Robert Silverberg Menschen für den Mars

Das interplanetarische Schiff Bernadotte begann langsam einzukurven und sich den kalten, leblosen und oxydierten Wüsten des Mars zu nähern. An Bord des Schiffes blickte der UB-Beamte Michael Aherne, dessen erster Flug zum roten Planeten dies war, gespannt auf den Sichtschirm, um Ausschau nach Leben zu halten.

Er vermochte keine Bewegung zu entdecken. Die Kuppel, unter der sich die Marskolonie ausbreitete, war noch nicht in Sicht, und Aherne sah nur öde, kahle Sandflächen. Er war nervös, wie es bei einem Spion, dessen scheinbar geheimer Auftrag offen bekannt war, kaum anders sein konnte. Man hatte ihm eine unangenehme Aufgabe erteilt, und er wußte, daß ein hartes Stück Arbeit vor ihm lag.

Aherne vernahm ein Geräusch hinter sich. Als er sich umwandte, sah er Valoinen, einen großen, zur Kahlheit neigenden Mann, dessen Logbuch mehr Flugstunden im Raum aufwies als das Logbuch eines anderen Sterblichen, die kleine Kabine betreten.

»Noch etwa hundert Minuten«, sagte der Captain. »Sie sollten unsere Kuppel bald sehen können. Wir landen ganz in ihrer Nähe. Ich fürchte immer, daß ich mich eines Tages auf sie setzen könnte, was das UN-Budget völlig durcheinanderbringen würde.«

Aherne zwang sich zu einem Grinsen und wandte sich dem Captain zu. Aherne war ein breitschultriger Mann mittlerer Größe mit sandfarbenem Haar; als Sonderattaché der Vereinten Nationen war er fast ständig im Weltraum unterwegs, aber dies war der längste Flug, den er je unternommen hatte — ein Flug über 90 Millionen Meilen, um sich in der Marskolonie als Spion zu betätigen.

Ein schöner Spion, dachte er bitter.

Er blickte auf seine Uhr. Sie hatten die Flugzeit genau eingehalten.

»Sie wissen, daß ich komme, nicht wahr?« fragte Aherne.

Der Finne nickte und lächelte wissend. »Allerdings. Und sie wissen nicht nur, daß Sie kommen, sie wissen auch, warum Sie kommen. Ich zweifle nicht daran, daß der rote Teppich für Sie schon ausgelegt ist. Sie werden nichts unterlassen, um einen guten Eindruck auf Sie zu machen.«

»Genau das fürchte ich«, sagte Aherne. »Ich hätte vorgezogen, anonym zu bleiben und mich unerkannt umzusehen. Auf diese Weise käme ein echter Bericht zustande.«

»Wer legt Wert auf echte Berichte?« fragte Valoinen sardonisch. »Mein Freund, Sie sollten allmählich lernen, daß unsere Organisation auf Mißverständnissen und Schnitzern aufgebaut ist. Tatsachen sind ihre tödlichen Feinde.«

Ahernes Gesicht färbte sich dunkel. »Wir wollen nicht frivol werden, Valoinen«, sagte er scharf. »Wir haben der UN für viele gute Dinge zu danken — unter anderem für die Erhaltung Ihres kleinen unbedeutenden Landes, ganz zu schweigen von dem ansehnlichen Gehalt, das Sie als Raumpilot für den Flug zwischen Erde und Mars beziehen.«

Der Captain hob eine Hand, um Aherne zu unterbrechen. »Kein Grund zur Aufregung, alter Junge. Auch ich glaube, daß es eine gute Organisation ist. Nur bin ich alt genug, um sie nicht ganz so ernst zu nehmen.«

»Vielleicht werden Sie lernen, die UN ernst zu nehmen, wenn Sie noch ein wenig älter sind«, knurrte Aherne und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er in die Dunkelheit und heftete den Blick auf die matt kupfern glänzende, zur Hälfte sichtbare Planetenkugel.

Nach einiger Zeit wandte er sich wieder um. Valoinen stand immer noch hinter ihm. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt und lächelte gezwungen.

»Nun?«

»Ich denke, ich sehe die Kuppel«, sagte Aherne.

»Meinen Glückwunsch.«

»Kein Grund zum Scherzen.«Aherne legte die Stirn in Falten und blickte noch einmal hinaus, um sich zu überzeugen, daß er nichts Falsches gesehen hatte. Dann kratzte er sich den Kopf. »Was bedeutet das? Ich glaube zwei Kuppeln zu sehen, die zweite etwa zehn Meilen von der ersten entfernt. Wie kommt das? Ich bin sicher, daß die UN nur eine bauten.«

Valoinen zeigte seine prächtigen weißen Zähne. »Genau richtig, mein Freund. Nur eine von den beiden ist die UN-Kuppel.«

»Und die andere?«

»Sie werden es früh genug herausfinden. Ich möchte nicht, daß Sie voreingenommen an Ihre Aufgabe herangehen. Ihr Bericht soll doch echt sein, nicht wahr?« Valoinen wandte sich um und ging auf die Tür zu. »Und nun entschuldigen Sie mich, ich muß mich um meine Fracht kümmern.«

Die Schottentür klappte zu, und Aherne blieb allein zurück. Verwirrt starrte er auf die beiden Kuppeln.


* * *

»Die Gyroskope dort hinüber«, befahl Valoinen. Drei Besatzungsmitglieder packten zu und schleppten die Kisten an die bezeichnete Stelle.

»Das wäre geschafft«, sagte der Captain. Die Frachtkisten waren in sauberem Halbkreis um das Schiff gestapelt und warteten darauf, abgeholt zu werden. Valoinens Blick wanderte zu Aherne. Aherne fühlte sich reichlich unbehaglich, zum Teil wegen des schweren Raumanzuges, an den er sich noch nicht gewöhnt hatte, zum andern, weil er nichts zu tun hatte, während die andern zupackten.

»Alles in Ordnung bei Ihnen?« fragte Valoinen.

Der UN-Mann nickte und bewegte den schweren Helm auf und ab. »Den Umständen entsprechend.«Die Last des schweren Luftgenerators drückte auf seinen Rücken und zerrte an seinen Muskeln. Er fühlte sich nicht gut, hatte aber nicht die Absicht, es dem Captain einzugestehen.

»Es kann nur ein paar Minuten dauern, bis man Sie abholt«, sagte Valoinen. »Ich habe der Kolonie durch Funk die Fracht avisiert. Sie schicken ihre Fahrzeuge. Sie sind sehr begierig darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Ahernes Muskeln spannten sich. Er wußte, daß ihm eine schwierige Aufgabe bevorstand. Er war hierher gekommen, um zu entscheiden, ob die bisherigen Resultate die enormen Kosten für das Weiterbestehen der Marskolonie rechtfertigten. Von seinem Urteil hingen Tod oder Leben der Kolonie ab.

Die UN würden sich auf seinen Bericht verlassen, wie sie es bisher getan hatten. Aherne hatte zur Genüge bewiesen, daß er unbefangen zu urteilen vermochte und keiner Beeinflussung zugänglich war. Seine ganze Treue galt der Gemeinschaft, die den Namen Vereinte Nationen führte. Aherne war der ideale Beobachter.

Er hoffte, daß die Kolonisten ihm die Aufgabe nicht schwerer machen würden, als sie es ohnehin war. Er gab zu, daß seine Sympathie den Marspionieren gehörte, daß es sein ganz persönlicher Wunsch war, die Kolonie weiter zu erhalten und gedeihen zu sehen. Es war seine innere Überzeugung, daß die Menschen in den Weltraum hinauseilen sollten, um andere Planeten zu erobern.

Aber es war seine Pflicht, Meldung zu machen, wenn er feststellte, daß die Kolonie unproduktiv, schlecht geleitet und schlecht geplant war. Wenn die Kolonie sich nur um ihrer selbst willen zu erhalten suchte, wenn es ausgeschlossen schien, daß weitere Fortschritte zu erwarten waren, so würde er auch dies zu melden haben. Dann würde seine Meldung das Ende der Kolonie bedeuten.

Er hoffte, daß die Kolonisten sachlich bleiben würden und nicht den Versuch machten, Unzulänglichkeiten zu frisieren; das würde ihn in einen schmerzhaften inneren Konflikt bringen. Er konnte keinen gefälschten Bericht abliefern, aber es lag ihm daran, die Kolonie weiter existieren zu sehen.


* * *

Er beobachtete das Näherkommen der »Sandraupen«. Die Luft war kalt und klar. Das Thermometer, in den Handrücken des linken Handschuhes des Raumanzuges gebettet, zeigte zweiundzwanzig Grad unter Null, eine verhältnismäßig milde Temperatur. Die Nadel des Außendruckmessers pendelte um fünf Pfund pro Quadratzoll, der Innendruck blieb, wie er beruhigend feststellte, auf fünfzehn Pfund.

Valoinen und seine Männer saßen, geduldig wartend, auf den großen Kisten. Aherne gesellte sich zu ihnen.

»Die Kuppel liegt dort«, sagte Valoinen und deutete in die Richtung, aus der die Sandraupen kamen. In etwa vier Meilen Entfernung versperrten zackige dunkle Berge den Blick. »Sie können sie nicht sehen, sie liegt hinter den Bergen.«

»Und die andere Kuppel?«

»Liegt noch ein wenig weiter zurück«, sagte Valoinen.

Schweigen stellte sich ein. Aherne hatte Hemmungen, nach näheren Einzelheiten über den zweiten Kuppelbau zu fragen. Er wartete auf die Ankunft der Kolonisten. Die Sonne, ein blaßgrünes Gebilde, stand hoch über ihnen, und die auf dem Heck ruhende Bernadotte warf einen langen Schatten über die ebene Sandfläche des Landeplatzes.

