutterschiff gelöst hatte. Rod beobachtete den Start über die Brückenbildschirme und empfand etwas wie hilflose Besorgnis. Sobald der Kutter am Split-Schiff längsseits ging, würde Crawford ihn ins Visier einer seiner Geschützbatterien nehmen — und Sally Fowler war an Bord des wehrlosen, entwaffneten Bootes.
Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, die Splits auf die Mac Arthur kommen zu lassen, aber das war natürlich unmöglich, solange die Minis noch nicht gefunden worden waren. Rod war froh, dass sein Schiff den Fremden nicht Gastfreundschaft bieten musste. Ich beginne ja schon an Verfolgungswahn zu leiden, dachte er. Wie der Admiral.
Vorläufig aber ließen sich die Minis nicht blicken, Sally redete nicht mehr mit ihm, und alle anderen waren nervös. »Bereit zum Übernehmen, Kapitän«, sagte Renner. »Ich löse Sie ab, Sir.«
»In Ordnung. Übernehmen Sie, Navigator.«
Die Beschleunigungswarnung ertönte, und die Mac Arthur strebte langsam von dem fremden Schiff fort — und fort vom Kutter, fort von Sally.
Die Dusche war ein großer Plastikbeutel voll seifigem Wasser, in dem ein junger Mann steckte. Um seinen Hals lag eine elastische Abdichtung. Whitbread genoss es, sich mittels einer langstieligen Bürste überall dort zu kratzen, wo es ihn juckte, und das war buchstäblich überall. Es war angenehm, sich wieder richtig dehnen und strecken zu können. Es war so verflixt eng in diesem Split-Schiff gewesen! Der pure Alptraum eines Klaustrophobikers.
Als er seine Säuberung beendet hatte, ging er zu den anderen in die Hauptkabine.
Der Kaplan, Horvath und Sally Fowler trugen alle weiche Schuhe mit Haftsohlen und hatten sich wortlos auf eine Richtung als oben geeinigt. Früher wäre Whitbread etwas derartiges gar nicht aufgefallen. Er meldete sich bei Horvath: »Herr Wissenschaftsminister, ich soll mich bis auf weiteres unter Ihren Befehl stellen.«
»In Ordnung, Mr … . Whitbread.« Horvath murmelte sorgenvoll vor sich hin. Er wirkte angespannt und nervös — wie die anderen auch.
»Wissen Sie«, sagte der Kaplan zögernd, »keiner von uns hat eine Ahnung, was wir nun tun sollen. Wir haben noch niemals Kontakt mit wirklich Fremden gehabt.«
»Sie sind recht freundlich, und Sie bemühen sich um Verständigung«, sagte Whitbread.
»Gut. Gut, aber das hilft mir nicht viel.« Das Lachen des Kaplans klang ziemlich gepresst. »Wie war es denn, Whitbread?«
Er versuchte, es ihnen zu schildern. Eng, bis man in die Plastiktoroide kommt … alles furchtbar dünn und sehr zerbrechlich … keine Möglichkeit, die Splits auseinander zuhalten, wenn man von den geringen Unterschieden zwischen Braunen und Braun Weißen absieht … »Sie sind unbewaffnet«, schloss er. »Ich habe drei Stunden Zeit gehabt, dieses Schiff zu erkunden. Es gibt einfach keine Stelle an Bord, wo sie größere Waffen verbergen könnten.« »Hatten Sie den Eindruck, dass man Sie von irgend etwas ablenken wollte?«
»N-nein.«
»Das klingt nicht sehr überzeugt«, sagte Horvath streng.
»Oh, das ist’s nicht, Sir. Mir ist nur gerade die Werkzeugkammer eingefallen. Wir kamen zum Schluss in einen Raum, der voller Werkzeuge war, Wände, Boden und Decke. An einigen Wänden hingen ganz gewöhnliche Sachen: Handbohrer, Fuchsschwanzsägen mit seltsamen Griffen, Schrauben und ein Schraubenzieher. Dinge, deren Zweck ich erkennen konnte. Es waren auch Nägel da und etwas, das ich für einen Hammer hielt — mit breitem, flachen Kopf. Das Ganze kam mir vor wie ein Bastelraum, den sich einer im Keller einrichtet. Aber es gab auch einige wirklich komplizierte Dinge, die mir vollkommen unklar waren.«
Das fremde Schiff schwebte ganz nahe vor der Bugscheibe. Bizarre Schattengestalten bewegten sich darin. Sally schaute ihnen gebannt zu, wie die anderen auch, nur Horvath sagte trocken: »Sie sind der Ansicht, dass man Sie von nichts ablenken wollte, habe ich das recht verstanden?«
»Nun, ich glaube, ablenken nicht — aber ich bin sicher, dass ich mit Absicht in diesen Werkzeugraum gebracht wurde. Den Grund weiß ich nicht. Es könnte eine Art Intelligenztest gewesen sein. In diesem Fall habe ich wahrscheinlich miserabel abgeschnitten.«
»Das einzige Split, mit dem wir uns bisher zu unterhalten versuchten«, warf Kaplan Hardy ein, »versteht die einfachsten Gesten nicht. Und jetzt behaupten Sie, diese Splits hätten Sie einem Intelligenztest unterzogen …«
»Jawohl, Sir, denn die können Gesten deuten. Sie begreifen sogar erstaunlich schnell.
Sie sind wirklich anders, Sir. Nicht nur äußerlich. Sie haben ja die Aufnahmen gesehen.«
Hardy wickelte eine Strähne seines schon etwas schütteren roten Haars um einen knochigen Finger und zupfte gedankenvoll daran. »Von ihrer Helmkamera? Ja, Jonathon. Ich glaube, dass wir es mit zwei Arten von Splits zu tun haben. Die eine ist arm im Geiste und geschickt mit den Händen und kann sich nicht verständigen. Die andere … die andere kann es«, schloss er lahm. Er ertappte sich dabei, dass er immer noch mit seinen Haaren spielte und strich die Strähne hastig zurecht. »Ich hoffe, ich werde es auch lernen.«
Sie haben alle Angst davor, erkannte Whitbread. Sally besonders. Und sogar Kaplan Hardy, der sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist. Alle haben vor diesem ersten Schritt Angst.
»Ist Ihnen sonst noch irgend etwas aufgefallen?« fragte Horvath.
»Ich hatte den Eindruck, dass dieses Schiff für den freien Fall entworfen wurde. Überall findet man Haftbänder und aufblasbares Mobiliar. Und die Toroide sind durch kurze Gänge miteinander verbunden, die so breit sind wie die Toroide selbst. Unter Beschleunigung wären das offene Falltüren, die nicht zu umgehen sind.«
»Seltsam«, murmelte Horvath. »Vor vier Stunden flog dieses Schiff noch unter Beschleunigung.«
»Eben, Sir. Die Verbindungsgänge müssen neu sein.« Der Gedanke traf Whitbread wie ein Schlag. Die Verbindungsgänge müssen neu sein …!
»Aber das ist ja von großer Bedeutung«, stellte Kaplan Hardy ruhig fest. »Sie sagten doch auch, dass die Einrichtungsgegenstände keine bestimmte Orientierung aufweisen.
Und wir haben alle gesehen, dass es den Splits egal war, welche Richtung sie einnahmen, als sie mit Ihnen zu reden versuchten. Das könnte heißen, dass sie der Schwerelosigkeit besonders angepasst sind. Dass vielleicht … ihre Evolution in Schwerelosigkeit stattfand …«
»Aber das ist unmöglich«, wandte Sally ein. »Unmöglich, doch — Sie haben recht, Dr.
Hardy! Menschen nehmen immer ein und dieselbe Richtung ein, wenn sie mit anderen im freien Fall beisammen sind. Selbstalte Raumsoldaten, die ihr ganzes Leben im All verbracht haben! Aber eine Evolution im freien Fall … das ist unvorstellbar.«
»Nicht, wenn es sich um eine sehr alte Rasse handelt«, sagte Hardy. »Diese asymmetrischen Arme geben mir zu denken. Eine evolutionäre Verbesserung? Wir sollten diese Theorie im Auge behalten, wenn wir uns mit den Splits verständigen wollen.« Wenn wir lernen können, uns mit ihnen zu verständigen, fügte er in Gedanken hinzu.
»Meine Wirbelsäule brachte sie ganz aus dem Häuschen«, fuhr Whitbread fort. »So als hätten sie noch nie etwas Derartiges gesehen.« Er unterbrach sich. »Ich weiß nicht, ob Sie unterrichtet wurden: Ich habe mich nackt ausgezogen, damit sie mich untersuchen konnten. Es … es kam uns richtig vor, als ob sie uns … äh … eingehender kennenlernen wollten.« Er wagte nicht, Sally ins Gesicht zu blicken.
»Jonathon, glauben Sie bloß nicht, dass ich das irgendwie lustig finde«, sagte sie. »Ich werde das gleiche tun müssen.«
Whitbreads Kopf schnellte hoch. »Was?«
Sally wählte ihre Worte mit Bedacht; sie sagte sich, dass man auf die provinzielle Moral Rücksicht nehmen müsse. Ihr Blick blieb auf das Deck gesenkt. »Was immer Kapitän Blaine und Admiral Kutuzov den Splits verheimlichen wollen, die Existenz von zwei menschlichen Geschlechtern gehört sicher nicht dazu. Sie haben das Recht zu erfahren, wie unser Körper gebaut ist, wie wir funktionieren — und ich bin die einzige Frau auf der Mac Arthur.«
»Aber sie sind Senators Fowlers Nichte!«
Sie musste lächeln. »Das werden wir ihnen nicht verraten.« Abrupt stand sie auf.
»Bootsmann Lafferty, es ist Zeit aufzubrechen.« Sie war ganz Grande Dame, als sie sich umwandte — nicht einmal die Schwerelosigkeit konnte ihrer Haltung Abbruch tun.
»Jonathon, ich danke Ihnen, aber Sie brauchen keine Bedenken zu haben. Herr Kaplan, Sie können nachkommen, sobald ich Sie verständige.« Und damit ging sie.
Geraume Zeit später sagte Whitbread: »Ich hab mich schon gewundert, dass alle so nervös sind.«
Und Horvath sagte, ohne aufzublicken: »Sie hat darauf bestanden.«
Sally stellte die Verbindung zum Kutter her, als sie beim Split-Schiff angekommen war.
Das Split, das Whitbread in Empfang genommen hatte, oder ein gleich aussehendes, bat sie mit höflicher Kopfneigung an Bord. Die Kamera des Taxis nahm die Szene auf — und der Kaplan beugte sich interessiert vor. »Dieses Nicken wirkte ganz wie Ihres, Whitbread. Ausgezeichnete Nachahmung.«
Ein paar Minuten später meldete sich Sally wieder, aber nur über die Tonverbindung.
Sie war jetzt in einem der Toroide. »Überall um mich herum sind Splits. Viele haben irgendwelche Geräte in den Händen. Jonathon, haben …«
»Wie ich dort war, hatten die meisten nichts in der Hand. Diese Geräte, wie sehen die aus?«
»Nun, eins zum Beispiel schaut aus wie eine halb zerlegte Kamera, und ein anderes hat einen Schirm wie ein Oszillograph.« Einige Augenblicke Stille. »Es ist soweit. Fowler Ende.« Klick.
Zwanzig Minuten lang hörten sie nichts mehr von Sally Fowler. Drei Männer saßen unruhig vor dem leeren Vidischirm und starrten gebannt darauf.
Als sie sich endlich wieder meldete, klang ihre Stimme erleichtert. »In Ordnung, meine Herren, Sie können jetzt herüberkommen.«
»Bin schon unterwegs.« Hardy schnallte sich los und schwebte in einem langsamen Sprung zur Luftschleuse des Kutters. Auch ihm war Erleichterung anzuhören. Das lange Warten war zu Ende.
Rod war von dem üblichen Getriebe der Brückenaktivitäten umgeben — Wissenschaftler beobachteten die Hauptbildschirme; Offiziere, Bootsleute, Maate gingen ihren Aufgaben nach. Die Positionsänderung der Mac Arthur war abgeschlossen. Um sich zu beschäftigen, ließ Rod den Kadetten Staley einen simulierten Infanterieangriff auf das Split-Schiff durchführen. Er hoffte natürlich, dass das reine Theorie bliebe, aber es lenkte ihn wenigstens von seinen trübsinnigen Gedanken ab. Horvaths Anruf erlöste ihn endlich aus seiner Grübelei, was wohl auf dem fremden Schiff vorgehen mochte, und Rod meldete sich denn auch mit ungewohnter Herzlichkeit.
»Hallo, Doktor! Wie läuft denn alles?«
Horvath lächelte, soweit das bei seinen Gesichtszügen möglich war. »Sehr gut, danke, Kapitän. Dr. Hardy ist bereits zu Lady Sally unterwegs. Ich habe Ihren Kadetten mitgeschickt.«
»Gut.« Rod spürte die Anspannung der letzten Stunde noch als ein Stechen im Nacken.
Sally hatte es also durchgestanden …
»Kapitän, Mr. Whitbread hat einen Werkzeugraum erwähnt, in den er auf dem fremden Schiff geführt wurde. Er glaubt, dass sein Verständnis für Werkzeug getestet wurde. Mir kam der Gedanke, dass die Splits uns vielleicht alle nach dieser Fähigkeit beurteilen.«
»Könnte durchaus sein. Die Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen und zu gebrauchen, ist eine grundlegende …«
»Ja, ja, Kapitän, aber keiner von uns ist ein Werkzeugfachmann! Wir haben einen Linguisten, einen Anthropologen, einen Verwaltungsbeamten — mich — und einige Militärs. Das könnte ein falsches Licht auf uns werfen. Wir waren zu sehr darauf bedacht, alles über die Splits zu erfahren, und zu wenig, sie mit unserer Intelligenz zu beeindrucken.«
Blaine überlegte. »Unsere Schiffe sollten das eigentlich besorgen … aber Sie haben recht, Doktor. Ich werde jemanden hinüberschicken. Wir haben sicher jemanden an Bord, der in einem solchen Test gut abschneidet.« Als Horvaths Bild auf dem Schirm erlosch, tippte Rod eine neue Verbindung auf dem Vidifon ein. »Kelley, Sie können die Hälfte Ihrer Leute jetzt von der Alarmbereitschaft abziehen.«
»Aye, aye, Käptn.« Die Züge des Infanterieschützen verrieten keinerlei Emotionen, doch Rod wusste recht gut, wie verdammt unbequem der gepanzerte Kampfanzug war. Das gesamte Infanteriekontingent der Mac Arthur befand sich seit Stunden in voller Alarmbereitschaft auf dem Hangardeck.
Dann rief Blaine Sinclair an. »Wir haben ein ungewöhnliches Problem, Sandy. Wir brauchen jemanden, der sich gut mit Werkzeug auskennt und auf das Split-Schiff gehen will. Wenn Sie mir ein paar Leute nennen, frage ich nach Freiwilligen.«
»Nich’ nötig, Käptn. Ich werd selber gehn.«
Blaine fragte verblüfft. »Sie, Sandy?«
»Aye, und warum nich’, Käptn? Ich kann alles wieder zurechtflicken, was je mal funktioniert hat, oder nich’? Und meine Jungs werden schon mit allem fertig, was auf der Mac schief gehen könnt. Ich hab sie gut gedrillt. Sie wern mich nich’ vermissen …«
»Warten Sie mal, Sandy.«
»Ja, Käptn?«
»Schön und gut — jeder, der in einem solchen Test gut abschneidet, weiß über das Feld und den Antrieb Bescheid. Es könnte aber trotzdem sein, dass der Admiral Sie nicht gehen lässt.«
»Is’ aber sonst keiner hier, der Ihnen so viel über dieses Schiff rausfindet wie ich, Käptn.«
»Hm ja — na gut, besorgen Sie sich die ärztliche Genehmigung. Noch was — wen soll ich schicken, wenn Sie nicht gehen dürfen?« »Och, Jacks vielleicht. Oder Leigh Battson, oder sonst einen von meinen Jungs, nur nich’ Menchikov, der besteht aus Daumen.«
»Menchikov. Ist das nicht der Techniker, der im Gefecht mit der Defiant sechs Leute gerettet hat, die im Hecktorpedoraum eingeschlossen waren?«
»Aye, Käptn. Er is’ aber auch der Bursche, der zwei Wochen vor diesem Gefecht Ihre Dusche gerichtet hat …«
»Oh. — Nun, schönen Dank, Sandy.« Rod schaltete ab und sah sich auf der Brücke um.
Im Augenblick gab es wirklich sehr wenig für ihn zu tun. Die Bildschirme zeigten, dass das fremde Schiff genau im Visier der Hauptgeschützbatterie der Mac Arthur lag; sein eigenes Schiff war denkbar gut gegen alle Aktionen des fremden Schiffs abgesichert, und Sally hatte bald Hardy und Whitbread zur Unterstützung. Er drehte sich zu Staley um. »Diese letzte Simulation war schon recht gut. Arbeiten Sie jetzt einen Einsatzplan für die Rettung aller nicht an Bord befindlicher Personen aus, wobei nur die Hälfte der Infanterie in Bereitschaft sein soll.«
Sally hörte, wie Hardy und Whitbread an Bord kamen — die Splits reagierten mit vermehrtem Geschnatter — aber sie blickte kaum auf, als die beiden Männer erschienen. Sie hatte sich die Zeit genommen, ihren Anzug wieder anzulegen, obwohl es sie irritierte, zu solchen Formalitäten gezwungen zu sein. Sie war damit beschäftigt, in dem schwachen, diffusen Licht des Splitters ein braun-weißes Split zu untersuchen.
