Lloyd AlexanderTaran und der Zauberkessel

Die Ratsversammlung

Allzufrüh war es Herbst geworden. Schon hatten im Norden des Landes Prydain die meisten Bäume das Laub verloren. Im kahlen Geäst hingen, schwarz und zerzaust, die verlassenen Vogelnester. Weiter im Süden, wo Caer Dallben lag, boten die Berge jenseits des Flusses Avren einen gewissen Schutz vor den rauhen Winden; doch auch hier schimmerten die Wälder schon im herbstlichen Licht.

Für Taran ging der Sommer zu Ende, bevor er noch richtig begonnen hatte. Eines Morgens war er von Dallben damit beauftragt worden, Hen Wen zu baden, das weiße Zauberschwein. Warum hatte der alte Meister ihm nicht befohlen, einen ausgewachsenen Gwythaint zu fangen, eine jener bösen geflügelten Kreaturen? Das wäre ein Auftrag nach Tarans Herzen gewesen! Mürrisch füllte der Junge den Wassereimer am Brunnen und schleppte ihn zum Schweinegarten. Für gewöhnlich hatte Hen Wen nichts dagegen, wenn sie gebadet wurde. Heute indessen brach sie in lautes Gekreisch aus und wälzte sich auf dem Rücken im Schlamm herum. Während Taran sich mit ihr abmühte, nahte vom Wald her ein fremder Reiter. Am Gatter des Schweinegartens zügelte er das Pferd.

„He – du dort, Schweinejunge!“ Der Reiter war nicht viel älter als Taran. In seinem blassen, hochmütigen Gesicht, das von schlohgelbem Haar umrahmt war, glühte ein Paar kohlschwarzer Augen. Er trug vornehme Kleider, doch waren sie abgenutzt, und sein sorgsam zusammengeflickter Mantel vermochte nur schlecht das fadenscheinige Untergewand zu verbergen. Der Fremde ritt eine Rotschimmelstute, einen hageren, rot und gelb gefleckten Klepper, der genauso boshaft dreinblickte wie er selbst.

„He, Schweinejunge! Bin ich hier richtig auf Caer Dallben?“

Ton und Gehabe des Reiters verletzten Taran; aber der Junge biß die Zähne zusammen, zwang sich zu einer höflichen Verbeugung und sagte: „Dies hier ist Caer Dallben – doch ich bin kein Schweinejunge. Ich heiße Taran und diene Dallben als Hilfsschweinehirt.“

„Schwein ist Schwein“, rief der Fremde, „und Schweinejunge bleibt Schweinejunge! Lauf und melde mich deinem Herrn! Sag ihm, Prinz Ellidyr sei gekommen, der Sohn des Pen-Llarcau.“

Hen Wen ergriff die günstige Gelegenheit, um sich in einen anderen Pfuhl zu wälzen. „Willst du wohl zur Vernunft kommen!“ schimpfte Taran und packte sie an den Ohren.

„Laß ab von der Sau!“ befahl ihm Prinz Ellidyr. „Tu, was ich sage, und melde mich deinem Herrn!“ „Tu es gefälligst selber!“ rief Taran ihm über die Schulter zu, während er versuchte, Hen Wen aus dem Schlamm zu zerren. „Erst muß ich mit meiner Arbeit fertig sein.“ „Sieh dich vor!“ entgegnete Ellidyr. „Oder gelüstet es dich nach einer Tracht Prügel?“

Taran wurde rot im Gesicht. Zornig überließ er Hen Wen sich selbst und kletterte über den Zaun. Die Fäuste geballt und den Kopf in den Nacken geworfen, rief er: „Nimm das zurück, du! Oder es soll dir leid tun!“ Ellidyr lachte verächtlich auf. Ehe Taran ihm auszuweichen vermochte, tat der Rotschimmel einen Satz nach vorn. Ellidyr schien gewaltige Kräfte zu haben. Er beugte sich aus dem Sattel und packte den Jungen am Kragen. Vergebens schlug Taran mit Armen und Beinen um sich; es gelang ihm nicht, sich aus Ellidyrs Griff zu befreien.