Die Sandraupen wurden größer, Aherne konnte sie schon klar erkennen. Es waren tief und flach gebaute Fahrzeuge mit Raupenketten. Die kleine Plastikkuppel für zwei Personen lag vorn, der Laderaum am hinteren Ende. Sechs Fahrzeuge näherten sich; sie schwankten leicht und bewegten sich wellenförmig durch den rötlichen Flugsand. Aherne konnte das Scharren der Raupenketten hören. Schließlich überwand der Konvoi die letzte Düne und kam vor der Bernadotte zum Stehen.

Eine Gestalt löste sich von der vordersten Raupe und kam auf sie zu. Aherne konnte das Gesicht des Mannes hinter dem Helm nur undeutlich erkennen. Er sah blondes Haar über einer hohen Stirn und durchdringende blaue Augen.

Die Gestalt des Mannes, hinter dem Raumanzug verborgen, schien groß und schlank zu sein.

»Ich bin Sully Roberts«, stellte er sich vor. »Hallo, Captain!«

»Hier ist Ihre Fracht, Sully«, sagte Valoinen und streckte dem andern eine Handvoll Begleitpapiere entgegen. Roberts nahm sie und vermied es, den Blick auf Aherne zu richten. Er blätterte die Papiere flüchtig durch.

»Hm. Von außen besehen, scheint alles in Ordnung«, sagte er. »Ich kann natürlich nicht garantieren, daß tatsächlich Gyros in diesen Kisten sind und keine Teddybären. Aber es hat wohl wenig Sinn, sie jetzt zu öffnen.«

»Trauen Sie mir nicht?« fragte Valoinen scharf.

»Natürlich traue ich Ihnen«, sagte Roberts. »Aber es ist UN-Geld, das wir ausgeben, und wir wollen es nicht sinnlos verplempern. Wir müssen mit dem, was uns zugeteilt wird, sorgsam umgehen.«

»Gewiß«, sagte Valoinen leichthin.

Das war an meine Adresse gerichtet, dachte Aherne. Sie wollen beweisen, was sie für brave Leute sind.

»Oh«, sagte Valoinen, »wie dumm von mir. Ich habe völlig vergessen, Sie vorzustellen. Sully, dies ist Michael Aherne von den Vereinten Nationen. Er will einige Zeit bei Ihnen bleiben.«

Roberts kam näher und schüttelte Aherne die Hand. »Wie geht es Ihnen? Ich bin Sullivan Roberts, Distriktsleiter der Kolonie. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mr. Aherne. Ich hoffe, Sie werden mich während Ihres Aufenthaltes recht oft besuchen.«

»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Roberts.«

Roberts winkte seinen Männern, und sie verließen die Fahrzeuge. Von den Besatzungsmitgliedern unterstützt, luden sie die Kisten schnell in die Laderäume.

»Sie können mit mir fahren, Mr. Aherne«, sagte Roberts.

»Großartig.«Aherne kletterte in die kleine Kuppel des ersten Fahrzeuges, und Roberts nahm neben ihm Platz. Langsam, fast ohne merkliche Erschütterung nahm die Sandraupe Fahrt auf. Aherne sah, wie Valoinen ihm grinsend zuwinkte, dann verschwand der Captain im Innern der Bernadotte. Seine Männer folgten ihm. Sie trugen die Postsäcke von der Marskolonie. Der Einstieg des kleinen Schiffes schloß sich.


* * *

Die glänzende Wölbung der Kuppel ragte vor ihnen auf wie eine gelbe, riesige Blase. Aherne blickte durch die Plastikhülle in eine geschäftige Welt von Gebäuden und Menschen. Die Kuppel reckte sich fast 150 Meter hoch. Unter ihr herrschte eine künstliche Atmosphäre mit Wärme und atembarer Luft, während draußen die Luft kalt und stickstoffhaltig war.

»Dort ist der Eingang«, sagte Roberts und deutete auf eine Luftschleuse am unteren Rand der Kuppel. Das Tor öffnete sich bei der Annäherung der Sandraupe, und sie fuhren hinein. Die anderen Fahrzeuge folgten. Langsam schloß sich das Tor hinter dem letzten.

Auf Roberts’ Wink stieg Aherne aus und vertrat sich die Beine. Die Fahrzeuge hatten sich nur langsam und rüttelnd über den Sand bewegt, und Aherne spürte ein leichtes Schwindelgefühl. Aber er mußte zugeben, daß die Sandraupen die einzigen praktischen Fahrzeuge für die auf dem Mars bestehende Bodenbeschaffenheit waren.

Er sah eifrige Gestalten um die Sandraupen am Werk. Sie entluden die Fracht und trugen die Kisten durch die innere Tür. Aherne schloß sich Roberts an, der den Männern folgte.

Die Marskolonie lag ausgebreitet vor ihm.

Aherne spürte, wie ein warmes Gefühl des Stolzes, der Bewunderung ihn durchflutete, aber er gab sich dieser Regung nicht hin. Gefühle waren verboten für ihn. Mochte er die Männer und Frauen, die diesen Kuppelbau errichtet und auf dem unwirtlichen Mars eine Stadt gebaut hatten, noch so sehr bewundern, er war als ihr Richter hier und durfte nur die Tatsachen sprechen lassen.

»Ein Komitee wartet darauf, Sie zu begrüßen«, sagte Roberts. »Seit wir von Ihrem Kommen hörten, haben wir uns auf diese Stunde gefreut.«

»Gut, gehen wir«, sagte Aherne.


* * *

Das Komitee hatte sich in einem nahe dem Zentrum der Siedlung gelegenen niedrigen und schmucklosen Gebäude aus Wellstahl versammelt. Die meisten Bauten waren, wie Aherne feststellte, aus diesem billigen, wenig ansehnlichen Material errichtet. In der Marskolonie standen wirtschaftliche Erwägungen an erster Stelle, das ästhetische Empfinden hatte zurückzustehen.

Das Komitee bestand aus sechs Männern. Sully Roberts beeilte sich, sie Aherne vorzustellen. Außer Roberts, der den Südsektor der Kolonie vertrat, waren drei weitere Distriktsleiter anwesend, denen Aherne die Hand schüttelte — Martelli vom nördlichen Sektor, Richardson aus dem Osten, Fournier aus dem Westen. Aherne erkannte, daß sie ihren Namen und Erscheinungen nach nicht nur einen geographischen Teil der Kolonie vertraten, sondern auch die in ihrem Bezirk lebende Hauptmasse der Bevölkerung verkörperten. Trotz aller Verschmelzungsbemühungen war die Kolonie noch immer eher das Produkt einer Gruppe lose vereinter Nationen als das einer in sich geschlossenen Welt. Jedes Land, das sich an seine Eigenständigkeit geklammert hatte, hatte darauf bestanden, in der Kolonie vertreten zu sein, so daß sich auf dem Mars ein seltsames Rassengemisch zusammengefunden hatte, das erst im Laufe von Generationen ein einheitliches Gepräge annehmen würde.

Wenn es weitere Generationen auf dem Mars gab, dachte Aherne.

Das fünfte Mitglied des Komitees war Dr. Raymond Carter, der oberste Koordinator der Kolonie, ein Mann in den Vierzigern, dessen Name vor der fünf Jahre zurückliegenden Gründung der Kolonie oft genug Schlagzeilen gemacht hatte. Seiner hartnäckigen Initiative war es zu verdanken gewesen, daß das Projekt der Marskolonie in die Tat umgesetzt wurde.

Sechste Delegierte war Katherine Greer, durch Abstimmung der Kolonisten in das Komitee gewählt. Sie war ein schlankes, junges Mädchen Mitte der Zwanzig.

»Nun, Mr. Aherne, was halten Sie von dem Fortschritt, den wir erzielt haben?« fragte Carter, und der Klang seiner Stimme ließ keinen Zweifel an der Antwort, die er erwartete.

Aherne schritt unbehaglich auf und ab in dem kleinen Raum. Nervös musterte er die sechs Kolonisten, deren Blicke an seinen Lippen hingen.

»Ich ziehe vor, mit meinem Urteil zurückzuhalten, Dr. Carter. Ich bin zwar hergekommen, um das Ausmaß Ihrer Fortschritte festzustellen, möchte aber nicht gezwungen werden, schon zehn Minuten nach meiner Ankunft ein endgültiges Urteil abzugeben.«

»Natürlich nicht«, sagte Dr. Carter hastig. »Es war nicht meine Absicht, einen Druck auf Sie auszu…«

»Schon gut.«Aherne war überrascht und erleichtert, als er erkannte, daß die Nerven der Delegierten nicht weniger angespannt waren als seine eigenen. Sie bemühten sich verzweifelt darum, einen guten Eindruck auf ihn zu machen.

»Für Ihre Unterkunft ist in meinem Distrikt gesorgt worden«, sagte Richardson, der Leiter des östlichen Bezirks. Richardson war ein schlanker, wendiger Neger, dessen korrekter britischer Akzent auf afrikanische Vorfahren schließen ließ.

»Sehr gut«, sagte Aherne.

»Ich nehme an, daß Sie sich erst von den Strapazen der langen, ermüdenden Reise erholen wollen«, fuhr Dr. Carter fort.

»Eine großartige Idee«, nickte Aherne. »Ich muß zugeben, daß ich von dem langen Flug ein wenig erschöpft bin.«

»Mr. Richardson wird Sie zu Ihrer Unterkunft bringen und sich um Ihr leibliches Wohl kümmern. Wir haben beträchtliche Anstrengungen unternommen, um synthetische Nahrungsmittel herzustellen — natürlich nur so lange, bis der Marsboden wieder genügend Stickstoff enthält, so daß wir Gemüse anpflanzen können.«

»Natürlich«, sagte Aherne müde. Er sah lange Wochen unbehaglicher Wortgefechte voraus und ahnte schon jetzt, daß die Bemühungen der Kolonisten, ihn zu beeindrucken, erhebliche Anforderungen an seine Geduld stellen würden.