Sie betastete seinen Körper, beugte Ellbogen- und Schultergelenke und fühlte nach den Muskelsträngen, während sie einen laufenden Kommentar in ihr Kehlkopfmikrofon sprach.
»Ich nehme an, dass sie einer weiteren Subspezies angehören, die allerdings mit den Braunen nahe verwandt ist, vielleicht nahe genug, um untereinander fortpflanzungsfähig zu sein. Eine Bestimmung des genetischen Codes wird diese Frage klären, wenn wir die nötigen Proben nach Neuschottland bringen können, wo die entsprechenden Geräte zur Verfügung stehen. Die Splits wissen es höchstwahrscheinlich, aber wir sollten uns vorsehen, was wir sie fragen, bevor wir festgestellt haben, welche Tabus bei ihnen bestehen.
Sie kennen offensichtlich keine geschlechtliche Diskriminierung, wie sie im Imperium besteht. Tatsächlich ist die Vorherrschaft der Weibchen bemerkenswert. Eins der Braunen ist männlich, es kümmert sich um beide Jungen. Die Jungen sind abgestillt — zumindest konnte ich keine Anzeichen entdecken, dass ein säugendes Weibchen — oder Männchen — an Bord ist.
Eine mögliche Hypothese wäre, dass bei den Splits niemals, wie bei den Menschen nach den Sezessionskriegen, ein Mangel an gebärfähigen Frauen bestanden hat, so dass kein übertriebener Beschützerinstinkt den Weibchen gegenüber entwickelt werden konnte wie im Imperium. Ich weiß nicht, warum es bei den Braun-Weißen keine Jungen gibt, obwohl es natürlich sein könnte, dass die kleinen Splits die Nachkommen von Braun Weißen sind und die Braunen nur als eine Art Erzieher fungieren. Nicht zu übersehen ist, dass die Braunen vordringlich zu allen technischen Arbeiten herangezogen werden.
Die Unterschiede der beiden Arten sind deutlich, wenn auch nicht auffällig. Die Braunen besitzen größere und besser geformte Hände, während ihre Stirn flacher ist. Außerdem sind sie kleiner. Frage: Welcher der beiden Typen ist der höher entwickelte? Die Braun Weißen haben eine etwas größere Hirnkapazität, die Braunen haben die brauchbareren Hände. Sämtliche Braun-Weißen, die ich bis jetzt gesehen habe, sind weiblich. Bei den Braunen gibt es von jedem Geschlecht einen: ist das Zufall, ein Hinweis auf eine kulturelle Gegebenheit, oder biologisch begründet? — Ende des Textes. — Willkommen an Bord, meine Herren.«
»Alles in Ordnung?« fragte Whitbread.
Ihr Kopf stak in einer Plastikhülle, die um den Hals dicht anlag wie der in Raumschiffen übliche Duschsack; vermutlich war ihr der in der Nase getragene Respirator unangenehm. Die Hülle ließ ihre Stimme etwasdumpf klingen. »Durchaus. Ich habe durch dieses … äh … Striptease sicher ebensoviel gelernt wie sie. Was kommt nun?«
Sprachunterricht.
Ein Wort fiel ihnen bald auf: Fjunch(klick). Als der Kaplan auf sich zeigte und »David« sagte, machte sein Split-Gegenüber mit dem unteren rechten Arm dieselbe Geste und sagte »Fjunch(klick)«, mit einem deutlich klickenden Zungenschnalzer.
So weit, so gut — doch Sally wandte ein: »Mein Split hatte denselben Namen, glaube ich.«
»Meinen Sie, ich hätte mit demselben Wesen zu tun?« »Nein. Und ich weiß, das Fjunch(klick)« — sie bemühte sich, das Zungenklicken richtig herauszubringen, konnte aber leider ein Kichern nicht unterdrücken, was die Wirkung ziemlich verdarb — »nicht das Wort für Split ist. Das hab ich ausprobiert.«
Der Kaplan runzelte die Stirn. »Vielleicht klingen für uns alle ihre Eigennamen gleich.«
Er wandte sich an ein anderes Split, zeigte aus sich und sagte »Fjunch(klick)?« Seine Aussprache war nahezu perfekt, und er kicherte nicht.
Das Split sagte: »Nein.«
»Das haben sie schnell gelernt«, meinte Sally nachdenklich.
Nun versuchte es Whitbread. Er schwebte zwischen den Splits umher, zeigte auf sich und sagte immer wieder »Fjunch(klick)?« Er erntete vier deutliche Nein, bis ein kopfunter schwebendes Split ihn am Knie berührte und sagte: »Fjunch(klick)? Ja«.
»Es könnte vielleicht etwa heißen wie: ›Ich bin für dich zuständige, schlug Whitbread vor.
»Das wäre eine Möglichkeit«, stimmte Hardy zu. Eine gar nicht schlechte Hypothese, allerdings ohne hinreichende Grundlagen — oder hatte der junge Mann zufällig darauf getippt?
Sie waren von geschäftigen Splits umgeben. Einige der Instrumente, mit denen die Wesen hantierten, mochten Kameras oder Recorder sein. Andere Geräte gaben Töne von sich, wenn ein Mensch etwas sagte, oder spuckten eine Art Plastikband aus, oder zeigten auf winzigen Bildschirmen zackige, orangefarbene Linien. Die Splits interessierten sich auch für Hardys Instrumente, insbesondere das männliche Braune, das Hardys Oszillographen vor seinen Augen auseinander nahm und wieder zusammensetzte. Danach schien das Bild schärfer zu sein, und Hardy kam es vor, dass auch die Bildstabilisierung besser funktionierte. Interessant. Und nur die Braunen brachten so etwas fertig.
Mit der Zeit beteiligten sich alle an den Sprachlektionen. Es war eine Art Spiel geworden, den Splits Anglic beizubringen. Man brauchte nur auf etwas zu zeigen und das entsprechende Wort sagen, und die Splits wiederholten es und merkten es sich meist auch gleich. David Hardy dankte seinem Schöpfer für so intelligente Schüler.
Die Splits bastelten dauernd an ihren Geräten herum, stellten sie anders ein oder gaben sie auch einem der Braunen mit einem Schwall von gezwitscherten Anweisungen. Ihr Stimmbereich war wirklich erstaunlich. Wenn sie sich in ihrer eigenen Sprache unterhielten, spielte ihre Stimme in wenigen Augenblicken vom Bass zum Sopran. Hardy nahm an, dass die Tonhöhe selbst Bedeutung besaß.
Er hätte gar nicht bemerkt, wie die Zeit verging, wäre er nicht von seinem Körper darauf aufmerksam gemacht worden. In seinem Bauch machte sich eine unangenehme Leere bemerkbar, doch er achtete nicht darauf. Die Halteklammer des Respirators rieb seine Nase wund. Seine Augen brannten von der Split-Atmosphäre, die unter seine Schutzbrille drang, und er bedauerte, sich nicht entweder für einen Helm oder wie Sally für einen Plastikbeutel entschieden zu haben. Der Splitter, ein verschwommener, heller Punkt, zog langsam hinter der gekrümmten, durchscheinenden Wand vorbei. Die Trockenheit der Luft erzeugte bald brennenden Durst. Dies alles machte ihm klar, dass die Zeit verging, aber er war darüber hinaus, sich um körperliche Unannehmlichkeiten zu kümmern. Er spürte nichts als Freude. Jetzt endlich konnte David Hardy das tun, wozu er sich berufen fühlte.
Obwohl es sich um eine noch nie da gewesene Situation handelte, beschloss Hardy, sich an die traditionellen linguistischen Richtlinien zu halten. Auf unvermutete Probleme stieß er mit Hand, Gesicht, Ohren, Finger. Es stellte sich heraus, dass die Splits für das Dutzend Finger der beiden rechten Hände eine Kollektivbezeichnung hatten, und eine andere für die drei kräftigen Finger der linken Hand. Das Ohr wurde verschieden benannt, je nachdem, ob es angelegt oder aufgestellt war. Für Gesicht gab es keine Entsprechung, obwohl die Splits die Anglic-Bezeichnung sofort aufgriffen und anscheinend als brauchbare Bereicherung ihrer Sprache ansahen.
Hardy war der Meinung gewesen, seine Muskulatur hätte sich mittlerweile an Schwerelosigkeit gewöhnt, doch nun taten ihm alle Glieder weh. Es fiel ihm nicht ein, dass Erschöpfung die Ursache sein könnte. Er wusste nicht, wohin Sally vor einer Weile verschwunden war, ja es war ihm eigentlich kaum aufgefallen. Das zeigte einerseits, dass er Sally wie die Splits als Kollegen akzeptierte und andererseits, wie müde er war.
Hardy betrachtete sich im allgemeinen als aufgeschlossenen Menschen, aber der — wie Sally es nannte — »übertriebene Beschützerinstinkt Frauen gegenüber war auch bei ihm ziemlich ausgeprägt — ein charakteristischer Zug der Kultur des Imperiums und insbesondere der Männerwelt der Raumflotte.
Erst als sein Luftvorrat zu Ende ging, konnten die anderen Hardy dazu überreden, in den Kutter zurückzukehren.
Die Abendmahlzeit war einfach, und alle beeilten sich damit, um ihre Beobachtungen vergleichen zu können. Er war froh, dass die anderen ihn in Ruhe ließen, bis er gegessen hatte. Horvath vor allem war es, der die anderen zurückhielt, obwohl man ihm ansehen konnte, dass er am allerneugierigsten war. Obwohl die Essgeräte eigens für Schwerelosigkeit entworfen worden waren, erforderte das Essen einige Konzentration, denn keiner der Wissenschaftler war richtig an die Bedingungen des freien Falls gewöhnt. Endlich ließ Hardy einen Maat sein Esstablett wegräumen und wandte sich den anderen zu, in deren Mienen Millionen unausgesprochener Fragen zu lesen waren.
»Sie lernen ziemlich rasch unsere Sprache«, sagte David. »Ich wünschte, ich könnte das auch von meinen eigenen Fortschritten behaupten.«
»Sie geben sich alle Mühe«, stellte Whitbread fest. »Wenn man ihnen ein neues Wort sagt, verwenden sie es immer wieder, probieren es in allen möglichen Sätzen aus, in jedem nur denkbaren Zusammenhang — ich habe so was noch nie erlebt.«
»Sie hätten Dr. Hardy länger zuhören müssen«, meinte Sally. »Wir lernen diese Technik im Lauf unserer Ausbildung, aber ich beherrsche sie nicht besonders gut.«
»Das tun junge Leute selten.« Hardy reckte sich befriedigt. Die Leere in seinem Innern war beseitigt. Eins allerdings nagte an ihm: dass die Splits ihm auf seinem eigenen Gebiet überlegen waren. »Wenn man jung ist, hat man meist nicht die nötige Geduld.
Ihre jugendliche Begeisterung ist hier allerdings sehr nützlich, denn die Splits können Ihre Bemühungen ganz professionell dirigieren. Übrigens, Jonathon, wohin sind denn Sie verschwunden?«
»Ich habe mein Fjunch(klick) mit nach draußen genommen und ihm das Taxi gezeigt. Im Split-Schiff hatten wir schon alle Sachen benannt, und ich wollte kein Split hier herein bringen. Oder dürfen wir das?«
»Sicher.« Horvath lächelte. »Ich habe mit Kapitän Blaine gesprochen, und er überlässt das unserer Entscheidung. Wie er ganz richtig sagt, am Kutter gibt es keine Geheimnisse. Ich finde jedoch, dass wir das Ereignis vielleicht … äh … durch eine kleine Zeremonie oder so aufwerten sollten, meinen Sie nicht auch? Schließlich hat außer diesem Asteroidenprospektor noch nie ein Split ein menschliches Schiff besucht.«
Hardy zuckte die Achseln. »Nun, sie machen selber kaum ein Aufheben davon, wenn wir bei ihnen an Bord kommen. Außerdem sollten wir in Betracht ziehen, dass sie wahrscheinlich bereits vor dem Start ihre eigenen Zeremonien abgehalten haben — für dieses Team von ausgesuchten linguistischen Fachleuten. Das sind sie nämlich, wenn man nicht annehmen will, dass die ganze Rasse eine fantastische sprachliche Begabung besitzt, was ich einfach nicht glauben kann. Es würde mich jedenfalls nicht überraschen, wenn wir feststellen, dass unsere Fjunch(klick)s bei den Splits’ etwas wie Universitätsprofessoren für Linguistik sind.«
Whitbread schüttelte den Kopf. Die anderen wurden aufmerksam und blickten ihn fragend an. Whitbread war auf diese seine Technik sehr stolz, die es ihm als Kadetten ermöglichte, das Gespräch von Vorgesetzten zu unterbrechen. »Sir, dieses Schiff verließ den Split-Planeten nur Stunden — vielleicht weniger als eine Stunde —, nachdem die Mac Arthur in ihrem System auftauchte. Wie sollen sie da Zeit gehabt haben, ihre Spezialisten zu versammeln?«
»Das habe ich nicht gewusst«, meinte Hardy langsam. »Aber es müssen einfach Spezialisten sein. Weshalb sollten gewöhnliche Leute eine derart unglaubliche linguistische Begabung besitzen? Und unglaublich ist wahrhaftig kein zu starkes Wort.
Andererseits ist es uns doch gelungen, ihnen Rätsel aufzugeben. Ist Ihnen das nicht aufgefallen?«
»Der Werkzeugraum?« fragte Sally. »Ich vermute, man könnte ihn so nennen, obwohl ich wohl nicht darauf gekommen wäre, wenn mir nicht Jonathon einen Wink gegeben hätte. Gleich, nachdem ich Sie verließ, Dr. Hardy, wurde ich hineingeführt, und mir kam nicht vor, dass ich den Splits irgendwelche Rätsel aufgegeben habe. Ich habe allerdings festgestellt, dass Sie viel länger darin blieben als ich.«
»Was haben Sie drinnen gemacht?« fragte David.
»Nun, eigentlich nichts. Ich habe mir diese Geräte alle angesehen. Der Raum war bedeckt mit diesem Zeug — übrigens, die Wandklammern, die die Sachen hielten, sind nicht kräftig genug, um einer ordentlichen Beschleunigung zu widerstehen, dessen bin ich mir sicher. Sie müssen diesen Raum erst hier im Orbit eingerichtet haben. Jedenfalls habe ich mich nicht sehr dafür interessiert, da es kaum etwas gab, mit dem ich mich auskannte.«
Hardy faltete die Hände wie zum Gebet, und als es ihm bewusst wurde, blickte er verlegen auf. Er hatte sich diese Angewohnheit zugelegt, lange bevor er Priester wurde, und konnte sie trotz aller Bemühungen nicht mehr loswerden. Sie war ein Zeichen der Konzentration, nicht der Andacht. »Sie haben nichts getan, und die Splits fanden das nicht verwunderlich.« Er dachte einige Sekunden lang angestrengt nach. »Während ich mich länger in dem Raum aufgehalten habe, nach den Namen der Gegenstände gefragt habe, was mein Fjunch(klick) offenbar ziemlich überraschte. Vielleicht lege ich die Gefühlsregung auch falsch aus, aber ich glaube allen Ernstes, dass mein Interesse an den Werkzeugen die Splits irgendwie aus der Fassung brachte.«
»Haben Sie versucht, irgendeins der Geräte zu benutzen?« erkundigte sich Whitbread.
»Nein. Sie etwa?«
»Na, ich habe mit ein paar Sachen ein bisschen herumgespielt …«
»Und hat sie das erstaunt oder besonders interessiert?«
Jonathon zuckte die Achseln. »Sie haben mich die ganze Zeit genau beobachtet. Ich konnte eigentlich keine Veränderungen feststellen.«
»Nun gut.« Hardy faltete wieder die Hände, aber diesmal merkte er es nicht. »Dieser Raum und die Tatsache, dass unser Interesse dafür für die Splits irgendeine Bedeutung hat, stellen uns vor ein Rätsel. Wir werden wohl nicht darauf kommen, was es damit auf sich hat, bevor Kapitän Blaine seinen Experten herüberschickt. Wissen Sie, wer das sein wird?«
Horvath nickte. »Er schickt uns den Ersten Maschinisten Sinclair herüber.«
»Hmmm.« Alle Blicke richteten sich auf Jonathon Whitbread, der zu grinsen begann.
»Also, wenn die Splits sich schon über Sie wunderten, Sir — was werden sie dann bloß denken, wenn sie Commander Sinclair reden hören?«
Auf einem Schiff der Raumflotte ist es ziemlich selten, dass ein Mann sein normales Körpergewicht beibehält. Während der langen Zeitspanne der Untätigkeit essen diejenigen, die gerne essen, aus Langeweile, zur Unterhaltung, und nehmen dementsprechend zu. Andere, die imstande sind, ihr Leben einer Sache zu widmen, in einer Berufung aufzugehen — und viele von diesen bleiben bei der Flotte —, vergessen nur zu leicht aufs Essen. Die Nahrungsaufnahme ist für sie nur eine lästige Notwendigkeit.
Sandy Sinclair saß steif auf der Kante des Untersuchungstisches und blickte starr vor sich hin. Es war wohl eine Auswirkung seiner puritanischen Erziehung, dass Sinclair einfach niemandem in die Augen schauen konnte, wenn er nackt war. Er war ein großer, hagerer Mann mit sehnigen Muskeln, die weit kräftiger waren, als sie wirkten. Er sah aus, als hätte er ein um drei Nummern zu großes Knochengerüst mitbekommen.