Er mußte sich beuteln und schütteln lassen, daß ihm die Zähne klapperten. Ellidyr spornte das Roß zum Galopp an. Nun schleifte er Taran über den Rasen zur Hütte, und während die Hühner in alle Richtungen auseinanderstoben, stieß er ihn roh zu Boden. Der Lärm hatte Dallben und Coll vor die Tür gelockt. Auch Prinzessin Eilonwy kam aus der Waschküche herbeigestürzt, mit fliegender Schürze, das Wäscheholz in der Hand.

Ellidyr reckte sich im Sattel auf und rief dem uralten Zauberer zu: „Seid Ihr Dallben? Ich bringe Euch Euren Schweinejungen, der Bursche ist unverschämt, er gehört verprügelt!“

„Ach nein?“ sagte Dallben mit ruhiger Stimme. „Ob Taran unverschämt war, das ist eine Sache – und ob er dafür verprügelt gehört, eine andere. Am besten hältst du dich da heraus, junger Mann.“ „Ich bin Ellidyr, Sohn des Pen-Llarcau!“ „Ja doch, ja doch, das ist mir nicht unbekannt“, unterbrach ihn Dallben und winkte ab. „Geh zum Brunnen und tränke dein Pferd! Es wird gut sein, wenn du bei dieser Gelegenheit auch dein hitziges Gemüt ein wenig abkühlst. Sobald du gebraucht wirst, wird man dich rufen.“

Ellidyr setzte zu einer Entgegnung an; doch unter den strengen Blicken des Meisters zog er es vor zu schweigen. Er wendete die Rotschimmelstute und trieb sie zum Brunnen.

Prinzessin Eilonwy und der alte glatzköpfige Coll halfen Taran auf die Füße.

„Hast du nichts Besseres zu tun, mein Junge, als dich mit fremden Leuten herumzuschlagen?“ brummte Coll gutmütig; und Eilonwy fügte hinzu: „Wie kannst du dich mit ihm einlassen, wenn er zu Pferd ist – und du zu Fuß!“ „Das nächstemal soll er mich kennenlernen!“ knurrte Taran.

Dallben widersprach ihm und sagte: „Das nächstemal halte dich Ellidyr gegenüber gefälligst zurück! Das mag nicht sehr großartig sein – und dennoch solltest du es versuchen. Geh jetzt! Prinzessin Eilonwy wird dir behilflich sein, wieder ein menschenwürdiges Aussehen zu erlangen.“

Niedergeschlagen folgte Taran dem goldblonden Mädchen in die Waschküche. Mehr noch als die Prügel, die Ellidyr ihm verabreicht hatte, schmerzten ihn dessen höhnische Worte. Und daß Eilonwy ihn besiegt zu Füßen des Prinzen von Pen-Llarcau gesehen hatte, wurmte ihn ganz besonders.

„Wie konnte das nur geschehen?“ fragte Eilonwy, während sie Taran mit einem feuchten Lappen das Gesicht abwischte. Der Junge gab keine Antwort, mürrisch überließ er sich ihrer Fürsorge.

Noch ehe das Mädchen mit der Arbeit fertig war, erschien eine über und über behaarte, mit Blättern und Zweigen gespickte Gestalt am Fenster, schwang sich herein und begann zu zetern.