»Nachdem Sie sich ausgeruht und erfrischt haben, ist eine Besichtigungsfahrt durch die Kolonie geplant«, sagte Carter. »Miß Greer ist Ihnen als Führerin zugeteilt worden.«

Bei der Erwähnung ihres Namens lächelte das Mädchen leicht, und Aherne konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Diese Kolonisten ließen sich wahrscheinlich keine Gelegenheit entgehen. Gab es einen besseren und leichteren Weg, ihn günstig zu beeindrucken, als daß sie ihm ein hübsches junges Mädchen als Begleiterin zuwiesen?

Sein Blick wanderte zu Miß Greer. Sie trug ein Kleid aus dem praktischen einfarbigen Stoff, in den die meisten Kolonisten gekleidet waren, aber Ahernes kritisches Auge entdeckte, daß die unscheinbare Hülle eine Gestalt von tadellosem Wuchs umgab.

Er fühlte, wie seine Nerven sich entspannten. Vielleicht würde die Aufgabe, die vor ihm lag, doch nicht so schwierig und unangenehm sein, wie er es befürchtet hatte.


* * *

Der ihm zugewiesene Raum war bequem, wenn auch nicht luxuriös eingerichtet, und er fühlte sich schnell darin heimisch. Im Schrank hingen mehrere der uniformähnlichen Anzüge, wie die Kolonisten sie trugen. Aherne schlüpfte aus seinem zerknitterten Reiseanzug und streifte sich eins der khakifarbenen Gewänder über. Dann, gerade als sich die Spannung zu lockern begann, die ihn in ihrem Griff gehalten hatte, seit er den Auftrag durch den Sicherheitsrat erhalten hatte, mußte er an den zweiten Kuppelbau denken.

Was verbarg sich darunter? Wer hatte ihn gebaut? Jeder vermied es sorgfältig, den Bau zu erwähnen, als sei er etwas, dessen man sich schämen müsse.

Aherne wußte, daß es viele Fragen zu klären galt, bevor er zu einer endgültigen Entscheidung über die Marskolonie kam. Mochten alle äußeren Umstände günstig erscheinen, mochten noch andere Miß Greers seinen Weg kreuzen, er würde sich allein die erforderlichen Informationen beschaffen, bevor er seinen Bericht abfaßte.

Die Kolonisten hatten ihm einen anheimelnden Raum zur Verfügung gestellt, mit einem weichen Bett und schön geschnitzten Möbeln. Der Bücherschrank an der linken Wand enthielt mehrere Werke in scharlachrotem Einband, und als er das erste herauszog, sah er, daß es sich um einen Roman von einem Kolonisten, gedruckt in der Kolonie, handelte.

Sie lassen sich keine Möglichkeit entgehen, dachte er und spürte, wie ihn ein Gefühl des Stolzes durchrann. Es würde nicht schwerfallen, das Weiterbestehen einer Kolonie zu befürworten, die solchen Unternehmungsgeist zeigte — vorausgesetzt, daß alles andere damit Schritt hielt. Bis jetzt hatte er nichts zu beanstanden gefunden. Zum erstenmal seit Wochen schlief Aherne tief und fest.


* * *

Er erwartete, daß die Besichtigungsfahrt morgens als erstes auf dem Programm stehen würde und sah ihr erwartungsvoll entgegen. Als er daher ein leises Pochen an seiner Tür hörte, schlüpfte er aus dem Bett und bemühte sich, hellwach zu erscheinen. Er war sicher, daß Miß Greer vor der Tür stehen würde.

Er hatte sich geirrt. Als er die Tür öffnete, sah er sich einem kleinen dunkelhäutigen Mann mit tiefliegenden Augen und schwarzem Haar gegenüber.

»Guten Morgen, Señor«, sagte der Mann.

»Guten Morgen«, erwiderte Aherne überrascht.

»Man hat mich zu Ihnen geschickt«, sagte der kleine Mann und trat an Aherne vorbei in den Raum. Aherne sah, daß der Mann einen mächtigen Brustkasten hatte, der mit seiner kleinen Gestalt nicht in Einklang stand. Er sprach mit klar erkennbarem spanischem Akzent.

»Um mich abzuholen?«

»Si. Bitte kommen Sie schnell.«

Zu überrascht, um zu protestieren, wusch Aherne sich schnell und kleidete sich an. Dann folgte er dem Mann auf die Straße. Es war noch früh am Morgen, nur wenige Kolonisten waren zu sehen.

»Wohin gehen wir?« fragte Aherne.

»Sie werden sehen«, erwiderte der andere gleichmütig.

Aherne fragte sich, wohin der Mann ihn führen mochte, aber er beschloß, ihm ohne Widerrede zu folgen. Vielleicht konnte er so Dinge über die Kolonie erfahren, die ihm auf der offiziellen Besichtigungsfahrt vorenthalten würden. Unwillkürlich fuhr seine Hand an den kühlen Griff der Webley, die er im Halfter unter der linken Schulter trug. Er wußte, daß er sich auf seine Waffe verlassen konnte, wenn er in Schwierigkeiten geriet.

Der kleine Mann schien es sehr eilig zu haben. Er führte Aherne schnell durch die Straßen, der äußeren Grenze des Kuppelbaues zu, in der sich die Luftschleuse befand.

Mehrere Kolonisten begegneten ihnen. Sie lächelten Aherne zu, aber niemand schien ihn aufhalten zu wollen, um zu erfahren, wohin ihn der Weg führte.

Sie kamen an die Luftschleuse. Aherne sah die Sandraupe, die draußen parkte. Während des ganzen Marsches hatte der kleine Mann kein Wort gesprochen. Jetzt deutete er auf ein Gestell dicht neben dem Eingang, auf dem eine Reihe von Raumanzügen hingen. »Nehmen Sie einen, ziehen Sie ihn sich über«, sagte er.

Aherne gehorchte. Sein seltsamer Führer streifte sich ebenfalls einen Raumanzug über. Dann durchquerten sie die Luftschleuse und verließen den Kuppelbau.

»Wir fahren hiermit«, knurrte der Mann und stieg in die Sandraupe. Aherne folgte seinem Beispiel. Das Fahrzeug ruckte an und steigerte seine Geschwindigkeit. Die Raupe glitt durch eine Kluft zwischen zwei Hügeln und folgte einem gewundenen Sandpfad in die Wüste. Eine Stunde später erreichten sie das Ziel — den zweiten Kuppelbau.

Er schien ähnlich gebaut wie der erste Kuppelbau. Aherne blickte sich neugierig um, während sie in die Luftschleuse traten. Schließlich konnte er aus dem Raumanzug schlüpfen und befand sich innerhalb der Kuppel. Was er sah, unterschied sich kaum von dem Bau, in dem die Kolonisten ihn untergebracht hatten.

Aber schon nach wenigen Schritten rang Aherne nach Atem und er fühlte, wie sein Puls schneller pochte. Es gab einen Unterschied: der Luftdruck hier war wesentlich niedriger. Sein ganzer Körper schien nach dem Sauerstoff zu lechzen, an den er gewöhnt war, und Aherne schluckte kräftig, um den Druck auf seine Trommelfelle zu mindern.

Während er den Schritt verhielt und leicht taumelnd stehenblieb, um sich an den Druckunterschied zu gewöhnen, sah er, wie ein zweiter kleiner Mann vom Aussehen eines Spaniers sich näherte. Diesmal aber war es ein Gesicht, das Aherne kannte.

»Sie werden sich bald an den niedrigeren Luftdruck gewöhnen, Aherne«, sagte der Mann, als er vor Aherne stehenblieb. »Das Wohl unserer Kolonisten fordert diesen Druck.«Er hielt Aherne eine kleine Schachtel mit Tabletten entgegen. »Nehmen Sie ein Aspirin, danach werden Sie sich besser fühlen.«

Aherne nahm die Schachtel, fischte eine Tablette heraus und schluckte sie.

»Was machen Sie hier, Echavarra?« fragte er.

»Sie haben mich nicht vermißt, Aherne? Es ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich die UN in den vergangenen drei Jahren nicht mehr mit meinen verrückten Ideen belästigte?«

»Nein«, erwiderte Aherne nachdenklich. »Ich nahm an, daß Sie sich nach der Ablehnung Ihrer Vorschläge irgendwo der privaten Forschungsarbeit widmeten.«

Der Mann, den Aherne Echavarra genannt hatte, grinste breit. »Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich habe tatsächlich private Forschung betrieben.«Er legte einen Arm um Ahernes Schultern. »Kommen Sie«, sagte er. »Gehen wir in meine Wohnung. Der Druck ist dort leichter zu ertragen.«


* * *

Auf dem Weg durch die Kolonie machte Aherne die Feststellung, daß der Kuppelbau allem Anschein nach nur von kleinen dunkelhäutigen Männern bevölkert war, denen der niedrige Luftdruck nichts anzuhaben schien. Langsam begann sich ein klares Bild abzuzeichnen.

In den Tagen der heißen Debatten über die Frage, wer die Marskolonie bauen und wie man vorgehen sollte, hatte José Echavarra im Mittelpunkt der Diskussionen gestanden. Als Schöpfer einer neuen Vererbungslehre war der Peruaner Gegner des Amerikaners Carter geworden, der den Bau von Kuppeln befürwortete, in denen Erdbewohner in verhältnismäßiger Behaglichkeit leben konnten. Echavarra hatte hitzig erklärt, daß dies der falsche Weg sei. Er vertrat die Ansicht, daß der Mensch sich dem Planeten anpassen sollte und nicht umgekehrt.

Als Beispiel hatte er die Minenarbeiter aus den peruanischen Anden angeführt, mit denen sich Wissenschaftler eingehend beschäftigt hatten. Diese Minenarbeiter verbrachten ihr ganzes Leben in 3000 bis 5000 Meter Höhe, in Gebieten mit dünner Luft und geringem Druck, sie hatten sich, mit einem Wort, der Umgebung angepaßt. Sie waren fähig, bei einem Druck von nur acht Pfund auf den Quadratzoll zu existieren und sich dabei behaglich zu fühlen.