Ein Drittel seiner Hautoberfläche bestand aus rötlichem Narbengewebe. Der rote, zackige Streifen quer über seine Rippen stammte von einem glühenden Metallfetzen, der ihn bei einem Torpedotreffer erwischt hatte. Eine Stichflamme und umhersprühende Metalltropfen hatten ihn die übrige Haut gekostet. Ein Raumgefecht hinterließ seine Spuren — wenn man das Glück hatte, überhaupt zu überleben. Der Arzt war dreiundzwanzig und ein fröhlicher Typ. »Vierundzwanzig Jahre in der Flotte, hm? Mal eine Schlacht mitgemacht?«
Sinclair fauchte. »Sie werden schon auch noch zu Ihrem Teil an Narben kommen, wenn Sie lang genug in der Flotte bleiben!«
»Das glaub ich Ihnen aufs Wort. Nun, Commander, Sie sind in beachtlich guter Kondition für einen Mann über vierzig. Sie würden einen Monat Schwerelosigkeit verkraften, denke ich, aber wir wollen lieber vorsichtig sein und Sie zweimal in der Woche auf die Mac Arthur zurückholen. Ich glaube, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass Sie mit der Null-Grav-Gymnastik nicht nachlässig sein dürfen.«
Am nächsten Tag nahm Rod Blaine mehrmals mit dem Kutter Verbindung auf, aber erst gegen Abend konnte er außer dem Piloten jemand anderen erreichen. Selbst Horvath hielt sich die meiste Zeit im Split-Schiff auf.
Kaplan Hardy war hundemüde, aber begeistert; er meldete sich mit einem breiten Lächeln und dunklen Ringen unter den Augen. »Wissen Sie, für mich ist das eine Lektion in Bescheidenheit, Kapitän. Die Splits sind auf meinem Gebiet — ich meine, was die Linguistik betrifft — viel tüchtiger als ich. Ich bin sicher, die schnellste Art, ihre Sprache zu lernen, ist, ihnen die unsere beizubringen. Keine menschliche Kehle wird je ohne Hilfe eines Computers ihre Sprache — oder Sprachen? — bewältigen können.«
»Wohl kaum. Dazu wäre ein komplettes Orchester nötig. Ich habe mir einige ihrer Bandaufnahmen angehört. Schließlich blieb uns wenig anderes zu tun …«
Hardy lächelte. »Tut mir leid. Wir werden uns bemühen, öfters zu berichten. Im übrigen führt Dr. Horvath eben eine Gruppe von Splits durch den Kutter. Sie scheinen sich besonders für den Antrieb zu interessieren. Das braune Split möchte alles auseinandernehmen, aber der Pilot lässt das nicht zu. Sie haben aber doch gesagt, dass dieses Boot keine Geheimnisse enthielte.«
»Sicher habe ich das gesagt, aber es ist vielleicht ein bisschen verfrüht, sie im Antriebsaggregat herumstochern zu lassen. Was hat denn Sinclair dazu gesagt?«
»Ich weiß nicht, Kapitän.« Hardys Miene wurde ratlos. »Er ist schon den ganzen Tag in diesem Werkzeugraum. Bis jetzt ist er immer noch nicht zurück.«
Blaine rieb sich den Buckel an seinem Nasenrücken. Er bekam zwar die Information, die er gesucht hatte, aber Kaplan Hardy war nicht gerade derjenige, mit dem er hatte sprechen wollen. »Äh, wie viele Splits sind im Augenblick an Bord?«
»Vier. Eins für jeden von uns: mich, Dr. Horvath, Lady Sally und Mr. Whitbread. Sie sind uns anscheinend als eine Art persönlicher Begleiter zugeordnet.«
»Vier also.« Rod versuchte, sich an die Tatsache zu gewöhnen. Der Kutter war zwar kein eigentliches Kriegsschiff, aber er gehörte doch zur Raumflotte Seiner Majestät, und die Vorstellung, dass ein Trupp fremder Wesen — Unsinn. Horvath wusste, was er tat.
»Nur vier? Hat Sinclair keinen Begleiter?«
»Seltsamerweise nicht. Eine Anzahl Splits beobachtet ihn im Werkzeugraum, aber keines ist ihm speziell zugeteilt.«
»Und dem Bootsmann oder den Maaten des Kutters auch nicht?«
»Nein.« Hardy dachte kurz nach. »Das ist schon sonderbar, nicht? Als ob sie Commander Sinclair zu den für sie unwichtigen Besatzungsmitgliedern zählen würden.«
»Vielleicht haben sie nur was gegen Militär.« David Hardy zuckte die Achseln. Dann sagte er zögernd: »Kapitän, wir werden sie früher oder später auf die Mac Arthur einladen müssen.«
»Ich fürchte, das kommt nicht in Frage.« Hardy seufzte. »Na ja, einmal musste dieses Problem ja zur Sprache kommen. Kapitän, sie haben bewiesen, dass sie uns trauen. Es gibt keinen Kubikzentimeter ihres Schiffs, den wir nicht gesehen oder zumindest mit Instrumenten sondiert haben. Whitbread wird Ihnen bestätigen, dass keinerlei Anzeichen von Bewaffnung an Bord zu finden sind. Irgendwann werden sie sich zu fragen beginnen, welche finsteren Geheimnisse wir in unserem Mutterschiff verbergen wollen.«
»Das will ich Ihnen erklären. Sind Splits in Hörweite?«
»Nein. Und außerdem, so schnell lernen sie Anglic auch wieder nicht.«
»Vergessen Sie nicht, dass sie unsere Sprache lernen werden, und dass sie Aufnahmegeräte besitzen. Schauen Sie, Kaplan, Sie haben ein Problem, was die Splits und die Schöpfung betrifft. Das Imperium ist vor ein anderes Problem gestellt. Die Menschheit hat lange von den großen, galaktischen Weisen geträumt, die eines Tages zu uns kommen und darüber bestimmen würden, ob die Menschheit in die Galaktische Gemeinschaft aufgenommen werden soll. Nur ist uns diesmal die Rolle der Weisen zugefallen. Wir müssen entscheiden, ob wir die Splits aus ihrem Heimatsystem herauslassen sollen, und bis diese Entscheidung gefallen ist, dürfen wir sie nicht die Langston-Generatoren, den Alderson-Antrieb oder unsere Waffen sehen lassen … nicht einmal, wie viel Platz die Mac Arthur bietet. Das würde zuviel über unsere technologischen Fähigkeiten verraten. Wir haben eine Menge zu verbergen, Kaplan, und wir werden es verbergen — solange es nötig ist.«
»Damit behandeln wir sie, als wären sie Feinde«, sagte David Hardy ruhig.
»Und die Entscheidung darüber liegt weder bei Ihnen noch bei mir, Doktor. Im übrigen hätte ich gerne die Antwort auf einige Fragen, bevor ich persönlich die Splits als unsere lauteren Freunde ansehen kann.« Rod blickte an dem Kaplan vorbei in die Ferne. Ich bedauere nicht, dass die Entscheidung nicht bei mir liegt, dachte er. Aber eines Tages werde ich entscheiden müssen. Wenn nicht als Offizier der Flotte, dann als künftiger Marquis de Crucis.
Er wusste, dass dieses Problem zur Sprache kommen würde, und er war darauf vorbereitet. »Erstens, warum haben sie ein Schiff von Splitter Alpha zu uns geschickt?
Warum nicht vom Trojanerschwarm? Der liegt viel näher.«
»Ich werde sie fragen, sobald ich kann.«
»Zweitens, warum vier Splits? Es ist vielleicht nicht von Bedeutung, aber ich wüsste doch gern, warum sie jedem der Wissenschaftler und Whitbread eines zugeteilt haben, doch niemandem von der Besatzung.«
»Das ist doch ganz vernünftig, oder nicht? Sie haben den vier Leuten Begleiter gegeben, die sich am meisten mit ihnen beschäftigen …«
»Richtig. Aber woher wussten sie so schnell, wer für sie wichtig ist? Woher wussten sie zum Beispiel, dass Dr. Horvath im Kutter war? — Und drittens würde ich gerne wissen, was sie jetzt wieder bauen.«
»In Ordnung, Kapitän.« Hardys Miene war betrübt, nicht ärgerlich. Seine Anliegen waren viel schwerer zurückzuweisen als die Horvaths … unter anderem, weil er Rods Beichtvater war. Und Rod wusste, dass dieses eine Problem immer wieder auftauchen musste.
In den folgenden Wochen herrschte reger Betrieb in und außerhalb der Mac Arthur. Die Wissenschaftler machten samt und sonders Überstunden, wenn ein neuer Bericht vom Kutter eingelangt war, und jeder wollte sofort offizielle Unterstützung haben. Außerdem war immer noch nicht geklärt, was die entflohenen Mini-Splits trieben. Die Jagd nach ihnen war zu einem Spiel geworden, bei dem die Besatzung der Mac Arthur auf der Verliererseite stand. In den Messen wurden Wetten angeboten, dass beide Minis tot waren, aber man fand auch ihre Leichen nicht. Rod Blaine war über die Sache ziemlich beunruhigt, aber er konnte eigentlich nichts unternehmen.
Er hatte schließlich den Infanteristen gestattet, in normaler Uniform Wache zu stehen.
Der Kutter war in keiner Weise bedroht, und es hatte wenig Sinn, dass dauernd ein Dutzend Männer in den unbequemen Panzeranzügen stecken musste. Zum Ausgleich wurden die Wachen verdoppelt, die die Umgebung der Mac Arthur beobachteten — aber niemand — oder nichts — versuchte eine Annäherung, Flucht oder Durchgabe einer Nachricht. Die Tage vergingen, die Biologen gerieten in Ekstase über die neuesten Erkenntnisse in der Split-Physiologie, das Astronomenteam befasste sich weiter mit der kartographischen Erfassung von Splitter Alpha, Buckman ging jedes mal in die Luft, wenn andere die astronomischen Instrumente benutzen wollten, und Blaine tat sein Bestes, um in seinem überfüllten Schiff einigermaßen die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Seine Achtung für Horvath wuchs mit jedem Mal, wenn er eine Differenz unter den Wissenschaftlern schlichten musste.
Im Kutter war auch eine Menge los. Commander Sinclair war kaum an Bord, als er auch schon zum Split-Schiff geführt wurde. Es dauerte drei Tage, bis ein braunweißes Split Sinclair überallhin zu begleiten begann, und es war auffallend wortkarg. Im Gegensatz zu den anderen, die sich einem Menschen zugesellt hatten, interessierte es sich jedoch für die Maschinen und Geräte im Kutter. Sinclair und sein Fjunch(klick) verbrachten in der Folge viele Stunden an Bord des fremden Schiffes, stöberten gemeinsam überall herum und sahen sich alles genau an.
»Der Junge hatte recht mit dem Werkzeugraum«, berichtete Sinclair dem Kapitän. »Es ist was ähnliches wie dieser nichtverbale Intelligenztest, den BuPers für neue Rekruten ausgearbeitet hat. Bei einigen Geräten stimmte was nicht, und ich musste das in Ordnung bringen.«
»Was stimmte nicht?« Sinclair musste grinsen, als er an einige Beispiele dachte. Es war nicht einfach, Blaine klarzumachen, warum er so viel Spaß daran gefunden hatte. Da war unter anderem ein Hammer gewesen, mit dem man sich allzu oft auf den Daumen schlug. Der große, flache Kopf musste ausbalanciert werden. Der Laser überhitzte sich zu rasch … das war eine schwierige Aufgabe gewesen. Das Gerät erzeugte die falsche Lichtfrequenz. Sinclair brachte es in Ordnung, indem er — irgendwie — die Frequenz verdoppelte. Und er lernte dabei mehr über kompakte Lasergeräte, als er sich je hätte vorstellen können. Es gab noch eine Reihe ähnlicher Tests. »Die sind verflixt schlau, Käptn. Sonst hätten sie sich nich’ solche wirklich hübschen Aufgaben ausdenken können, ohne mehr als nötig über ihre Technik zu verraten. Aber sie können mich nicht hindern, von ihrem Schiff zu lernen … Käptn, ich hab schon jetzt genug gesehen, um leistungsfähigere Beiboote zu entwerfen. Oder um mit dem Bau von Asteroidenschiffen Millionen zu machen.«
»Da werden Sie ja wohl abmustern, wenn wir heimkommen, Sandy?« erkundigte sich Rod, aber sein Grinsen verriet, dass die Frage nicht ernst gemeint war.
In der zweiten Woche brachte es auch Rod Blaine zu einem Fjunch(klick).
Er war betroffen, aber auch ein wenig geschmeichelt. Das Split schaute genau wie die anderen aus: braunweiß gemusterter Pelz, ein sanft grinsendes, schiefes Gesicht und gerade die richtige Größe, dass Rod ihm bequem hätte den Kopf tätscheln können — wäre er je mit seinem Split persönlich zusammengetroffen, was ziemlich undenkbar war.
Jedes mal, wenn er im Kutter anrief, war es da, erfreut, Blaine sehen und mit ihm sprechen zu können. Mit jedem Mal wurde sein Anglic besser. Sie wechselten einige Worte, selten unterhielten sie sich länger. Rod hatte keine Zeit für ein Fjunch(klick), und er brauchte auch keins. Die Split-Sprache zu lernen, war absolut nicht sein Fall — und nach den bisherigen Fortschritten zu schließen war es niemandes Fall —, und er kam mit seinem ›Begleiter‹ ausschließlich über Bildfunk zusammen. Wozu also ein Fjunch (klick), wenn ein persönlicher Kontakt von vornherein ausgeschlossen war?
»Sie halten Sie vermutlich für einen bedeutenden Mann«, erklärte Hardy mit unbewegter Miene.
Zumindest hatte er etwas zum Nachdenken, während er das Durcheinander in seinem Schiff in Schranken zu halten suchte. Damit war er eigentlich vollauf beschäftigt, und sein Split beklagte sich nie.
Horace Bury wurde von der regen Aktivität dieses Monats nur wenig berührt. Keinerlei Nachricht vom Kutter drang bis zu ihm durch, und er hatte auch keinen Anteil an der wissenschaftlichen Arbeit im Schiff. Er konnte nur dasitzen und warten, dass irgendwelche Gerüchte zu ihm durchsickerten, und das waren herzlich wenige. Die vom Kutter gemeldeten Neuigkeiten kamen offensichtlich nicht weiter als bis zur Brücke, und außer Buckman hatte er keine richtigen Freunde unter den Wissenschaftlern. Blaine hatte eines Tages aufgehört, alles Interessante über das Bordvidi zu verbreiten. Zum ersten Mal seit New Chicago fühlte sich Bury als Häftling.
Es störte ihn mehr als ihm lieb war, obwohl er sich selbst gut genug kannte, um den Grund zu wissen. Sein ganzes Leben hatte er danach getrachtet, seine Umgebung so weit wie möglich zu beherrschen: eine ganze Welt, Lichtjahre weit, über Zeitspannen von Jahrzehnten — oder zumindest die kleine Welt eines Flottenkreuzers. Die Besatzung behandelte ihn wohl als Gast, aber nicht als ihren Herrn, und wo Bury nicht Herr sein konnte, war er Gefangener.
Außerdem entgingen ihm fantastische Gewinne. Irgendwo in den nicht frei zugänglichen Regionen der Mac Arthur, zu denen nur Wissenschaftler höchsten Ranges Zutritt hatten, studierten Physiker das hellgoldene Metall vom Wabenasteroiden. Erst nach wochenlangen Bemühungen hatte er herausbekommen, dass es sich anscheinend um einen Wärmesupraleiter handelte.
Ein solches Material war ungeheuer kostbar, und er war entschlossen, sich irgendwie eine Probe zu verschaffen. Er wusste auch schon, wie er das anstellen würde, doch er zwang sich zu Geduld. Noch nicht! Der beste Zeitpunkt, ein Muster zu stehlen, war kurz bevor die Mac Arthur auf Neuschottland landete. Trotz der hohen Liegegebühren würden ihn dort Schiffe erwarten, nicht nur eines, das ihn offen als Eigner anerkannte, sondern zumindest noch ein anderes. Vorläufig konnte er nur Augen und Ohren offen halten, um herauszufinden, was er noch haben musste, wenn er die Mac Arthur verließ.
Es gab mehrere Berichte über den Wabenasteroiden, die er miteinander vergleichen konnte. Er versuchte sogar, aus Buckman Informationen herauszuholen, aber das Ergebnis war weniger brauchbar als amüsant.
»Ach was, den Wabenasteroiden können wir vergessen«, hatte Buckman geschimpft.
»Er wurde künstlich in Position gebracht. Damit wird er verdammt uninteressant für uns.
Er verrät nichts über die Bildung der Trojanerschwärme, und diese Splits haben sein Inneres so gründlich ruiniert, dass man aber auch gar nichts über das ursprüngliche Gestein herausfinden kann …«
Also — die Splits konnten Wärmesupraleiter herstellen. Und die kleinen Splits waren immer noch in Freiheit. Die Suche nach den entflohenen Miniexemplaren war für Bury recht unterhaltsam. Natürlich standen die meisten Leute der Besatzung auf der Seite der Gejagten. Die Minis schienen es zu schaffen: Lebensmittel verschwanden von den verschiedensten Orten, aus Kabinen, Aufenthaltsräumen, nur nicht aus der Kombüse selbst. Die Frettchen konnten keine Witterung aufnehmen. Ob sich die Mini-Splits irgendwie mit den Tieren verständigt hatten? Diese Frage machte Bury sehr nachdenklich. Sicherlich waren die Splits … nun, vollkommen fremde Wesen, aber die Frettchen hatten sie am ersten Abend ohne Schwierigkeiten gewittert.