„O Jammer und Schande! Der gute, kluge, treue und tapfere Gurgi hat alles gesehen! Knüffe und Püffe für den armen, guten, jungen Herren – Schrammen und Beulen, es ist zum Heulen! Der wackere Gurgi ist voll des Mitleids für seinen geliebten Gönner, und außerdem hat er Neuigkeiten für ihn, gute und wichtige Neuigkeiten! Ein mächtiger Fürst kommt von Norden geritten: Hopphopp im Galopp, auf weißem Pferd mit schwarzem Schwert. O Jubel und Freude, nach allem Leide!“ „Was sagst du da?“ rief der Junge. „Meinst du etwa den Fürsten Gwydion? Das kann nicht wahr sein!“ „Und doch ist es wahr“, sagte eine wohlbekannte Stimme hinter ihnen. Fürst Gwydion stand im Türrahmen. Mit einem Ausruf der Überraschung stürzte Taran auf ihn zu und ergriff seine Hand. Eilonwy schlang die Arme um Gwydions Hals, während Gurgi erfreut im Kreise um sie herumtanzte. Als Taran den Fürsten zuletzt gesehen hatte, war Gwydion reich und prächtig gewandet gewesen, wie es ihm als dem obersten Feldherrn des Hauses Don zukam. Heute indessen trug er bloß einen einfachen Kapuzenmantel und einen groben, schmucklosen Rock. Bewaffnet war er mit Dyrnwyn, dem Zauberschwert in der schwarzen Scheide, das Eilonwy ihm geschenkt hatte.

„Seid mir alle gegrüßt!“ rief er. „Gurgi sieht noch genauso hungrig aus wie immer, und Eilonwy ist noch schöner geworden, seit wir uns das letztemal gesehen haben.“ Dann wandte er sich dem Jungen zu, und während ein Lächeln über sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht huschte, meinte er: „Du aber, Taran, scheinst mir ein bißchen mitgenommen zu sein. Dallben hat mir erzählt, was geschehen ist.“ „Ich habe den Streit nicht gesucht“, erklärte der Junge trotzig.

„Aber er hat dich gefunden, Taran von Caer Dallben!“ Gwydion trat einen Schritt zurück, musterte Taran aufmerksam aus seinen grünen Augen und wiegte das zottige, wolfsgraue Haupt. „Wie groß du geworden bist, Junge! Hoffentlich hast du an Weisheit ebensoviel dazugewonnen wie an Länge! Nun, man wird sehen. Jetzt muß ich mich für die Ratsversammlung bereit machen.“ „Wofür?“ rief Taran. „Dallben hat nichts von einer Ratsversammlung gesagt. Er hat uns nicht einmal verraten, daß Ihr hierherkommt.“

„Als ob Dallben überhaupt jemals jemandem etwas verraten würde!“ warf Eilonwy ein.

„Daß er mit seinem Wissen sparsam umzugehen pflegt, müßtet ihr allmählich gemerkt haben“, meinte Gwydion. „Ja, es soll eine Ratsversammlung hier stattfinden. Soviel mir bekannt ist, werden einige wichtige und berühmte Männer dran teilnehmen.“

„Und ich?“ unterbrach ihn Taran aufgeregt. „Werde ich mit dabeisein? Schließlich habe ich viel gelernt in der letzten Zeit. Ich habe an Eurer Seite gefochten, ich habe mit Euch zusammen …“

„Gemach, gemach!“ erwiderte Gwydion. „Wir haben beschlossen, dir einen Platz in der Runde der Männer einzuräumen. Dennoch darfst du mir glauben, daß es nicht immer leicht ist, ein Mann zu sein.“ Seine Stimme klang weich und ein wenig traurig, er legte die Hände auf Tarans Schultern. „Halte dich also bereit, du wirst deinen Auftrag erhalten wie jeder andere – und das früh genug.“

Gwydions Voraussage traf zu, im Lauf des Morgens stellten sich mancherlei weitere Gäste auf Caer Dallben ein. Bald nach dem Fürsten kam eine Abteilung berittener Krieger an, die auf den Wiesen hinter dem Obstgarten ihr Lager aufschlug. Taran sah, daß die fremden Reiter bis an die Zähne bewaffnet waren. Sein Herz schlug vor Freude. Sicherlich hatten auch diese Kriegsleute etwas mit Dallbens Ratsversammlung zu tun. Neugierig eilte er auf das Lager zu – doch plötzlich, auf halbem Weg etwa, stutzte er und hielt an. Zwei vertraute Gestalten kamen den Pfad heraufgeritten. Taran rannte ihnen entgegen. „Fflewddur!“ rief er erfreut. „Und Doli! Seid ihr es wirklich?“

Der Zwerg mit dem feuerroten Haarschopf schwang sich von seinem Pony. Einen Augenblick grinste er übers ganze Gesicht, dann nahm er seine gewohnte mürrische Miene an.

