Zweiter Teil Die Händler

1. Aufbruch aus der Stadt

Gleich früh am Morgen packten wir unsere Sachen. Wir wollten nur das Nötigste mitnehmen, selbst wenn wir marschierten und nicht flogen. Wir wählten die besten Waffen (das tat Len), warme und gute Kleidung sowie ein wenig Proviant. Und natürlich ein paar neue Flügel für jeden von uns, auf Vorrat.

Die Händler erreichten die Stadt am Mittag. Langsam näherte sich die Karawane dem Platz, die Begleitsoldaten brachten die Tiere dazu, sich hinzulegen, der Händler trat an die auf ihn wartenden Erwachsenen heran und fing gleich mit dem Feilschen an.

Das ist natürlich nur so dahergesagt: Feilschen. Im Grunde diktierte er den Erwachsenen seine Bedingungen, denn diese hatten keine große Wahl. Der Händler schlug vor, ihnen die Hälfte seiner Waren zu überlassen – Lebensmittel, Stoffe und Waffen –, wenn im Gegenzug zehn junge Männer in den Dienst irgendeines Herzogs aus einer anderen Welt träten. Dabei betonte der Händler, dass es in dieser anderen Welt eine Sonne gebe und die Männer Flügel erhielten, die das Gewicht von Erwachsenen tragen könnten. Dann könnten sie wieder wie in der Kindheit fliegen.

Es gab ziemlich viele Freiwillige. Die Erwachsenen stritten sich sogar, einigten sich am Ende aber doch. Wenn ich es richtig verstand, durften sie nach fünf Jahren zurückkehren, konnten aber auch versuchen, bei jemand anderem anzuheuern beziehungsweise den Dienst beim Herzog noch um weitere fünf Jahre zu verlängern, wobei sie dann nicht umsonst arbeiten müssten, sondern sogar Geld bekämen. Prompt versicherten die meisten Männer, sie würden nach fünf Jahren bestimmt zurückkehren. Das nahm ich ihnen aber nicht ab. Die anderen übrigens auch nicht. Wer würde denn schon die Sonne, Flügel und den Dienst in der Garde eines Herzogs gegen eine dunkle, düstere Welt eintauschen, in der man nicht fliegen kann?

Nachdem die Erwachsenen alles ausgehandelt hatten, luden sie die Hälfte der Waren ab. Das war für uns die Gelegenheit, um an den Händler heranzutreten.

»Wir wollen für Sie arbeiten«, fing ich an.

»Das hätte ich nie für möglich gehalten«, meinte der Händler erstaunt und zog beide Augenbrauen hoch. »Schließlich begegnest du uns nicht gerade mit Respekt, mein Junge.«

»Wir wollen auch nicht lange in Ihren Diensten bleiben«, erklärte ich ihm. »Nur bis wir in Ihrer Stadt sind.«

»Ach ja?« Der Händler schien sich gar keine Mühe zu geben, seine Belustigung zu verbergen. »Und dann?«

»Das entscheiden wir vor Ort. Aber ich glaube, für Flügelträger wird sich auch dort Arbeit finden.«

»Könnte durchaus sein«, meinte der Händler mit einem Kopfnicken. »Weißt du, mein Junge, ich habe den Eindruck, du siehst in uns deine Feinde. Aber genau deshalb werde ich auf dein Angebot eingehen.«

»Glauben Sie etwa, wir werden die Händler dann lieben?«

»Das nicht unbedingt. Aber wir haben so wenig Feinde, dass ich die wenigen lieber im Auge behalten möchte.«

»Eine ehrliche Antwort«, räumte ich ein.

»In unserem Metier lohnt es sich nicht, zu lügen.« Der Händler streckte die Hand aus, als wollte er mir über den Kopf streicheln. Als ich zurückwich, tat er so, als wäre nichts geschehen. »Ich glaube nicht, dass ihr unterwegs etwas zu tun bekommt. Aber trotzdem biete ich euch einen Lohn an: fünf Taler für jeden. Das ist gutes Geld.«

»Sieben Taler für jeden«, verlangte ich. Erstaunt blickte mich der Händler an. »Sieben«, wiederholte ich. »Ich kann schließlich feilschen.«

»Das bezweifle ich zwar, aber von mir aus sechs für jeden.«

»Abgemacht!« Ich streckte die Hand aus und der Händler schlug mit ernster Miene ein.

»In zwei Stunden ziehen wir weiter. In eurer Stadt wollen wir uns nicht lange aufhalten, wir haben es nämlich eilig. Seht zu, dass ihr pünktlich seid, denn ich werde nicht auf euch warten… Kann ich dir noch eine Frage stellen?«

»Natürlich.«

»In den Bergen hast du keine Binde vor den Augen getragen. Wozu brauchst du sie da in der Stadt?«

Das brachte mich total aus dem Konzept. Ich hatte völlig vergessen, dass ich das Ding in den Bergen abgenommen hatte. Bestimmt sah ich jetzt ziemlich bescheuert aus: Ein Junge mit einer Art Blindenbinde, der sich so verhielt, als könne er alles sehen… Ob ich ihm antworten sollte, das sei ein Spiel von uns? Aber was gab es hier schon für Spiele, von Flügelträger und Freiflieger mal abgesehen? Ich spähte umher, um mich zu vergewissern, dass kein Städter in der Nähe war. Dann zog ich die schwarze Binde ab. »Ist es so besser?«

»Wozu brauchst du die Binde?«

Ich antwortete nicht. Stattdessen schaute ich ihm ins Gesicht – mit meinem Wahren Blick. Doch noch bevor ich mir den Händler genau ansehen konnte, erzitterte dieser, als hätte er einen Schlag gekriegt, kramte hastig eine dunkle Brille aus seiner Jackentasche und setzte sie sich auf. Es war eine Art Sonnenbrille, mit verspiegelten Gläsern.

Durch diese Brille konnte ich nicht hindurchsehen.

»Ist es so besser?«, wiederholte der Händler meine Frage.

»Nein«, antwortete ich und band mir das schwarze Tuch wieder vor die Augen.

»Ich bedaure schon jetzt, dass ich mit dir handelseinig geworden bin«, sagte der Händler. »Bist du vielleicht einverstanden, wenn wir unsere Abmachung wieder vergessen?«

Na, der legte ja eine recht lockere Haltung an den Tag, wenn es darum ging, sein Wort zu halten!

»Nein, damit wäre ich nicht einverstanden!«

»Na gut. Wir brechen in zwei Stunden auf.« Der Händler drehte sich um und lief die Karawane ab. Wie er wohl in der Finsternis etwas sehen konnte? Mit dieser schwarzen Brille auf der Nase! Und wie hatte er das vorhin geschafft, ohne die Brille?

»Wir holen besser gleich unsere Sachen, Len«, sagte ich.

»Wir haben doch noch zwei Stunden…«

»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Legen wir lieber einen Zahn zu!«

Wir rasten nach Hause. Dort schulterten wir die Rucksäcke (Len stopfte sich auch noch den Kater unters Hemd, denn ihn sollte vorläufig niemand zu Gesicht kriegen) und rannten zurück. Die Karawane setzte sich bereits in Bewegung. Die Begleitsoldaten – und zwar die alten wie auch die frisch angeheuerten – traten die Büffel, damit sie sich erhoben. Der Händler erläuterte den Erwachsenen etwas, die daraufhin erstaunt wirkten. Seine Frau und seine Tochter wanderten bereits die Straße hinunter, die aus der Stadt hinausführte, fast als wollten sie den anderen den Weg zeigen. Ich winkte dem Händler zu. Der tat so, als hätte er mich nicht bemerkt, verabschiedete sich von einigen Erwachsenen per Handschlag und folgte der Karawane.

»Len, komm!«, befahl ich.

»Meinst du nicht, wir sollten fragen, ob wir irgendwie helfen können?«

»Du bist ein schlechter Soldat, Len. Wer halst sich denn freiwillig Arbeit auf? Keine Angst, dieser Typ mit der schwarzen Brille hat uns nicht vergessen. Im Gegenteil, er denkt gerade an nichts anderes als an uns. Gehen wir!«

Wir hetzten der Karawane hinterher, wobei wir mit aller Gewalt den Wunsch unterdrückten, uns in die Luft zu erheben. Niemand verabschiedete sich von uns. Len winkte allerdings ein paar Jungen zu und erklärte mir, Iwons Junior stehe mitten in der Menge mit fassungsloser Miene. Wahrscheinlich dachte er an seinen blamierten Senior.

An den ersten drei Tagen bekamen wir überhaupt nichts zu tun. Die Karawane zuckelte über die Bergpfade, alle paar Stunden machten wir fünfzehn Minuten Pause. Mittags legten wir eine zweistündige Rast ein, außerdem billigte der Händler allen zehn Stunden Schlaf zu. Die Begleitsoldaten, die von Anfang an mit der Karawane unterwegs gewesen waren, beachteten uns kaum. Sie unterhielten sich nur miteinander, sprachen über Bekannte aus der Stadt – vermutlich die Stadt der Händler – und diskutierten darüber, wohin sie als Erstes gehen würden, wenn sie wieder nach Hause kämen. Die Erwachsenen aus unserer Stadt gaben sich schon freundlicher. Die ganze Zeit über sahen sie mich erstaunt an, denn ich hatte die schwarze Binde nicht abgenommen. Es sprach mich jedoch niemand darauf an.

Abends wurden die Zelte aufgebaut, die Händler und die Soldaten zogen sich in ihre Zelte zurück, abgesehen natürlich von denen, die Wache hielten. Die Männer aus unserer Stadt schlugen zwar ebenfalls Zelte auf, saßen jedoch die halbe Nacht zusammen in einem, wo sie schweren Wein aus einem Lederschlauch tranken, den der Händler ihnen jeden Abend aushändigte. Ihre Gespräche liefen immer wieder auf dieselben Themen hinaus: Wie toll sie damals hatten fliegen können, dass sie in ihrer Jugend wussten, was sie wert waren, und dass sie sich, sobald sie genügend Geld zusammenhätten, ein Häuschen an dem sonnigsten Fleckchen bauen würden, das man sich vorstellen kann. Dass sie irgendwann zurückkehren würden – das erwähnte keiner von ihnen.

Len und ich saßen auch bei den Erwachsenen, still und ein wenig abseits, und lauschten ihren Gesprächen. Sie behandelten uns freundlich, womöglich sogar mit Respekt. Mir wurde erst nach einer Weile klar, dass sich die Erwachsenen ihren eigenen Reim darauf machten, weshalb wir aus der Stadt weggingen. Sie glaubten, wir hätten es satt, gegen die Freiflieger zu kämpfen, und wollten nicht auf das Alter warten, wo man normalerweise mit den Händlern in eine neue Welt aufbricht, sondern schon jetzt unser Glück versuchen.

Den Sonnenkater versteckten wir nicht vor ihnen. Er tat allerdings so, als wäre er ein ganz normaler Kater, er sprach und flog nicht und ließ sein Licht so schwach wie möglich leuchten. In der Stadt hatte es auch Katzen gegeben, und deshalb verdächtigte niemand unseren Kater, ein Zauberer zu sein.

Nachdem wir die Erwachsenen verlassen und uns in unser Zelt begeben hatten, hielten wir einen kleinen Kriegsrat ab. Im Grunde gab es jedoch nichts, was wir durch Reden klären konnten. Wohin wir gingen, wussten wir immer noch nicht. Vor wem wir die Karawane eigentlich beschützen sollten – auch nicht. Die gesamte Familie des Händlers trug jetzt ständig schwarze Brillen, sodass wir sie nicht mit dem Wahren Blick sondieren konnten. Ich hatte mir die Soldaten mit dem Wahren Blick angesehen, dabei aber nichts bemerkt, was uns weitergeholfen hätte – denn hinter ihrer Fassade gab es absolut nichts zu entdecken. Bisher hatte ich immer gedacht, es sei gut, wenn man sein Wesen nicht versteckt, jetzt verstand ich jedoch: Wenn ein Mensch gar kein Geheimnis in sich trägt, weder ein gutes noch ein schlechtes, wirkt er am Ende wie tot.

Am dritten Tag passierte dann endlich was. Zuerst wurden die Begleitsoldaten unruhig. Irgendwann liefen zwei von ihnen weit voraus, kontrollierten alle verdächtigen Punkte entlang des Pfads, während drei andere den Himmel aufmerksam mit Blicken absuchten. Der Händler ging zu den Erwachsenen aus unserer Stadt, sprach mit ihnen und gab anschließend jedem fünf Taler, bei denen es sich um große, runde Scheiben aus einem durchsichtigen Stein handelte, vielleicht Kristall. Die Männer holten ihre Waffen heraus und mischten sich unter die Soldaten der Karawane.

Dann kam der Händler zu mir.

»Wird Zeit, dass ihr euer Geld verdient«, erklärte er mir anstelle einer Begrüßung.

»Dann bezahl uns erst«, erwiderte ich schulterzuckend.

Ohne jeden Widerspruch händigte der Mann mir zehn Taler aus, denen er nach kurzem Zögern zwei weitere hinzufügte. Ich steckte sie in die Tasche des Flügeloveralls. »Und wo sind sie gültig?«, wollte ich wissen.

»In unserer Stadt«, antwortete der Händler, der sich nicht im Geringsten über die Frage wunderte. »Seid ihr einsatzbereit?«

»Ja.«

»Wir kommen jetzt an ein sumpfiges Tal. In seiner Mitte liegt eine kleine Insel, auf der ein Turm steht.«

»Ein Turm der Freiflieger?«

»Ja. Wenn die Karawane den Rand des Tals erreicht, werden die Freiflieger zu uns herüberkommen und ich werde mit ihnen verhandeln. Normalerweise bereiten sie uns keine bösen Überraschungen, aber Vorsicht ist trotzdem angebracht. Deshalb möchte ich, dass ihr beide, du und dein Partner, den Weg durch das Tal überprüft. Das sind etwa zehn Kilometer. Überzeugt euch, dass wir nicht in einen Hinterhalt laufen. Danach kommt ihr beide zurück und passt auf meine Familie auf. Die Freiflieger dürfen euch nicht sehen.«

»Sie handeln also auch mit denen«, stellte ich fest.

»Andernfalls würde uns kein Schutz der Welt helfen. Darüber hinaus lohnt es sich für einen Kaufmann, mit allen Geschäfte zu machen. Das ist nun einmal mein Beruf.«

Es wäre dumm gewesen, es in dieser Situation auf einen Streit anzulegen. Und noch dümmer, ihm seine Profitgier vorzuhalten. Deshalb hüllte ich mich einfach in Schweigen.

»Noch eine Frage, mein Junge. Woher hast du den Wahren Blick?«

»Den haben Sie bemerkt?«, fragte ich zurück.

Der Händler nahm die Brille ab und fuchtelte damit herum. »Das ist Glas, in dem die Finsternis gefangen ist. Bei Licht kannst du mit dieser Brille überhaupt nichts sehen, dafür aber in der Dunkelheit umso besser. Außerdem bemerkst du die dunkle Seite der Menschen damit ganz hervorragend.«

»Dann haben Sie mich sondiert?«, fragte ich verärgert.

»Ich habe es versucht. Doch in deinen Augen liegt Wahres Licht, und das macht mich blind. Vermutlich stört die Finsternis in meiner Brille dich ebenfalls.«

Mit einem Mal brachte ich ihm eine Art Respekt entgegen. »Stimmt. Und deshalb traue ich Ihnen auch nicht.«

»Das ist dein gutes Recht. Es hat immer wieder Menschen gegeben, die uns, die Händler, für alles Unglück verantwortlich gemacht haben. Sie sind in unsere Stadt gekommen, um dort das Böse aufzuspüren, aber… Aber davon kannst du dich bald mit eigenen Augen überzeugen. Lass dir nur eines gesagt sein: Die Meinung, die du dir über uns gebildet hast, stimmt nicht.«

»Woher haben Sie die Brille?«, hakte ich nach. »Stellen die Freiflieger sie her?«

»Richtig. Und ich handle ja mit den Freifliegern. Gegenstände trifft nie die Schuld für irgendetwas und diese Brille der Finsternis kannst du für sehr gute Zwecke einsetzen. Ich würde auch mit Wahrem Licht handeln, wenn es in dieser Welt noch welches gäbe…«

»Es gibt ja wohl nur deshalb keines mehr, weil Sie es verkauft haben!«, schrie ich.

Daraufhin machte ich auf dem Absatz kehrt und stapfte zu Len. Der Händler mit seiner Moral konnte mir gestohlen bleiben! Ich handle mit allem, was Profit bringt! Gegenstände trifft nie die Schuld für irgendetwas! Den Quatsch bekamen wir auf der Erde auch zu hören, wenn Leute Waffen oder Drogen verkauften! Aber gut: Wenn wir erst mal in ihrer Stadt waren, würden wir schon alles rauskriegen!

»Len!«, rief ich, als ich meinen Junior sah. »Willst du deine eingerosteten Glieder etwas lockern?«

»Du willst fliegen?« Er lächelte unsicher.

»Ja. Unser werter Chef hat einen Auftrag für uns.«

Ohne weitere Fragen zu stellen, breitete Len die Flügel aus und erhob sich in die Luft. Mir entgingen die Blicke nicht, mit denen die Erwachsenen ihm nachsahen. Es wunderte mich nicht: Ich an ihrer Stelle wäre auch vor Neid geplatzt.

Indem auch ich die Flügel ausbreitete, eilte ich Len nach. Im Flug riss ich mir sofort das schwarze Tuch von den Augen, stopfte es in die Tasche und spähte umher. Nachdem ich einen günstigen Luftstrom entdeckt hatte, ließ ich mich von ihm tragen.

»Wohin fliegen wir?«, fragte Len, nachdem er sich durch allerlei Luftlöcher gekämpft hatte und zu mir aufschloss.

»Wir checken den Karawanenpfad. Er führt zu einem Tal, wo…«

»… wo ein Turm der Freiflieger steht!«, schrie Len entsetzt.

»Ich weiß. Aber genau da will der Händler hin. Hast du etwa geglaubt, er würde den Rest seiner Waren in eine andere Stadt bringen? Oh nein! Das ist alles für die Freiflieger!«

Len sagte kein Wort mehr und flog den Pfad ab. Ich folgte ihm. Wir hielten uns tief, nur etwa zwanzig Meter überm Boden, um alle Spalten in den Felsen erkennen zu können. Einen Hinterhalt machten wir nicht aus. Mir war das sofort klar geworden, denn mit meinem Wahren Blick hätte ich die in Finsternis gehüllten Freiflieger selbst dann entdeckt, wenn sie sich versteckt hätten.

Als wir aus der Schlucht herauskamen, durch die der Pfad führte, lag vor uns der Sumpf. Genauer gesagt ein Tal, in dem eine dreckige Brühe stand, von der ein scharfer Geruch aufstieg, den wir sogar oben in der Luft rochen.

»Da drüben ist der Turm der Freiflieger«, sagte Len und drosselte das Tempo. Wir schwebten nebeneinander. Ich suchte die Gegend vor uns ab – und sah zum ersten Mal in meinem Leben eine Behausung der Freiflieger.

Mitten im Sumpf lag eine kleine, felsige Insel. Auf ihr erhob sich ein schmaler Turm, der aus dem gleichen grauen Gestein errichtet worden war. Er wirkte gar nicht so düster und dürfte an die vierzig Meter hoch gewesen sein. An der Turmspitze befand sich ringsum eine schmale Plattform, von der aus die Freiflieger vermutlich starteten.

Langsam flogen wir näher. Der Turm wirkte wie tot. Erst als uns nur noch zwanzig Meter von ihm trennten, entdeckte ich die schmalen Fenster. Vielleicht waren das aber auch Schießscharten. Aus ihnen quoll Finsternis.

»Lass uns zurückfliegen, Len«, flüsterte ich. Der Anblick des Turms brachte mich halb um den Verstand.

»Sollen wir denn nicht angreifen?«, fragte Len mit bebender Stimme.

»Wozu das? Der Händler will sich doch gar nicht mit denen anlegen, er hat bloß einen Hinterhalt befürchtet.«

»Aber wir… wir kämpfen doch gegen sie!«

»Len, die Einnahme von einem einzigen Turm entscheidet nicht über Sieg und Niederlage in diesem Krieg. Wie viele Freiflieger hocken wohl da drin?«

»Ich weiß nicht. Manchmal leben sie allein, manchmal zu mehreren…«

Von dem Turm ging Kälte aus. Außerdem spürte ich einen Blick, einen finsteren Blick voller Hass, der die Nacht durchbohrte. Als ob in einer der Schießscharten die schwarze Brille des Händlers funkeln würde.

»Fliegen wir zurück!«, schrie ich und machte kehrt. Len schlug mit den Flügeln und stieg höher. Gerade rechtzeitig. Aus der Schießscharte, in der ich diesen Blick wahrgenommen hatte, pfiff ein kurzer Pfeil heraus. Er hätte Len getroffen, wenn der nicht eben seine Position gewechselt hätte, und segelte dann in den Sumpf.

Mit einer Höllengeschwindigkeit schossen wir vom Turm weg. Auch Len hatte jetzt offensichtlich genug. Diesmal passte er sogar geschickt einen Luftstrom ab – fast als hätte ihm die Angst den Wahren Blick verliehen – und ich holte ihn erst über den Felsen wieder ein. Mit angelegten Flügeln jagten wir über die Schlucht zurück zur Karawane.

»Wie ich die hasse!«, rief Len mir zu. »Ich hasse sie einfach, Danka! Meinst du, dass sie sterben, wenn wir das Licht wiederhaben?«

»Ich weiß es nicht«, rief ich zurück. »Vielleicht können sie rechtzeitig abhauen. Vielleicht sterben sie aber auch. In ihnen wohnt die Finsternis, deswegen müssen sie das Licht fürchten…«

Im Gleitflug landeten wir mitten in der Karawane. Ich bemerkte, dass einige der Begleitsoldaten mit ihrer Armbrust auf uns zielten, zumindest so lange, bis sie uns als Flügelträger erkannten.

Der Händler kam mit raschen Schritten auf uns zu.

»Die haben aus dem Turm heraus auf uns geschossen!«, fuhr Len ihn an. »Und Sie wollen mit denen Geschäfte machen!«

»Weshalb seid ihr überhaupt in die Nähe des Turms geflogen?«, wollte der Händler wissen. »Das habe ich nicht von euch verlangt, Jungs. Ihr solltet lediglich den Pfad überprüfen.«

Len gab klein bei. Flügelträger schienen es mit der Disziplin ja sehr genau zu nehmen.

»Ich fürchte, damit habt ihr ein großes Probleme heraufbeschworen«, fuhr der Händler fort. »Aber gut, das lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Du, Junior, wirst auf meine Tochter aufpassen, und du…« Er nickte mir zu. »… auf meine Frau.«

Diese Aufteilung sollte mir recht sein. Rasch zogen Len und ich uns zurück, damit wir uns nicht noch weitere Kritik einfingen. Len blickte noch einmal wütend zu dem Händler hinüber, der bereits mit den Soldaten sprach, knöpfte den Flügeloverall auf und holte den Sonnenkater heraus.

»Sieh an, du hast uns Gesellschaft geleistet!«, sagte ich verblüfft.

»Du staunst?«, erwiderte der Kater mürrisch, nachdem er auf den Boden gesprungen war. »Ich habe auch gestaunt – als jemand ohne mein Einverständnis in die Luft stieg und mich dabei immer noch im Overall trug. Mir blieb nichts anderes übrig, als euch zu begleiten, mich an der Landschaft zu ergötzen, an den sumpfigen Düften und eurem rasanten Rückflug.«

»Tut mir leid«, murmelte Len verlegen. »Aber was sollen wir denn jetzt machen?«

»Genau das, was der Händler euch befohlen hat. Schließlich steht ihr in seinen Diensten. Und mir gönnt unterdessen das Vergnügen, mich ein wenig aus eigener Kraft zu bewegen.«

Der Sonnenkater schlängelte sich zwischen den gemütlich trottenden Tieren hindurch und verschwand in die Berge. Doch wie sehr er sich auch anstrengen mochte, sein Fell leuchtete immer noch ein wenig. Nur gut, dass im Moment alle beschäftigt waren.

»Gehen wir, Junior«, sagte ich. »Kümmern wir uns um den Schutz von Frauen und Kindern!«

»Du hast gut reden«, zischte Len. »Diese… Händlertusse… die wird dich nicht mal anschauen! Aber die Tochter wird mir schon nach fünf Minuten zum Hals raushängen.«

Doch da sollte Len sich irren. Keine Ahnung, wie schnell er von dem Mädchen die Nase voll hatte, aber mir raubte die Frau des Händlers in kürzester Zeit den letzten Nerv.

Als ich zu ihr kam, legte sie gerade ihre Waffen an. Aus einem Beutel hatte sie ein kurzes, breites Schwert ohne Scheide gezogen, das sie an einer Schlaufe ihres Gürtels befestigte. Anschließend betrachtete sie nachdenklich zwei Dolche. Offenbar wog sie ab, welches der bessere sei.

»Ich werde für Ihren Schutz sorgen«, erklärte ich ihr, wobei ich selbst merkte, wie dämlich meine Worte klangen.

Die Händlerin sah mich an, knüpfte beide Dolche an ihren Gürtel und antwortete: »Wenn du meinst.«

Wie ein absoluter Vollidiot trottete ich hinter ihr her. Nach ein paar Schritten drehte sich die Frau noch mal zu mir um. »Wie alt bist du, mein Junge?«, fragte sie.

»Dreizehn.«

»Da musst du ja schon eine ungeheure Kampferfahrung haben, oder?«

»Nein, noch nicht so viel.«

»Gibt es denn nicht etwas, das du lieber machen möchtest als kämpfen?«

»Ja, den Befehl verweigern!«, stieß ich hervor.