Gewiss, die Suche war unterhaltsam … aber Bury zog auch eine Lehre daraus. Wer ein Mini haben wollte, musste sehr aufpassen, dass er es auch behielt. Wenn er sie als Haustiere verkaufen wollte, würde er vermutlich ausbruchssichere Käfige mitliefern müssen. Und im übrigen müsste er erst ein fortpflanzungsfähiges Pärchen in die Hände bekommen. Je länger die Minis sich frei herumtrieben, um so geringer wurden Burys Chancen, die Admiralität überzeugen zu können, dass sie harmlose, nette Haustiere waren.
Aber es amüsierte ihn, dass die gesamte Besatzung eines Flottenkreuzers zwei pelzigen Pseudoäffchen hilflos gegenüberstand. Je nach Laune hielt es Bury mit beiden Seiten und übte sich im übrigen in Geduld, während die Wochen verstrichen.
Die sechs Fjunch(klick)s wohnten an Bord des Kutters, doch die übrigen Splits waren fleißig an der Arbeit. Das Innere ihres Schiffs änderte sich von Tag zu Tag. Sinclair und Whitbread, die regelmäßig Rundgänge unternahmen, um sicherzugehen, dass keine Waffen gebaut wurden, glaubten manchmal zu träumen — jedes mal gab es etwas Neues, und mitunter waren sie sich durchaus nicht sicher, ob es nicht auch eine Waffe sein konnte.
Eines Tages statteten Hardy und Horvath dem Kapitän in der Dienstkabine einen Besuch ab, nachdem sie sich eine Stunde lang in den Gymnastikräumen der Mac Arthur geplagt hatten.
»Die Splits erwarten einen Treibstoff tank«, berichtete Horvath. »Er wurde ungefähr zur gleichen Zeit wie das Schiff selbst gestartet, nur auf einer treibstoffsparenderen Bahn.
Er sollte in zwei Wochen hier sein.«
»Also das ist es!« Blaine und seine Offiziere hatten sich Sorgen gemacht wegen des rätselhaften stummen Objektes, das langsam auf ihre Position zutrieb. »Sie wussten davon? Wenn Sie uns nur ein Wort gesagt hätten …« »Sie werden den Tank einholen müssen«, überlegte Blaine. »Hmmm. Ich frage mich, ob das nicht eins meiner Boote besorgen könnte. Würden sie uns das gestatten?«
»Ich wüsste keinen Grund, warum sie ablehnen sollten. Wir werden sie fragen«, sagte David Hardy. »Noch etwas, Kapitän.«
Rod wusste, dass jetzt irgendeine heikle Sache auf ihn zukam. Horvath ließ Dr. Hardy die Dinge, die Rod vielleicht ablehnen würde, zur Sprache bringen.
»Die Splits möchten eine Luftschleusenverbindung zwischen dem Kutter und ihrem Schiff bauen«, sagte Hardy.
»Es wäre nur eine temporäre Konstruktion, aber für uns sehr nützlich.« Horvath wurde nachdenklich. »Wissen Sie, es ist bis jetzt zwar nur eine Hypothese, aber wir glauben, dass für die Splits jede Konstruktion nur temporären Charakter hat. Beim Start müssen sie zum Beispiel Andruckliegen gehabt haben, aber jetzt sind keine mehr da. Sie sind ohne den Treibstoff für den Rückflug hier angekommen. Sie haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihr gesamtes Lebenserhaltungssystem binnen drei Stunden nach ihrem Eintreffen auf freien Fall umgestellt.«
›»Alles ist vergänglich‹«, stellte Hardy weise fest. »Aber diese Vorstellung scheint sie nicht zu bedrücken. Im Gegenteil, sie finden es offenbar so richtig.«
»Das ist etwas, was von der menschlichen Psychologie grundlegend abweicht«, sagte Horvath ernst. »Vielleicht würde ein Split gar nie versuchen, etwas Unvergängliches zu schaffen. Keine Sphinx, keine Pyramiden, keine Freiheitsstatue, kein Leninmausoleum.«
»Doktor, mir gefällt der Gedanke nicht, die beiden Schiffe fest zu verbinden.«
»Aber Kapitän, wir brauchen eine solche Verbindung. Menschen und Splits müssen andauernd hinüber, herüber, und jedes mal müssen sie erst ins Taxi umsteigen.
Außerdem haben die Splits schon mit den Vorarbeiten begonnen …«
»Darf ich darauf hinweisen, dass bei einer festen Verbindung der beiden Schiffe Sie und alle anderen an Bord des Kutters praktisch Geiseln der Splits sind?«
»Ich bin sicher«, sagte Horvath ärgerlich, »dass wir ihnen vertrauen können, Kapitän.
Unsere Verständigung macht sehr gute Fortschritte.«
»Außerdem«, fügte Kaplan Hardy ruhig hinzu, »sind wir bereits jetzt Geiseln. Diese Situation war nicht zu umgehen. Die Mac Arthur und die Lenin sind unser Schutz, wenn wir einen Schutz nötig haben. Wenn zwei Kriegsschiffe sie nicht von Feindseligkeiten abhalten können — nun ja, wir wussten schließlich, worauf wir uns einließen, als wir an Bord des Kutters gingen.«
Blaine biss die Zähne zusammen. Der Verlust des Kutters wäre zu verschmerzen gewesen, der der Menschen an Bord nicht. Sinclair, Sally Fowler, Dr. Horvath, der Kaplan — die wichtigsten Personen der Mac Arthur lebten an Bord des Kutters. Aber der Kaplan hatte natürlich recht. Sie konnten alle jeden Augenblick umgebracht werden, wenn die zu erwartende Vergeltungsaktion der Mac Arthur nicht Abschreckung genug war.
»Sagen Sie den Splits, dass sie anfangen können«, entschied Rod. Eine feste Luftschleusenverbindung erhöhte das Risiko auch nicht mehr.
Die Bauarbeiten begannen sofort, nachdem Rod zugestimmt hatte. Eine Röhre aus dünnem Metall mit flexiblen Manschetten schob sich auf den Kutter zu wie eine riesige Raupe. Splits in sehr zerbrechlich wirkenden Anzügen krochen daran herum. Von der Hauptsichtluke des Kutters aus wirkten sie beinahe wie Menschen.
Die Szene verschwamm Sally vor den Augen, so bizarr und seltsam war die Beleuchtung: der schwache Schein des Splitters, weltraumschwarze Schatten, scharfumrissene Pfützen grellen Scheinwerferlichts, die Reflexionen an der blanken, gekrümmten Metalloberfläche. Alles wirkte verzerrt und irgendwie perspektivlos, und Sally bekam Kopfschmerzen vom langen Hinausschauen.
»Ich frage mich die ganze Zeit, woher sie das Metall haben«, sagte Whitbread. Er hatte es sich in ihrer Nähe gemütlich gemacht, wie meistens, wenn sie beide gerade nichts zu tun hatten. Es gab nirgendwo überflüssiges Material in diesem Schiff, nicht das erste Mal, als ich es mir ansah, und jetzt auch nicht. Sie reißen offenbar ihr Schiff auseinander.«
»Würde ihnen ähnlich sehen«, bemerkte Horvath.
Sie hatten sich nach dem Abendessen um das große Fenster versammelt, Kaffee- oder Teebecher in der Hand. Die Splits hatten an Tee und Schokolade Geschmack gefunden, nur Kaffee konnten sie nicht ausstehen. Mensch, Split, Mensch, Split — so saßen sie auf der hufeisenförmigen Null-Grav-Bank um das Fenster herum. Die Fjunch(klick)s hatten schnell die menschliche Gewohnheit angenommen, sich bei Schwerelosigkeit wie alle anderen auszurichten.
»Seht euch bloß an, wie schnell sie arbeiten«, sagte Sally. »Der Tunnel wächst so schnell, dass man seinen Augen kaum traut.« Aber noch in anderer Hinsicht schienen ihre Augen ihr einen Streich zu spielen. Sie hatte den Eindruck, als ob ein Großteil der Splits viel weiter entfernt wären, als möglich sein konnte. »Das dort drüben, mit den gelben Streifen auf dem Anzug, ist vermutlich ein Braunes. Es scheint die Arbeiten zu leiten, meinen Sie nicht auch?«
»Es tut auch die meiste Arbeit«, stellte Sinclair fest.
»Das wäre gar nicht so unvernünftig«, meinte Hardy. »Wenn es sich so gut auskennt, dass es Anweisungen geben kann, muss es wohl auch imstande sein, besser zu arbeiten als alle anderen, oder?« Er rieb sich die Augen. »Täusche ich mich, oder sind einige dieser Splits wirklich kleiner als die anderen?«
»Mir kommt es auch so vor«, sagte Sally verwundert. Whitbread starrte hinüber zu den Tunnelbauern. Viele der Splits schienen weit hinter ihrem Schiff zu arbeiten — bis dann drei unmittelbar vor ihm vorbeischwebten. Besorgt fragte er: »Hat jemand sich die Sache schon durchs Teleskop angeschaut? Lafferty, würden Sie’s für uns einschalten?«
Auf dem Teleskopbildschirm war der wahre Sachverhalt nur zu deutlich zu erkennen.
Viele der Split-Arbeiter waren winzig, klein genug, um in jeden Winkel, jede Ritze hineinkriechen zu können. Und sie hatten alle vier Arme.
»Setzt ihr diese … diese Wesen oft als Arbeiter ein?« fragte Sally ihr Fjunch(klick).
»Ja. Sie sind sehr nützlich. Gibt es nicht — gleiche — Wesen in Schiffen von euch?«
Das Split wirkte erstaunt. Von allen Fjunch(klick)s schien Sallys am häufigsten über irgendeine Eigenheit der Menschen überrascht zu sein. »Glaubst du, sie beunruhigen Rod vielleicht?«
»Aber was sind sie?« wollte Sally wissen. Sie überging die Frage des Split, weil sie nicht lügen wollte. »Sie sind Arbeiter«, antwortete das Split. »Nützliche — Tiere. Du bist überrascht, weil sie klein sind? Sind eure denn groß?«
»Äh … ja«, sagte Sally geistesabwesend. Sie warf den anderen einen Blick zu. »Ich glaube, ich werde mir diese … ›Tiere‹ näher ansehen. Kommt jemand mit?«
Whitbread war jedoch schon dabei, seinen Anzug anzulegen, und auch die anderen machten sich bereit.
»Fjunch(klick)« meldete sich das pelzige Wesen auf dem Vidi-schirm.
»Herr im Himmel!« fuhr Blaine auf. »Lassen sie euch jetzt schon das Vidi beantworten?«
Das Split sprach langsam, mit betont sorgfältiger Aussprache. Seine (oder eigentlich ihre, denn alle Fjunch(klick)s waren weiblich) Grammatik war noch nicht fehlerfrei, aber bei jedem neuen Gespräch hatte es seinen Wortschatz verblüffend erweitert und eine Fülle von neuen Redewendungen gelernt. »Warum nicht? Ich kann gut genug sprechen.
Ich kann mir eine Nachricht merken. Ich kann den Recorder bedienen. Und ich habe sehr wenig zu tun, wenn du keine Zeit hast.«
»Das kann ich leider nicht ändern.«
»Ich weiß.« Mit einem Unterton von Selbstzufriedenheit fügte das Split hinzu: »Ich habe einen Maat erschreckt.«
»Himmel nochmal, du hast mich erschreckt. Wer ist denn jetzt bei dir?«
»Bootsmann Lafferty. Die anderen Menschen sind nicht hier. Sie schauen sich … den Tunnel an. Wenn er fertig ist, braucht kein Maat sie mehr zu unserem Schiff zu bringen.
Sie können einfach hinübergehen. — Soll ich etwas ausrichten?«
»Nein, danke, ich werde nochmals anrufen?«
»Sally müsste bald wieder hier sein«, sagte Blaines Split. »Wie geht es dir? Und deinem Schiff?«
»Danke, gut.«
»Du klingst immer so vorsichtig und misstrauisch, wenn du von deinem Schiff redest.
Bin ich zu neugierig? Es ist nicht das Schiff, das mich interessiert, Rod. Ich bin dein Fjunch(klick). Das bedeutet viel mehr als nur Begleiter.« Das Split berührte in einer seltsamen Geste sein Gesicht. Rod hatte das schon früher an ihm beobachtet, wenn es unruhig oder ärgerlich war.
»Was bedeutet eigentlich Fjunch(klick) wirklich?« »Ich bin dein Gegenpart. Du bist mein Studienobjekt, eine Lebensaufgabe. Ich muss dich so gut kennenlernen wie ich mich selbst kenne. Ich muss zu einem Sachverständigen für dich werden, Lord Roderick Blaine. Es ist nicht dein riesiges, unveränderliches, unpraktisch gebautes Schiff, das mich interessiert, es ist deine Einstellung diesem Schiff gegenüber — und den Menschen an Bord gegenüber, das Ausmaß der Kontrolle, die du über sie ausübst, dein Interesse für ihr Wohlergehen, und so weiter.«
Wie würde Kutuzov auf eine solche Erklärung reagieren? Die Verbindung abbrechen?
»Niemand hat es gerne, dauern beobachtet zu werden. Es ist für jeden unangenehm, so eingehend studiert zu werden.«
»Wir haben diese Einstellung vorausgesehen. Aber, Rod, seid nicht ihr hergekommen, um uns zu studieren? Dann müsst ihr uns doch wohl auch das Recht einräumen, euch — unsererseits zu studieren.«
»Dieses Recht habt ihr.« Gegen Rods Willen klang das sehr förmlich. »Wenn aber jemand ungeduldig oder verlegen wird, wenn ihr mit ihm redet, dann ist das die Ursache.«
»Gottverdammt«, sagte Blaines Split, was bei seiner präzisen Aussprache irgendwie komisch klang. »Ihr seid die ersten intelligenten Wesen, die wir je getroffen haben, und die nicht mit uns verwandt sind. Wie könnt ihr erwarten, dass der Kontakt mit uns nur angenehm ist?« Das Split rieb sich die flache Mitte seines Gesichts mit dem längsten Finger der oberen rechten Hand, und ließ sie dann irgendwie verlegen sinken. Die gleiche Geste hatte es schon einige Male vorher gemacht.
Gottverdammt, dachte Rod und massierte gedankenverloren seinen Nasenbuckel.
Geräusche von außerhalb des Gesichtsfeldes der Kamera wurden hörbar. Blaines Split sagte: »Warte einen Augenblick. Ja, es ist Sally und Whitbread.« Lauter rief es: »Sally?
Der Kapitän ist am Vidi.« Es räumte den Sitz vor dem Bildfunkgerät, und einen Moment später nahm Sally Platz. Ihr Lächeln wirkte gezwungen, als sie sagte: »Hallo Kapitän, was gibt’s Neues?«
»Nur das Übliche. Wie geht’s bei euch drüben?«
»Rod, Sie schauen so betreten drein. Es ist schon eine seltsame Erfahrung, nicht?
Keine Sorge, es kann uns jetzt nicht hören.«
»Gut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein solches Zerpflücken meiner Persönlichkeit angenehm finde. Es ist, als ob sie Gedanken lesen könnten. — Können sie das?«
»Sie sagen nein. Und manchmal irren sie sich auch.« Sie strich mit einer Hand ihr Haar zurecht, das ziemlich zerzaust war, offenbar von dem eben abgelegten Helm des Druckanzugs. »Und zwar gewaltig. Commander Sinclairs Fjunch(klick) wollte anfangs gar nicht mit ihm sprechen. Sie dachten, er sei ein Brauner; Sie wissen ja, einer von der einfältigen Technikerrasse. Übrigens, wie steht die Sache mit den entwischten Minis?«
Dieses Thema hatten sie beide vermeiden gelernt. Rod wunderte sich, dass sie jetzt davon anfing. »Die sind immer noch frei. Keine Spur von ihnen. Sie könnten sogar irgendwo eingegangen sein, wo wir sie nicht finden. Das eine, das nicht entkommen ist, haben wir noch, aber ich glaube, Sie sollten es sich ansehen, Sally, wenn Sie wieder herüberkommen. Es scheint krank zu sein.«
Sally nickte. »Ich werde morgen kommen. Rod, haben Sie sich das Arbeiterteam der Splits angeschaut?«
»Nein, warum? Die Luftschleusenverbindung scheint ja bald fertig zu sein.«
»Ja … Rod, sie setzten abgerichtete Minis für einen Teil der Arbeiten ein.«
Rod starrte betroffen vom Bildschirm.