Taran klopfte ihm auf die Schulter. „Welche Freude, dich wiederzusehen, Doli – und das mit dem Wiedersehen meine ich wörtlich! Du hättest dich ja auch unsichtbar machen können.“

„Unsichtbar machen!“ Der Zwerg in der Lederjacke rümpfte die Nase. „Du ahnst nicht, wie sehr einen das auf die Dauer anstrengt. Daß ich jedesmal schreckliches Ohrensausen davon bekomme, ließe sich noch ertragen. Das schlimmste ist, daß einen niemand sehen kann, während man unsichtbar ist. Läßt du dir gern auf die Zehen treten? Mitunter geschieht es auch, daß einem je mand den Ellbogen ins Gesicht stößt. Das, ich gestehe es ohne Umschweif, ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack; ich habe die Nase voll davon!“ „Und du, Fflewddur?“ fragte Taran den Barden, während er ihm vom Pferd half. „Was führt dich hierher? Ich schätze, daß deine Ankunft mit dieser Ratsversammlung zusammenhängt – oder? Auch Doli scheint ihretwegen gekommen zu sein, nicht wahr?“

„Ich weiß nichts von einer Versammlung“, murmelte Doli. „Eiddileg, unser König, hat mich nach Caer Dallben geschickt, um Gwydion einen Gefallen damit zu erweisen. Mehr weiß ich nicht. Aber wenn du mich fragst, so wäre ich tausendmal lieber zu Hause geblieben, im Reich der Unterirdischen, wo ich mit meinen eigenen Angelegenheiten mehr als genug zu tun hätte.“„Und wie steht es mit dir?“ fragte Taran den Barden. Fflewddur strich sich das Haar aus der Stirn, nahm die Harfe von der Schulter und beteuerte: „Gwydion kam rein zufällig durch mein Königreich, rein zufällig, wie es den Anschein hatte. Er fragte mich, ob ich. nicht Lust hätte, euch zu besuchen auf Caer Dallben. Als er dann noch hinzufügte, daß ich auch Doli dort antreffen würde, hat es mich keinen Augenblick länger daheim gehalten – obwohl ich mich in der Heimat, als König in meinem Königreich, ganz zufrieden und glücklich gefühlt habe. Kurz und gut, ich bin lediglich aufgebrochen, um Gwydion einen Gefallen zu tun.“ In diesem Augenblick rissen zwei Saiten an Fflewddurs Harfe mit schrillem Mißklang. Der Barde brach auf der Stelle in seiner Erklärung ab und räusperte sich. „Also schön“, bekannte er kleinlaut. „Ich fühlte mich, um die Wahrheit zu sagen, entsetzlich elend in meinen vier Wänden. Jeder erdenkliche Vorwand wäre mir recht gewesen, um mich für eine Weile aus meinem feuchten, traurigen Schlößchen davonzumachen. Du sagtest, daß eine Ratsversammlung hier stattfindet? Schade! Ein Erntefest, wo man auf meine Lieder erpicht ist, wäre mir lieber gewesen!“

„Gleichviel!“ sagte Taran. „Jedenfalls freut es mich, daß ihr beiden hier seid.“

„Mich weniger“, raunzte Doli. „Wenn man mich braucht, ist das meistens ein Zeichen dafür, daß irgendwo etwas stinkt.“

Während sie zu Dallbens Hütte gingen, blickte sich Fflewddur neugierig um.