Echavarra hatte vorgeschlagen, eine Kolonie zu bilden, die nur aus diesen abgehärteten Peruanern bestand.

Aherne erinnerte sich genau an die Geschehnisse. Der beredte Dr. Echavarra hatte in langen Stunden seine Pläne vorgelegt, war aber auf eindeutige Ablehnung gestoßen. Schließlich, so hatte einer der Delegierten erklärt, bedeutete Echavarras Plan, daß nur eine Nation — Peru — Menschen auf den Mars schicken würde. Andere Völker, gewohnt an den üblichen 15-Pfund-pro-Quadratzoll-Druck, würden unfähig sein, die auf dem Mars herrschenden Bedingungen zu überleben.

Damit hatte die Diskussion geendet. Echavarras Vorschlag war abgelehnt worden, und Raymond Carter war zum Leiter der Pionierexpedition ernannt worden, die den Kuppelbau errichten und die UN-Kolonie gründen sollte.

Echavarra war von der Bildfläche verschwunden. Nun war er wieder in Erscheinung getreten, mit seiner Kolonie, die nur aus Peruanern bestand.

Der Luftdruck war wirklich niedrig. Aherne, der mit jedem Schritt müder wurde, schleppte sich dahin, als er Echavarra durch die Straßen folgte.

»Hier herein«, sagte der Peruaner, und Aherne folgte der Aufforderung. Er betrat einen einfach eingerichteten Raum, in dessen warmer, leichter Atmosphäre sich seine Lungen befreit dehnten.

»Dieser eine Raum wird unter normalem Druck gehalten«, erklärte Echavarra. »Ich bin selbst noch nicht völlig an die Luft gewöhnt, die diese Andenbewohner atmen. Ich schätze es, mich hier drin von Zeit zu Zeit entspannen zu können.«

Aherne warf sich erschöpft in die Hängematte, die von Wand zu Wand gespannt war.

»Zum Teufel«, sagte er nach einiger Zeit. »Ich bin nicht für diesen krassen Druckwechsel geschaffen.«

»Sie leiden an Anoxie«, sagte Echavarra. »Sauerstoffmangel. Der verringerte Druck in dieser Kuppel erschwert es Ihren Lungen, genügend Sauerstoff aufzunehmen. Um diesen Mangel auszugleichen, vermehren sich Ihre roten Blutkörperchen. Das macht Ihnen für eine Weile zu schaffen, aber Sie werden sich daran gewöhnen.«

Aherne nickte. »Und ob mir das zu schaffen macht.«

»Ich schätze, daß Sie auf der zweiten Schwelle der Anoxie angelangt sind«, erklärte der Peruaner. »Der Verlauf ist so, wie ich es erwartete.«

»Was meinen Sie?«

»Wir teilen die Stadien des Sauerstoffmangels in drei Grade ein, die wir Schwellen nennen«, sagte Echavarra. »Das erste Stadium ist die Reaktionsschwelle. Auf der Erde wird sie im allgemeinen in 2000 Meter Höhe erreicht. Der Puls beschleunigt sich, die Kapillargefäße erschlaffen, wodurch mehr Blut in die Zellen gelangt. Leichtes Schwindelgefühl stellt sich ein. Dann kommt das zweite Stadium — die Störungsschwelle. Sie waren gerade über diesen Punkt hinausgelangt, als Sie diesen Raum betraten. Charakteristisch für dieses Stadium sind Sehstörungen, Abstumpfen der Sinne, Verlangsamung der Muskelreflexe. Sie haben diesen Zustand kennengelernt. Er ist unerfreulich, aber nicht gefährlich.«

»Ich verstehe«, sagte Aherne. Er lag noch immer reglos und bemühte sich, wieder zu Kräften zu kommen.

»Gibt es ein drittes Stadium?«

»Es gibt es«, sagte Echavarra.

»Die kritische Schwelle. Dieser Zustand stellt sich ein, wenn der Druck bis auf etwa eine halbe Atmosphäre abgesunken ist. Das Sehvermögen versagt völlig, das Herz hämmert, Nasenbluten stellt sich ein, die Muskeln gehorchen den Befehlen nicht mehr, Bewußtlosigkeit folgt. Auch Krämpfe sind beobachtet worden. Dieser kritische Zustand führt meistens zum Tode. Menschen sind einfach nicht für diesen niedrigen Druck geschaffen. Auf dem Mars herrscht diese kritische Schwelle zu allen Zeiten, auf der Erde beginnt sie erst bei etwa fünftausend Meter, wie in den Anden.«

Aherne fühlte sich besser. Er richtete sich zu sitzender Stellung auf und blickte den Peruaner scharf an.

»Das alles mag sehr interessant sein, Echavarra. Ich nehme aber an, daß Sie mich nicht hierher gebracht haben, um mir einen Vortrag über die Höhenkrankheit zu halten. Wie steht es mit den Informationen, die ich gern hören möchte?«

Echavarra lächelte höflich. »Was möchten Sie gern wissen?«

»Zuerst: Was tun Sie hier? Wer hat Ihr Unternehmen finanziert?«

Eine dunkle Welle flog über das Gesicht des kleinen Mannes. »Es ist eine traurige Geschichte. Nach der unglückseligen Ablehnung durch die Vollversammlung reiste ich von Land zu Land, um Unterstützung für meinen Plan zu finden. Mit der Hilfe meiner eigenen Landsleute brachte ich schließlich den Mindestbetrag zusammen. Natürlich konnten wir nicht mit der gleichen Großzügigkeit wie Dr. Carter arbeiten, aber es reichte, um einige hundert Familien aus den Anden hierherzubringen und mit ihrer Hilfe diesen Kuppelbau zu errichten.«

»Zu welchem Zweck?«

Der andere lächelte. »Ich stimmte mit der grundlegenden Prämisse Dr. Carters nicht überein und brauchte eine Gelegenheit, meine Theorie in die Praxis umzusetzen. Meine Leute haben sich bereits an die erwähnte halbe Atmosphäre akklimatisiert. Sie arbeiten unter Verhältnissen, die einen normalen Menschen töten würden. Sie sind seit Generationen gewohnt, unter diesen Verhältnissen zu existieren. Die Anlage, in dünner Luft zu leben, hat sich seit Generationen in ihnen vererbt. Ich reduziere den Druck in diesem Kuppelbau allmählich. Sie merken es nicht, aber ihre Körper passen sich den Veränderungen an. Zuletzt hoffe ich, den Druck so reduzieren zu können, daß er dem des Mars entspricht. Ich werde nicht hier sein, um das zu erleben, nicht mit diesen Menschen und nicht mit ihren Kindern. Aber eines Tages wird es soweit sein, und dann sind diese Kuppelbauten überflüssig geworden.«

»Interessant«, sagte Aherne kühl. »Und warum haben Sie sich der kleinen List bedient, um mich hierher zu locken?«

Der Peruaner spreizte die Hände. »Sie sind hier, um über das Schicksal der Carter-Kolonie zu entscheiden, nicht wahr?«

Aherne nickte.

Echavarra brachte sein hageres Gesicht mit den funkelnden Augen näher an das Ahernes. Aherne erkannte, daß es von einem feinen purpurfarbenen Netz winziger geplatzter Äderchen durchzogen war. »Ich habe Sie hierher gebracht, damit Sie sich vom Erfolg meines genetischen Programms überzeugen können. Ich möchte, daß Sie gegen Carter stimmen und den Bewilligungsausschuß für mich einnehmen.«

»Unmöglich. Die UN sind bereits entschlossen, Carter zu unterstützen. Ich sehe keinen Grund, daß sie ihre Entscheidung rückgängig machen. Ihre Arbeit mag als Kuriosum der Beachtung wert sein, aber wir können kaum ernstlich daran denken…«

»Nicht so schnell«, sagte Echavarra. »Treffen Sie Ihre Entscheidung nicht überstürzt. Sie bleiben ja eine Weile auf dem Mars. Vergleichen Sie die Verdienste, die sich die beiden Kolonien erworben haben. Überzeugen Sie sich selbst, welche von ihnen es eher verdient, auf dem Mars zu leben und zu arbeiten.«

Aherne schüttelte den Kopf. »Ich gedenke bei der Entscheidung der Vollversammlung zu bleiben«, sagte er. »Vielen Dank für Ihr Angebot, aber ich denke, ich werde jetzt zur Carter-Kolonie zurückkehren, Echavarra.«

»Bleiben Sie noch ein wenig«, drängte der Peruaner.

Aherne kam nicht dazu zu antworten. Plötzlich war das Poltern vieler Schritte zu hören, in das sich laute, gefährliche Rufe mischten. Dann wurde die Tür aufgestoßen, und Sully Roberts, der eine Sauerstoffmaske aus Plastik trug, stürmte herein, gefolgt von einem halben Dutzend seiner Männer.

»Dafür werden Sie büßen, Echavarra!« stieß Roberts wütend hervor. Seine Männer formierten sich im Kreis um Aherne. Im Hintergrund erkannte Aherne zwei oder drei verblüffte Peruaner, die sich auf die Zehenspitzen hoben, um in den Raum blicken zu können.

»Was meinen Sie, Mr. Roberts?«

»Ich meine, daß Sie diesen Mann entführt haben!« Roberts wandte sich besorgt Aherne zu. »Hat man Sie einem körperlichen Zwang unterworfen?«

Aherne schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin…«

»Hier scheint ein Mißverständnis vorzuliegen«, sagte Echavarra ruhig. »Mr. Aherne wurde nicht entführt. Er kam am frühen Morgen aus freien Stücken her, um unsere Kolonie zu inspizieren. Ist es nicht so, Mr. Aherne?«

Der UN-Mann sah, wie sich die Mienen der Männer um Carter spannten. Sie waren besorgt. War es Echavarra gelungen, ihn auf seine Seite zu ziehen? Aherne beschloß, im Augenblick keine Stellung zu beziehen.