Sallys Blick wich aus. »Abgerichtete Mini-Exemplare. In Druckanzügen. Wir wussten gar nicht, dass sie welche an Bord hatten. Ich vermute, dass sie recht scheu sind und sich verstecken, wenn Menschen im Schiff sind. Aber es sind schließlich nur Tiere. Wir haben uns erkundigt.«
»Tiere?« Oh Gott. Was würde Kutuzov sagen? »Sally, das ist sehr wichtig. Können Sie heute Abend herüberkommen und mich genauer informieren? Sie und jeder andere, der irgend etwas über diese Angelegenheit weiß.«
»In Ordnung. Commander Sinclair beobachtet sie zur Zeit. Rod, es ist wirklich fantastisch, wie gut diese kleinen Geschöpfe abgerichtet sind. Und sie können an Stellen heran, wo wir Gelenkwerkzeuge und optische Sonden benutzen müssten.«
»Kann ich mir vorstellen.« Und wenn sich irgendwo in der Mac Arthur noch zwei lebendige herumtrieben, dann hatten sie mittlerweile das Schiff vom Bug bis zum Heck erforscht. »Sally, besteht auch nur die geringste Möglichkeit, dass uns jetzt eins der Splits hören kann?« »Nein. Ich benutze den Kopfhörer, und wir haben ihnen nicht erlaubt, unsere Geräte zu verändern.«
»Soweit ihr davon wisst. Bitte hören Sie jetzt ganz genau zu: Ich möchte mit allen im Kutter der Reihe nach unter vier Augen sprechen. Hat jemand etwas — irgend etwas — davon erwähnt, dass auf der Mac Arthur Minis frei herumlaufen?«
»N-nein. Sie haben doch gesagt, das dürften wir nicht. Rod, was ist denn passiert?«
Was ist passiert … »Um Gottes willen, sagen Sie nicht ein Wort über die entkommenen Minis. Ich werde die anderen informieren, wenn ich mit ihnen spreche. Und ich wünsche, dass alle außer der normalen Kutterbesatzung heute Abend herüberkommen. Es ist an der Zeit, dass wir unser Wissen über die Splits vergleichen, denn morgen früh werde ich dem Admiral berichten müssen.« Sally fand, dass er ungewöhnlich blass ausschaute.
»Ich hoffe, ich kann solange damit warten.«
»Aber natürlich«, sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln, das ihr jedoch nicht recht gelang. Sie hatte Rod noch nie so besorgt gesehen, und es beunruhigte sie. »Wir werden in etwa einer Stunde drüben sein. So, und jetzt gebe ich Ihnen Mr. Whitbread, und bitte, Rod, hören Sie auf, sich Sorgen zu machen.«
Der große Messeraum der Mac Arthur war voller Menschen. Sämtliche Sitze um den Haupttisch waren mit Wissenschaftlern und Offizieren besetzt, und auch im übrigen Raum herrschte reger Betrieb. An dem einen Schott hatten die Kommunikationstechniker einen riesigen Schirm installiert. Die Messestewards kamen ihnen beim Kaffeeservieren immer wieder in die Quere. Alle Versammelten unterhielten sich unbefangen, außer Sally, der Rods besorgte Miene nicht aus dem Sinn ging. Sie hatte wenig Lust, an den heiteren Gesprächen der anderen teilzunehmen.
Die Offiziere und sonstigen Besatzungsmitglieder erhoben sich, als Rod eintrat. Auch einige der Zivilisten standen auf; andere taten, als bemerkten sie den Kapitän nicht, und einige schauten ihn an und blickten dann im Bewusstsein ihres zivilen Status gleichgültig weg. Rod trat zu seinem Platz am Kopf des Tisches, murmelte »Rührt euch«, und setzte sich langsam. Sally fand, dass er noch besorgter als zuvor ausschaute.
»Kelley.«
»Sir!«
»Ist dieser Raum abgesichert?«
»Soweit es uns möglich ist, Sir. Vier Posten draußen, und ich habe alle Ventilationsleitungen und Rohre selbst überprüft.«
»Was soll das?« wollte Horvath wissen. »Wogegen glauben Sie sich eigentlich absichern zu müssen?«
»Gegen jeden, der jetzt hier nicht anwesend ist, Doktor. Und ich meine damit jede Art von Lebewesen.« Rod blickte den Wissenschaftsminister mit einem Ausdruck an, der Bitte und Befehl zugleich war. »Ich muss Sie informieren, dass alles, was in diesem Raum besprochen wird, als ›Streng geheim‹ klassifiziert wird. Ist jeder einzelne von Ihnen einverstanden, auf die Verlesung der Kaiserlichen Statuten bezüglich der Preisgabe geheimer Informationen zu verzichten?«
Ein Gemurmel der Zustimmung erhob sich. Von der allgemeinen Hochstimmung war nichts mehr zu verspüren. »Irgendwelche Gegenstimmen? Für das Protokoll wird festgehalten, dass keine Gegenstimmen erhoben wurden. Dr. Horvath, mir wurde vor drei Stunden zu verstehen gegeben, dass Sie festgestellt haben, dass die Miniatursplits sehr wirkungsvoll abgerichtete Tiere sind, die unter Aufsicht zu technischen Arbeiten fähig sind. Stimmt das?«
»Ja, gewiss. Es war eine ziemliche Überraschung für uns, sage ich Ihnen! Die Konsequenzen sind fantastisch — wenn wir lernen können, mit ihnen umzugehen, wären sie eine riesige Hilfe für uns.«
Rod ging nicht darauf ein. »Besteht die Möglichkeit, dass wir diese Tatsache hätten früher erkennen können? Wusste jemand etwas darüber? Irgend jemand?«
Erstauntes Stimmengewirr — aber niemand meldete sich. Rod sagte langsam und deutlich: »Für das Protokoll wird festgehalten, dass niemand davon wusste.«
»Von was für einem Protokoll reden Sie da ständig?« wollte Horvath wissen. »Und warum machen Sie sich darüber Gedanken?«
»Dr. Horvath, diese Besprechung wird aufgezeichnet und die Aufzeichnung ordnungsgemäß von Zeugen bestätigt, weil sie vielleicht bei einer Verhandlung vor dem Kriegsgericht als Beweismaterial dienen muss. Höchstwahrscheinlich bei einer Verhandlung gegen mich. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Was — du lieber Himmel!« keuchte Sally. »Ein Kriegsgericht? Gegen Sie? Warum?«
»Die Anklage würde auf Hochverrat lauten«, sagte Rod. »Wie ich sehe, überrascht das die meisten meiner Offiziere nicht. Mylady, meine Herren, wir haben strikten Befehl vom Vizekönig selbst, in keiner Weise technologische Informationen preiszugeben, und insbesondere das Langston-Feld und den Alderson-Antrieb vor den Splits geheim zu halten, das heißt, ihnen keine Gelegenheit zu geben, die entsprechenden Anlagen zu erkunden. In den letzten Wochen sind jedoch Tiere, die technische Lernfähigkeit besitzen und sich mit den Splits verständigen können, frei durch mein Schiff gestreift. Verstehen Sie jetzt?«
»Ja.« Horvath zeigte sich nicht beunruhigt, aber seine Miene wurde doch nachdenklich.
»Also deshalb ließen Sie diesen Raum absichern — glauben Sie denn wirklich, dass die Minis verstehen können, was wir sprechen?«
Rod zuckte die Achseln. »Ich muss mit der Möglichkeit rechnen, dass sie sich ein Gespräch merken und es automatisch wiedergeben können. Die Frage ist, ob die Minis noch leben. Kelley?«
»Sir, seit Wochen wurde keine Spur mehr von ihnen entdeckt. Auch Lebensmittel sind keine mehr verschwunden. Die Frettchen haben nicht das geringste aufgespürt, außer eine Unmenge Mäuse. Ich glaube, die Viecher sind tot, Kapitän.«
Blaine rieb sich mit der gewohnten Geste die Nase, ließ aber dann hastig die Hand sinken, als er es merkte. »Schütze Kelley, haben Sie jemals gehört, dass an Bord dieses Schiffes von ›Heinzelmännchen‹ oder ›Kobolden‹ gesprochen wurde?«
Kelleys Miene verriet kein Erstaunen. Sie verriet überhaupt nichts. »Heinzelmännchen, Kapitän?«
»Rod, sind Sie übergeschnappt?« platzte Sally heraus. Alle Blicke richteten sich auf sie, und einige waren entschieden unfreundlich. Oh, verflixt, dachte sie, jetzt bin ich aber ins Fettnäpfchen getreten. Einige Leute wissen scheint’s recht gut, was er meint. Oh, verdammt!
»Heinzelmännchen, ja, sagte ich, Kelley. Haben Sie je etwas darüber gehört?« »Na ja, nicht offiziell, Kapitän. Man könnte sagen, dass ein paar von den Leuten neuerdings an so was glauben. Ich hab’ nichts Schlimmes daran gefunden, Sir.« Jetzt war Kelley doch unsicher geworden. Die Sache war ihm zu Ohren gekommen, und er hatte sie nicht gemeldet, und jetzt bekam der Kapitän, sein Kapitän, deswegen vielleicht Schwierigkeiten … »Hat sonst noch jemand etwas zu sagen?« fragte Rod.
»Äh — Sir?«
Rod musste sich vorbeugen, um zu sehen, wer sich da zu Wort meldete. Kadett Potter saß fast am anderen Ende des Tisches, zwischen zwei Biologen versteckt. »Ja, Mr.
Potter?«
»Ein paar Männer von meiner Wachabteilung, Kapitän — also, sie sagen, wenn man irgendwelche Nahrungsmittel — Korn, Getreideflocken, irgendwelche Speisereste — in den Korridoren oder unter der Koje hinlegt, und etwas, das reparaturbedürftig ist, dann wird’s repariert.« Potter fühlte sich sichtlich ungemütlich. Er war überzeugt, dass er einen belanglosen Unsinn meldete. »Na ja, und einer hat dann von Heinzelmännchen zu reden angefangen. Ich hab’s als Scherz aufgefasst.«
Nachdem Potter den Anfang gemacht hatte, meldeten sich plötzlich ein Dutzend andere, sogar ein paar Wissenschaftler waren darunter. Mikroskope, deren Scharfeinstellung auf einmal besser funktionierte als alles, was die Firma Leica Optik je hergestellt hatte. Eine handgefertigte Lampe in der Biologieabteilung. Stiefel und Schuhe, die den Füßen der Besitzer angepasst waren wie eine zweite Haut. Rod blickte auf, als das zur Sprache kam.
»Kelley — wie viele von Ihren Leuten haben handadaptierte Waffen wie die Ihre und die von Mr. Renner?«
»Äh — ich weiß nicht, Sir.«
»Eine kann ich von hier aus sehen. Sie da, Polizawsky, wie sind Sie zu dieser Waffe gekommen?«
Der Infanterist brachte kaum eine Antwort heraus. Er war es nicht gewohnt, mit Offizieren zu sprechen, insbesondere nicht mit dem Kapitän, und ganz gewiss nicht mit einem Kapitän, der in einer gefährlichen Stimmung war. »Äh, also, Sir, ich hab halt meine Waffe und ’n Säckchen Popcorn bei meiner Koje hingelegt, und in der Früh, da war sie hergerichtet. Genau, wie die anderen behauptet haben, Sir.« »Und Sie haben das nicht als ungewöhnlich genug gefunden, um es Ihren Vorgesetzten zu melden?«
»Na ja — Sir, wir — äh, ein paar meinten, weil doch der Schiffsarzt mal von Raumkoller und Halluzinationen und so geredet hat, Sir, und wir dachten auch … äh …«
»Wenn Sie es meldeten, würde ich der Sache ein Ende machen«, schloss Rod. Oh, verdammt und zugenäht, wie sollte er das jemals erklären? Dass er zu beschäftigt gewesen war, Streitigkeiten der Wissenschaftler zu schlichten … Aber es war nicht daran zu rütteln: Er hatte seine dienstlichen Pflichten vernachlässigt, und was war die Folge?
»Nehmen Sie das alles nicht ein bisschen zu ernst?« fragte Horvath. »Schließlich stammt der Befehl des Vizekönigs aus einer Zeit, in der wir noch sehr wenig über die Splits wussten. Jetzt konnten wir uns doch wohl bereits hinlänglich davon überzeugen, dass sie nicht gefährlich sind und uns in keiner Weise feindlich gegenüberstehen.«
»Wollen Sie damit vorschlagen, Doktor, dass wir zufolge ihrer Lagebeurteilung einer Kaiserlichen Order zuwiderhandeln oder sie widerrufen sollen?«
Horvaths Gesicht verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. »Oh, nein«, sagte er, »ich möchte es nicht einmal andeuten. Ich will nur zu bedenken geben, dass uns das alles ein bisschen lächerlich vorkommen wird, wenn die offizielle Einstellung erst revidiert wurde.
Ich sage nicht, falls sie revidiert wird, denn es ist einfach unvermeidlich. Unsere jetzige Haltung den Splits gegenüber ist schlechterdings einfach kindisch.«
»Verdammt!« platzte Sinclair los. »Sie können nicht so mit dem Käptn reden, Mann!«
»Immer mit der Ruhe, Sandy«, warf der Erste Offizier Cargill ein. »Dr. Horvath, ich nehme an, Sie hatten nie mit Dingen militärischer Sicherheit zu tun? Nein, natürlich nicht. Sehen Sie, man kann sich dabei nicht um die Absichten der anderen Seite kümmern, man muss ihre Fähigkeiten einkalkulieren. Wenn ein potentieller Gegner etwas kann, das militärischen Wert hat, dann wird man sich darauf vorbereiten, ganz egal, was man von, eigentlichen Absichten hält.«
»Genau«, sagte Rod. Er war froh über Cargills Erklärung, denn Sinclair war noch immer nahe dem Siedepunkt, und ein Streit zwischen dem reizbaren Schotten und dem Wissenschaftsminister hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt. »Wir müssen also jetzt vor allem herausfinden, welche Fähigkeiten die Miniatursplits besitzen. Nach dem, was ich beim Bau der Luftschleusenverbindung gesehen habe und den Leistungen der ›Heinzelmännchen‹ sind sie beträchtlich.«
»Aber sie sind nichts als Tiere«, stellte Sally fest. Sie blickte den erzürnten Sinclair an, den sardonisch lächelnden Horvath, bis ihr Blick an Rods sorgenvollem Gesicht hängen blieb. »Verstehen Sie doch — diese Geschicklichkeit mit Werkzeugen, gewiss, sie können gut mit Werkzeugen umgehen, aber das ist nicht Intelligenz. Ihr Schädel ist zu klein. Je mehr Hirnsubstanz für dieses Instinktverhalten im Umgang mit Werkzeugen reserviert ist, um so weniger leistungsfähig sind sie in anderer Hinsicht. Sie haben praktisch keinen Geruchs- und Geschmackssinn. Sie sind sehr kurzsichtig. Sie haben eine geringere- Sprachbegabung als ein Schimpanse. Ihr räumliches Auffassungsvermögen ist gut, sie können für bestimmte Aufgaben ausgebildet werden, aber sie können keine Werkzeuge herstellen, sie können nur Dinge richten oder abändern. Intelligenz!« brach sie los. »Welches intelligente Wesen würde den Stiel von Mr. Battsons Zahnbürste mit einem sozusagen maßgeschneiderten Griff versehen?
Und was ihre angebliche Tätigkeit als Spione betrifft, wie sollten sie dazu fähig sein?
Niemand könnte sie dafür ausgebildet haben. Sie sind rein zufällig in unser Schiff geraten.« Sie warf einen Blick in die Runde und versuchte an den Mienen abzulesen, ob sie mit ihrer Meinung durchdrang.
»Glauben Sie wirklich, dass die entkommenen Minisplits noch am Leben sind?« Die Stimme des Sprechers hatte den kernigen Tonfall des gebürtigen Neuschotten. Dr.
Blevins, ein Veterinärarzt der Kolonie, richtete seinen Blick auf Rod. »Mein Mini ist knapp am Eingehen, Kapitän. Ich kann nichts dagegen tun. Zellvergiftung, Drüsenfehlfunktionen — die Symptome sind typisch für einen Alterungsprozess.«
Blaine schüttelte langsam den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte mich Ihrer Meinung anschließen, Doktor, aber es gehen zu viele’ Heinzelmännchen-Geschichten um. Vor diesem Treffen habe ich mich noch mit einigen meiner Unteroffiziere unterhalten — auf den unteren Decks ist es dasselbe. Niemand wollte die Sache melden, weil alle dachten, man würde sie nur für übergeschnappt halten, und außerdem, weil die Heinzelmännchen viel zu nützlich waren, um ihre Gefangennahme zu riskieren. Nun, was auch immer Kelley an irischen Volksmärchen verbreitet haben mag, an Bord der Mac Arthur hat es niemals Kobolde, Zwerge oder ähnliches Gelichter gegeben — also müssen es die Minis sein.«
Einige Augenblicke lang sagte niemand etwas.
»Nun, genaugenommen schaden sie uns doch gar nicht, oder?« meinte Horvath, bevor das Schweigen zu lang wurde. »Im Gegenteil, ich finde, dass ein paar solche Heinzelmännchen recht nützlich sind, Kapitän.«
»Hah.« Diese Äußerung bedurfte nach Rods Meinung keiner weiteren Erklärung.
»Schädlich oder nützlich — sofort nach dieser Besprechung werden wir dieses Schiff von jedem Ungeziefer befreien. Sinclair, haben Sie die Evakuierung des Hangardecks vorbereitet?«
»Jawohl, Kapitän.«
Dann veranlassen Sie es. öffnen Sie den Hangar zum Raum hin, und achten Sie darauf, dass auch alle Kammern, Behälter und Boote zum Raum hin offen sind. Ich will, dass nichts überlebt auf diesem Deck. Commander Cargill, sorgen Sie dafür, dass die erforderlichen Wachmannschaften im Kampfanzug sind. Allein in ihrem Kampfanzug, Erster. Und alle anderen überlegen sich jetzt bitte, welche von ihren Geräten kein Vakuum aushalten. Wenn das Hangardeck wieder unter Druck steht, werden Ihnen Kelleys Leute helfen, diese Sachen in den Hangar zu bringen; dann pumpen wir die Luft aus dem Rest des Schiffes. Wir werden dem Heinzelmännchen treiben ein für allemal ein Ende setzen.«
»Aber …« — »Das ist doch idiotisch« — »Meine Kulturen werden bestimmt eingehen« — »Diese verdammten Trottel von der Flotte müssen immer …« — »Kann er das wirklich machen?« — »Aye, aye, Käptn« — »Zum Teufel, für wen hält er sich eigentlich …«
»Ach-tunnnk!« Kelleys Gebrüll schnitt das Durcheinander empörter Stimmen abrupt ab.