„Nanu, nanu – flattert dort drüben nicht König Smoits Banner im Wind? Kein Zweifel, auch er ist in Gwydions Auftrag hier!“

Ein Reiter sprengte heran und rief Fflewddur beim Namen. Der Barde stieß einen Freudenschrei aus. „Das ist Adaon!“ rief er. „Taliesins Sohn, des Obersten aller Barden!“

Adaon sprang aus dem Sattel, und Fflewddur beeilte sich, ihm die Gefährten vorzustellen. Taliesins Sohn war ein großer, stattlicher Mann mit vollem schwarzem Haar, das ihm auf die Schultern fiel. Trotz seiner vornehmen Herkunft trug er den Waffenrock eines einfachen Kriegers, ohne jeden Schmuck – bis auf eine seltsam geformte eiserne Spange am Hals. Seine Augen waren sehr tief und klar: der Junge spürte sofort, daß Adaons Blicken wenig verborgen blieb. „Das trifft sich ja!“ sagte Adaon, während er Taran und seinen Freunden die Hand drückte. „Den Barden des Nordens sind eure Namen nicht unbekannt.“ „Bist etwa auch du ein Barde?“ fragte Taran. Adaon schüttelte lächelnd das Haupt. „Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, hätte ich längst die Prüfungen abgelegt“, sagte er. „Doch ich beschloß zu warten damit, weil es noch viele Dinge gibt, die ich lernen möchte.“

Adaon wandte sich Fflewddur zu. „Mein Vater sendet dir Grüße und fragt, wie du mit der Harfe zurechtkommst, die er dir zum Geschenk gemacht hat. Im Augenblick, sehe ich, ist sie nicht ganz in Ordnung.“ „Tja“, räumte Fflewddur verlegen ein. „Ich habe gewisse Schwierigkeiten mit ihr. Mitunter erliege ich der Versuchung, die Dinge ein wenig farbiger darzustellen, als sie sich von Natur aus zeigen, was in den meisten Fällen kaum zu umgehen ist. Doch wann immer ich meiner künstlerischen Eingebung folge, ist dies das Ende vom Lied!“

Seufzend deutete er auf die geborstenen Saiten. Adaon lachte freundlich und sprach ihm Mut zu. „Deine Geschichten“, rief er, „sind alle Harfensaiten in Prydain wert, glaub mir das!“

Dann wandte er sich an Taran und Doli. „Ihr müßt versprechen“, bat er sie, „daß ihr mir nächstens von euren ruhmreichen Taten berichtet. Jetzt muß ich zum Fürsten Gwydion.“

Er verabschiedete sich von ihnen und ritt davon. Fflewddur blickte ihm nach und sagte voll Zuneigung und Bewunderung: „Es kann sich um nichts Geringes handeln, wenn Adaon hier ist, einer der tapfersten Männer, von denen ich weiß. Und mehr noch: Er hat das Herz eines echten Barden. Der Tag wird kommen, da wird er unter den Sängern einer der größten sein. Denkt daran, was ich euch gesagt habe!“

„Er kennt tatsächlich unsere Namen?“ fragte Taran. „Und es ist wahr, daß man unsere Taten in Liedern besingt?“ Fflewddur strahlte über sein Pferdegesicht. „Ich selbst habe unseren Sieg über den Gehörnten König in Verse gebracht“, gestand er. „Ein bescheidenes Stückchen Dichtkunst, gewiß – und dennoch erfüllt es mich mit Genugtuung, wenn ich sehe, welch große Verbreitung es mittlerweile gefunden hat. Laßt mich diese vermaledeiten Saiten flicken, dann will ich es euch mit Freuden darbieten!“


Am frühen Nachmittag, nachdem alle sich ein wenig erfrischt hatten, rief Coll die Gäste in Dallbens Stube zusammen, wo eine lange Tafel bereitstand, mit Sitzgelegenheiten zu beiden Seiten. Taran stellte verwundert fest, daß der Meister offenbar den Versuch unternommen hatte, in seiner von Büchern und allerlei altem Plunder angefüllten Behausung ein wenig Ordnung zu schaffen. Nicht ohne Schaudern gewahrte er hoch auf dem obersten Wandbord das „Buch der Drei“, jenen schweren, in Leder eingebundenen Folianten, woraus Dallben sein geheimes Wissen schöpfte. Auf einmal packte der Barde Taran am Ärmel und zog ihn beiseite. Ein dunkelbärtiger Krieger betrat den Raum. „Eines ist sicher“, wisperte Fflewddur, „es handelt sich nicht um ein Erntefest. Sieh doch, wer da gekommen ist!“