»Oho!« Die Händlerin brach in Gelächter aus. »Du bist nicht ohne, junger Mann. Hat Reata auch so einen Beschützer?«

»Was?« Ich begriff nicht, wovon sie redete.

»Reata. Meine Tochter. Hat sie auch Schutz bekommen?«, wiederholte die Frau, als spreche sie mit einem Schwachkopf.

»Ja. Len passt auf sie auf.«

»Kinder…«, seufzte sie mitleidig. »Dabei müsste man doch eigentlich auf euch aufpassen… Lassen eure Mütter euch denn einfach so ziehen?«

»Was geht Sie das an?«, giftete ich. »Spielen Sie hier nicht die große Wohltäterin! Unser Blut, das ist es doch, wovon ihr Händler dick und fett werdet! Am liebsten würde ich euch allen ins Gesicht spucken!«

»Du armer Junge!«, sagte die Frau. »Keine Sorge, ich nehme dir das nicht übel.«

Sie ging weiter, ich stapfte ihr nach, wobei ich auf sie, mich selbst und sogar auf Len wütend war. Es dauerte ewig, bis die Karawane die Schlucht durchquert hatte und endlich am Rand des Sumpfs haltmachte. Freiflieger waren nirgends zu entdecken. Wir warteten.

»Warum trägst du eine so merkwürdige Brille?«, fragte mich die Frau plötzlich. Im ersten Moment begriff ich nicht mal, dass sie das schwarze Tuch meinte, das ich mir vor die Augen gebunden hatte. Es erinnerte wirklich an die Brillen der Flügelträger, nur dass du eben nichts dadurch siehst.

»Das ist das neueste Modell«, behauptete ich. »Das haben wir selbst entwickelt, ohne eure Hilfe.«

»Und kann man damit gut in der Dunkelheit sehen?«

»Ganz hervorragend! Wie können Sie eigentlich ohne Ihre schwarze Brille sehen?«

»Ich trage Linsen«, erklärte mir die Frau. »Sie funktionieren wie eine Brille, werden aber direkt auf das Auge gesetzt.«

»Ich weiß, was Kontaktlinsen sind«, erwiderte ich. Insgeheim war ich etwas enttäuscht: Mehr steckte also nicht hinter dem Sehvermögen der Händler!

Die Frau sah mich verwundert an, sagte jedoch kein Wort. Schließlich wandte sie sich dem Turm zu.

»Offenbar kommen sie jetzt zu uns… Siehst du sie auch?«

Das tat ich. Die verschwommenen Schatten der Freiflieger ließen sich von der Turmspitze in die Tiefe fallen, breiteten die Flügel aus und steuerten auf uns zu. Normalerweise hätte ich sie noch nicht erkennen können, dazu stand der Turm zu weit weg, doch ich hielt mit dem Wahren Blick Ausschau…

Es waren mindestens ein Dutzend. Jeder hielt einen funkelnden Metallgegenstand in Händen… Nein, das stimmte nicht ganz: Dieser Gegenstand schien zu funkeln, gleichzeitig aber auch völlig schwarz zu sein. Was war das schon wieder für ein Teufelsding?

»Fliegen die immer mit ihren Schwertern in der Hand?«, fragte ich mit zittriger Stimme.

»Manchmal schon«, antwortete die Frau. »Du brauchst keine Angst zu haben.«

»Die haben aber seltsame Schwerter«, meinte ich, ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass meine Unwissenheit verdächtig wirken könnte. »Als wären sie aus… blendender Dunkelheit gemacht…«

»Was sagst du da?!« Die Frau des Händlers packte mich bei den Schultern, starrte mir ins Gesicht und war anscheinend kurz davor, mir das schwarze Band runterzureißen. Dann wandte sie sich wieder ab. »Sie tragen die Schwerter der Finsternis!«, schrie sie. »Sie greifen an! Zu den Waffen!«



2. Die Entscheidung

Als die Freiflieger über die Karawane herfielen, wusste ich nicht, was ich eigentlich tun sollte. Jemanden beschützen – das sagt sich so leicht! Wie sollte das aussehen, im Falle eines Angriffs aus der Luft? Sollte ich selbst hochfliegen? Aber wenn ich knapp über dem Boden herumschwirren würde, böte ich das ideale Ziel für die Freiflieger. Wenn ich dagegen höher steigen würde, bliebe die Frau des Händlers ohne Deckung.

Und egal, wie sauer ich auf sie war, sie blieb nun mal ein Mensch – den zu verteidigen ich versprochen hatte.

Deshalb blieb ich einfach neben ihr stehen. Die Begleitsoldaten und die Männer aus der Stadt schossen mit ihren Armbrüsten auf die Feinde. Besonders viel brachte das nicht, es war schwer, mit diesen klobigen Pfeilen ein bewegliches Ziel am Himmel zu treffen. Immerhin trauten sich die Freiflieger nicht näher an uns heran. Sobald sie versuchten, die Packsäcke von einem der Tiere zu ziehen, wurden sie sofort von mehreren Männern angegriffen. Die Tiere selbst reagierten nicht auf den Angriff; vermutlich hatte man ihnen beigebracht, nicht vor den Freifliegern zu erschrecken. Langsam beruhigte ich mich wieder, denn offenbar hatten die Freiflieger nur ein Ziel: ein paar Säcke mit Waren zu klauen.

Die Frau des Händlers war aber wohl anderer Ansicht. Kampfbereit stand sie da, das blanke Schwert mit beiden Händen gepackt. »Junge, wo ist Reata?«, schrie sie.

»Woher soll ich das wissen?«

»Wo sind Reata und dein Freund? Finde sie!«

»Ich habe den Befehl, Sie zu beschützen«, antwortete ich. In dem Moment sah ich, wie zwei Schatten vom Himmel auf uns herunterschossen. »Achtung! Weg!«

Wir stürzten in unterschiedliche Richtungen davon und zwischen uns setzten die Freiflieger hart auf dem Boden auf. Sie trugen Masken vorm Gesicht, sodass ich nicht erkennen konnte, wie alt sie waren. Ihrem Körperbau nach mussten sie aber schon erwachsen sein.

»Keinen Widerstand!«, warnte mich der Freiflieger, der auf mich zukam. »Macht, was wir sagen!«

Der andere trat an die Frau des Händlers heran. Ihr furchtloses Lächeln und die Geschicklichkeit, mit der sie das Schwert bewegte, signalisierten mir jedoch, dass die Freiflieger kein leichtes Spiel mit ihr haben würden. Ich breitete die Flügel aus und stieg in die Luft.

Darauf hatte mein Gegner anscheinend nur gewartet. Mit einem seltsamen, lang gezogenen Schrei setzte er mir nach. Er schlug heftig, aber ungeschickt mit den Flügeln und kämpfte sich durch den Abwind. Was für ein Idiot! Ich zückte mein Schwert und attackierte meinen Feind.

Er quittierte meinen Angriff mit seiner Klinge aus lodernder Finsternis. Mit einer verzweifelten Bewegung fuhr ich herum, sodass das Schwert des Freifliegers zum Glück nur den linken Flügel traf.

Niemals hätte ich vermutet, dass du den Schmerz eines verletzten Flügels spürst! Mir kam es vor, als ob das Schwert der Finsternis direkt meinen Arm getroffen hätte und meine Schulter abgesäbelt worden wäre! Mit letzter Kraft stieg ich höher, brachte einen sicheren Abstand zwischen mich und den Freiflieger und riss mir das schwarze Tuch von den Augen. Jetzt musste mir der Wahre Blick uneingeschränkt zur Verfügung stehen!

Der Freiflieger nahm entschlossen die Verfolgung auf. Allerdings befand er sich in einer miserablen Position, nämlich unter mir. Dafür konnte wiederum mein Schwert mit seiner Monsterwaffe nicht mithalten. Ich breitete die Flügel aus und starrte den Freiflieger an, wobei ich versuchte, seine Bewegungen zu erahnen. Unsere Blicke trafen sich.

Mit einem entsetzten Schrei ließ der Freiflieger sein Schwert fallen, hielt sich die Hände vors Gesicht und stürzte in die Tiefe. Erst kurz über dem Boden breitete er die Flügel aus und flog unsicher und ruckelnd über den Sumpf zum Turm.

Ich jagte ihm nicht nach. Stattdessen eilte ich der Frau des Händlers zu Hilfe. Aber sie schien meine Hilfe nicht zu brauchen. Mit ihrem kurzen Schwert wehrte sie jeden Schlag des Freifliegers ab. Der stolperte bereits zurück. Als er das Schlagen meiner Flügel hörte, drehte er sich nach mir um. Prompt griff die Frau des Händlers nach einem ihrer Dolche und warf ihn nach ihrem Gegner.

Leise aufwimmernd schlug der Freiflieger mit den Flügeln, als wolle er sich gleich in die Luft erheben. Das gelang ihm jedoch nicht. Wie ein Sack Kartoffeln plumpste er zu Boden. Die Klinge war ihm zwischen den Schulterblättern eingedrungen. Ich hatte den Eindruck, als würde aus seiner Wunde wässriger Rauch aufsteigen. Der Freiflieger krampfte sich zitternd zusammen und verstummte.

Genau in diesem Moment erfüllte Flügelschlagen die Luft. Die Freiflieger, die bis eben noch mit den Soldaten gekämpft hatten oder als schweigende Schatten tief über der Erde gekreist waren, stiegen nun alle zugleich auf und zogen sich zum Turm zurück.

»Es ist doch immer dasselbe«, meinte die Frau mit ruhiger Stimme. »Man braucht bloß einen von ihnen auszuschalten, dann geben sie auf…«

Ich sah erst sie an, dann den toten Freiflieger. Der schien zu verschrumpeln, mit dem Boden zu verwachsen, seine aus Finsternis bestehenden Flügel fielen ab und legten sich in weichen Falten um den Körper.

»Haben Sie etwa schon mal gegen sie gekämpft?«, fragte ich erstaunt.

»Ja. Gleich versteinert er.«

»Was?«

»Er verwandelt sich in einen Stein. Du hast mir gut beigestanden, mein Junge. Wie heißt du eigentlich?«

»Danka.«

»Diesen Namen habe ich noch nie gehört. Ich bin Garet.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, brummte ich, während ich den abziehenden Freifliegern nachsah. Die Männer um uns herum riefen sich laut etwas zu, jemand lachte. Offenbar hatten wir keine Verluste zu verzeichnen.

»Sie fliegen nicht gerade rasant davon, diese Mistkerle«, sagte die Frau des Händlers. »Bestimmt schleppen sie sich mit ein paar Packsäcken ab!«

»Und was passiert jetzt?«, fragte ich.

»Wir warten, bis sie zurückkommen, um das eigentliche Geschäft mit ihnen abzuschließen.«

Mir blieb die Luft weg. »Sie wollen immer noch mit denen handeln?«

»Aber sicher. Krieg ist Krieg und Geschäft ist Geschäft. Hin und wieder stellen sie unsere Widerstandskraft auf die Probe und wollen sich um die Bezahlung drücken.« Garet spuckte wie ein Mann aus und fuhr amüsiert fort: »Aber da haben sie sich verkalkuliert. Mein Mann wird jetzt die Preise heraufsetzen, und sie werden nicht einmal daran denken, dagegen zu protestieren.«

Als ich kurz zu dem Freiflieger hinüberblickte, den sie getötet hatte, stellte ich erstaunt fest, dass er bereits völlig versteinert war. Er hatte sich in einen spiegelglatten schwarzen Brocken verwandelt, der aber immer noch die Konturen des Körpers zeigte.

»Was ist mit deinen Augen, Danka?«, fragte die Frau mit einem Mal. »Leuchten sie oder spielen mir meine Linsen einen Streich?«

»Sie leuchten«, antwortete ich, während ich das schwarze Tuch aus meiner Tasche kramte.

»Hängt damit auch zusammen, dass du ohne Brille sehen kannst?«

»Das geht Sie nichts an«, sagte ich und marschierte an den Büffeln vorbei, die unruhig auf der Stelle traten. Wie es wohl Len ergangen war?

Mir kamen einige Soldaten entgegen, aber da ich meine Binde bereits wieder angelegt hatte, fiel niemandem etwas an mir auf. Einer blickte mir zwar nach, allerdings nicht feindselig, sondern eher besorgt und schuldbewusst.

Den Händler und seine rothaarige Tochter fand ich am Rand des Sumpftals. Sie stritten sich heftig, der Händler hielt seine Tochter am Oberarm gepackt, die ihrerseits mit allen Mitteln versuchte, die Hand abzuschütteln.

»Mit Ihrer Frau ist alles in Ordnung«, sagte ich, als ich auf den Händler zuging.

Er nickte, dann zog er sofort die Brille aus der Tasche, um sich vor dem Wahren Blick zu schützen. Mir kam das komisch vor.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

»Reata wäre beinahe entführt worden!«, schimpfte der Händler.

Ich ging sofort zum Gegenangriff über: »Aber sie ist nicht entführt worden! Also können Sie uns nichts vorwerfen!«

Der Händler erwiderte kein Wort, seine Tochter schniefte bloß. In dem Moment fiel bei mir der Groschen.

»Wo ist Len?«, zischte ich, auf einmal starr vor Wut.

»Erzähl’s ihm!«, verlangte der Händler von seiner Tochter, indem er ihr auf die Schulter klopfte. Er behielt mich fest im Auge und fuhr fort: »Es tut mir sehr leid, das kannst du mir glauben. Ich weiß, was es heißt, einen Freund zu haben, vor allem für euch Flügelträger.«

Schweigend sah ich Reata an.

»Wir haben uns ganz ruhig verhalten«, brummte diese, ohne aufzusehen, »und Len hat mich die ganze Zeit genervt, dass ich vorsichtig sein soll. Ich war so wütend auf ihn und bin weggelaufen…«

»Wo ist er, du blöde Kuh?«, brüllte ich.

»Die Freiflieger haben ihn mitgenommen, Danka«, sagte das Mädchen. Seufzend gestand sie mit einem merkwürdigen Stolz: »Er hat mich wirklich tapfer verteidigt.«

»Woher weißt du, wie ich heiße?«, wollte ich wissen.

»Er hat deinen Namen gerufen, als sie ihn weggeschleppt haben«, antwortete Reata. Und mit einem weiteren Seufzer fuhr sie fort: »Ich hätte mich nicht von der Karawane entfernen dürfen…«

Ich spürte, wie alles in mir drin gefror. Ich legte eine Hand auf mein Schwert und baute mich vor dem Mädchen auf. Was das eigentlich sollte, wusste ich selbst nicht.

»Nimm dich in Acht, Flügelträger«, warnte mich der Händler leise. »Mach jetzt keinen Fehler.«

Ich starrte ihn an. In dem Moment leuchtete zwischen uns ein blendender Fleck auf. Der Sonnenkater war auf einen Felsbrocken vor mir gesprungen.

»Er hat recht«, ermahnte er mich. »Mach jetzt keinen Fehler.«

Reata schrie auf und der Händler wich einen Schritt zurück. Selbst wenn ihnen der Kater schon vorher aufgefallen sein sollte, dann hatte er da bestimmt nicht geleuchtet oder gesprochen. Aber die beiden interessierten mich gerade überhaupt nicht.

»Du wagst es noch, mir gute Ratschläge zu geben?«, fuhr ich den Kater an. »Wo hast du eigentlich gesteckt? Warum hast du Len im Stich gelassen?«

Der Kater fuhr sich mit der Pfote über die Schnauze und nickte. »Ich akzeptiere den Vorwurf. Ja, es ist meine Schuld. Also bestrafe mich – und nicht dieses dumme Mädchen. Vor allem da ihr Vater dir wohl kaum gestatten würde, handgreiflich zu werden.«

Ich setzte mich auf einen Felsblock und fing an zu weinen. Da mich das Tuch störte, nahm ich es einfach ab und warf es auf den morastigen Boden. Nie wieder würde ich mich vor jemandem verstecken! Nie wieder! Ich hasste sie alle, sowohl die Freiflieger als auch die Flügelträger und die Händler!

Außerdem begriff ich überhaupt erst jetzt, dass ich einen Freund hatte. Einen Wahren Freund, denn wir hatten gemeinsam unser Leben riskiert… Wir waren wie Brüder, denn Brüder können sich auch streiten und prügeln, aber sie werden sich immer lieben.

Und jetzt hatte ich keinen Freund mehr.

»Mein Junge…« Der Händler strich mir mit der Hand über den Kopf, den ich nicht mal wegzog – so traurig war ich. »Weine nicht. Ich weiß, was du durchmachst.«

»Was können wir bloß tun?«, fragte ich.

»Sie werden kommen, um ihre Waren gegen meine einzutauschen«, erklärte der Händler zuversichtlich. »Ich werde versuchen, deinen Freund freizukaufen.«

Ich hörte auf zu weinen. Kaum winkte diese Hoffnung, wollte ich sofort etwas unternehmen. »Haben sie ihn denn nicht umgebracht?«, fragte ich leise.

»Nein«, antwortete der Händler nach kurzem Zögern. »Weißt du etwa nicht, was die Freiflieger mit Len vorhaben?«

»Nein…«

»Sie machen einen Freiflieger aus ihm.«

Sämtliche Alarmglocken schrillten. Mein Traum fiel mir wieder ein, von Len, der mit dem Schwert auf mich zukam. Ich stellte mir vor, wie die Finsternis ihn einhüllte und seine Augen sich in schwarze Schluchten verwandelten. Mir wurde angst und bange.

»Kater…«, hauchte ich.

»Was denn, Danka?«

»Stimmt das wirklich?«

»Ja, der Händler hat recht«, sagte der Sonnenkater brummig.

»Und wenn wir ihn befreien?«, fragte ich. »Das könnten wir doch bestimmt schaffen, oder?«

»Sie besitzen die Schwerter der Finsternis«, erklärte der Kater mit sehr leiser Stimme. »Mit einem solchen Schwert kann man das Wahre Licht problemlos löschen. Und ich… ich bin überhaupt nicht für den Kampf geschaffen, Danka! Ich habe bloß Krallen und Zähne. Sehr kleine Krallen und Zähne.«

In einiger Entfernung hatten sich alle Leute aufgebaut, die zu unserer Karawane gehörten. Ich sah sie an – und spürte, wie sie unter meinem Blick erzitterten. Unter dem Wahren Licht, das jetzt in meinen Augen leuchtete.

»Aber ich habe doch den Wahren Blick!«, erinnerte ich den Kater. »Der muss doch zu etwas gut sein, oder?«

»Da bin ich mir eben nicht sicher. In deinen Augen wohnt das Wahre Licht. Du siehst jetzt die besten Seiten, über die ein Mensch verfügt. Das hilft dir aber nur dann, wenn in ihm wirklich etwas Gutes lebt. Ich habe jedoch meine Zweifel, dass… In den Augen der Freiflieger wohnt dagegen die Finsternis. Sie sehen deine Ängste, deine Fehler und deinen Schmerz. Das ist weitaus vorteilhafter, wenn man gegen jemanden kämpft.«

Und trotzdem hat sich der Freiflieger vor meinem Blick gefürchtet, dachte ich. Aber ich wollte mich jetzt nicht mit dem Kater streiten. Deshalb wandte ich mich wieder an den Händler: »Können Sie Len wirklich freikaufen?«

»Ich werde denen ein gutes Angebot machen«, versicherte er. »Ganz so, als ob es meine eigene Tochter wäre.«

Das glaubte ich ihm zwar nicht – aber immerhin gab er mir damit einen Funken Hoffnung.

Nach einer halben Stunde kamen die Freiflieger zurück. Allerdings nicht alle und auch ohne Schwerter. Sie landeten am Rand des Sumpfs und der Händler ging ganz allein zu ihnen hin. Als ob überhaupt nichts passiert wäre!

Ich saß rund hundert Meter entfernt und ließ meinen Blick zwischen dem Turm, in dem Len gefangen war, und diesen finsteren Gestalten, die den Händler gerade umringten, schweifen. Log er oder nicht? Konnte er Len wirklich freikaufen?

Fünf Minuten später winkte der Händler mit der Hand, woraufhin die Soldaten nach und nach von den Tieren abzogen. Die Freiflieger sprangen auf die Büffel zu oder flatterten um sie herum. Sie knüpften die Packsäcke ab und flogen damit weg. Dabei trug jeder von ihnen fünf oder sechs schwere Beutel. Alle Achtung!

Ohne hinzusehen, fuhr ich mit der Hand über den rauen Stein, auf dem ich saß, tastete nach dem Sonnenkater und schnappte ihn mir, um ihn kurz entschlossen auf meinen Schoß zu setzen. »Was meinst du, sind sie sich einig geworden?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Kater verlegen. »Nur wenige verstehen, wie der Handel zwischen ihnen abläuft. Aber wir werden es ja gleich wissen…«

Die Freiflieger, die sich über alle Maße beladen hatten, schafften es nur mit Mühe, zu ihrem Turm zurückzufliegen. Ihnen eilten andere Freiflieger entgegen, die ebenfalls Beutel trugen, welche sie vor dem Händler fallen ließen. Diese Strecke flogen sie mindestens ein Dutzend Mal. Jedes Mal, wenn die beladenen Freiflieger sich uns näherten, beäugte ich sie voller Hoffnung.

Aber Len brachten sie nicht.

Erst als die letzten Freiflieger mit den Resten der Ware verschwanden, marschierte ich zu dem Händler. Er sah zufrieden und heiter aus. Sobald er mich erblickte, machte er jedoch eine ernste Miene.

»Es hat nicht geklappt, Danka«, erklärte er ohne Umschweife. »Tut mir leid. Sie haben sich geweigert, den Jungen wieder herauszugeben. Wie du bestimmt weißt, vermehren sich Freiflieger nicht so wie Menschen. Daher stellen Gefangene ihre einzige Möglichkeit dar, ihre Zahl zu vergrößern. Sei nicht traurig. Du kriegst den Lohn für euch beide und außerdem…«

»Entweder bist du ein gemeiner Dreckskerl oder du lügst!«, fauchte ich leise. »Nimm die Brille ab!«

Der Händler zögerte.

»Nimm sie ab! Oder ich bring dich um, das schwöre ich!«

Seufzend nahm der Händler die Brille ab. »Ich fürchte mich vor dieser Drohung nicht«, stellte er klar. »Aber ich möchte, dass du dich davon überzeugst, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«

Es ist nicht ganz einfach, einen Menschen mit dem Wahren Blick anzusehen. Das Gesicht verschwimmt dann, nimmt eine andere Form an, kann dir nichts mehr vorspiegeln oder verheimlichen…

»Du lügst nicht«, stellte ich fest – und zwar erleichtert, was mich selbst wunderte. »Du bist einfach nur ein mieser Typ. Selbst für deine eigene Tochter hättest du nicht mehr geboten als für Len.«

Der Händler zitterte, als streife ihn kalter Wind. Dann setzte er die Brille wieder auf.

»Wir packen jetzt die Waren zusammen, die wir von den Freifliegern bekommen haben, beladen die Tiere und ziehen weiter«, informierte er mich. »Wirst du meine Anweisungen befolgen?«

»Ich werde euch helfen zu packen«, erklärte ich. Hinter mir maunzte der Kater verwundert.

Die Stimmung des Händlers besserte sich prompt. »Du bist ein seltsamer Junge. Ein sehr seltsamer. Aber ich bin froh, dass du diesen Schicksalsschlag wie ein Mann hinnimmst und…«

»Ich werde euch helfen zu packen und die Karawane bis zur Schlucht begleiten«, unterbrach ich ihn. »Dann mache ich kehrt und suche Len. Wenn ich ihn nicht retten kann, komme ich zurück. Ich hole die Karawane wieder ein und bringe dich um. Oder glaubst du etwa, das könnte ich nicht?«

»Ich werde mit dir mitfliegen«, sagte der Sonnenkater, als der Lärm der abziehenden Karawane kaum noch zu hören war. »Schließlich trage ich letztendlich die Schuld an dem Desaster. Darüber hinaus stehen mir Zauberkräfte zur Verfügung…«

»Und obendrein zwanzig Krallen, vier kleine Eckzähne und noch ein paar andere winzige Zähnchen.«

»Führst du Buch darüber, oder wie?«, konterte der Kater beleidigt – und verstummte dann. Vermutlich hatte er begriffen, dass dies nicht der Zeitpunkt war, um eingeschnappt zu sein.

Wie immer, wenn er verlegen war, fing er an, sich zu putzen.

»Ich schlage Folgendes vor, Danka«, sagte er schließlich. »Ich fliege von einer Seite an den Turm heran und lenke die Freiflieger ab. Du versuchst derweil, heimlich in den Turm einzudringen und Len zu befreien.«

»Na gut«, meinte ich missmutig, denn mir fiel auch nichts Besseres ein. »Versuchen wir’s.«

Wir hockten in der Schlucht, wo die Freiflieger uns nicht erspähen konnten. Vermutlich rechneten sie auch gar nicht damit, dass jemand auf die Idee kommen könnte, ihren Turm anzugreifen.

Ich breitete meine neuen Flügel aus und musterte sie eindringlich. Ich trug einen neuen Overall, denn den anderen, den der Freiflieger ramponiert hatte, hatte ich wegwerfen müssen. Ein weiterer Flügeloverall war fest verschnürt und an meinem Gürtel befestigt. Für Len.

»Viel Glück, Danka«, sagte der Sonnenkater.

»Dir auch«, erwiderte ich.

Ich hielt mich sehr tief über den Bergen und flog einen Bogen ums Tal. Nachdem ich eine günstige Felsspalte ausgemacht hatte, versteckte ich mich dort und lugte zum Turm hinüber. Er stand mitten im Sumpf – wie eine schwarze Kerze auf einer Torte aus Scheiße. Aus den Fenstern quoll Finsternis. Selbst auf die Entfernung konnte ich sie spüren.