»Kapitän, ist denn eine so harte Maßnahme wirklich nötig?« fragte Sally.
Er zuckte die Achseln. »Ich finde die Viecher ja auch nett. Aber was soll’s? Wenn ich diesen Befehl nicht gebe, wird es der Admiral tun. Also, stimmen wir alle überein, dass die Mini-Splits keine Spione sind?«
»Auf keinen Fall spionieren sie bewusst«, sagte Renner. »Aber, Kapitän, haben Sie von dem Vorfall mit dem Taschencomputer gehört?« »Nein.«
»Das große Split hat Miss Fowlers Taschencomputer auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Und das Ding funktioniert.«
»Hm.« Rods Miene wurde verdrossen. »Aber das war das große, braune Split.«
»Das mit den kleinen Splits reden kann. Es hat die Minis dazu gebracht, Mr. Bury seine Uhr zurückzugeben«, sagte Renner.
»Die Besatzung ist bereit, Kapitän«, meldete Cargill. Er stand bei der Vidikonsole der Messe. »Ich habe niemandem eine Erklärung gegeben. Die Leute halten es für eine Übung.« »Gute Idee, Jack. — Ich wüsste gerne, was eigentlich dagegen einzuwenden ist, dieses Ungeziefer auszurotten? Das große Split hat in seinem Boot dasselbe getan, und wenn die Minis, wie Sie alle behaupten, nichts als Tiere sind, muss es jede Menge von ihnen geben. Wir werden die großen Splits in keiner Weise beunruhigen. Oder?«
»N-nein«, sagte Sally widerstrebend. »Aber …«
Rod schüttelte entschieden den Kopf. »Es gibt mehr als genug Gründe, sie umzubringen, und ich habe noch keine Argumente dafür gehört, sie am Leben zu lassen. Damit ist die Angelegenheit also doch wohl erledigt.«
Horvath wiegte den Kopf. »Mir kommt diese Maßnahme so unnötig drastisch vor. Was wollen wir eigentlich schützen damit?«
»Direkt gesehen den Alderson-Antrieb. Indirekt das gesamte Imperium, aber im wesentlichen geht es um den Antrieb«, antwortete Cargill ernst. »Und fragen Sie mich bitte nicht, warum ich glaube, dass das Imperium vor den Splits geschützt werden muss.
Ich weiß es nicht, aber — ich … nun … ich bin überzeugt davon.«
»Den Antrieb können wir nicht geheim halten. Den haben sie schon«, verkündete Renner und grinste säuerlich, als alle im Raum zu ihm herumfuhren.
»Was?!« rief Rod. »Wieso das?«
»Wer ist der verdammte Verräter?« wollte Sinclair wissen. »Sagen Sie, wer’s war!«
»Heh! Moment mal! Nur mit der Ruhe«, sagte Renner. »Sie hatten den Antrieb schon früher, Kapitän. Ich hab’s erst vor einer Stunde erfahren. Es ist alles aufgezeichnet.
Augenblick.« Er stand auf und trat zu dem großen Bildschirm. Verwischte Schatten flackerten blitzschnell darüber hinweg, bis Renner die Stelle fand, die er suchte. Er wandte sich an das gebannte Publikum.
»Es freut mich, so der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit …« Rods wütender Blick ließ ihn abbrechen. »Also, das ist ein Gespräch zwischen … äh … meinem Split und mir. Ich werde den Bildschirm teilen, damit Sie es auf beiden Seiten verfolgen können.« Er berührte einige Tasten, und ein klares Bild leuchtete auf: Renner im Brückenraum der Mac Arthur, sein Fjunch (klick) im Split-Schiff. Renner ließ die Aufzeichnung rasch durchlaufen, bis er genau die Szene gefunden hatte, die er haben wollte.
»Ihr könntet von irgendwo gekommen sein«, sagte Renners Split. »Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass ihr von einem der näheren Sterne kommt, wie etwa — warte, ich will es dir zeigen.« Sternkonfigurationen erschienen auf einem Schirm hinter dem Split; mit dem oberen rechten Arm deutete es auf einen Stern — die Sonne von Neukaledonien.
»Wir wissen, dass ihr einen zeitlosen Antrieb habt, weil ihr an einem bestimmten Punkt aufgetaucht seid.«
Der Renner auf dem Schirm beugte sich vor. »Weil wir wo aufgetaucht sind?«
»Ja, ihr seid genau im …« Renners Split schien nach einem Wort zu suchen.
Schließlich kapitulierte es. »Renner, ich muss dir von einer legendären Gestalt erzählen.«
»Nur los.« Renners Bild bestellte sich über die Sprechanlage Kaffee. Er machte es sich für die kommende Geschichte gemütlich.
»In eurer Sprache könnte man diese Gestalt den ›Großen Narren‹ nennen. Er ist ein … er ist wie ich — manchmal — und manchmal wiederum ist er ein Brauner, ein einfältiger Techniker. Er tut immer die falschen Dinge aus den richtigen Gründen. Er macht immer dasselbe, und immer endet es in einer Katastrophe, und er wird nie gescheiter.«
In der Messe der Mac Arthur wurde immer wieder aufgeregt geflüstert. Renners Bild sagte: »Zum Beispiel?«
Renners Split überlegte einige Augenblicke. Dann sagte es: »Wenn eine Stadt zu groß geworden ist und so dicht bevölkert, dass der unmittelbare Zusammenbruch bevorsteht … wenn Nahrungsmittel und sauberes Wasser nur in gerade noch ausreichender Menge in die Stadt strömen, dass der ärgste Bedarf aller befriedigt wird, und wenn alle Hände unaufhörlich arbeiten müssen, damit es so bleibt … wenn alle Transportmittel nur dafür eingesetzt werden müssen, lebenswichtige Stoffe heranzubringen, und keine mehr übrig sind, die Leute aus der Stadt zu bringen, sollte es nötig werden … dann ist der Große Narr zur Stelle und ruft die Müllarbeiter zum Streik für bessere Arbeitsbedingungen auf.«
Das rief beträchtliches Gelächter in der Messe hervor. Der Renner auf dem Bildschirm grinste und sagte: »Ich denke, den Herrn kenne ich. Erzähl weiter.«
»Es gibt einen Narrenantrieb. Er lässt die Schiffe verschwinden.«
»Toll!«
»Theoretisch sollte es ein zeitloser Antrieb sein, ein Antrieb, der einem das ganze Universum öffnet. In der Praxis lässt er nur die Schiffe für immer verschwinden. Dieser Antrieb wurde erfunden und gebaut und viele Male getestet, und immer verschwinden die Schiffe für immer, mit allen Leuten an Bord, aber nur, wenn man richtig damit umgeht. Das Schiff muss nämlich an genau der richtigen Stelle sein — die nur schwer genau zu orten ist — und der Antrieb muss genau das tun, was die Theoretiker vorausberechnet haben, sonst passiert überhaupt nichts.«
Beide Renners grinsten jetzt. »Ich verstehe. Wir sind in diesem Punkt aufgetaucht, dem Punkt des Großen Narren. Und daraus schließt ihr, dass wir das Geheimnis des Narrenantriebs gelöst haben.«
»Das habt ihr.«
»Na, und was sind wir dann also?«
Das fremde Wesen verzog die Lippen zu einem bestürzend haiartigen Lächeln, das aber auch wieder sehr menschlich wirkte … Renner ließ sein Publikum dieses Lächeln genau studieren, bevor er das Gerät abschaltete.
Einige lange Augenblicke herrschte Schweigen, dann riss sich Sinclair zusammen.
»Also, das ist ja nun klar, nicht? Sie kennen den Alderson-Antrieb, aber nicht das Langston-Feld.«
»Weshalb sagen Sie das, Commander Sinclair?« fragte Horvath. Ein Dutzend Leute versuchte, es ihm zugleich zu erklären, aber das kräftige Organ des Ersten Maschinisten behauptete sich mühelos in dem Stimmengewirr.
»Die Schiffe verschwinden, aber nur an der richtigen Stelle, ja? Also kennen sie den Antrieb. Aber die Schiffe kommen nie wieder heim, weil sie in diesem roten Riesenstern im Normalraum auftauchen. Klar?«
»Oh.« Horvath nickte betroffen. »Und sie haben keinerlei Schutz — im Inneren eines Sterns, denn das ist es ja für normale Begriffe, nicht?
Sally schauderte es. »Und Ihr Split sagte, sie hätten es oft versucht.« Ihre Miene war bedrückt. »Aber, Mr. Renner«, sagte sie schließlich, »keines der anderen Splits hat je von Astrogation und solchen Dingen gesprochen. Meins hat vom Großen Narren erzählt, als hätte er irgendwann in einem primitiven Zeitalter gelebt — als wäre das Ganze eine halbvergessene Legende.«
»Und meins hat gesagt, der Große Narr, das sei ein Ingenieur, der die Mittel von morgen benutzt, um Probleme von heute zu lösen«, platzte Sinclair heraus.
»Sonst noch jemand?« erkundigte sich Rod.
»Nun …« Kaplan Hardy wirkte verlegen. Sein dickliches Gesicht war fast dunkelrot.
»Mein Split sagt, der Große Narr gründet Religionen. Bizarre, sehr logische und speziell unbrauchbare Religionen.«
»Genug«, wehrte Rod ab. »Ich scheine der einzige zu sein, dessen Split niemals den Großen Narren erwähnt hat.« Er unterbrach sich und überlegte. »Wir sind also alle einig, dass die Splits den Antrieb haben, nicht aber das Feld?«
Alle nickten. Horvath kratzte sich nachdenklich am Ohr und sagte: »Wenn ich mich recht an die Geschichte von Längstens Entdeckung erinnere, dann ist es kein Wunder, dass die Splits das Feld nicht kennen. Es überrascht mich, dass sie den Antrieb kennen, obwohl die Grundlagen dafür aus astrophysikalischen Berechnungen abgeleitet werden können.
Das Feld jedoch war eine rein zufällige Entdeckung.«
»Wenn man aber weiß, dass es existiert, was dann?« fragte Rod.
»Das — das weiß ich nicht«, sagte Horvath.
Wieder schwiegen alle. Es war ein ominöses Schweigen. Endlich fegte ein Auflachen Sallys die Anspannung weg.
»Ihr schaut alle so furchtbar ernst aus«, beschwerte sie sich. »Was ist denn, wenn die Splits sowohl Antrieb als auch Feld haben? Es gibt nur diese eine kleine Welt voll Splits.
Sie sind nicht feindselig, aber selbst wenn sie’s wären — glaubt denn wirklich jemand, sie könnten eine Bedrohung des Imperiums darstellen? Kapitän, was könnte die Lenin ganz allein und jederzeit mit dem Split-Planeten machen, wenn Admiral Kutuzov den Befehl gibt?«
Man begann aufzuatmen und die Sache etwas weniger ernst anzusehen. Sally hatte natürlich recht. Die Splits besaßen ja nicht einmal Kriegsschiffe. Sie hatten das Feld nicht, und selbst wenn sie es jetzt entdeckten, hatten sie keine Ahnung von den Taktiken des Raumkriegs. Die armen, friedlichen Splits, wie sollten sie denn dem Imperium der Menschheit gefährlich werden?
Man fühlte sich beruhigt, man lächelte und begann zu plaudern. Alle außer Cargill. Er lächelte nicht, sondern sagte sehr ernst: »Mylady, ich bin mir da gar nicht so sicher. Ich wünschte, ich wäre es.«
Horace Bury war zu der Konferenz nicht eingeladen worden, obwohl er natürlich davon erfahren hatte. Die Besprechung war noch im Gange, als ein Flotteninfanterist seine Kabine betrat und ihn höflich, aber unnachgiebig mitnahm. Der Mann wollte nicht sagen, wohin er Bury brachte, und nach einer Weile wurde deutlich, dass er es selbst nicht wusste.
»Ich hab’ nur Order, bei Ihnen zu bleiben und Sie dann zu den anderen zu bringen, Mr.
Bury, wenn das Signal gegeben wird.«
Bury musterte den Mann verschlagen. Was würde so jemand für hunderttausend Kronen tun? Aber noch war das nicht nötig. Nicht jetzt. Blaine würde ihn wohl kaum einfach erschießen lassen. Einen Moment lang saß Bury die kalte Furcht im Nacken. Ob sie Stone zum Reden gebracht hatten, auf New Chicago?
Bei Allah, niemand konnte sein Schicksal vorhersehen — Unsinn. Selbst wenn Stone ausgepackt hatte, konnten keine Nachrichten vom Imperium die Mac Arthur erreichen.
Die beiden Schiffe waren vom interstellaren Raum ebenso eingeschlossen wie die Splits.
»Sie sollen bei mir bleiben. Hat Ihr Vorgesetzter gesagt, wohin ich gehen soll?«
»Für den Augenblick hab’ ich keine anderen Befehle, Mr. Bury.«
»Dann bringen Sie mich in Dr. Buckmans Labor. Dagegen ist doch wohl nichts einzuwenden, oder? Wir hätten es beide bequemer.«
Der Soldat überlegte. »Na gut, dann kommen Sie.«
Bury traf seinen Freund in übelster Laune an. »Alles einpacken, das kein Vakuum verträgt«, knurrte Buckman vor sich hin. »Die anderen Geräte dafür herrichten. Keine Gründe. Bloß die kurze Anweisung.« Er hantierte an seinen Apparaten herum. Ein Großteil der Geräte war bereits in Behälter und große Plastiksäcke verpackt.
Bury konnte seine eigene Unruhe nicht verbergen. Sinnlose Anordnungen, ein Posten vor der Tür … er kam sich wieder wie ein Gefangener vor. Es dauerte eine Weile, bis er Buckman soweit beruhigt hatte, dass man mit ihm sprechen konnte. Endlich ließ sich der Astrophysiker in einen Sessel fallen und nahm einen tiefen Schluck von seinem Kaffee.
»Hab’ Sie in letzter Zeit wenig gesehen«, meinte er. »Hatten Sie zu tun?«
»Zur Zeit gibt es für mich in diesem Schiff sehr wenig zu tun. Ich bekomme auch kaum etwas Neues zu hören«, sagte Bury ruhig — was ihn einige Beherrschung kostete.
»Warum müssen Sie hier alles für Vakuum vorbereiten?«
»Hah! Ich weiß es nicht. Ich muss es nur tun. Wenn ich versuche, den Kapitän zu erreichen, dann ist er in einer Besprechung. Wenn ich versuche, mich bei Horvath zu beschweren, ist er in einer Besprechung. Wenn niemand erreichbar ist, wenn man ihn braucht, wozu sind dann alle eigentlich mitgekommen?«
Geräusche drangen vom Gang herein: schwere Gegenstände wurden transportiert. Was hatte man bloß vor? Manchmal wurde ein Schiff dem Vakuum ausgesetzt, um die Ratten im Inneren zu vertilgen …
Das war es! Sie wollten die Minis ausrotten! Gelobt sei Allah, er hatte rechtzeitig seine Vorbereitungen getroffen. Bury grinste erleichtert. Seit der Nacht, in der er eine Schachtel Bhaklavah bei der offenen Sichtscheibe seines privaten Druckanzugs hinterlegt hatte, wusste er um den wahren Wert der Mini-Splits Bescheid. Um ein Haar wäre ihm ein Vermögen entgangen.
Beiläufig fragte er Buckman: »Gibt es etwas Neues über die Trojanerasteroiden?«
Buckman blickte entgeistert auf. Dann lachte er. »Bury, daran hab’ ich seit einem Monat nicht mehr gedacht. Wir haben jetzt den Kohlensack studiert.«
»Aha.«
»Wir haben eine Masse darin entdeckt … vermutlich ein Protostern. Und eine Infrarot-Quelle. Die Strömungsmuster im Kohlensack sind einfach fantastisch. Als ob das Gas und der Staub viskos wären … natürlich sind es die Magnetfelder, die diese Eigenschaften hervorrufen. Wir lernen die interessantesten Dinge über die Dynamik interstellarer Staubwolken. Wenn ich daran denke, wie viel Zeit ich mit diesen blödsinnigen Steinbrocken in den Trojanischen Punkten vertan habe … und dabei war die Lösung des Problems so trivial!«
»Nur weiter, Buckman. Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«
»Hm? Oh, nun, ich werd’s Ihnen zeigen.« Buckman trat an die Vidikonsole und sprach eine Reihe von Zahlen ins Mikrofon.
Nichts geschah.
»Das ist sonderbar. Irgendein Idiot muss die Information gesperrt haben.« Buckman schloss die Augen und sagte eine andere Zahlenreihe auf. Fotografien erschienen auf dem Bildschirm. »Ah, da ist es ja!«
Der Schirm war mit Asteroiden jeder Größe gespickt. Die Konturen waren verwischt, aber es war doch gut zu erkennen, dass die verschiedensten Formen, von birnenförmig bis zu exakten Kugeln, vertreten waren. Und dass alle zumindest ein paar Krater aufwiesen …
»Tut mir leid, dass die Bildqualität so miserabel ist, aber selbst die nächsten Trojaner sind ganz hübsch weit entfernt. Nun, es waren nur Zeit und die Teleskope der Mac Arthur erforderlich. Sehen Sie, was wir entdeckt haben?«
»Eigentlich nicht. Oder doch …« Alle hatten Krater. Mindestens einen Krater. Drei längliche, schmale Asteroiden hintereinander … und jeder hatte an einem Ende einen tiefen Krater. Ein Felsbrocken war beinahe nierenförmig; der Krater lag in der inneren Krümmung. Jeder Asteroid in diesem Schwärm besaß einen tiefen, großen Krater, dessen Mitte immer in einer Linie mit dem Schwerpunkt des Felsbrockens lag.