»Ich kann nicht sagen, daß ich entführt wurde«, erklärte er. »Ich bin tatsächlich freiwillig hierhergekommen.«

»Da hören Sie es«, sagte Echavarra.

In Roberts’ Miene spiegelten sich Angst und Besorgnis. »Aber…«

»Ich möchte Ihnen versichern, daß Mr. Aherne keinem körperlichen Zwang unterworfen wurde«, sagte Echavarra. »Wenn Sie uns nun entschuldigen wollen, möchte ich unsere Diskussion beenden und…«

»Wir rechnen damit, daß Mr. Aherne sich nicht dem in unserer Kolonie festgelegten Programm entzieht«, sagte Roberts. »Wir wären sehr enttäuscht, wenn er hier bei Ihnen bliebe.«

»Mr. Roberts hat recht, Señor Echavarra«, sagte Aherne. »Im Augenblick bin ich der Carter-Kolonie verpflichtet.«

»Ich hoffe. Sie werden der Angelegenheit, über die wir sprachen, sorgfältige Beachtung schenken, Mr. Aherne.«

»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen«, versprach Aherne. »Wie die Dinge jetzt stehen, gedenke ich mich auf die Entscheidung der Vollversammlung zu stützen.«

»Das liegt bei Ihnen«, sagte Echavarra und verbeugte sich höflich. »Ich hoffe aber, Sie noch einmal zu sehen, bevor Sie den Mars verlassen. Vielleicht sind Sie dann anderen Sinnes geworden.«

»Vielleicht«, sagte Aherne. Er wandte sich an Roberts. »Ich denke, es ist Zeit zurückzugehen.«

Als sie in der dünnen Luft der peruanischen Kolonie den Weg zur Luftschleuse nahmen, ließ Roberts erkennen, wie tief seine Besorgnis gewesen war.

»Wir waren sehr in Unruhe, Mr. Aherne. Sobald wir erfuhren, daß Sie die Kolonie in Begleitung eines dieser kleinen Indianer verlassen hatten, machten wir uns auf den Weg.«

»Was befürchteten Sie?« fragte Aherne, als sie die Luftschleuse erreichten.

»Da Sie keine Nachricht hinterlassen hatten, nahmen wir an, Sie seien entführt worden. Wir konnten nicht ahnen, daß Sie den Peruanern einen Besuch abstatten würden, ohne uns zu benachrichtigen«, sagte Roberts.

Aherne hörte den stummen Vorwurf heraus. Sie geben mir zu verstehen, daß es keine Art ist, einfach davonzulaufen, dachte er. Oder sie nehmen an, ich sei doch entführt worden und wollte es nur nicht zugeben.

»Echavarra und ich sind alte Bekannte«, sagte er. »Wir hatten oft miteinander zu tun, bis sein Plan der Ablehnung verfiel.«

»Er ist natürlich ein Phantast«, erklärte Roberts schnell. Er half Aherne in die Sandraupe und folgte ihm. »Seine Idee, die menschliche Konstitution den Marsverhältnissen anzupassen, ist doch glatter Unsinn.«

»Ich bin nicht so sicher.«Die düstere Miene, die seine Worte bei Roberts hervorriefen, entging Aherne nicht. Er wußte, daß es nicht fair von ihm war, aus dem verzweifelten Wunsch Roberts’, seine Zustimmung zu finden, Vorteil zu schlagen, aber es bereitete ihm stilles Vergnügen, den andern an der Angel zappeln zu lassen.

Nach langem Schweigen fragte Roberts: »Beabsichtigen Sie, sich für die andere Kolonie einzusetzen?«

Aherne überlegte, welche Antwort er geben sollte. Er sah keinen Anlaß, daß Roberts sich um eine Entscheidung sorgte, die er, Aherne, längst gefällt hatte.

»Nein«, sagte er. »Natürlich nicht. Die UN haben bereits die Unterstützung der Carter-Kolonie beschlossen. Ich sehe keinen Anlaß, das Thema Echavarra noch einmal zur Sprache zu bringen.«


* * *

Besorgte Mienen grüßten ihn, als er die Luftschleuse der UN-Kuppel durchquerte und die Kolonie wieder betrat. Die restlichen Komiteemitglieder und eine Handvoll aufgeregter Kolonisten stürmten auf ihn zu. Bevor Dr. Raymond Carter zu Worte kam, schaltete Roberts sich ein und erklärte, wo Aherne geblieben war.

»Besuch bei Echavarra?« sagte Carter. »Bei diesem Phantasten? Hatte er interessante Nachrichten für Sie? Das letzte, was ich von ihm hörte, war, daß er seine Indianer für ein Leben auf dem Jupiter vorbereitet — oder war es die Photosphäre der Sonne?«

Aherne lächelte über die Übertreibung, enthielt sich aber einer Äußerung dazu. »Es tut mir leid, daß ich Sie warten ließ«, sagte er. »Ich hielt es für gerechtfertigt, die peruanische Kolonie ebenfalls kennenzulernen. Schon um die beiden Kolonien miteinander vergleichen zu können.«

Carter musterte ihn unbehaglich. »Ich hoffe, daß Echavarra Ihnen keinen Sand in die Augen streute.«

»Nein«, sagte Aherne. »Bis jetzt sehe ich jedenfalls keinen Grund, mich von der Entscheidung der Vollversammlung zu distanzieren.«Er sah, wie Carter erleichtert aufatmete und fügte schnell hinzu: »Natürlich will ich zuvor Ihre Kolonie im einzelnen besichtigen, um festzustellen, welche Fortschritte Sie erzielt haben und wie Ihre Zukunftsaussichten zu bewerten sind.«

»Gewiß«, nickte Carter. »Wenn Sie es wünschen, können Sie mit der Besichtigung sofort beginnen. Miß Greer wird sich glücklich schätzen, Sie auf allen Wegen zu begleiten.«

Carter schien fast übermäßig dankbar, daß Aherne nicht zu dem peruanischen Genetiker übergegangen war. Während Aherne das Herz der Kolonie in Begleitung der schönen Miß Greer besichtigte, wünschte er, offener zu den Kolonisten sein zu können, ihnen seine Anerkennung auszusprechen und die Hoffnung, daß seine Empfehlung das Weiterbestehen der Kolonie garantierte.

Aber er mußte sichergehen. Es war gefährlich, sich Gefühlsregungen hinzugeben, die seine Urteilskraft schwächen konnten. Seine Entscheidung mußte kühl und vernunftmäßig erfolgen. Noch waren die Würfel nicht gefallen.


* * *

Miß Greer war groß, schlank und hübsch. In ihrem Eifer schien sie geneigt, Aherne in jeder Beziehung entgegenzukommen. Er fragte sich im stillen, wieweit dieses Entgegenkommen wohl gehen würde.

»Sie sind unverheiratet?« fragte er, weil es ihm unwahrscheinlich schien, daß ein so attraktives Mädchen keinen Mann gefunden hatte.

Sie senkte den Blick. »Mein Mann ist tot«, sagte sie. »Ich führe wieder meinen Mädchennamen, wie es hier üblich ist.«

»Oh, es tut mir leid, das zu hören.«Sie bogen in die lange Reihe niedriger Häuser zwischen der Luftschleuse und der Schule ein. Die Schule war ihr erstes Ziel.

»Er wurde während des Baues der Kuppel getötet«, fuhr Miß Greer fort. »Es gab insgesamt elf Todesfälle. Ich bin seinetwegen hierhergekommen; jetzt bleibe ich, weil hier eine Arbeit auf mich wartet.«

Aherne murmelte etwas Unverständliches; er wollte auf dem Gebiet der Tatsachen bleiben, sich nicht in Gefühlsregungen verlieren. »Wie starben die Männer?« fragte er.

»Ein Teil des Baues stürzte ein. Es war der einzige größere Unfall, den wir zu verzeichnen hatten.«

»Und wie steht es mit Krankheitsfällen?«

»Sie sind selten. Meist sind es Kleinigkeiten. Bevor wir die Luftschleuse mit einem Posten besetzten, kam es vor, daß Kinder beim Spielen hinausliefen. Heute kann das nicht mehr passieren. Dann hatten wir im vergangenen Jahr eine ziemlich verbreitete Fleischvergiftung. Es gab keine Todesfälle, aber wir waren lange ziemlich krank. Unser größtes Problem ist die Schwerkraftkrankheit.«

»Wieso?«

»Nun, Sie wissen natürlich, daß die Schwerkraft hier nur vierzig Prozent der Erdschwerkraft beträgt, und daß es eine Zeitlang dauert, bis man sich daran gewöhnt hat. Verschiedene Kolonisten klagten über Verdauungsbeschwerden — die Speisen wollten nicht den vorgeschriebenen Weg nehmen. Ein anderes Problem, mit dem wir noch nicht fertig geworden sind, betrifft die Geburten. Die Konstitution der Frauen sträubt sich dagegen, Kinder bei weniger als einem halben g auf die Welt zu bringen. Die Muskulatur schafft es einfach nicht.«

Dies war ein Faktor, den Aherne nicht in seine Überlegungen eingeschlossen hatte. »Aber es werden doch Kinder hier geboren, nicht wahr?«

»O ja.« Miß Greers Miene erhellte sich. »Warten Sie, bis Sie unseren Schulraum gesehen haben! Aber mit jeder Geburt ist ein Risiko verbunden. Wir haben eine kleine g-Kammer gebaut, in der alle Entbindungen erfolgen. Wir müssen alle werdenden Mütter im Auge behalten und für ihre Einlieferung in die Kammer sorgen, sobald die Wehen einsetzen. Gelegentlich gibt es eine Frühgeburt, und es fehlt die Zeit, die Frau in die Kammer zu schicken. Dann entstehen natürlich Komplikationen.«

Aherne nickte. Für ihn war Miß Greer die ideale Führerin. Sie war nicht nur attraktiv, sondern auch eng mit dem Leben in der Kolonie verbunden. Durch sie mochte er Tatsachen erfahren, die er sonst nie herausgefunden hätte.