Außerdem spürte ich noch, dass Len da drinnen war.

Als der Sonnenkater wie ein kleiner leuchtender Funken aus der Schlucht schoss und auf den Turm zusauste und dabei immer schneller wurde, war das mein Zeichen, in Aktion zu treten. Mit gespannten Flügeln sprang ich vom Felsen, passte eine Strömung ab und ließ mich von ihr tragen. Komisch, dass ich vor Kurzem noch an Höhenangst gelitten hatte. Zu fliegen, das kam mir jetzt so natürlich vor…

Ich landete am Fuß des Turms, legte die Flügel an und spähte nach oben. Der Kater kreiste um die Spitze wie eine Motte um eine Lampe. Hoffentlich würden die Freiflieger wirklich nur Augen für ihn haben und mich nicht bemerken… Mit dem Wahren Blick untersuchte ich die Steine, aus denen der Turm errichtet worden war, und versuchte, eine Tür zu entdecken. Das gelang mir auch. Es handelte sich um eine Holztür, die aus groben Brettern bestand. Warum war sie mir nicht gleich aufgefallen?

Ich griff nach der Klinke – einem grob behauenen Holzklotz – und zog die Tür zu mir. Sofort blendete mich Licht!

Aber Wahres Licht war das bestimmt nicht! Es setzte sich zusammen aus grauer Abenddämmerung, grellen Laternen, den Dolchspitzen hell erleuchteter Fenster, den…! Autsch! Mit dem Wahren Blick in elektrische Lampen zu starren tat verdammt weh!

Ich hatte eine Verborgene Tür erwischt! Und zwar die zweite von den drei Türen, die zur Erde führten. Ich stand an der Schwelle, vor mir lag ein Platz. Dieser wiederum war alt und kopfsteingepflastert, dort gingen Menschen spazieren, Glocken läuteten irgendeine Abendstunde. Jeder Erstklässler in meinem Land hätte diese Melodie und den Roten Platz erkannt – selbst wenn er wie ich noch nie in Moskau gewesen war.

In unserer Welt befand sich die Verborgene Tür ebenfalls in einem Turm. Einige der Spaziergänger drehten sich schon verwundert nach mir um: Was war denn das für ein Junge, mit dem seltsamen schwarzen Overall und den funkelnden Augen? Ein Milizionär mit kurzem Haar, der eben noch gelangweilt durch die Menge stolziert war, drängte sich plötzlich entschlossen in meine Richtung. Bis ich dem erklärt haben würde, was Sache war, das konnte dauern!

Und wie ich da so auf der Schwelle der Verborgenen Tür stand, hinter mir der stinkende eiskalte Sumpf, vor mir die warme, stickige Luft der Großstadt, begriff ich mit einem Mal, dass ich niemandem etwas erklären würde.

Klar hatte ich Heimweh. Vielleicht war ich auch ein Feigling – dann aber höchstens ein kleiner. Doch ein Arschloch war ich mit Sicherheit nicht!

Ein letztes Mal ließ ich den Blick über den Roten Platz schweifen und starrte auf ein großes Kaufhaus gegenüber und auf die alten Pflastersteine unter mir. Dann trat ich einen Schritt zurück. Die Verborgene Tür schlug zu, als hätte sie nur auf diese Entscheidung gewartet.

»Sollen die Leute doch denken, sie hätten eine Halluzination gehabt«, sagte ich zu mir selbst, während ich zuschaute, wie die Holztür langsam unter Steinen verschwand. »Vielleicht komme ich ja später noch mal her…«

Aber ein Gefühl sagte mir, dass ich diese Tür nie wieder öffnen würde.

Auf watteweichen Beinen, die mir fast wegknickten, umrundete ich den Turm der Freiflieger.

Türen gab es hier keine. Überhaupt keine. Weder richtige noch verborgene. Wozu auch? Den Freifliegern genügte ja die Plattform oben an der Spitze!

Aber es gab ja noch die Fenster! Für einen Erwachsenen waren sie zu schmal. Für mich jedoch nicht!

Eines der Fenster lag ziemlich weit unten, etwa auf der Höhe meines Kopfes. Ich schaute hinein – und prallte zurück.

Düsternis. Dichte, schwarze und undurchdringliche Düsternis. Erst nach ein paar Sekunden begriff ich, dass in das Fenster Glas eingesetzt war, genau wie bei der Brille des Händlers. Ich schlug mit der Faust dagegen, was jedoch überhaupt nichts brachte. Daraufhin holte ich mein Schwert heraus und stieß mit der Klinge ein paar Mal gegen die Scheibe.

Irgendwann nahm ich den Griff des Schwerts.

Nichts! So leicht war die Dunkelheit nicht zu zerschlagen.

Ich stand am Fuß des Turms und wusste ganz genau, dass mir die Zeit davonlief. Entweder würde ich jetzt in den Turm vordringen – oder ich würde hier niemanden mehr retten.

Ich sah auf das Fenster, und ein mit Angst vermischter Hass kochte in mir hoch. Diese Scheibe sollte jetzt endlich kaputtgehen! Ich musste sie zerschlagen! Und das würde ich auch schaffen!

Das schwarze Glas, das das schmale Fenster ausfüllte, erzitterte. Als ob mein Blick stärker wäre als meine Faust oder mein Schwert. Normalerweise hätte ich mich darüber gewundert – und damit wahrscheinlich alles verpatzt! Aber im Moment wunderte mich gar nichts. Ich starrte auf das schwarze Glas, das sich unter meinem Blick krümmte und bog, bis die Scheibe ein leises Knacken von sich gab und zersplitterte und in Tausenden von winzigen Scherben herausflog.

Und jetzt blieb mir keine Zeit mehr, mich zu wundern. Rasch reckte ich mich, zog mich hoch und zwängte mich durch das Fenster in den Turm.

Ich landete in einem kleinen Raum. An der Wand steckte in einer Halterung eine Fackel, die mit einer purpurroten, fast schwarzen Flamme brannte. Ich spürte, wie ein eisiger Atem von der Fackel ausging und über meine Haut strich.

Ansonsten gab es in diesem Zimmer nichts und niemanden. Eine Tür führte hinaus, direkt unter der Decke befand sich ein winziges, vergittertes Fenster, das in das Innere des Turms ging. Vermutlich diente es der Lüftung.

Wo war Len? Wahrscheinlich oben im Turm. Ich stieß gegen die Tür, doch die gab nicht nach.

Sollte ich sie zerschlagen? Würde mir das gelingen? Immerhin bestand diese Tür bloß aus Holz, nicht aus dem Glas der Finsternis… Ich blickte zu den Scherben des Fensters hinüber – und nun wunderte ich mich doch noch: Das waren ja ganz normale Scherben! An einigen klebte allerdings eine dunkelrote oder schwarze Flüssigkeit – wo auch immer die herstammen mochte.

Ich weiß nicht, was ich unternommen hätte, wenn es in diesem Raum nicht so totenstill gewesen wäre. Diese Grabesstille herrschte im ganzen Turm, nur durch das Fenster wehte leise der Wind. Und plötzlich hörte ich, wie jemand stöhnte, ganz leise nur. Das Geräusch kam durch das vergitterte Fenster unter der Decke.

Wie konnte ich nur so dämlich sein! Natürlich schloss man Flügelträger nicht oben im Turm ein, die wurden tief unten eingesperrt. Der Raum, in dem ich stand, war eine Zelle! Genau wie der Raum nebenan – aus dem Lens Stöhnen zu mir herüberdrang.



3. Die Verwandlung

Zu dem kleinen Fenster unter der Decke gelangte ich ohne große Mühe. Die Wände waren im Innern aus den gleichen unbehauenen Steinen errichtet wie außen, sodass es das reinste Vergnügen war, an ihnen hochzukraxeln. Allerdings konnte mich das Licht in meinen Augen verraten – und das Tuch hatte ich weggeworfen.

Nur gut, dass ich mit meinem Wahren Blick auch bei geschlossenen Augen sehen konnte.

Ich hielt mich am Gitter fest und spähte in die Nachbarzelle. Alles in mir drin gefror.

Als Erstes sah ich Len. Er lag auf einem Eisentisch mitten im Zimmer, ohne seinen Flügeloverall, völlig nackt, nur die Brille hatten sie ihm gelassen. An den Ecken des Tischs ragten irgendwelche Haken heraus, an die Lens Arme und Beine mit Lederriemen gefesselt waren.

Etwas abseits kauerten zwei Freiflieger auf dem Fußboden. Sie sprachen leise miteinander.

»Der, der geleuchtet hat, ist entkommen.«

»Die Jagd auf ihn ist in vollem Gange.«

»Woher hat er Wahres Licht? Wer ist er?«

»Wenn wir ihn fangen, werden wir es wissen. Wenn nicht, soll der Gegenwärtige sich etwas einfallen lassen.«

»Das ist seine Pflicht.«

»Richtig. So, wie es unsere Pflicht ist, für Nachwuchs zu sorgen.«

»Dann lass uns anfangen.«

Die Freiflieger erhoben sich, gingen rüber zur Wand, wo auf Regalen kleine Flaschen und Gläser mit trüben Flüssigkeiten standen, wo außerdem Instrumente herumlagen, die fürchterlich aussahen, und wo kleine Schalen und Bleche hingen. Sorgfältig wählten sie ihre Utensilien aus. Dann kehrten sie zum Tisch zurück.

Len bäumte sich auf, konnte sich aber natürlich nicht losreißen.

»Keine Angst«, sagte einer der Freiflieger, dessen Stimme mir bekannt vorkam. Ach ja, mit dem hatte ich gekämpft! »Wehr dich nicht! Wenn du aus freien Stücken zum Freiflieger werden willst, ist es viel einfacher für dich.«

»Und es tut nicht so weh«, fügte der zweite Freiflieger hinzu, der auf dem Tisch neben Len zunächst Messer ausbreitete, die klein wie Skalpelle waren, dann Haken aus Stahl, leere Glasgefäße, zwei kleine Schalen…

»Ihr Schweine!«, zischte Len. »Ihr dreckigen Schweine! Ich hasse euch!«

»Aber nicht mehr lange«, versicherte mein einstiger Gegner, während er weitere Instrumente und Gläser ablud. Nur eine Phiole mit einer undurchdringlichen schwarzen Flüssigkeit behielt er in Händen. »Schon heute Abend wirst du einer von uns sein.«

»Pah, eure Stunden sind gezählt«, konterte Len. »Danka und der Kater werden uns die Sonne zurückbringen…«

Doch als er leise anfing, zu weinen, wusste ich, dass mein Junior nicht mehr mit Hilfe rechnete. Er hatte jede Hoffnung auf Rettung bereits aufgegeben.

»Die Sonne kommt nicht zurück«, sagte der zweite Freiflieger ganz ruhig. »Unsere Vorfahren haben sie verkauft. Was richtig war. Die Finsternis ist besser.«

»Möchtest du wissen, was jetzt mit dir passiert?«, fragte der andere.

»Nein!«, schrie Len, dem immer noch Tränen über die Wangen kullerten.

»Komisch. Dabei warst du doch immer ein neugieriger Junge, Len.«

Len fuhr zusammen und hörte auf, zu heulen. Er hob den Kopf und versuchte, dem Freiflieger ins Gesicht zu sehen. »Woher kennst du mich?«

Daraufhin musterte ich den Freiflieger mit dem Wahren Blick – und erkannte ihn.

»Ich bin Iwon«, antwortete der Freiflieger sachlich. »Jedenfalls hieß ich früher so. Iwon. Ich wollte sogar mal dein Senior werden.«

Mit aller Kraft zog ich an den Gitterstäben. Die gaben kein Stück nach. Die Freiflieger hatten beim Bau des Turms ganze Arbeit geleistet.

»Du… du…«, setzte Len an.

»Genau, ich! Dein Senior hat mich in den Bergen ohne Flügel zurückgelassen. Bin den Freifliegern in die Hände gefallen. Und bin glücklich darüber, dass es so gekommen ist. Hab mir das tief in meiner Seele immer gewünscht.«

»Du hast dir das gewünscht? Warum?« Erneut zerrte Len an den Riemen. Aber es war völlig nutzlos.

»Ich will immer fliegen können. Will die Leichtigkeit des Flugs erleben. Auch noch als Erwachsener. Willst du wissen, wie ich ein Freiflieger geworden bin?«

Len nickte wie hypnotisiert.

»Sie haben mir die Augen herausgenommen«, berichtete Iwon ungerührt. »Nicht auf einmal, sondern nach und nach. Damit der Schmerz das Licht der Augen in Finsternis verwandelte. Dann haben sie aus ihnen das Elixier für das Glas der Finsternis gewonnen.«

Len warf den Kopf von einer Seite auf die andere.

»Danach haben sie mir das Herz herausgenommen«, fuhr Iwon fort. »Wieder ganz langsam. Damit das ganze Licht aus ihm in die Finsternis einging. Aus unserem Herz machen sie ihre Flügel. Solche, die jeden tragen können, nicht nur ein Kind.«

»Wozu willst du ohne Herz fliegen?«, hauchte Len. Iwon überhörte die Frage.

»Sie haben mein ganzes Blut abgelassen. Aus ihm gewinnen sie das Schwarze Feuer, mit dem wir euch in den Bergen so hübsch anzünden. Wenn der Gegenwärtige es erlauben würde, hätten wir damit längst all eure Städte in Schutt und Asche gelegt. Das Blut wird ganz langsam abgezapft, denn auch aus ihm muss alles Licht herausgepresst werden.«

»Bei dir hätten sie ruhig schnell machen können«, meinte Len mit einem Mal ganz ruhig. »Du hattest sowieso nie Licht in dir, weder in den Augen noch im Herzen oder im Blut.«

Bravo, Len! Iwon zuckte zusammen, als hätte er eine gewischt bekommen. Trotzdem fuhr er mit derselben gleichmütigen Stimme fort: »Soll ich dir die ganze Prozedur schildern? Wir nehmen dir viel, damit du leichter fliegen kannst. Und wir bekommen viel – das wir den Händlern verkaufen oder dir selbst zurückgeben. Du siehst, du brauchst keine Angst zu haben…«

Beinahe wäre ich drauf reingefallen und hätte gedacht, Iwon wolle Len tatsächlich mit diesen Worten beruhigen. Aber da brach er plötzlich in ein krächzendes, gemeines Lachen aus, das mir zeigte: Ihm machte das Spaß. Er genoss es, Len zu quälen. Er war einfach ein Sadist. Schon immer gewesen – selbst als er noch ein Flügelträger gewesen war.

Warum hatte ich ihn damals nicht umgebracht?

»Du redest zu viel«, meinte der andere Freiflieger plötzlich. »Man merkt, dass du noch bis vor Kurzem ein Mensch gewesen bist. Lass das lieber.«

»Das muss sein«, zischte Iwon. »Ich kenne die Menschen besser als du. In dem hier wächst jetzt Finsternis. Aus Angst. Weil er die Schmerzen ahnt, die ihm bevorstehen. Ich weiß das.«

»In mir wird es nie Finsternis geben!«, schrie Len. »Ich werde nämlich einfach während eurer Folter sterben!«

»Wirst du nicht. Man stirbt nie ganz«, erläuterte Iwon. »Siehst du das hier?«

Er hob die schwarze Phiole, die er in Händen hielt.

»Das ist Schwarzes Feuer. Schwach und verdünnt. Das verbrennt dich nicht, wenn wir es dir einflößen. Das brennt bloß den Menschentod und jedes Menschengefühl in dir aus. Aber das ist nur der erste Schritt. Siehst du diese Phiole?«

Iwon streckte die Hand aus und riss Len die Brille von der Nase. »Und jetzt siehst du nichts mehr«, triumphierte er. »Bis dir die Finsternis neue Augen gibt.«

Abermals versuchte ich das Gitter herauszureißen – vergeblich. Ich konnte mich nicht länger halten und rutschte auf den Boden, wobei mir völlig egal war, ob die nebenan mich hörten oder nicht. Ich rannte zur Tür und rüttelte an ihr. Was um alles in der Welt sollte ich tun? Gegen die Wand hämmern, während sie… Nein, nicht während sie meinen Freund töteten oder folterten, sondern während sie ihn in ein Monster verwandelten?

»Denk an jemanden, den du liebst«, hörte ich eine Stimme auf der anderen Seite der Wand. »Denk an ihn, damit das Schwarze Feuer aus der Liebe eines Menschen die Liebe eines Freifliegers macht. Dann findest du leichter Freunde, die du zu uns führst.«

»Ich werde nicht an dich denken, Danka!«, brüllte Len in einer Weise, dass mein Herz kurz aussetzte. »Das werde ich nicht!«

Dann verstummte er, als halte ihm jemand den Mund zu. Auch ich schrie etwas und trat mit voller Wucht gegen die Steinwand, um sie zum Einsturz zu bringen – oder selbst zu sterben.

Die Sekunden dehnten sich in alle Ewigkeit aus. Mit einem Mal erblickte ich die ganze Wand, jeden Stein, jeden Krümel des schwarzen Mörtels, der die Ziegel aufeinanderhielt. Und die purpurroten Punkte, die zwischen den Steinen funkelten. Der Mörtel enthielt wohl Schwarzes Feuer, das wiederum aus Menschenblut hergestellt wurde.

So viel Mühe die Freiflieger sich auch gaben – ganz pressten sie das Licht eben nie aus dem Blut!

Während ich auf die Wand einhämmerte, hielt ich den Wahren Blick fest auf einen dieser funkelnden purpurroten Punkte gerichtet. Die Steine wackelten und bebten, als wäre die ganze Wand bloß aus Bauklötzen für Kinder errichtet.

Nachdem ich die Wand eingerissen und mich wie durch ein Wunder vor den niederprasselnden Ziegeln gerettet hatte, stürmte ich in die Nachbarzelle.

Iwon hielt dem zitternden Len gerade den Mund auf und flößte ihm – unbeirrt von der einstürzenden Wand – eine dampfende, schwarze Flüssigkeit ein. Der zweite Freiflieger wählte einige Haken und Messer aus den Schalen. Als ich plötzlich vor ihnen auftauchte, erstarrten die beiden.

»Ihr Schweine!«, schrie ich und zog mein Schwert. Ohne eine Sekunde zu zögern, schlug ich auf den Freiflieger ein, der mir am nächsten stand, und brach ihm das Genick.

Das ging so leicht, es war, als ob ich nicht Fleisch zerhackte, sondern morsches Holz. Der Freiflieger fiel polternd zu Boden, wobei stinkender Dampf aufstieg. Als er aufschlug, war er bereits kein Mensch mehr – nicht mal ein ehemaliger –, sondern bloß noch schwarzes Gestein.

Lautlos huschte Iwon zur Tür. Die Phiole mit dem Schwarzen Feuer hielt er immer noch in den Händen. Er riss die Tür auf und hob den Arm, als wolle er sie auf mich schleudern.

Unsere Blicke kreuzten sich. Iwon schrie auf, genau wie beim letzten Mal, ließ die Flasche fallen und schlüpfte zur Tür hinaus. Klirrend zerbrach die Phiole. Auf der Schwelle züngelte eine Flamme in tiefstem Purpurrot auf.

»Len!«, flüsterte ich, als ich mich über meinen Junior beugte. »Len, ich bin da!«

Len warf den Kopf von einer Seite auf die andere und spuckte wie wild. Er trug ja keine Brille mehr und sah deshalb nicht, was um ihn herum passierte. Aber als ich ihn ansprach, blieb er reglos liegen. »Lauf weg, Danka…«, brachte er mit schwacher Stimme hervor.

»Wir fliehen zusammen!«, rief ich, während ich mit meinem Schwert seine Fesseln durchsäbelte. »Ich habe dir einen Flügeloverall mitgebracht. Bist du okay?«

Statt zu antworten, beugte Len sich über den Tisch und kotzte eine schwarze, dampfende Flüssigkeit aus. Danach stützte er sich auf meinen Arm, tastete unsicher mit den Füßen über den Boden und kletterte vom Tisch. »Hier sind zwei Freiflieger, Danka…«, warnte er mich.

»Hier sind eine Leiche und ein fliehender Feigling, aber keine Freiflieger. Zieh den Overall an!«

Ich half Len mit dem Flügeloverall und schob ihn zu der eingerissenen Mauer. Dort drehte ich mich noch einmal um, sammelte einen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn auf die Regale mit all den Gefäßen.

Die Zelle verwandelte sich in eine Feuerhölle. Die wütenden, fast schwarzen Flammen kletterten die Wände hoch, die Steine schmolzen wie Wachs.

»Weg hier!«, schrie ich, während ich Len half, sich durch das Fenster zu zwängen. Ich eilte ihm nach und landete im Dreck. Len kniete da und kotzte wieder.

»Kannst du fliegen?«, fragte ich.

»Ich werde es versuchen«, versprach er matt.

Der Turm schwankte bereits. Durch die Mauerrisse schlugen schwarze Flammenzungen. Feuerströme flossen aufwärts und hüllten die Spitze des Turms in einen Funkenregen.

»Steh auf, Len! Wir müssen fliegen!«, schrie ich. »Fliegen, Junior!«

Len versuchte aufzustehen, fiel aber wieder hin. Wir durften keine Zeit verlieren. Ich packte ihn bei den Schultern, zog ihn hoch…

»Halte dich an mir fest!«

»Mit einer Last… kannst du nicht fliegen…«, hauchte Len kaum verständlich. Trotzdem legte er die Arme um mich und ließ alles mit sich geschehen.

Ich breitete die Flügel aus und riss mich, wenn auch mühevoll, vom Boden los. Im Flug gewann ich langsam an Höhe. Ein Aufwind hätte uns über den Turm gehoben, aber den passte ich nicht ab. Stattdessen flogen wir tief über dem Sumpf zurück.

»Versuch jetzt selbst zu fliegen, Len«, keuchte ich. »Len!«

»Ja, gleich«, antwortete er leise. Aber er machte keine Anstalten, aus eigener Kraft zu fliegen.

Hinter uns stürzte der Turm donnernd in sich zusammen. Als ich spürte, wie mir die Druckwelle in den Rücken schlug, blickte ich zurück. Über den lodernden Ruinen kreisten drei Freiflieger. Die anderen hatten es offenbar nicht geschafft, sich in Sicherheit zu bringen. Die drei Überlebenden schienen allerdings keine Lust zu haben, uns zu verfolgen.

»Halte durch, Len«, sagte ich. »Gib nicht auf. Wir müssen nur bis zu dem Felsen da drüben…«

»Ich gebe nicht auf«, versicherte Len.

Der Kater fand uns, zwanzig Minuten nachdem wir uns in den Bergen versteckt hatten. Ich fragte ihn gar nicht erst, wie er den Freifliegern entkommen war. Wir mussten an wichtigere Dinge denken.

Len lag auf den Steinen, die Beine an den Bauch gezogen, und stöhnte leise vor sich hin. Der Kater blickte ihn mit grimmiger Miene an, bevor er einen fragenden Blick auf mich richtete.

»Sie haben ihm mit Gewalt das Schwarze Feuer eingeflößt«, erzählte ich. »Am Anfang musste er bloß brechen, mehr nicht. Ich habe schon geglaubt, er hat es überstanden. Aber dann… dann ist er völlig zusammengebrochen.«

»Hat er etwas von dem Zeug getrunken?«

»Nur ein paar Schluck…«

Als Len leise hustete, langte ich nach seiner Hand. Wie konnte ich ihm bloß helfen?

»Die menschlichen Gefühle in ihm verbrennen jetzt«, sagte der Sonnenkater traurig. »Vielleicht gewinnt Len und er bleibt der Alte. Vielleicht stirbt er aber auch, wenn seine Kräfte nicht ausreichen. Oder aber…«

»Oder was…?«

»Oder er wird zum Freiflieger. Von seinem Charakter her. Aber solange er noch ein Menschenherz hat, kann er von Neuem lernen, zu Freundschaft und Güte fähig zu sein. Bisweilen glückt das.«

Ich beugte mich über Len. »Junior…«, flüsterte ich.

Mich traf ein trüber und hilfloser Blick. Len ging es hundsmiserabel. »Töte mich, Danka. Ich will kein… Freiflieger werden.«

»Red kein dummes Zeug!«, verlangte ich so entschieden wie möglich. »Halte durch, Len! Du schaffst es!«

»Nein, Danka… Zuerst hat es gebrannt, das hat zwar sehr wehgetan, aber das konnte ich aushalten… Aber jetzt ist alles in mir drin kalt. Alles gefriert zu Eis… Danka…«

»Was sollen wir bloß tun, Kater?«

»Wir müssen an ihn glauben«, antwortete der Kater schlicht. »An ihn glauben und ihn lieben. Selbst wenn das Schwarze Feuer siegt. Wir haben nichts anderes als unseren Glauben und unsere Liebe. Das wiederum ist sehr viel, wenn um dich herum nur Hass und Verzweiflung herrschen.«

Der Sonnenkater näherte sich Len mit sanften Schritten, legte sich auf seine Brust, rollte sich ein und fing an zu schnurren. Ich zögerte nur ganz kurz, bevor ich mich neben Len legte und ihn umarmte.

Diese Kälte. Sie kam von überall her. Aus dem Fels unter uns, vom Himmel, der sich wie ein grauer Schleier über uns spannte, und von Len, der zitterte, als leide er an Schüttelfrost. Von überall nur Kälte und Finsternis.

Wir hatten nichts außer unserer Liebe und unserem Glauben. Aber vielleicht reichte das ja?