Bury fühlte Belustigung in sich aufsteigen, die durch ein vages Angstgefühl getrübt wurde. »Ja, jetzt sehe ich es. Sie haben entdeckt, dass jeder einzelne dieser Asteroiden künstlich in seine Position gebracht wurde. Daraufhin verloren Sie das Interesse.«
»Natürlich. Wenn ich denke, dass ich erwartete, irgendein neues kosmisches Prinzip zu entdecken …« Buckman zuckte die Achseln und leerte seine Kaffeetasse.
»Ich vermute, Sie haben mit niemandem darüber gesprochen?«
»Ich hab’s Dr. Horvath berichtet. Wieso, glauben Sie etwa, er hat diese Information gesperrt?« »Kann sein. Buckman, was glauben Sie, wie viel Energie man braucht, um derartig gewaltige Felsmassen zu bewegen?«
»Nun, ich weiß nicht, ziemlich viel, vermutlich. In der Tat …« Buckmans Augen leuchteten auf. »Ein recht interessantes Problem. Ich werde Sie die Antwort wissen lassen, wenn wir erst einmal diesen Unfug hier hinter uns haben.« Er wandte sich wieder seinen Geräten zu.
Bury blieb reglos sitzen und starrte nachdenklich vor sich hin. Obwohl es nicht kalt war, begann ihn nach einer Weile zu frösteln.
»Ich achte ihre Besorgnis um die Sicherheit des Imperiums, Admiral«, sagte Horvath. Er nickte der erzürnten Gestalt auf dem Hauptbildschirm der Brücke beruhigend zu. »Ich kann Sie gut verstehen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir entweder die Einladung der Splits annehmen oder gleich heim fliegen können. Hier draußen lernen wir nichts mehr.«
»Sie, Blaine. Sind Sie auch dieser Meinung?« Admiral Kutuzovs Miene war unverändert.
Rod zuckte die Achseln. »Sir, ich muss die Ratschläge der Wissenschaftler in Betracht ziehen. Sie sagen, dass wir jetzt alles festgestellt haben, was sich aus dieser Entfernung feststellen lässt.«
»Sie wollen also die Mac Arthur in ein Orbit um den Split-Planeten bringen? Ist das Ihre offizielle Empfehlung?«
»Ja, Sir. Ansonsten könnten wir wirklich nur mehr heim fliegen, und ich finde, dass wir noch nicht genug über die Splits wissen, um ihr System so schnell zu verlassen.« Kutuzov holte langsam und tief Luft. Seine Lippen pressten sich zusammen.
»Admiral, Sie haben Ihre Aufgabe, ich habe die meine«, gab Horvath zu bedenken. »Es ist recht und schön, das Imperium vor jeder noch so unwahrscheinlichen Bedrohung durch die Splits zu bewahren, aber ich muss die Gelegenheit nützen, möglichst viel über ihre Wissenschaften und ihre Technologie in Erfahrung zu bringen. Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht unwichtig ist. Sie sind uns in mancher Hinsicht so weit voraus, dass ich — also, mir fehlen die Worte, Ihnen das begreiflich zu machen.«
»Ich begreife durchaus.« Kutuzov verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er mit den geschlossenen Fäusten auf die Armstützen seines Kommandositzes hämmerte. »Sie besitzen eine uns überlegene Technologie. Sie sprechen unsere Sprache, und Sie erklären mir, dass wir nie die ihre sprechen werden. Sie kennen den Alderson-Effekt, und jetzt wissen sie von der Existenz des Langston-Feldes. Dr. Horvath, vielleicht sollten wir wirklich heim fliegen. Sofort.«
»Aber …«, begann Horvath.
»Und doch«, fuhr Kutuzov fort, »würde ich nur ungern mit diesen Splits Krieg führen, ohne mehr über sie zu wissen. Welche planetaren Schutzeinrichtungen haben sie? Wer regiert die Splits? Ich stelle fest, dass Sie trotz all Ihrer Forschungsarbeit diese Fragen nicht beantworten können. Sie wissen nicht einmal, wer ihr Schiff kommandiert.«
»Stimmt.« Horvath nickte heftig. »Es ist schon eine etwas seltsame Situation. Manchmal glaube ich allen Ernstes, dass sie gar keinen Kommandanten haben, andererseits scheinen sie aber hin und wieder in ihrem Schiff Instruktionen einzuholen … Und dann ist da noch das Problem mit ihrem Geschlecht.«
»Wollen Sie mit mir scherzen, Doktor?«
»Nein, nein«, sagte Horvath irritiert. »Es ist so: Alle Braunweißen sind, seit sie hier sind, weiblich. Außerdem ist das braune Weibchen schwanger geworden und hat ein braunweißes Junges geboren. Dann wurde es männlich.«
»Die Geschlechtsänderungen dieser Wesen sind mir berichtet worden. Vielleicht war ein Braunweißes männlich bis kurz vor dem Eintreffen des Schiffes?«
»Daran haben wir auch gedacht. Es ist aber, wie wir glauben, wahrscheinlicher, dass die Braunweißen sich wegen Platzmangels nicht vermehren. Sie bleiben alle Weibchen — vielleicht sind sie auch unfruchtbar, da einer ihrer Elternteile offenbar ein Braunes ist.
Eine Kreuzung zwischen Braunen und noch einer anderen Rasse? Das würde bedeuten, dass wahrscheinlich eine noch unbekannte Art von Split an Bord ihres Schiffes ist.«
»Sie haben einen Admiral an Bord«, sagte Kutuzov überzeugt. »Wie wir. Ich wusste es.
Was sagen Sie ihnen, wenn sie nach mir fragen?« Rod vernahm ein Prusten hinter sich und nahm an, dass Kevin Renner am Ersticken war. »So wenig wie möglich, Sir«, sagte Rod. »Nur, dass wir unsere Befehle von der Lenin empfangen. Ich glaube nicht, dass sie Ihren Namen kennen oder wissen, ob ein Mann oder eine Ratsversammlung die Befehle erteilen.«
»Eben.« Der Admiral lächelte jetzt beinahe. »Auch nicht mehr, als wir über ihre Kommandoführung wissen, ja? Sie werden sehen, diese Splits haben einen Admiral in ihrem Schiff, und er will uns näher bei ihrem Planeten haben. Die Frage ist jetzt, ob ich mehr erfahre, wenn ich Sie hinfliegen lasse, als er erfährt, weil Sie hinkommen?«
Horvath wandte sich vom Bildschirm und damit von der Kamera ab und schickte einen flehenden Blick in die Richtung, in der er den Himmel mitsamt allen Heiligen vermutete.
Wie sollte man nur mit einem derart bornierten Mann fertig werden, schien sein Blick zu fragen.
»Schon eine Spur von den kleinen Splits?« fragte Kutuzov. »Haben Sie immer noch Heinzelmännchen an Bord des Raumkreuzers Mac Arthur Seiner Kaiserlichen Majestät?«
Der betonte Sarkasmus ließ Rod schaudern. »Nein, Sir. Wir haben das Hangardeck evakuiert und alle Abteile gegen den Raum geöffnet. Dann schickte ich alle Passagiere und die gesamte Besatzung der Mac Arthur in den Hangarraum und setzte das Schiff dem Vakuum aus. Die Pflanzenkammern haben wir mit Ciphogen ausgeräuchert, und sämtliche Röhren und Leitungen mit Kohlenmonoxid durchgespült. Dann wurde nochmals alles zum Raum hin geöffnet, und als wir das Hangardeck wieder geräumt hatten, taten wir das auch dort. Die Mini-Splits sind tot, Admiral. Wir haben die Kadaver gefunden. Vierundzwanzig, um genau zu sein, obwohl wir den letzten erst gestern entdeckten. Nach drei Wochen war er ziemlich gut abgelegen …«
»Und es machen sich keine Heinzelmännchen mehr bemerkbar? Oder Mäuse?«
»Nein, Sir. Ratten, Mäuse oder Splits — alles ausgerottet. Das andere Mini-Exemplar, das wir im Käfig hatten, ist ebenfalls tot, Sir. Der Tierarzt meint, es sei an Altersschwäche gestorben.«
Kutuzov nickte. »Dann ist dieses Problem also gelöst. Was ist mit dem großen Split, das Sie an Bord haben?«
»Es ist krank«, sagte Blaine. »Dieselben Symptome wie bei dem Mini.« »Ja, das ist ein weiteres Problem«, warf Horvath rasch ein. »Ich möchte die Splits fragen, was wir für den kranken Prospektor tun können, aber Blaine wollte erst Ihre Erlaubnis haben.«
Der Admiral griff nach etwas außerhalb des Bildschirms. Als er sich wieder der Kamera zuwandte, hielt er ein Glas Tee in beiden Händen und blies geräuschvoll darüber. »Die anderen wissen, dass Sie diesen Prospektor an Bord haben?«
»Ja«, sagte Horvath. Als Kutuzov ihn anfunkelte, fuhr der Wissenschaftsminister fort:
»Sie scheinen es die ganze Zeit gewusst zuhaben. Ich bin sicher, dass es ihnen keiner von uns gesagt hat.«
»Sie wissen es also. Haben sie nach dem Prospektor gefragt? Wollten sie ihn sehen?«
»Nein.« Horvath runzelte die Stirn. Seine Stimme verriet Erstaunen. »Nein, das haben sie nicht. In der Tat haben sie sich nicht im geringsten um das Prospektor-Split gekümmert, ebenso wenig wie um irgendwelche Mini-Exemplare. Sie haben ja vermutlich gesehen, wie die Splits ihr Schiff ebenfalls evakuierten, um das kleine Viehzeug loszuwerden? Sie müssen das offenbar regelmäßig tun. Diese Minis hecken und vermehren sich anscheinend wie die Karnickel.« Horvath überlegte einen Augenblick, und die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich noch. Unvermittelt sagte er: »Wie dem auch sei, ich möchte die anderen fragen, was wir für den kranken Prospektor tun können. Wir dürfen ihn nicht einfach sterben lassen.«
»Das wäre vielleicht für alle am besten«, überlegte Kutuzov. »Schon gut, Doktor. Fragen Sie. Wir verraten wohl kaum etwas Wichtiges über das Imperium, wenn wir zugeben, dass wir nichts über die richtige Ernährung von Splits wissen. Wenn Sie jedoch fragen, und sie bestehen darauf, diesen Prospektor zu sehen, dann werden Sie, Blaine, das verhindern. Wenn erforderlich, muss dieses Split sterben — einen bedauerlichen, plötzlichen Unfall erleiden etwa. Ist das klar? Es darf auf keinen Fall mit anderen Splits sprechen, jetzt nicht und nie.«
»Aye, aye, Sir.« Rod saß gleichmütig in seinem Kommandosessel. Billige ich das vielleicht? dachte er. Ich müsste eigentlich entsetzt sein, aber …
»Wollen Sie unter diesen Umständen immer noch fragen, Doktor?« erkundigte sich Kutuzov.
»Ja. Ich habe von Ihnen schließlich nichts anderes erwartet.« Horvath schürzte erbittert die Lippen. »Wir haben immer noch die Hauptfrage zu klären: Die Splits haben uns eingeladen, in eine Bahn um ihren Planeteneinzuschwenken. Warum sie uns dazu auffordern, ist Ansichtssache. Ich glaube, der Grund ist, dass sie die ehrliche Absicht haben, diplomatische Beziehungen und Handel mit uns anzubahnen. Es gibt keinerlei Hinweise, dass sie andere Absichten haben könnten. Sie, Admiral, haben darüber natürlich ihre eigenen Theorien …«
Kutuzov lachte. Es war ein tiefes, herzliches Lachen. »Ach, Doktor, vielleicht glaube ich sogar dasselbe wie Sie. Aber was hat das mit meinen Entscheidungen zu tun? Ich bin für die Sicherheit des Imperiums verantwortlich. Was ich glaube, ist unwichtig.« Der Admiral blickte die Gruppe über das Vidifon kalt an. »Also gut. Kapitän, ich überlasse Ihnen die Entscheidung in diesem Fall. Sie werden jedoch zuerst die Selbstzerstörungssysteme Ihres Schiffes aktivieren. Sie verstehen, dass die Mac Arthur unter keinen Umständen in die Hände der Splits fallen darf?«
»Ja, Sir.«;
»Gut. Dann können Sie Ihr Schiff in einen Orbit um diesen Planeten bringen. Wir werden Ihnen mit der Lenin folgen. Sie werden jede Stunde alle neuen Informationen an uns weitergeben — und es ist Ihnen ja wohl klar, dass ich, wenn Ihr Schiff bedroht wird, keinerlei Rettungsaktionen unternehme, wenn dabei die Lenin in irgendeiner Weise gefährdet wird? Sie wissen, es ist’ meine erste Pflicht, Informationen zurückzubringen, einschließlich der Information, wie Sie umgekommen; sind, wenn dieser Fall eintreten sollte?« Der Admiral richtete seinen Blick auf Horvath. »Nun, Doktor, möchten Sie immer noch näher an Splitter Alpha heran?«
»Natürlich.«
Kutuzov zuckte die Achseln. »Dann alles Gute, Kapitän Blaine.«
Die Schleppboote der Mac Arthur hatten einen fassähnlichen Zylinder eingeholt, der etwa halb so groß war wie das Schiff der Splits. Der Tank war sehr einfach gebaut: eine harte, dicke Wandung aus irgendeinem Schaumstoff, gefüllt mit flüssigem Wasserstoff.
Das Abzapfventil lag an der Hauptachse. Jetzt war der Behälter hinter den Toroidkabinen am Rumpf des Splitschiffs befestigt. Der schlanke Stachel, der den Plasmastrom des Antriebs leitete, war nach außen gebogen worden, damit der Schub in Richtung des neuen Schwerpunkts wirkte. Das Schiff lehnte sich sozusagen mit seiner Antriebsachse zurück, ähnlich wie eine hochschwangere Frau, die zu gehen versucht.
Eine Anzahl Splits — Braunweiße, die von einem der Braunen angeleitet wurden — waren dabei, die Luftschleusenverbindung zu zerlegen, das Metall einzuschmelzen und daraus ringförmige Stützplattformen für die empfindlichen Toroide zu bauen. Andere arbeiteten im Schiff, und drei kleine braunweiße Wesen spielten bei ihnen. Wieder veränderte sich das Innere von einem Augenblick zum anderen. Decks wurden anders geneigt, so dass sie senkrecht auf die neue Schubachse standen. Die Null-Grav-Einrichtung wurde für Beschleunigung umgebaut.
Im Moment waren keine Splits mehr im Kutter; sie hatten alle mit ihrem eigenen Schiff zu tun, doch der Kontakt blieb aufrecht. Einige der Kadetten übernahmen abwechselnd einfache Arbeiten an Bord des Split-Schiffs.
Whitbread und Potter arbeiteten in der Beschleunigungskammer, wo sie die Andruckliegen so zusammenrückten, dass drei kleinere Liegen Platz hatten. Es war eine einfache, aber ziemlich anstrengende Arbeit. Schweißtropfen sammelten sich an ihren Helmscheiben und sickerten ihnen den Hals hinunter.
»Ich frage mich, wie eigentlich ein Mensch für ein Split riecht«, sagte Potter. »Du brauchst nicht zu antworten, wenn du die Frage kränkend findest«, fügte er hinzu.
»’s is schwer zu sagen«, antwortete Potters Split. »Ich soll ja mein Fjunch (klick) verstehn wie mich selber, aber’s könnt’ schon sein, dass ich mich manchmal zu gut in die Rolle hineinfühl’. Der Geruch von ehrlichem Schweiß hätt’ mich deshalb auf kein’ Fall gestört, selbst wenn ihr nich’ für uns arbeiten tätet. Was finden Se denn so komisch, Mr.
Whitbread?«
»Tut mir leid. Es ist der Akzent.«
»Welcher Akzent?« fragte Potter verwundert.
Whitbread und Whitbreads Split platzten los. »Es ist wirklich komisch«, lachte Whitbreads Split. »Ihr hattet einmal Schwierigkeiten, uns auseinander zuhalten.«
»Jetzt ist es andersrum«, sagte Jonathon Whitbread kichernd. »Ich muss immer Arme zählen anfangen, damit ich weiß, ob ich mit Renner oder mit Renners Split rede. Hilf mir mal hier, Gavin … Und dann erst Kapitän Blaines Split. Huaahahaha … Ich muss mich immer zusammennehmen, dass ich nicht automatisch strammstehe, und dann sagt es irgend was, und schon nehme ich wieder Haltung an. Sein Split erteilt Befehle, als war’s der Kommandant des Kutters, und wenn wir gehorchen, sagt es, ›Moment mal, Mister‹, und wir können ihm den Unfug nicht mal übel nehmen. Höchst verwirrend. Und reibt sich den Zinken wie der Alte.«
»Und trotzdem«, sagte Whitbreads Split nachdenklich, »frage ich mich manchmal, ob wir euch wirklich verstehen. Dass ich dich imitieren kann, heißt nicht, dass ich dich auch verstehe …«
»Aber das ist ’ne uralte Technik, alt wie die Berge unserer Welt. Und sie funktioniert.