Der Fremde trug eine prächtige Rüstung. Die schmale Nase gab seinem Gesicht etwas Falkenhaftes. Nachdem er sich leicht vor Gwydion verneigt haue, nahm er einen Sitz an der Tafel ein und musterte eiskalten Blickes die Runde der übrigen.

„Wer ist das?“ Taran getraute sich kaum, den Mann in der prächtigen Rüstung anzusehen.

„König Morgant von Madoc“, flüsterte Fflewddur. „Nach Gwydion ist er der kühnste Feldherr in Prydain, ein Treueschwur bindet ihn an die Söhne des Hauses Don. Ihm wird nachgesagt, daß er Gwydion einige Male das Leben gerettet habe. Das glaube ich unbesehen. Im Kampf wirkt er wie aus Eis, er ist ganz und gar furchtlos. Wo Morgant die Hand im Spiel hat, geht es um keine geringe Sache, darauf kannst du Gift nehmen. – Aber was höre ich da? Das muß König Smoit sein, den kannst du immer schon hören, bevor du ihn zu Gesicht bekommst!“

Unter brüllendem Gelächter kam an Adaons Seite ein Hüne von Kriegsmann hereingestampft. Er überragte alle im Raum Versammelten. Ein roter Bart umflammte sein Gesicht, das kreuz und quer von alten Wunden ver schrammt war.

„Was für ein Bär!“ raunte Fflewddur dem Jungen zu. „Aber es ist nicht das winzigste Körnchen Böses in ihm. Als sich die Herren der südlichen Königreiche gegen die Söhne des Hauses Don erhoben, gehörte Smoit zu den wenigen, die sich den Verrätern widersetzt haben.“ Smoit blieb in der Mitte des Raumes stehen, warf den Mantel zurück, hakte die Daumen in den breiten, eisenbeschlagenen Gürtel, der seinen Leib umspannte, und brüllte los: „He, Morgant! Sie haben dich auch herbeigerufen, nicht wahr? Ich wittere Blut im Wind!“ Wild durch die Nase schnaubend, schritt er auf Morgant zu und versetzte ihm einen heftigen Schlag auf die Schulter. „Nimm dich in acht!“ sagte Morgant mit dünnem Lächeln. „Du könntest einmal den Falschen treffen.“ „Oho!“ bellte König Smoit, wobei er sich auf die feisten Schenkel schlug. „Keine Bange, du Eiszapfen! Ob ich den Richtigen oder den Falschen treffe, ist meine Sache!“ Sein Blick fiel auf Fflewddur Fflam. „Laß dich ans Herz drücken, alter Knochen!“ rief er und schlang ihm die Arme mit solcher Begeisterung um den Leib, daß dem Barden die Rippen krachten. „Bei allem Blut, das durch meine Adern rinnt – spiel uns ein Lied auf, du butterköpfiger Harfenzupfer!“

Nun erblickte der Riese den Jungen. „Und wer bist du?“ Er packte Taran mit seinen mächtigen roten Pratzen und schüttelte ihn. „Was willst du denn hier, du gerupftes Huhn?“

„Das ist Taran von Caer Dallben, der Hilfsschweinehirt“, sagte Fflewddur an Tarans Stelle.