»Halte durch, Len«, flüsterte ich, ohne eine Antwort von ihm zu erwarten. »Gib nicht auf, kämpfe! Wir lieben dich. Du wirst gewinnen.«

Doch um uns herum war nichts als Kälte und Finsternis. Für alle Zeiten würde ich gegen sie kämpfen, selbst wenn ich wieder zu Hause sein würde. Für alle Zeiten.

Sogar durch meine geschlossenen Lider sah ich, wie in Len das Schwarze Feuer loderte. Doch selbst im Schwarzen Feuer gibt es noch Funken des Guten, die nie erlöschen.

Keine Ahnung, wie lange wir so dalagen und Len mit unseren Körpern wärmten. Irgendwann schlief ich ein, und ich wachte erst auf, als Len sich bewegte und aufstand.

Der Kater und ich sahen uns an. Dann schauten wir beide zu Len rüber. Er betrachtete die Gegend und musterte anschließend seine Hände, als sähe er sie zum ersten Mal. Mein Herz zog sich zusammen.

»Wie geht es dir, Len?«, fragte ich, wobei ich panische Angst vor der Antwort hatte.

Len runzelte die Stirn und unter dem undurchdringlichen Visier rannen Tränen hervor.

»Bin ich jetzt ein Freiflieger, Danka? Ist jetzt alles aus?«

»Du Blödmann!«, schrie ich, während mein Angst sich von einer Sekunde zur nächsten in Freude verwandelte. »Du hast gewonnen! Ein Freiflieger würde eine solche Frage niemals stellen!«

»Und weinen würde er noch viel weniger«, fügte der Kater hinzu. »Du hast tatsächlich gesiegt, Len.«

Kraftlos sackte Len gegen den Stein neben uns zurück. »Das ist euer Sieg«, sagte er leise. »Ihr habt mich gerettet.«

»So ein Quatsch! Du hast wie ein Held gekämpft!«, versicherte ich eifrig. »Hast du Hunger?«

»Und wie!«, sagte Len.

Ich kramte aus meiner Tasche zwei zusammengerollte Alupäckchen. »Magst du Schokolade?«, fragte ich stolz.

»Was ist das?«

»Ich hab mir schon gedacht, dass diese gemeinen Händler euch keine liefern. Koste mal! Das ist lecker!«

»Der Händler hat sich zum Abschied durchaus großzügig gezeigt«, erklärte der Kater. »Die Schokolade ist aus seinem persönlichen Vorrat.«

»Nicht das geringste Krümelchen hätte der rausgerückt!«, widersprach ich. »Seine bescheuerte Tochter, diese Reata, hat darauf bestanden, dass er sie uns gibt.«

»Kein Wunder!«, meinte Len, während er die Schokolade auspackte. »Ich habe sie immerhin vor den Freifliegern gerettet! Die muss mir ihr ganzes Leben lang dankbar sein…« Verlegen sah er mich an, bevor er hinzufügte: »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll…«

»Dann lass es einfach«, meinte ich, während ich ein Stück von der Schokolade abbiss. Sie war anders als unsere, keine Tafel, sondern eher ein Tannenzapfen, sehr bitter und hart. Trotzdem schmeckte sie gut.

»Willst du auch was, Kater?«, fragte Len.

»Katzen essen nicht einmal die Schokolade aus Dankas Welt«, sagte der Kater stolz.

»Sie würden sie bestimmt nicht verschmähen – wenn ihnen jemand welche anbieten würde«, erwiderte ich, während ich ein Stückchen von meiner Schokolade für ihn abbrach. »Probier doch mal.«

Len gab dem Kater auch was ab und dann machten wir uns alle drei über unser bescheidenes Frühstück her. Verblüfft registrierte ich, dass zweihundert Gramm Schokolade offenbar das Maximum waren, was ich auf einmal verdrücken konnte.

»Und was machen wir jetzt?«, wollte Len wissen, nachdem er seine Portion aufgegessen hatte. Seinen Appetit nahm ich als Beweis, dass mit ihm wieder alles in Ordnung war.

»Na, was wohl? Wir gehen in die Stadt«, verkündete der Kater, während er sich mit der Pfote die Schnauze putzte.

»In unsere?«, fragte Len ebenso erleichtert wie enttäuscht.

»Nein, in die Stadt der Händler«, sagte ich. »Schließlich haben wir noch gar nichts herausbekommen. Vielleicht treffen wir unterwegs auch wieder auf die Karawane.«

»Das dürfte meiner Ansicht nach ziemlich schwer sein«, verkündete der Kater.

In diesem Punkt sollte er sich jedoch glücklicherweise irren. Sobald der Kater in Lens Ausschnitt verschwunden war, flogen wir los. Der Pfad der Karawane lag wie auf dem Präsentierteller vor uns, der Wind stand günstig und schon nach drei Stunden erspähten wir unter uns die langsam dahinzottelnden Tiere. Die Karawane hatte sich so beeilt, vom Turm wegzukommen, dass sie überhaupt nicht mehr an ihre Tarnung gedacht hatte. Als wir auftauchten, blieben alle stehen. Die Soldaten richteten ihre Armbrüste auf uns.

»Wir sind’s!«, schrie ich, während ich tiefer ging.

»Wen bringst du da mit?«, fragte der Händler, als hätte er meine Worte nicht gehört.

»Na Len!«, antwortete ich. »Wir kommen jetzt runter!«

Da der Händler nichts weiter sagte, landeten wir neben ihm. Mir entging nicht, wie seine Tochter sich hinter seinem Rücken versteckte.

»Wir sind’s!«, wiederholte ich, während ich die Flügel anlegte. »Was ist denn los?«

»Len ist jetzt ein Freiflieger«, erklärte der Händler verunsichert.

»Das bin ich nicht!«, knurrte Len. »Danka hat mich gerettet!«

Nach und nach bildeten die Begleitsoldaten einen Ring um uns. Sollten sie es sich einfallen lassen, uns mit ihren Armbrüsten zu beschießen, gäbe es für uns kein Entkommen, das war mir klar.

»Wie konntest du ihn retten?«, fragte mich der Händler. »Die Freiflieger haben den Jungen in den Turm gebracht. Von da ist noch nie jemand entkommen.«

»Er ist auch nicht entkommen«, sagte ich, da ich ahnte, dass ich den Händler nicht würde überzeugen können. »Ich habe den Turm zerstört.«

Jemand lachte los. Der Händler sah mich bloß schweigend an, holte seine schwarze Brille aus der Tasche und setzte sie auf. Als mir wieder einfiel, woraus das Glas der Finsternis bestand, wurde mir schlecht.

»Du lügst nicht«, bemerkte der Händler nach einer Weile. Dieses »du lügst nicht« fiel mir auf. Er hatte nicht festgestellt: Du sagst die Wahrheit. »Auch wenn deine Geschichte höchst unwahrscheinlich klingt…« Dann sah er Len lange an, bevor er die Brille abnahm und den Blick wieder auf mich richtete. Er betrachtete mich nachdenklich. »Senkt die Waffen«, befahl er endlich. »Es sind Menschen.«

Die Soldaten leisteten dem Befehl nur zögernd Folge. Sie rührten sich nicht und beglotzten uns, als kämen wir von einem anderen Stern. Plötzlich drängelte sich ein Mann aus unserer Stadt zwischen ihnen durch, packte Len beim Kinn und sah ihm in die Augen. »Tatsache, Len«, stellte er verblüfft fest, »du hast es geschafft, mein Junge.«

»Ich kann es auch kaum glauben«, antwortete Len ernst.

Daraufhin redeten die Soldaten alle durcheinander und schoben sich näher an uns heran. Offenbar wollte jeder von ihnen uns angrabschen, knuffen oder irgendwas Blödes zu uns sagen. Der Händler löste die Versammlung kurz entschlossen auf. »Dass die beiden Jungen ein solches Glück hatten, heißt nicht, dass wir unterwegs nicht mehr mit Unannehmlichkeiten zu rechnen hätten. Wache!«

Rasch bezogen die Männer wieder ihre Posten.

»Ich möchte mit dir reden«, sagte der Händler und packte mich am Oberarm. »Ungestört.«

Wir sonderten uns etwas von den anderen ab. An uns trotteten die Büffel vorbei, die schwer mit den Waren der Freiflieger bepackt waren.

»Hast du den Turm wirklich zerstört?«, fragte der Händler, nachdem er lange geschwiegen hatte.

»Ja.«

»Ich wüsste zu gern, wie du zu dem geworden bist, der du heute bist«, meinte der Händler nachdenklich.

»Das war nicht angenehm«, sagte ich und starrte ins Nichts.

»Das kann ich mir vorstellen. Bist du sicher, dass mit deinem Freund alles in Ordnung ist, Danka?«

»Klar.« Ich sah den Händler an. Obwohl er keine Brille trug, wollte ich ihn nicht mit dem Wahren Blick betrachten. »Stimmt denn etwas nicht mit ihm?«

»In ihm wohnt Finsternis, mein Junge. Das habe ich durch die Brille der Freiflieger gesehen. In ihm hockt Finsternis, wenn auch zusammengekauert, versteckt. Aber sie lebt…«

»Sie… haben versucht… einen Freiflieger aus ihm zu machen«, presste ich mit schwacher Stimme heraus.

»Und sie hätten beinahe Erfolg gehabt. Kannst du für deinen Freund bürgen?«

»Ja«, antwortete ich, ohne darüber nachzudenken.

Eine Weile sagte der Händler kein Wort. Die Karawane zuckelte immer weiter den Pfad entlang.

»Gut. Ihr werdet weiterhin für mich arbeiten. Bis wir die Stadt erreicht haben.«

»Haben Sie einen Auftrag für uns?«, wollte ich wissen.

»Übernehmt die Kontrolle aus der Luft, erkundet die Wege. Genau wie bisher.«

Ich breitete die Flügel aus und wollte abheben. Sollte der Händler doch zu Fuß gehen – ich war und blieb ein Flügelträger!

»Danka, warte…«

Ich drehte mich um.

»Ich heiße Gabor. Kannst du dir das merken?«

»Natürlich, Gabor«, antwortete ich. »Ich werde es mir merken.«

Dann flog ich hoch in den dunklen Himmel.



4. Die Stadt am Meer

Bis zur Stadt der Händler brauchten wir eine Woche. Abenteuer erlebten wir unterwegs keine, ja, es passierte eigentlich nichts, woran ich mich erinnern könnte. Das Einzige, was sich verändert hatte, war das Verhalten der Erwachsenen uns gegenüber. Ich kann nicht behaupten, dass sie Angst vor uns hatten oder uns nicht mochten, aber sobald wir auftauchten, verstummten ihre Gespräche, und sie setzten saure und gelangweilte Mienen auf.

Nur Gabor und seine Familie verhielten sich uns gegenüber genau wie bisher. Sogar in etwas übertriebener Weise, wie ich fand. Sie taten, als ob rein gar nichts passiert wäre. Die Finsternis, die sich in Len angeblich verborgen hielt, erwähnte der Händler mit keinem Wort mehr. Ich wiederum konnte sie einfach nicht entdecken, egal wie sehr ich mich anstrengte.

Als wir eines Tages spätabends – doch was spielte Zeit in dieser Welt schon für eine Rolle? – die Berge überquerten, erblickten wir die Stadt der Händler. Die Karawane machte halt, obwohl Gabor keinen Befehl dazu gegeben hatte – doch diesmal ließ er es durchgehen.

Der Anblick war in der Tat überwältigend.

Die Stadt strahlte. In der Stadt der Flügelträger wäre nie jemand auf die Idee gekommen, Straßenlaternen aufzustellen. Und die Fenster waren dort so dicht verhängt, als befürchteten die Einwohner einen Luftangriff.

Die Händler hatten jedoch vor niemandem Angst. Zumindest taten sie so, als ob. Aus allen Fenstern strömte Licht auf die Straße, an den Kreuzungen und Plätzen standen Laternen, bei denen es sich um Schalen handelte, in denen eine weiße Flamme brannte.

Die Stadt stellte sich als gar nicht so groß heraus, sie nahm nur einen schmalen Streifen an der Küste ein und zog sich noch die Hügel hinauf. Bereits auf den ersten Blick ließ sich erkennen, dass sie um einen Hafen herum entstanden war. In ihm lagen zwei Dutzend Schiffe vor Anker, ein Boot segelte gerade ins offene Meer hinaus.

Len, der sich mit der Tochter des Händlers unterhalten hatte, war auf mich zugekommen, ohne dass ich ihn bemerkt hatte. »Weshalb sind denn alle so begeistert?«, fragte er irritiert. »Das ist doch bloß eine Stadt wie jede andere auch, nur dass die Straßen mit grellen Laternen gespickt sind. Das blendet ja richtig.«

»Schieb das Visier hoch«, forderte ich ihn auf.

Und nun sah er, wie in der Finsternis die Straßenlaternen funkelten, die Fenster mit ihrem warmen Licht schimmerten und die Lampen auf den Jachten blinkten. Das Meer reflektierte die ganze Lichterpracht und verwandelte sie in ein weiches, buntes Tuch, das glitzernd auf den Wellen wogte.

»Wow!«, rief Len begeistert. »Klasse!«

In dem Moment wurde mir klar, dass er noch nie einen Sternenhimmel gesehen hatte oder eine hell erleuchtete Straße. Die Finsternis hatte ihn gezwungen, eine Brille zu tragen und sich mit der Dunkelheit abzufinden. Diese konnte allerdings auch schön sein – falls sich Licht in ihr versteckte.

»Warum sieht es bei uns nicht so aus?«, seufzte Len. »Warum nicht?«

Im Ausschnitt seines Overalls tauchte nun der Sonnenkater auf. »Weil ihr die Finsternis fürchtet«, mauzte er in belehrendem Ton.

»Aber das muss doch so sein! Und was regst du dich überhaupt auf – wo du doch selbst aus Licht bist!«

»Weil das Licht die Dunkelheit braucht«, antwortete der Kater mysteriös. »Ihr dummen, dummen Jungen, wann begreift ihr endlich, gegen wen ihr zu kämpfen habt…«

Daraufhin verschwand er wieder in Lens Ausschnitt.

»Kein Grund, mich zu kratzen«, blaffte Len beleidigt. »Was meinst du, Danka, erreichen wir die Stadt heute noch?«

Schön wär’s ja, überlegte ich und hielt nach Gabor Ausschau. Der heizte gerade den Soldaten ein, die sich daraufhin vom Anblick der Stadt losrissen und die verträumten Büffel weiterscheuchten.

»Gabor…«, setzte ich an.

Der Händler schmunzelte und winkte mit der Hand ab. »Keine Sorge, ihr braucht nicht die ganze Nacht mit uns zu verplempern«, sagte er grinsend. »Nehmt eure Sachen und verschwindet!«

Einen kurzen Moment glaubte ich, der Händler würde wieder in seinen Taschen kramen und mir noch ein paar Münzen geben. Ehrlich gesagt, hätte ich es ihm nicht krumm genommen.

Aber Gabor verzichtete auf jede Gefühlsduselei. »Fliegt schon los«, forderte er mich noch einmal auf.

Von ihm verabschiedete ich mich nicht. Seiner Frau winkte ich jedoch zu – schließlich hatten wir Seite an Seite gekämpft –, bevor ich an den Rand der Schlucht trat und die Flügel ausbreitete. Neben mir hüpfte Len ungeduldig von einem Bein aufs andere. »Kann’s endlich losgehen?«, fragte er.

»Ja«, sagte ich. »Wer ist als Erster bei…«

Die Dunkelheit, in der die Lichter der Händlerstadt schimmerten, umhüllte uns sanft. Diesmal benutzte ich beim Fliegen nicht den Wahren Blick, denn der hätte die Nacht kaputt gemacht – die mir zum ersten Mal so wahr und so gut vorkam wie zu Hause. Natürlich gewann Len unseren Wettflug. Er kreiste bereits über dem Stadtzentrum, als ich die Peripherie erreichte. Unter mir lagen ein- und zweistöckige Häuser, gedrungene und solide Bauten, in denen die Händler nicht nur lebten, sondern auch ihre Waren aufbewahrten. Die Menschen, die durch die Straßen spazierten, verdrehten den Kopf und schauten mir nach.

»Du lahme Ente!«, rief mir Len begeistert zu. »Dich hab ich aber abgehängt! Sind deine Flügel eingerostet?«

Das vermieste mir jedoch nicht die Stimmung.

»Lass uns auf dem Platz landen«, bat Len, als ich aufschloss. »Da gibt es Buden… Ich habe einen Wahnsinnshunger!«

»Wir landen besser im Hafen«, schlug ich vor. Sofort willigte Len ein. Bestimmt reizten ihn die Schiffe ebenfalls, denn wahrscheinlich hatte er noch nie welche zu Gesicht bekommen. Ich wusste immerhin aus Filmen, was Segeljachten waren.

So spreizten wir die Flügel und gingen am Hafen tiefer.

Die Hafenpromenade war kopfsteingepflastert. So gleichmäßig und glatt abgeschliffen, wie das Pflaster war, mussten hier schon unzählige Menschen gegangen sein. Bei der Landung rutschte Len prompt aus. Als er sich hochrappelte, rieb er sich fluchend ein Bein. Ich legte die Flügel an und sah mich um.

Auf der einen Seite erhoben sich graue Lagerhallen, auf der anderen schaukelten Schiffe auf dem Wasser. Uns blieb jedoch keine Zeit, sie näher anzusehen, denn drei Männer kamen mit schnellen Schritten auf uns zu.

Sie trugen komische Kleidung: lange Wollpullover, die fast bis zu den Knien reichten und unter denen kanariengelbe Hosen hervorlugten. Über den Pullover hatten sie ein ledernes Schultergehänge geschnallt, an dem ein kurzes Schwert baumelte. In mir spannte sich alles an.

»Len«, warnte ich meinen Junior leise. »Achtung!«

Len hörte sofort auf, über die missglückte Landung zu grummeln. Schulter an Schulter bauten wir uns auf, um die drei näher kommenden Männer in Empfang zu nehmen.

Sie erinnerten eher an die Männer aus Lens Stadt als an Händler. Auch ihre Schwerter entsprachen den Waffen aus Lens Stadt. Außerdem zeigten ihre Gesichter jene seltsame, unbewegliche Gleichgültigkeit, über die ich mich anfangs so gewundert hatte.

»Flügelträger«, konstatierte einer der drei. »Ohne Zweifel Flügelträger. Was treibt ihr denn hier, Jungs?«

»Wer will das wissen? Wer seid ihr überhaupt?«, fragte Len zurück. Sonderlich viel Respekt legten die Flügelträger den Erwachsenen gegenüber ja nie an den Tag.

»Wir stehen in Diensten der Stadt«, erklärte einer der Männer bereitwillig. Er war etwas älter als Shoky oder Iwon, dürfte also vor nicht allzu langer Zeit selbst noch Flügel getragen haben. »Und was hat euch in die Händlerstadt verschlagen?«

»Wir sind aus freien Stücken hier«, erwiderte Len in provozierendem Ton. »Oder ist das etwa verboten?«

»Natürlich nicht«, meinte unser Gegenüber. »Haltet euch nur vor Augen, dass es hier nicht wie in eurer Stadt ist, wo ihr alles umsonst bekommt. Hier müsst ihr bezahlen. Für die Unterkunft, das Essen, für alles, was ihr braucht.«

»Wir haben Geld«, verkündete Len stolz.

Mir war, als ob die drei auf diese Information sehr hellhörig reagierten. Ein Mann von etwa vierzig Jahren, der Älteste von ihnen, der bisher geschwiegen hatte, meldete sich zu Wort: »Für das Recht, sich in der Stadt der Händler aufzuhalten, werden Steuern erhoben. Zwei Taler von jedem.«

Len warf mir einen bedauernden Blick zu, zuckte die Schultern und wollte anscheinend schon bezahlen. Doch ich achtete nicht weiter auf ihn, sondern musterte die Männer. Vier Taler – hauten sie uns damit übers Ohr? Würden sie es tatsächlich wagen, nicht nur Erwachsene auszunehmen, sondern auch uns?

»Und wenn wir nicht zahlen, werdet ihr uns dann verfolgen?«, fragte ich. Dabei spreizte ich den Arm, damit sie den Stoff der Flügel sahen.

Etwas im Gesicht der Männer veränderte sich. Der Jüngste von ihnen beugte sich zu uns herunter. »Natürlich nicht, mein Junge, wo denkst du denn hin«, erklärte er mit weicher Stimme. »Aus welcher Stadt seid ihr?«

»Schichar«, antwortete Len. »Das liegt im Süden, am Fluss Dalal.«

Auf diese Weise erfuhr ich also, wie Lens Stadt hieß.

»Das kenne ich. Da bin ich schon einmal gewesen. Kennt ihr den alten Gert?«

»Klar!« Ob ich wollte oder nicht, ich musste grinsen.

»Wenn ihr zurückkehrt, grüßt ihn von Wokk. Wokk, das bin ich.«

Len und ich nickten synchron.

»Was wollt ihr denn nun bei uns, Jungs?«

»Wir sind aus reiner Neugier hier«, behauptete Len mit Unschuldsmiene. »Wir haben bei einem Händler als Begleitsoldaten angeheuert, für den Weg bis zur Stadt. Wir wollen einfach mal sehen, wie man hier lebt, mit der nächsten Karawane ziehen wir dann zurück.«

Die Antwort stellte Wokk zufrieden. Er klopfte Len auf die Schulter, erhob sich und verkündete in offiziellem Ton: »Hiermit erteile ich euch die Erlaubnis, euch in der Stadt der Händler aufzuhalten. Achtet die bestehenden Gesetze, befolgt die Befehle der Ordnungshüter und vergesst nicht, dass man für alles zu bezahlen hat. Solltet ihr Probleme bekommen, wendet euch an mich.«

Die beiden Gefährten Wokks mischten sich nicht in unser Gespräch ein. Als die drei jedoch über die Uferpromenade abzogen, fingen sie einen halblauten Streit mit ihm an.

»Und ich hatte schon gedacht«, sagte Len leise, »wir müssten ihnen Geld geben.«

»Er sehnt sich zu sehr nach Flügeln«, erklärte ich. »Er weiß, dass er nie wieder fliegen wird, erinnert sich aber noch genau, wie es ist, zu fliegen. Deshalb wollte er uns nicht über den Tisch ziehen. Aber seine beiden Kumpane sind älter und haben bereits alles vergessen. Wir hatten Glück, dass er bei ihnen das Sagen hat.«

»Wer denn auch sonst?«, meinte Len verwundert. »Schließlich war er noch vor Kurzem ein Flügelträger, ist geflogen und hat gekämpft. Da ist es doch klar, dass er ein besserer Kämpfer ist als die beiden alten Herren.«

Letztendlich betrachteten Len und ich die Welt eben doch mit anderen Augen. Und wir wunderten uns über andere Dinge. Wenn Len gewusst hätte, womit sich unsere Altersgenossen in meiner Welt so beschäftigten, hätte er sich vor Staunen bestimmt nicht mehr eingekriegt.

»Lass uns einen Imbiss suchen«, schlug ich vor. Als mir aufging, wie komisch das Wort »Imbiss« in dieser Bilderbuchlandschaft mit ihren Segelschiffen klang, musste ich unwillkürlich grinsen. »Ich meine natürlich eine Taverne.«

Eine Taverne fanden wir erst nach einer geschlagenen halben Stunde, als wir nämlich auf die Idee kamen, nicht länger die Uferpromenade hinunterzumarschieren, wo uns die wenigen Leute – keine Händler, sondern Wachmänner und Matrosen – sowieso nur neugierig anstarrten, und stattdessen aufs Stadtzentrum zusteuerten. Das Ding hieß dann auch nicht Taverne – und erst recht nicht Imbiss –, sondern schlicht und ergreifend »Gasthaus«. Aus der halb offenen Tür strömten uns wirklich leckere Düfte entgegen. Der Sonnenkater, der in Lens Ausschnitt geschlafen hatte, schob seinen Kopf heraus, schnupperte und schnurrte zufrieden.

»Denkt daran, euch um eine Übernachtungsmöglichkeit zu kümmern«, ermahnte uns der Kater, als er wieder im Flügeloverall verschwand. »Und für mich bestellt Milch!«

Ich war davon überzeugt, gleich etwas zu sehen, das einer Taverne aus einem Piratenfilm entsprach – aber da sollte ich mich irren.

Die Gaststätte war winzig klein, ein einfacher Raum mit fünf oder sechs kleinen Tischen und einem Bambusvorhang, der die Küche abtrennte. An den beiden Tischen in unserer Nähe saßen Wachmänner, die selbstvergessen Buletten mit Reis aßen. An einem anderen saßen zwei Händler in Jeans und tranken Wein aus hohen Kelchen. Die Gäste schielten zu uns rüber, wenn auch nicht allzu unangenehm. Wir nahmen an einem freien Tisch Platz. Erstaunt stellte ich fest, dass die Händlerstadt anfing, mir zu gefallen.

»Wie geht’s jetzt weiter?«, flüsterte Len.

»Woher soll ich das wissen? Warten wir erst mal ab.«

Len schluckte seine Spucke hinunter und nickte widerwillig. »Gut. Nur würde ich halt gern was essen…«

So saßen wir also da, schauten einander an und taten so, als ob wir nicht gleich vor Hunger sterben würden. Zum Glück brauchten wir nicht lange zu warten. Einer der Händler legte einen Kristalltaler auf den Tisch, stand auf und ging zum Ausgang, während der andere mit finsterer Miene seinen Wein austrank. Vor dem Bambusvorhang sagte der erste Händler jedoch laut und deutlich: »Herrin, es gibt Kundschaft!«

Daraufhin wurde Len sofort ganz aufgeregt und sogar der Kater ließ sich wieder blicken.