Tatsachen, die auf ihren Wert untersucht werden mußten, um die Antwort auf die Frage zu geben: Verspricht das Weiterbestehen der Mars-Kolonie, von Wert für die Zukunft zu sein?


* * *

Der Anblick des Schulraums erfüllte Aherne mit Befriedigung. Er sah zwei Dutzend aufgeweckter Kinder, die sich mit Feuereifer am Unterricht beteiligten. Das Alter der Kinder reichte von drei bis zehn Jahren, nur die Gruppe von fünf bis sieben Jahren war schwach vertreten. Dies war leicht zu erklären, da die Kolonie vor fünf Jahren gegründet worden war. Werdende Mütter und Kinder unter zwei Jahren waren damals von der Teilnahme an der Expedition ausgeschlossen worden. Aherne beobachtete, daß die Kinder sich mit größerer Sicherheit und Selbstverständlichkeit bewegten als ihre Eltern. Auch hierfür gab es eine Erklärung: Sie waren unter der Schwerkraft des Mars aufgezogen worden, ihre Muskeln hatten nicht ein halbes Leben unter Erdbedingungen arbeiten müssen, so daß sie sich schnell auf die Marsschwerkraft einstellten. Sie passen sich an, dachte Aherne.

Er setzte die Besichtigung fort. Von der Schule ging es zur Bibliothek, von der Bibliothek zur Druckerei, in der das einzige Lokalblatt des Mars herausgebracht wurde. Mit Stolz wurde Aherne das unvollendete, noch ungebundene Exemplar von Dr. Carters Geschichte der Mars-Kolonie gezeigt, das alle wichtigen Daten und Ereignisse von der Gründung der Kolonie bis zum heutigen Tage enthielt. Aherne entging nicht, daß das Manuskript die Bezeichnung Band I trug; weitere Bände würden also folgen.

Miß Greer war eine gut informierte Führerin, die Aherne vergessen ließ, daß solche Besichtigungen oft in steifer Förmlichkeit erstarrten. Sie zeigte Aherne die Telefonzelle, das Haus, in dem der Atmosphärengenerator untergebracht war, und zuletzt das kleine Theater, in dem eine Amateurgruppe Proben zu »Was ihr wollt«abhielt.

Shakespeare auf dem Mars? Warum nicht, dachte Aherne, der die Probe mit Interesse verfolgte. Er bat darum, dem Spielleiter nach Beendigung der Probe vorgestellt zu werden. Es ergab sich, daß der Spielleiter der gleiche Schauspieler war, der die Rolle des Malvolio übernommen hatte. Sein Name war Patchford. Aherne äußerte sich anerkennend über sein Spiel und die Regie.

»Danke, Sir«, sagte der Kolonist. »Haben Sie die Absicht, der Vorstellung beizuwohnen?«

»Selbstverständlich«, nickte Aherne. »Steht Shakespeare oft auf Ihrem Programm?«

»Bedauerlicherweise nicht«, sagte Patchford betrübt. »Unser kompletter Shakespeare kam auf der Überführung abhanden. Zum Glück hatte ich einer Laiengruppe angehört, zu deren Repertoire ›Was ihr wollt‹ gehörte. Wir spielten es, kurz bevor ich die Erde verließ. Ich schrieb die Rollen aus dem Gedächtnis nieder. Das ist die Fassung, die wir jetzt spielen.«

»Sie schien mir originalgetreu genug.«

»Ich hoffe es«, sagte Patchford lachend. »Es ist das Beste, was wir bieten können, bis die UN uns mit einem neuen Shakespeare auf Mikrofilm bedenken.«

»Ich freue mich auf die Vorstellung heute abend«, sagte Aherne ehrlich, bevor er mit Miß Greer den Weg fortsetzte.

Das nächste Ziel war das Rathaus, von dort ging es zu dem kleinen hydroponischen Betrieb, wo Aherne sich mit zwei jungen Männern unterhielt, die dort arbeiteten. Er sah, daß sein Fachsimpeln großen Eindruck auf Miß Greer machte und beschloß, ihren Glauben an seine Allwissenheit nicht dadurch zu zerstören, daß er ihr gestand, lange auf diesem Gebiet gearbeitet zu haben, bevor er in den Dienst der UN trat. Der kleine Betrieb schien gut geleitet zu sein, und Aherne probierte einige seiner Erzeugnisse. Er fand, daß die Rettiche ein wenig fade schmeckten, aber die Tomaten waren ein Genuß für den Gaumen.

Nach diesem Besuch entschied Miß Greer, daß Aherne für einen Tag genug von der Kolonie gesehen hatte. Sie begleitete ihn zum Haus Carters, wo sie zum Essen erwartet wurden. Für den Abend stand der Besuch des Theaters auf dem Programm. Aherne fühlte sich trotz seiner Müdigkeit angenehm aufgemuntert und weitaus weniger im Zweifel, wie seine endgültige Entscheidung ausfallen würde.


* * *

Geschäftige Tage folgten, in denen Aherne das Leben der Mars-Kolonie in allen Einzelheiten studierte. Die Kolonisten begegneten ihm höflich und hilfsbereit; sie wußten sehr wohl, wieviel von ihrem Verhalten abhing und waren sichtlich bemüht, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Das Leben unter der geringen Schwerkraft war zuweilen erdrückend, und die leicht verbrauchte künstliche Atmosphäre erweckte in Aherne Sehnsucht nach der frischen Luft auf der Erde. Davon abgesehen, sah es aus, als seien die Kolonisten mit den Problemen, die ihnen begegneten, gut fertig geworden.

Natürlich waren sie von der Vollendung noch weit entfernt. Lebensmittellieferungen von der Erde waren immer noch von lebenswichtiger Bedeutung, obwohl der hydroponische Betrieb und die blühende Synthetikfabrik auf Hochtouren liefen. Das Ziel, das dürre Land des Mars wieder in fruchtbaren Boden zu verwandeln, lag noch in weiter Ferne. Es mochte Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte in Anspruch nehmen.

Psychologisch gesehen, schien die Kolonie wunderbar ausgeglichen. Die Männer, die die Kolonisten ausgewählt hatten, schienen die richtige Wahl getroffen zu haben. Die elfhundert Bewohner der UN-Kuppel waren kräftige, geistig und körperlich gesunde Menschen, wie man sie nur selten an einem Ort versammelt sah.

Die Entwicklung der Kolonie entsprach also vollauf den Erwartungen, die man gehegt hatte.

Aherne war gerade zu einem Entschluß gekommen, wie sein Bericht ausfallen würde, als Echavarra ihm zum zweitenmal seinen Besuch abstattete.


* * *

Der kleine Peruaner erschien unerwartet am frühen Morgen. Aherne hatte eine Stunde der Muße dazu benutzt, sich in den Roman eines Kolonisten zu vertiefen. Überrascht blickte er auf, als Echavarra eintrat.

»Hallo, Aherne!«

»Echavarra! Wie sind Sie an dem Posten an der Luftschleuse vorbeigekommen?«

Der Genetiker zuckte die Achseln. »Soviel ich weiß, gibt es kein Gesetz, das mir verbietet hierherzukommen. Ich habe dem Posten gesagt, daß ich mich über Funk beschweren würde, wenn er mich zurückwiese. Das brachte ihn in Verlegenheit. Was konnte er tun, als mich durchzulassen?«

»Schön, Sie sind also hier«, sagte Aherne. »Was wollen Sie?«

Echavarra setzte sich auf die Bettkante und verschränkte die Hände. »Erinnern Sie sich an unsere damalige Unterhaltung?«

»Sicher«, nickte Aherne. »Warum?«

»Verharren Sie immer noch bei Ihrer früheren Meinung?«

»Falls Ihre Frage bedeuten soll, ob ich dem Bewilligungsausschuß Ihre Kolonie statt der Carters empfehlen werde, so lautet meine Antwort — nein.«

Echavarra legte die Stirn in Falten. »Also immer noch für die andern eingenommen? Hat diese kleine Kolonie Sie derart beeindruckt?«

»Allerdings«, erwiderte Aherne. »Sie hat mich tief beeindruckt.«

Der kleine Mann schüttelte den Kopf. »Sie begreifen noch immer nicht. Diese Leute hier sind nur Gäste auf dem Mars. Sie sind geduldete Besucher, solange ihre Kuppel existiert. Aber sie werden immer Außenseiter bleiben, die von einer künstlichen Atmosphäre abhängen.«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich über diese Frage nicht diskutieren will«, erwiderte Aherne. »Diese Menschen haben eine wahrhaft wunderbare Organisation geschaffen. Können Sie das von Ihren Männern, die die Höhenluft der Anden gewohnt sind, behaupten?«

»Nein«, sagte Echavarra. »Noch nicht. Aber eines Tages werden wir die Marsluft atmen können. Die gesellschaftliche Organisation kann warten, bis wir das physische Handicap überwunden haben.«

»Ich kann Ihnen nicht zustimmen. Ihre Männer sind an große Höhen und niedrigen Luftdruck gewöhnt — aber was für Menschen sind sie? Repräsentieren sie die Elite der Menschheit? Nein. Sie sind primitive, unwissende Menschen, die zufällig gewisse physische Vorteile aufweisen. Sie können mit ihnen nicht eine neue Welt bauen.«

»Sie können keine Welt mit Menschen bauen, die sich unter einer Kuppel verbergen müssen«, gab Echavarra zurück. »Aber ich sehe, daß ich mit Ihnen zu keiner Einigung komme. Darf ich trotzdem hoffen, daß Sie die Vereinten Nationen über mein Hiersein unterrichten und sie über den Erfolg meines Planes informieren werden?«

»Ich werde es tun«, sagte Aherne. »Allerdings mit dem entsprechenden Kommentar.«

Echavarra zog einen dicken Packen Papiere aus der Tasche und legte ihn aufs Bett. »Hier ist mein Bericht. Ich habe die Widerstandskraft meiner Männer gegen niedrigen Luftdruck analysiert und die Anpassungen erwähnt, die notwendig sein werden, um eine Rasse zu schaffen, die den Marsbedingungen gewachsen ist. Des weiteren sind die biochemischen Analysen von Muskelgewebe enthalten, die einer meiner Mitarbeiter vorgenommen hat. Er hat sich besonders mit dem Myoglobin beschäftigt, einer Art von Hämoglobin, das für den Sauerstoffverlust von Bedeutung ist — aber es hat wohl keinen Sinn, daß ich weiter ins Detail gehe. Wenn Sie es für sinnvoll halten, so leiten Sie diese Papiere an die in Frage kommenden Gruppen weiter.«

»Ich verspreche es Ihnen«, sagte Aherne. »Sehen Sie, Echavarra, ich habe nicht die Absicht, Ihnen gegenüber besonders grausam zu sein. Ich bin nicht hier, um darüber zu entscheiden, ob Ihrer Entwicklung der Vorzug zu geben ist. Darüber ist längst entschieden worden. Mein Auftrag war lediglich, mich vom Fortschritt der Carter-Kolonie zu überzeugen. Das habe ich getan. Und ich bin zufrieden.«

»Dann wird Ihr Bericht also positiv ausfallen?«

»Ja«, sagte Aherne. Es war das erste Mal, daß er seinen Entschluß laut verkündete, und er war noch nie so sicher gewesen, sich auf dem rechten Weg zu befinden.