Wie sollen wir unsere Aufgabe denn sonst angehen, Whitbreads Fjunch(klick)?«
»Ich hab’ mich ja nur gefragt … Diese Leute sind so vielseitig. Wir können nicht alle eure Eigenschaften und Fähigkeiten nachahmen, Whitbread. Ihr findet es leicht, zu befehlen, und leicht zu gehorchen; wieso könnt ihr beides? Ihr könnt gut mit Werkzeug umgehen …«
»Ihr auch«, sagte Whitbread. Er wusste, das war eine Untertreibung sondergleichen.
»Aber wir ermüden rasch. Ihr könnt noch weiterarbeiten, nicht wahr? Wir nicht.« »Hm.«
»Und wir können auch nicht gut kämpfen … Aber lassen wir das. Wir imitieren euch, um euch besser verstehen zu lernen, aber jeder von euch scheint die Rollen von Tausenden von Leuten zu spielen. Das kann einem pflichtgetreuen, glotzäugigen Monster schon das Leben sauer machen.«
»Wer hat glotzäugiges Monster zu dir gesagt?« rief Whitbread entsetzt.
»Mr. Renner, wer sonst? Ich habe es als Kompliment betrachtet — ich meine, dass er mir Sinn für Humor zutraut.«
»Dr. Horvath würde ihn umbringen, wüsste er davon. Wir sollen euch geflissentlich mit Samthandschuhen anfassen, ja keine Tabus verletzen, und so weiter.«
»Dr. Horvath«, sagte Potter. »Das erinnert mich daran, dass Dr. Horvath uns beauftragt hat, euch etwas zu fragen. Ihr wisst ja, dass wir ein Braunes auf der Mac Arthur haben.«
»Sicher. Eine … wie ihr sagt … Prospektorin. Ihr Boot legte an der Mac Arthur an und kehrte dann zurück, leer. Es war klar, dass sie bei euch geblieben sein musste.« »Sie ist krank«, sagte Potter. »Es geht ihr immer schlechter. Dr. Blevins meint, dass es eine Ernährungskrankheit sein könnt’. Er weiß nicht, wie er ihr helfen soll. Habt ihr ’ne Ahnung, was ihr fehlt?«
Whitbread glaubte zu wissen, warum Horvath nicht sein Split wegen des Braunen gefragt hatte; wenn die Splits die Prospektorin sehen wollten, musste man es ihnen laut Order des Admirals verweigern. Dr. Horvath fand den Befehl albern, er wäre nie fähig gewesen, ihn den Splits gegenüber zu rechtfertigen. Von Whitbread und Potter wurde das erst gar nicht erwartet. Ein Befehl war ein Befehl für sie, und ihre Fjunch(klick)s verstanden das.
Als die Splits nicht gleich antworteten, sagte Jonathon: »Unsere Biologen haben schon viel versucht. Andere Ernährung, Analyse der Verdauungssäfte, eine Röntgenuntersuchung auf ein Geschwür. Sie haben sogar die Atmosphäre in ihrer Kabine der von eurer Heimatwelt angepasst. Nichts hilft. Sie ist unglücklich, wimmert, bewegt sich kaum mehr. Sie magert ab, und die Haare fallen ihr aus.«
Whitbreads Split fragte mit einer plötzlich seltsam tonlosen Stimme: »Ihr habt keine Ahnung, was ihr fehlen könnte?«
»Nein«, sagte Whitbread.
Es war beunruhigend, wie die Splits sie auf einmal anschauten. Jetzt wirkten sie wieder alle gleich, wie sie zusammengeduckt an den Halteschlaufen hingen: die gleiche Haltung, das gleiche Fellmuster, das gleiche sanfte Pseudolächeln. Die individuellen Eigenheiten, die sie entwickelt hatten, waren nicht mehr erkennbar. Vielleicht spielten sie wirklich nur Rollen …
»Wir werden euch Lebensmittel besorgen«, sagte Potters Split plötzlich. »Ihr habt vielleicht recht. Es könnt’ die Ernährung sein.« Beide Splits verschwanden. Nach einer Weile kehrte Whitbreads Split mit einem druckfesten Beutel zurück, der eine Art Korn, pflaumengroße Früchte und ein Stück rohes Fleisch enthielt. »Kocht das Fleisch, weicht das Korn in Wasser auf und gebt ihr die Früchte roh«, wies es sie an. »Und überprüft die Ionisation in ihrer Kabine.« Das Split hatte es jetzt offenbar eilig, sie loszuwerden. Es führte sie nach draußen.
Die beiden schwangen sich auf einen offenen Düsenschlitten, um zum Kutter zurückzukehren. Schließlich sagte Potter: »Die haben sich aber heute komisch benommen. Ich kann mir nur vorstellen, dass was Wichtiges passiert ist, das uns entgangen ist.« »Ja.«
»Was ist es bloß gewesen, hm?«
»Vielleicht glauben sie, dass wir das Braune misshandelt haben. Vielleicht wundern sie sich, dass wir es nicht herbringen. Oder vielleicht liegt die Sache gerade andersherum: sie sind empört, dass wir von einem einfachen Braunen soviel Aufhebens machen.« »Oder sie waren bloß müde, und wir haben uns alles nur eingebildet.« Potter gab Gegenschub, um den Schlitten abzubremsen.
»Gavin. Sieh dich mal um!«
»Nicht jetzt. Ich muss mein Schiff sicher in den Hafen bringen.« Potter ließ sich mit dem Andocken Zeit und drehte sich dann um.
Mehr als ein Dutzend Splits hatte außerhalb des Schiffs gearbeitet. Die Versteifung der Toroide war ganz offensichtlich noch nicht fertig … aber die Splits strömten alle zur Luftschleuse ihres Schiffs.
Die Vermittler strömten in den Toroid, wobei sie in ihrem Eifer, einander auszuweichen, immer wieder gegen die elastische Wand prallten. Die meisten zeigten auf die eine oder andere Weise, dass sie Fjunch(klick)s von Fremden waren. Sie tendierten dazu, den unteren rechten Arm zu wenig zu benützen, und sie versuchten sich so zu postieren, dass ihre Köpfe in dieselbe Richtung wiesen.
Der Meister war rein weiß. Die Haarpolster unter den Armen und in der Leistenbeuge waren seidig und lang wie das Fell einer Angorakatze. Als alle versammelt waren, wandte sich der Meister an Whitbreads Split und sagte: »Sprich.«
Whitbreads Split berichtete von dem Vorfall mit den beiden Kadetten. »Ich bin sicher, dass sie es ehrlich meinten«, schloss es.
Der Meister fragte Potters Split: »Bist du auch dieser Ansicht?«
»Ja, völlig.«
Ein aufgeregtes Flüstern, teils in Split-Sprachen, teils auf Anglic, brandete auf, verstummte jedoch sofort, als der Meister sagte: »Was habt ihr ihnen erzählt?«
»Wir sagten, dass die Krankheit durch einen Ernährungsfehler verursacht sein könnte …«
Ein erschrockenes, sehr menschlich klingendes Lachen ertönte unter den Vermittlern, doch nur bei jenen, die bereits ein Fjunch(klick) besaßen. »… und gaben ihnen Nahrung für die Technikerin. Es wird natürlich nichts helfen.« »Haben sie sich täuschen lassen?«
»Schwer zu sagen. Wir tun uns nicht leicht mit direkten Lügen. Das ist nicht unsere Spezialität«, antwortete Potters Split.
Sie begannen aufgeregt durcheinander zureden. Der Meister gestattete es eine Zeitlang. Schließlich sagte er l sie: »Welche Erklärung gibt es dafür? Sprecht.«
Ein Split meldete sich zu Wort. »Sie können nicht so sehr verschieden von uns sein. Sie führen Kriege. Wir haben Andeutungen mitbekommen, dass sie manchmal ganze Planeten unbewohnbar gemacht haben.«
Ein anderes unterbrach — in seinen Bewegungen lag etwas Geschmeidiges, etwas menschlich Weibliches, das dem Meister grotesk vorkam. »Wir glauben zu wissen, was bei den Menschen die Ursache von Kämpfen ist. Die meisten Tiere auf unserer und ihrer Welt besitzen bestimmte Befriedungsreflexe, die verhindern, dass sich Angehörige derselben Art töten. Menschen gebrauchen ihre Waffen instinktiv. Damit ist der Befriedungsreflex zu langsam.«
»Bei uns war es auch einmal so«, sagte ein drittes Split. »Die Evolution der sterilen Vermittler machte dem ein Ende. Wollt ihr sagen, dass die Menschen keine Vermittler haben?«
Sally Fowlers Split sagte: »Sie haben keine Kaste, die für die Aufgabe der Vermittlung zwischen potentiellen Feinden geboren wird wie wir. Sie sind in allem nur Amateure, Pfuscher. Sie haben keine Spezialisten. Ihre Vermittler sind Amateure. Wenn sie versagen, wird gekämpft.«
»Sie sind auch in der Rolle von Meistern Amateure«, sagte ein Split und rieb sich nervös die Mitte des Gesichts. »Sie wechseln sich in dieser Aufgabe ab. In ihren Kriegsschiffen sind die Soldaten zwischen Besatzung und Vorgesetzten untergebracht, um die Leute zu trennen, die Meister spielen dürfen, und jene, die es nicht dürfen. Und doch — wenn Lenin spricht, gehorcht Kapitän Blaine wie ein Brauner, obwohl er Meister seines Schiffs ist. Es ist«, sagte das Split, »sehr schwer, Fjunch(klick) für einen nur temporären Meister zu sein.«
»Stimmt«, sagte Whitbreads Split. »Mein Mensch ist kein Meister, aber er wird es einmal werden.«
Ein anderes Split stellte fest: »Unsere Technikerin fand an ihren Werkzeugen eine Menge zu verbessern. Und dieser Dr. Hardy ist überhaupt keiner Kaste zuzuordnen …«
»Schluss damit«, sagte der Meister, und die Gespräche verstummten. »Wir haben ein dringenderes Problem. Was habt ihr über ihre Paarungsgewohnheiten erfahren können?«
»Darüber sprechen sie nicht mit uns. Es wird schwierig werden, auf diesem Gebiet etwas zu erfahren. Es scheint nur eine Frau an Bord zu sein.«
»Eine Frau?«
»Soweit wir feststellen konnten, ja.«
»Und die anderen sind geschlechtslos?«
»Es scheint nicht so zu sein. Trotzdem ist die Frau nicht schwanger und war es auch nie, seit wir Kontakt aufgenommen haben.«
»Wir müssen lernen«, sagte der Meister. »Auch lernen, Dinge zu verschweigen. Stellt eine beiläufig klingende Frage. Ihr müsst dabei sehr geschickt vorgehen, um möglichst wenig über uns preiszugeben. Wenn unsere Vermutung zutrifft — ist das überhaupt möglich?«
Ein Split meinte: »Alle Gesetze der Evolution würden dagegen sprechen. Wenn ein Individuum bis zur Fortpflanzungsfähigkeit überlebt, muss es seine Gene an die nächste Generation weitergeben. Wie sollte es da möglich sein, dass sie …«
»Sie sind uns fremd. Denkt daran, sie sind ganz anders als wir«, sagte Whitbreads Split.
»Wir müssen es herausfinden. Bestimmt eines von euch, formuliert die Frage und wählt den Menschen aus, dem ihr sie stellen wollt. Alle anderen müssen das Thema vermeiden, solange die Fremden nicht selbst darauf zu sprechen kommen.«
»Ich finde, wir sollten nichts verschweigen.« Das Split rieb sich beharrlich eine Stelle mitten im Gesicht, als fände es das irgendwie beruhigend. »Sie sind fremd und anders als wir und darum vielleicht unsere einzige Hoffnung. Mit ihrer Hilfe könnten wir vielleicht den uralten Verlauf der Zyklen durchbrechen.«
Der Meister zeigte sich überrascht. »Ihr werdet den grundlegenden Unterschied zwischen den Menschen und uns verschweigen. Sie dürfen nicht davon erfahren.«
»Und ich sage, das sollten wir nicht!« rief das Split. »Hört auf mich! Sie haben ihre Methoden — sie lösen ihre Probleme, immer finden sie einen Weg …« Die anderen begannen es einzukreisen. »Nein! Hört doch! Ihr müsst auf mich hören!«
»Ein großer Narr«, sagte der Meister verwundert. Sperrt sie ein, aber lasst ihr alle Annehmlichkeiten. Wir werden ihr Wissen brauchen. Und niemand darf ihrem Fjunch(klick) zugeteilt werden, die Belastung war zu viel für sie.«
Blaine ließ den Kutter mit 0,780 Ge der Mac Arthur voranfliegen. Er war sich peinlich bewusst, dass die Mac Arthur unverkennbar ein Kriegsschiff war, das den halben Split-Planeten in eine Wüste verwandeln konnte, und versuchte nicht daran zu denken, welche Waffen nervöse Splits wohl auf sie gerichtet haben mochten. Er wollte, dass ein relativ harmloses Boot zuerst in der Umlaufbahn ankam. Es war nur eine Geste, aber er hoffte, dass sie richtig verstanden würde.
Der Kutter war jetzt nur mehr mit den nötigen Leuten besetzt. Die Wissenschaftler lebten wieder auf der Mac Arthur, fütterten endlose Datenreihen in den Computerspeicher, verglichen, rechneten und stellten die Berichte für den Kapitän zusammen, die dieser an die Lenin weiterleitete. Natürlich hätten sie direkt berichten können, aber es war das sozusagen ein Privileg seines Ranges. Bridgerunden und Dinnergesellschaften wurden jedenfalls in letzter Zeit zu angeregten Diskussionen benutzt.
Alle machten sich Sorgen um das braune Split. Der Prospektorin ging es zusehends schlechter. Von der Nahrung, die die Splits besorgt hatten, nahm sie genauso wenig zu sich wie von der, die ihr die Biologen der Mac Arthur zusammengestellt hatten. Es war sehr enttäuschend, und auch die endlosen Testreihen von Dr. Blevins führten zu nichts.
Die Minis waren prächtig gediehen, während sie sich in der Mac Arthur frei herumgetrieben hatten, und Blevins fragte sich, ob sie vielleicht an irgend etwas Ausgefallenem Geschmack gefunden hatten, an Raketentreibstoff oder Kabelisolationen. Er setzte dem Split eine Vielzahl der unwahrscheinlichsten Stoffe vor, aber das Sehvermögen des Braunen wurde zusehends schlechter, die Haare gingen ihm in Büscheln aus, und es wimmerte herzzerreißend vor sich hin. Eines Tages hörte es überhaupt zu essen auf. Am nächsten Tag war es tot.
Horvath war außer sich vor Zorn und Enttäuschung.
Blaine übernahm es, das Split-Schiff zu verständigen. Das sanft grinsende braunweiße Split, das sich meldete, konnte nur Horvaths Fjunch(klick) sein, obwohl es Blaine schwergefallen wäre zu sagen, woher er das wusste. »Ist mein Fjunch(klick) erreichbar?« fragte Rod. Mit Horvaths Split fühlte er sich nicht so recht wohl. »Leider nein, Kapitän.«
»Also gut. Ich rufe an, weil ich euch sagen muss, dass das Braune, das wir in unserem Schiff hatten, gestorben ist. Ich weiß nicht, was das für euch bedeutet, aber wir haben ganz bestimmt unser Bestes gegeben. Sämtliche Wissenschaftler der Mac Arthur haben versucht, ihm zu helfen.«
»Davon bin ich überzeugt, Kapitän. Es macht nichts. Können wir die Leiche haben?«
Rod überlegte kurz. »Das geht leider nicht.« Er hatte keine Ahnung, was die Splits möglicherweise von der Leiche eines Wesens erfahren konnten, das selbst in lebendigem Zustand keinerlei Verständigungsfähigkeiten gezeigt hatte — aber vielleicht begann er von Kutuzov zu lernen. Konnten unter dem Fell etwa mikroelektronische Tätowierungen sein …? Und warum bedeutete der Tod des Braunen den Splits so wenig? Das war natürlich etwas, wonach er gewiss nicht fragen konnte. Man musste froh sein, dass sie nicht verärgert oder zornig waren. »Bitte richte meinem Fjunch(klick) Grüße von mir aus.«
»Ich habe auch eine schlechte Nachricht«, sagte Horvaths Split. »Kapitän, Sie haben kein Fjunch(klick) mehr. Sie hat den Verstand verloren.«
»Was?« Rod war mehr erschüttert, als er sich vorgestellt hätte. »Den Verstand verloren? Warum? Weshalb? Wie?«
»Kapitän, ich glaube, Sie können sich nicht vorstellen, welcher Belastung sie ausgesetzt war. Es gibt Splits, die Befehle erteilen, und Splits, die Werkzeuge herstellen und richten. Wir gehören zu keiner Art. Wir sind Vermittler. Wir können uns mit einem Befehlsgeber identifizieren, das ist keine Belastung für uns, aber mit einem fremdartigen Befehlsgeber? Es war zu viel für sie. Als Ihr Fjunch(klick) hat sie — wie soll ich es ausdrücken? Es war Meuterei. Euer Wort ist ›Meuterei‹. Wir haben kein solches Wort.
Sie befindet sich in sicherem Gewahrsam, und es geht ihr gut, aber es ist am besten für sie, wenn sie nie wieder mit Fremden spricht.«
»Ich verstehe. Danke«, sagte Rod. Er sah zu, wie das sonderbar lächelnde Gesicht auf dem Bildschirm verblasste, und blieb reglos sitzen. Gut fünf Minuten später seufzte er und begann Berichte an die Lenin zu diktieren. Ihm war zumute, als hätte er einen Teil von sich selbst verloren und wartete nun darauf, ihn wiederzubekommen.