Raschelnd teilte sich der Vorhang und es erschien eine junge Frau von etwa zwanzig Jahren. Sie sah gut aus, selbst mit dem rotblonden Haar. Für mich gab es keinen Zweifel: Sie musste die Tochter eines Händlers sein.

»Flügelträger«, stellte sie in einer Mischung aus Staunen und Freude fest. »Was darf’s sein?«

»Für mich bitte Milch«, mischte sich der Kater ins Gespräch. »Die Jungen bräuchten jedoch etwas Handfesteres. Das überlasse ich ganz Ihnen, Lady.«

In den nächsten Sekunden huschte der Blick der »Lady« zwischen dem Kater, Len und mir hin und her, als versuche sie herauszufinden, wer von uns beiden der Bauchredner sei. »Für wen ist die Milch?«, fragte sie schließlich.

»Für mich natürlich«, versicherte der Kater freundlich. »Sahne ginge freilich auch.«

Die Frau schrie auf. »Du kannst sprechen?«

»Man muss ja wohl seine Zunge zum Einsatz bringen, da man uns hier andernfalls nicht zu bewirten gedenkt«, erklärte der Kater von oben herab.

»Wird sofort…« Als die junge Frau in die Küche fegte, hätte sie sich beinah im Vorhang verheddert.

»Was sollte das?«, zischte ich.

»Ach, stehen uns etwa unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung?«, fragte der Kater zurück.

»Also… nicht wirklich.«

»Dann lass mich nur machen. Derart erstaunliche Gäste wie uns wird man nicht schröpfen wollen.«

Kurz darauf mümmelten Len und ich bereits unsere Buletten, wobei ich den starken Verdacht hatte, dass sie eher aus Fisch als aus Fleisch bestanden. Der Kater schleckte inzwischen genüsslich seine Sahne. Die Wachmänner glotzten uns an und vergaßen darüber völlig ihr Essen. Auch zwei Mädchen lugten durch den Bambusvorhang aus der Küche zu uns rüber. Da uns der Appetit unter diesen neugierigen Blicken fast verging, hängte uns der Kater prompt ab. Kaum hatte er das letzte Tröpfchen Sahne verputzt, linste er auf meinen Teller. »Meiner Ansicht nach bewältigst du die zweite Frikadelle nicht«, sagte er nachdenklich.

»Dann hilf mir«, bot ich sofort an und schnitt die Hälfte davon für ihn ab. Len spendierte ebenfalls eine Hälfte.

Einer der Wachmänner lachte heiser. Wir aßen weiter. Die rotblonde Frau kam noch einmal zu uns. »Bleibt ihr lange in unserer Stadt, Flügelträger?«, wollte sie wissen.

»Eine Woche vielleicht«, antwortete der Kater.

»Und habt ihr schon eine Unterkunft?«, fragte sie ihn direkt, nachdem sie wohl endgültig zu der Überzeugung gelangt war, dass er bei uns das Sagen hatte.

»Bisher noch nicht«, meinte der Kater mit trauriger Stimme. Er reckte sein Köpfchen hoch, hielt dabei aber nach wie vor ein Stück Fleisch in der Pfote. »Um unsere Finanzen ist es wahrlich schlecht bestellt«, fuhr er dann fort. »Sie dürften uns wohl nur wenige Mahlzeiten in Ihrer vortrefflichen Gaststätte erlauben.«

Die junge Frau ließ sich kurz etwas durch den Kopf gehen und setzte sich schließlich zu uns an den Tisch. »Wir würden euch gern unsere Gastfreundschaft erweisen«, informierte sie uns mit gedämpfter Stimme. »Zum Lokal gehören auch Zimmer und eines davon ist zufälligerweise gerade frei. Der Preis wäre rein symbolisch, einen Taler pro Woche. Allerdings nur unter der Bedingung, dass ihr jeden Tag bei uns frühstückt und zu Mittag und Abendbrot esst.«

Wenn der Kater ein Mensch gewesen wäre, hätte ich ihm jetzt unterm Tisch einen Tritt gegeben, damit er ja akzeptierte. Die Bedingungen hätten nicht besser sein können – aber was tat der Kater?

»Unsere Mittel reichen nicht aus, um bei Ihnen zu speisen, verehrte Lady«, jammerte er.

Die Frau blickte zu den Wachmännern hinüber, die dem Gespräch mit großen Augen folgten.

»Der Preis für die Mahlzeiten ist ebenfalls symbolisch. Ein Taler.«

»Pro Woche«, stellte der Kater sofort klar.

»Abgemacht«, willigte die Frau ein. »Die Gastfreundschaft ist meine Schwäche.«

»Die in diesem Fall kompensiert werden dürfte durch die Bewirtung all der neugierigen Gäste«, entgegnete der Sonnenkater.

Die Frau brach in schallendes Gelächter aus. »Woher seid ihr eigentlich, Jungs?«

»Immer hübsch eins nach dem andern«, sagte der Kater. »Könnten wir zunächst noch jeder eine Frikadelle bekommen?«

Das Zimmer, in das uns die Frau brachte – die übrigens einen ganz normalen Namen hatte und Magda hieß –, war mit Sicherheit keine Luxussuite. Nachdem sie uns allein gelassen hatte, beschwerte sich Len darüber. Ich selbst hatte jedoch den Eindruck, drei mal drei Meter würden für zwei Jungen und einen Sonnenkater durchaus genügen.

In dem Zimmer standen zwei Betten – die für Erwachsene schmal gewesen wären, für uns jedoch keinen Grund zur Klage boten. Außerdem gab es einen Kamin, in dem Brennholz vorbereitet war, sowie einen Tisch und einen einzelnen Stuhl. Die Wände bestanden aus Ziegelsteinen, die nicht einmal getüncht waren, worüber Len ebenfalls lästerte. Über dem Bett, das er sich ausgesucht hatte, hing ein kleines Bild mit einem Schiff, das über das nächtliche Meer segelte. Meiner Meinung nach sah dieses Schiff viel besser aus als die realen Vorbilder. Neben der Tür, die mit einem soliden Schloss abgesperrt werden konnte, hing ein kleiner, trüber Spiegel. Mehr gab’s in dem Zimmer nicht. Das heißt, ein Fenster war natürlich auch da, vor dem nur eine leichte Gardine hing – was Len absolut umhaute. Er war nicht daran gewöhnt, dass vor den Fenstern keine Läden waren und Licht durch sie hereinfiel, und sei es auch nur das Licht von Straßenlaternen.

Der Kater rannte eine Weile geschäftig durchs Zimmer und flog dann auf mein Bett.

»Heute schlafe ich bei dir«, erklärte er. »Wenn es kalt wird, unter der Decke. Du liegst doch still, wenn du schläfst?«

»Woher soll ich das denn wissen? Wenn ich schlafe, schlafe ich!«, antwortete ich. »Warum hast du eigentlich nicht auch noch damit angegeben, dass du fliegen und leuchten kannst?«, fragte ich.

»Was hätten wir denn sonst noch in der Hand, wenn wir länger als eine Woche bleiben müssen?«, antwortete der Kater.

»Du würdest einen prima Händler abgeben«, meinte Len halb verächtlich, halb begeistert.

»Ich werde mir diesen Gedanken durch den Kopf gehen lassen«, versprach der Kater und fing an, sich zu putzen. »Geht jetzt ins Bett, Jungs, morgen steht uns ein harter Tag bevor.«

»Wieso das?«, fragte ich.

»Keine Ahnung. Aber nur so zum Spaß sind wir ja nicht hergekommen. Schlaft jetzt!«

Ohne ihm den Befehlston übel zu nehmen, zog ich mich aus und kroch unter die Decke.

»Gute Nacht, Danka«, sagte Len gähnend.

»Gute Nacht«, erwiderte ich. Dem Sonnenkater wünschte ich noch extra, wie es sich gehört: »Einen strahlenden Sonnenaufgang.«

Ich wachte davon auf, dass der Kater an meinem Ohrläppchen knabberte und mir den Mund mit der Pfote zuhielt. Da ich nicht begriff, was das sollte, hätte ich ihn beinah auf den Fußboden gepfeffert. »Pst, Danka!«, flüsterte der Kater in dem Moment. »Steh auf.«

Ich stand auf. Der Kater hing schwach leuchtend in der Luft.

»Was ist?«, fragte ich verdattert und immer noch im Halbschlaf.

»Sieh dir mal deinen Junior an…«

Endlich dämmerte mir, dass etwas passiert sein musste, und ich drehte mich zu dem Bett um, in dem Len schlief. Sofort erstarrte ich. Da lag nicht Len. Da lag jemand, der ihm sehr ähnlich sah, dessen Gesicht jedoch so böse und verkniffen war, dass mich der pure Horror packte.

»Das ist die Finsternis«, flüsterte der Kater mir ins Ohr. »Das Schwarze Feuer brennt in ihm, Danka. Wenn Len nicht schläft, ist er stärker als die Finsternis. Aber sie lauert in ihm…«

Der Händler fiel mir wieder ein, der die Finsternis in ihm durch seine schwarze Brille bemerkt haben wollte. Hilflos sah ich den Kater an. »Was können wir denn für ihn tun?«

»Wir? Ihn wecken oder ihn mit Wahrem Licht bestrahlen… oder einfach Mitleid mit ihm haben. Dennoch wird die Finsternis in ihm wachsen. Wir müssen viel, sehr viel Wahres Licht finden, um die Finsternis in Len bis aufs letzte Fünkchen auszubrennen.«

»Wie viel?«

» Sehr viel, Danka. Aber frag mich nicht, wie viel genau und woher wir es nehmen sollen. Das ist mir selbst völlig unklar. Schließlich bin ich…«

»… noch klein, die Leier kenne ich schon«, unterbrach ich den Kater. Ich setzte mich neben Len aufs Bett und griff vorsichtig nach seiner Hand.

Schon in der nächsten Minute entspannte sich Lens Gesicht. Es sah wieder aus wie immer, nur auf der Stirn schimmerten ein paar Schweißperlen.

»Vielleicht ist alles halb so schlimm«, sagte der Kater seufzend. »Leg dich hin und schlaf noch ein wenig. Ich halte die Finsternis in ihm in Schach.«

Mit diesen Worten machte er es sich auf Lens Brust bequem, fing leise an zu schnurren und beachtete mich nicht weiter.

Also ging ich wieder ins Bett, selbst wenn ich nicht mehr einschlafen konnte. Ich lag da, starrte an die Holzdecke, auf die Ritzen zwischen den Brettern, und wartete, bis auf der Straße die ersten Schritte der Leute zu hören waren und das Licht der Laternen heller wurde, um den neuen Tag anzuzeigen.

Irgendwann wachte Len auf und bemerkte den Kater auf seiner Brust. »Hat Danka dich im Schlaf getreten?«, fragte er ihn lachend.

»Und wie!«, log der Kater dreist. »Zukünftig schlafe ich lieber bei dir, du bist friedlicher.«



5. Das Schwert

Bad und Klo lagen am Ende des Gangs, jeweils eines für alle Zimmer. Wie in einer Gemeinschaftswohnung. Zum Glück schien außer uns niemand im Gasthaus zu wohnen. Als wir nach unten gingen, immer noch verschlafen und mit feuchten Haaren nach dem Duschen, brach das vielstimmige Gemurmel sofort ab.

An jedem Tisch saßen rund zehn Leute. Die meisten tranken Wein und aßen gebratenen Fisch dazu. Natürlich verstand ich von solchen Dingen noch nichts, aber ich fand, dass diese Kombination als Frühstück nicht gerade üblich war. Es waren Wachmänner und Händler und alle glotzten uns unverhohlen an. Sie waren bestimmt gekommen, um den sprechenden Kater zu erleben. Wir stapften zu dem einzigen noch freien Tisch – der offenbar für uns reserviert war – und setzten uns, wobei wir versuchten, niemanden anzusehen.

In absoluter Stille brachte Magda uns Bratfisch mit Gemüse, eine Schale mit Sahne für den Kater und je ein Glas Wein für Len und mich.

»Vielen Dank«, brachte ich verlegen hervor. Der Kater schwieg.

Magda schwirrte hin und her und servierte den Gästen Wein. Wir aßen in aller Eile und träumten nur von einem: hier wegzukommen. Der Kater schlürfte seine Sahne – und schwieg.

Magda musterte ihn ungeduldig.

Erst als der Kater sich über den Fisch hermachte, durchbrach er die Stille. »Etwas zu lange gebraten…«, verkündete er klar und deutlich.

Ein lautes Raunen ging durch die Gäste. Danach herrschte wieder Stille, nur durchbrochen vom Gluckern des Weins, den die Gäste sich eiligst eingossen.

Len schielte zu mir herüber. »Was ist, sollen wir den mal probieren?«, flüsterte er.

Ich nippte vorsichtig an dem Wein und schüttelte den Kopf. Er war sauer – und fürchterlich stark. Da Len und ich uns jedoch schämten, um Wasser oder Saft zu bitten, warteten wir einfach, bis der Kater mit seinem Fisch fertig war.

Der ließ sich allerdings Zeit. Als er fertig war, sprang er in Lens Armbeuge und wir steuerten gemeinsam auf den Ausgang zu, ohne dass wir uns vorher irgendwie abgesprochen hätten. Wir waren schon halb durch die Tür, da fiel dem Kater noch was ein. »Könnte man zum Mittagessen heute mal die Fischsuppe probieren?«, erkundigte er sich bei Magda.

Sie nickte mit freudestrahlendem Gesicht. Wir verließen den Raum. Sobald die Tür hinter uns zugefallen war, redeten drinnen alle mit aufgeregten Stimmen durcheinander.

»Was für eine Komödie…«, sagte Len.

»Ja, ja, die einen ergötzen sich an der Komödie – während andere den Pausenclown mimen müssen«, maulte der Kater. »Wohin gehen wir?«

Erst zuckte Len mit den Schultern, dann ich.

»Also flanieren wir so lange durch die Straßen, bis wir auf etwas Interessantes stoßen«, entschied der Kater.

Während des Spaziergangs ließen wir unsere Blicke in alle Richtungen schweifen. Im Grunde gab es jedoch gar nichts zu sehen. Nur Häuser, Leute, die sich nicht im Geringsten für uns interessierten, und zahllose Laternen.

»Nun, Danka, meinst du immer noch, die Händler könnten hinter der ganzen Geschichte stecken?«, wollte der Kater wissen.

»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »Vermutlich sind sie für eine derartige Schweinerei doch zu dumm.«

»Stell dir einmal die wichtigste Frage!«, verlangte der Kater im Ton eines Oberlehrers von mir. »Die Frage, auf die es einzig ankommt. Wenn du die Frage richtig formulierst, ist darin die Antwort schon enthalten.«

»Du gehst mir auf die Nerven!«, fuhr ich ihn an. »Du weißt doch genau Bescheid – und uns sagst du nichts!«

Der Kater hüllte sich in Schweigen, und wir gingen wortlos weiter, bis ich schließlich hervorbrachte: »Die wichtigste Frage ist: Wem nützt das? Korrekt?«

»Annähernd«, bestätigte der Kater kühl.

»Es nützt den Händlern!«, stieß Len hervor. »Sie nehmen uns aus!« Er sah mich an. »Das stimmt doch, oder, Danka?«

»Unterbrich deinen Senior nicht!«, wies ihn der Kater zurecht. »Diese Jugend! Kennt keinen Anstand und keinen Respekt mehr. Also: Wer ist an allem schuld, Danka?«

»Ich weiß es nicht«, gab ich ehrlich zu. »Aber es nützt den Händlern…«

»Wenn du eine Frikadelle zum Fenster hinauswirfst und die Fliegen sich darauf stürzen, trifft die Fliegen dann irgendeine Schuld?«, bohrte der Kater weiter.

»Wenn sie sich auf die Bulette setzen und ich sie dann vor lauter Ekel nicht mehr essen mag, ja, dann sind sie schuld«, mischte sich Len wieder ein.

Der Kater mauzte verärgert. »Dreht mir nicht das Wort im Mund herum, Jungs! Und begriffen habt ihr bisher rein gar nichts!«

Wieder zogen wir schweigend weiter. Nach und nach veränderte sich die Straße. Die Häuser waren jetzt höher und es gab mehr Laternen. Auch immer mehr von innen beleuchtete Schaufenster mit allerlei Krimskrams.

»Geschäfte!«, rief der Kater, als hätte er schon lange davon geträumt, shoppen zu gehen. »Haben wir Geld, Danka?«

»Ja.«

»Dann komm.«

Er sprang von Lens Arm herunter und steuerte auf eine der Türen zu. Ich zuckte bloß mit den Schultern.

Im Geschäft war es hell, sogar zu hell. In dem Raum brannten fünf Lampen, doch an denen lag es nicht. Aber überall – an den Wänden und in den Regalen – funkelten Spiegel, die das Licht zurückwarfen.

»Kauf den, vor dem ich anfange, mich zu putzen«, trug mir der Kater, dieser alte Verschwörer, auf.

Der Besitzer des Ladens kam auf uns zu, ein hohlwangiger Mann mit schwarzen Haaren. Er erinnerte kaum an die Händler, die wir schon kennengelernt hatten, trat aber ganz mit der Souveränität eines Geschäftsinhabers auf.

»Wollen die jungen Leute etwas kaufen?«, fragte er höflich, wenn auch nicht allzu interessiert. »In unserer Stadt muss man dergleichen bezahlen…«

»Ich weiß«, sagte ich, wobei ich den Kater beobachtete, der langsam an der Wand entlangstolzierte und sich in jedem Spiegel betrachtete. »Wir können zahlen.«

Sofort änderte sich der Ausdruck im Gesicht des Mannes. »Was für ein herrlicher Tag! Meine Kundschaft ist ja durchaus zahlreich, aber Flügelträger – das Vergnügen hatte ich bislang noch nicht! Womit kann ich dienen?«

»Mit einem Spiegel«, sagte ich. Was eine ziemlich dämliche Antwort war.

»Sicher. Aber mit was für einem?« Der Mann fuchtelte theatralisch mit der Hand. »Mit einem kleinen oder einem großen, für zu Hause oder für die Reise, einem runden oder einem quadratischen, einem neuen oder einem alten, gerahmt oder ungerahmt, mit Edelsteinen besetzt oder…«

Inzwischen hatte sich der Sonnenkater vor einen kleinen, runden Spiegel in einem schlichten Holzrahmen gehockt und angefangen, sich zu putzen.

»Ach, etwas ganz Einfaches«, sagte ich erleichtert. »Der da zum Beispiel würde absolut genügen.«

Der Händler drehte sich um und starrte den Kater an. »Woher kommt dieses Viech?«

Empört stellte der Kater die Putzerei ein und machte einen Buckel.

»Der gehört zu uns«, erklärte ich. »Keine Sorge, er wird nichts kaputt machen.«

»Wenn er etwas kaputt macht, werdet ihr es bezahlen«, erklärte der Mann unerschüttert. »Diesen also…«

Er nahm den Spiegel so behutsam von der Wand, als wäre es eine Kristallvase.

»Bei diesem Spiegel handelt es sich um die Arbeit eines alten Meisters. Er ist so alt, dass ich ihn nicht verkaufen möchte. Selbst zwanzig Taler wären nicht genug…«

»Gehen wir!« Ich zog Len am Arm fort.

»Wartet!«, rief der Verkäufer nervös. »Vielleicht finden wir ja einen Kompromiss!«

Eine Viertelstunde später waren wir um drei Taler ärmer, hielten jedoch den eingewickelten Spiegel in Händen und verließen den Laden.

»Aber eigentlich hat er uns doch übers Ohr gehauen, oder?«, meinte Len.

»Er glaubt, uns übers Ohr gehauen zu haben«, entgegnete der Kater vergnügt. »Im Grunde hat jedoch er das Nachsehen – und zwar gewaltig.«

»Das ist ein Wahrer Spiegel, stimmt’s?«, fragte ich.

»Stimmt«, bestätigte der Kater. »Meine Hochachtung, Danka.«

»Ich weiß sogar noch mehr«, sagte ich mit einem Augenzwinkern. »Ich weiß, wofür wir den brauchen. Wir machen noch einen Kater! Damit du einen Freund hast. Nicht wahr?«

Der Kater, der bis eben friedlich in Lens Armen gelegen hatte, sprang runter auf die Straße. »Was?«, kreischte er los. »Du Dummkopf! Sonnenkater macht man doch nicht einfach so! Und wozu bräuchtet ihr noch einen? Reiche ich euch nicht mehr?«

»Tut mir leid, es war nur Spaß«, stammelte ich. »Aber wozu willst du dann…«

»Wenn dieser Hohlkopf von Verkäufer keine Ahnung hatte, was für einen Spiegel er da anbot«, schimpfte der Kater weiter, »dann ist es sein Pech! Jetzt brauchen wir jedenfalls noch eine Waffe. Eine gute Waffe. Um die Freiflieger zu besiegen. Und eine gute Waffe kaufst du nicht für zehn Taler. Du dummer, dummer Junge…«

Er fing an, sich nervös zu putzen.

»Tut mir leid«, wiederholte ich.

»Wenn du so ein Schlaukopf bist, dann blick doch mal in den Spiegel«, schlug der Kater plötzlich vor. »Willst du?«

Verwirrt sah ich auf das Paket in meinen Händen. Hineinsehen? Und… mein eigenes Wesen erkennen?

»Nein«, antwortete ich leise. »Nein, das will ich nicht.«

»Eine kluge Entscheidung«, urteilte der Kater, der seine Empörung wieder im Griff hatte. »Es würde dir nicht gefallen, das kann ich dir versichern.«

Die Fußgänger verfolgten mit neugierigen Blicken die seltsame Szene: zwei Flügelträger, die vor einem Kater standen. Aber bestimmt sah es so aus, als ob es Len und ich waren, die sich miteinander unterhielten.

»Gehen wir weiter!«, sagte der Kater nach einer Weile. »Und haltet die Augen offen! Nach einem Schaufenster mit Waffen.«

Wir mussten lange suchen. Anscheinend erfreuten sich Waffen keiner sonderlichen Beliebtheit, und sicher kam es nicht oft vor, dass Gäste wie wir in der Stadt der Händler auftauchten. Irgendwann bemerkte Len eine Tür, über der ein Schild mit zwei gekreuzten Schwertern prangte. Ein Schaufenster gab es aber nicht.

»Versuchen wir unser Glück«, brummte der Kater. Wir betraten den Laden. Sobald wir durch die Tür waren, wussten wir, dass wir uns nicht geirrt hatten.

Der Raum war lang und schmal wie ein Korridor. Die Wände überzog ein enges Eisengitter, das die Waffen an die Steinmauer presste. Angesichts ihrer Vielfalt gingen mir die Augen über. Schwerter, Dolche, Armbrüste, Säbel, Lanzen, Äxte – und noch etliche andere scharfe und spitze Gegenstände, deren Namen ich nicht wusste.

»Wow!«, rief Len begeistert und streckte eine Hand durch das Gitter, um ein Schwert mit einer langen und schmalen Klinge zu berühren. Doch seine Finger glitten durch die Schneide hindurch wie durch Nebel. Ruckartig zog er die Hand zurück und schaute sie skeptisch an. »Die sind ja alle unecht!«, maulte er enttäuscht. »Hier haben wir nichts verloren!«

»Das sind Muster«, erklärte jemand mit leiser Stimme hinter uns. »Solange ihr nicht bezahlt habt, bekommt ihr keine echten Stücke in die Hand.«

Wir wirbelten herum. Neben der geschlossenen Ladentür stand ein Mann. Wo er herkam, war ein Rätsel. Er sah absolut durchschnittlich aus. Mittlere Größe, nicht jung, nicht alt, gekleidet wie ein Händler, mit einem funkelnden Ring am Finger. Mich enttäuschte sein Äußeres. Der Besitzer eines Waffenladens sollte entweder ein buckliger Greis mit einem schwarzen Umhang und faltigem Gesicht sein oder das genaue Gegenteil davon, ein muskelbepackter Jüngling mit nacktem Oberkörper. Aber der hier…

»Flügelträger sind seltene Gäste in unserer Stadt«, meinte der Waffenhändler in diesem Moment. »Vermutlich glauben sie, allein ihre Flügel würden sie zuverlässig schützen. Aber da wäre ich mir nicht so sicher…«

Der Mann ging auf Len zu, fasste ihn entschlossen bei den Schultern, zog ihn etwas näher und knöpfte die Scheide von seinem Gürtel. Len, der normalerweise einen Wutanfall bekam, wenn man etwas mit ihm anstellte, ohne ihn vorher zu fragen, schien es die Sprache verschlagen zu haben.

»Äußerst bemerkenswert!«, konstatierte der Waffenhändler. »Schwarzer Stahl, im Flug gehärtet. Ihr habt nach wie vor gute Meister, mein Junge.«

Nachdem er dem verdutzten Len das Schwert zurückgegeben hatte, wandte er sich mir zu. Mein Schwert zog er allerdings nicht. Er betrachtete nur den Griff – und strahlte über beide Backen.

»Der Gnom Tuak tat schon immer zu viel des Guten«, meinte er, wobei er mich so ziemlich ignorierte. »Ein allzu reich verzierter Griff… viel zu weicher Stahl. Kaum zu glauben, dass dieses Schwert zweihundert Jahre überdauert hat. Offenbar ist es nur selten gebraucht worden.«

Der Mann richtete seinen Blick wieder auf Len, während ich über seine Worte nachgrübelte: Bewunderte er meine Waffe oder machte er sich über sie lustig? »Was führt euch zwei denn zu mir?«, fragte er. »Wollt ihr bessere Schwerter kaufen als die, die ihr habt? Dann werdet ihr bei uns nicht fündig, dafür bräuchtet ihr nämlich mehr Geld, als dieses Päckchen beinhalten dürfte.« Er wies mit einem kurzen Nicken auf den eingewickelten Spiegel. »Wollt ihr etwas verkaufen? Ich würde euch gutes Geld für das Schwert des Gnoms Tuak zahlen und auch für das luftgehärtete Schwert. Aber Flügelträger verkaufen ihre Waffe nicht. Oder hat sich alles von Grund auf geändert und die Welt ist nicht mehr die von einst?«

»Lasst mich mit ihm reden«, schaltete sich nun der Kater ein, der bisher bescheiden zu meinen Füßen gesessen hatte.