»Also gut«, sagte Echavarra kurz. »Ich werde keinen Versuch mehr machen, Sie zu überreden.«

»Es wäre sinnlos«, sagte Aherne. Er fühlte echte Sympathie für Echavarra, konnte aber nichts für ihn tun, wie die Dinge standen. Carters Kolonie verdiente es, unterstützt zu werden. Selbst angesichts der Tatsache, daß sie wahrscheinlich besondere Vorbereitungen für die Besichtigung getroffen hatten, war das reibungslose Zusammenarbeiten von Menschen verschiedener Rassen noch immer eindrucksvoll genug.

Aherne nahm die Papiere Echavarras auf und legte sie zu einem sauberen Stapel zusammen. »Sie sind bei mir in guten Händen«, sagte er.

»Danke«, sagte der Peruaner kurz. Er musterte Ahernes Gesicht, dann verließ er den Raum.


* * *

Später am Tage verkündete Aherne seine Entscheidung öffentlich. In der kurzgefaßten, sich auf das Wesentliche beschränkenden Stellungnahme, die er Dr. Carter aushändigte, sprach er von der Genugtuung, die er bei der Überprüfung der Kolonie empfunden habe und von der Empfehlung an die Vollversammlung, die für das Weiterbestehen notwendigen Mittel auf unbeschränkte Zeit bereitzustellen.

Carter überflog den Text und blickte auf. »Danke«, sagte er schlicht.

»Sie brauchen mir nicht zu danken. Meine Empfehlung basiert auf der von Ihnen geleisteten harten Arbeit. Ihre Kolonie hat mich hundertprozentig überzeugt, Dr. Carter.«

»Es freut mich, das zu hören. Zu Anfang schienen Sie über das, was Sie sahen, im Zweifel zu sein.«

»Eine Pose, die Sie nicht erst zu nehmen brauchten.«

»Was ich auch nicht tat. Ich sah Ihnen an, daß die Besichtigung zu Ihrer Zufriedenheit ausfiel. Miß Greer berichtete mir, daß Sie zuweilen vor Begeisterung geradezu strahlten.«

»Stimmt«, nickte Aherne, dem es peinlich war, daß er seine Gefühle nicht besser hatte verbergen können. »Ich bin überzeugt, daß Sie auf dem richtigen Wege sind.«

»Ich werde dies der Kolonie ausführlich berichten«, sagte Carter. »Sie alle werden froh sein, daß unser Fortbestand für die nächste Zukunft gesichert ist.«

»Mein Auftrag ist erfüllt«, dachte Aherne. Nun, da der Druck der Entscheidung von ihm genommen war, konnte er mit gutem Gewissen auf die Erde zurückkehren.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und machte sich Notizen über alle Punkte, die in seinem endgültigen Bericht Beachtung finden mußten. Er begann damit, daß er das Leben in der Kolonie in großen Zügen schilderte.

Nach zwei Sätzen hielt er verwirrt inne. Echavarras heisere Worte klangen ihm wieder in den Ohren. Sie schienen sich über ihn lustig zu machen und ihn zum Narren zu stempeln. ›Diese Leute hier sind nur Gäste auf dem Mars. Sie werden immer Außenseiter bleiben, die von einer künstlichen Atmosphäre abhängen.‹

Die scharfe Stimme des Peruaners ließ Ahernes Schläfen pochen, sie ließ sich nicht beiseite schieben. Nachdenklich starrte er auf seinen Kugelschreiber. Er fühlte, wie er unsicher wurde. Er stellte sich Echavarra vor, wie er jedes seiner Worte mit dem in die Luft — die künstliche Luft des Kuppelbaues — gestochenen Zeigefinger unterstrich.

Habe ich recht? Wer weiß es? So fragte Aherne sich selbst, als er langsam, mit erheblich weniger innerer Überzeugung als zuvor, mit der Abfassung seines Berichtes fortfuhr.


* * *

Tief im kalten, gefrorenen Boden durchlief eine lange, dünne Linie die Wüste — eine Bruchstelle weit unter der Oberfläche, eine dunkle Spalte, die das Ende einer geologischen Formation und den Anfang der nächsten darstellte.

Entlang dieser Spalte lastete der Druck der Tausende von Tonnen Sand. Langsam und allmählich, im Verlauf von Jahrhunderten, begann der Spalt sich zu verbreitern, bis die Erde bebte und eine tiefe Schlucht da gähnte, wo keine Schlucht gewesen war. Eine ganze geologische Formation — ein Granitblock, der Hunderte von Quadratmeilen maß, bäumte sich auf. Die zerrissene Wüste bebte, und die Katastrophe überfiel die Bauten, die ahnungslose Menschen über dem Spalt errichtet hatten.

Aherne hatte den Tag seiner Abreise festgelegt. Valoinen mußte mit seinem Schiff flugplanmäßig am nächsten Morgen landen, und Aherne war gerade beim Abschiednehmen, als die Katastrophe hereinbrach. Der Boden begann zu wanken. Die Verankerungen des Kuppelbaues lösten sich aus der Erde, Spannungen, für die der Bau nicht geplant war, zerrten an der Kuppel, und ein gezackter Spalt lief von einem Ende der blitzenden Plastik zum andern.

Aherne fühlte, wie die Kälte hereinbrach. In Sekundenschnelle hatte sich die so sorgfältig bewahrte Atmosphäre verflüchtigt, und die stickstoffgeladene Marsluft rauschte herein.

»Raumanzüge!« schrie jemand, dann brach Panik aus.

Elfhundert Menschen, die sich im gleichen Augenblick der Raumanzüge zu bemächtigen versuchten. Erwachsene schrien, Kinder wurden niedergerissen, Frauen irrten ängstlich umher.

Aherne rang nach Luft. Sein Kopf begann zu dröhnen, die Augen traten ihm aus den Höhlen. Was hatte der Peruaner gesagt? Dies war die kritische Schwelle, der Augenblick, von dem man nicht fliehen konnte. Durch die klaffende Kuppel schimmerte schwaches Sonnenlicht. Das war es also — die Marsluft. Die kalte Marsluft, die menschliche Lungen nicht atmen konnten. Die kritische Schwelle.

Irgendwie fand Aherne einen Raumanzug. Es bereitete ihm unsagbare Mühe hineinzuschlüpfen. Er konnte kaum sehen, die eiskalten Hände verweigerten den Dienst. Schließlich hatte er es geschafft. Luft, die er atmen konnte, umgab ihn. Er lehnte sich für einen Augenblick gegen die gewellte Stahlwand eines Gebäudes. Halb betäubt, versuchte er zu ergründen, was geschehen war. Eben noch hatte er sich angeregt mit Kate Greer und Sully Roberts unterhalten, im nächsten Augenblick war der Himmel über ihm geborsten. Tief sog er die Luft ein, schluckte sie und ließ sie seine Lungen wärmen. Langsam kehrten die Körperfunktionen wieder zurück. Dann blickte er sich um.

Der Anblick war schrecklich. Wohin immer er sah, traf sein Blick auf Kolonisten. Den meisten war es gelungen, in Raumanzüge zu schlüpfen. Die andern weniger Glücklichen, zu denen auch eine Handvoll Kinder gehörte, lagen bewußtlos am Boden. Sauerstoffmangel hatte ihre Gesichter blau verfärbt.

Sully Roberts lag neben einer Wand, nahe der großen offenen Kiste, die Raumanzüge für den Notfall enthalten hatte. Es war ihm gelungen, sich einen der Anzüge überzustreifen, aber die kritische Schwelle war zuviel für ihn gewesen; der große Mann hatte das Bewußtsein verloren.

»Sully! Sully!«

Nach einer Weile blickte Roberts auf. Taumelnd kam er auf die Füße, schüttelte den Kopf und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Aherne stützte ihn.

Ihm war, als durchlebte er einen Alptraum.

Roberts deutete auf eine Gestalt, die in fünfzig Meter Entfernung zusammengebrochen war. Ein Kolonist, der den rettenden Raumanzug nicht erreicht hatte.

»Gehen wir«, sagte Roberts heiser. »Vielleicht können wir noch Hilfe bringen.«


* * *

Später, als Ruhe und ein gewisses Maß an Ordnung wiederhergestellt waren, versuchte die Kolonie, sich über das Ausmaß der Katastrophe klarzuwerden. Eine allgemeine Versammlung wurde im Zentralauditorium einberufen, und langsam füllte sich der Raum mit verwirrten, in Raumanzüge gekleideten Gestalten.