„Zu dumm, daß er nicht der Koch ist!“ polterte Smoit. „Ich hab’ nämlich, wie ihr wissen müßt, einen verdammten Hunger im Leib.“

Dallben klopfte ruheheischend auf den Tisch, und Smoit trollte sich an seinen Platz, nicht ohne den Barden zuvor ein zweites Mal zu umarmen. Auch die übrigen ließen sich an der Tafel nieder. Die Stirnseite nahmen Dallben und Gwydion ein, am unteren Ende saß Coll. König Smoit hatte seinen Platz zur Linken des alten Zauberers, gegenüber von König Morgant. Taran quetschte sich zwischen den Barden und Doli, der sich darüber beklagte, der Tisch sei zu hoch für ihn. Rechts von Morgant saß Adaon, neben ihm hatte Ellidyr Platz genommen, den Taran seit heute morgen nicht mehr gesehen hatte. Dallben erhob sich, alle blickten zu ihm empor. Er strich sich den mächtigen grauen Bart und begann: „Für Höflichkeiten bin ich zu alt, deshalb habe ich nicht die Absicht, euch eine lange Begrüßungsrede zu halten. Der Anlaß zu dieser Ratsversammlung ist ernst und dringlich, laßt uns daher ohne Umschweif zur Sache kommen. Wie einige von euch aus nächster Nähe erlebt haben“, fuhr er mit einem Blick auf Taran und dessen Gefährten fort, „hat unser alter Widersacher Arawn, der Herrscher über Annuvin, im vorigen Jahr eine schwere Niederlage erlitten, als Gwydion den Gehörnten König erschlug und das Heer der Verräter in alle Winde zerstreute. Doch niemand von uns wird glauben, daß Arawn damit für alle Zeiten bezwungen sei. Sichere Anzeichen sprechen dafür, daß er die Absicht hat, wieder loszuschlagen. Uns bleibt nicht viel Zeit, ihn daran zu hindern. Was er im Schilde führt, zeichnet sich immer klarer ab. Ich bitte den Fürsten Gwydion, euch davon zu berichten.“ Mit ernster Miene erhob sich Fürst Gwydion aus dem Hause Don. „Wir alle“, begann er, „kennen die Kesselkrieger, die stummen Mordknechte Arawns, die man nicht töten kann. Der Herr von Annuvin, ihr wißt es so gut wie ich, pflegt die Leiber der erschlagenen Recken aus ihren Gräbern zu rauben, und brüht sie im Schwarzen Kessel, wodurch sie zu neuem Leben erweckt werden, eben zu Kesselkriegern. Fortan ist ihnen alles menschliche Fühlen fremd, blindlings und ohne Gnade vollstrecken sie die Befehle Arawns.“ Die Versammelten nickten, sie wußten Bescheid darüber.

„Neuerdings aber“, fuhr Gwydion fort, „ist König Arawn dazu übergegangen, sich auch der Lebenden zu bemächtigen. Allenthalben in Prydain verschwinden Männer: Arawn läßt sie totschlagen und nach Annuvin bringen, um sie zu Kesselkriegern zu machen und seine Macht zu vergrößern. Nun liegt es an uns, seinem schändlichen Treiben Einhalt zu bieten.“ Wenn Taran zum Fenster hinausblickte, sah er die Wälder leuchten, golden und scharlachrot. Milde Luft strich herein, als hätte ein Sommertag sich in den Herbst verirrt. Doch Gwydions Worte machten den Jungen frösteln. Mit Grausen dachte er an die toten Augen der Kesselkrieger, die fahlen Gesichter, das furchtbare Schweigen, mit dem sie ihr unbarmherziges Werk verrichteten.

„Zum Teufel!“ schrie König Smoit und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sind wir Memmen und alte Weiber? Ich finde, wir sollten Arawn das Handwerk legen!“ „Eben zu diesem Zweck sind wir hier zusammengekommen“, erklärte mit grimmigem Lächeln Fürst Gwydion. „Ihr alle, so hoffe ich, werdet nicht nein sagen, wenn ich euch bitte, mit mir nach Annuvin zu ziehen: Wir müssen, um Prydains und seiner Bewohner willen, den Schwarzen Kessel in unsere Hand bekommen und ihn zerstören.“

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