Der Waffenhändler schien sich darüber nicht zu wundern. »Jetzt kommen wir der Sache allmählich näher«, meinte er. »Wollen wir die Unterhaltung hier führen oder lieber in mein Zimmer gehen?«

»Vorerst können wir getrost hierbleiben«, antwortete der Kater. »Danach sehen wir, wohin wir gehen.«

»Gut. Was braucht ihr?«

»Ein Wahres Schwert.«

»Das kostet Geld – viel Geld, wie ihr euch denken könnt. Ich bin schließlich kein gutherziger Gönner junger Helden. Ich bin Händler. Ich brauche Geld, um mein Geschäft ausüben zu können.«

»Wertvoll sind nicht nur Geld und Schwerter.«

»Auch wieder wahr.« Der Händler schielte zu dem Paket, das ich trug. »Wie ich sehe, habt ihr etwas, das ihr mir zum Tausch anbieten könnt. Aber ob ich das überhaupt brauche?«

»Du hast das Wahre Schwert«, erwiderte der Kater bloß.

»Ich habe viele Schwerter.«

»Gehen wir in dein Zimmer.«

»Soll mir recht sein.«

Ohne große Hast zogen der Händler und der Sonnenkater durch den Korridor ab. Len und mich hatten die beiden völlig vergessen. Unschlüssig folgten wir ihnen.

Wir saßen auf einem weichen Ledersofa, in dem wir halb versanken, und beobachteten den Kater und den Waffenhändler. Der Kater hockte mitten auf dem großen Holztisch und verhandelte mit dem Waffenhändler, der in einem Sessel Platz genommen hatte. Den Spiegel hatten sie schon ausgepackt, er lag zwischen ihnen.

»Ich verstehe selbst durchaus einiges von Waffen«, erwiderte der Händler gerade auf ein Argument des Katers.

»Aber das, was ein Wahrer Spiegel vermag, bringst du nicht fertig.«

»Das kann gut sein. Er zeigt dir, ob ein Schwert lange halten wird… oder ob es eine Fälschung ist. Mitunter bin ich mir in diesen Fragen nicht ganz sicher. Da würde mich der Spiegel vor einem Irrtum bewahren. Aber was verlangst du dafür?«

»Ein Wahres Schwert.«

»Ich habe viele Wahre Waffen!«, rief der Händler.

Er drehte sich in seinem Sessel um und öffnete eine Truhe, die vor der Wand stand. Ohne jede Anstrengung – als handle es sich lediglich um Angeln – holte er einen ganzen Packen Schwerter heraus. Aus einer der Scheiden, die ungewöhnlich dick und höckerig war, zog er ein schlankes Schwert.

»Das hier ist das Zauberschwert aus dem Königreich Tar. Am Griff gibt es einen Knopf, wenn du den drückst, zerhackt das Schwert alles.«

»Einen Knopf?«, fragte der Kater giftig. »Und womöglich auch Photonen, Protonen und Magnetfelder? Du scheinst vergessen zu haben, in welcher Welt du dich befindest, Händler!«

»Ist ja gut«, meinte der Händler, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Hier habe ich ein anderes Schwert. Auch diese Klinge vermag einiges. Sie spaltet Stein…«

»Wir haben nicht vor, in einem Steinbruch unser Glück zu versuchen.«

»Schon in Ordnung. Dieses Schwert hier springt von selbst aus der Scheide, sobald Gefahr droht. Allerdings darf man es nicht gegen seinen Willen ziehen. Es ist einem großen Krieger abhanden gekommen…«

Der Kater kannte offenbar die Geschichte. »Du weißt, wie viele Unannehmlichkeiten dieses Schwert besagtem großem Krieger bereitet hat?«

»Daran war er selbst schuld. Der Junge hat einfach…«

»Und für wen suche ich wohl eine Waffe? Für einen weisen Greis?«

Daraufhin dachte der Händler länger nach, bevor er die nächste Entscheidung traf. Sein Blick wanderte zwischen mir und Len und den Schwertern hin und her. Schließlich zog er unschlüssig das nächste Schwert hervor. »Also…« Er präsentierte es äußerst behutsam, als fürchte er, es springe jeden Moment aus der Scheide. »Das ist eine schreckliche Waffe. Sie saugt den Feinden das Leben aus und überträgt auf ihren Besitzer die Kraft seiner Gegner.«

Der Kater machte einen Buckel. »Was fällt dir eigentlich ein?«, zischte er. »Du bietest uns ein Schwert der Finsternis an? Du wagst es, mir, einem Sonnenkater, ein solches Schwert zu empfehlen? Dabei weißt du ganz genau, welches Schicksal es gehabt hat!«

Mit angehaltenem Atem verfolgten wir die Szene. Natürlich war es unmöglich, aus alldem schlau zu werden, aber das Gefühl, dass beinahe ein großes Geheimnis gelüftet worden wäre, hielt uns gefangen.

»Hier habe ich ein weiteres Schwert«, fuhr der Händler rasch fort, während er die dunkle Klinge wieder wegsteckte. »Ein Schwert des Lichts, wie es in einer Schlacht gegen die Kräfte des Bösen unersetzlich ist.«

»Was der Herr nicht alles vom Krieg versteht«, brummte der Kater vor sich hin. »Wir brauchen weder Schwerter des Lichts noch Schwerter der Finsternis«, erklärte er dann mit müder Stimme. »Wir brauchen keine Lichtsäbel oder Atomschwerter. Wir brauchen ein Wahres Schwert. Ist das klar?«

Der Händler richtete den Blick wieder auf uns. »Für wen?«, wollte er wissen.

»Für Danka. Das ist der braun gebrannte, dunkelhaarige Bengel.«

Der respektlose Ton des Katers weckte in mir den Wunsch, ihn beim Schwanz zu packen. Er schaute mich nicht mal an. Dafür musterte mich der Händler allerdings in einer Weise, als wollte er mich durchbohren. »Stammst du wirklich aus dieser Welt, Danka?«, fragte er.

»Nein«, gestand ich, ohne recht zu wissen, warum.

Der Händler erhob sich aus dem Sessel und beugte sich drohend über den Kater. »Was führst du eigentlich im Schilde, Kater? Weshalb hast du den Jungen in diese Welt gebracht?«

»Das hat sich zufällig so ergeben«, antwortete der Sonnenkater wie aus der Pistole geschossen.

»Ach ja?«, grummelte der Händler misstrauisch.

»Er sagt die Wahrheit, ich bin wirklich selbst schuld daran«, erklärte ich. Auch wenn sich der Kater immer mieser benahm, waren wir doch Freunde.

»Das tut mir leid für dich«, sagte der Händler, der nun wieder die Ruhe in Person war. Dann wandte er sich an den Kater: »Dir ist klar, dass ich ein Wahres Schwert nicht einfach verkaufen kann. Der Junge muss es sich selbst holen.«

»Das weiß ich«, meinte der Kater sehr leise.

»Und verlangst du das von ihm?«

»Das muss er selbst entscheiden«, beteuerte der Kater, der alles tat, um meinem Blick auszuweichen. »Erzähle ihm vom Wahren Schwert, Waffenhändler!«

Verzweifelt schlug der Mann die Hände überm Kopf zusammen. »Licht und Finsternis!«, rief er aus. »Nicht einmal das weiß der Junge? Sag mal, Kater, reicht euch nicht doch ein schlichtes Zauberschwert? Ein gutes Schwert gegen die dunklen Kräfte?«

»Weshalb bist du dir denn so sicher, dass wir ein Schwert gegen die Finsternis brauchen?«, fragte der Kater.

»Ich geb’s auf«, antwortete der Händler. »Also, ich verlange folgenden Preis von euch: den Spiegel und alles Geld, das ihr bei euch habt. Dafür werde ich dem Jungen den Weg zum Wahren Schwert zeigen. Du musst…«

»Erzähle mir zuerst vom Wahren Schwert!«, verlangte ich. Mein Ton überraschte mich selbst, er war resolut und fest.

»Also…« Der Händler wandte sich mir zu. »… wie ich höre, darfst du auch selbst sprechen.«

»Raus mit der Sprache!«, forderte ich. Ich spürte, wie meine Augen auf den Wahren Blick umschalteten, obwohl ich das gar nicht wollte. Der Händler schrie auf und riss die Hand vors Gesicht. Nach einer Weile senkte er einen Arm – und ich hatte den Eindruck, aus dem kleinen Ring an seinem Finger fließe über seinen ganzen Körper eine matte Flüssigkeit, die ihn für den Wahren Blick undurchdringlich machte.

»Ich bin alt geworden, sehr alt«, stöhnte der Händler. »Ein Junge mit dem Wahren Blick… Und ich hatte nur Augen für den Kater. Was hast du gesehen, Danka?«

»Nichts«, gestand ich.

»Immerhin funktioniert mein Reaktionsvermögen noch!« Die Stimmung des Mannes hob sich ein wenig. »Du willst etwas über das Wahre Schwert wissen, mein Junge? Gut. Warum auch nicht? Immerhin musst du dein Leben dafür riskieren. Also hör gut zu!«

Der Kater zappelte nervös auf dem Tisch herum. Als ob er es sich anders überlegt hätte und nicht mehr wollte, dass der Händler mir die ganze Wahrheit über das Wahre Schwert erzählte.

»Es gibt viele Welten und in ihnen viele Waffen. Ich handle mit allen. Mit Waffen gegen das Licht und mit Waffen gegen die Finsternis. Ich bin nur ein Händler. Aber dein Freund hat recht – selbst ein Schwert des Lichts kann die Finsternis nicht immer besiegen. Es gibt nur eine Waffe, die dir zum entscheidenden Sieg verhelfen kann. Das ist das Wahre Schwert.«

Len schob sich näher an mich heran. Als ob ihm plötzlich angst und bange wurde.

»Dieses Schwert gehört nie allein einem einzigen Menschen. Du besitzt nur einen Teil seines Wesens, erhältst sozusagen ein körperloses Gespenst. Aber jedes Mal, wenn dir Gefahr droht, materialisiert es sich in der Scheide. Dann kannst du danach greifen und es gegen deinen Feind ziehen. Gegen jeden Feind. Das Schwert wird dich nicht im Stich lassen. Aber du darfst es nur ein Mal ziehen. Nur ein einziges Mal.«

»Warum?«, wollte ich wissen.

»Weil jeder Mensch nur einen einzigen Wahren Feind hat. Und es hängt von dir ab, ob du diesen Feind erkennst oder nicht, ob du die Kräfte des Schwerts leichtfertig vergeudest oder sie für den entscheidenden Kampf aufbewahrst.«

»Und wenn ich nicht begreife, dass mir der entscheidende Kampf bevorsteht?«

»Von sich aus hüpft das Schwert nicht aus der Scheide. Du kannst also selbst mit dem Wahren Schwert verlieren – wenn du nicht weißt, wann du es gebrauchen musst.«

»Und warum hast du gesagt, das Schwert gehöre nicht nur Danka?«, fragte Len plötzlich. »Was heißt das?«

»Es verfügen gleichzeitig Tausende von Menschen über einen Teil des Wahren Schwerts«, antwortete der Händler in fast amüsiertem Ton. »Falls Danka Glück hat, zählt er bald zu ihnen.«

»Was muss ich denn tun, um es zu bekommen?«, bohrte ich weiter.

»Deine Ängste durchleben. Das Wahre Schwert wird dich auf die Probe stellen.« Das Lächeln verschwand vom Gesicht des Händlers. Jetzt wirkte er beinahe traurig. »Du musst durch ein Labyrinth, das aus allem besteht, was du je gefürchtet hast oder immer noch fürchtest. All deine Ängste erwarten dich. Doch das Wahre Schwert wird immer in deiner Nähe sein. Und wenn du auf deine Wahre Angst triffst, wenn du sie erkennst und besiegst, dann überlässt dir das Schwert einen Teil seines Wesens für diesen Kampf im richtigen Leben.«

»Und wenn ich mich täusche und versuche, eine Angst zu besiegen, die nicht meine Wahre Angst ist… bringt mich das Schwert dann um?«

»Natürlich nicht! Du kommst auf Ideen! Es ist deine Wahre Angst, die dich umbringt, wenn du sie nicht besiegst.«

»Wie kann ich das tun?«

»Mit dem Schwert. Mit dem Wahren Schwert. Die kleinen Ängste kannst du einfach überwinden und vertreiben. Aber die Wahre Angst musst du mit dem Wahren Schwert an der Wurzel kappen. Genau wie im richtigen Leben steht dir das Wahre Schwert auch im Labyrinth nur ein einziges Mal zur Verfügung.«

»Okay. Ich werde aber sicherheitshalber mein Schwert des Gnoms Tuak mitnehmen«, sagte ich.

»Du willst es wagen? Nun gut.« Der Händler zuckte bloß die Schultern. »Aber das Schwert des Tuak lässt du hier… Das Wahre Schwert duldet keine Konkurrenz. Das Labyrinth musst du unbewaffnet durchwandern. Und ich fürchte, deine Augen verfügen dort nur über den normalen Blick.«

Der Kater sprang vom Tisch und kam auf mich zu. Er rieb sich an meinen Beinen und sagte: »Lass uns von hier verschwinden, Danka. Wir kommen auch ohne das Wahre Schwert zurecht. Schließlich gibt es genug Zauberwaffen auf der Welt.«

»Aber nur ein Wahres Schwert«, mischte sich der Händler ein.

»Wo ist das Labyrinth?«, fragte ich.

In diesem Moment löste sich das Sofa, auf dem ich saß, in Luft auf. Ich fiel hinein in die Dunkelheit, in bodenlose Tiefe…

»Du bist bereits drin«, drang von oben kaum noch hörbar die Stimme des Händlers zu mir herunter.



6. Das Labyrinth

Ein Labyrinth muss verschlungen sein, mit vielen Biegungen und trügerischen Gängen. Das weiß jedes Kind.

Dieses hier war anders. Es begann in einem kleinen, quadratischen Zimmer, aus dem es nur einen Ausgang gab, einen langen und geraden Korridor, von dem kein weiterer Gang abzweigte. Hoch oben an der Wand steckten in geschmiedeten Eisenringen zwei brennende Fackeln. Außerdem gab es in der Decke eine Luke, durch die ich vermutlich gefallen war. Sie war mit einem riesigen Vorhängeschloss verriegelt, und wenn ich nicht fantasierte, dann war es gerade eben eingerastet.

Mitten im Raum lag ein Haufen flacher Steine. Daneben entdeckte ich ein Schwert in einer Lederscheide.

Ich trat näher, um den Griff zu berühren. Es war ein sehr einfacher Griff, aus Holz. Ob das das Wahre Schwert war? Das stärkste Schwert weltweit?

Der Griff vibrierte leicht unter meinen Fingern. Als ob das Schwert es gar nicht erwarten konnte, die Scheide zu verlassen. Nur, wozu sollte ich es in dieser Situation brauchen? Um den Haufen Steine ordentlich aufzustapeln? Um das Schloss durchzuhauen und aus dem Labyrinth zu fliehen?

Ich musste lachen: Klar, das stellte meine erste Prüfung dar – auch wenn sie total lächerlich war! Wenn ich wirklich Angst gehabt hätte, nicht zurückzukommen, wäre ich schon vor langer Zeit abgehauen. Schon damals, im Turm der Freiflieger, als ich die Verborgene Tür geöffnet hatte.

Ich machte die Scheide an meinem Gürtel fest und lief den Gang hinunter. Da es nun weniger Fackeln gab, war es noch dunkler. Trotzdem konnte ich sehen, dass nirgendwo andere Gänge abzweigten.

Der Gang führte mich in ein Zimmer mit einer Glaswand. Dahinter lag, beleuchtet von einer Schreibtischlampe, mein Zimmer. Am Schreibtisch saß meine Mutter.

»Das ist eine Täuschung«, versicherte ich mir selbst. »Das ist die nächste Prüfung.«

Meine Mutter hörte mich nicht. Und sie sah mich auch nicht, denn die Glaswand war für sie eine ganz normale Wand mit Tapete. Sie weinte nicht und hatte ein ruhiges Gesicht. Sie hatte ein Fotoalbum durchgeblättert, das jetzt auf dem Tisch lag. Vermutlich hatte sie das Album schon x-mal angeguckt und saß nun da und wusste nicht, was sie sonst noch tun konnte…

Mit einem Mal verstand ich: Das, was mir das Labyrinth zeigte, stimmte. Meine Mutter saß tatsächlich so da. Oder hatte es zumindest getan, nachdem ich verschwunden war.

Ich bräuchte jetzt nur das Glas zerhauen – und könnte nach Hause zurückkehren.

»Warum erst jetzt?«, flüsterte ich wirr. »Warum hast du immer nur dann Augen für mich gehabt, wenn ich krank war, Mam? Und jetzt, wo ich weg bin…«

Meine Mutter saß bewegungslos da. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich bloß noch ein erstarrtes Bild oder ein Foto sah. Meine Mutter wäre nämlich längst aufgestanden und hätte eine Freundin angerufen oder etwas gekocht. Ihr Leben blieb nicht stehen, nur weil ich verschwunden war. Es ging auch ohne mich weiter.

Diesen Gedanken fand ich schrecklich. Er ließ meine Angst wachsen. Ich wollte schon nach dem Schwert greifen, die Glaswand zertrümmern, in mein Zimmer rennen, zu meiner Mutter…

Ich wollte kein Flügelträger mehr sein, sondern ein ganz normaler Junge, eben Danka aus der siebten Klasse. Das wiederum brachte mich zum Lachen. Und deshalb zog ich das Schwert nicht.

»Davor habe ich früher Angst gehabt«, flüsterte ich, während ich durch das Glas starrte. »Dass du mich nicht mehr lieb hast oder dass du stirbst. Aber jetzt weiß ich: Das Leben läuft anders. So oder so wäre ich erwachsen geworden, nur halt später. Ich muss mein eigenes Leben leben, das ist mir jetzt klar. Wahrscheinlich tauge ich als Kind nicht viel. Sonst wäre ich wohl nicht so schnell erwachsen geworden. Warte noch ein bisschen, Mam, dann komme ich bestimmt zurück.«

Das Glas trübte sich und vor mir erhob sich wieder eine harmlose Steinmauer. Außerdem erspähte ich nun einen schmalen, dunklen Gang, an dessen Ende ein schwaches Licht schimmerte. Ich machte einige Schritte hinein in die Finsternis.

Es war sehr still. Der Gang schien unendlich lang und stockdunkel. Ich hielt es nicht länger aus – und nahm das Schwert in seiner Scheide in beide Hände, um weiter in die Finsternis vorzudringen. Selbst durch die Lederscheide hindurch spürte ich, wie kalt die Klinge war.

»Das mit der Dunkelheit ist doch bescheuert«, behauptete ich laut. »Die ist gar nicht schrecklich. Und dass ich kein Kind mehr bin, ist auch nicht schrecklich. Dieses ganze Gequatsche ist doch Blödsinn!«

»Und was ist dann überhaupt noch von Bedeutung?«, erklang es vor mir. Wie angewurzelt blieb ich stehen.

»Papa?« Ich brachte das Wort kaum über die Lippen.

»Ja«, kam es aus der Dunkelheit zurück. »Wie bemerkenswert, dass du dich noch an mich erinnerst. Deine Mutter hast du ja schließlich auch, ohne mit der Wimper zu zucken, abgehakt.«

»Wenn einer sie aus seinem Leben gestrichen hat, dann ja wohl du«, flüsterte ich, während ich versuchte, wenigstens etwas zu erkennen.

»Ich habe mir nichts vorzuwerfen, Danka. Daran war unser Leben schuld. Das Leben von uns Erwachsenen. Aber das verstehst du noch nicht.«

»Du kannst gar nicht hier sein!«, rief ich und streckte die Hand aus. Meine Finger berührten etwas, das sich warm und weich anfühlte. Mein Vater mochte Anzüge aus dünner Wolle und trug nur diese Dinger. Trotzdem riss ich meine Hand zurück, als hätte ich eine Schlange angefasst.

»Und warum nicht? Man hat mich über alles informiert. Ich weiß genau, warum du hier bist. Du willst Krieg spielen, nicht wahr, Sohnemann?«

»Nein«, hauchte ich.

»Doch. Du bist schon immer so gewesen. Von klein auf hat es dir gefallen, alles kaputt zu machen und zu zerstören. Du bist von zu Hause weggelaufen… hast mich angelogen. Und ich konnte dich bestrafen, soviel ich wollte, bei dir hat nichts geholfen.«

Ich wich einen Schritt zurück.

»Willst du wissen, warum Mama und ich uns getrennt haben?«, fuhr mein Vater fort.

»Nein!«, brüllte ich. Aber das überhörte mein Vater.

»Deinetwegen, Danka. Deine Mutter weigerte sich, einen ordentlichen, intelligenten Menschen aus dir zu machen. Alles hat sie dir durchgehen lassen. Ein Weichei hat sie aus dir gemacht. Aber jetzt bekommt sie die Quittung dafür präsentiert.«

»Hau ab!«, schrie ich, während ich mich mit dem Rücken gegen die Wand presste. »Hau ab! Das ist gelogen!«

»Das ist die Wahrheit. Und dieser Gedanke ist dir selbst doch auch schon gekommen, nachdem ich euch verlassen habe. Und jetzt willst du mich zum zweiten Mal wegjagen.«

Ich brachte kein Wort heraus.

»Hörst du schlecht?«, fragte mein Vater mich in fast zärtlichem Ton. »Das macht nichts, so oder so steht uns ein langes Gespräch bevor. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, um aus dir einen anständigen Menschen zu machen. Ich werde es zumindest versuchen. Schließlich bist du mein Sohn. Da muss ich es einfach versuchen… Komm her!«

»Weißt du eigentlich, was ich in der Hand halte?«

»Ich ahne es, Danka. Aber du wirst mir nichts antun. Immerhin bin ich dein Vater.«

»Das bist du nicht! Du bist bloß das Mieseste, was ich von meinem Vater denke.«

»Was bildest du dir eigentlich ein, Sohnemann? Erinnerst du dich nicht mehr, was ich dir immer gesagt habe? Selbst der kleinste Fehltritt wird bestraft. Du hast schon zu viel angerichtet, und wenn ich dich jetzt nicht auf die richtige Bahn bringe…«

»Zeig dich, Papa!«, verlangte ich und merkte sofort, wie meine Angst verflog. Mein Vater schwieg. »Hast du etwa Angst, Papa?«, fragte ich. »Ja? Wovor denn? Vor dem Licht oder davor, dass ich dein Gesicht vergessen habe?«

»Übertreib es nicht!«, schrie es aus der Dunkelheit. Aber jetzt lag Angst in der Stimme.

»Weißt du noch, wie du mich bestraft hast, Papa? Das war immer abends, angeblich, damit ich nachts in Ruhe über alles nachdenken konnte. Oder lag es vielleicht doch eher daran, dass du dich in der Dunkelheit stärker gefühlt hast? Du sagst ja gar nichts, Papa?«

Inzwischen lief ich schon weiter durch den Gang. Das Licht lag in meinem Rücken. Ich hörte noch etwas über meine Mutter und darüber, dass ich an allem schuld sei, dass ich ein kleiner Fascho und Mörder sei, der so schnell wie möglich ein erwachsenes Arschloch werden wolle. Doch da hatte ich den Gang bereits hinter mir.

Jetzt befand ich mich in einem Raum, in dem es hell war und wo ein weiterer Korridor abging, diesmal ein breiter, der überhaupt nicht bedrohlich wirkte. Mit dem Rücken zu mir stand Len da und schaute in den Gang hinein. In seinen Händen hielt er das Wahre Schwert, das ebenfalls noch in der Scheide steckte. Ich schaute unwillkürlich auf meine eigenen Hände – in denen das gleiche Schwert lag.

»Bist du echt oder auch bloß eine Prüfung?«, fragte ich. Len wirbelte herum – und ich verlor halb den Verstand.

Len schien echt. Sein Blick war erschrocken, seine Haare zerzaust. Er sah mich genauso entgeistert an wie ich ihn.

»Bist du das… Danka?«, fragte Len schüchtern.

»Und bist du Len?«

Wir glotzten einander an, bis Len nach einer Weile unsicher lächelte. »Ich bin echt.«

»Wie bist du hierhergekommen?«, fragte ich misstrauisch.

»Von da. Logischerweise.« Len blickte an die Decke. »Wenn das Wahre Schwert gleichzeitig vielen Trägern dienen kann…« Er ließ den Satz unvollendet.

»Ach ja«, meinte ich, »daran hab ich gar nicht mehr gedacht.«

»Wovor hast du bisher Angst gehabt?«, wollte Len wissen.

»Vor Kleinkram. Und du?«

»Ich bin gerade erst hier gelandet. Und während ich noch darüber nachgedacht habe, wohin ich am besten gehen soll, bist du aufgetaucht.«

»Da hinten habe ich schon alles gecheckt«, sagte ich. »Das ist ein absolut simples Labyrinth, ohne jede Abzweigung. Versuchen wir mal diese Tür.«

»Okay.«

Als ich an Len vorbeimarschierte, berührte ich ihn – rein zufällig natürlich – an der Schulter. Offenbar war er tatsächlich echt. Wir liefen den Gang hinunter, ich voraus, Len hinter mir.