Aherne nahm abseits Platz. Erst jetzt begann der Schock sich auf ihn auszuwirken. Er fühlte Bitterkeit und Ärger über diesen komischen Scherz, denn sie wußten nun, daß ein Marsbeben den Kuppelbau zerrissen hatte. Sein Bericht war geschrieben, die Zukunft der Kolonie schien gesichert — und nun dies.

Er hörte Carter müde die Namen aufrufen.

»Anderson, David und Joan.«

»Hier.«

»Antonelli, Leo, Marie und Helen.«

»Hier.«

Dann kam Stille nach einem Namen. Er wurde wiederholt, aber auch diesmal blieb die Antwort aus. Immer häufiger antwortete Schweigen auf den Aufruf. Nach langen Stunden war das Ausmaß des Schadens festgestellt.

Die Kolonie hatte, wie Carter verkündete, 73 Tote zu beklagen. 57 Personen befanden sich in Lebensgefahr. Die Kuppel war durch das Beben in einem Maße beschädigt worden, das einen Wiederaufbau sinnlos machte. Der Bau mußte von Grund auf neu errichtet werden. Vorausgesetzt, daß die Genehmigung dazu erteilt und die erforderlichen Mittel bereitgestellt wurden.

Sully Roberts erhielt den Auftrag, sich zum peruanischen Kuppelbau zu begeben, um festzustellen, wie es dort aussah. Aherne sah dem großen Mann nach, wie er durch die sinnlos gewordene Luftschleuse ging und seine Sandraupe bestieg.

Es war eine tragische Situation, dachte Aherne. Dann wurde ihm langsam klar, daß man die Dinge auch anders sehen konnte. Das Beben hätte sich zu jeder Zeit ereignen können, aber es war, als stünde eine unsichtbare Macht dahinter, gerade in dem Augenblick erfolgt, als Aherne im Begriff war, seine endgültige Entscheidung festzulegen. In wenigen Sekunden hatte es die ganze gefährliche Schwäche offenbart, die dem Projekt des Kuppelbaues anhaftete.

Sie hatten geplant und geplant, aber nicht damit gerechnet, daß der Boden sich in hundert Meilen Entfernung aufbäumen könnte. Niemand hatte dies einkalkuliert.

Erst jetzt war Aherne sich klar, was er zu tun hatte.


* * *

Stumm erwarteten sie in dem großen Versammlungsraum die Rückkehr Roberts’. Aherne musterte die Gesichter der Männer um ihn. In ihnen spiegelte sich der Traum wider, der sich in einem einzigen unvorhergesehenen Augenblick in einen Alptraum gewandelt hatte.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und Roberts stürmte herein, knapp zehn Minuten, nachdem er den Saal verlassen hatte.

»Was gibt es, Sully?« fragte Carter von seinem erhöhten Platz. »Konnten Sie den andern Kuppelbau nicht erreichen?«

»Es war nicht nötig«, sagte Roberts. »Echavarras Männer begegneten mir unterwegs. Auch ihr Bau wurde vernichtet, aber sie wurden schnell wieder Herr der Situation. Die ganze peruanische Kolonie ist auf dem Weg hierher, um zu sehen, ob wir Hilfe brauchen.«

Roberts trat zur Seite, um Echavarra Platz zu machen, der in einen bunten Raumanzug gekleidet war, der sich zwischen den eintönigen Gewändern bizarr ausnahm. Hinter ihm erblickte Aherne eine Gruppe kleiner, ebenfalls in Raumanzügen steckender Gestalten — die Männer aus den Anden.

»Wir sind gekommen, um zu sehen, ob wir Ihnen behilflich sein können«, sagte Echavarra. »Das Beben hat meinen Bau zwar auch schwer getroffen, aber unsere Leute hatten unter dem plötzlichen Druckwechsel nicht so zu leiden wie Sie. Wir sind fast an ähnliche Verhältnisse gewöhnt.«

Natürlich, dachte Aherne. Die Peruaner hatten sich wahrscheinlich in aller Ruhe die Raumanzüge übergestreift. Bei ihnen hatte es keine Panik und keine Verluste gegeben.

Aherne stand auf.

»Dr. Carter?«

»Ja, Mr. Aherne?«

»Können Sie die Versammlung für kurze Zeit unterbrechen? Ich möchte mit Ihnen und Dr. Echavarra privat sprechen.«


* * *

Aherne fühlte sich, als hielte er die Zukunft des Mars in seiner Hand, während sein Blick forschend über Carter und Echavarra wanderte.

»Ich will mich kurz fassen«, sagte er, das Wort an Dr. Carter richtend. »Nach den letzten Ereignissen muß ich meinen Bericht einer Revision unterziehen. Ihre Kolonie bringt nicht die für ein Weiterbestehen erforderlichen Voraussetzungen mit.«

Carters Gesicht wurde kalkweiß. »Aber wir können einen neuen Kuppelbau errichten. Sie sagten…«

»Ich weiß, was ich sagte«, unterbrach Aherne. »Aber das Beben läßt alle Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Dr. Echavarra fand während einer Unterredung die richtigen Worte dafür. Sie und Ihre Kolonie sind nur Gäste hier. Ob Sie überleben oder nicht, hängt von den Launen der Natur ab. Ihre Hoffnungen können sich nicht an einen verletzlichen Kuppelbau klammern, Sie dürfen nicht erwarten, daß Ihre Kolonie für die Ewigkeit geschaffen ist.«

Carter sank in sich zusammen. Er ließ den Kopf hängen. »Dann hatte ich also unrecht«, sagte er. »Das Beben bewies es.«

Echavarras dunkle Augen funkelten. »Heißt das, daß Sie jetzt auf meiner Seite stehen, Mr. Aherne?«

»Nicht ganz«, sagte Aherne. »Sie hatten zum Teil recht. Ihre Leute hatten sich den Verhältnissen so angepaßt, daß die Zerstörung der Kuppel keine Katastrophe für sie bedeutete; zwei Generationen weiter, und sie werden keine Kuppel mehr brauchen. Aber sie sind nicht das Material, aus dem man eine neue Welt schaffen kann. Sie sind unwissende, primitive Menschen, die zwar hohe Überlebenschancen haben, kulturell aber auf der untersten Stufe stehen.«

Er wandte sich Carter zu. Zum erstenmal, seit er die Erde verlassen hatte, fühlte er, daß er die Situation fest in der Hand hatte. Er sah die Dinge plötzlich in ihrer Gesamtheit und wußte, was in seinem Bericht zu sagen war.

»Dr. Carter, Sie repräsentieren die andere Seite der Münze. Ihr kulturelles Niveau ist hoch, die Überlebensaussichten sind gering. Der von Ihnen erzielte Fortschritt war beeindruckend — bis zu dem Augenblick, als ein Riß in der Kuppel das von Ihnen errichtete Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenstürzen ließ.«

Carter nickte grimmig. »Das haben wir auch festgestellt.«

Aherne beugte sich vor. »Weist das, was ich eben sagte, auf eine Lösung hin?«

»Sie meinen — daß wir einen großen Kuppelbau für beide Kolonien errichten?« fragte Carter zögernd.

»Genau das. Eine Kuppel. Sich angleichen, sich vermischen. Schaffen Sie eine neue Rasse aus den beiden Stämmen«, sagte Aherne triumphierend. »Eine neue Rasse, die fähig ist, auf dem Mars zu leben und die hierher gehört.«

»Der Druck…«, sagte Echavarra.

»Halten Sie ihn auf zehn Pfund für eine Weile. Es wird für beide Gruppen unbequem sein, aber nicht für lange. Schließlich wird Dr. Carters Gruppe die gleiche Widerstandskraft entwickeln wie die Männer Echavarras. Es kann sein, daß zwei Generationen darüber vergehen, aber der Erfolg wird sich einstellen.«

Die Führer der beiden Gruppen verbargen ihre Begeisterung nicht.

»Werden Sie diese Empfehlung an die UN weitergeben?« fragte Carter.

»Wenn Sie beide damit einverstanden sind.«

Die beiden Männer nickten zustimmend.

»Dann wollen wir zurückgehen und die Entscheidung verkünden«, sagte Aherne. »Sie werden gleich mit dem Bau der neuen Kuppel beginnen müssen. Sie wissen selbst, daß Sie nicht lange in den Raumanzügen leben können.«

»Richtig«, sagte Carter. Er stand auf und kehrte, gefolgt von Aherne und Echavarra, in den Versammlungsraum zurück, wo die Kolonisten ungeduldig auf das Ergebnis der Besprechung warteten.

Wieder nahm Aherne seinen Platz an der Seite ein.

Was nun folgte, blieb Carter und Echavarra überlassen. Er wollte sich nicht länger in ihre Angelegenheiten mischen.

Während Carter zu sprechen begann und den neuen Kurs festlegte, ließ Aherne den Blick durch das Auditorium wandern. Alle Plätze waren besetzt, besetzt von Kolonisten, die von den UN hierher geschickt worden waren, und von Peruanern in ihren farbenfreudigen Raumanzügen.

Aherne sah seinen Bericht bereits Form annehmen. Dieser Bericht würde zukunftweisend sein für die weitere Eroberung der Planeten durch die Menschheit. Dankbar dafür, daß er in der letzten Minute den richtigen Weg erkannt hatte, lehnte er sich zurück und entspannte sich, den begeisterten Worten Dr. Carters lauschend.

Dann fiel sein Blick auf einen peruanischen Jungen von etwa neun Jahren, der in seinem zitronengelben Raumanzug wie eine große Puppe aussah. Ein hübsches blondes Mädchen aus der UN-Kolonie, das gleichen Alters sein mochte, musterte den Jungen in scheuer Neugier.

Aherne beobachtete die beiden. Sie waren die Vorläufer, die Gründer einer neuen Rasse von Menschen.

Nein. Nicht Menschen, dachte Aherne. Menschen sind Geschöpfe, die auf die Erde gehören.

Marsbewohner.

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