»Soll ich vielleicht vorgehen?«, fragte Len nach einer Weile leise. Der Gang wurde immer dunkler.

Sofort schrillten meine Alarmglocken. »Weshalb?«

»Na ja… womöglich traust du mir ja doch nicht… und glaubst, dass ich nicht echt bin…«

Bei dieser Erklärung brach ich in schallendes Gelächter aus. »Und du?«, fragte ich. »Glaubst du denn, dass ich Danka bin?«

»Ja«, beteuerte Len. »Warum sollte mir das Labyrinth eine solche Prüfung auferlegen? Schließlich habe ich keine Angst vor dir. Wir sind doch Freunde.«

»Siehst du, und ich hab keine Angst vor dir«, sagte ich.

Die Finsternis wurde jetzt total undurchdringlich, nirgends gab es noch einen Lichtschimmer. Selbst vor uns ließ sich kein Ausgang mehr erahnen.

Hatte ich wirklich keine Angst vor Len? In ihm lauerte doch die Finsternis, hatte der Kater gesagt. Und wenn er jetzt… Ich schüttelte den Kopf, um diese gemeine Angst zu vertreiben. Stattdessen versuchte ich, logisch zu denken. Wenn Len echt war – und das war er ganz offenbar –, brauchte ich keine Angst zu haben. Und falls er nicht echt war, wenn sich das Labyrinth tatsächlich diese fiese Prüfung für mich ausgedacht hatte… dann war mir immerhin schon nicht mehr so bange wie vorhin. Damit konnte das nicht meine Hauptangst sein. Mit der könnte ich also fertig werden.

»Danka!« Lens Hand legte sich mir auf die Schulter. »Lass mich vorangehen!«

Bei der Berührung war ich schreckhaft zusammengezuckt. Inzwischen kam mir sein Vorschlag durchaus entgegen. »Warum willst du denn unbedingt vorgehen?«, fragte ich trotzdem.

»Ich bin an die Dunkelheit gewöhnt«, meinte Len bloß und drückte sich an mir vorbei. Die nächste Minute sagten wir kein Wort, nur ab und an berührte ich Lens Schulter, um festzustellen, ob wir uns nicht etwa verloren hatten.

Plötzlich schrie Len los. Von vorn hörte ich Lärm. Ich stürmte vorwärts – und mein Kopf explodierte beinahe vor Schmerzen.

Das Erste, was ich spürte, als ich wieder zu mir kam, war der Griff meines Schwerts, der gegen meine Wange drückte. Ich lag auf dem Boden, das Wahre Schwert unter mir. In der Ferne verhallten Schritte und Stimmen, die mir vage bekannt vorkamen. Ich versuchte aufzustehen, rutschte aber auf dem Steinfußboden immer wieder aus.

Freiflieger.

Freiflieger, die nicht im Labyrinth sein konnten. Natürlich gab es sie nicht wirklich, sie entsprangen nur meiner Angst. Oder Lens Angst. Endlich schaffte ich es, hochzukommen. Mit angehaltenem Atem lauschte ich. Die Schritte wurden immer leiser, offenbar zogen sich die Freiflieger in den hinteren Teil des Labyrinths zurück. Natürlich konnte ich sie noch erwischen – und Len befreien.

Aber hier hinkte die Sache: Ich fürchtete mich nämlich nicht vor den Freifliegern. Und dass sie Len entführt haben könnten, jagte mir auch keinen Schrecken ein. Wenn Len echt war, musste er die Sache selbst erledigen.

»Tut mir leid«, sagte ich in die Dunkelheit hinein. »Jeder muss selbst gegen seine Angst kämpfen. Sorry.«

Ich lief den Gang weiter hinunter. Eine Minute, zwei, drei… Es war absolut still, und nur ein leichter Luftzug auf meinem Gesicht signalisierte mir, dass ich in ein weiteres Zimmer gelangte. In einen großen, stockdunklen Raum.

Komischerweise machte ich mir überhaupt keine Sorgen um Len.

»Ist hier jemand?«, schrie ich.

Stille. Rundum Stille und Dunkelheit.

»He!«, rief ich noch mal, aber schon leiser. Mir wurde mulmig zumute. Das Labyrinth war anscheinend nicht länger zum Scherzen aufgelegt. Jetzt machte es Ernst.

»Bringt nichts, wenn du hier herumschreist«, sagte jemand in der Dunkelheit. Die Stimme kam mir bekannt vor, auch wenn der Ton ungewohnt klang.

»Len?«, fragte ich. Das war seine Stimme – wenn auch im Ton eines…

»Ja, Len der Freiflieger. Ich bin gekommen, um aus dir einen von uns zu machen, Danka.«

»Das bist ja gar nicht du«, sagte ich erleichtert. »Die Freiflieger hätten dich in den paar Minuten nicht umwandeln können. Du bist nur eine von meinen Ängsten. Aber ich fürchte mich nicht sonderlich vor dir.«

Derjenige, der sich Len der Freiflieger nannte, lachte schallend los. »Warum auch, Danka? Dieses dumme Labyrinth meint doch tatsächlich, du würdest dich vor deinem Freund fürchten. Pah! Schließlich hast du ihn mit dem Wahren Blick geprüft und weißt, dass er dich nie verraten wird.«

»Eben«, sagte ich.

»Und was deine Eltern angeht… Um deine Mutter machst du dir schon seit Ewigkeiten keine Sorgen mehr und vor deinem Vater hast du längst keine Angst mehr. Du bist jetzt erwachsen.«

»Richtig«, sagte ich.

»Du hast nicht mal vor deinen Feinden Angst, stimmt’s? Du glaubst einfach nicht daran, dass du sterben könntest.«

»Stimmt, das glaube ich nicht«, flüsterte ich.

»Aber ich weiß, wovor du große Angst hast, Danka.« Die Stimme in der Dunkelheit widerte mich jetzt beinah an. »Eine ganz schön seltsame Angst, finde ich. Du hast Angst, dass dein Freund dich verrät. Dass mit ihm etwas Unheimliches passiert und er danach…«

»Halt den Mund!«, brüllte ich. »Klappe! Len würde mich nie verraten!«

»Im Leben vielleicht nicht. Aber hier, im Labyrinth des Schwerts, da hat er dich verraten. Du hast ihn allerdings auch nicht gerettet, insofern seid ihr quitt.«

»Aber das brauchte ich doch nicht, hier ist doch sowieso nichts echt!«

»Sicher, das glaubst du. Aber weißt du es auch? Du hast ihn verraten und jetzt musst du dafür bezahlen… Warum hast du nur solche Angst, dass dein Freund dich verrät, Danka?«

Ich schwieg.

»Ist dir das schon so oft passiert? Oder hast du selbst mal einen Freund verraten, Danka? Na?«

»Ich hatte noch nie einen Freund«, brachte ich gequält hervor. »Ich hatte noch nie einen richtigen Freund.«

»Wer hat das schon, Danka?«, höhnte Len der Freiflieger lachend. »Immerhin hast du die Wahrheit gesagt. Tapfer, tapfer!«

»Wenn es um die eigenen Ängste geht, muss man tapfer sein.«

»Gut gesprochen. Dann versuch’s mal.«

Ein Schwert klirrte und pfiff knapp an meinem Gesicht vorbei. Ich wich zurück, aber zu spät. Meine Wange wurde nass und Blut tropfte rhythmisch auf den Boden.

»Hätte ich besser gezielt«, erklang es aus der Dunkelheit, »wäre das dein Ende gewesen.«

Ich presste eine Hand gegen meine Wange und umklammerte mit der anderen den Griff des Wahren Schwerts, während ich immer weiter zurückging. In meiner Wange pulsierte der Schmerz, mal stärker, mal schwächer.

»Diesmal entkommst du mir nicht!«, hallte es noch einmal aus der Dunkelheit. »Du siehst mich nicht, aber ich dich. Selbst das Wahre Schwert wird dir nicht helfen.«

Erneut durchriss ein Pfiff die Luft, aber diesmal schaffte ich es, mich wegzuducken. Mein Feind musste ganz nah sein. Mein Feind, der meiner Fantasie entsprungen war, der aber trotzdem nicht schlechter tötete als ein echter.

Ich streckte die Hand aus und die Waffe schoss aus der Scheide. Das Wahre Schwert leuchtete mit einem schmalen Lichtstreifen in der Finsternis.

»Willst du es also versuchen?«, stachelte mich die Stimme aus der Dunkelheit an. »Nur los! Bin gespannt, ob du triffst!«

Ich hatte gehört, wo er sich befand. Ganz genau hatte ich es gehört – fast als wollte Len, der Freiflieger, dass ich auf ihn einschlug.

»Natürlich treffe ich!«, rief ich. »Es wird schwer sein, danebenzuhauen!«

Ich drehte meiner eigenen Angst den Rücken zu und hob das Wahre Schwert. Ohne zu zielen, schlug ich auf die Finsternis ein. Die zu verfehlen, wäre nun echt schwer gewesen.

Etwas zerriss, als würde ein Rasiermesser Papier durchschneiden. Ein Licht flammte auf und blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen und riss in einem Reflex die Hände hoch, wobei ich trotzdem mit dem Wahren Blick sah, wie die Klumpen der Finsternis schrumpften und sich auflösten. Als Letztes verlosch die Finsternis an der Stelle, an der Len der Freiflieger gestanden hatte.

Etwas tröpfelte leise auf den Boden. Blut – und es war nicht rot, sondern schwarz. In ihm lauerte Finsternis. Und nie würde sie aus ihm weichen.

Nach dem Raum, in dem ich mich befand, folgte kein weiterer mehr. Einen Ausgang gab es nicht, nur ein Loch in der Decke und einen langen, schmalen Schacht, an dessen Ende ein schwaches Licht flackerte.

Ich betrachtete das Schwert in meinen Händen, das Wahre Schwert. Über die helle Klinge schossen weiße Zickzackblitze. Ein Blutstropfen, der auf das Schwert fiel, verbrannte mit einem Zischen.

»Ich brauche dich nicht mehr«, erklärte ich dem Wahren Schwert. Gehorsam löste es sich in Luft auf. Nur die Scheide hing noch an meinem Gürtel. Ich hob die Arme und spreizte die Flügel. Wind wehte durch den Raum und trieb den Staub gegen die Wände.

Da es hier keinen Aufwind gab, bereitete mir der Start Probleme. Am Ende schaffte ich es aber doch und lenkte meine restlichen Kräfte in die Flügel. Über große Reserven verfügte ich nicht mehr. Komisch…

Ich flog auf das Ende des Tunnels zu, doch auf halbem Weg schmolzen die Wände um mich zusammen – und ich fand mich im Zimmer des Waffenhändlers wieder. Keine Ahnung, ob ich durch die Decke oder durch die Wand oder durch den Fußboden gekommen war.

Der Sonnenkater hockte wieder auf dem Tisch. Offenbar unterhielten er und der Waffenhändler sich.

Len schlief auf dem Sofa. Als mir klar wurde, dass er mir mit Sicherheit nicht ins Labyrinth gefolgt war, beruhigte ich mich endgültig.

»Schön, dich zu sehen, mein Junge«, meinte der Waffenhändler. Er wunderte sich überhaupt nicht über mein Auftauchen, seine Stimme klang ruhig und etwas traurig.

»Ich habe meine Angst besiegt«, verkündete ich, während ich mich neben Len setzte.

»Das ist mir klar. Andernfalls wärst du jetzt nicht hier«, sagte der Händler.

Ich tastete mein Gesicht ab. Blut klebte keins mehr daran. Nicht ein Tropfen. Aber über meine Wange zog sich eine Narbe, ein feiner Strich, wie er nur von einer längst verheilten Wunde stammen konnte.

»Ist es schwer gewesen?«, erkundigte sich der Mann.

Ich nickte. Aus irgendeinem Grund glaubte ich, er würde mich jetzt ausquetschen, doch er sagte kein Wort mehr. Er saß einfach da und schaute abwechselnd mich und die Scheide des Wahren Schwerts an.

Ich rüttelte Len an der Schulter, stand auf und schaute den Kater an. Der wich meinem Blick aus.

»Gehen wir«, sagte ich.

Den ganzen Weg über löcherte Len mich mit Fragen zum Labyrinth. Als er endlich kapierte, dass ich nicht darüber sprechen wollte, spielte er den Beleidigten. Der Kater lief ungewöhnlich schweigsam neben uns her.

Zur Freude der neu eingetroffenen Gaffer aßen wir unser Abendbrot in der Gaststätte. Diesmal enttäuschte der Kater sie nicht, sondern plauderte angeregt mit Magda und bestellte erst eine weitere Portion Fisch, dann auch noch eine Schale saurer Sahne. Irgendwann gingen wir nach oben in unser Zimmer, wo Len, der immer noch schmollte, sich aufs Bett warf, ohne den Flügeloverall auszuziehen. Der Kater machte es sich an seinen Beinen bequem.

Gute fünf Minuten sagte niemand ein Wort. Len schlief ein, damit hatte er nie Probleme. Der Kater und ich saßen im Halbdunkel, denn unsere einzige Beleuchtung war das matte Licht einer Straßenlaterne, das durchs Fenster hereinfiel.

Der Kater gab als Erster auf. »Bist du böse auf mich, Danka?«

»Nein«, antwortete ich. »Und ich bin froh, dass ich ein Wahres Schwert habe.«

»Doch, du bist mir böse, denn…«

»Warum hast du mich nicht von Anfang an in alles eingeweiht?«, unterbrach ich ihn.

Der Kater fing an, sich nervös zu putzen. »Wann ist dir das klar geworden?«, fragte er.

»Als du mit dem Waffenhändler gesprochen hast.«

»Und was genau ist dir klar geworden?«

»Dass du mich nicht zufällig in diese Welt gebracht hast. Du hast gewusst, dass es hier keine Sonne gibt. Und du wolltest, dass ich mich in den Krieg gegen die Freiflieger einmische!«

»Aber all das war mir nicht von vornherein klar«, sagte der Kater leise. »Glaubst du mir das?«

»Was heißt das: nicht von vornherein?«

»Ich bin schließlich kein Mensch, Danka. Ich bin bloß Wahres Licht, das von einem Wahren Spiegel zurückgeworfen worden ist und eine Form angenommen hat.«

»Ja, und?«

»Wenn in einer Welt das Licht verschwindet, dann werden auch alle anderen Welten in Mitleidenschaft gezogen. Und zwar sowohl die heilen wie auch die Welten, in denen das Wahre Licht ohnehin bereits Schaden genommen hat.«

»Spielst du damit auf meine Welt an?«

Der Kater nickte und runzelte die Stirn. »Danka«, fuhr er dann in einer Weise fort, als koste es ihn sehr viel Mut, »das Wahre Licht ist kein guter Zauberer oder Gott. Es ist überhaupt kein vernunftbegabtes Wesen. Es ist bloß eine von drei Kräften.«

»Von drei?«, fragte ich irritiert.

»Ja. Es gibt das Licht, die Finsternis und die Dämmerung…«

»Und was ist die Dämmerung?«

»Das spielt keine Rolle, Danka, du wirst kaum mit ihr in Berührung kommen. Das Licht ist bloß eine Kraft, die Finsternis ebenfalls. An sich sind sie weder gut noch böse. Es war ein Zufall, dass das Unglück hier mit dem Verlöschen der Sonne seinen Lauf genommen hat. Seitdem wartet man hier auf die Rückkehr des Lichts oder zumindest auf einen Menschen aus einer Welt voller Sonne!«

»Wofür ist denn ein solcher Mensch nötig?«

»Glaubst du etwa, ich könnte hier alles allein wieder erleuchten? Pah! Du musst den Menschen helfen, die hier leben. Und danach bin ich dann dran.«

»Und was genau wirst du tun?«

»Ich weiß es nicht. Ich bin nur ein Werkzeug, Danka! Ich bin ein Werkzeug des Lichts, mit dem es gegen die Finsternis kämpft. Natürlich kann ich tun, was mir gefällt. Da ich jedoch selbst aus Wahrem Licht bin, sind meine Wünsche mit dem identisch, was das Licht will.«

»Ist dir das schon lange klar?«, fragte ich zaghaft.

»Nein, noch nicht sehr lange. Ich bin ja noch im Wachstum und werde erst Schritt für Schritt klüger. Davon abgesehen, bin ich zwar aus Licht – aber meine Form hast du mir gegeben. Insofern sehe ich die Dinge genau wie ihr Menschen.«

»Und wer bin dann ich, Kater? Wenn du ein Werkzeug des Lichts bist, bin ich dann ein Werkzeug des Werkzeugs?«

»Nein, Danka, du bist ein Mensch. Und das ist etwas ganz anderes«, antwortete der Kater. »Du entscheidest selbst, was dir stärker zusagt, das Licht oder die Finsternis. Im Moment bin ich dein Gehilfe und du stehst auf der Seite des Lichts, und irgendwo hier…«

Der Kater verstummte, als schlucke er das Ende des Satzes herunter.

»… gibt es einen Menschen, der der Finsternis dient«, beendete ich den Satz. »Stimmt’s? Und den muss ich töten. Oder nicht?«

» Ja, so ist es«, brummte der Kater. »Nur stellt sich alles noch etwas komplizierter dar. Die Finsternis wohnt nicht nur in einem einzigen Menschen. Und so einfach bringst du sie nicht um. Du musst dafür sorgen, dass die Menschen sich zwischen dem Licht und der Finsternis entscheiden. Und denjenigen zum Sieg verhelfen, die für das Licht einstehen.«

»Aber sie haben sich doch längst entschieden!«

»Ach ja? Du glaubst doch nicht wirklich, die Flügelträger seien diejenigen, die für das Licht einstehen?«

Der Seniorclub fiel mir wieder ein. Und wie die Flügelträger mir die Augen ausgestochen hatten…

»Aber was heißt das?«, hauchte ich. »Wen soll ich auf die Seite des Lichts rufen? Die Händler, oder was? Denen ist doch eh alles egal!«

»Du sollst aus Bösem Gutes machen, denn es gibt nichts, woraus man es sonst erschaffen kann. Das hat einer von euch Menschen gesagt. Und recht hat er. Wenn die Flügelträger glauben, sie stünden auf der Seite des Guten, auf der Seite des Lichts – dann zwinge sie, auch tatsächlich gut zu sein!«

»Was soll der Quatsch! Wie kann man jemanden zwingen, gut zu sein?«

»Ganz einfach: Lass nicht zu, dass sie sich lediglich als gut bezeichnen! Bringe sie dazu, entsprechend zu handeln!«

»Wie soll das gehen? Ich bin nur ein Junge…«

»Ich möchte einmal einem Jungen begegnen, der vorbehaltlos zu dem Jungen in sich steht«, meinte der Kater mit einem traurigen Lächeln.

»Wir hätten den Wahren Spiegel nicht tauschen sollen«, erwiderte ich. »Jetzt würde ich gern mal hineinschauen.«

»Für dich sind alle Spiegel Wahre Spiegel«, sagte der Kater und drehte sich um.

Im ersten Moment begriff ich nicht, worauf er hinauswollte. Doch nach einer Weile stand ich auf und stellte mich vor den Spiegel neben der Tür.

Ein ganz normaler Spiegel. Ein stinknormaler sogar. Ein verstaubtes Ding, das am Rand gesprungen war, mir aber dennoch ein tadelloses Spiegelbild zeigte. Das Gesicht eines gewöhnlichen Jungen, das schon fast so blass wie das der Flügelträger aussah. Meine Haare waren zerzaust, über meine Wange lief eine feine Narbe. Eine uralte Narbe… Nur meine Augen leuchteten schwach, als würdest du durch die Schlitze einer Maske einen Sternenhimmel betrachten.

Es war so einfach – aber ich hatte solche Angst davor… Genau wie beim Sprung vom Turm der Flügelträger setzte ich den Wahren Blick ein, diesmal allerdings, um in den Spiegel zu schauen. Ich konnte gerade noch erkennen, wie in meinen Pupillen weiße Funken aufsprühten, bevor mein Spiegelbild zerfloss. Nun sah ich im Spiegel nur das Zimmer, den schlafenden Len und den Sonnenkater, der leise sagte: »Geduld, du siehst dich nicht auf Anhieb… Geduld!«

Und als hätte der Spiegel seine Worte gehört, erschien mein Gesicht wieder. Mein Gesicht – das doch nicht meines war. Ich sah das Gesicht eines Erwachsenen. Derjenige, der mich da aus dem Spiegel heraus anblickte, mochte zwanzig oder dreißig Jahre alt sein. Das war aber noch gar nicht das Schlimmste.

Derjenige – da im Spiegel – lächelte. So freundlich, als hätte er lange auf diese Begegnung gewartet und als würde er sich riesig darüber freuen. Seine Miene wirkte ruhig und selbstsicher. Dieses Ich – das nicht ich war – wollte weg von zu Hause. Dieses Ich – das nicht ich war – hatte sich ohne große Skrupel an Iwon gerächt. Dieses Ich – das nicht ich war – hatte das Labyrinth durchwandert, denn es sorgte sich schon lange nicht mehr um seine Mutter, fürchtete sich nicht vor seinem Vater und hatte nicht die geringste Absicht, für einen Freund zu sterben.

»Warum?«, fragte ich, aber die Lippen meines Spiegelbilds bewegten sich nicht. Diese Frage interessierte ihn nicht – denn er kannte die Antwort.

»Weil du so bist«, antwortete der Kater traurig. »Du bist dieser Erwachsene, der es hasst, ein Kind zu sein.«

»Und du wusstest, dass ich so bin?«

»Ja.«

Ich schaute zum Kater hinüber, und als ich danach wieder in den Spiegel blickte, sah ich bloß einen Jungen.

»Er ist rücksichtslos«, meinte ich einfach in den Raum hinein.

»Selbstverständlich.«

»Und böse.«

»Das nun nicht gerade. Du bist rücksichtslos, wenn du etwas durchsetzen willst. Aber deine Ziele sind gut, Danka.«

Schweigend ging ich zum Bett, zog mich aus und kroch unter die Decke. »Passiert so was oft, Kater?«, fragte ich.

»Ein Fall wie deiner ist selten. Meist ist das Gegenteil zu beobachten – dass in einem Erwachsenen ein Kind steckt. Das ist schrecklich. Denn so jemand kann auf sehr sanfte und zärtliche Weise etwas Böses bewirken… Schlaf jetzt, Danka. Wir werden morgen unsere Entscheidung treffen.«



7. Sonnenbräune

Len weckte mich, indem er mich an der Schulter rüttelte. »Danka, das Frühstück wartet«, meinte er ein wenig verlegen. Ohne jeden Übergang fügte er dann hinzu: »Tut mir leid, dass ich gestern sauer auf dich war. Ich verstehe ja, wenn du dich nicht an das Labyrinth erinnern willst…«

»Ist doch längst vergessen«, beruhigte ich ihn. »Wo ist denn unser pelziger Freund?«

»Den hat der Hunger schon nach unten getrieben«, antwortete Len munter.

Der gestrige Tag existierte irgendwie nicht mehr in meinem Gedächtnis. Das Labyrinth kam mir nur noch wie ein Märchen vor, meine Ängste kindisch und irreal. Ich hatte das Schwert bekommen und das war gut. Noch besser war, dass Len mir nicht ins Labyrinth gefolgt war. Und dass ich tief in meiner Seele erwachsen und rücksichtslos war, was hieß das schon? Mein Wesen und ich, wir würden uns mit den Jahren aneinander annähern.

»Ich habe dich im Labyrinth getroffen, Len«, berichtete ich, während ich mich wusch. »Also nicht dich, sondern eine Figur, die mir vom Labyrinth vorgegaukelt wurde.«

Meine Worte brachten Len ziemlich aus der Fassung. »Was heißt das, Danka?«, fragte er, wobei er aufhörte, sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. »Hast du etwa Angst vor mir?«

»Nicht vor dir, sondern um dich, du Blödmann«, maulte ich genervt. »Da, im Labyrinth, haben dich… also nicht wirklich dich… die Freiflieger geschnappt. Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus, dass das meine Wahre Angst sein soll?«

»Aber… du hast mich doch bestimmt gerettet?«, meinte Len kleinlaut. »Und ich war gestern sauer, weil du…«

»Nein, ich hab dich nicht gerettet, denn das war ja eben nicht meine Wahre Angst«, erklärte ich. »Die sieht anders aus. Gehen wir frühstücken?«

»Ja«, antwortete Len gedehnt.

Wir gingen die Treppe runter. Die beiden Scheiden schlugen gegen meine Beine, eine schwere, mit dem Schwert des Tuak, und eine ganz leichte, die Scheide für das Wahre Schwert.

In der Gaststätte hatten sich heute noch mehr Gäste versammelt. Magda schwirrte nicht mehr allein zwischen den Tischen herum, sondern zusammen mit einer unbekannten Frau. Ständig rief man die beiden und bestellte Wein.

Der Kater schwebte über einer Schüssel mit Sahne und leckte sie genüsslich aus.

»Was soll diese akrobatische Vorführung?«, flüsterte ich, während ich mich an den Tisch setzte.

»Warum denn nicht?«, erwiderte der Kater, wobei er sich mit ehrlichem Bedauern von der immer leerer werdenden Schüssel losriss. »Mittlerweile können wir uns doch einen kleinen Spaß gönnen… Len, was ist mit dir, was machst du für eine düstere Miene?«

Len brummte etwas, während er mit der Gabel in seinem Teller herumstocherte. Es gab gebratenen Fisch und Kartoffeln.

»Offenbar halten uns schon alle für Katzen«, sagte ich. »Die ganze Zeit kriegen wir nur Fisch. Findest du das nicht auch blöd, Len?«

Bevor Len antworten konnte, kam eine Frau zu uns. Als ich aufschaute, erkannte ich sie. Garet, die Frau des Händlers! Ich suchte die anderen Tische ab, konnte Gabor jedoch nicht entdecken. Dafür saß ihre rotblonde Tochter fünf Meter entfernt und grinste mich an!

»Hallo, Flügelträger«, begrüßte Garet uns munter. »Darf ich mich zu euch setzen?«

»Selbstverständlich.« Prompt schob ihr Len einen Stuhl hin. Was für ein Gentleman der auf einmal sein konnte!

Garet maß uns mit einem prüfenden Blick. »Als ich von zwei Flügelträgern mit einem Kater gehört habe, war mir klar, dass es sich nur um euch handeln konnte. Ihr seid ja das Tagesgespräch! Bei uns hat sich der Kater nicht so redselig gezeigt.«

»Es gab ja auch nichts, über das wir uns hätten unterhalten können«, erklärte der Kater mürrisch und sprang auf meinen Schoß. Ich streichelte ihn. Welche Laus war ihm denn jetzt über die Leber gelaufen?

»Reata hat euch unsere Adresse gegeben«, fuhr Garet fort, ohne im Geringsten auf den sprechenden Kater zu achten. »Ihr hättet uns doch mal besuchen können…«

»Wir waren anderweitig beschäftigt«, erklärte ich und beugte mich zum Kater runter. »Was ist denn los?«, flüsterte ich.

»Ich mag solche Leute nicht«, murmelte er. »Die… die haut einfach nichts um. Alles haben sie schon gesehen, alles kennen sie…«

Beinahe hätte ich laut losgelacht. Der Kater war eingeschnappt, weil er zum ersten Mal einem Menschen begegnet war, der sich nicht für ihn interessierte! Garet wunderte sich nicht über ihn, bestaunte ihn nicht und fürchtete ihn nicht. Und das nahm er ihr übel.

So ein eitler Fatzke!

»Ich möchte euch einen Vorschlag machen«, meinte Garet, deren Blick zwischen mir und Len hin- und herging. »Einen geschäftlichen.«

»Hm«, antwortete ich bloß, denn ich kämpfte immer noch gegen mein Lachen an. Der Kater tat so, als schliefe er. Die anderen Gäste platzten fast vor Neugier.

»Meine Tochter und ich wollen einen kleinen Segeltörn machen. Wollt ihr uns auf unserem Boot begleiten?«

»Wozu?«

Garet schwieg einen kurzen Moment. »Erstens weil wir es bezahlen«, meinte sie schließlich lachend. »Und zweitens… weil ihr braun werden könnt.«

Das Boot, zu dem man uns gebracht hatte, war ziemlich groß, mehr eine Jacht. Eine Mannschaft gab es nicht, was Garet und Reata jedoch nicht störte. Sie hissten die Segel, spannten hier Leinen, lockerten da welche – mit einem Wort, sie beschäftigten sich mit diesem ganzen nautischen Kram, von dem eine Landratte keine Ahnung hat. Len und ich durften kurzerhand unsere Muskelkraft zur Verfügung stellen, ohne dass die beiden Frauen sich groß um den amoralischen Aspekt der Kinderarbeit geschert hätten. Übrigens sind wir, solange wir Flügel tragen, stärker als die meisten Erwachsenen. Die Flügel trinken zwar unsere Kraft, geben uns aber auch welche zurück.

Nach fünf Minuten blähte sich das Segel im Wind und die Jacht glitt in die Finsternis. Aus reiner Gewohnheit klappte ich das transparente Visier runter und schaute mich um. In der Ferne machte ich ein anderes weißes Segel aus. Offenbar fuhr gerade eines der Schiffe der Händler in den Hafen ein. Die Stadt blendete mich mit den Lichtern der Laternen in den Augen. Ich schaute nach vorn. Nichts als Finsternis. Finsternis bis zum Horizont… Wo Garet ihr Sonnenbad wohl nehmen wollte? Sie hatte uns versichert, die Reise dauere nicht länger als einen Tag und wir könnten – falls wir das wollten – schon heute Abend wieder in der Stadt sein.

In dem Moment kam der Sonnenkater angerannt. Ich bemerkte seine ausgefahrenen Krallen. Mit aller Kraft hakte er sich an den Holzplanken fest. Ob er Angst hatte? Als er meinen Blick auffing, erhob er sich in die Luft. »Ich mag das Wasser einfach nicht«, erklärte er. »Das ist eine fremde Materie… Du weißt nicht zufällig, wohin wir fahren?«

»Ich habe angenommen, du wüsstest es«, sagte ich.

»Wie oft soll ich das eigentlich noch wiederholen?«, maulte der Kater beleidigt. »Ich bin noch klein…«

Von dem in der Luft schwebenden Kater begleitet, wanderte ich zum Bug der Jacht. Das Wasser plätscherte einen halben Meter unter uns gegen das Schiff, der Wind peitschte mir ins Gesicht. Ich hielt nach Garet Ausschau. Sie stand neben dem Mast, ohne sich irgendwo festzuhalten, und sah zu ihrer Tochter hinüber, die ihr genauso reglos gegenüberstand. Ich schob das Visier hoch und spähte mit dem Wahren Blick durch die Dunkelheit.

»Siehst du es auch?«, fragte der Kater.

»Ja.«

Zwischen Garet und Reata zirkulierten in der Luft matt leuchtende, grüne Fäden. Von ihren Fingern tropften graue Lichter aufs Deck.

»Ich vermute, sie dienen der Dämmerung«, meinte der Kater sehr leise und sogar mit einer gewissen Erleichterung.

»Ist das schlecht?«, fragte ich leise.

»Wo denkst du hin? Das ist weder gut noch schlecht. Sie gehen lediglich ihren Weg, wir unseren. Und im Moment kreuzen sich die beiden.«

»Geh zu Len«, verlangte ich. »Vorsichtshalber.«

Der Kater nickte und flog nach achtern. Len hatte sich offenbar an der immer kleiner werdenden Stadt festgeguckt. Ich ging zu den Frauen und blieb etwas abseits stehen, damit ich nicht in das grüne Spinnennetz geriet.

»Ich störe doch nicht?«, fragte ich.

»Jetzt nicht mehr«, antwortete Garet, die den Blick von ihrer Tochter löste. »Du siehst alles?«

»Hm«, beteuerte ich lieber mal.

»Dann sag deinem Freund, er soll die Augen schließen und das Visier hochschieben.« Nachdem Garet mich angesehen hatte, fügte sie noch hinzu: »Du kneif die Augen besser auch zusammen. Wir verlassen diese Welt jetzt.«

Automatisch spähte ich in die Richtung, in die die Jacht fuhr. Prompt machte ich einen kaum erkennbaren, regenbogenfarbenen Film aus, der vibrierte und sich langsam dehnte. Als ob wir aus einer riesigen Seifenblase rausfahren würden…

»Len, das Visier hoch!«, schrie ich. »Schieb das Visier hoch und schließ die Augen!«

Im nächsten Moment platzte der regenbogenfarbige Film unter dem Druck des Schiffs. In die Finsternis strömte Licht.

Das war so, als drücke man in einem dunklen Zimmer auf den Lichtschalter. Die Sonne geht nicht so schnell auf, Wolken können sich nicht mit der Geschwindigkeit eines Düsenfliegers verziehen. Hier aber veränderte sich alles von einer Sekunde auf die nächste. Die Finsternis wich dem Licht, das dunkle, undurchdringliche Wasser einem hellen, azurblauen Meer, die grauen Umrisse der Jacht einem Feuerwerk fröhlicher Farben. Diese Farben faszinierten mich mehr als alles andere. Das Licht hatte ich noch nicht ganz vergessen, echte kräftige Farben schon.

Das Holz der Jacht war bernsteingelb, das Segel schneeweiß, die Metallelemente der Takellage aus dunkler Bronze und rotem Kupfer. Oben am Mast flatterte ein blauer Wimpel, der beinahe mit dem Himmel verschmolz. Um uns herum erstreckte sich bis zum Horizont ein ruhiges, azurblaues Meer.

Die Jacht trieb dahin, als sei sie nicht eben noch mit dem Tempo eines Torpedos vorwärtsgejagt. Dafür machte sich der Seegang jetzt bemerkbar. Ich griff nach Garets Hand, um nicht hinzufallen. Diese lächelte, etwas von oben herab, aber auch zärtlich.

Von achtern kam schwankend und blinzelnd Len angestapft. Der Kater wirbelte mit irren Sprüngen um ihn herum.

»Sind… sind wir nicht mehr bei uns?«, fragte Len.

»Wir sind in eine andere Welt gefahren«, antwortete ich.

»In deine?«

»Nein, ich glaube nicht…« Fragend sah ich Garet an.

»Das ist die Welt des Königreichs Tamal, Jungs«, sagte Reata an ihrer Stelle. »Eine sehr schöne Welt. Das stimmt doch, Mama, oder?«

»Ja«, antwortete Garet ihrer Tochter, bevor sie sich wieder an mich wandte. »Es wird dir hier gefallen, Danka.«

Ich stutzte. »Wollt ihr denn nicht zurück?«

»Nein«, sagte Garet. »Denn eure Welt hat uns nichts mehr zu bieten. Die Klugen verlassen sie als Erste, die Gierigen bleiben bis zum Schluss. Es war ein Vergnügen, mit den Freifliegern zu handeln… und auch mit euch, den Flügelträgern… aber alles hat einmal ein Ende.«

»Warum das?«

So, wie Garet den Kopf schüttelte, schien die Frage sie zu erstaunen. »Du solltest das doch eigentlich wissen, Junge mit dem Wahren Blick, der du aufseiten des Lichts stehst. Wir, die Händler, ahnen es, wenn ein Wechsel bevorsteht.« Sie setzte ein überhebliches Lächeln auf. »Die Frauen der Händler verlassen die Welt der Flügelträger. Die Männer spüren zwar auch, dass sie bald gehen müssen, trauen ihren Gefühlen jedoch nicht. Sie wollen den Rahm selbst dann noch abschöpfen, wenn dieser längst nicht mehr existiert.«

Ich nickte, als wüsste ich, wovon sie sprach. Dann blickte ich zu Len hinüber. Der reckte den Kopf und glotzte die am Horizont stehende Sonne an.

»Du Idiot!«, schrie ich und drückte Len meine Hand vor die Augen.

Len rührte sich nicht mal. »Selbst durch die Hand hindurch leuchtet es«, schwärmte er begeistert. »Ist das die Sonne, Danka?«

»Ja, du Blödmann! Aber du versaust dir die Augen!«

»Wie das?« Len versuchte, sich aus meiner Umklammerung zu befreien.

»Man darf die Sonne nicht so lange anstarren«, belehrte ich ihn. »Merk dir das! Man darf nicht in die Sonne blicken!«

»Wirklich nicht?«, fragte Len misstrauisch.

Ich nahm meine Hand von seinen Augen. »Was siehst du jetzt?«, wollte ich wissen.

»Bunte Kreise…«

»Schließ die Augen und setz dich hin«, forderte ich ihn auf. Daraufhin wandte ich mich an den Kater, der in der Luft schwebte und – genau wie gerade eben Len – unverwandt in die Sonne starrte. »Sind seine Augen jetzt verdorben?«

»Nein«, beruhigte mich der Kater. »Das geht gleich vorbei.«

Ich sah wieder zu Len hin, der nun auf Deck saß und gehorsam die Augen zusammenkniff. Erst jetzt, hier im Sonnenlicht, erfasste ich, wie bleich er wirklich war.

Seine Haut schimmerte so weiß, dass sie beinah blau wirkte. Seine Haare waren absolut hellbraun, wie ausgeblichen – von der Finsternis. Der schwarze Stoff der Flügel unterstrich seine Blässe noch zusätzlich. Eine echte Horrorgestalt…

Ich hockte mich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Was machen deine Augen?«, fragte ich.

»Schon besser. Jetzt ist alles dunkel«, sagte Len, der nach wie vor die Augen zusammenkniff.

»Du kannst die Augen jetzt wieder öffnen.«

Len sah mich an und lächelte. »Wird es bei uns genauso werden, Danka?«

»Klar«, versprach ich mit fester Stimme. »Noch besser sogar. Ihr werdet Sonnenauf- und -Untergänge haben, Wolken, durch die weiches Licht fällt, und Nächte, in denen Sterne leuchten.«

Len nickte, schnell und gehorsam, fast als hinge davon ab, ob meine Worte auch Wirklichkeit wurden.

»Wollt ihr baden, Jungs?«, rief Garet. Ich drehte mich um – und hätte beinahe auch die Augen zusammengekniffen: Garet zog sich aus. Oben war sie schon nackt, jetzt zog sie gerade den Reißverschluss ihrer Jeans auf. Reata stand bereits splitternackt da. Völlig gelassen lehnte sie an der Reling der Jacht und schämte sich nicht im Geringsten vor Len und mir.

Ob die Flügelträger vielleicht gar nichts dabei fanden? Doch als ich zu Len hinüberschaute, der knallrot geworden war, wusste ich: Oh nein, sie fanden etwas dabei. Aber möglicherweise hatten die Händler andere Sitten…

Ob ich genauso rot war wie Len?

Garet zog sich in aller Ruhe weiter aus, lugte zu uns herüber und grinste wissend, ohne jede Verlegenheit.

Jetzt aber Schluss! Hatte ich denn noch nie eine nackte Frau gesehen? Okay, im richtigen Leben natürlich nicht, aber auf Fotos in Zeitschriften oder spät abends im Fernsehen mehr als genug.

»Kommst du mit ins Wasser, Len?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht schwimmen«, meinte er mit einer Stimme, die ich kaum wiedererkannte.

»Na, ich spring jetzt rein«, erwiderte ich, wobei mir auffiel, dass auch meine Stimme fremd und anders klang.

Egal.

Als ich den Flügeloverall auszog, wurde mir klar: Hätte ich noch eine Sekunde länger gewartet, hätte ich das Schwimmen vergessen können und genauso dumm dagestanden wie Len. Zum Glück schauten weder Garet noch ihre Tochter in meine Richtung. Als ich endlich aus dem engen Overall raus war, sprang Reata gerade kopfüber ins Wasser. Nach etwa fünf Metern kam sie wieder zum Vorschein und schwamm von der Jacht weg. Prompt fühlte ich mich nicht mehr ganz so verlegen. Fast schon trotzig zog ich die Unterhose runter. Ich trat an den Rand und sprang ebenfalls ins Wasser.

Das Wasser war warm und ließ sich überhaupt nicht mit der Chlorbrühe aus dem Schwimmbad vergleichen, an die ich gewöhnt war. Außerdem war es sehr salzig und trug mich fast von selbst. Als ich den Kopf hob, sah ich Garet über mir an Deck.

Letztendlich hatte ich doch noch keine nackten Frauen gesehen. Fotos sind einfach was anderes. Mit einem Mal spürte ich, wie… also, es war mir jedenfalls ganz recht, dass ich schon im Wasser war.

Die Frau des Händlers war noch ziemlich jung. Vielleicht dreißig oder etwas älter, das kann ich nicht so genau sagen, denn von diesen Dingen verstehe ich nicht viel. Sie war schlank wie ein Mädchen, was vermutlich daran lag, dass Garet ständig zu Fuß unterwegs war.

»Ist das Wasser warm, Danka?«, fragte Garet sanft und mit seltsamer Stimme.

Ich brachte nur ein Nicken zustande. Ich versuchte, woanders hinzuschauen, schaffte es aber nicht. Denn ich wollte ihre Brüste anschauen und ihre Beine und das schmale Dreieck aus rotblonden Haaren. Nie hätte ich gedacht, dass die Haare an dieser Stelle die gleiche Farbe haben wie am Kopf. Auf den Fotos, die ich bisher gesehen hatte, waren sie immer dunkel.

Garet setzte sich an den Schiffsrand und glitt ins Wasser. Ich fuchtelte mit den Armen und schwamm zur Seite. Garet tauchte unter und schoss dann wieder aus dem Wasser. »Ich tunke dich schon nicht, Danka«, meinte sie lachend. »Du brauchst also nicht die Flucht zu ergreifen.«

»Das habe ich auch nicht vor«, behauptete ich heiser. Seit Garet ins Wasser gekommen war, fühlte ich mich schon ein bisschen sicherer. Allerdings hatte ich auch den Eindruck, man hätte mich angeschmiert.

»Komm doch ins Wasser, Len!«, rief ich noch einmal. Aber Len antwortete nicht.

»Dein Freund ist noch zu klein«, erklärte Garet sanft. »Er schämt sich. Abgesehen davon ist er eben bloß ein Mensch.«

Ich wollte mich schon darüber aufregen, dass Garet Len als klein bezeichnete – aber ihr letzter Satz brachte mich völlig aus dem Konzept.

»Und was sind wir, bitte schön?«, frage ich schnippisch.

»Wir? Wir sind diejenigen, die neben den Göttern stehen. Wir dienen den Kräften. Du dem Licht, ich der Dämmerung. Aber keine Sorge, das Licht und die Dämmerung sind einander nicht feindlich gesinnt.«

»Aber Len dient auch dem Licht!«, widersprach ich.

»Nein, Danka. Len dient nur dir. Wenn du die Seite wechseln würdest, würde er dir folgen.«

»Blödsinn!«, flüsterte ich, denn ich hatte Angst, Len könnte uns hören. »Wir sind Freunde!«

»Du bist zu stark, um sein Freund zu sein«, sagte Garet mit fester Stimme. »Entweder muss dich mal jemand zurechtstutzen… oder Len muss stärker werden und über sich hinauswachsen. Dann könnt ihr Freunde werden. Das weißt du genau, Danka.«

Darauf antwortete ich mit keinem Wort. Garet schwamm inzwischen langsam auf mich zu, blickte mir fest in die Augen und meinte: »Ich bin gar nicht so alt, wie du dachtest, stimmt’s, Danka?«

Ich fing an, herumzustottern. Garet legte ihre Hand auf meine Schulter. Mit einem Mal wurde mir heiß, unerträglich heiß.

»Soll ich dir ein Geheimnis der Jacht zeigen?«, fragte Garet und zog ihre Hand weg.

»Ja«, antwortete ich erleichtert.

»Dann schwimm mir nach!«

Garet hielt mit schnellen und kräftigen Zügen auf das Bootsende zu. Ich konnte nicht besonders toll kraulen und schwamm ihr einfach hinterher, wobei ich wild um mich spritzte. Ohne sich umzudrehen, lachte Garet leise.

Das Heck war so hoch wie bei einer alten Galeone. Über dem Wasser ragten Bronzehaken heraus. Ob man an denen einen Motor befestigen konnte? Vielleicht taten die Händler das sogar, wenn sie in eine Welt kamen, in der es »Photonen, Protonen und Magnetfelder« gab. An den Brettern bemerkte ich außerdem irgendwelche Kupferschrauben.

»Pass auf«, flüsterte Garet verschwörerisch und drehte nacheinander an drei Schrauben. Einen halben Meter über dem Wasser öffnete sich eine schmale Luke. »Manchmal nehmen wir Schmuggler mit oder Menschen, die sich vor der Regierung ihrer Welt verstecken.« Sie zog sich am Schiff hoch und glitt geschmeidig durch die Luke.

Sofort blickte ich woanders hin. Ich kapierte echt nicht mehr, was mit mir los war.

»Soll ich dir helfen?«, fragte Garet und hielt mir die Hand hin. Aus der dunklen Öffnung tauchten nur ihre Schultern auf.

»So weit kommt’s noch«, erwiderte ich und kraxelte durch die Luke. Garet drückte sich weiter nach hinten, um mir Platz zu machen. Sie klatschte in die Hände und eine matte, kugelige Lampe ging an.

Ich richtete mich auf und spürte, wie das Wasser an mir herabfloss. Wir befanden uns in einem kleinen Raum, zwei mal drei Meter, der fast leer war, nur auf dem Boden lag eine dicke Matratze und an der Wand hing an einem Nagel ein Frotteetuch. Garet schnappte es sich, rubbelte mit schnellen Bewegungen ihr Haar und trocknete sich anschließend ab. Ich fing an zu zittern.

»Du bist ja ganz durchgefroren, Junge«, sagte Garet, während sie auf mich zukam. »Warte mal.«

»Weshalb sind wir hier?«, fragte ich. Garet trocknete mir jedoch schon die Haare ab, danach kam der Rest von mir dran. Sie machte dabei ein ziemlich ernstes Gesicht.

Es ist eine Sache, ob du mit jemandem nackt schwimmst. Aber es ist eine ganz andere, ob du plötzlich in einem kleinen Raum neben einer nackten Frau stehst und sie dich abtrocknet – am ganzen Körper.

»Soll ich dir beibringen, was Liebe ist?«, fragte Garet mich ganz gelassen, nachdem sie das Handtuch auf den Boden geworfen hatte.

Mein Gesicht brannte, und da ich kein Wort herausbrachte, schüttelte ich bloß den Kopf.

»Du schwindelst doch«, meinte Garet ruhig.

Jetzt hätte ich abhauen müssen. Mich mit einem Hechtsprung durch die Luke retten, zum Deck zurückkehren und den Flügeloverall anziehen müssen. Denn ich war mir sicher, dass Garet mir in der Gegenwart von Len und dem Sonnenkater nicht auf die Pelle rücken würde. Nur versagten mir meine Beine den Dienst.

Außerdem wollte ich gar nicht weg.

»Das ist aber notwendig«, meinte sie. »Das ist etwas, das du brauchen wirst. Du wirst es später selbst einsehen.«

Sie hockte sich hin, legte die linke Hand auf meine Schulter und zog mich zu sich. Nach einem ganz kurzen Zögern gab sie mir einen Kuss auf den Mund.

Ich hatte schon mal ein Mädchen geküsst. Da war ich erst in der dritten Klasse gewesen. Wir waren zusammen ins Kino gegangen und hatten geglaubt, wir müssten uns küssen. Mit Garet fühlte sich die Sache jedoch anders an – und gar nicht eklig.

Als ich wieder an Deck zurückkehrte, lag Len in der Sonne. Am Ende hatte er sich doch ausgezogen – bis auf die Unterhose.

»Bist du weit weggeschwommen?«, wollte er wissen.

»Ja, sehr weit«, antwortete ich und zog mich hektisch an.

Mit einem Mal schämte ich mich meiner Nacktheit, gewaltig sogar. Sowohl vor der nackten Reata, die etwas abseits in der Sonne brutzelte, als auch vor Garet, die gerade aus dem Wasser auftauchte. Hastig schlüpfte ich in den Overall, dann schaute ich zum Kater hinüber. Er hatte sich bereits an der Sonne sattgesehen und schnurrte jetzt zufrieden. Kurz fing ich seinen Blick auf…

Er wusste alles. Er hatte alles im Voraus gewusst.

»Weshalb, Kater?«, fragte ich im Flüsterton. »Weshalb?«

»Nichts kam so, wie du es geplant hast«, antwortete er unerschüttert. »Und das ist ein gutes Zeichen.«

»Warum?«

»Du musst dich deinem Wesen annähern. So weit, wie es geht. Ich weiß nicht, was Garet sich davon versprochen hat… aber für dich wird es nützlich sein.«

»Das hat sie auch behauptet«, brachte ich müde heraus und ließ mich aufs Deck plumpsen. Len beobachtete uns erstaunt. »Dreh dich mal um, sonst verbrennst du dir den Bauch«, riet ich ihm.

Hier stimmte doch was nicht. Alles geriet… aus dem Ruder. Und zwar extrem.

»Es ist alles in Ordnung, Danka«, beruhigte mich der Kater mit weicher Stimme. Sein Ton erinnerte mich an Garet.

»Halt die Klappe!«, brüllte ich. »Ich bin nicht dein Werkzeug, vergiss das nicht!«

Dann sprang ich auf und marschierte zu Garet hinüber. »Was sollte das?«, fragte ich scharf.

»Das wirst du begreifen, wenn du gewonnen hast«, antwortete sie mysteriös. »Aber wenn du dein Duell verlierst… wozu musst du es dann wissen?«

Was sollte ich ihr darauf sagen? Und streiten konnte ich mich jetzt nicht mit ihr.

»Wir müssen zurück«, presste ich heraus, während ich woanders hinsah.

»Gut, dann öffnen wir den Durchgang«, willigte Garet ein. »Sofort?«

»Ja.«

»Reata!«

Die beiden stellten sich wieder neben den Mast und sahen sich in die Augen.

»Wenn ihr zurückwollt, dann fliegt gefälligst«, sagte Reata frech, wobei sie sich eher an Len als an mich wandte. »Wir öffnen einen Korridor über der Jacht.«

Len griff nach seinem Overall. Mir fiel auf, wie er beim Anziehen schmerzhaft das Gesicht verzog. Also hatte er sich doch einen Sonnenbrand eingefangen!

»Ich muss euch noch euren Lohn zahlen«, meinte Garet plötzlich. »Schließlich haben wir vereinbart, dass die Arbeit bezahlt wird.«

»Die Arbeit war ja nicht gerade schwer«, knurrte ich. »Gehen wir mal davon aus, dass wir quitt sind. Öffnet jetzt den Durchgang.«

»Sei mir nicht böse, Danka«, bat Garet mit einer Stimme, die mit einem Mal ganz schuldbewusst klang. »Guten Flug!«

Ich spreizte die Flügel und schoss hinauf in den Himmel. In Richtung des regenbogenfarbigen Films, hinter dem die Finsternis lauerte. Die fast schon vertraute Finsternis. Len und der Kater folgten mir.

»Auf Wiedersehen!«, schrie Garet uns nach.

So flogen wir hinein in die Finsternis.



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